Der Dritte Weltkrieg Teil 3: Der Wirtschaftskrieg der USA gegen Deutschland und Europa (Imperialismus und Great Reset Teil 7.4.3)

Lesezeit34 min

Dies ist der zwölfte Teil einer mehrteiligen Serie von Jan Müller zur aktuellen Imperialismusdebatte in der kommunistischen Bewegung. Sie beinhaltet folgendene Teile:

1. Einleitung & Marxsche Methode

2. Klassischer Imperialismus (1895 – 1945)

3. Der Spätkapitalismus (1945 – 1989)

4. Die expansive Phase des neoliberalen Kapitalismus (1989 – 2007)

5. Der Neoliberalismus in der Krise (seit 2007)

6. Chinas Aufstieg und der Abstieg des Westens (bis 2020)

7. Eine vierte imperialistische Epoche?

7.1 Der Great Reset

7.2 Die Klima-​Hysterie von 2019 als Vorspiel

7.3 Die Corona-​Hysterie von 2020 bis 2022

7.4 Der Dritte Weltkrieg

7.4.1 Der Ukrainische Kriegsschauplatz 2022

7.4.2 Der Wirtschaftskrieg gegen Russland

7.4.3 Der Wirtschaftskrieg der USA gegen Deutschland und Europa

7.4.4. Klimalockdown und Great Reset

7.4.5. Faschismus in der Ukraine, Demokratieabbau im Westen

7.4.6. Umbruch in der Weltwirtschaft

7.4.7. Die Eskalation des Krieges

8. Exkurse zur aktuellen Imperialismusdebatte

9. Perspektiven des Sozialismus auf der Erde

Die Serie kann als Broschüre im PDF- und Epubformat frei heruntergeladen werden.

Imperialismus und Great Reset: Eine vierte imperialistische Epoche? (Teil 7.4.3)

6.4.3. Der Wirtschaftskrieg der USA gegen Deutschland und Europa

Der Westen beabsichtigt nicht nur Russland ökonomisch und militärisch in die Knie zu zwingen, sondern die USA führen darüber hinaus auch noch einen verdeckten Wirtschaftskrieg gegen die EU und besonders gegen ihre Vormacht Deutschland. Was kritische Wissenschaftler schon seit dem Beginn der Sanktionspolitik vermutet haben, ist inzwischen im Mainstream angekommen, wenn sich zum Beispiel der französische Präsident Macron in ohnmächtiger Wut über das Verhalten der USA beschwert, ohne etwas daran ändern zu können.

Wenn wir jedoch in die Geschichte zurückblicken, erkennen wir, dass dieses Verhalten gar nicht so neu ist. Spätestens seit 1989 verfolgten die USA das Ziel, Deutschland ökonomisch einzudämmen. Diese Feindseligkeit wird selten offen geäußert, aber sie scheint in den letzten 30 Jahren immer mehr zugenommen zu haben.

Während des Kalten Krieges (1945 bis 1989) haben die USA die westdeutsche Bundesrepublik als Frontstaat gegen den Sozialismus aufgebaut und in jeder Beziehung unterstützt. Das reichte von den Marshallplan-​Hilfen bis hin zu einen unbeschränkten Markzugang deutscher Unternehmen in den USA. Dabei tolerierten sie auch, dass die BRD einen bedeutend höheren Lebensstandard hatte als andere westliche Länder wie Frankreich, Großbritannien und Österreich. An diesem musste sich die DDR orientieren – und scheiterte!

Diese Konstellation änderte sich Ende der 80er Jahre, als vom Sozialismus keine Gefahr mehr ausging. In diesen Jahren gab es zwei spektakuläre Morde, die den USA sehr zupass kamen: Der Mord an Alfred Herrhausen, dem Vorstandssprecher der Deutschen Bank am 30. November 1989 und an Detlev Karsten Rohwedder, dem Chef der Treuhandanstalt am 1. April 1991. Beide Morde werden aufgrund von Bekennerschreiben der Terrororganisation Rote Armee Fraktion zugeordnet. Allerdings fanden sich im Zuge der Ermittlungen keinerlei physische Spuren, die RAF-​Mitgliedern zugeordnet werden konnten. Zudem wurden die beiden Anschläge sehr professionell ausgeführt, was eher auf eine Geheimdienstarbeit hindeutet. Tatsächlich gehen die investigativen Journalisten Gerhard Wiesnewski, Wolfgang Landgraeber und Ekkehard Sieker in ihrem Buch Das RAF-​Phantom davon aus, dass die so genannte dritte Generation der RAF als authentische Bewegung nicht existierte, sondern ein Geheimdienstkonstrukt war. Möglicherweise gab es Verbindungen dieser Struktur zum Gladio-​Netzwerk.1

Alfred Herrhausen wollte die Deutsche Bank global aufstellen und insbesondere stark in die USA expandieren. Die Aussichten hierfür waren günstig, denn die Bank kontrollierte damals noch große Teile der Deutschland AG, also des Kerns der enorm produktiven deutschen Industrie. Zudem trieb Herrhausen eine Initiative für die Entschuldung der Entwicklungsländer voran, von der vor allem diese Industrie profitieren würde, während US-​Banken die Leidtragenden wären. Herrhausens Nachfolger Hilmar Kopper gab die Expansionspläne des Bankhauses zunächst auf und setzte sie nach einigen Jahren auf kleinerer Stufenleiter um.2

Detlev Karsten Rohwedder war seit dem 3. Juli 1990 Vorsitzender und später Präsident der Treuhandanstalt, die das DDR-​Produktionsvermögen verwalten sollte. Seine Devise war »Sanieren vor privatisieren«. Er wollte also den Industriebetrieben der DDR Zeit lassen, sich auf die Bedingungen der Marktwirtschaft umzustellen und sie erst dann privatisieren, wenn ihre Perspektive gesichert ist. Das bedeutet, dass der Staat noch längere Zeit, vielleicht auf Jahrzehnte, Eigentümer einiger dieser Betriebe bleiben würde.3

Hieran übten insbesondere US-​amerikanische und britische Kapitalkreise härteste Kritik. Sie bemängelten unter anderem, dass sie so bei einer Privatisierung nicht zum Zuge kämen. Rohwedders Nachfolgerin Birgit Breuel privatisierte dann auch rücksichtslos alle Betriebe in kürzester Frist. Das hatte zur Folge, dass die neuen Bundesländer flächendeckend deindustrialisiert wurden und Deutschland ohne eine gestärkte Industriebasis in die Vereinigung ging. Die DDR war immerhin das zehntgrößte Industrieland der Welt. Diese Entwicklung kam den USA sicherlich zustatten, denn so wurde ein mächtiger Konkurrent nicht noch mächtiger.

Die Ostdeutschen wurden dauerhaft zu Menschen zweiter Klasse degradiert und auch »in den westlichen Bundesländern wurden Billionen dem Wohlstand der Bevölkerung und der Verbesserung der Infrastrukturen entzogen, um den westlichen Konzernen, den Spekulanten und Opportunisten auf dem ehemaligen DDR-​Gebiet das Leben zu versüßen. Das nannte sich Soli.«4

In den 90er Jahren beschwerten sich deutsche Industrieunternehmen, dass die USA ihre Geheimdienste auch zur Industriespionage nutzten, um sie so etwa bei internationalen Ausschreibungen auszustechen. Seit dieser Zeit werden bevorzugt europäische Unternehmen in den USA zu hohen Strafzahlungen häufig im Bereich von Milliarden Dollar verurteilt, etwa wenn sie die zahlreichen und unübersichtlichen US-​Embargobestimmungen nicht eingehalten haben.

Walter Grobe nennt in seinem Artikel Merkels ewige Pandemie weitere Komplexe, die bereits seit den 00er Jahren zu einem zunächst schleichenden und sich dann immer mehr beschleunigenden Niedergang Deutschlands geführt haben:

  • Ausstieg aus der Kernenergie und Stromversorgung ausschließlich durch erneuerbare Energien Windkraft und Photovoltaik. Mit der Kernenergie gibt Deutschland nicht nur eine zuverlässige, sichere5 und CO2-freie Technologie auf. Die als Backup zu den »Erneuerbaren« notwendigen konventionellen Kraftwerke sollten auf Erdgas basieren, da seine Verbrennung weniger CO2 freisetzt als etwa die Kohle. Damit wurde eine Sollbruchstelle geschaffen, die es den USA ermöglicht, die deutsche Industrie beliebig an oder auszuschalten (siehe unten). Deutschland war in den 70er Jahren mit seinen Leichtwasserreaktoren, aber auch bei Schnellen Brütern und Thorium-​Hochtemperaturreaktoren (THTRs) an der Weltspitze im Bereich der Kerntechnik angekommen. Mit den Ausstiegsbeschlüssen 2000 und 2011 wurden ganze Industriezweige und große ingenieurtechnische Kompetenzen unwiderruflich zerstört. Bereits hiermit wurde der deutschen Industrie ein großer und irreversibler Schaden zugefügt.6 Das hatte offenbar seinen Grund. Grobe kommt zu der Schlussfolgerung: »Es ist aus den Umständen der Jahre 1987 – 90 auch als wahrscheinlich zu vermuten, dass im Zuge der international beaufsichtigten deutschen Einigung die deutsche Regierung auch geheime Zusicherungen über die Drosselung und vielleicht sogar über die letztendliche Liquidierung der eigenen Kernenergie gegeben hat, die möglicherweise noch heute wirksam sind. Derartige Grundsatzentscheidungen fielen jedenfalls bereits genau in diesen Jahren, wie der Verzicht auf die eigene Wiederaufarbeitungs-​Technik, auf wissenschaftlich und ökonomisch hochinteressante Reaktortypen wie den Schnellen Brüter und den Hochtemperatur-​Reaktor, auf die mit allen Weiterentwicklungen verbundene Brennelemente-​Technik und sogar auf den Neubau ganz gewöhnlicher Druckwasser- oder Siedewasserreaktoren.«7 Die ursprünglich erzbürgerliche Anti-​Atomkraftbewegung bekam in dieser Zeit eine so große Durchschlagskraft, weil sie sich mit militanten Autonomen verbündete. Während die Sicherheitsbehörden im Fall der sozialrevolutionären RAF und der »Bewegung 2. Juni« keine Schwierigkeiten hatten, deren Aktivisten dingfest zu machen, will ihnen das bei den militanten Autonomen partout nicht gelungen sein. Genauso wenig übrigens wie bei den Attentätern auf Herrhausen und Rohwedder.
  • Die Auflösung der Deutschland AG unter der Schröder-​Fischer-​Regierung ab 2000 ermöglichte den Aufkauf der deutschen Industriekonzerne durch US-​Amerikanische Schattenbanken wie Blackrock.
  • Die BRD und die EU verzichteten auf eine Industriepolitik zur Förderung der eigenen Halbleiterproduktion und von sozialen Netzwerken, so dass sie immer stärker von US-​amerikanischen Produkten und Netzwerkfirmen wie Google, Facebook, YouTube und Twitter abhängig wurde. Russland und China haben mit VKontakte und Yandex, beziehungsweise Baidou und TikTok rechtzeitig eigene soziale Netzwerke aufgebaut. Während die USA hemmungslos ihre eigene IT-​Industrie subventionierten, haben sie das ihre Vasallen schlicht verboten. So wurde Deutschland zunehmend auf seine traditionellen Industrieprodukte festgelegt: Automobilindustrie, Maschinenbau, Chemie, pharmazeutische Industrie und Flugzeugbau (letzterer zusammen mit Frankreich).8
  • Der Neoliberalismus wurde in Deutschland mit einer solchen Radikalität durchgeführt, dass kritische Infrastrukturen wie Schienen, Straßen, Schulen, Krankenhäuser und ähnliche Einrichtungen immer schneller verfallen. Insbesondere Brückenschäden behindern den Fernverkehr inzwischen sehr stark.

Bereits aus dieser unvollständigen Liste ist erkennbar, dass Deutschland ökonomisch weitaus stärker sein könnte, als es heute ist. Noch stärker könnte das Land bei einer engen ökonomischen Verflechtung mit Russland sein. Das ist die größte Angst der USA, wie eine Rede des STRATFOR9-Gründers George Friedman auf dem Chicago Council von 2015 zeigt. Nachdem er zunächst die aggressive US-​Politik gegen Russland dargestellt hatte, sagte er zu Deutschland:

Worauf wir keine Antwort parat haben, ist die Frage: Was wird Deutschland in dieser Situation unternehmen? Die reale unbekannte Variable in Europa sind die Deutschen, wenn die USA diesen Sicherheitsgürtel in Europa [das von Polen kontrollierte Intermarium] aufbauen. Nicht in der Ukraine, sondern weiter im Westen. Der Einfluss der Russen in der Ukraine wird schwinden. Wir wissen nicht, wie die deutsche Haltung dazu ausfallen wird. Deutschland ist in einer sehr eigenartigen Lage. Der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schröder ist im Aufsichtsrat von Gazprom. Die Deutschen haben ein sehr komplexes Verhältnis zu den Russen. Sie wissen aber selbst nicht, was sie tun wollen. Sie müssen ihre Waren exportieren, die Russen können ihnen diese Waren abnehmen. Andererseits verlieren sie [wenn sie bei den Sanktionen gegen Russland nicht mitmachen] ihre Freihandelszone [die EU], die sie brauchen, um andere Sachen aufzubauen. Die Befürchtung der USA ist, dass deutsches Kapital und deutsche Technologie mit russischen Rohstoffressourcen und russischer Arbeitskraft sich zu einer einzigartigen Kombination verbinden, die die USA seit einem Jahrhundert zu verhindern versuchen. Wie kann man erreichen, dass diese einzigartige Kombination verhindert wird? Die USA sind bereit, die Karten auf den Tisch zu legen. Es ist die Linie zwischen dem Baltikum und dem Schwarzen Meer [das Intermarium]. Seitens Russlands waren die Karten immer schon auf dem Tisch. Für sie ist entscheidend, dass die Ukraine ein neutrales Land wird, kein prowestliches. […] Wer mir eine Antwort darauf geben kann, was die Deutschen in dieser Situation tun werden, der kann mir auch sagen, wie die nächsten 20 Jahre Geschichte aussehen werden. Aber unglücklicherweise müssen die Deutschen immer wieder diese Entscheidung treffen. Und das ist das ewige Problem Deutschlands. Deutschland ist wirtschaftlich enorm mächtig, aber gleichzeitig geopolitisch sehr zerbrechlich. Sie wissen niemals, wo und wie sie ihre exportierten Waren verkaufen können. Seit 1871 war das immer die Deutsche Frage und die Frage Europas. Denke sie nach über die Deutsche Frage, die jetzt wieder mal aufkommt. Das ist die nächste Frage, die wir stellen müssen, was wir aber nicht tun, da wir nicht wissen, was die Deutschen tun werden.10

Die politische und wirtschaftliche Kontrolle der USA über Eurasien und damit ihr Status als einziger Supermacht hängt in entscheidendem Maße von zwei Spaltungslinien ab: Der Spaltung zwischen Deutschland-​Europa und Russland einerseits und der Spaltung zwischen Russland und China andererseits.11

Die USA verfolgten seit 1989 eine Politik der Eindämmung nicht nur Russlands, sondern auch Deutschlands. Letzteres war sicherlich ein wichtiger Faktor bei der aggressiven NATO-​Expansion nach Osten in die Ukraine. Die deutschen Regierungen zum Beispiel unter Merkel konnten noch so servil gegenüber den USA auftreten. Damit konnten sie das hartnäckige Misstrauen in Washington gegenüber Deutschland jedoch nie zerstreuen. Auch ungeachtet der Tatsache, dass durch US-​Kaderschmieden und Think Tanks immer radikalere US-​freundliche Politiker wie Baerbock nach vorne geschoben und in Entscheidungspositionen gehievt wurden, blieb dieses Misstrauen bestehen. Wie wir jetzt wissen, war dieses Misstrauen ein wichtiger Faktor für die Sprengung der Nordstream-​Pipelines.12

Das ist der Kontext, in dem im Gefolge des Ukrainekrieges die Eindämmungspolitik der USA in einen aggressiven Wirtschaftskrieg gegen Deutschland übergeht. Denn jetzt steht für die USA noch bedeutend mehr auf dem Spiel.

Die Finanzialisierung der US-​Volkswirtschaft ist nach Michael Hudson im Grunde genommen eine Plünderungswirtschaft, welche die Realwirtschaft austrocknet und sie auf die Dauer unfähig macht, kostendeckend zu arbeiten oder auch nur zu funktionieren.

Unternehmensgewinne werden zum Beispiel zu einem großen Teil für Aktienrückkäufe genutzt. Das lässt den Aktienkurs hochschnellen. Genauso beliebt bei den Anlegern ist der Verkauf von Unternehmensteilen. Das heißt, man zehrt von der Substanz und schüttet das eingenommene Geld an die Aktionäre aus.

Das Finanzkapital hat auch Infrastruktureinrichtungen wie Krankenhäuser, Schulen und Universitäten sowie das Wohnen zu einem Geschäft gemacht. Die auf diese Weise betriebenen Einrichtungen sind ineffizient und teuer. Da die Menschen aber auf diese Infrastrukturen angewiesen sind, müssen auch die Löhne entsprechend hoch sein. Das macht die US-​Wirtschaft international zunehmend weniger konkurrenzfähig. Der Finanzkapitalismus erhöht die Lebenshaltungskosten und damit auch die Produktionskosten so stark wie möglich.

Unter diesen Umständen kann die US-​Wirtschaft nur noch durch Zuflüsse aus dem Ausland aufrecht erhalten werden. Das geschieht vor allem durch Schuldendienst, Geistige Eigentumsrechte, Privatisierungen und Direktinvestitionen in den USA.13

Soweit Hudson. Auch wenn er treffend die Entwicklung in den USA beschreibt, ist davon auszugehen, dass er die Ursachen dieser Misere nicht vollständig erfasst. Diese dürften im Fall der Profitrate liegen. Da in der Realwirtschaft kaum noch Profite generiert werden, können die hohen Gewinne der Schattenbanken und die Vermögenszuwächse der Milliardäre wohl nur noch durch Plünderung und Substanzverzehr erreicht werden. Es ist klar, dass diese Entwicklung nicht nachhaltig ist und die Misere nur noch verschlimmert.

Je schwieriger die Lage ökonomisch wird, desto eher wird der US-​Staat mit kriegerischen Mitteln versuchen, andere Länder ebenfalls zu lähmen und von ihnen Tribute einzuziehen. Das dürfte der Hintergrund der Versuche der USA sein, Russland zu zerstückeln und seine Rufstoffe zu rauben. Wie wir weiter unten sehen werden, versuchen die USA und der Westen insgesamt, durch eine Neuauflage der Schuldenkrise auch die Entwicklungsländer zu plündern. Das ist aber nicht mehr so einfach wie in den 80er Jahren, als sich der Westen auf dem Höhepunkt seiner wirtschaftlichen, politischen und militärischen Macht befand.14 Auch deshalb gehen die USA zunehmend dazu über, die Ressourcen der eigenen »Verbündeten« anzuzapfen. Dies betrifft besonders die Bundesrepublik, da die USA ein prosperierendes, mit Russland verbündetes Deutschland so stark fürchten wie keine andere geopolitische Konstellation.

Angesichts einer gegenüber China nicht mehr wettbewerbsfähigen Wirtschaft ist es das Ziel der USA, diesen Wettbewerb auszuschalten, China und Russland von der Weltwirtschaft zu isolieren und sich mit Gewalt ihren eigenen Wirtschaftsraum zu schaffen, den sie absolut beherrschen. Mit Russland sollte der wichtigste ökonomische Verbündete Chinas ausgeschaltet werden. Dies sollte durch immer härtere Sanktionen geschehen, die die russische Wirtschaft lähmen sollten. Alles, was es brauchte, um diese in Kraft zu setzen, war ein casus belli.

Zugleich wurden durch die Sanktionen auch die europäischen »Verbündeten« der USA massiv geschädigt. Russland lieferte reichlich Energie zu einem wettbewerbsfähigen Preis und die europäischen Unternehmen konnten durch Exporte und Direktinvestitionen in Russland gute Geschäfte machen. Diese Wirtschaftsbeziehungen wurden brutal gestoppt, offenbar für immer, da die NATO Russlands Devisenreserven beschlagnahmt hat und die europäische Russophobie von US-​hörigen Propagandamedien bewusst geschürt wird.15 Hierzu Hudson:

Die Weltwirtschaft steht in Flammen. Die Vereinigten Staaten haben sich auf eine militärische Antwort, auf die Bewaffnung ihres eigenen Öl, Agrarexport- und Waffenhandels vorbereitet. Sie werden alle Länder vor die Wahl stellen, welcher Seite des Neuen Eisernen Vorhangs sie sich anschließen wollen.16

Es sieht tatsächlich so aus, als würde die Weltwirtschaft in zwei Teile zerbrechen. Aber es ist keinesfalls gesagt, dass derjenige der NATO der größere Teil sein wird. Der Westen hat den Entwicklungsländern nichts anzubieten außer einem noch größeren Elend. Natürlich werden die USA versuchen, die lokalen Eliten zu bestechen. Wie dieser Versuch ausgeht, ist völlig offen.17

Es kann gut sein, dass der Orkan an Sanktionen und Beschlagnahmungen gegen Russland und inzwischen auch gegen China nur bewirkt, dass der Welthandel zunehmend um den Westen herumgelenkt wird. Letztlich würden dann Russland, China, das übrige Asien, Afrika und Lateinamerika eigene Handelsorganisationen und eine eigene Leitwährung schaffen. In diesem Fall hätte die versuchte Isolierung Russlands und Chinas nur zur Selbstisolierung des Westens geführt.

In diesem Fall hätte der neue Eiserne Vorhang nur die eigenen »Verbündeten« der USA ihrem Wirtschaftsbereich festgehalten, wo sie deren Willkür hilflos ausgeliefert sind.18

Die Russland-​Sanktionen führten zu einer globalen Lebensmittelkrise. Sie haben unter anderem zur Folge, dass Düngemittel weltweit knapp und teuer werden. Denn Erdgas ist der Rohstoff für Stickstoffdünger. Das aber ist in Verlauf des Jahres 2022 so teuer geworden, dass sich die Düngerproduktion häufig nicht mehr lohnt. Befürchtet werden langfristig geringere Ernten im Westen. Aufgrund der Börsenspekulation gehen bereits heute die Lebensmittepreise durch die Decke. Diese Lebensmittekrise wird in einigen europäischen Ländern wie den Niederlanden und Großbritannien bewusst noch dadurch verschärft, dass sie ein gigantisches Flächenstillegungsprogramm gestartet haben und planen, große Teile ihrer Agrarproduktion still zu legen (Genaueres siehe Abschnitt 7.4.4.6.).

Auch auf den von der EU etablierten Gas- und Strommärkten treibt die Spekulation die Preise noch weit über das künstlich durch politische Entscheidungen verknappte Angebot hinaus.

Vor allem die Chemie- und die Metallbranche sind in hohem Maß etwa auf Erdgas angewiesen – nicht nur als Energieträger, sondern auch als Grundstoff – und leiden deshalb erheblich unter der Teuerung.19 Die deutsche Stahl‑, Automobil- und Chemieindustrie steht aufgrund der massiv gestiegenen Produktionskosten international unter unermesslichem Wettbewerbsdruck.

Im Sommer 2022 schlossen fast täglich energieintensive Betriebe, zum Beispiel Glasschmelzen, Düngemittelhersteller, Chemiekonzerne oder sie kündigten Produktionskürzungen an.20 Gerade die verschiedenen Produktionsbereiche der Chemieindustrie sind eng miteinander verkettet. Der Ausfall eines Basisprodukts wie Ammoniak hat vielfältige Auswirkungen. So ist er Grundstoff von Stickstoffdünger, Ad Blue und Vorprodukt für eine ganze Reihe von Kunststoffen wie Polyurethan. Aus diesem Stoff werden Matratzen, Schuhsohlen, Dichtungen, Schläuche, Fußböden, Lacke, Klebstoffe, Dichtstoffe, Skier, Autositze, Laufbahnen in Stadien, Armaturenbretter, Vergussmassen, Kondome (Präservative) und vieles mehr hergestellt.21

Die deutschen Industriebetriebe sind nicht nur auf günstige Energie, sondern häufig auch auf zahlreiche Vorprodukte aus allen möglichen europäischen Ländern angewiesen, deren Preise wegen der Energiekrise ebenfalls durch die Decke gehen. Viele Industrieunternehmen wurden bereits durch Lieferkettenunterbrechungen infolge der Coronamaßnahmen massiv geschädigt. Diese Lieferketten sind in vielen Bereichen immer noch gestört, zum Beispiel bei der Versorgung mit Halbleitern. Hinzu kommen der Verlust des russischen und wohl bald auch des chinesischen Marktes. Allein nach Russland exportierten deutsche Unternehmen im vergangenen Jahr noch Waren im Wert von fast 27 Milliarden Euro. Diese fallen jetzt weg. Die USA können wegen ihrer zunehmend protektionistischen Politik auch keine Alternative als Absatzmarkt bieten.22 Als Folge dieser Entwicklung könnte die deutsche Industrie ihre Kernbranchen verlieren.

Diese zahlreichen Schocks haben die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie nachhaltig geschädigt. Bereits im August 2022 überstiegen die deutschen Importe wegen der hohen Energiepreise erstmals seit Jahrzehnten die Exporte.23 Vom ehemaligen Exportweltmeister Deutschland ist also nicht mehr viel übrig geblieben. Eine Überschlagsrechnung des IMK-​Ökonomen Sebastian Dullien prognostiziert alleine für die Gasimporte für 2023 einen Nettoabfluss in Höhe von mehr als 250 Milliarden Euro im Vergleich zu 2020.24

Im Jahr 2022 gehörte zum ersten Mal kein einziges deutsches Unternehmen mehr zu den einhundert wertvollsten Unternehmen der Welt. 2015 waren es immerhin noch 6. Dieser Niedergang des ehemaligen Exportweltmeisters Deutschland zeichnete sich seit der Großen Weltwirtschaftskrise von 2007/​08 ab, zunächst schleichend, seit den Corona-​Lockdowns mit atemberaubender Geschwindigkeit.25

Eine weitere Gefahr ist der Zusammenbruch der Binnenkonjunktur. Denn das Geld, was nun zusätzlich für Gas und Strom ausgegeben werden muss, kann nicht für andere Dinge aufgewendet werden. Die Ausgaben der Haushalte sind jedoch die Einnahmen und Aufträge der Unternehmen.26 Im Jahr 2022 sind die Tariflöhne aufgrund der hohen Inflation um mindestens 4,7 Prozent gefallen.27 Vermutlich sind die Reallohnverluste sogar noch viel höher, denn die Inflation schnellte 2022 auf mehr als 11 Prozent hoch und dies, obwohl sie durch statistische Tricks schon heruntergerechnet wird.28 Als Folge dieser Entwicklung rutschen immer mehr Menschen unter die Armutsschwelle. Bereits 17 Prozent der Einwohner Deutschland sind arm und die Entwicklung hat sich seit 2020 rapide beschleunigt. Deutschland verwandelt sich in einen Alomosenstaat.29 Was unsere Oligarchen wohl auch beabsichtigt haben.

Im Sommer 2022 begann die durch die Sanktionen induzierte Wirtschaftskrise auch die allgemeine Bevölkerung zu treffen. Der Mietenkonzern Vonovia senkt am 7. Juli 2022 die Heiztemperatur in vielen seiner Wohnungen zwischen 23:00 und 6:00 Uhr auf 17 Grad Celsius ab.

Wirtschaftsminister Habeck warnte im Juli 2022 eindringlich vor hohen Preissteigerungen bei Erdöl und Erdgas. Er wollte noch nicht einmal ausschließen, dass auch den Privathaushalten im Fall einer Gasmangellage das Gas abgedreht wird, obwohl sie besonders geschützt sind. Für diesen Fall haben zahlreiche Kommunen wie Ludwigshafen und Berlin bereits Wärmehallen vorbereitet. Habeck schloss auch aus, dass der Bund in Not geratene Stadtwerke stützt. Sie werden damit gezwungen, die astronomisch hohen Gaspreise an ihre Kunden weiterzugeben.

Politiker wie Robert Habeck brannten zwar ein »Feuerwerk der Apokalyptik« ab, aber sie dachten gar nicht daran, die selbst geschaffene Krise zu lösen. Stattdessen nahmen sie die Bevölkerung ohne jegliche Skrupel in Haftung. Sie wird aufgefordert, weniger Gas zu verbrauchen, am Strom zu sparen, weniger zu duschen usw.30

Dr. Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK), erklärte am 20. Juli 2022 offen, dass die Bevölkerung als Folge der Sanktionen 20 bis 30 Prozent ärmer sein werde.31

Ab dem 1. September 2022 gilt eine flächendeckende Verdunkelung für Deutschland. Seit dieser Zeit ist die Beleuchtung von Gebäuden und Denkmälern aus ästhetischen Gründen verboten. Auch Werbeanlagen dürfen zwischen 22:00 Uhr und 6:00 Uhr nicht mehr betrieben werden. Ladentüren und Drehtüren im Einzelhandel dürfen nicht mehr dauerhaft offen gehalten werden. Für öffentliche Gebäude gelten strenge Temperaturobergrenzen: Sie reicht von 19 Grad Celsius für körperlich leichte und überwiegend sitzende Tätigkeit bis hin zu 12 Grad für körperlich schwere Tätigkeit.32 Aber bereits 19 Grad ist für viele Menschen weit von ihrer Wohlfühlzone entfernt33, zumal die Temperatur in den Räumen in der Regel eher noch niedriger sein dürfte. Die hierdurch verursachten Erkrankungen haben ganz erheblich zur weihnachtlichen Grippewelle beigetragen.34

Zu allem Überfluss bereiten Städte und Bundesländer auch noch rollierende Stromabschaltungen in diesem Winter vor, wenn – wie abzusehen – nicht mehr genügend Strom zur Versorgung der Bevölkerung zur Verfügung steht. Die wichtigste Ursache hierfür ist der deutsche Atomausstieg.35

Unter diesen Umständen ist es kein Wunder, wenn im Spätsommer 2022 erste Politiker wie Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht ein Ende der Russland-​Sanktionen und die Öffnung von Nordstream 2 forderten. Vergleichbare Forderungen erhoben auch die DKP, Teile der AfD und mehrere Handwerkskammern. Insbesondere in Ostdeutschland gab es jeden Montag große Demonstrationen von zusammen bis zu 100.000 Teilnehmern.

Man hat fast den Eindruck, dass führende Politiker wie Annalena Baerbock und Robert Habeck diese Demonstrationen bewusst herbeigeredet haben. Auch das geschah wohl, um Kontrolle über die Entwicklung zu behalten, was bisher gelungen ist. Denn diese Demonstrationen gingen nach der Sprengung von Nordstream II am 26. September 2022 zurück und sind inzwischen völlig zum Erliegen gekommen. Denn jetzt ist eine Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus Russland nahezu unmöglich.

Zum Abflauen der Demonstrationen hat sicherlich auch die harte Repression beigetragen. Dazu gehören:

  • Geräuschvolle Vorbereitung auf einen Bundeswehreinsatz im Inneren
  • massive Verschärfung des § 130 StGB und damit faktische Abschaffung der Meinungsfreiheit in Deutschland
  • Strafverfolgung gegen kritische Journalisten wie Alina Lipp
  • Zensur von kritischen Medien wie zum Beispiel die Nachdenkseiten
  • maßlose Medienhetze gegen alle Kritiker des Kriegskurses der Bundesregierung

Außerdem hat die Bundesregierung mit ihrem »Doppelwumms« eine Entlastung der Bürger von den hohen Energiekosten in Höhe von 200 Milliarden Euro beschlossen. Wie genau sich das auswirken wird bleibt abzuwarten. Allerdings erfolgt die Finanzierung auf Kredit und kann dauerhaft nicht durchgehalten werden. Spätestens wenn der von USA kontrollierte IWF auch Deutschland ein Strukturanpassungsprogramm aufzwingt, drohen Zustände wie in der Dritten Welt. Italien ist ein mahnendes Beispiel, was auch uns bald bevorstehen könnte. Die neue ultrarechte Regierung Meloni hatte die Armen des Landes kurzerhand auf Nulldiät gesetzt, indem sie ihnen das Bürgergeld strich, mit dem sie bisher notdürftig überleben konnten.36

Die Strategie der Bundesregierung sah wohl so aus, dass die Menschen zunächst mit Katastrophenszenarien terrorisiert und die vergleichsweise wenigen Demonstranten dann durch eine exemplarische Repression eingeschüchtert wurden. Am Ende bekamen alle noch Brosamen zugeworfen. So konnten die Menschen in eine Duldungsstarre für eine zerstörerische Politik gezwungen werden.

Die Situation wird sich in den nächsten Jahren nicht verbessern, eher im Gegenteil. Noch 2022 flossen große Mengen an russischem Gas nach Westen. Damit ist im Jahr 2023 nicht zu rechnen. Die Gasmangellage wird sich wohl erst im Winter 2023/​24 voll bemerkbar machen. Mit verheerenden Folgen für Verbraucher und Industrie.37

Da die US-​Unternehmen durch die Finanzialisierung – sprich Plünderung – durch Schattenbanken und Oligarchen ausgezehrt sind, sind die USA dringend auf Kapitalzuflüsse von außerhalb angewiesen. Europa und besonders Deutschland gelten offenbar als Hauptquelle dieser Zuflüsse. Diese Entwicklung wird dadurch erleichtert, dass die US-​Schattenbanken wie BlackRock oder Vanguard bereits 2018 34,6 Prozent der Anteile aller DAX-​Unternehmen besaßen. Weitere 20 Prozent gehörten britischen und irischen Vermögensverwaltern.38

Durch die Sprengung der Nordstream-​Pipelines am 26. September 2022 wurde Deutschland vermutlich irreversibel39 von preiswerter russischer Energie abgeschnitten. Für die USA ist das natürlich eine großartige Gelegenheit, so US-​Außenminister Blinken am 2. Oktober dieses Jahres. Denn inzwischen ist eine große Verlagerungswelle von ursprünglich deutschen, aber jetzt den US-​Schattenbanken gehörenden Industriebetrieben in die USA angelaufen.

Einen Anreiz hierzu bieten zahlreiche Ausgabenprogramme wie der am 16. August 2022 verabschiedete »Inflation Reduction Act«. Er sieht 369 Milliarden Dollar an Subventionen für Unternehmen vor, die in der »grünen« Energie‑, Transport- und Wasserstoffindustrie tätig sind. Ergänzt wird er durch den Infrastructure Investment and Jobs Act, der bereits im November 2021 in Kraft getreten ist. Er sieht zusätzliche 1,2 Billionen US-​Dollar vor, die in den Ausbau von Straßen und Brücken, in die Reparatur von Wasserleitungen sowie in den Bau von Aufladestationen für Elektroautos fließen sollen. Dabei handelt es sich um das größte derartige Programm seit den 1950er Jahren. Zusätzlich stellt der ebenfalls im August 2022 in Kraft getretene »Chips and Science Act« über 52 Milliarden US-​Dollar für den Wiederaufbau der US-​Halbleiterproduktion bereit. Alle diese Programme kommen nur Unternehmen zugute, die in den Vereinigten Staaten produzieren.

Die EU kann kaum etwas dagegen tun. Denn wie Robert Habeck feststellte: »Wir können in Zeiten wie diesen keinen Handelskrieg anfangen.« Die EU-​Kommission will jetzt vor der Welthandelsorganisation WTO klagen. Solche Prozesse können Jahre dauern und gehen aufgrund der meistens US-​freundlichen Richter in der Regel zugunsten der USA aus. Selbst wenn die EU nach einem langen Prozess wider Erwarten doch Recht bekommen sollte, wäre sie dann bereits weitgehend deindustrialisiert und wirtschaftlich irrelevant.40

Während in Europa die Energiepreise in astronomische Höhen geschnellt sind, bleiben sie in den USA niedrig. Die Gas- und Strompreise sind inzwischen in Europa mehr als viermal so hoch als jenseits des Atlantiks.41

Nach dem Ende der Öllieferungen aus Russland durch die Drushba-​Pipeline am 1. Januar 2023 als Folge von EU-​Sanktionen droht der Ölraffinerie PCK in Schwedt das Aus. Noch wird sie durch Tanker-​Öl aus Rostock versorgt, allerdings arbeitet sie aufgrund der geringen Kapazität der Schwedt-​Rostock-​Pipeline nur mit 55 Prozent, was nicht kostendeckend ist. Ursprünglich war geplant, das PCK zusätzlich mit Öl zu versorgen, das im polnischen Hafen Gdynia angelandet und dort in das Pipelinenetz eingespeist wird. Allerdings weigert sich Polen, Öl an die PCK zu liefern, solange die Raffinerie noch formal dem russischen Konzern Rosneft gehört, auch wenn sie schon im April 2022 unter Zwangsverwaltung gestellt wurde. Da eine Enteignung von Rosneft aus formellen Gründen nicht einfach ist, dürfte das Ende der Raffinerie bereits beschlossen sein. Die Bundesregierung weigert sich jedenfalls strikt, auf Polen Druck auszuüben oder eine weitere Pipeline von Rostock nach Schwedt zu bauen. Der durch eine Stilllegung der PCK provozierte Benzinmangel und die damit einhergehenden Preissteigerungen kommt ihr gerade recht, um die Menschen weiter zu verarmen und vom Autofahren abzuhalten. Auch die deutsche Industrie verliert weiter an Wettbewerbsfähigkeit.42

Es ist also kein Wunder, wenn Unternehmen wie BMW, VW, Mercedes-​Benz, Siemens, BASF und Evonik jeweils Milliardensummen in den USA investieren. Zur gleichen Zeit lahmt ihr Geschäft auf dem deutschen Heimatmarkt und in Europa insgesamt. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, ist eine vollständige Verlagerung der Produktion dieser Firmen in die USA denkbar.43 Der Gashersteller Linde machte den Anfang und siedelte bereits im Januar 2023 vollständig in die USA über.44 Der Pharmakonzern Bayer will den Schwerpunkt seines Geschäfts in die USA verlagern. Nur dort wird er weiter investieren, nicht aber in Europa. Zusätzlich profitieren die USA von den hohen Preisen auf den Weltmarkt für ihr Frackinggas und von Waffenkäufen. Thomas Röper fasst zusammen:

Es drängt sich der Eindruck auf, dass die USA diesen Konflikt provoziert haben, um ihre Stellung als Weltmacht zu festigen, auch wenn das bedeutet, dass es auf Kosten der europäischen ‚Verbündeten‘ geschieht, die an den Folgen gerade wirtschaftlich ausbluten.45

Mit dem Ukrainekrieg haben die USA nicht nur Russland geschwächt, sondern gleichzeitig einen für sie gefährlichen industriellen Konkurrenten ausgeschaltet. Sie gehen zudem die eigene Reindustrialisierung energisch an. Perspektivisch würden sie nahezu die einzige Industriemacht in der von ihnen beherrschten Sphäre werden und könnten sich gegenüber China stabilisieren, zumindest eine Zeitlang.

Die EU und besonders Deutschland drohen bis 2030 zu einem vollständig entindustrialisierten Ödland zu werden. Verschärft wird diese Entwicklung durch den Kampf gegen das CO2: Photovoltaik und Windkraft sind nicht in der Lage, stabile und zuverlässige Energie zu liefern. Zugleich fährt die EU auch noch die hochproduktive europäische Landwirtschaft bewusst herunter, so dass man daran zweifeln kann, ob noch alle europäischen Bürger ernährt werden können.46

Ein wichtiger Zweck der hysterische Entschließungen wie die Erklärung von Russland zum Terrorstaat durch das EU-​Parlament am 23. November und die Anerkennung des »Holodomor« als Völkermord an Ukrainern durch den Deutschen Bundestag am 30. November 2022, ist sicherzustellen, dass der Bruch zwischen EU-​Deutschland und Russland möglichst dauerhaft erhalten bleibt.47 Dazu Dagmar Henn:

Es sind letztlich also nicht nur die Sanktionen, sondern auch diese propagandistisch überdrehten Beschlüsse, die sich gegen Russland zu richten scheinen, aber die europäischen Industrieländer zum Ziel haben.48

Offenbar dienen solche Beschlüsse auch dazu, die europäischen Politiker gewissermaßen in Geiselhaft zu nehmen. Je mehr solcher Beschlüsse gefasst werden, umso schwieriger ist es, die normalen Beziehungen zu Russland wiederherzustellen. Es ist immer weniger möglich, entsprechende Vorschläge auch nur in die politische Debatte einzubringen. Damit ist das Schicksal dieser Politiker mit der Fortsetzung des jetzigen Kriegskurses verknüpft. Sie können ihn nicht ändern, ohne damit ihre Karriere zu beenden. Und zwar auch dann nicht, wenn sie begreifen sollten, dass sie ihren Ländern den größtmöglichen Schaden zufügen.49

Das Schlimme an diesem Szenario ist, dass es für den Rest der Welt sogar von Vorteil wäre, denn eine wirtschaftliche und politische Destabilisierung der USA wäre weitaus gefährlicher.50 Und das ist noch nicht alles. Auch die EU gehört, wenn es nach den USA geht, aufs Abstellgleis. Sie soll durch ein Bündnis osteuropäischer Länder unter Führung Polens ersetzt werden, die eine noch härtere Position gegenüber Russland einnehmen. Sie bilden zudem einen physischen Riegel zwischen Deutschland und Russland. Das wäre das von den USA vorangetriebene Intermarium. Diesem Intermarium sollen neben Polen folgende Länder angehören: Die baltischen Staaten, die Tschechische Republik, die Slowakei, die westliche Ukraine, Rumänien mit Moldawien und Bulgarien.51

Während die USA in Westeuropa offenbar auf einen totalen zivilisatorischen Zusammenbruch hinarbeiten52, dürften sie beim Frontsaat Polen einen etwas höheren Lebensstandard tolerieren. Darauf deutet hin, dass im polnischen Ort Choczewo das erste Kernkraftwerk des Landes entstehen soll und zwar mit sechs Reaktoren der US-​Firma Westinghouse. Im Endausbau wird es ein Drittel des in Polen verbrauchten elektrischen Stroms erzeugen.53

Auch die an Deutschland gerichteten polnischen Reparationsforderungen für Verwüstungen von Krieg und Besatzung zwischen 1939 und 1945 in Höhe von 1,3 Billionen Dollar sind in diesem Zusammenhang zu sehen.54 Polen wird diese Forderung wohl bald bei einem US-​Gericht einklagen. Mit dem zu erwartenden positiven Urteil hätte Polen einen vollstreckbaren Titel, mit dem es überall auf der Welt deutsches Eigentum beschlagnahmen könnte. Um weiter Druck zu machen, könnten die USA ihre Flüssiggaslieferungen nach Deutschland einstellen. Dann bliebe den Deutschen nichts anderes übrig als zu zahlen. Dieser massive Reichtumstransfer wäre der letzte Sargnagel bei der Zerstörung der deutschen Industrie und damit der deutschen Gesellschaft.

Deutschland sollte in der Tat aufrüsten, aber nicht gegen Russland, sondern gegen Polen. Denn wer kann ausschließen, dass Polen als Anführer des Intermariums seine Reparationsforderungen nicht militärisch eintreibt, so wie das die Franzosen 1923 bis 1925 mit der Ruhrbesetzung vorgemacht haben?

Verweise

1 Vgl. Gerhard Wisnewski /​Wolfgang Landgraeber /​Ekkehard Sieker: Das RAF-​Phantom, München 1993, S. 436ff

2 Vgl. Wisnewski u.a. 1993, a.a.O., S. 96ff

3 Vgl. Wisnewski u.a. 1993, a.a.O., S. S. 233ff

4 Soli = Solidaritätszuschlag auf die Einkommenssteuer, Walter Grobe: Merkels ewige Pandemie. Die deutsche Ökonomie vor der Übernahme durch US-​Kapital?, in: Autorenkollektiv: Dark Winter, Berlin 2021, S. 148, im Internet: https://​magma​-magazin​.su/​b​r​o​s​c​h​u​e​r​e​n​/​d​a​r​k​-​w​i​n​t​e​r​-​a​n​a​l​y​s​e​n​-​z​u​m​-​c​o​r​o​n​a​-​k​a​p​i​t​a​l​i​s​m​us/, abgerufen am 22.02.2023

5 Ausführliche Diskussion zur Sicherheit der Kernenergie in: Jan Müller: Der vermutlich kommende Klimalockdown und seine Alternativen, in: Autorenkollektiv: Dark Winter, 2021, S. 209ff, a.a.O.

6 Vgl. Grobe 2021, S. 149 – 151 und 161 – 162, a.a.O.

7 Grobe 2021, S. 160, a.a.O.

8 Jens Berger: Unternehmensranking – Deutschlands Großkonzerne schaffen sich ab, US-​Konzerne dominieren, 03.01.2023, Nachdenkseiten, im Internet: https://​www​.nachdenkseiten​.de/​?​p​=​9​2​072, abgerufen am 24.02.2023

9 Das als geopoltisches Analyseinstitut firmierende Stratfor gilt als der bedeutendste Privatgeheimdienst der USA.

10 Ukraine – »keine 100 Millionen Tote« – Krieg in Europa – George Friedman – The Chicago Council (2015), Deutsche Übersetzung der Rede, die Friedman 2015 gehalten hat , 20.01.2022, YouTube, im Internet: https://​www​.youtube​.com/​w​a​t​c​h​?​v​=​k​j​e​n​O​H​M​b​H_A, abgerufen am 24.02.2023

11 Vgl. Grobe 2021, S. 148, a.a.O.

14 Vgl. Dagmar Henn: Die Hintergründe des Krieges, 11.10.2022, Freidenker, im Internet: https://​www​.freidenker​.org/​?​p​=​1​4​408, abgerufen am 24.02.2023

16 Hudson, 10.04.2022, a.a.O.

17 Vgl. Hudson, 10.04.2022, a.a.O.

19 Vgl. Jörg Kronauer: Die Sanktionen schlagen zurück, 27.05.2022, German Foreign Policy, im Internet: https://​www​.german​-foreign​-policy​.com/​n​e​w​s​/​d​e​t​a​i​l​/​8​932, abgerufen am 24.02.2023

22 Vgl. Henn, 11.06.2022, a.a.O.

23 Vgl. Statista, 02.12.2022, a.a.O.

24 Vgl. Jens Berger: Volle Fahrt voraus und Kurs aufs Riff!, 31.08.2022, Nachdenkseiten, im Internet: https://​www​.nachdenkseiten​.de/​?​p​=​8​7​446, abgerufen am 24.02.2023

25 Vgl. Berger, 03.01.2023, a.a.O.

26 Vgl. Berger, 31.08.2022, a.a.O.

28 Vgl. Dagmar Henn: 2023 geht es ums Brot, nicht um die Butter – Inflation, Energiekrise und Rezession, 01.01.2023, RT, im Internet: https://​deutsch​.rt​.com/​m​e​i​n​u​n​g​/​1​5​8​283 – 2023-​geht-​es-​ums-​brot-​nicht-​um-​die-​butter/​, abgerufen am 24.02.2023

30 Vgl. Wolfgang Bittner: Keiner soll hungern, ohne zu frieren. Der Weg in die Katastrophe, 12.07.2022, Nachdenkseiten, im Internet: https://​www​.nachdenkseiten​.de/​?​p​=​8​5​733, abgerufen am 24.02.2023

31 Vgl. Florian Warweg: »Werden am Ende 20 bis 30 Prozent ärmer sein«, 22.07.2022, Nachdenkseiten, im Internet: https://​www​.nachdenkseiten​.de/​?​p​=​8​6​125, abgerufen am 24.02.2023

33 Vgl. Dagmar Henn: Dunkelkalt und Ermahnungen für 32 Millionen Euro – Da können die Moskauer nur staunen, 18.12.2022, RT, im Internet: https://​deutsch​.rt​.com/​m​e​i​n​u​n​g​/​1​5​7​2​9​0​-​d​e​u​t​s​c​h​l​a​n​d​-​i​m​-​w​i​n​t​e​r​-​d​u​n​k​e​l​k​a​l​t​-​u​nd/, abgerufen am 24.02.2023

38 Vgl. Christian Kreiß: Baerbock und Habeck: Auftragskiller des deutschen Mittelstandes?, 17.11.2022, Nachdenkseiten, im Internet: https://​www​.nachdenkseiten​.de/​?​p​=​9​0​484, abgerufen am 24.02.2023

39 Die Reparatur dieser Pipelines dauert Jahre. In Russland findet aber gegenwärtig eine große Verlagerung der eigenen Energieressourcen in Richtung Osten statt. Es werden zahlreiche Pipelines und Erdgasverflüssigungsanlagen gebaut. Das heißt, selbst wenn im unwahrscheinlichen Fall unsere russophoben Politiker nach einigen Jahren abgelöst werden, wäre schlichtweg nicht mehr genug Gas vorhanden, um Europa damit zu versorgen.

41 Vgl. Kronauer, 26.10.2022, a.a.O.

42 Vgl. Jens Berger: Kein Schiff wird kommen, 06.02.2023, Nachdenkseiten, im Internet: https://​www​.nachdenkseiten​.de/​?​p​=​9​3​471, Knut Mellenthin: Der Rest sind Lügen, 02.02.2023 jW, im Internet; https://www.jungewelt.de/artikel/444050.pck-raffinerie-der-rest-sind‑l ProzentC3 ProzentBCgen.html, Thomas Röper: Der polnische Wirtschaftskrieg gegen Deutschland, 05.02.2023, Anti-​Spiegel, im Internet: https://​www​.anti​-spiegel​.ru/​2​0​2​3​/​d​e​r​-​p​o​l​n​i​s​c​h​e​-​w​i​r​t​s​c​h​a​f​t​s​k​r​i​e​g​-​g​e​g​e​n​-​d​e​u​t​s​c​h​l​a​nd/, abgerufen am 24.02.2023

43 Vgl. Kronauer, 26.10.2022, a.a.O.

44 Vgl. Moritz Gruber: Linde macht rüber, 20.01.2023, jW, Im Internet: https://www.jungewelt.de/artikel/443139.us-monopolmacht-linde-macht‑r ProzentC3 ProzentBCber.html, abgerufen am 24.02.2023

48 Henn, 03.12.2022, a.a.O.

49 Vgl. Henn, 03.12.2022, a.a.O.

50 Vgl. Henn, 03.12.2022, a.a.O.

52 Vgl. Dagmar Henn: Energie, Industrie und Zusammenbruch – ein Blick in eine mögliche Zukunft, Teil 1, 03.09.2022, RT, im Internet: https://deutsch.rt.com/meinung/147535-energie-industrie-und-zusammenbruch-blick-in-eine-moegliche-zukunft-teil‑1/, Dagmar Henn: Energie, Industrie und Zusammenbruch – ein Blick in eine mögliche Zukunft, Teil 2, 04.09.2022, RT, im Internet: https://​deutsch​.rt​.com/​m​e​i​n​u​n​g​/​1​4​7​5​3​7​-​e​n​e​r​g​i​e​-​i​n​d​u​s​t​r​i​e​-​u​n​d​-​z​u​s​a​m​m​e​n​b​r​u​c​h​-​b​l​i​ck/, abgerufen am 24.02.2023

53 Vgl. Polen lässt erstes AKW von US-​Firma bauen, 29.10.2022, ARD, im Internet: https://​www​.tagesschau​.de/​a​u​s​l​a​n​d​/​p​o​l​e​n​-​a​k​w​-​1​0​3​.​h​tml, abgerufen am 24.02.2023

54 Vgl. Jens Berger: Die Billionenfrage – haben die Polen (und auch die Deutschen) im Geschichtsunterricht geschlafen?, 05.01.2023, Nachdenkseiten, im Internet: https://​www​.nachdenkseiten​.de/​?​p​=​9​2​158, abgerufen am 24.02.2023. Berger behauptet zwar, es gäbe keine Rechtsgrundlage für die polnischen Reparationsforderungen. Aber so etwas hat die USA noch nie gestört.

Bild: Noch einige Jahre Sanktionen wird Deutschland, nicht Russland, zu einem einzigen Industriemuseum, wie hier die Henrichshütte Hattingen

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