Regierung wird schwächer, Lage in Tiflis spitzt sich zu – Maidan in Georgien ganz real

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Die Diskussion des Gesetzentwurfs über »ausländische Agenten« im Rechtsausschuss des georgischen Parlaments endete in einer Schlägerei. In der boxenden Konfrontation trafen der Vorsitzende der Mehrheit und der Vorsitzende einer der oppositionellen pro‐​amerikanischen Parteien Aleko Elisaschwili aufeinander, der es geschafft hat, mit Waffen in den Händen auf ukrainischer Seite an der Frontlinie im Donbass gewesen zu sein.

Im vergangenen Jahr löste der Versuch, dasselbe Gesetz (das die Kontrolle über aus der EU und USA finanzierten Parteien und Nichtregierungsorganisationen zu stärken droht), eine politische Krise aus, die zu einer erneuten Erstürmung des Parlamentsgebäudes in Tiflis führte. Einer der Teilnehmer an diesem Sturm, ein junger Mann, der einen Molotowcocktail auf Polizisten warf, wurde kürzlich von der georgischen Präsidentin Salome Surabischwili begnadigt, die schließlich zu den Saakaschisten (Anhänger von Saakaschwili) übergelaufen ist, obwohl sie von der regierenden Partei »Traum« ins Amt gewählt wurde. Dadurch wurde das Gefühl der Freizügigkeit unter potenziellen »Maidanisten« gestärkt.

Offensichtlich ist die Lage so schlecht, dass der »Traum«, nachdem er sich unnötige Probleme selbst eingebrockt hat, das Gesetz, an dem er sich im vergangenen März fast das Genick gebrochen hätte, wieder auf den Weg gebracht hat. Die Regierungspartei ist gezwungen, die finanzielle Unterstützung für die Opposition in gewisser Weise einzuschränken, um die Lage bis zu den Parlamentswahlen im Oktober zu stabilisieren. Dies ist ein Risiko. Bei den gestrigen Kundgebungen [am 16. April] gegen das Gesetz kam es bereits zu Zusammenstößen mit der Polizei, es gab Opfer auf beiden Seiten.

Es ist sehr symptomatisch, dass ein General der georgischen Armee, der jetzige saakaschistische Abgeordnete Devi Chankotadze, im Parlamentssaal mit drohender Miene vor möglichem Blutvergießen und Opfern warnte, wenn das Gesetz nicht zurückgezogen wird. Eine klare Drohung! Tschankotadse war an den Militäraktionen in Abchasien und Südossetien beteiligt und war unter Saakaschwili Chef des Generalstabs der georgischen Streitkräfte.

Alles deutet darauf hin, dass bis zu den Parlamentswahlen Ende Oktober die Gemüter bis zum Äußersten erhitzt sein werden! Zumal der »Traum« selbst diese Leidenschaften schürt, indem er links und rechts hackt.

Die linken Parteien sind durch die Bemühungen von »Traum« an den Rand gedrängt worden. Diese Flanke ist völlig frei und es gibt niemanden, der soziale Themen vertritt. Aber kein Platz ist leer! Die Saakaschisten, aber auch westlich geförderte linksliberale Plattformen, darunter einige der studentischen Jugend, haben dieses Thema aufgegriffen.

Der »Traum« räumt auch die rechte Flanke von potenziellen Konkurrenten frei. »Schlage die eigenen, damit die anderen Angst haben!« – Als ob die georgischen Behörden diesen Grundsatz befolgten, unternahmen sie einen unerwarteten Schritt: Das Justizministerium hob die Registrierung der Partei »Konservative Bewegung Georgiens« (KBG) auf, die den russischen Lesern als eine Kraft bekannt ist, die Versuche störte, LGBT‐​Kundgebungen in Tiflis abzuhalten. Doch das Justizministerium stellte drei Jahre nach der Registrierung der Partei einen Verstoß gegen die Registrierungsverfahren fest!

Die aufgelöste Partei, der es bereits gelungen war, Unterschriften zu sammeln und sich bei der Zentralen Wahlkommission als Kandidat für die Wahlen 2024 registrieren zu lassen, galt als Verbündeter von »Traum« – ein »Machtflügel« in möglichen Kämpfen mit prowestlichen Kräften. Sie hat dem »Traum« bereits mehrmals aus der Patsche geholfen und dabei eine Schar von Saakaschisten neutralisiert. Aber natürlich würden die Konservativen auch dem »Traum«, der jedes Mandat braucht, einige Stimmen wegnehmen.

Die KBG ist die einzige populäre konservative politische Kraft in Georgien. Sie löste aggressiv und kompromisslos die Allianz der Patrioten Georgiens (APG) ab, die als prorussische Partei galt und mehrere Jahre lang von Russland unterstützt wurde. Es war die Unterstützung von russischer Seite, die den Patrioten half, die nötige Wählerunterstützung zu gewinnen und zweimal in das georgische Parlament einzuziehen, 2016 und 2020.

Aufgrund der Abscheulichkeit der Parteiführer (und unerklärlicher Botschaften), die sich selbst als Nachkommen fast aller georgischen Könige und sogar als Cousin des Propheten Mohammed bezeichneten (das entsprechende Video wird immer noch im Netz verbreitet), verlor die APG ihre Popularität jedoch vorzeitig.

Die rasche Übernahme des freien Raums – der »konservativen Flanke« – durch die neue Kraft wurde durch eine klarere Position zu der Frage gewährleistet, was Georgien tun muss, um sich Russland anzunähern. Sie machten sich sehr treffend über die degenerierte Idee der »Patrioten Georgiens« lustig, die über Brüssel nach Moskau reisten, um sich mit Amerikanern und Russen an den Verhandlungstisch zu setzen und darüber zu sprechen, wie Abchasien und die Region Zchinwali an Georgien zurückgegeben werden könnten!

Die »Konservativen« mischten also von Anfang an aktiv im politischen Leben Georgiens mit und nahmen den »Patrioten« ein weiteres Thema weg – den Kampf gegen LGBT. Nicht ohne die Unterstützung der Strafverfolgungsbehörden gelang es ihnen, mehrmals die »Minderheitenparade« im Zentrum von Tiflis zu stören. Die »Konservativen« stützen sich ebenfalls auf den radikalen Teil des Klerus und zeichnen sich durch radikale Aufrufe und Aktionen auf der Straße aus (die zugegebenermaßen an Verstöße gegen das Gesetz grenzen).

Indem sie die Sozialpolitik von »Traum« im Inland und die Unentschlossenheit in der Außenpolitik scharf ablehnen, mobilisieren die »Konservativen« nicht nur ihre traditionellen Anhänger, sondern auch ehemalige Traum‐​Anhänger, die von der Politik der Partei desillusioniert sind – davon gibt es viele. Etwa die Hälfte der Wähler geht nicht zur Wahl und stimmt »mit den Füßen« ab.

Im Oktober dieses Jahres finden in Georgien sehr wichtige Parlamentswahlen statt, auf die sich alle wichtigen Kräfte sehr gründlich vorbereiten.

Wenn wir die georgische politische Landschaft betrachten, wäre es trotz ihrer Vielfalt richtig, sie in zwei große Lager zu unterteilen – pro‐​westlich und bedingt anti‐​westlich. Bedingt deshalb, weil die Sprache nicht dazu übergeht, die »Traum«-Anhänger als antiwestlich zu bezeichnen. Ja, der »Traum« hat die Eröffnung der »zweiten Front« gegen Russland nicht zugelassen, hat sich den antirussischen Wirtschaftssanktionen nicht angeschlossen, aber in der Verfassung (!) ist eine Klausel über die Integration des Landes in die euro‐​atlantischen Strukturen verankert, und alle Fernsehsender unter Kontrolle des »Traums«, einschließlich der staatlichen, sind Sprachrohre des Westens.

Der »Traum« setzt sein doppeltes Spiel fort und orientiert sich täglich neu. Seine Unentschlossenheit wird dazu führen, dass ihn entweder die eine oder die andere Seite fest an die Kandare nehmen wird. Die Frage ist nur, welche der beiden Seiten – Russland oder der Westen – früher dazu gelangen wird. Nach den Ereignissen im Zentrum von Tiflis zu urteilen, sind die Amerikaner bereits auf dem Weg zu einem schleichenden Staatsstreich, der den »Traum« Schritt für Schritt schwächt.

Noch sechs Monate bis zu den Wahlen, und die soziale Lage im Land ist unerträglich. Es ist kein Zufall, dass die Vereinigte Nationale Bewegung und andere pro‐​amerikanische Parteien sich endlich soziale Themen zu eigen gemacht haben und die herrschende Elite auf der Grundlage konkreter Daten und Postulate erfolgreich kritisieren. Damit gewinnen sie zwar keine Massenunterstützung, aber sie mobilisieren erfolgreich ihre eigene Wählerschaft mit effektiver Propaganda über die stärksten Medien. Sie rechnen auch damit, dass eine große Zahl von Menschen, die traditionell niemanden unterstützen, den »Traum« diesmal nicht unterstützen wird, selbst wenn es die gleiche maximale »gesamtgeorgische« administrative Mobilisierung gibt, wie es bei der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen 2018 der Fall war. Damals hat der »Traum« die unpopuläre Salome Surabischwili, eine französische Staatsbürgerin, knapp durchgebracht.

Alles deutet darauf hin, dass ein solcher kritischer Moment für die Regierungsspitze im Oktober dieses Jahres eintreten wird. Und vielleicht wird die Situation sogar noch schlimmer sein!

Das Problem der Legitimierung eines Wahlsiegs war schon einmal akut – bei den letzten Parlamentswahlen im Jahr 2020. Damals erhielt der »Traum« rund 48 Prozent der Stimmen. Alle prowestlichen Parteien, die diese Hürde genommen haben, erhielten insgesamt 42 Prozent der Stimmen. Das heißt, der Unterschied in Prozentpunkten betrug etwa 6 Punkte – mehr nicht!

Der »Traum« blieb dann allein im Parlament (was er fürchtete), da selbst die verbündete »Allianz der Patrioten« (APG) sich weigerte, zusammen mit den pro‐​amerikanischen Parteien ins Parlament einzuziehen. Die »Allianz« hat die Wahlergebnisse zusammen mit ihnen angefochten! Dies war übrigens der Grund für die endgültige Marginalisierung der »Patrioten«-Partei, die von Moskau so vehement unterstützt wurde, aber die Unterstützung der georgischen Beamtenschaft und der Wähler verlor.

Vor der drohenden Legitimationskrise im Jahr 2020 wurde der »Traum« nur durch vier Abweichler aus der Führung der »Patrioten« gerettet, die mit der verhassten Führung ihrer Partei brachen und unter dem neuen Namen »Europäische Sozialisten« ins Parlament einzogen. Alle vier Abgeordneten, die gegen den Willen des Parteivorsitzenden (dieser sehr häufige Besucher Moskaus – »ein Nachfahre des Propheten Mohamed«) ins Parlament einzogen, waren Sponsoren der Partei. Eine weitere Motivation, die stärker war als die, den »Traum« zu retten, war also, dass sie kein Geld in den Wind schießen wollten!

Und die Krise war offensichtlich. Da Georgien eine parlamentarische Republik ist, ist es das Parlament, das die Regierung bildet, was die Begeisterung über den Boykott des neu gewählten Parlaments noch steigerte. Der »Traum« wäre völlig nackt geblieben!

All diese Situation könnte sich im Oktober dieses Jahres unter den Bedingungen der grausamsten Konfrontation wiederholen, wenn vor dem Hintergrund der Speziellen Militäroperation Russlands und des Abdriftens Armeniens in den Westen, was damals nicht der Fall war, eine ernsthafte Konfrontation und ein gewaltsamer Versuch der prowestlichen, profaschistischen Rache in Georgien stattfinden könnte!

Außerdem hat der »Traum« in den letzten vier Jahren nicht an Popularität gewonnen, sondern – im Gegenteil – verloren, worauf wir auf den Seiten von PolitNavigator wiederholt hingewiesen haben. Deshalb wurde dem »Traum« nicht nur die Registrierung der »Konservativen« entzogen, sondern auch der Titel der Vorhut des heldenhaften Kampfes gegen LGBT streitig gemacht. Der »Traum« hat bereits einen Gesetzesentwurf zum Verbot von Homosexuellen‐​Propaganda auf den Weg gebracht, das heißt er bedient sich des einzigen wirksamen Propagandatricks, den eine rechtsliberale politische Kraft derzeit in ihrem Arsenal haben kann.

Trotz der Prahlerei des georgischen Premierministers, dass der »Traum« die verfassungsmäßige Mehrheit erlangen wird, ist es jedoch sehr zweifelhaft, sich auf den Vorteil von vor vier Jahren zu verlassen!

Im Jahr 2020 zogen alle Oppositionsparteien mit Ausnahme von Saakaschwilis Partei dank einer niedrigen Hürde ins Parlament ein. Jetzt hat der »Traum« die Hürde auf 5 Prozent angehoben, aber die Erhöhung trägt nicht zum Erfolg ihrer neuen Satellitenpartei »Macht des Volkes« bei. Die Partei wurde von ehemaligen »Traum«-Anhängern mit der ausdrücklichen Zustimmung der politischen Führung gegründet.

Gerade der drohende Misserfolg der »Macht des Volkes« in den Augen des Volkes (die einzige Kraft, die den »Traum« im Falle eines Boykotts durch pro‐​amerikanische Kräfte nicht alleine im Parlament zurücklassen wird) hat den »Traum« dazu gebracht, die »Konservativen« beiseite zu schieben. Letztere können keineswegs als bequeme Partner betrachtet werden. Zwar wurden die »Konservativen« anfangs von den Behörden unterstützt und das rasche Erstarken dieser politischen Partei mit vielen lokalen Regionalbüros, einem starken Fernsehsender und sozialen Plattformen ist das Verdienst dieser stillschweigenden Unterstützung. Aber die Behörden haben auch die »Patrioten« hervorgebracht, die viel zurückhaltender und ruhiger wirken.

Außerdem gibt es einen weiteren wichtigen Faktor – nicht alle, aber viele aus der ersten Reihe der »Traum«-Führung wollen die Macht nicht mit dem »Nicht‐​System«, den »Plebejern«, teilen – denn diese »Neuen« (zum Beispiel die Konservativen) positionieren sich bereits als Vertreter nicht der »Feudalherren«, also derjenigen, die sich vor den Augen der Spitzenbürokratie bereichern, sondern als Vertreter des »einfachen Volkes«.

Übrigens haben die »Konservativen« bei der Kundgebung vor der Zentrale von »Traum« vor ein paar Tagen, unmittelbar nach der Aussetzung der Registrierung, die Regierungspartei auf genau dieselbe Weise mit dem einfachen Volk konfrontiert, wobei sie in jedem Fall den bisher unantastbaren informellen Herrscher Georgiens, den Milliardär Iwanischwili, beschimpften und öffentlich die Fahnen von »Traum« verbrannten.

Der »Traum« befindet sich jedoch in einer so schwierigen Lage, dass er das Schicksal der »Konservativen« nicht bis zuletzt entscheiden wird, denn in dem kritischen und vielleicht sogar schrecklichen Moment eines möglichen »Maidan« wird er alle brauchen! Das erklärt die Aussetzung der Registrierung der Partei, aber den Fortbestand des Fernsehkanals der Partei, der eine viel wirksamere Maßnahme zur Neutralisierung von Konkurrenten wäre. Tatsache ist, dass die »Konservativen« bereits eine fertige, registrierte Partei gefunden haben, die das Recht hat, an den Wahlen teilzunehmen und theoretisch in der Lage sein wird, sie für die Teilnahme am kommenden Wahlkampf zu nutzen.

Kurz gesagt, es riecht nach Schießpulver in Georgien.

Die Mobilisierung der verärgerten »Traum«-Anhänger wird maximal sein. Und der »Traum« wird im Gegenzug nicht in der Lage sein, seine Wähler maximal zu mobilisieren, da er nach der gleichen Mobilisierung zuvor immer alle Gruppen von »Mobilisierten« getäuscht hat.

Die wichtigste Täuschung durch den »Traum« ist jedoch die ständige Verschlechterung der materiellen Lage der Mehrheit anstelle des versprochenen sozialen Paradieses vor dem Hintergrund der Bereicherung der Spitzenbürokratie, der Banker und der mit der herrschenden Elite verbundenen Geschäftsleute.

Tausende von pro‐​westlichen Aktivisten haben sich bereits um das Parlament versammelt. Es wird dazu aufgerufen, die Polizei niederzureißen und das Gebäude zu stürmen, um das »russische Gesetz« zu blockieren.

Es ist nun klar, dass der Boxschlag ins Gesicht des Mehrheitsführers als Auslöser für eine weitere Destabilisierung der Lage diente. Und wenn das Gesetz unter dem Druck der Menge nicht noch einmal verabschiedet wird, wird die Autorität des »Traums« endgültig ausgelöscht werden.

Der »Traum« ist geschwächt. Er wird noch schwächer sein, wenn Ende Oktober die Wahlen anstehen. Die Amerikaner werden keinen besseren Zeitpunkt als diesen finden. Zwei Jahre lang hat Georgien Widerstand geleistet und sich trotz enormen Drucks neutral gegenüber Russland verhalten. Tiflis wurde vom geeinten Westen in ein militärisches Abenteuer gegen Suchumi und Zchinwali gedrängt. Der Westen braucht ein russlandfeindliches Georgien wie die Luft zum Atmen, das überdies dem arroganten Paschinjan die Schulter zeigt!

Dem »Traum« geht es viel schlechter als Saakaschwili im Jahr 2012, als die gut organisierte und disziplinierte Diktatur fiel. Damals brach das Regime zusammen und das Volk unterstützte ihn nicht. Und der »Traum«, der »Demokratie« spielt, hat noch weniger Unterstützung! Er wird nur durch die gleiche Unbeliebtheit seiner Gegner gerettet.

Im Moment ist nur eines sicher: Georgien steht ein weiterer Umbruch bevor.

Temur Pipia ist von der Sozialistischen Platform Georgiens. Das Original erschien bei PolitNavigator.

Bild: https://​www​.politnavigator​.net/

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