Degen­hardt, Süver­krüp und die Innen­ar­chi­tek­tur des Imperialismus

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»Phi­lo­so­phen«, die ihre Spra­che zum Schutz­wall gegen weni­ger Gebil­de­te auf­schich­ten, soll­te irgend­wer den Titel aberken­nen – zumin­dest die Arbeiterklasse.

Denn phi­lo­so­phi­sches Arbei­ten lebt in aller Wis­sen­schaft – sel­ten mehr, meist weni­ger – UND in aller Werk­tä­tig­keit. Was tut denn des Mau­rers Hirn, wäh­rend er den mäch­ti­gen Mau­er­so­ckel mit Betum bestreicht, auf dass kein win­zi­ger Was­ser­trop­fen, mit Frost ge­paart, ihn spren­gen möge? Und was ist die Wir­kung der Lyrik von der »Ent­ste­hung des Buches Tao­te­king« ande­res, als Hegels Sprün­ge ins phi­lo­so­phi­sche Den­ken, in all­zu har­ten Mate­ria­lis­mus zu setzen?

Dar­um hei­ßen die wahr­haft größ­ten deutsch­spra­chi­gen Phi­lo­so­phen des 20. Jahr­hunderts: Albert Ein­stein und Ber­tolt Brecht. Und Süver­krüp und Degen­hardt sind zwei Schü­ler. Hier feh­len Frau­en? Okay: Sabi­ne Kebir, Sahra Wagen­knecht und Danie­la Dahn, wo sie neu­em Den­ken alte Vorstel­lungen ein­zig­ar­tig ent­schlüs­seln hel­fen, also illustrieren.

Denn Geschich­ten sind der Wis­sen­schaft von der Geschich­te kein ange­kleb­ter Bart (wes­halb gesun­ge­ne Flug­blät­ter sel­ten exter­ne Wir­kung ver­zeich­nen), son­dern der­sel­ben Wirk­lich­keit geschul­det: Ästhe­tik spie­gelt, wie es Shake­speare schrieb, die Son­ne im Was­ser­trop­fen. »Wie Den­ken und Spre­chen im sinn­vol­len Wort«, füg­te Wygot­ski hinzu.

Es lebt aus dem detail­lier­ten Bild eine ande­re Sicht aufs Gan­ze. Wobei die Meta­pher dort ins Zen­trum sinkt, wo sich die Wis­senschaft abs­tra­hie­rend zum Begriff hocharbeitet.

Der Begriff bleibt aber ohne Vor­stel­lung stumm; die Vor­stel­lung ohne Begriff taub. Brecht sprach von der Kunst im wissen­schaftlichen Zeit­al­ter, nicht von der Erset­zung der Kunst durch die Wis­sen­schaft. So, wie ein genia­ler Wis­sen­schaft­ler immer auch ästhe­tische Vor­stel­lungs­kraft beherrscht und die gro­ße Red­ne­rin heu­te his­to­ri­sches Wis­sen. Damit Ver­stand ins Emp­fin­den gelangt, der Mate­ria­lis­mus in Fleisch und Blut und die Dia­lek­tik in die Fingerspitzen.

Und so füh­ren unse­re Fein­de auch ihren Drei-Fron­ten-Krieg: gegen die Arbeit, gegen die Wis­sen­schaft und gegen die Kunst. Und sie ver­zeich­nen dabei tod­brin­gen­de Erfol­ge: Ber­tolt Brecht wird so sel­ten auf­ge­führt wie nie. Und die gro­ßen Lie­der­ma­cher – allen vor­an Franz Josef Degen­hardt und Die­ter Süver­krüp – wur­den unterm anti­deut­schen, ros­agrün­lich schil­lern­den Pro­pa­gan­da-Müll der Böh­mer­manns und Anti­lo­pen­gangs verschüttet.

Je bedeu­ten­der die revo­lu­tio­nä­ren Er­schaffer musi­ka­lisch-sprach­li­cher Bil­der wer­den, des­to mehr wächst aber auch ihre Ahnung von der Wehr­lo­sig­keit iso­lier­ter Kunst – und damit auch ihre Suche nach orga­ni­sa­to­ri­schem Halt. Bier­mann hat den Halt nach 1989 bei der NATO gefun­den, schrum­pel­te vom Wolf zum Ket­ten­hund. Degen­hardt und Süver­krüp fan­den 1968 zusam­men in der DKP.

Mit bei­den bin ich auf­ge­tre­ten, bei­de hal­fen mir als Zwan­zig­jäh­ri­gem freund­schaft­lich über man­che miss­lun­ge­ne Lie­der­zei­le hin­weg, per Brief oder als ich bei ihnen woh­nen durf­te. Bei­de waren »alt­mo­disch«, oder wie man heu­te abschätzt: »old school«. Aber vie­le ande­re Ähn­lich­kei­ten zwi­schen Bei­den schie­nen nicht auf.

Mit Degen­hardt dreh­te sich das Gespräch oft anstän­dig um Unan­stän­di­ges, um pral­le Wei­ber, Wei­ne und Weis­hei­ten (»… bei Mut­ter Mat­hil­de, da riecht es gut/​nach kla­rem Schnaps, Bulet­ten und Futt …«). Inclu­si­ve ver­schärf­tem Fei­xen über ange­passt-ideo­lo­gi­sche Flach­pfei­fen im Lie­der­ma­cher-Dress, über den »Wild­le­der­man­tel­mann« oder über »Bodo, genannt der Rote« (wobei er den thü­rin­gi­schen MP noch gar nicht kannte).

Wie oft gestan­den wir uns auch die Hilf­losigkeit auf unse­rer Bar­ri­ka­den­sei­te ein, der bes­ten­falls mit Fei­ern, Lied und Lyrik beizu­kommen war – und wenn nur beim Lager­feuer, am »Tisch unter Pflaumenbäumen«.

Süver­krüp wirk­te unnah­ba­rer, kühl ana­lytischer auf die grö­ße­re Ent­fal­tung von Musik- und Reim­for­ma­li­en bedacht. Und er war auch unser bedeu­tends­ter Musi­ker – schon prä­miert als bes­ter deut­scher Jazz-Gitar­rist bei den »Feet­war­mers«.

Es ist dar­um die kon­se­quen­te­re Schan­de, wie es unse­ren media­len Fein­den gelun­gen ist, ihn über alle sechs ver­gan­ge­nen Jahr­zehnte von grö­ße­rer Öffent­lich­keit gewalt­sam wegzuschweigen.

Denn auf ihn trifft, wie auf kei­nen ande­ren deut­schen Lie­der­ma­cher, der Satz aus dem Düs­sel­dor­fer Vor­trag von Hanns Eis­ler 1931 zu, »dass jeder neue Musik­stil nicht aus einem ästhe­tisch neu­en Stand­punkt ent­steht, also kei­ne Mate­ri­al-Revo­lu­ti­on dar­stellt, son­dern die Ände­rung des Mate­ri­als zwangs­läu­fig bedingt wird durch eine his­to­risch notwen­dige Ände­rung der Funk­ti­on der Musik in der Gesell­schaft überhaupt«.

Es ging Süver­krüp weni­ger um die Abbil­dung gro­ßer Cha­rak­te­re in klei­nen Bal­la­den, son­dern um die Spie­ge­lung gro­ße Zusam­menhänge in klei­nen Ereig­nis­sen. Unter Zu­hilfenahme nicht bil­li­ger, son­dern wert­vol­ler Polemik.

Min­des­tens so pole­misch war auch Degenhardt.

Des­sen gro­ße Bedeu­tung ver­blieb aber for­mal mehr in der Tra­di­ti­on, näm­lich der der Bän­kel-Lie­der, der Vil­lon und Bras­sens. Die er berei­cher­te um Bal­la­den über von der Innen­ar­chi­tek­tur des Impe­ria­lis­mus ge­krümmter Figu­ren. Und dies bereits schon mit sei­nem erfolg­reichs­ten Lied »Spiel nicht mit den Schmuddelkindern«.

Was die gesam­te libe­ra­le Bour­geoi­sie West­deutsch­lands damals ver­zückt hat­te. Als er aber dann im »Horstie Schmandhoff« und im »Alten Notar Bola­mus« von den Revi­vals von Faschis­ten erzähl­te, began­nen vie­le Fans des »Väter­chen Franz« zu frösteln.

Seit noch »Der Sena­tor erzähl­te«, wie er – mit »alten Freun­den aus schwe­rer Zeit« dann wie­der unter Ade­nau­er – Hüt­ten­wer­ke und Feri­en­pa­ra­die­se bau­te, als Degen­hardt damit mehr Wis­sen­schaft von der Kapitalver­wertung in sei­ne Bal­la­den ein­ließ, begann die media­le Reso­nanz ein­zu­frie­ren. Auf Zero. Wie längst gegen Süverkrüp.

Völ­lig unter­schied­lich, aber glei­cher­ma­ßen lie­be­voll, haben dann bei­de »ihre Kommu­nisten« gezeich­net. Bei Süver­krüp: »War­um wird so einer Kom­mu­nist?« und vor allem: »Die erschröck­li­che Mori­tat vom Krypto-Kommunisten«.

Und bei Degen­hardt: die »Nata­scha Spe­cken­bach« und vor allem: »Rudi Schul­te«. Süver­krüps Ide­al-Kom­mu­nist trug »Unter­wanderstiefel«, ver­tilg­te täg­lich blon­de blau­äugige Säug­lin­ge und genoss »nur zur Tar­nung« Bachs H‑Moll-Mes­se. Er lie­fert köst­liche Per­si­fla­gen auf dump­fe Antikommu­nisten, Vor­läu­fer von AfD, CDU und FDP.

Degen­hardts eher gebro­che­ner Kom­mu­nist ist ein ruhr­pöt­ti­scher Züch­ter von Tau­ben, mit denen er redet wie Don Camil­lo mit sei­nem Jesus am Kreuz. Und bei denen er sich dar­über beschwert, wie er, (aus­ge­rech­net er!) gera­de als »fei­ger Revi­sio­nist« beschimpft wor­den war – von Links­ra­di­ka­lis­mus-Imi­ta­­to­ren, also den Vor­läu­fern grün­li­cher Cancel-Cultur*innen.

Als Tho­mas Roth­schild, der eigen­wil­li­ge Den­ker und gründ­lichs­te Chro­nist die­ses künst­le­ri­schen Auf­bruchs seit den Wal­deck-Fes­ti­vals, 1980 sein Fischer-Taschen­buch »Lie­der­ma­cher« mit 23 Por­traits vor­leg­te (heu­te noch von aktu­el­ler Bedeu­tung), war ich zwar mäch­tig stolz auf die loben­den Zei­len zu mei­ner Bal­la­de von der sozi­al­de­mo­kra­ti­schen »Oma Krug«, gleich­zei­tig aber trau­rig dar­über, wie die »infa­me Metho­de Süver­krüp« mei­nes Vor­bilds auf des­sen »Ad-Absur­dum-Füh­ren« durch kaba­ret­tis­ti­sche Wort­spie­le­rei­en (wie »sek­tie­ri­scher Ernst«, »askä­se-bleich« und »Um-Phal­lus«) redu­ziert wur­de. (Ich lie­be die­se spöt­ti­schen Col­la­gen und Mon­ta­gen bis heu­te). Aber vor Süver­krüps gro­ßem Chan­son »Kir­schen auf Sah­ne – Blut­spur im Schnee« ver­neig­te sich damals schon auch Tho­mas Roth­schild. Weil er Geschmack hat und es eigent­lich auch gar nicht anders geht!

Der aus­ge­schlos­se­ne Sozi­al­de­mo­krat Degen­hardt lie­fer­te Wider­wor­te gegen die anläss­lich des sowje­ti­schen CSSR-Ein­mar­sches 1968 auf­trump­fen­den Anti­kom­mu­nis­ten: »Die schwär­men jetzt vom gol­de­nen Prag – und wenn die ‚Gold‘ sagen, mei­nen die Gold«. Bei Süver­krüp hieß das spöt­tisch: »Blei­ben­Se mir doch weg mit ihrem Scheiß-Viet­nam – nach Prag!«.

Ja, selbst Bier­mann hat in sei­nem berühm­ten Köl­ner IG-Metall-Kon­zert im Novem­ber 1976 (was der unklu­ge Schlau­mei­er Hon­ecker zum Aus­bür­ge­rungs-Auf­hän­ger nahm) vom »Janus­kopf des 17. Juni 1953« gere­det: als »halb­fa­schis­tisch und Halb­volks­auf­stand«. (Sei­ne Lie­der von die­sem Kon­zert sind mir noch kost­bar. Und bis heu­te noch nütz­lich gegen die, denen er 1995 die Lüge in die Feder dik­tier­te, dass ich – a s er mich 1976 bat, sein Mana­ger zu wer­den – dies »im Auf­trag der Sta­si« ange­nom­men hätte.)

Im Gegen­satz zu dem medi­en­ver­wöhn­ten Bier­mann woll­ten Süver­krüp und Degen­hardt nie arro­gant und eli­tär auf­tre­ten. Die­se bei­den hoch­ar­ti­fi­zi­el­len Mar­xis­ten haben auch schlich­te­re Lie­der nie ver­ach­tet. Süver­krüp stell­te sich auf der Wal­deck schüt­zend vor sei­ne grob­schläch­ti­ge­ren Agit­prop-Genos­sen und Degen­hardt war zeit­wei­se gar mit Fred­dy Quinn und Dra­fi Deut­scher befreundet.

Das liegt dar­an, dass man eben aus düm­merer Kunst auch klu­ge Schluss­fol­ge­run­gen zie­hen kann. So, wie min­der­wer­ti­ge Kurz­bögen eben trick­rei­che­re Pfei­le und beson­de­re Span­nung brau­chen. Tri­via­le Unter­hal­tung, schlech­te deut­sche Schla­ger und »Schund­romane« mit küm­mer­lich-psy­cho­lo­gi­schem Inne­ren müs­sen das mit magi­sche­ren Ein­zel-Ele­men­ten kompensieren.

Ein gewis­ser Zau­ber, fand auch Degen­hardt, liegt so in Roland Kai­sers »Manch­mal möch­te ich schon mit dir die­sen uner­laub­ten Weg zu Ende gehen«. Des­we­gen war auch für Degen­hardt und Süver­krüp die Beschäf­ti­gung mit die­sen Tricks hilf­reich, weil sie – nun gepaart mit his­to­ri­schen Wis­sen und tie­fe­rem psy­cho­lo­gi­schen Emp­fin­den – in ihren Balla­den schön ent­fal­te­ter ein­ge­baut wer­den konnten.

Bei Süver­krüp ent­stand sein größ­ter Kin­der-Hit »Der Bag­ger­füh­rer Wil­li­bald«, bei Degen­hardt die deut­schen Fas­sun­gen der Folk­songs »Sac­co und Van­zet­ti« und »Gran­do­la vila morena.«

Die bei­den Lie­der­ma­cher waren aber auch bedeu­ten­de Quer­den­ker und Auf­spü­rer der Klas­sen­kämp­fe unter der Ober­flä­che des gän­gi­gen Geschichts­un­ter­richts: ja, über Deutsch­land liegt seit 1945 eine antimono­polistische Volks­front in der Luft, die bei­de Lie­der­ma­cher auch in ihre wider­stän­di­gen Arbei­ter­per­sön­lich­kei­ten malten.

Noch­mal zu Degen­hardts Knei­pen­wir­tin »Mut­ter Mat­hil­de«: »Man­cher, der möcht’ mal gern bei ihr rein….«. Und dann ihre Ant­wort: »Komm rein, das heißt: wenn du mit­ma­chen willst….« – mit der­lei Zei­len wur­de Mut­ter Mat­hil­de nicht nur zum lebens­ech­ten Gegen­ent­wurf gra­tis­muti­gen Gen­derns. Son­dern damals auch zum Ärger­nis der Bos­se von gegen­über. Bedien­te sie doch beson­ders zärt­lich, die »man ver­ar­bei­tet hat zu Divi­den­den­schrott in der Fabrik…«. Und die Betriebszeitungsmacherinnen.

Als ihre Knei­pe einer Fir­men­stra­ße wei­chen soll, war da »… ein Sozi­al­de­mo­krat, der noch nicht so ver­kom­men war und ein mäch­ti­ger Mann bei der Stadt… und den nahm sie zur Brust … und der hat ihr geschwört: kommt kei­ne Stra­ße visa­s­vis der Fabrik… In der Chef­eta­ge in der Fabrik war Wut… man tele­fo­nier­te den Nazitrupp/​der sowas am Ende dann für die macht/​die schlu­gen dann Tre­sen und Tische kaputt … der Staats­an­walt hat mit den Schul­tern gezuckt, ein biss­chen aus Angst, ein biss­chen aus Freud«.

Was da der Knei­pen­un­ter­neh­me­rin nur noch hel­fen konn­te, war ein klei­ner Streik. Dann mach­ten Ver­trau­ens­leu­te »den Her­ren schnell klar: die Werks­schrei­ne­rei repa­riert kostenlos/​bei Mut­ter Mat­hil­de das Inventar«.

Beim Streik in Duis­burg-Rhein­hau­sen um die Arbeits­plät­ze 1987 waren auch fast alle Knei­piers, Bäcker, Ärz­te und Fri­seu­re (heu­te alles Betrof­fe­ne von Coro­na-Lock­downs und Auf­rüs­tung) um die Duis­bur­ger Brü­cke mit dabei: Volks­front aus kauf­kräf­ti­gem Eigeninteresse.

Ich durf­te das Soli­kon­zert »Auf­Ruhr« der »Künst­ler für den Frie­den« vor 40.000 Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen in der Werk­hal­le mit Grö­ne­mey­er, Wader, Kat­ja Ebstein, Lage u.a. mit­or­ga­ni­sie­ren und mode­rie­ren. Cam­pino von den »Toten Hosen« uri­nier­te auf die Büh­ne – aus Soli­da­ri­tät mit den um Arbeits­platz Kämp­fen­den. Zehn Jah­re spä­ter zog er hin­ter Josch­ka Fischer in den Jugo­sla­wi­en-Feld­zug der NATO.

Die Volks­front mit pro­le­ta­ri­schem Kern, – und weil der Mensch ein Mensch ist: die Arbei­ter­ein­heits­front – hat auch Süver­krüp in sei­nem »Phrix-Lied« im Auge, (nach­zu­sehn in der WDR-Doku »Rote Fah­nen sieht man bes­ser«) was er hei­ter unter­ti­telt: »Für ein Schul­le­se­buch gedacht«.

Als ich einst zu deren neu­em Mana­ger wur­de, gelang es mir, die ewi­gen Streit­häh­ne Erich Schme­cken­be­cher und Tho­mas Friz wie­der zum Duo »Zupf­gei­gen­han­sel« zu ver­ei­nen. Nach der lan­gen Spal­tung muss­te ein neu­er LP-Titel­song her, wozu ich Die­ter Süver­krüp den dop­pel­sin­ni­gen Titel »Mit­ein­an­der« vor­schlug und die ita­lie­ni­sche »La Lega«-Musik, die ich beim Ost­ber­li­ner »Fes­ti­val des poli­ti­schen Lieds« mit »Il Con­tem­po­ra­neo« ken­nen­ge­lernt hat­te. Und er schrieb dafür:

Im wesent­li­chen Fal­le, da brau­chen wir uns alle
auf die­sem Erden­bal­le, damit er nicht zerknalle
Schiebt alle Strei­tig­kei­ten für eine Weil‘ beiseiten
und laßt uns drü­ber strei­ten /​dereinst in Friedenszeiten.

Oli, oli, ola, wir sind mit­ein­an­der da …

Befällt uns das Ver­za­gen, so müs­sen wir’s verjagen
viel­leicht zusam­men sin­gen, ein Faß zu Ende bringen
Laßt uns zusam­men juch­zen und wenn es sein muß schluchzen
Der Mensch braucht jede Men­ge an mensch­li­chem Gedränge…

Wenn unse­re Fein­de heu­te noch in Medi­en vom »Natio­nal­so­zia­lis­mus« schwur­beln, käu­en sie nur die blu­ti­ge PR-Lüge der Faschis­ten wie­der, die weder natio­nal noch sozia­lis­tisch waren. Gegen die­se Geschichts­verdreher haben die (heu­te medi­al gemein­sam in den Unter­grund gedrück­ten) Brecht, Süver­krüp und Degen­hardt die demo­kratischen natio­na­len und sozia­lis­ti­schen Tra­di­tio­nen her­vor­ge­schrie­ben. In sei­nem »Hei­mat­lied« für die »Zupfis« erzählt Die­ter Süver­krüp die Volks­front­li­nie zurück und nach vorne:

Hier an dem Brun­nen sprach Tho­mas Münzer…
Wur­den erschla­gen, alle erschlagen
da auf dem Park­platz, wo jetzt McDonald’s ist …

Und zu uns:

Was kann draus wer­den, wenn das noch mehr wird?
Wenn sich alle nicht mehr schä­men und ‚ihr Land‘ beim Wor­te nehmen
Und wer­den sagen: ‚Wir wollen’s wagen! Dies Land ist unser! Wir beset­zen es instand!‘
Noch liegt das gute Land wie hin­ter Fensterscheiben,
Doch zum Grei­fen nah, schon als ob es unsers wär…

Groß­ar­ti­ge Zei­len! Auch wenn Süver­krüp jede Erwäh­nung per­sön­li­cher Aus­strah­lung beim demo­kra­ti­schen Auf­stand (wahrschein­lich als ihm »zu bür­ger­lich-reli­gi­ös«) aussparte.

Ganz anders Degen­hardt. Bei ihm trägt der Zau­ber, der auch jedem revo­lu­tio­nä­ren Anfang inne­wohnt, einen Namen mit per­sönlichem Cha­ris­ma, das werk­tä­ti­ges Volk zu orga­ni­sie­ren und zu eini­gen verhalf:

Joß Fritz:

…gejagt, gesucht, versteckt
Und die ihn hören und berüh­ren, sind auf­ge­rührt und angesteckt
Mal ist er Mönch, mal Lands­knecht, Bett­ler, mal zieht ein Gauk­ler über Land
Und mal erken­nen ihn Genos­sen am Mut­ter­mal auf sei­ner Hand
Das gro­ße Bünd­nis will er knüp­fen mit Rit­ter, Bür­ger, Bau­er, Pfaff
Ple­be­jer, Bett­ler und Sol­da­ten, und immer warnt er vor der Hast:

Refrain:

Laßt nicht die roten Häh­ne flat­tern. ehe der Habicht schreit
Laßt nicht die roten Häh­ne flat­tern vor der Zeit

Und als die schö­nen Sen­sen glänz­ten und Mor­gen­ster­ne glänz­ten mit
Und als der Ham­mer Hel­me knack­te, und als die Sichel schnel­ler schnitt
Und als die schö­nen Schlös­ser brann­ten, und als der Bischof Gna­de bat
Und als die Rei­ter­hee­re flo­hen und Mau­ern bra­chen vor der Stadt
Da ging die Saat auf, die er säte im schö­nen Nachtigallenmai
Und zieht dahin, der hel­le Hau­fe, Joß Fritz ist irgend­wo dabei
Und läßt die roten Häh­ne flat­tern beim hel­len Habichtschrei
Und läßt die roten Häh­ne flat­tern und war dabei und ist dabei.

Machen wir uns also schnell wie­der mehr DEFA-Film­aben­de, lesen wir wie­der mehr Brecht und hören wir wie­der mehr Degen­hardt und Süver­krüp. Ein Wie­der­auf­leuch­ten der Far­be Rot in der Geschich­te gelingt nur, wenn auch unse­re alten Lie­der von der Arbeit wie­der neu erklin­gen. In der poli­ti­schen Arbeit bei Ver­klei­ne­rung des Nen­ners auf »Anti­im­pe­ria­lis­mus«, den Zäh­ler verbreiternd.

Dr. Diet­her Dehm ist Mit­glied des Deut­schen Frei­den­ker-Ver­ban­des und sei­nes Bei­rats, von des­sen Web­site frei​den​ker​.org der Arti­kel über­nom­men wur­de. Erst­ver­öf­fent­li­chung in »FREI­DEN­KER« Nr. 1 – 23, März 2023, S. 3 – 10, 82. Jahrgang

Bild: Schall­plat­ten­co­ver von Franz-Josef Degen­hardt und Die­ter Süver­krüp (über­nom­men von https://​www​.frei​den​ker​.org/)

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