Der Dollar verschlingt den Euro

MagMa bringt hier die Übersetzung eines Artikels von Michael Hudson, zuerst erschienen auf seiner Webseite am 7. April 2022. Hudson gibt darin eine sehr plausible Erklärung für die scheinbar wahnsinnigen und selbstmörderischen Aktionen des Westens und besonders der EU im totalen Wirtschaftskrieg gegen Russland. Dieser Artikel hat weitreichende Implikationen. Was macht ein absteigendes Imperium – die USA –, das mit seiner Industrie großteils nicht mehr wettbewerbsfähig gegenüber dem Aufsteiger China ist? Es lässt diesen Wettbewerb einfach nicht mehr zu und isoliert China und Russland von der Weltwirtschaft. Es schafft sich mit Gewalt seinen eigenen Wirtschaftsraum, den es absolut beherrscht. Die Industrie allgemein ist inzwischen dermaßen produktiv, dass sogar Europa als Konkurrenz empfunden und deindustrialisiert wird. Genau das passiert gerade im Zusammenhang mit den Russland‐​Sanktionen. Unsere Führer, die von der Leyen, Macron, Scholz und Co. wissen offensichtlich genau, was sie tun. Die Bevölkerung dagegen wird mit hysterischen Medienkampagnen, Hypermoral und Identitätspolitik darüber hinweggetröstet, dass sie bald keine Arbeit und womöglich noch nicht einmal mehr etwas zu essen hat. Dafür dürfen wir uns großartig fühlen, dass wir mit der faschodurchseuchten Ukraine »solidarisch« sind. Wie dieser von Hudson so genannte Dritte Weltkrieg ausgeht, ist ungewiss. Das zum Beispiel von Mathias Bröckers ausgerufene Ende der unipolaren Welt ist möglicherweise verfrüht. 

Es ist nun klar, dass die heutige Eskalation des neuen Kalten Krieges schon vor über einem Jahr geplant wurde. Sie ist Teil einer brutalen Strategie, die unter anderem beinhaltet, Nord Stream 2 zu blockieren und Westeuropa (»NATO«) daran zu hindern, weiterhin Wohlstand durch Handel und Investitionen mit China und Russland zu erlangen.

Wie Präsident Biden und die nationalen Sicherheitsberichte der USA verkündeten, wird China als der Hauptfeind betrachtet. Dies ungeachtet der hilfreichen Rolle Chinas, die es den amerikanischen Unternehmen ermöglichte, die Löhne zu drücken, indem sie die US‐​Wirtschaft zugunsten der chinesischen Industrialisierung deindustrialisierten. Dennoch gilt Chinas Wachstum als die ultimative Gefahr, denn sie bedeute Wohlstand durch Sozialismus. Die sozialistische Industrialisierung galt immer als der große Feind der Rentenökonomie, die in dem Jahrhundert seit dem Ende des Ersten Weltkriegs und insbesondere seit den 1980er Jahren die meisten Nationen übernommen hat. Das Ergebnis ist heute ein Zusammenprall der Wirtschaftssysteme – sozialistische Industrialisierung gegen neoliberalen Finanzkapitalismus.

Das macht den neuen Kalten Krieg gegen China zu einem impliziten Eröffnungsakt dessen, was zu einem langwierigen Dritten Weltkrieg zu werden droht. Die Strategie der USA besteht darin, Chinas wahrscheinlichste wirtschaftliche Verbündete, insbesondere Russland, Zentralasien, Südasien und Ostasien, aus dem Weg zu räumen. Die Frage war, wo die Aufteilung und Isolierung beginnen sollte.

In Russland sah man die größte Chance, mit der Isolierung zu beginnen, sowohl von China als auch von der NATO‐​Eurozone. Es wurde eine Reihe immer strengerer – und wie sie hofften tödlicher – Sanktionen gegen Russland ausgearbeitet, um die NATO am Handel mit diesem Land zu hindern. Alles, was es brauchte, um das geopolitische Erdbeben auszulösen, war ein casus belli.

Das war leicht zu bewerkstelligen. Der eskalierende neue Kalte Krieg hätte im Nahen Osten beginnen können – wegen des Widerstands gegen die Aneignung der irakischen Ölfelder durch die USA, gegen den Iran und die Länder, die ihm beim wirtschaftlichen Überleben helfen, oder in Ostafrika. Für all diese Gebiete wurden Pläne für Putsche, bunte Revolutionen und Regime‐​Changes ausgearbeitet, und Amerikas afrikanische Armee wurde in den letzten ein oder zwei Jahren besonders schnell aufgebaut. Aber die Ukraine, die seit dem Maidan‐​Putsch von 2014 acht Jahre lang einem von den USA unterstützten Bürgerkrieg ausgesetzt war, bot die Chance auf den ersten großen Sieg in dieser Konfrontation gegen China, Russland und deren Verbündete.

So wurden die russischsprachigen Regionen Donezk und Lugansk mit zunehmender Intensität beschossen, und als Russland immer noch nicht reagierte, wurden Berichten zufolge Pläne für einen großen Showdown geschmiedet, der Ende Februar beginnen sollte – beginnend mit einem von US‐​Beratern organisierten und von der NATO bewaffneten Blitzkrieg.

Russlands präventive Verteidigung der beiden ostukrainischen Provinzen und die anschließende militärische Zerstörung der ukrainischen Armee, Marine und Luftwaffe in den vergangenen zwei Monaten wurde als Vorwand für die Verhängung des von den USA konzipierten Sanktionsprogramms genutzt. Westeuropa hat pflichtbewusst mitgemacht. Anstatt russisches Gas, Öl und Nahrungsmittel zu kaufen, wird es diese von den Vereinigten Staaten beziehen, zusammen mit stark erhöhten Waffenimporten.

Der voraussichtliche Rückgang des Euro‐Dollar‐Kurses

Es ist daher angebracht zu untersuchen, wie sich dies auf die Zahlungsbilanz Westeuropas und damit auf den Wechselkurs des Euro gegenüber dem Dollar auswirken wird.

Der europäische Handel und die Investitionen vor dem Sanktionskrieg versprachen einen steigenden gegenseitigen Wohlstand zwischen Deutschland, Frankreich und anderen NATO‐​Ländern einerseits und Russland und China andererseits. Russland lieferte reichlich Energie zu einem wettbewerbsfähigen Preis, und diese Energie sollte mit Nord Stream 2 einen Quantensprung machen. Europa sollte die Devisen für diesen steigenden Importhandel durch eine Kombination aus Exporten von Industrieerzeugnissen nach Russland und Kapitalinvestitionen in die Entwicklung der russischen Wirtschaft, z. B. durch deutsche Automobilunternehmen und Finanzinvestitionen, erwirtschaften. Dieser bilaterale Handel und diese Investitionen sind jetzt gestoppt – und werden noch viele, viele Jahre gestoppt bleiben, da die NATO Russlands Devisenreserven, die in Euro und britischen Pfund gehalten werden, beschlagnahmt hat und die europäische Russophobie von den US‐​Propagandamedien geschürt wird.

Stattdessen werden die NATO‐​Länder amerikanisches Flüssigerdgas kaufen – allerdings müssen sie Milliarden von Dollar für den Aufbau ausreichender Hafenkapazitäten ausgeben, was vielleicht bis 2024 dauern wird. (Viel Glück bis dahin.) Die Energieknappheit wird die Weltmarktpreise für Gas und Öl drastisch ansteigen lassen. Auch die NATO‐​Länder werden ihre Waffenkäufe beim militärisch‐​industriellen Komplex der USA verstärken. Die nahezu panischen Käufe werden auch den Preis für Waffen in die Höhe treiben. Und auch die Lebensmittelpreise werden steigen, da zum einen die Getreidevorräte infolge der Einstellung der Importe aus Russland und der Ukraine und zum anderen der aus Gas hergestellte Ammoniakdünger knapp wird.

Alle drei dieser Handelsdynamiken werden den Dollar gegenüber dem Euro stärken. Die Frage ist, wie wird Europa seine internationalen Zahlungen mit den Vereinigten Staaten ausgleichen? Was hat es zu exportieren, das die US‐​Wirtschaft akzeptieren wird, während ihre eigenen protektionistischen Interessen an Einfluss gewinnen, jetzt, da der globale Freihandel schnell stirbt?

Die Antwort lautet: nicht viel. Was wird Europa also tun?

Ich möchte einen bescheidenen Vorschlag machen. Nun, da Europa so gut wie aufgehört hat, ein politisch unabhängiger Staat zu sein, beginnt es mehr und mehr wie Panama und Liberia auszusehen – »Billigflaggen«-Offshore-Bankzentren, die keine wirklichen »Staaten« mehr sind, weil sie keine eigene Währung ausgeben, sondern den US‐​Dollar verwenden. Da die Eurozone mit monetären Handschellen geschaffen wurde, die ihre Fähigkeit einschränken, Geld zu schaffen, das über die Grenze von drei Prozent des BIP hinausgeht, warum nicht einfach das Finanzhandtuch werfen und den US‐​Dollar einführen, wie Ecuador, Somalia und die Turks‐ und Caicosinseln? Das würde ausländischen Investoren Sicherheit gegen eine Währungsabwertung in ihrem zunehmenden Handel mit Europa und dessen Exportfinanzierung geben.

Für Europa besteht die Alternative darin, dass die Dollarkosten seiner Auslandsschulden, die es zur Finanzierung seines wachsenden Handelsdefizits mit den Vereinigten Staaten für Öl, Waffen und Lebensmittel aufgenommen hat, explodieren werden. Die Kosten in Euro werden sogar noch höher sein, da seine Währung gegenüber dem Dollar fällt. Die Zinssätze werden steigen, was die Investitionen bremst und Europa noch abhängiger von Importen macht. Die Eurozone wird sich in eine tote Wirtschaftszone verwandeln.

Für die Vereinigten Staaten bedeutet dies eine Dollar‐​Hegemonie auf Steroiden – zumindest gegenüber Europa. Der Kontinent wird zu einer etwas größeren Version von Puerto Rico herabgestuft werden.

Der Dollar und die Währungen des globalen Südens

Die durch den »Ukraine‐​Krieg« ausgelöste Vollversion des neuen Kalten Krieges droht zur Eröffnungssalve des Dritten Weltkriegs zu werden. Er wird wahrscheinlich mindestens ein Jahrzehnt, vielleicht sogar zwei, dauern, da die USA den Kampf zwischen Neoliberalismus und Sozialismus zu einem weltweiten Konflikt ausweiten. Zusätzlich zu der wirtschaftlichen Eroberung Europas versuchen die US‐​Strategen, die Länder Afrikas, Südamerikas und Asiens auf ähnliche Weise in ihrem eigenen Wirtschaftsraum einzuschließen, wie es für Europa geplant ist.

Der starke Anstieg der Energie‐ und Lebensmittelpreise wird die Volkswirtschaften mit Nahrungsmittel‐ und Erdöldefiziten hart treffen – zur gleichen Zeit, in der ihre auf Dollar lautenden Auslandsschulden bei Anleihegläubigern und Banken fällig werden und der Dollarkurs gegenüber ihrer eigenen Währung steigt. Viele afrikanische und lateinamerikanische Länder – vor allem in Nordafrika – stehen vor der Wahl, entweder zu hungern, ihren Benzin‐ und Stromverbrauch zu drosseln oder sich Dollar zu leihen, um ihre Abhängigkeit vom US‐​geprägten Handel zu decken.

Es wird über die Ausgabe neuer Sonderziehungsrechte durch den Internationalen Währungsfonds (IWF) gesprochen, um die steigenden Handels‐ und Zahlungsdefizite zu finanzieren. Aber solche Kredite sind immer mit Bedingungen verbunden. Der IWF sanktioniert regelmäßig Länder, die sich nicht an die US‐​Politik halten. Die erste Forderung der USA wird sein, dass diese Länder Russland, China und deren aufstrebende Handels‐ und Währungallianzen boykottieren. »Warum sollten wir euch Sonderziehungsrechte geben oder euch neue Dollarkredite gewähren, wenn ihr diese einfach in Russland, China und anderen Ländern, die wir zu Feinden erklärt haben, ausgeben wollt«, werden die US‐​Beamten fragen.

Zumindest ist dies der Plan. Es würde mich nicht überraschen, wenn irgendein afrikanisches Land zur »nächsten Ukraine« würde, in der US‐​Stellvertretertruppen (es gibt immer noch viele Wahabiten und Söldner) gegen die Armeen und Bevölkerungen von Ländern kämpfen, die sich mit Getreide von russischen Bauern ernähren und ihre Wirtschaft mit Öl oder Gas aus russischen Quellen versorgen wollen. Von der Teilnahme an Chinas »Belt and Road Initiative«, die ja der Auslöser für Amerikas neuem Krieg um die globale neoliberale Hegemonie war, ganz zu schweigen.

Die Weltwirtschaft steht in Flammen. Die Vereinigten Staaten haben sich auf eine militärische Antwort, auf die Bewaffnung ihres eigenen Öl‑, Agrarexport‐ und Waffenhandels vorbereitet. Sie werden alle Länder vor die Wahl stellen, welcher Seite des Neuen Eisernen Vorhangs sie sich anschließen wollen.

Aber was hat Europa davon? Die griechischen Gewerkschaften demonstrieren bereits gegen die verhängten Sanktionen. Und in Ungarn hat Ministerpräsident Viktor Orban gerade eine Wahl gewonnen, die im Wesentlichen auf einer EU‐ und US‐​feindlichen Weltanschauung beruht, angefangen mit der Bezahlung von russischem Gas in Rubel. Wie viele andere Länder werden aus der Reihe tanzen – und wie lange wird es dauern?

Was haben die Länder des Globalen Südens davon, wenn sie unter Druck gesetzt werden – nicht nur als »Kollateralschaden« der lang andauernden Verknappung und der steigenden Preise für Energie und Lebensmittel, sondern als das eigentliche Ziel der US‐​Strategie, welche die Zweiteilung der Weltwirtschaft bezweckt? Indien hat US‐​Diplomaten bereits erklärt, dass seine Wirtschaft natürlich mit der Russlands und Chinas verbunden ist. In Pakistan sieht man das ähnlich.

Aus Sicht der USA stellt sich nur die Frage: »Was haben die lokalen Politiker und Oligarchien davon, die wir für die Auslieferung ihrer Länder belohnen?«

Der sich abzeichnende Dritte Weltkrieg ist ein Krieg der Wirtschaftssysteme. Für welche Seite werden sich die Länder entscheiden? Für ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen und ihren sozialen Zusammenhalt oder für die Unterwerfung unter ihre lokalen politischen Führer, die von den USA installiert wurden? So wie in der Ukraine, wo die stellvertretende Außenministerin Victoria Nuland bereits vor acht Jahren damit prahlte, 5 Milliarden Dollar in ukrainische Neonazi‐​Parteien investiert zu haben, was dann die Kämpfe auslöste, die in den heutigen Krieg mündeten.

Wie lange wird es angesichts all dieser politischen Einmischung und Medienpropaganda dauern, bis der Rest der Welt begreift, dass ein globaler Krieg im Gange ist und sich der Dritte Weltkrieg am Horizont abzeichnet? Das ist das eigentliche Problem. Bis die Welt begreift, was vor sich geht wird der globale Bruch Russland, China und Eurasien bereits in die Lage versetzt haben, eine echte nicht‐​neoliberale Neue Weltordnung zu schaffen. Diese Länder brauchen die NATO‐​Staaten nicht mehr. Sie haben das Vertrauen und die Hoffnung auf gegenseitige wirtschaftliche Vorteile beim Handel mit ihnen total verloren. Das militärische Schlachtfeld wird mit wirtschaftlichen Leichen übersät sein.

Zuerst erschienen am 7. April 2022 auf der Webseite von Michael Hudson: https://​michael​-hudson​.com/​2​0​2​2​/​0​4​/​t​h​e​-​d​o​l​l​a​r​-​d​e​v​o​u​r​s​-​t​h​e​-​e​u​ro/ unter einer Creative Commons Attribution‐​NonCommercial‐​ShareAlike 3.0 United States Lizenz.

2 thoughts on “Der Dollar verschlingt den Euro

  1. Ok, das spitzt hudsons bisherige these noch weiter zu. hat aber den mangel, ausschliesslich die us seite zu sehen und ihre feuchten träume. dass die russophobe partei in state, kanada, uk, polen, baltikum sich die sanktionen seit langem ausgedacht haben, ist klar, ebenso, dass sie offenkundig genug gewühlt hatten, um ihre söldner‐​bataillone ende februar aufs donbass loszulassen. aber eine strategie des gesamten US apparats ergibt sich daraus noch lange nicht. die neocon hazardeure im state stellen sich ständig gewalt‐​androhungs‐​schecks aus, die das pentagon nicht bereit ist einzulösen. davon ab, steht die eigentliche konfrontation der russen mit der nato noch aus, und die betrifft die raketenstellungen in polen und rumänien. was da derzeit rumsteht, wird demnächst mit erstschlagsfähigen dark eagle bestückt, und das können die russen nicht zulassen, zumindest nicht, solange sie sich auf ihre derzeit überlegene drohung mit nicht abwehrbaren hyperschallwaffen und die nukleare drohung gegen die USA selbst stützen können.
    für uns heisst das: der eigentlich militärische showdown steht noch bevor (und das erstreckt sich auf alle fragen, die ohne ihn nicht zu lösen sind: syrien, ukraine, abrüstung, nato‐verzichte…).
    man muss befürchten: zwischen uns und dem nuklearkrieg (weniger auf EU‐ als auf US gebiet; anfangs) steht im moment nur noch das pentagon. die welt sollte zusammenstehen und den regime change in den USA befeuern. mit langsam wirklich ALLEN mitteln.

  2. Liebe Leute, ich wette wie Thomas Röper um eine Flasche Rum: Es wird diesen WK III nicht geben, da dies nur in der atomaren Vernichtung des Planeten enden kann und alle Beteiligten das wissen. Das wäre das Ende jeder Profitwirtschaft, die jetzt zu retten versucht wird seit März 2020 mit Virusangst. Der Versuch wird zwar fortgesetzt, aber durch Kriegsangst ergänzt, damit das tumbe Volk weiter stillhält. Die Parole sollte daher lauten: FÜRCHTET EUCH NICHT, STEHT AUF !

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