Impe­ria­lis­mus und Gre­at Reset: Ein­lei­tung & Marx­sche Metho­de (Teil 1)

Lese­zeit17 min

Dies ist der Auf­takt einer sie­ben­tei­li­gen Serie von Jan Mül­ler zur aktu­el­len Impe­ria­lis­mus­de­bat­te in der kom­mu­nis­ti­schen Bewe­gung. Sie beinhal­tet fol­gen­de­ne Teile:

1. Ein­lei­tung & Marx­sche Methode

2. Klas­si­scher Impe­ria­lis­mus (1895 – 1945)

3. Der Spät­ka­pi­ta­lis­mus (1945 – 1989)

4. Die expan­si­ve Pha­se des neo­li­be­ra­len Kapi­ta­lis­mus (1989 – 2007)

5. Der Neo­li­be­ra­lis­mus in der Kri­se (seit 2007)

6. Chi­nas Auf­stieg und der Abstieg des Wes­tens (bis 2020)

7. Eine vier­te impe­ria­lis­ti­sche Epoche?

7.1 Der Gre­at Reset

7.2 Die Kli­ma-Hys­te­rie von 2019 als Vorspiel

7.3 Die Coro­na-Hys­te­rie von 2020 bis 2022

7.4 Der Drit­te Weltkrieg

7.5 Exkurs: Die Dis­kus­si­on um den Cha­rak­ter Russ­lands inner­halb der Kom­mu­nis­ti­schen Organisation

8. Schluss­fol­ge­run­gen zum Imperialismus

Ein­lei­tung & Marx­sche Methode

1.1 Ein­lei­tung in die aktu­el­le Imperialismusdebatte

Der Ukrai­ne­krieg wirft grund­le­gen­de Fra­gen zum aktu­el­len Wir­ken des Impe­ria­lis­mus auf. Eini­ge kom­mu­nis­ti­sche Par­tei­en wie die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei Grie­chen­lands KKE betrach­ten die­sen Krieg als einen Krieg zwi­schen zwei glei­cher­ma­ßen impe­ria­lis­ti­schen Mäch­ten, wenn sie schreiben:

Die Ent­schei­dung der Rus­si­schen Föde­ra­ti­on, zunächst die ›Unab­hän­gig­keit‹ der soge­nann­ten ›Volks­re­pu­bli­ken‹ im Don­bass anzu­er­ken­nen und dann unter dem Vor­wand der ›Selbst­ver­tei­di­gung‹ Russ­lands, der ›Ent­mi­li­ta­ri­sie­rung‹ und ›Ent­na­zi­fi­zie­rung‹ der Ukrai­ne zu einer Mili­tär­in­ter­ven­ti­on über­zu­ge­hen, dien­te nicht dem Schutz des Vol­kes in der Regi­on oder dem Frie­den, son­dern den Inter­es­sen der rus­si­schen Mono­po­le auf ukrai­ni­schem Ter­ri­to­ri­um, und ihrer erbit­ter­ten Kon­kur­renz mit den west­li­chen Mono­po­len.1

De fac­to stellt sich die KKE damit auf die Sei­te des Wes­tens, da sie Russ­land als Aggres­sor brand­markt. Ähn­lich argu­men­tier­ten eini­ge Refe­ren­ten und vor allem vie­le jugend­li­che Teil­neh­mer des von der Kom­mu­nis­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on KO im Sep­tem­ber 2022 orga­ni­sier­ten Impe­ria­lis­mus­kon­gres­ses.2 Bei man­chen Wort­mel­dun­gen aus dem Publi­kum scheint teil­wei­se gar die Bereit­schaft durch, etwas zuge­spitzt aus­ge­drückt, sich zusam­men mit der Bun­des­re­gie­rung auf einen neu­en Russ­land­feld­zug zu begeben.

Wie konn­te es dazu kom­men? Die­se Art von »Ana­ly­sen« belegt jeden­falls den all­ge­mei­nen Ver­fall des mar­xis­ti­schen Den­kens. Vie­le »Mar­xis­ten« ver­su­chen die Erkennt­nis­se aus Lenins Impe­ria­lis­mus­schrift mehr intui­tiv als wis­sen­schaft­lich auf die heu­ti­ge Zeit zu über­tra­gen. Neue­re mar­xis­ti­sche Lite­ra­tur wird schlank­weg nicht zur Kennt­nis genommen.

Ein wei­te­res Pro­blem ist die gro­ße Medi­en­gläu­big­keit der heu­ti­gen Jugend. Die offi­zi­el­len Nar­ra­ti­ve zum CO2 und zu Coro­na wer­den über­haupt nicht in Fra­ge gestellt. Auch die Medi­en­n­ar­ra­ti­ve zu Chi­na und Russ­land wer­den zu einem gro­ßen Teil geschluckt und aller­höchs­tens in eine pseu­domar­xis­ti­sche Dik­ti­on über­setzt. Die Medi­en wür­den im Gro­ßen und Gan­zen die Wahr­heit berich­ten und allen­falls in ihrer Kom­men­tie­rung eine poli­ti­sche Ten­denz erken­nen las­sen, heißt es. Bereits der Begriff »Main­stream­m­e­di­en« ist verpönt.

Medi­en und Regie­rung haben mit dem Ver­dikt Ver­schwö­rungs­theo­rie rich­tig­ge­hen­de Dis­kurs­ver­bo­te über vie­le ent­schei­den­de Ereig­nis­se der Zeit­ge­schich­te ver­hängt, dar­un­ter zu 9/11, MH17, zum Gre­at Reset, zum CO2, zu Coro­na und zu Olig­ar­chen wie Bill Gates im All­ge­mei­nen. Die­se wer­den zum Bei­spiel von der KO nicht sel­ten brav akzep­tiert. Kein Wun­der, dass sie zu fal­schen Schluss­fol­ge­run­gen gelangt.

Ins­be­son­de­re wird die sich abzeich­nen­de neu­es­te Pha­se des Impe­ria­lis­mus, die von den west­li­chen Olig­ar­chen unter dem Schlag­wort »Gre­at Reset« pro­pa­giert wird, von die­sen kom­plett igno­riert. Einer­seits ist das wegen der gren­zen­lo­sen Medi­en­gläu­big­keit heu­ti­ger Kom­mu­nis­ten ver­ständ­lich. Es ist aber auch fatal, da die von Klaus Schwab und Co. unver­fro­ren und offen aus­ge­spro­chen mons­trö­sen Plä­ne ein ganz ande­res Licht sowohl auf die Coro­na-Hys­te­rie wie den Ukrai­ne­krieg wer­fen. Dar­aus ergibt sich, dass die Lek­tü­re von Lenins Impe­ria­lis­mus­schrift allein nicht aus­rei­chend ist, um den heu­ti­gen Impe­ria­lis­mus zu ver­ste­hen. Unter die­sem Gesichts­punkt erscheint auch der Ukrai­ne­krieg in einem ganz ande­ren Licht, als das obi­ge Zitat der KKE behauptet.

Der fol­gen­de Text geht anders vor. Unter Hin­zu­zie­hung von mar­xis­ti­scher und bür­ger­li­cher Lite­ra­tur wer­den die Peri­oden von 1895 bis 1945, 1945 bis 1989, 1989 bis 2020 und die sich seit 2020 abzeich­nen­de vier­te Pha­se als spe­zi­fi­sche Epo­chen des Impe­ria­lis­mus ver­stan­den mit spe­zi­fi­schen öko­no­mi­schen, sozia­len, poli­ti­schen und mili­tä­ri­schen Gesetzmäßigkeiten.

In Anbe­tracht der schon erwähn­ten, die heu­ti­ge Debat­te kenn­zeich­nen­den Wis­sens­de­fi­zi­te soll zunächst auf eini­ge Grund­la­gen der Marx­schen Metho­de ein­ge­gan­gen werden.

1.2 Die Marx­sche Methode

1.2.1 Das Ver­hält­nis von Bewe­gungs­ge­set­zen und Geschich­te des Kapi­tals nach Mandel

Zum Ver­ständ­nis des Fol­gen­den ist es wich­tig sich die wich­tigs­ten Merk­ma­le der marx­schen Metho­de zu ver­ge­gen­wär­ti­gen. Bekannt­lich sind die von Marx ent­deck­ten Ent­wick­lungs­ge­set­ze des Kapi­ta­lis­mus das Ergeb­nis einer vom Abs­trak­ten zum Kon­kre­ten auf­stei­gen­den dia­lek­ti­schen Ana­ly­se.3

Aller­dings kann die marx­sche Metho­de nicht hier­auf redu­ziert wer­den, denn:

  • das Kon­kre­te bil­det sowohl den Aus­gangs­punkt wie auch das Ziel des Erkennt­nis­pro­zes­ses, der als »Repro­duk­ti­on des Kon­kre­ten im Wege des Den­kens« aktiv gefasst wird

  • dem Auf­stei­gen vom Abs­trak­ten zum Kon­kre­ten ist im Ver­lauf der Unter­su­chung ein Auf­stei­gen vom Kon­kre­ten zum Abs­trak­ten vor­aus gegan­gen, denn das Abs­trak­te selbst ist bereits Ergeb­nis ana­ly­ti­scher Arbeit

  • es exis­tiert eine Ein­heit zwi­schen bei­den Pro­zes­sen, zwi­schen dem ana­ly­ti­schen und dem synthetischen

  • die gelun­ge­ne Repro­duk­ti­on der kon­kre­ten Tota­li­tät kann nur durch ihre prak­ti­sche Anwen­dung beweis­kräf­tig wer­den, das heißt bei jedem Schritt der Ana­ly­se muss die Kon­trol­le durch die Tat­sa­chen bzw. durch die Pra­xis statt­fin­den4

Dem­nach impli­ziert die Marx­sche Dia­lek­tik eine zwei­fa­che Ana­ly­se, eine deduk­ti­ve und eine induk­ti­ve, eine logi­sche und eine his­to­ri­sche.5

Nach Marx ist Wis­sen­schaft des­halb not­wen­dig, weil Wesen und Erschei­nung nicht unmit­tel­bar zusam­men­fal­len. Aller­dings ist ihre Auf­ga­be nicht nur das Auf­de­cken des Wesens der Erschei­nun­gen, son­dern auch die Erklä­rung der Erschei­nun­gen selbst durch die Dar­stel­lung der ver­mit­teln­den Zwi­schen­glie­der. Gelingt dies nicht, so redu­ziert sich die Theo­rie auf die Kon­struk­ti­on abs­trak­ter Modelle.

Die empi­ri­sche Aneig­nung des Stof­fes ist dem ana­ly­ti­schen Erkennt­nis­pro­zess vor­ge­la­gert, genau­so wie die empi­ri­sche Veri­fi­zie­rung ihn vor­läu­fig abschließt.6

Karl Marx stellt fest:

Aller­dings muss sich die Dar­stel­lungs­wei­se for­mell von der For­schungs­wei­se unter­schei­den. Die For­schung hat den Stoff sich im Detail anzu­eig­nen, sei­ne ver­schie­de­nen Ent­wick­lungs­for­men zu ana­ly­sie­ren und deren inne­res Band auf­zu­spü­ren. Erst nach­dem die­se Arbeit voll­bracht, kann die wirk­li­che Bewe­gung ent­spre­chen dar­ge­stellt wer­den. Gelingt dies und spie­gelt sich nun das Leben des Stoff ideell wie­der, so mag es aus­se­hen, als habe man es mit einer Kon­struk­ti­on a prio­ri zu tun.7

Idea­ler­wei­se soll­te der Arbeits­pro­zess bei Anwen­dung der Marx­schen dia­lek­ti­schen Metho­de nach Man­del wie folgt aussehen:

  1. Aneig­nung des empi­ri­schen Stoffes
  2. Ana­ly­ti­sche Auf­glie­de­rung des Stof­fes in sei­ne kon­sti­tu­ti­ven abs­trak­ten Elemente
  3. Erfor­schung der ent­schei­den­den Gesamt­zu­sam­men­hän­ge zwi­schen die­sen Ele­men­ten, die die abs­trak­ten Bewe­gungs­ge­set­ze des Stof­fes, sein Wesen ver­deut­li­chen sollen.
  4. Ent­de­ckung der Mit­tel­glie­der, die es ermög­li­chen, die Ver­mitt­lung zwi­schen Wesen und Erschei­nung zu verwirklichen
  5. Prak­tisch-empi­ri­sche Veri­fi­zie­rung der Ana­ly­se an der kon­kre­ten his­to­ri­schen Bewegung
  6. Ent­de­ckung neu­er empi­risch rele­van­ter Daten und neu­er Zusam­men­hän­ge, oft sogar neu­er abs­trakt ele­men­ta­rer Bestim­mun­gen, dank der Anwen­dung der Ergeb­nis­se der Erkennt­nis auf die kom­ple­xe Wirk­lich­keit8

Das Ver­hält­nis zwi­schen den all­ge­mei­nen Bewe­gungs­ge­set­zen des Kapi­tals und der Geschich­te der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se ist noch nicht befrie­di­gend geklärt. Aller­dings hat bereits Marx dar­auf hin­ge­wie­sen, dass die Welt­markt­kri­sen als die rea­le Zusam­men­fas­sung und gewalt­sa­me Aus­glei­chung aller Wider­sprü­che der kapi­ta­lis­ti­schen Öko­no­mie gefasst wer­den müs­sen.9

Dar­aus folgt, dass in der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se, gefasst als dyna­mi­sche Tota­li­tät, das Zusam­men­spiel sämt­li­cher grund­le­gen­der Ent­wick­lungs­ge­set­ze betrach­tet wer­den muss.

Alle Grund­va­ria­blen der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se kön­nen bis zu einem gewis­sen Gra­de die Rol­le von unab­hän­gi­gen Varia­blen spie­len. Die­se Grund­va­ria­blen sind:

  1. Die orga­ni­sche Zusam­men­set­zung des Kapi­tals im all­ge­mei­nen und in den bei­den Abtei­lun­gen, »was auch den Umfang des Kapi­tals und sei­ne Ver­tei­lung zwi­schen den Abtei­lun­gen beinhal­tet« (Erläu­te­rung: Nach den Marx­schen Repro­duk­ti­ons­sche­ma­ta, die im zwei­ten Band des Kapi­tals behan­delt wer­den, kann die Wirt­schaft eines Lan­des in zwei Abtei­lun­gen unter­glie­dert wer­den. In Abtei­lung I fin­det die Pro­duk­ti­on von Pro­duk­ti­ons­mit­teln und in Abtei­lung II die Pro­duk­ti­on von Kon­sum­gü­tern statt)
  2. Die Ver­tei­lung des kon­stan­ten Kapi­tals zwi­schen fixem und zir­ku­lie­ren­dem (im All­ge­mei­nen und in den bei­den Abtei­lun­gen, dies gilt auch für die fol­gen­den Punkte)
  3. Die Ent­wick­lung der Mehr­wer­tra­te
  4. Die Ent­wick­lung der Akku­mu­la­ti­ons­ra­te (Ver­hält­nis zwi­schen pro­duk­tiv und unpro­duk­tiv kon­su­mier­tem Mehrwert)
  5. Die Ent­wick­lung der Umschlags­zeit des Kapitals
  6. Die Aus­tausch­re­la­tio­nen zwi­schen den bei­den Abtei­lun­gen (die meis­tens, aber nicht aus­schließ­lich eine Funk­ti­on der orga­ni­schen Zusam­men­set­zung des Kapi­tals in den Abtei­lun­gen dar­stel­len)10

Die Geschich­te der Ent­fal­tung der inne­ren Wider­sprü­che und der Gesetz­mä­ßig­kei­ten des Kapi­ta­lis­mus kann nur als Funk­ti­on des Zusam­men­spiels die­ser sechs Varia­blen ver­stan­den werden.

Die Fluk­tua­tio­nen der Pro­fi­tra­te ist nur der »Seis­mo­graph« die­ser Ent­wick­lung. Sie kön­nen nur durch die oben genann­ten Varia­blen erklärt werden.

Hier­für gibt Man­del eini­ge Beispiele:

  1. Die Mehr­wer­tra­te ist unter ande­rem eine Funk­ti­on des Klas­sen­kamp­fes. Dem­nach ist es falsch, sie als eine mecha­ni­sche Funk­ti­on der Akku­mu­la­ti­ons­ra­te zu sehen, etwa nach der For­mel: Höhe­re Akku­mu­la­ti­ons­ra­te = nied­ri­ge­re Erwerbs­lo­sig­keit = Sta­bi­li­sie­rung oder Rück­gang der Mehr­wer­tra­te. Damit ver­wech­selt man Fak­to­ren, die ein Ergeb­nis begüns­ti­gen, mit die­sem selbst. Die Geschich­te der Arbei­ter­klas­se zeigt die vie­len hier mög­li­chen Varia­tio­nen. Die Situa­ti­on der USA im 19. Jahr­hun­dert z. B. wider­spricht einer ande­ren all­zu sehr ver­ein­fa­chen­den For­mel: Nied­ri­ge Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät = nied­ri­ge Mehr­wer­tra­te, hohe Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät = hohe Mehr­wer­tra­te. In den USA waren die hohen Löh­ne Ergeb­nis des Man­gels an Arbeits­kräf­ten und führ­ten erst spä­ter zu einer hohen Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät. Die Mehr­wer­tra­te aber war niedrig.
  2. Die Höhe der Mehr­wer­tra­te wird auch durch die his­to­ri­sche Aus­gangs­po­si­ti­on der indus­tri­el­len Reser­ve­ar­mee beein­flusst: »Je nach Umfang die­ser Reser­ve­ar­mee kann eine wach­sen­de Akku­mu­la­ti­ons­ra­te von einer zuneh­men­den, einer gleich­blei­ben­den oder einer sin­ken­den Mehr­wer­tra­te beglei­tet sein.«
  3. Die Wachs­tums­ra­te der orga­ni­schen Zusam­men­set­zung des Kapi­tals kann nicht aus­schließ­lich als Funk­ti­on des durch die Kon­kur­renz her­vor­ge­ru­fe­nen tech­ni­schen Fort­schritts defi­niert wer­den. Denn das kon­stan­te Kapi­tal besteht aus zwei Tei­len: aus den fixen und dem zir­ku­lie­ren­den kon­stan­ten Kapi­tal. Wenn die Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät im Roh­stoff pro­du­zie­ren­den Sek­tor schnel­ler wächst als jene im Kon­sum­gü­ter pro­du­zie­ren­den Sek­tor, »dann kann eine rela­ti­ve Ver­bil­li­gung des zir­ku­lie­ren­den kon­stan­ten Kapi­tals statt­fin­den, das zur Fol­ge hat, dass trotzt beschleu­nig­tem tech­ni­schen Fort­schritt und trotzt beschleu­nig­ter Mehr­wert­ak­ku­mu­la­ti­on im fixem Kapi­tal die orga­ni­sche Zusam­men­set­zung des Kapi­tals lang­sa­mer wächst als zuvor.«11

Das bedeu­tet: Alle Grund­va­ria­blen der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se müs­sen gleich­zei­tig als zum Teil selb­stän­di­ge Varia­blen betrach­tet wer­den. Die Wir­kung die­ser Varia­blen wird in einen kon­kre­ten his­to­ri­schen Rah­men gestellt, um die auf­ein­an­der fol­gen­den Pha­sen der Geschich­te des Kapi­ta­lis­mus ana­ly­sie­ren und erklä­ren zu kön­nen. Die Kom­bi­na­ti­on aller die­ser ungleich­mä­ßi­gen Ent­wick­lungs­ten­den­zen, d. h. der zum Teil selb­stän­di­gen Varia­blen erlaubt es, die Geschich­te der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se, und vor allem die sei­ner impe­ria­lis­ti­schen Pha­se, aus den Bewe­gungs­ge­set­zen des Kapi­tals selbst zu erfas­sen und nicht aus irgend­wel­chen exo­ge­nen, der Marx­schen Kapi­tal­ana­ly­se frem­den Faktoren.

1.2.2 Der ten­den­zi­el­le Fall der Profitrate

Der Kapi­ta­lis­mus exis­tiert als eigen­stän­di­ge Gesell­schafts­for­ma­ti­on schon seit 233 Jah­ren. Der Impe­ria­lis­mus seit 127 Jah­ren (Stand 2022). Die ent­schei­den­de Fra­ge muss daher sein, war­um er auf­grund des Geset­zes des ten­den­zi­el­len Falls der Pro­fi­tra­te nicht schon längst zusam­men­ge­bro­chen ist. Da die­se Fra­ge von extre­mer Wich­tig­keit für die fol­gen­de Dar­stel­lung ist, wird das von Marx ent­deck­te Gesetz im Fol­gen­den aus­führ­lich und all­ge­mein­ver­ständ­lich erklärt:12

Jeder Kapi­ta­list, der ein neu­es Indus­trie­un­ter­neh­men grün­det, muss sein Kapi­tal in zwei ver­schie­de­ne Tei­le tei­len. Einen Teil für den Erwerb von Maschi­nen, Gebäu­den, Roh­stof­fen, Hilfs­stof­fen und so wei­ter. Der Wert die­ses Teils des Kapi­tals geht im Ver­lauf des Pro­duk­ti­ons­pro­zes­ses in den Wert der End­pro­duk­te ein und wird erhal­ten. Man nennt ihn des­halb kon­stan­tes Kapital.

Der zwei­te Teil des Kapi­tals muss für den Ankauf von Arbeits­kraft ver­wen­det wer­den. Die­ser Teil ver­grö­ßert sich um den von den Arbei­tern erzeug­ten Mehr­wert. Man nennt ihn des­halb varia­bles Kapi­tal.13

Nur die Ware Arbeits­kraft ist in der Lage, Wert und Mehr­wert zu schaf­fen. Der Wert des kon­stan­ten Kapi­tals, zum Bei­spiel von Maschi­nen, lässt sich wie­der­um auf den Wert der Ware Arbeits­kraft zurück­füh­ren, der zu ihrer Pro­duk­ti­on ein­ge­setzt wur­de.14

Das Ver­hält­nis zwi­schen dem kon­stan­ten und dem varia­blen Kapi­tal­teil bezeich­net man als die orga­ni­sche Zusam­men­set­zung des Kapi­tals. Je ent­wi­ckel­ter ein Unter­neh­men, ein Indus­trie­sek­tor oder ein Land ist, des­to höher ist die orga­ni­sche Zusam­men­set­zung des Kapi­tals, also, der Anteil des kon­stan­ten Kapi­tals, also des Kapi­tals, der für die Anschaf­fung von Maschi­nen etc. aus­ge­ge­ben wird.

For­mel:

Dabei bedeu­ten: c = kon­stan­tes Kapi­tal, v = varia­bles Kapi­tal15

Steigt die durch­schnitt­li­che orga­ni­sche Zusam­men­set­zung des Kapi­tals, dann geht – unter sonst glei­chen Umstän­den – die mitt­le­re Pro­fi­tra­te zurück.

Bei­spiel: Der Wert der Jah­res­pro­duk­ti­on eines Lan­des betra­ge 300 Mil­li­ar­den c, 100 Mil­li­ar­den v und 100 Mil­li­ar­den m (Mehr­wert). Dann liegt die Pro­fi­tra­te bei 25%.

For­mel:

Erhöht sich nun in einem Jahr­zehnt der Wert des kon­stan­ten Kapi­tals von 300 auf 400 Wert­ein­hei­ten, gilt:

Dabei bedeu­ten: c = kon­stan­tes Kapi­tal, v = varia­bles Kapi­tal, m = Mehrwert

Die­se Ent­wick­lung ist in der Rea­li­tät in der Tat zu beob­ach­ten, denn die Ver­meh­rung des kon­stan­ten Kapi­tals im Ver­hält­nis zum varia­blen Kapi­tal ist ein Wesens­zug des Kapi­ta­lis­mus. Der ten­den­zi­el­le Fall der Pro­fi­tra­te ist somit ein Ent­wick­lungs­ge­setz der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se.16

Karl Marx sprach jedoch bewusst vom ten­den­zi­el­len Fall der Pro­fi­tra­te, denn sie wird durch eine Rei­he von gegen­wir­ken­den Fak­to­ren gebremst.

1. Stei­ge­rung der Mehr­wer­tra­te: Wachs­tum der orga­ni­schen Zusam­men­set­zung des Kapi­tals bedeu­tet ein Wachs­tum der Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät, was auf eine Erhö­hung der Mehr­wer­tra­te hin­aus­lau­fen kann. Beispiel:

Auf die Dau­er lässt sich jedoch kei­ne gleich­wer­ti­ge Stei­ge­rung der Mehr­wer­tra­te und der orga­ni­schen Zusam­men­set­zung errei­chen. Denn die Stei­ge­rung der Mehr­wer­tra­te stößt auf abso­lu­te Gren­zen. Die­se lie­gen in der Unmög­lich­keit, die not­wen­di­ge Arbeit auf Null zu redu­zie­ren, wäh­rend es für die Erhö­hung der orga­ni­schen Zusam­men­set­zung des Kapi­tals kei­ne Gren­zen gibt.17

2. Das Sin­ken der Prei­se des kon­stan­ten Kapi­tals. Wenn die all­ge­mei­ne Arbeits­pro­duk­ti­vi­tät steigt, dann ver­min­dert sich der Wert jeder ein­zel­nen Ware. Das gilt selbst­ver­ständ­lich auch für Maschi­nen und ande­re Produktionsmittel.

3. Aus­deh­nung der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­on. Wenn das Kapi­tal in Län­dern oder Bran­chen ange­legt wird, in denen anfäng­lich eine nied­ri­ge orga­ni­sche Zusam­men­set­zung vor­herrscht, sinkt die durch­schnitt­li­che orga­ni­sche Zusam­men­set­zung des Welt­ka­pi­tals und die Pro­fi­tra­te steigt.18

1.2.3 Die lan­gen Wel­len im Kapitalismus

Es leuch­tet ein, dass die Pro­fi­tra­te infol­ge einer zurück­ge­hen­den orga­ni­schen Zusam­men­set­zung ins­be­son­de­re dann steigt, wenn zwei oder gar alle die­se Fak­to­ren zusam­men­tref­fen. In die­sem Fall kann es pas­sie­ren, dass die Pro­fi­te schlag­ar­tig nach oben schnel­len, viel bis­her brach­lie­gen­des Kapi­tal ange­legt wird und sich so für eini­ge Zeit eine selbst­tra­gen­de Pha­se der kapi­ta­lis­ti­schen Hoch­kon­junk­tur ein­stellt. Bis sich schließ­lich das Gesetz des ten­den­zi­el­len Falls der Pro­fi­tra­te wie­der durch­setzt.19

Tat­säch­lich las­sen sich in der Geschich­te die­se Pha­sen nach­wei­sen. Sie dau­ern unge­fähr 20 Jah­re im Auf­stieg und 20 wei­te­re Jah­re im Abstieg. Die lan­gen Wel­len der kapi­ta­lis­ti­schen Ent­wick­lung exis­tie­ren zusätz­lich zum gewöhn­li­chen Kon­junk­tur­zy­klus von 5 bis 10 Jah­ren mit sei­ner immer glei­chen Abfol­ge von Wie­der­be­le­bung, Boom, Über­pro­duk­ti­on, Krach und Kri­se. Sie set­zen sich gera­de durch die­se »gewöhn­li­chen« Zyklen durch und zwar so, dass in einer expan­si­ven Pha­se die zykli­schen Peri­oden von Hoch­kon­junk­tur län­ger und inten­si­ver, die zykli­schen Über­pro­duk­ti­ons­kri­sen kür­zer und weni­ger tief sind. Umge­kehrt wer­den sich in den zur Sta­gna­ti­on nei­gen­den Pha­sen der »lan­gen Wel­le« die Peri­oden der Hoch­kon­junk­tur als weni­ger fie­ber­haft und kür­zer erwei­sen, die Peri­oden der zykli­schen Über­pro­duk­ti­ons­kri­se dage­gen län­ger und tie­fer erschei­nen.20

Bis­her exis­tier­ten fol­gen­de lan­ge Wellen:

Tabel­le 1.2.3.1. Lan­ge Wel­len in der Geschich­te des Kapi­ta­lis­mus. Die Abkür­zun­gen der Wert­be­stand­tei­le bedeu­ten: cf: Kon­stan­tes fixes Kapi­tal, Maschi­nen, cz: Kon­stan­tes zir­ku­lie­ren­des Kapi­tal, Roh­stof­fe, v: Varia­bles Kapi­tal, Löh­ne, m/​v: Mehr­wer­tra­te22

So bewirk­te das Gesetz des ten­den­zi­el­len Falls der Pro­fi­tra­te bis­her eine wel­len­för­mi­ge Bewe­gung des Kapi­ta­lis­mus. Lan­ge Peri­oden mit einem star­ken Wachs­tum der Kapi­tal­ak­ku­mu­la­ti­on stan­den Peri­oden mit sta­gna­ti­ven Ten­den­zen gegen­über. Aller­dings: Wie wir gese­hen haben, waren Aus­lö­ser für eine lan­ge Wel­le mit expan­si­vem Cha­rak­ter geo­gra­phi­sche, geo­lo­gi­sche und poli­ti­sche Fak­to­ren. Die­se waren immer spe­zi­fisch und es ist kei­nes­wegs garan­tiert, dass noch ein­mal so vie­le Fak­to­ren zusam­men­kom­men, um eine neue lan­ge Wel­le mit expan­si­ver Ten­denz aus­zu­lö­sen. Der Umschlag in eine lan­ge Wel­le mit sta­gnie­ren­der Ten­denz wird dage­gen gesetz­mä­ßig durch die im Gesetz des ten­den­zi­el­len Falls der Pro­fi­tra­te beschrie­be­ne Stei­ge­rung der orga­ni­schen Zusam­men­set­zung des Kapi­tals her­vor­ge­ru­fen.23

Hin­zu kommt ein wei­te­rer Fak­tor: Der Kapi­ta­lis­mus basiert auf der Aus­sau­gung leben­di­ger mensch­li­cher Arbeits­kraft. Durch die stei­gen­de orga­ni­sche Zusam­men­set­zung des Kapi­tals infol­ge der Auto­ma­ti­sie­rung unter­gräbt er sei­ne eige­nen Grund­la­gen. Hier sind wir bei der abso­lu­ten inne­ren Gren­ze der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se ange­langt. Sie liegt da, wo die Mehr­wert­mas­se selbst zwangs­läu­fig zurück­geht – wegen der in der Voll­au­to­ma­ti­on statt­fin­den­den Aus­schal­tung der leben­di­gen Arbeit aus dem Pro­duk­ti­ons­pro­zess.24

Der Kapi­ta­lis­mus ist unver­ein­bar mit voll­au­to­ma­ti­sier­ter Pro­duk­ti­on in der gesam­ten Indus­trie und Land­wirt­schaft, weil dann kei­ne Mehr­wert­schöp­fung und kei­ne Kapi­tal­ver­wer­tung mehr vor sich geht. Dem­nach kann sich die Auto­ma­ti­on nie auf den gesam­ten Pro­duk­ti­ons­be­reich aus­deh­nen. Aller­dings wür­den die ange­nom­me­nen gro­ßen Ver­än­de­run­gen und zwar die Indus­trie 4.0 und die künst­li­che Intel­li­genz die Aus­schal­tung des Men­schen aus dem Pro­duk­ti­ons­pro­zess noch ein­mal radi­kal beschleunigen.

Karl Marx schreibt:

Sobald die Arbeit in unmit­tel­ba­rer Form auf­ge­hört hat, die gro­ße Quel­le des Reich­tums zu sein, hört [auf] und muss auf­hö­ren die Arbeits­zeit Maß zu sein und daher der Tausch­wert [das Maß] des Gebrauchs­werts. Die Sur­plus­ar­beit der Mas­se hat auf­ge­hört, Bedin­gung für die Ent­wick­lung des all­ge­mei­nen Reich­tums zu sein, eben­so wie die Nicht­ar­beit der Weni­gen für die Ent­wick­lung der all­ge­mei­nen Mäch­te des mensch­li­chen Kop­fes.25

Unter Mar­xis­ten wird schon seit Jahr­zehn­ten dis­ku­tiert, ob die­ser Punkt bereits erreicht wur­de oder ob er in den nächs­ten Jah­ren zu erwar­ten ist.

Bereits Trotz­ki erkann­te, dass der Impe­ria­lis­mus eine inte­grier­te Welt­wirt­schaft geschaf­fen hat, in der die Groß­mäch­te einen Kampf um die Hege­mo­nie füh­ren. Die natio­nal­staat­li­chen Öko­no­mien sind eng mit­ein­an­der ver­netzt. Die Welt­wirt­schaft bil­det eine kom­ple­xe Hier­ar­chie der Arbeits­tei­lung, in der auch nicht­ka­pi­ta­lis­ti­sche Pro­duk­ti­ons­wei­sen nicht aus­ge­löscht, son­dern den Bedürf­nis­sen des Kapi­tals ange­passt wer­den. Der Welt­markt und die natio­na­len Öko­no­mien sind geprägt durch eine unglei­che und kom­bi­nier­te Entwicklung.

Nach Man­del sind die lan­gen Wel­len der kapi­ta­lis­ti­schen Ent­wick­lung mit ihren Auf- und Abschwün­gen gleich­zei­tig auch als spe­zi­fisch his­to­ri­sche Peri­oden anzu­se­hen. Sie wei­sen nicht nur eine spe­zi­fi­sche öko­no­mi­sche Kon­stel­la­ti­on und eine spe­zi­fi­sche Tech­nik auf, son­dern ein bestimm­tes inter­na­tio­na­les Kräf­te­ver­hält­nis und Klas­sen­kampf­kon­stel­la­ti­on, ja sogar eine spe­zi­fi­sche Kul­tur und Men­ta­li­tät. Dabei unter­schei­den sie sich sehr stark von­ein­an­der.26

In der Geschich­te des Kapi­ta­lis­mus gab es bis­her fünf sol­cher Perioden:

  1. Peri­ode der lan­gen indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on (1789 bis 1848)
  2. Kapi­ta­lis­mus der frei­en Kon­kur­renz (1848 bis 1895)
  3. Klas­si­scher Impe­ria­lis­mus (1895 bis 1945)
  4. Spät­ka­pi­ta­lis­mus (1945 bis 1989)
  5. Neo­li­be­ra­lis­mus (1989 bis 2020)

Die Peri­ode der lan­gen indus­tri­el­len Revo­lu­ti­on war auch die Zeit der gro­ßen bür­ger­li­chen Revo­lu­tio­nen (1789, 1830, 1848), der napo­leo­ni­schen Krie­ge und der Errich­tung des Welt­mark­tes für Fer­tig­wa­ren.27

Bereits die Her­aus­bil­dung des klas­si­schen Impe­ria­lis­mus war die Ant­wort auf die zuneh­men­den Schwie­rig­kei­ten des Kapi­ta­lis­mus der frei­en Kon­kur­renz. Der Spät­ka­pi­ta­lis­mus wie­der­um ent­stand aus dem tita­ni­schen Rin­gen zwei­er impe­ria­lis­ti­scher Mäch­te­grup­pen. Er war das Resul­tat einer schwe­ren Nie­der­la­ge der Arbei­ter­klas­se durch Faschis­mus und Krieg einer­seits, aber auch eines gro­ßen Sie­ges der in der Sowjet­uni­on staats­för­mig orga­ni­sier­ten Arbei­ter­klas­se über den deut­schen Impe­ria­lis­mus ande­rer­seits. Das gab die­ser Peri­ode ein spe­zi­fi­sches Gepräge.

Allein die­se Tat­sa­che illus­triert, dass es völ­lig unmög­lich ist, nach Lek­tü­re von Lenins Impe­ria­lis­mus­schrift allein die heu­ti­ge Form des Impe­ria­lis­mus zu ver­ste­hen. Viel­mehr müs­sen die Peri­oden in ihrer Gesamt­heit betrach­tet wer­den, was das Stu­di­um der rele­van­ten Lite­ra­tur und eine grö­ße­re wis­sen­schaft­li­che Anstren­gung vor­aus­setzt, die frei­lich auch in die­sem Text nur in Ansät­zen geleis­tet wer­den kann. Es wäre schon viel erreicht, wenn er die eine oder ande­re Anre­gun­gen für wei­te­re For­schun­gen geben könnte.

Noch ein Wort zu den ver­wen­de­ten Peri­oden­be­zeich­nun­gen: Sie pas­sen eigent­lich nicht. Der Begriff Spät­ka­pi­ta­lis­mus impli­ziert, dass es sich um die letz­te Peri­ode des Kapi­ta­lis­mus han­de­le, was 1989 wider­legt wur­de. Der Neo­li­be­ra­lis­mus war ursprüng­lich eine Wirt­schafts­theo­rie, die nach dem Zwei­ten Welt­krieg von Karl Pop­per, Mil­ton Fried­man und Fried­rich August von Hay­ek ent­wi­ckelt wur­de. Aller­dings ist er auch der Name einer kapi­ta­lis­ti­schen Peri­ode, deren Ideo­lo­gie auf der neo­li­be­ra­len Wirt­schafts­theo­rie basiert. Alter­na­ti­ve Bezeich­nun­gen wie Hoch­tech­no­lo­gie­ka­pi­ta­lis­mus von Manu­el Cand­ei­as haben sich nicht durch­ge­setzt. Zumal auch der klas­si­sche Impe­ria­lis­mus und der Spät­ka­pi­ta­lis­mus als Hoch­tech­no­lo­gie­ka­pi­ta­lis­mus bezeich­net wer­den könn­ten. Auch sie basier­ten zu gro­ßen Tei­len auf der damals neu­es­ten Tech­nik, die sie weiterentwickelten.

Teil 2 wid­met sich dem klas­si­schen Imperialismus.

Ver­wei­se

1 Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei Grie­chen­lands: Nein zum impe­ria­lis­ti­schen Krieg in der Ukrai­ne!, Gemein­sa­me Erklä­rung kom­mu­nis­ti­scher und Arbei­ter­par­tei­en, 22.02.2022, im Inter­net: https://​inter​.kke​.gr/​d​e​/​a​r​t​i​c​l​e​s​/​N​e​i​n​-​z​u​m​-​i​m​p​e​r​i​a​l​i​s​t​i​s​c​h​e​n​-​K​r​i​e​g​-​i​n​-​d​e​r​-​U​k​r​a​i​ne/, abge­ru­fen am 13.10.20222

3 Vgl. Ernest Man­del: Der Spät­ka­pi­ta­lis­mus, Frank­furt am Main 1974, S. 11.

4 Vgl. Man­del 1974, S. 12

5 Vgl. W.I. Lenin: Aus dem phi­lo­so­phi­schen Nach­lass, Ber­lin 1949, S. 249f, zitiert nach Man­del 1974, S. 12

6 Vgl. Man­del 1974, S. 13

7 Karl Marx, Das Kapi­tal – Band 1, Ber­lin 1988, MEW 23, S. 27.

8 Vgl. Man­del 1974, S. 14f

9 Vgl. Karl Marx: Theo­rien über den Mehr­wert, Band II, Stutt­gart 1919, S. 282, zitiert nach Man­del 1974, S. 36.

10 Vgl. Man­del 1974, S. 37

11 Man­del 1974, S. 37ff

13 Vgl. Ernest Man­del: Mar­xis­ti­sche Wirt­schafts­theo­rie, Band 1, Frank­furt am Main 1972, S. 181.

14 Vgl. Karl Neelsen: Kapi­tal und Mehr­wert, Lehr­hef­te Poli­ti­sche Öko­no­mie des Kapi­ta­lis­mus, Ber­lin 1972, S. 17.

15 Vgl. Man­del 1972, S. 182.

16 Vgl. Man­del 1972, S. 196.

17 Vgl. Man­del 1972, S. 198f.

18 Vgl. Man­del 1972, S. 199f.

20 Vgl. Man­del 1974, S. 115.

22 Vgl. Man­del 1974, S. 122ff. Ergän­zung ab 1975 durch den Autor.

23 Vgl. Man­del 1974, S. 106ff.

24 Vgl. Man­del 1974, S. 191.

25 Karl Marx: Grund­ris­se der Kri­tik der Poli­ti­schen Öko­no­mie, S. 592f.

26 Vgl. Ernest Man­del: Die lan­gen Wel­len im Kapi­ta­lis­mus, Frank­furt am Main 1987, S. 91ff

27 Vgl. Man­del 1987, S. 98

Bild: Fri­da Kahlo, Ori­gi­ni­al­ti­tel: »Frie­den auf Erden, damit die mar­xis­ti­sche Wis­sen­schaft die Kran­ken und die vom kri­mi­nel­len Yan­kee-Kapi­ta­lis­mus Unter­drück­ten ret­ten kann«, 1954

2 thoughts on “Impe­ria­lis­mus und Gre­at Reset: Ein­lei­tung & Marx­sche Metho­de (Teil 1)

  1. Lesens­wer­ter Arti­kel. Bin gespannt auf die ande­ren Tei­le. Bei der Fra­ge des ten­den­zi­el­len Falls wird lei­der auch hier ver­ges­sen, dass das Marx­sche Sche­ma auf einer wesent­lich betriebs­wirt­schaft­li­chen Sicht beruht (Ver­hält­nis C zu V). Inso­fern ist es auch kor­rekt. Doch gesamt­ge­sell­schaft­lich gese­hen ist die pro­duk­ti­ve Sphä­re weit grö­ßer als nur die indus­tri­el­le. Dazu gehö­ren z.B. Bil­dung, Wis­sen­schaft, Kul­tur, Wer­bung, Ver­wal­tung usw. Die­se Berei­che sind seit Marx´ Zeit gewal­tig gewach­sen. Gera­de dort aber ist der Anteil der »man­power«, d.h. des Fak­tors V, beson­ders groß. Inso­fern wirkt die Auf­blä­hung die­ser Fak­to­ren dem ten­den­zi­el­len Fall entgegen.

    Zwei­tens kommt dazu, dass die Daten­grund­la­ge für Mar­xens Behaup­tung sehr dünn war. Dar­auf hat z.B. Picke­ty zum recht hin­ge­wie­sen. Inso­fern ist Marx The­se vom ten­den­zi­el­len Fall streng genom­men kei­ne Theo­rie, son­dern eine Hypo­the­se (wes­halb sie aber nicht falsch sein muss).

    Bei allem Für und Wider zu die­sem The­ma lässt sich his­to­risch nicht leug­nen, dass – wenn Marx´ The­se stimmt – der Kapi­ta­lis­mus längst an einem »Null­punkt« ange­kom­men sein müss­te. Ob das gegen­wär­tig der Fall ist, ist die Fra­ge. In jedem Fall spielt die Fra­ge für den kon­kre­ten Klas­sen­kampf kaum eine Rol­le, denn es kann uns egal sein, ob der Kapi­ta­lis­mus in 50, 100 oder 400 Jah­ren »zusam­men­bricht«. Marx hat hat ja auch gesagt, dass kei­ne Gesell­schafts­for­ma­ti­on unter­geht, bevor nicht alle PK ent­wi­ckelt sind, für die er weit genug ist. Das ist bis jetzt noch nicht der Fall. Das wie­der­um heißt nicht, dass er nicht gestützt wer­den konn­te und könn­te. Die objek­ti­ven Vor­aus­set­zun­gen dafür exis­tie­ren schon seit Jahr­zehn­ten. Dem steht aber die Kri­se des sub­jek­ti­ven Fak­tors, die For­mie­rung der Arbei­ter­be­we­gung und der Lin­ken, gegen­über. Im Kern han­delt es sich um die Kri­se des Mar­xis­mus, der seit Marx und Engels (die auch nur Mate­ria­li­en zu einem Theo­rie-Roh­bau bereit­ge­stellt haben) immer wei­ter hin­ter den Anfor­de­run­gen der Rea­li­tät zurück­ge­fal­len ist. Hier ist grund­sätz­li­che Auf­bau­ar­beit nötig. Lei­der ist sich das Gros der Lin­ken des­sen nicht bewusst und leis­tet dafür (fast) nichts.

  2. Dan­ke für den Kom­men­tar. Inhalt­lich muss ich dir wider­spre­chen. Das von Marx ent­deck­te Gesetz des ten­den­zi­el­len Falls der Pro­fi­tra­te bezieht sich nur auf den Pro­fit im Ver­hält­nis zum ange­leg­ten Kapi­tal als dem Kern der KPW. Bil­dung, Wis­sen­schaft, Kul­tur, Wer­bung, Ver­wal­tung kom­men in die­sem Zusam­men­hang nur in Betracht, wenn sie pri­vat, kapi­tal­för­mig betrie­ben wur­den. Das aber ist in grö­ße­rem Umfang erst im Neo­li­be­ra­lis­mus der Fall.
    Dass es noch nicht zu einem Zusam­men­bruch des Kapi­ta­lis­mus gekom­men ist, wird durch die lan­gen Wel­len hin­rei­chend erklärt.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert