Der Chi­ne­si­sche Bür­ger­krieg und die Drit­te Chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on (1945 – 49) – Arti­kel­se­rie zu Chi­na Teil V

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Dies ist der fünf­te Teil einer umfas­sen­den auf meh­re­re Tei­le ange­leg­ten Arti­kel­se­rie von Jan Mül­ler über Chi­na. Beinhal­ten wird die Serie fol­gen­de Teile:

  1. Das alte Chi­na (plus Einleitung)
  2. Die Ent­ste­hung des Kapi­ta­lis­mus in Chi­na und die Ers­te Chi­ne­si­sche Revolution
  3. Die Zwei­te Chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on (1925 – 27)
  4. Die KPCh wird Gue­ril­la­be­we­gung (1928 – 1945)
  5. Der Chi­ne­si­sche Bür­ger­krieg und die Drit­te Chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on (1945 – 49)
  6. Von der »neu­de­mo­kra­ti­schen« zur sozia­lis­ti­schen Revolution
  7. Im Bünd­nis mit der Sowjet­uni­on (1949 – 60)
  8. Gro­ßer Sprung nach vor­ne, Bruch mit der Sowjet­uni­on und Kul­tur­re­vo­lu­ti­on: Der Hoch­mao­is­mus (1958 – 69)
  9. Umkehr der Alli­an­zen und Drei-Wel­ten-Theo­rie: Der Spät­mao­is­mus (1969 – 78)
  10. Ers­te Etap­pe der Wirt­schafts­re­for­men und Putsch­ver­such (1978 – 89)
  11. Chi­na im Zeit­al­ter des Neo­li­be­ra­lis­mus (1989 – 2008)
  12. Klei­ner Wohl­stand und neue Sei­den­stra­ße (ab 2008)
  13. Chi­na und Corona
  14. Chi­na und der Ukrainekrieg
  15. Schluss­fol­ge­run­gen über den Cha­rak­ter Chinas

Die Arti­kel­se­rie als Bro­schü­re mit wei­te­ren Anhän­gen, Lite­ra­tur­ver­zeich­nis und wei­ter­füh­ren­der Lite­ra­tur kann man unter fol­gen­dem Link her­un­ter­la­den: Chi­na: Ein lan­ger Weg – wohin?

Der Chi­ne­si­sche Bür­ger­krieg und die Drit­te Chi­ne­si­sche Revo­lu­ti­on (1945 – 49)

Am 10. Novem­ber 1944 wur­de ein Abkom­men zwi­schen den Kuom­in­tang (KMT) und der KPCh unter­zeich­net, das eine Koali­ti­ons­re­gie­rung und eine gemein­sa­me Armee nach dem Krie­ge vorsah.

Chiang Kai-schek hat­te jedoch nie­mals vor, sich dar­an zu hal­ten und such­te eine mili­tä­ri­sche Lösung des Pro­blems. Dem­ge­gen­über woll­ten die Ame­ri­ka­ner die KPCh zunächst in die Regie­rung an unter­ge­ord­ne­ter Stel­le ein­bin­den, um sie spä­ter aus­zu­schal­ten, so wie ihnen das in Frank­reich und Ita­li­en gelang.

Nach kur­zer Zeit flamm­ten die Kämp­fe zwi­schen KPCh und KMT erneut auf. Die KMT-Trup­pen ent­waff­ne­ten gro­ße Tei­le der japa­ni­schen Armee nicht, son­dern schick­ten sie in den Kampf gegen die Kom­mu­nis­ten. Als Beloh­nung ent­ließ Chiang Kai-schek 200 ver­ur­teil­te japa­ni­sche Kriegs­ver­bre­cher nach Hau­se. Die­se Hand­lun­gen konn­ten nur Empö­rung bei Arbei­tern, Bau­ern und Klein­bür­gern hervorrufen.

Zudem häuf­ten sich wirt­schaft­li­che Schwie­rig­kei­ten. Die Infla­ti­on galop­pier­te. Der Preis­in­dex stieg in Schang­hai von 92 im Janu­ar 1946 auf 686 im Janu­ar 1947 und 3.116 im Juli 1947:

In der Armee der KMT paar­te sich die Demo­ra­li­sie­rung der Mann­schaf­ten, die zwangs­re­kru­tiert und schlecht behan­delt wur­den, mit der Kor­rup­ti­on und Geld­gier der Offi­zie­re. In der Man­dschu­rei began­nen sie, statt die Indus­trie in Betrieb zu neh­men, Maschi­nen, Fens­ter­rah­men, Möbel und alles, was nicht niet- und nagel­fest war, mit­zu­neh­men und auf dem Schwarz­markt zu ver­kau­fen.[1]

Das waren Sym­pto­me des völ­li­gen Ver­falls der KMT-Regie­rung und ihrer Gesell­schafts­ord­nung. Der wich­tigs­te Punkt war jedoch die völ­li­ge Unfä­hig­keit der Regie­rung, auf dem Lan­de irgend­wel­che Refor­men durch­zu­füh­ren. Die Herr­schaft der Groß­grund­be­sit­zer wur­de nicht ange­tas­tet, die Pacht nicht gesenkt, der Wucher nicht beschränkt. Statt­des­sen ver­stärk­te die KMT-Regie­rung den Druck auf die Land­be­völ­ke­rung durch hohe Steu­ern weiter.

Als die KPCh 1946 zu ihrer Poli­tik der Land­auf­tei­lun­gen zurück­kehr­te, hat­te das zusätz­lich mobi­li­sie­ren­de Wir­kung. Die For­de­run­gen der Bau­ern wur­den damit weit­ge­hend erfüllt.

Der US-Impe­ria­lis­mus war Ende der 40er Jah­re damit beschäf­tigt den Kapi­ta­lis­mus in Euro­pa zu ret­ten. Auch noch in Chi­na zu inter­ve­nie­ren, über­stieg sei­ne Kräf­te. Zumal die anti­kom­mu­nis­ti­sche Pro­pa­gan­da in der US-Bevöl­ke­rung noch nicht so weit ver­brei­tet war, dass sie eine Inter­ven­ti­on befür­wor­tet hät­te. Den­noch war die US-ame­ri­ka­ni­sche Wirt­schafts- und Mili­tär­hil­fe für Chiang mit 2 Mil­li­ar­den Dol­lar beträcht­lich. Aber unter den gege­be­nen Umstän­den ver­stärk­te sie nur die Kor­rup­ti­on in der KMT-Armee, ohne all­zu viel aus­zu­rich­ten.[2]

Im meh­re­ren gro­ßen Schlach­ten wur­den schließ­lich zwi­schen Sep­tem­ber 1948 und März 1949 die Haupt­kräf­te der Kuom­in­tang-Armeen, mehr als eine Mil­li­on Mann, zer­schla­gen. Das brach­te die Wen­de im Bür­ger­krieg.[3]

Am 1. Okto­ber 1949 rief Mao Tse-tung auf einer fest­li­chen Kund­ge­bung vor tau­sen­den Men­schen auf den Platz des Himm­li­schen Frie­dens die Volks­re­pu­blik Chi­na aus.[4]

Die unglei­chen Ver­trä­ge der impe­ria­lis­ti­schen Staa­ten mit Chi­na wur­den aufgehoben.

Die Arbei­ter­klas­se spiel­te in der Drit­ten Chi­ne­si­schen Revo­lu­ti­on kei­ne Rol­le mehr. Zwar war sie durch har­te Repres­si­on in den Städ­ten und die Demon­ta­gen der Japa­ner auch nume­risch geschwächt worden.

Aber in den letz­ten Jah­ren der KMT-Herr­schaft nah­men die städ­ti­schen Arbei­ter erneut am poli­ti­schen Kampf aktiv teil.[5] Die KPCh unter Mao rief in die­ser Situa­ti­on die Arbei­ter weder zur Bil­dung von Macht­or­ga­nen noch zum bewaff­ne­ten Auf­stand in den Städ­ten auf, obwohl er gute Erfolgs­chan­cen gehabt hät­te. Statt­des­sen rief sie die Arbei­ter­schaft dazu auf, bei der Ein­nah­me der Städ­te ruhig zu blei­ben. Mate­ri­el­le Ver­bes­se­run­gen für die Arbei­ter stell­te sie nicht in Aus­sicht und sie ver­such­te, die Gewerk­schaf­ten bei ihren öko­no­mi­schen Akti­vi­tä­ten zu bremsen.

Die KP-Armeen mar­schier­ten auf die grö­ße­ren Städ­te und zogen einen Ring um die­se. Die Städ­te fie­len nicht durch Auf­stän­de der Arbei­ter und der Stadt­be­völ­ke­rung in die Hän­de der KPCh. In eini­gen Fäl­len wur­den sie im Kampf genom­men und gestürmt. In den meis­ten Fäl­len kapi­tu­lier­ten die Kom­man­deu­re der KMT und lie­ßen die Volks­be­frei­ungs­ar­mee kampf­los in die Städ­te mar­schie­ren. Die aus­sichts­lo­se Lage führ­te bei vie­len Ein­hei­ten der KMT-Regie­rungs­ar­mee und ihren Gene­rä­len zur Auf­ga­be und Kapi­tu­la­ti­on.[6]

Was waren die Ursa­chen die­ser Ent­wick­lung? Die KPCh ist seit Ende der 20er Jah­re eine büro­kra­ti­sche Par­tei. Fol­gen­de Fak­to­ren waren hier­für entscheidend:

  • Die KPCh war eine Par­tei, auf die der Sta­li­nis­mus stark abge­färbt hat­te und sei es nur in der Wei­se, in der sie den demo­kra­ti­schen Zen­tra­lis­mus begriff und prak­ti­zier­te.[7]
  • Die weit über­wie­gen­de Bau­ern­mit­glied­schaft begriff die Par­tei als agrar­re­vo­lu­tio­när. Sie über­ließ alles, was über die­sen Hori­zont hin­aus ging, der Füh­rung. Zu deren wirk­sa­men Kon­trol­le war sie weder in der Lage noch hat­te sie dar­an ein Interesse.
  • Auf­grund der Not­wen­dig­kei­ten des Krie­ges ent­stand eine abge­stuf­te Par­tei­hier­ar­chie, die der Armee­hier­ar­chie ent­sprach.[8]

Es kam also in der KPCh, wie auch der KPdSU und vie­len ande­ren herr­schen­den Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei­en, zur Her­aus­bil­dung einer Schicht, die sich mehr und mehr das poli­ti­sche Ent­schei­dungs­recht in der Orga­ni­sa­ti­on aneig­ne­te und schließ­lich die Par­tei­ba­sis zum Akkla­ma­ti­ons­in­stru­ment degra­diert. An einer authen­ti­schen Arbei­ter­re­vo­lu­ti­on mit einem Räte­sys­tem konn­te die­se Schicht kein Inter­es­se mehr haben.

Ver­wei­se

[1] Car­dorff a.a.O., S. 144

[2] Vgl. Car­dorff a.a.O., S. 145

[3] Vgl. Autoren­kol­lek­tiv unter Lei­tung von Michail Slad­kow­ski: Neu­es­te Geschich­te Chi­nas, Ber­lin 1979, S. 198

[4] Vgl. Autoren­kol­lek­tiv 1979 a.a.O, S. 208

[5] Vgl. Autoren­kol­lek­tiv 1979 a.a.O., S. 202

[6] Vgl. Car­dorff a.a.O., S. 148

[7] Vgl. Ernest Man­del: Revo­lu­tio­nä­re Stra­te­gien im 20. Jahr­hun­dert, Wien Mün­chen Zürich 1978, S. 181

[8] Vgl. Car­dorff a.a.O., S. 149

Bild: Par­tei­vor­sit­zen­der Mao Tse-tung ruft die Volks­re­pu­blik Chi­na aus

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