Über »linke« Kritiker des Sozialismus

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»Jedes sozialistische Land, das existierte, war schlecht!«

»Jede marxistische Revolution war stalinistisch!«

»Sie führte immer unvermeidlich zu Gräueltaten und Millionen Toten!«

»Glaube mir, echte ›Kommunisten‹ sollten sozialistische Länder hassen!«

Viele so genannte linke Kritiker des historischen Sozialismus greifen Leninisten wie mich oft als »Stalinisten« oder »Tankie« an und verkünden gleichzeitig ihre eigene ideologische Überlegenheit und Reinheit. Sie sind im Allgemeinen empört oder geradezu verwirrt, wenn Leninisten behaupten, dass diese »linken Kritiker« die Arbeit der Bourgeoisie und der Imperialisten verrichten. Was wollen wir damit sagen?

Was ist legitime Kritik?

Der Marxismus ist eine wissenschaftliche Form des Sozialismus. Die Wissenschaft lernt aus ihren Fehlern. Daher ist es logisch und positiv, sich mit Kritik und Selbstkritik zu beschäftigen und daran zu denken, dass die großen sozialistischen und fortschrittlichen Denker, die vor uns kamen, nicht den Luxus hatten, einem bereits existierenden Modell des Sozialismus folgen zu können. Sie haben sich oft geirrt, weil sie Pioniere auf unbekanntem Terrain waren. Es sollte uns nicht überraschen, dass sie Fehler gemacht haben, aber wir sollten diese Fehler auch nicht übertreiben oder sie dazu benutzen, ihre großen Erfolge und Errungenschaften zu schmälern. Für uns ist es einfacher, weiter zu sehen, denn wir stehen auf den Schultern von Riesen.

Leninisten sind keineswegs gegen Kritik. Es ist völlig legitim, die theoretischen Beiträge Lenins zu analysieren und in Frage zu stellen, wie sie zum Beispiel von Stalin, Mao oder Che Guevara angewandt wurden. Allerdings sollte diese Kritik prinzipienfest sein und auf Fakten beruhen. Sogenannte »linke Kritiker« wie Trotzkisten, verschiedene Anarchisten und Revisionisten plappern einfach bürgerliche Argumente, bürgerliche Propaganda und »Fakten« nach, die ihnen von bürgerlichen Quellen geliefert werden. Oftmals geschieht dies völlig unabsichtlich. Ihnen fehlt einfach die notwendige Quellenkritik, das Verständnis dafür, wie Medien, Wissenschaft und anderes funktionieren und wie die Bourgeoisie sie beeinflusst. Ihre Unfähigkeit, dies zu begreifen, ist deshalb besonders tragisch, weil sie behaupten, Marxisten zu sein. Dabei war es Marx selbst, der darauf hinwies, dass die Ideologie der herrschenden Klasse immer die herrschende in der Gesellschaft ist und infolgedessen oft von einer großen Zahl von Menschen auch außerhalb dieser herrschenden Klasse vertreten wird.

»Die Experten sagen mir, dass Sie falsch liegen!« (Beweisführung und Beweislast)

Immer wieder begegnen mir Äußerungen, die den folgenden ähneln:

»Nur stalinistische Spinner wie du glauben an X.«

»Alle Experten sind sich einig. Ihr, die ihr an X glaubt, seid nur eine Randgruppe, der man nicht trauen kann.«

Jedem, der auch nur ein Grundverständnis von Logik hat, sollte klar sein, dass die obigen Aussagen logische Fehlschlüsse darstellen. Da wäre die Berufung auf Authorität und bis zu einem gewissen Grad auf die Popularität. Natürlich würde man in vielen Fällen die Meinung eines Experten einholen wollen, aber auch dann sollten die Beweise selbst und nicht die Person, die die Beweise vorlegt, von Bedeutung sein.

Im Grunde läuft es auf Folgendes hinaus: Ich glaube oder glaube nicht an etwas; und anstatt sich mit meinem Argument wie ein Erwachsener auseinanderzusetzen, ziehen es die Gegner (seien es Liberale, Anarchisten, Trotzkisten und so weiter) vor, meine Position als zu extrem, zu abwegig anzugreifen, um überhaupt in Betracht gezogen werden zu können – zumal, wie sie sagen, »die Experten« gegen mich seien. Aber sind die Experten wirklich gegen die leninistische Sichtweise? Wer sind diese sogenannten Experten überhaupt? Aufgrund der hegemonialen Stellung des bürgerlichen Standpunkts wird er von linken Kritikern des Sozialismus oft als Standardposition angesehen.

Es handelt sich um »Mainstream« in dem Sinne, dass die herrschende Klasse der Medien und der Wissenschaft sie unterstützt, aber das bedeutet nicht, dass sie in irgendeiner Weise objektiv oder korrekt ist. Die Beweislast liegt bei demjenigen, der die Behauptung aufstellt, nicht bei demjenigen, der weniger populär ist. In der allgemeinen politischen Diskussion wird die Beweislast in der Regel immer auf die Kommunisten selbst abgewälzt. Sie müssen ihre Unschuld beweisen, während die Beweislast in Wahrheit bei denjenigen liegen sollte, die die Anschuldigungen erheben. Eine Tendenz unter »Linken« und anderen Kritikern des Sozialismus besteht darin, die bürgerliche Propaganda gegen den Sozialismus bereitwillig zu akzeptieren, aber jeder pro-​sozialistischen Information mit extremer Skepsis zu begegnen, weil »Antikapitalismus eine Randerscheinung ist« (und daher standardmäßig als unzuverlässig angesehen wird), während Antikommunismus »Mainstream« ist (und daher anscheinend automatisch zuverlässiger). Auf diese Weise wird die Beweislast praktisch immer auf die Kommunisten geschoben.

Das antisowjetische Paradigma

Ohne in die breitere politische Debatte einzusteigen, möchte ich darauf hinweisen, dass es kein Zufall ist, dass bestimmte Gruppen wie Trotzkisten, Anarchisten, Liberale und so weiter eher dazu neigen, dem Standpunkt des »Mainstream« (der hegemonialen Bourgeoisie) zu verschiedenen Themen zu glauben. Dies ist weder eine Beleidigung noch ein Urteil über die Stichhaltigkeit dieses Standpunkts, sondern lediglich eine Feststellung von Tatsachen.

Im Klartext: Für sie sind wir Leninisten Spinner, die Augen und Ohren vor allem verschließen, was unserer Weltanschauung widerspricht – während sie für uns leichtgläubige und antimarxistische Leute sind, die fast alles glauben, was die Kapitalisten ihnen erzählen. Vielleicht haben sie Recht. Vielleicht haben wir recht. Vielleicht hat keiner von uns Recht, aber das muss mit Beweisen belegt werden.

Wir sollten uns diese eine Frage stellen. Warum sind zum Beispiel die Trotzkisten scheinbar so eifrig dabei, bürgerliche Quellen als Tatsachen zu akzeptieren, während die Leninisten das gleiche so zögerlich tun? Trotzkisten und Bourgeois sind beide im Großen und Ganzen Kritiker der historischen sozialistischen Experimente, während die Leninisten diese eher verteidigen. Aus diesem Grund neigen die Bourgeois im Allgemeinen dazu, Ansichten zu verbreiten, die dem historischen Sozialismus feindlich gegenüberstehen.Diese werden von den Trotzkisten genüsslich aufgefressen. Nur die leninistischen »Randgruppen« würden den historischen Sozialismus verteidigen. Ich persönlich glaube, dass die meisten Anhänger des Trotzkismus gerade wegen dieser bürgerlichen Propaganda solche sind.

Bourgeoise Hegemonie

Manchmal bin ich überrascht, wie naiv manche selbsternannten Sozialisten sind. Ich spreche von der Art »linker Kritiker« des Sozialismus, die einfach nicht verstehen, dass die Bourgeoisie über unzählige offene und unterschwellige Möglichkeiten der Informationskontrolle verfügt.

Ist es ein Wunder, dass man in den USA kein professioneller Historiker sein kann, wenn man nicht regelmäßig antisowjetisches Material veröffentlicht? J. Arch Getty, ein liberaler Historiker der Sowjetzeit, wird wegen seines ausgewogenen Ansatzes ständig von der Rechten als Sympathisant der Kommunisten angegriffen, dabei sind seine Ansichten über die Sowjetunion kaum positiv, nur nicht negativ genug. Seit Beginn des Kalten Krieges haben die CIA, das HUAC [House Committee on Un-​American Activities /​Komitee für unamerikanische Umtriebe] und andere offenkundig überwacht, wie »Geschichte« geschrieben und der Öffentlichkeit präsentiert wird. Überprüfen Sie die Quellen in Ihren Geschichtsbüchern: Handelt es sich um Primärquellen oder um Sekundärquellen? Was sind das für Quellen? Das Schwarzbuch des Kommunismus? Der Große Terror? Oder nur irgendein anderes Buch, das die beiden vorgenannten als »Beweis« für die kommunistischen Gräueltaten zitiert?

Die CIA war und ist immer noch stark in die Medien involviert (Operation Mockingbird, Congress for Cultural Freedom (CCF), Radio Free Europe, NED und so weiter und so fort). Außerdem ist der Großteil der amerikanischen Medien (die die Welt dominieren) in den Händen privater Unternehmen – in den Händen von Kapitalisten. Sie sind nicht dumm, selbst wenn sie nicht offen lügen, wählen sie Themen aus, die ein negatives Licht auf den Sozialismus werfen und ignorieren Themen, die den Sozialismus positiv darstellen. Sie präsentieren eine Reihe von Autoren oder Experten mit unterschiedlichem Grad an antikommunistischer Voreingenommenheit und scheinen daher nicht monolithisch zu sein oder die Diskussion zu kontrollieren. Sie lassen sogar regierungsfeindliche Äußerungen zu, solange sie liberal genug sind oder leicht marginalisiert werden können. Nachrichten, Dokumentarfilme oder Geschichtsbücher sind keine objektiven Fakten, die vom Himmel fallen – sie werden von Menschen geschrieben und erstellt, von Menschen, die sich zusammensetzen und planen, was sie schreiben, wie sie es schreiben und wann sie es schreiben.

Verteidigen die Kapitalisten wirklich den Linksradikalismus, Trotzkismus oder Anarchismus?

Die Antwort auf diese Frage ist in gewisser Weise sowohl ja als auch nein. Offensichtlich unterstützen Kapitalisten keinen der oben genannten Ismen. Allerdings haben sie mit ihnen einen gemeinsamen Feind. Die CIA hat schon vor langer Zeit erkannt, dass rechtsextreme oder konservative antikommunistische Propaganda bei Liberalen oder Linken nicht gut ankommt (siehe den Congress for Cultural Freedom). Stattdessen ist es viel effektiver zu behaupten, dass der Antisowjetismus die eigentliche Sache der Linken ist (sic). George Orwell, Leo Trotzki, Chruschtschow, Gorbatschow und sogar Noam Chomsky sind einige der großen Namen des »linken« Antikommunismus – Leute, die den Kapitalismus herauszufordern scheinen, deren Ideen aber entweder ideologisch völlig fehlgeleitet, taktisch unklug, unehrlich oder in ihrer Reichweite zu begrenzt sind, um wirksam zu sein; und nur dazu dienen, die Menschen vom echten antikapitalistischen Kampf abzulenken.

Dieser Artikel ist eine Übersetzung des bei ML-​Theory: A Marxist-​Leninist Blog erschienen englischen Orginals

Bild: Noam Chomsky 2010 (Fotokannan at ml.wikipedia CC-BY-SA‑3.0)

5 thoughts on “Über »linke« Kritiker des Sozialismus

  1. Wer ist der Autor des Beitrages?
    Ich stimme ihm Weitestgehend zu.
    Er hilft, scheinmarxistische Kommunisten zu erkennen..

  2. »und nur dazu dienen, die Menschen vom echten antikapitalistischen Kampf abzulenken.«

    Nein, es ist das »links-rechts«-Gequatsche, das Marxismus-​Gesülze, die Hahnenkämpfe zwischen Trotzkisten, Maoisten, Leninisten, Pi‑, Pa- und Poisten, das davon abhält, dass sich die Bedrückten und Ausgebeuteten zusammentun, ALLE Bedrückten und Ausgebeuteten, und sich GEMEINSAM gegen die Bedrücker wehren. Und zwar ohne Denkzwänge und Theoriengewölke, Nebel und Dünste und ohne ‑Ismenismus, Dogmen, postulierten »Wahrheiten«, Gewäsch und Blabla.

    »Links« egal welcher Strömung und Denkschule hat komischer Weise immer und überall nur eines zu tun: sich zwanghaft gegen »rechts« (das gerne für die »Linken« von den Milliardärs-​Konzertmedien definiert werden darf) und gegen andere »Links«-Strömungen abzugrenzen.

    »Links« ist (ebenso wie »Rechts«) ein Popanz, aufgebaut von den Kapitalisten, um zu spalten und um damit und dadurch unangefochten zu herrschen!

    Ihr lebt in Eurer Nostalgie-​Welt. Ihr wollt Eure Lebenslüge nicht aufgeben. Das sei jedem privat überlassen. 

    !!!!Aber lasst die junge Generation gefälligst damit in Ruhe!!!!

    1. Wir sehen ja seit geraumer Zeit, wohin und wie sich ein Protest ohne Theoriegebäude entwickelt. Schnurstracks dahin, wo es für die Mächtigen harmlos ist. Genau deshalb greift auch niemand die Nummer »weder links noch rechts« von oben an, denn sie ist nur Ausdruck des politischen Analphabetismus vieler und selber rechts, weil sie entscheidende politische Koordinaten ausblendet. Die entscheidenden, um wirklich gegen die da oben vorzugehen und sich auf den Weg zu echter Demokratie machend. Man mag darüber streiten, ob das Wort links noch nützlich ist, jedenfalls argumentiert der Artikel für den Sozialismus und auch wertkonservative Menschen haben sich bsp. in der Sowjetunion gut aufgehoben gefühlt. Es ging und geht v.a. um die ökonomisch-​politische Dimension, nicht das ganze symbolpolitisch-​kulturpolitische Gedöns. Niemand in der MagMA argumentiert dafür diesen Popanz zur Richtschnur zu machen. Herr Storz kann sich beruhigen. Aber mit Absicht das politische Niveau senken, da wird sich Herr Stotz täuschen, das hat niemand hier im Sinn.

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