Multipolarismus ist Neo-​Kautskyismus. Über echte Entnazifizierung und ihre Feinde

Emory Douglas (1943 - ), Get Out of the Ghetto..., 1970
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»Wer sind unsere Feinde? Wer sind unsere Freunde? Das ist eine Frage die für die Revolution erstrangige Bedeutung hat. […] Um sicher zu sein, daß wir die Revolution nicht auf einen falschen Weg führen, sondern unbedingt Erfolg haben werden, müssen wir dafür sorgen, daß wir uns mit unseren wahren Freunden zusammenschließen, um unsere wahren Feinde zu bekämpfen. Um die wahren Freunde von den wahren Feinden zu unterscheiden, müssen wir die ökonomische Lage der verschiedenen Klassen […] und deren jeweilige Einstellung zur Revolution analysieren.«

Mao Tse-​Tung1

»Nichts ist verachtenswerter als die Annahme, dass öffentliche AUFZEICHNUNGEN der Wahrheit entsprechen.«

William Blake, Annotations to An Apology for the Bible by R. Watson (1798)

»Was ich damit sagen will, ist, dass die Massenmedien und die Entwicklung des Verkehrswesens es uns unmöglich machen, uns als getrennte Einheiten, als Nationen, zu betrachten. Ist Ihnen klar, dass ich nur etwa fünf Stunden gebraucht habe, um von San Francisco hierher zu kommen? Es dauert nur zehn Stunden, um von hier nach Vietnam zu gelangen. Die herrschenden Kreise erkennen Kriege nicht einmal mehr an; sie nennen sie ›Polizeiaktionen‹. Sie nennen die Unruhen des vietnamesischen Volkes ›innere Unruhen‹. Was ich damit sagen will, ist, dass der herrschende Kreis die Konsequenzen seines Handelns erkennen und akzeptieren muss. Sie wissen, dass es nur eine Welt gibt, aber sie sind entschlossen, der Logik ihrer Ausbeutung zu folgen.«

Huey P. Newton, »Rede am Boston College« (18. November 1970)

Für Kommunisten gibt es heute keine dringendere Frage2 als die Bewertung der russischen militärischen Sonderoperation (SMO), die nun in ihr zweites Jahr geht. Unsere Antwort bestimmt nicht nur unsere unmittelbare politische Tätigkeit, sondern, was noch entscheidender ist, wie wir die SMO interpretieren, ist unweigerlich eine Frage, wie wir die Struktur der gegenwärtigen Weltordnung interpretieren. Denn wie das Schicksal der Kommunistischen Organisation (KO) gezeigt hat, ist die Frage der SMO einfach eine zugespitzte Form der Imperialismusfrage: Das heißt, was ist das Wesen und der Charakter der heutigen Klassengesellschaft?

Während es innerhalb der kommunistischen Bewegung natürlich eine Vielzahl von Antworten auf diese Frage gibt, können wir für die Zwecke dieser groben Skizze von zwei großen Lagern sprechen: diejenigen, die die SMO in erster Linie als aggressiv und reaktionär ansehen, und jene, die sie in erster Linie als defensiv und (zumindest potenziell) progressiv betrachten. In der deutschen kommunistischen Bewegung lassen sich die KPD (oder zumindest ihre Führung), die MLPD und die KO (kommunistische​.org) dem ersten Lager zuordnen, die DKP, Freidenker und die KO (kommunistische​-organisation​.de) – sowie wir in der Freien Linken Zukunft (FLZ) – dem anderen. Auf der internationalen Bühne ist der bedeutendste Vertreter des ersten Lagers die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE), des zweiten: die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF). Theoretisch neigt das erste Lager dazu, den Krieg als einen zwischenimperialistischen Konflikt um Interessensphären zu interpretieren (zum Beispiel durch die Brille der Theorie der »imperialistischen Pyramide« der KKE). Die theoretische Perspektive des zweiten Lagers in dieser Frage ist vielfältiger, aber ich werde hier argumentieren, dass sie sich implizit oder explizit auf die eine oder andere Form des Multipolarismus stützt. Dieser Begriff ist insofern schwer zu definieren, als es sich dabei weniger um eine Theorie als vielmehr um etwas handelt, das je nach Kontext als Slogan, als Konstellation von Bildern und Suggestionen, als Marke oder als Haltung fungiert.3 Wir können jedoch sagen, dass er die Überzeugung beinhaltet, dass die Welt heute von einem intensiven Kampf zwischen den alten imperialistischen Mächten (die im Allgemeinen als die relativ einheitliche Triade aus Europa und Japan unter der Führung der USA und der NATO verstanden wird) und dem aufstrebenden Globalen Süden (einschließlich Russland) bestimmt wird. Der Kampf des globalen Südens, angeführt von den BRICS, ist in dieser Weltsicht von Natur aus (»objektiv«) fortschrittlich, unabhängig vom kapitalistischen oder sogar offen reaktionären Charakter der Regierungen selbst (einschließlich Modis faschistischem Hindutva-​Regime). In extremeren Formen wird der kapitalistische Charakter Chinas und sogar der russischen Föderation in Frage gestellt.

Keines der beiden Lager hat bisher eine adäquate theoretische Darstellung des modernen Weltsystems oder folglich ein politisches Programm ausgearbeitet, das den Erfordernissen des gegenwärtigen Augenblicks gerecht wird – aus Gründen, die ich in meinem Aufsatz »Imperialismus heute ist Verschwörungspraxis« ausführlicher erläutere. Vereinfacht gesagt, liegt das daran, dass beide von der grundlegenden, fehlerhaften Annahme ausgehen, dass das wichtigste Organisationsprinzip des Kapitals bis heute antagonistische nationale Blöcke sind. Warum solche nationalen Blöcke als das entscheidende Organisationsprinzip des modernen Kapitals angenommen werden sollten, trotz der bedeutenden Veränderungen in der Struktur der globalen Wirtschaftsbeziehungen im letzten Jahrhundert, wird nie begründet, sondern einfach als selbstverständlich vorausgesetzt oder dogmatisch durch die mechanische Anwendung marxistischer Texte vom Anfang des letzten Jahrhunderts oder früher behauptet.

Der Text, der auf diese Weise am meisten missbraucht wurde, ist Lenins Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. In der Tat verstehen beide Lager die heutige Welt nicht, weil sie den Grad der Integration und Koordination auf den höchsten Ebenen der herrschenden Klasse nicht erkennen. Diese wurde durch den Kampf gegen die erste globale Welle der sozialistischen/​kommunistischen Revolution und deren endgültige Niederlage radikal verändert. Viele haben diese theoretische Blindheit mit folgendem Argument begründet oder rationalisiert: Wenn man behauptet, dass alle kapitalistischen Mächte im Wesentlichen unter einer Art kollektiver Führung oder auch nur einer Art Entente Cordiale vereinigt sind, dann ist das ipso facto »Ultra-​Imperialismus«, und Ultra-​Imperialismus war eine Theorie von Kautsky, die von Lenin widerlegt wurde, und deshalb ist sie falsch. Q.E.D.4

Ein solches Manöver reißt Lenins Kritik aus ihrem realen historischen Kontext, entleert ihren Inhalt und kehrt ihre politischen Implikationen geradezu um. Der Ultraimperialismus im Sinne Kautskys bezeichnete eine positive Entwicklung, ein Moment einer sozialdemokratischen reformistischen Fantasie der Entwicklung des Kapitalismus zum Sozialismus. Er argumentierte, dass die Finanzialisierung zu einer immer stärkeren Zusammenarbeit zwischen einer geringeren Anzahl von Kartellen führen würde, wodurch die Ungleichmäßigkeiten und Widersprüche in der Wirtschaft verringert würden – im Gegensatz zu Lenin, der richtig argumentierte, dass die Finanzialisierung diese sogar noch verstärken würde. Es ist auch hervorzuheben, dass Kautskys Idee untrennbar mit der laufenden zeitgenössischen Debatte über das Konzept und die Losung der »Vereinigten Staaten von Europa« verbunden war, die als fortschrittliches Zwischenergebnis der antimonarchischen, bürgerlichen Volksrevolutionen vor allem in den regressivsten europäischen Monarchien Russland, Deutschland und Österreich konzipiert waren.

Formal gesehen ist die direkteste Parallele zu einer solchen Position die (neo)liberale Menschenrechtsinterventionismus-​Position. Sie sieht die Vereinten Nationen oder sogar die NATO als fortschrittliche Kräfte an, die das Recht und die Pflicht hätten, sich über die traditionellen Rechtskonzepte der westfälischen Souveränität hinwegzusetzen. Diese Position spielte zwar eine gewisse nützliche Rolle bei der Rationalisierung des Amoklaufs der NATO nach dem Kalten Krieg durch alle noch verbliebenen Reste eines auch nur teilweise befreiten globalen Territoriums, doch war sie schon bei ihrer ersten Formulierung so sehr mit bösem Willen behaftet und hat sich durch den Zynismus ihrer Anwendung so sehr diskreditiert, dass sie nicht als eine Position betrachtet werden kann, die ein ernsthafter, aufrichtiger Gesprächspartner vertreten könnte. Sie fungiert jetzt weniger als eine aktiv vertretene Ideologie, sondern eher als eine Art Platzhalter, ein bösartiges Grinsen, das auf dem NATO-​Kokon zurückgeblieben ist, aus dem die weltweit herrschende Klasse so gut wie herausgeschlüpft ist. Auf diesen Punkt werden wir weiter unten noch näher eingehen; es genügt, an dieser Stelle festzuhalten, dass dies keine Position ist, die unter Kommunisten oder sogar unter der nicht-​marxistischen Linken noch irgendeinen Stellenwert hat.

Wenn wir jedoch näher auf den politischen Inhalt und nicht auf die oberflächliche Form des Streits zwischen Kautsky und Lenin eingehen, sehen wir, dass die Gefahren, die Lenin in Kautskys Position sah, heute am akutesten vom Multipolarismus ausgehen – und dass in der Tat beide auf einer bemerkenswert parallelen Klassenbasis beruhen. Der sozialdemokratische Revisionismus der Kautskyaner entstand historisch aus dem Interessenkonflikt zwischen dem Kleinbürgertum und den oberen Schichten der Arbeiterklasse beziehungsweise der Arbeiteraristokratie in den imperialistischen Ländern. Beide der herrschenden Kapitalistenklasse untergeordnete Klassen fühlen sich von dem revolutionären Potenzial der Arbeiterklasse und der Aussicht auf den Kommunismus, die sie bietet, angezogen. Sie haben jedoch auch Angst vor dieser Klasse – Angst, ihre mageren Privilegien zu verlieren und selbst in diese Klasse abzurutschen, Angst, von der herrschenden Klasse dafür bestraft zu werden, dass sie sich mit ihr verbündet, Angst, in ihrer relativen Bequemlichkeit, vor der Zerrüttung und Unbeständigkeit der Revolution selbst, selbst wenn sie langfristig von ihr profitieren würden. Sie haben Angst, dass die Arbeiterklasse letztendlich nicht gewinnen wird.

Infolgedessen neigen diese Klassen zur Revision oder Pervertierung des Marxismus als der schlichtweg wissenschaftlichsten und klarsten Formulierung der Perspektive und des Programms der Arbeiterklasse (nämlich des revolutionären Kommunismus). Diese Tendenz wird natürlich von der herrschenden Klasse selbst mit großer Energie und Mühe kultiviert. Die besondere Stärke dieser Tendenz in den imperialen Kernländern ergab sich aus der Fähigkeit der herrschenden Klasse, die imperialen Superprofite zu diesem Zweck einzusetzen. Die Kautskyianer, gestern wie heute, versuchen daher natürlich den Imperialismus zu beschönigen, zu rationalisieren oder zumindest dessen Umsturz hinauszuzögern. Zu diesem Zweck lehnen sie die von Lenin vorgelegte materialistische Analyse ab, die zeigt, dass der Imperialismus eine unvermeidliche und unausrottbare Folge der Finanzialisierung und Monopolisierung ist. Wie Lenin über Kautskys Theorie des Ultraimperialismus schrieb:

Wesentlich ist, daß Kautsky die Politik des Imperialismus von seiner Ökonomik trennt, indem er von Annexionen als der vom Finanzkapital ›bevorzugten‹ Politik spricht und ihr eine angeblich mögliche andere bürgerliche Politik auf derselben Basis des Finanzkapitals entgegenstellt. Es kommt so heraus, als ob die Monopole in der Wirtschaft vereinbar wären mit einem nicht monopolistischen, nicht gewalttätigen, nicht annexionistischen Vorgehen in der Politik. Als ob die territoriale Aufteilung der Welt, die gerade in der Epoche des Finanzkapitals beendet wurde und die die Grundlage für die Eigenart der jetzigen Formen des Wettkampfs zwischen den kapitalistischen Großstaaten bildet, vereinbar wäre mit einer nicht imperialistischen Politik. Das Resultat ist eine Vertuschung. eine Abstumpfung der fundamentalsten Widersprüche des jüngsten Stadiums des Kapitalismus statt einer Enthüllung ihrer Tiefe, das Resultat ist bürgerlicher Reformismus statt Marxismus.5

Auf diese Weise wird die Arbeiterklasse von der direkten revolutionären Konfrontation mit der imperialistischen Ordnung abgehalten und zu der Annahme verleitet, dass der Imperialismus eine mögliche Politik der Bourgeoisie neben anderen ist, die mit reformistischen Mitteln innerhalb des Kapitalismus behoben werden kann. Schlimmer noch, wie Lenin feststellt, ermöglichte dies die absurde Vorstellung, der Imperialismus sei fortschrittlich oder könne es zumindest sein. Auf diese Weise wird die Arbeiterklasse dazu verleitet, sich zum Spielball des Kleinbürgertums in dessen parlamentarischem Kampf um mehr Privilegien zu machen und sich von ihrem eigenen, revolutionären und internationalistischen Programm zu entfernen. Dazu Lenin im 9. Kapitel seiner Imperialismusschrift:

[…] der objektive, d. h. wirkliche soziale Sinn seiner ›Theorie‹ ist einzig und allein der: eine höchst reaktionäre Vertröstung der Massen auf die Möglichkeit eines dauernden Friedens im Kapitalismus, indem man die Aufmerksamkeit von den akuten Widersprüchen und akuten Problemen der Gegenwart ablenkt auf die verlogenen Perspektiven irgendeines angeblich neuen künftigen ›Ultraimperialismus‹. Betrug an den Massen und sonst absolut nichts ist der Inhalt von Kautskys ›marxistischer‹ Theorie.

Man hofft, dass die Parallelen zur Position der Multipolaristen jetzt langsam klar werden. Wir werden aber versuchen sie ausdrücklich aufzuzeigen. Der Multipolarismus entspringt und zieht vor allem zwei Klassen an, die sich zwar in wichtigen Punkten unterscheiden, sich aber objektiv6 annähern: Die eine ist die aufstrebende, kompradorische7 Mittelklasse des Südens, an die ein Teil der Privilegien, die einst an das imperiale Kleinbürgertum und die Arbeiteraristokratie vergeben wurden, in einer Art rationaler Umstrukturierung umverteilt wird. Mit dieser mulitpolaristischen Ideologie wird ihre Rolle rationalisiert. Sie bietet ihnen ein Instrument, mit dem sie ihre eigenen Arbeiter mit nationalistischen Fantasien von wiedergewonnener Würde und der vagen Aussicht auf einen eventuellen Sozialismus zu einem unbestimmten Zeitpunkt in der Zukunft besänftigen können. Die andere Klasse, die vom Multipolarismus angezogen wird, sind genau jene nach unten mobilen Mittelschichten des (bald ehemaligen) imperialen Kerns, deren Privilegien umverteilt werden.8 Wie ich in »Imperialism Today is Conspiracy Praxis« argumentiert habe, beinhaltet die Entwicklung, die Samir Amin als Übergang vom imperialistischen Monopolkapitalismus zum generalisierten Monopolkapitalismus oder Huey P. Newton als das Aufkommen des reaktionären Interkommunalismus bezeichnete, einen Prozess, in dessen Verlauf die herrschenden Klassen der USA (und ihrer Verbündeten) mit der Errichtung der absoluten Diktatur über die gesamte kapitalistische Welt eine radikale Umgestaltung erfuhren. Wie Newton bereits Ende der 1960er Jahre argumentierte:

Mit Hilfe der dialektisch-​materialistischen Methode erkannten wir in der Black Panther Party, dass die Vereinigten Staaten nicht länger eine Nation waren. Sie waren etwas anderes; sie waren mehr als eine Nation. Sie hatten nicht nur ihre territorialen Grenzen erweitert, sondern auch ihre gesamte Kontrolle. Wir nannten sie ein Imperium. Es gab einmal ein Reich in der Welt, in dem die Herrschaftsbedingungen anders waren – das Römische Reich. Der Unterschied zwischen dem Römischen Reich und dem Amerikanischen Reich besteht darin, dass andere Nationen außerhalb des Römischen Reiches und unabhängig davon existieren konnten, weil ihre Möglichkeiten zur Erforschung, Eroberung und Kontrolle relativ begrenzt waren.

Aber wenn wir heute von einem Imperium sprechen, meinen wir genau das, was wir sagen. Ein Imperium ist ein Nationalstaat, der sich in eine Macht verwandelt hat, die alle Länder und Menschen der Welt kontrolliert.

Wir glauben, dass es keine Kolonien oder Neokolonien mehr gibt. Wenn ein Volk kolonisiert ist, muss es möglich sein, dass es sich dekolonisiert und wieder zu dem wird, was es früher war. Aber was passiert, wenn die Rohstoffe abgebaut und die Arbeitskräfte in einem über den ganzen Globus verstreuten Gebiet ausgebeutet werden? Wenn die Reichtümer der ganzen Erde ausgebeutet werden, um eine gigantische Industriemaschine in der Heimat des Imperialisten zu speisen? Dann sind die Menschen und die Wirtschaft so sehr in das imperialistische Imperium integriert, dass es unmöglich ist, sich zu ›entkolonialisieren‹, zu den früheren Existenzbedingungen zurückzukehren.

Wenn Kolonien sich nicht ›entkolonialisieren‹ und zu ihrer ursprünglichen Existenz als Nationen zurückkehren können, dann gibt es keine Nationen mehr. Und da es Nationen geben muss, damit ein revolutionärer Nationalismus oder Internationalismus einen Sinn hat, haben wir beschlossen, dass wir uns einen neuen Namen geben müssen.

Wir sagen, dass die Welt heute eine verstreute Ansammlung von Communities ist. Eine Community ist etwas anderes als eine Nation. Eine Community ist eine kleine Einheit mit einer umfassenden Sammlung von Institutionen, die der Existenz einer kleinen Gruppe von Menschen dienen. Und wir sagen weiter, dass der Kampf in der Welt heute zwischen dem kleinen Kreis, der das Imperium der Vereinigten Staaten verwaltet und davon profitiert, und den Völkern der Welt, die ihr eigenes Schicksal bestimmen wollen, stattfindet.

Wir nennen diese Situation Interkommunalismus. Wir befinden uns heute im Zeitalter des reaktionären Interkommunalismus, in dem ein herrschender Kreis, eine kleine Gruppe von Menschen, alle anderen Menschen mit Hilfe ihrer Technologie kontrolliert.9

Newton vertrat die Ansicht, dass die USA mit ihrer Umwandlung in ein solches Imperium die Existenzbedingungen für Nationalität auf globaler Ebene abgeschafft haben:

»[…] Nationen nicht länger geben kann, da sie die Kriterien nationaler Souveränität nicht erfüllen. Ihre Selbstbestimmung, ihre ökonomische wie ihre kulturelle Selbstbestimmung wurde von den Imperialisten und dem herrschenden Kreis transformiert. Sie sind nicht länger Nationen. Wir erkannten, dass wir, um Internationalisten zu sein auch Nationalisten sein müssten, oder wenigstens die nationale Souveränität anerkennen. Internationalismus bedeutet, wenn ich das Wort verstanden habe, die wechselseitigen Beziehungen zwischen einer Gruppe von Nationen. Aber da es keine Nation gibt, und da die Vereinigten Staaten faktisch ein Empire sind, ist es uns unmöglich, Internationalisten zu sein. Diese Transformationen und Phänomene erfordern, dass wir uns ›Interkommunalisten‹ nennen, denn die Nationen wurden in Communities der Welt verwandelt. Die Black Panther Party verwirft heute den Internationalismus und unterstützt den Interkommunalismus.

Marx und Lenin spürten, aufgrund der Informationen, die sie hatten, dass der Nicht-​Staat, sollte er schließlich Realität werden, vom Volk und vom Kommunismus verursacht oder eingeleitet werden würde. Eine seltsame Sache geschah. Der herrschende reaktionäre Kreis transformierte die Welt, folgerichtig als Imperialisten in das, was wir ›reaktionären Interkommunalismus‹ nennen. Sie belagerten alle Communities der Welt, sie dominierten die Institutionen in einem Ausmaß, dass die Institutionen den Leuten in ihrem eigenen Land nicht dienlich waren. Die Black Panther Party möchte diese Entwicklung umkehren und die Völker der Welt ins Zeitalter des ›Revolutionären Interkommunalismus‹ führen. Dies wird die Zeit sein, da die Leute die Produktionsmittel an sich gebracht haben und den Reichtum und die Technologie auf egalitäre Art an die vielen Communities der Welt verteilen.

Wir sehen sehr wenige Unterschiede zwischen dem, was einer Community hier in den Vereinigten Staaten zustößt und dem, was mit einer Community in Vietnam geschieht. Wir sehen sehr wenige Unterschiede, selbst kulturell, zwischen dem, was einer chinesischen Community in San Francisco und einer chinesischen Community in Hong Kong passiert. Wir sehen sehr wenige Unterschiede zwischen dem, was einer schwarzen Community in Harlem und was einer schwarzen Community in Südamerika zustößt, einer schwarzen Community in Angola und einer in Mosambik. Wir sehen sehr wenige Unterschiede.

Was also tatsächlich passierte, ist, dass der Nicht-​Staat bereits erreicht wurde, aber er ist reaktionär.«10

Wie ich in »Imperialism Today is Conspiracy Praxis« darlege, war diese Entwicklung – der letztendliche Aufstieg der höchsten Ebenen der amerikanischen herrschenden Klasse11 – gerade aufgrund der Wirklichkeit des real existierenden Sozialismus selbst möglich. Dies war die von Lenin nicht in Betracht gezogene Möglichkeit, als er theoretisch die Möglichkeit12 jeglicher Art von dauerhafter Einheit oder Frieden zwischen den kapitalistisch-​imperialistischen Nationen ablehnte: dass die existenzielle Bedrohung, die von einer anhaltenden, teilweisen Teilung der Welt in ein sozialistisches und ein kapitalistisches Lager ausgeht, die Bedingungen schaffen würde, unter denen eine echte »ultraimperialistische« – oder, in Amins Worten, »kollektiv-​imperialistische« – Einheit geschmiedet werden könnte. Viele erkennen Aspekte dieses Wandels an, übersehen aber seine Auswirkungen auf die Zusammensetzung dieser herrschenden Klasse selbst: Obwohl sie offensichtlich überwiegend in den USA verwurzelt ist, übersteigt der Charakter einer solchen die Welt beherrschenden Klasse notwendigerweise ihre nationale Begrenzung. Diese Vorhut der Vorhut der herrschenden Klasse hat, wie Molly Klein betont hat, nach dem Zweiten Weltkrieg praktisch alle besiegten faschistischen Kräfte wieder eingesetzt, allerdings mit neuen, entscheidenden Hebeln der Kontrolle über sie, z. B. die militärische Besetzung Deutschlands, den M‑Fonds und die Abrüstung in Japan. Als die UdSSR zurückerobert wurde, wurde die neue Wlassowitische »Russische Föderation« geschaffen, um sicherzustellen, dass sich keine wirklich autonome nationale Führung herausbilden konnte. Die stets sentimentalen Kleinbürger verkennen immer wieder, dass die herrschende Klasse keine nationalistischen Gefühle hat. Da die herrschende Klasse der USA den gesamten Globus kontrolliert, wird sie natürlich durch das offizielle Rechtsgebiet ihrer nominellen Regierung definiert.

Auch hatte und hat sie keinerlei sentimentale Bindungen an die amerikanische Bevölkerung – daher Newtons kluger Hinweis auf die grundlegenden Parallelen zwischen der amerikanischen Aufstandsbekämpfung im In- und Ausland. Es gibt in der Tat zwingende Beweise dafür, dass sich dieser herrschende Kreis spätestens in den 1990er Jahren dazu entschlossen hatte, sich von den Verpflichtungen und Verbindlichkeiten zu trennen, die mit der Existenz der »Vereinigten Staaten« selbst verbunden waren und die vor allem in einer großen und potenziell widerspenstigen Arbeiteraristokratie zum Ausdruck kamen. Die politischen, militärischen und finanziellen Vorarbeiten für diese kontrollierte Zerstörung lassen sich leicht erkennen, bevor sie mit den Anschlägen vom 11. September sozusagen formell angekündigt wurde.

Doch viele selbsternannte Marxisten können hier ihre nationalistischen Scheuklappen einfach nicht überwinden. Einerseits sehen sie, wie die imperialen herrschenden Klassen bereits mit dem Programm des Neoliberalismus daran arbeiten, »ihre eigenen« Arbeiteraristokratien zu degradieren, zum Teil durch die selektive Ausbreitung noch marginalerer »Privilegien« im Ausland. Dennoch weigern sie sich, darüber nachzudenken, dass die »amerikanische« oder »deutsche« herrschende Klasse die Amerikaner und Deutschen in Wirklichkeit genauso verachtet wie die Unterdrückten der Erde, die sie bereits gejagt, ausgeplündert und versklavt haben. Molly Klein hat aufschlussreich vorgeschlagen, dass zumindest ein Teil der Erklärung eine Art tragischer, perverser Egoismus ist: dass das Brustklopfen einer bestimmten Klasse darüber, wie furchtbar privilegiert sie ist, eine zutiefst naive Überschätzung ihrer eigenen Bedeutung und ihres Wertes in den Augen der Herrschenden verdeckt.

Doch die herrschende Klasse, die aus dem Kalten Krieg hervorging, war und ist, auch wenn sie von den USA angeführt wurde, wahrhaft global.13 Sie putschte nicht einfach im Ausland, sondern ermordete »ihren« Präsidenten. Sie führten eine Aufstandsbekämpfung gegen den einheimischen Widerstand, insbesondere gegen die Panther, aber auch gegen ihre Verbündeten, unter anderem gerade die Kinder der weißen Arbeiteraristokratie. Dabei gingen sie mit ähnlichen Techniken, ja oft mit denselben Kräften vor, die sie in Asien, Afrika und Südamerika einsetzten. Und sie haben die neoliberale Umstrukturierung sogar »ihren eigenen«, angeblich so geschätzten weißen Arbeiterklassen aufgezwungen. Entscheidend ist hier, dass »Weißsein« materiell verstanden wird, als eine bestimmte Technologie der Klassenherrschaft mit einer spezifischen Geschichte und Grenzen – nicht als unveränderliche Realität.

An dieser Stelle sei auf eine weitere bemerkenswerte Übereinstimmung in der Praxis der herrschenden Klasse hingewiesen, die sich in einer besonderen Dissonanz im Verständnis so vieler sogenannter Marxisten widerspiegelt. Gerade diejenigen, die sich geopolitisch oft mit dem Programm des Multipolarismus identifizieren, gehören zu denjenigen, die innenpolitisch am schnellsten alle Formen der sogenannten »Identitätspolitik« ablehnen. Sie erkennen leicht, wie die herrschende Klasse auf die radikalen Kämpfe für Rassen‑, Geschlechter- und sexuelle Befreiung im Kern mit ausgeklügelten Programmen von Kooptationen und Zugeständnissen reagieren musste, indem sie Spielfiguren mobilisierte, wo immer es möglich war. Doch sie übersehen, dass sich genau dieselbe Dynamik auf der Weltbühne abspielt: Das Imperium konnte die enorme Energie des aufstrebenden Südens nicht einfach vollständig auslöschen und bemühte sich daher um eine symbolische Aufwertung, die auf einer Art rassifiziertem faschistischem Pseudokollektivismus beruhte. Anstelle von Lohngleichheit zwischen den Geschlechtern ein paar mehr weibliche Vorstandsvorsitzende; anstelle des globalen Kommunismus mehr chinesische Unternehmen in den Fortune 500.

Ironischerweise verfallen die Multipolaristen und die liberalen Weckrufer, mit denen sie sich häufig zusammentun, einem gemeinsamen Fehler: Sie unterschätzen die Kompetenz und den Verstand der herrschenden Klasse14 und fallen auf die Siege der herrschenden Klasse herein, die ihnen als ihre eigenen verkauft werden. Wir müssen uns hier kurz mit der ebenso irrigen, gegensätzlichen Art des Irrtums befassen, den Gramsci als »den Glauben, dass alles, was existiert, eine ›Falle‹ ist, die von den Starken für die Schwachen, von den Gerissenen für die geistig Armen gestellt wird« beschreibt.15 Dies ist charakteristisch für diejenigen, die jede Entwicklung als reine Emanation des Willens einer allmächtigen herrschenden Klasse, jeden Sieg als verkappte satanische List betrachten. Siehe contra Multipolarismus, diejenigen, die einen Klaus-​Schwab-​WEF-​Klimakommunismus sehen, der die armen edlen Führer des Westens korrumpiert; contra liberalen Wokeism, die Rassen- und Gender-​Chauvinisten, die versuchen, die enormen Beiträge zum Marxismus, die insbesondere durch die Gender‑, Sexual- und Rassenkämpfe des letzten Jahrhunderts geleistet wurden, ungeschehen zu machen, zum Beispiel Jacobin. Dabei muss immer wieder daran erinnert werden, wie Marx betonte: »Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.«16 Die »wache« Aneignung fortschrittlicher Sozialpolitik durch die herrschende Klasse bedeutet nicht, dass diese Politik der wirkliche geheime Wunsch der herrschenden Klasse ist – im Gegenteil, es sind minimale Zugeständnisse, die die herrschende Klasse an den ununterdrückbaren revolutionären Kampf der betreffenden unterdrückten Klassen machen musste – obwohl die herrschende Klasse natürlich alles in ihrer Macht Stehende tut, um solche Zugeständnisse zu verzerren oder sogar ihren politischen Inhalt zu verkehren, wenn es möglich ist. Der gegenwärtige spektakuläre, gesteuerte, betrügerische »Aufstieg des Südens« ist das Beste, was die herrschende Klasse aus den bedeutenden Kräften machen konnte, die durch den ersten Zyklus des revolutionären Kommunismus-​Sozialismus-​Antiimperialismus-​Antifaschismus, der durch die Oktoberrevolution ausgelöst wurde, in Bewegung gesetzt wurden. Die Rolle der liberalen oder sozialdemokratischen reformistischen Kräfte im Inland und der multipolaren Kräfte in der Welt wird durch Newtons Analyse der »zugelassenen Wortführer« gut charakterisiert. Diese werden von der herrschenden Klasse zwischen den unterdrückten Massen und den revolutionären Kräften oder – in Newtons Worten – den »Unerbittlichen«, die sie ansonsten organisieren könnten, eingesetzt:

[…] der Unterdrücker zieht es immer vor, sich mit den weniger radikalen, das heißt weniger gefährlichen Wortführern seiner Untertanen auseinanderzusetzen. Er würde es vorziehen, wenn seine Untertanen überhaupt keine Wortführer hätten – oder besser noch, wenn er selbst für sie sprechen würde. Da ihm dies praktisch nicht möglich ist, tut er das Naheliegendste und unterstützt Sprecher, die ihm erlauben, durch sie zu den Massen zu sprechen. Zu seinen obersten Geboten gehört es, dafür zu sorgen, dass unversöhnliche Wortführer niemals ihre Botschaft an die Massen weitergeben dürfen. Es wird ihnen niemals erlaubt, ihre Botschaft an die Massen zu übermitteln. Ihr Unterdrücker wird zu allen notwendigen Mitteln greifen, um die Unversöhnlichen zum Schweigen zu bringen.

Der Unterdrücker, die unterstützten Sprecher und die Unerbittlichen bilden die drei Punkte eines Dreiecks des Todes. Der Unterdrücker betrachtet die zugelassenen Wortführer [endorsed spokesmen] als ein Werkzeug, das er gegen die Unversöhnlichen einsetzt, um sie innerhalb der akzeptablen Grenzen der Taktik, die er in der Lage ist, einzuschränken, passiv zu halten. Die zugelassenen Sprecher betrachten den Unterdrücker als Schutzengel, auf den man sich immer verlassen kann, um sie vor dem Zorn der Unerbittlichen zu schützen, während er die Unerbittlichen als gefährliche und unverantwortliche Verrückte ansieht, die, wenn sie den Unterdrücker verärgern, mit Sicherheit ein Blutbad auslösen werden, in dem sie selbst untergehen könnten. Der Unerbittliche sieht sowohl die Unterdrücker als auch die zugelassenen Wortführer als seine Todfeinde an. Wenn überhaupt, dann hasst er die zugelassenen Führer mehr als den Unterdrücker selbst, denn die Unerbittlichen wissen, dass sie erst dann mit dem Unterdrücker fertig werden können, wenn sie die zugelassenen Wortführer von der Bildfläche vertrieben haben.17

Seit der totalen Rückeroberung und Versklavung der ehemals sozialistischen Welt hat die imperialistische herrschende Klasse ein Zugeständnis nach dem anderen aufgesammelt, das sie unter den vom real existierenden Sozialismus-​Kommunismus erzwungenen Bedingungen gemacht hatte. Im Ausland bedeutete dies die Zerschlagung der Konstellation der nationalistischen antikolonialen und der damit verbundenen Regime der Dritten Welt – das globale Überbleibsel von Bandung. Im Inland bedeutete dies die vollständige Zerstörung des sozialdemokratischen Kompromisses. Auch hier kann man hoffentlich die grundlegende Einheit und Wechselbeziehung erkennen – beide stellten einfach die Möglichkeiten »innerhalb« des Kapitalismus dar, die durch die gewaltige Verwerfung in der Raum-​Zeit der politischen Realität durch den roten Überriesen des revolutionären Sozialismus-​Kommunismus entstanden.

Bereits mit dem neoliberalen Angriff machte die imperialistische herrschende Klasse deutlich, dass sie nicht die Absicht hatte, die teure und aufmüpfige westliche Arbeiteraristokratie aufrechtzuerhalten. Und dieser Angriff wurde in der Tat teilweise durch die Niederlage der globalen Vorhut des Sozialismus, die Zerschlagung der Kulturrevolution und die Wiederversklavung Chinas ermöglicht, wodurch Ostasien zu einer sicheren und lebensfähigen Operationsbasis für ein gestrafftes System wurde. Parallel zu diesem Programm kann man bereits sehen, wie die herrschende Klasse hart daran arbeitet, die Kapazitäten und ideologischen Rechtfertigungen zu entwickeln, um die extrem schwierige politische, aber für sie mögliche und notwendige Agenda durchzuziehen, die sich aus ihrer Verfasstheit als Klasse ergibt. Zuerst der »Überbevölkerungs«-Diskurs des Club of Rome, gefolgt vom Klimawandel und wohl am effektivsten unter dem Banner der Pandemie.

Diese Praxis unterscheidet sich natürlich nicht sehr von der des Nazismus 1.0: Plünderung, Versklavung und Genozid. Es ist vielleicht nicht überraschend, dass Newton die Form der gegenwärtigen Ordnung so scharf und vorausschauend erfassen konnte, denn schwarze Amerikaner standen am Rande dieses imperialen Programms. Wie er bereits in den 70er Jahren feststellte:

Man schätzt, dass in zehn Jahren nur noch ein kleiner Prozentsatz der heutigen Arbeitskräfte für den Betrieb der Industrien benötigt wird. Was wird dann mit dem Arbeiter geschehen, der heute vier Dollar pro Stunde verdient? Die Arbeiterklasse wird sich verkleinern, die Klasse der Beschäftigungslosen wird wachsen, weil immer mehr Fähigkeiten benötigt werden, um die Maschinen zu bedienen und immer weniger Menschen. Und wenn diese Menschen arbeitslos werden, werden sie sich immer mehr entfremden; selbst sozialistische Kompromisse werden nicht ausreichen. Es wird dann zu einer Integration zwischen dem schwarzen Arbeitslosen und dem weißen rassistischen Hartgesottenen kommen, der nicht regulär beschäftigt ist und wütend auf die Schwarzen ist, von denen er glaubt, dass sie seinen Arbeitsplatz bedrohen.18

Die Existenz der schwarzen Bevölkerung in Amerika nach der Abschaffung der Sklaverei hat die herrschende Klasse ebenso wie die der Palästinenser nach dem Ersten Weltkrieg vor ein besonderes Problem gestellt. Sie schwankte zwischen einer Politik der Superausbeutung ihrer Arbeitskraft (mit der gefährlichen Konsequenz, dass sie Möglichkeiten für ihre Selbstorganisation als Klasse schuf) und ihrer Behandlung als Reservearmee von Arbeitskräften, die im Extremfall zum Völkermord tendierte. Die letztgenannte Tendenz war in der Zeit von Newtons Analyse dominant geworden, vielleicht gerade weil die schwarze Bevölkerung Amerikas mehr als jede andere das dialektische Gegenstück von Amerikas globaler Präsenz verkörpert: »Amerika« mag überall in der »Dritten Welt« sein und die Befreiung unterdrücken; aber die »Dritte Welt« ist überall in Amerika, leistet Widerstand und untergräbt die herrschende Klasse beharrlich auf Schritt und Tritt. Im von Schwarzen angeführten Attica-​Gefängnisaufstand von 1971 forderten sie Mao Zedong auf, sie bei den Verhandlungen mit den Behörden zu vertreten.19 Selbst in der aktuellen Verallgemeinerung der Opioid-​Krise sehen wir, wie Techniken der Bevölkerungskontrolle und des Völkermords, die von der herrschenden Klasse im Labor des Ghettos entwickelt wurden, zunehmend gegen die einst angeblich Privilegierten eingesetzt werden.

Das liegt daran, dass aufgrund der extremen Konzentration der derzeitigen herrschenden Klasse praktisch die gesamte Weltbevölkerung für sie offensichtlich ein Problem darstellt. Es ist offenkundig, dass eine der obersten Prioritäten der herrschenden Klasse darin besteht, die ehemalige Arbeiteraristokratie und die Mittelschichten dramatisch zu schrumpfen und zu degradieren. Auch Newton hat die Grundlagen ihrer Entmachtung bereits vorausgesehen:

Der Begriff der schwarzen Bourgeoisie ist so etwas wie eine Illusion. Es ist eine Fantasie-​Bourgeoisie, und das gilt auch für den größten Teil der weißen Bourgeoisie. Selbst in der weißen Mittelschicht gibt es nur sehr wenige Kontrolleure. Sie können sich gerade so über Wasser halten, sie zahlen alle Rechnungen, leben von der Hand in den Mund und haben zusätzlich den Aufwand des sich Weigerns, wie die Schwarzen zu leben. Sie kontrollieren also nicht wirklich etwas, sondern sie werden kontrolliert. Ebenso kann ich nicht erkennen, dass sich die schwarze Bourgeoisie von anderen Ausgebeuteten unterscheidet. Sie leben in einer Fantasiewelt. Die Hauptaufgabe besteht darin, ihnen ein Bewusstsein zu vermitteln und sie auf ihre wirklichen Interessen hinzuweisen, ihre objektiven und wahren Interessen.20

Samir Amin merkte irgendwo an, dass die nationalistische, fortschrittliche Bourgeoisie der Dritten Welt und die Kompradorenbourgeoisie nicht zwei getrennte Klassen sind, sondern zwei Tendenzen innerhalb ein und derselben Klasse. Die erste Tendenz kann nur durch ein Projekt verwirklicht werden, das von den Volksklassen – den Arbeitern, Bauern und dem Lumpenproletariat – vorangetrieben wird.

Die westliche Arbeiteraristokratie, das Kleinbürgertum und sogar die unteren Ränge der Bourgeoisie selbst sind für die derzeitige Vorhut der herrschenden Klasse offensichtlich überflüssig. Diese Schichten soll degradiert, ausgeplündert und zu einem großen Teil ausgerottet werden. Wohin sollte sich die imperialistische herrschende Klasse wenden, nachdem sie die gesamte dritte und zweite Welt ausgeplündert und versklavt hat? Diese Frage ist an und für sich eine wichtige logische Überlegung, die von den Multipolaristen einfach ignoriert wird: Was sind die lebensfähigsten Perspektiven für die »westlichen« herrschenden Klassen? Welche politisch-​ökonomisch-​programmatische Investition ihrer Energie könnte ihnen den größten Nutzen – und zwar einen, über den sie derzeit noch nicht verfügen – verschaffen? Und wie könnte die größte Bedrohung für ihre Macht in der gegenwärtigen Situation beseitigt werden? Die Idee einer »farbigen Revolution»21 in China oder Russland ist in den alternativen Medien sehr beliebt, doch die konkrete Realität, wie diese aussehen könnte, wird nur selten skizziert. Das liegt möglicherweise daran, dass dies die nackte Tatsache offenbart, dass es praktisch unmöglich ist, sich unter den real existierenden gegenwärtigen Umständen ein Arrangement vorzustellen, in dem die Arbeitskraft und die Ressourcen Russlands und Chinas auf politisch vertretbare Weise optimaler ausgebeutet werden könnten, als es derzeit der Fall ist. Man muss sich in Erinnerung rufen, dass diese Bedingungen der politischen Vertretbarkeit durch die realen historischen Erfahrungen des Sozialismus begrenzt sind! In beiden Staaten ist eine substanzielle Legitimität des Volkes eine politische Notwendigkeit; in beiden beruht ein Großteil davon genau auf der Fähigkeit der herrschenden Klasse, sich als oppositionelle Kraft zum Westen zu präsentieren.

Eine kurze Bemerkung zur Führung der angeblich aufstrebenden multipolaren Welt ist hier angebracht. In den späten 1990er-​Jahren sahen wir, wie ein Standardregime vom Typ »farbige Revolution« in Russland aussehen könnte. Aber wir sollten auch beachten, dass diese Ordnung unglaublich instabil war. Zwischen der Beinahe-​Wahl von Sjuganow und der Rubelkrise wurde klar, dass die weltweit herrschende Klasse in Russland zu weit gegangen war und zu raubgierig war. Sie riskierte die Rückkehr des Sozialismus. Unter diesen Bedingungen mussten Zugeständnisse gemacht und ein zuverlässiger Agent eingesetzt werden, der die fortgesetzte Unterordnung der Russen unter ihre fortgesetzte Ausplünderung und Ausbeutung gewährleisten konnte: Wladimir Putin. Da diese offensichtliche Tatsache immer noch so vielen entgeht, sei an dieser Stelle erwähnt, dass Putin als Bürgermeister von St. Petersburg 1993 deutschen Wirtschaftsvertretern ausdrücklich versicherte, dass »politische« Gewalt, die die Marktbedingungen untergräbt, kriminell sei, während Gewalt, die private Investitionen schützt, »notwendig« sei. Er betonte ferner, dass er die Einführung einer Diktatur ähnlich der Pinochets durch Jelzin unterstütze, um die aktuellen politischen Probleme Russlands zu lösen.22 Ist es nicht denkbar, dass eine raffiniertere Lösung gefunden wurde, bei der Putin Teil des Programms ist? Wenn Jelzin Clinton bezüglich seines handverlesenen Nachfolgers versicherte: »Ich bin sicher, dass Sie in ihm einen hochqualifizierten Partner finden werden«, sollten wir dann so vorschnell an ihm zweifeln?23 Jenseits des Urals muss die kapitalistische Gutgläubigkeit von Xi Jingping, wie die seines Vaters vor ihm, kaum näher erläutert werden. Erklärungsbedürftig ist vielmehr die Kehrtwende in Bezug auf China, die so viele kommunistische Parteien mit wenig oder gar keiner expliziten, formellen Debatte vollzogen haben. Wie ein bizarres Gedächtnisimplantat ist die allgemeine Anerkennung der absoluten Perfidie des kapitalistischen Regimes irgendwie hineingeschmolzen. Ein Regime, das mit der Unterstützung von Nixon und Kissinger in China installiert wurde, das die Arbeiter entwaffnete, die roten Bäuerinnen für ihre Führungsrolle in der Großen Proletarischen Kulturrevolution mit der faschistischen Ein-​Kind-​Politik brutal bestrafte und die berüchtigtsten konterrevolutionären Kräfte im Ausland unterstützte.24

Verlassen wir für einen Moment die Comicbuch-​Götterdämmerung zwischen Nationen oder nationalen Blöcken und betrachten wir, dass wir in einer Welt mit einer herrschenden Klasse leben, die so klein, integriert und mächtig ist, dass die Geschichte nicht einmal die entferntesten Parallelen oder Präzedenzfälle bietet. Es handelt sich um eine herrschende Vorhut, die insbesondere aus der massiven Ermächtigung der verdecktesten, antidemokratischen Staatsmaschinerie des westlichen Kapitalismus als notwendige Antwort auf die echte, existenzielle Bedrohung durch den Weltkommunismus hervorgegangen ist. Angesichts der schrittweisen Umsetzung des Corona-​Programms unter dem absurdesten und lächerlichsten Vorwand können keine Zweifel an ihrer unglaublichen Koordination und Disziplin aufkommen. Ganz zu schweigen davon, dass der derzeitige, angeblich existenzielle Konflikt in der Ukraine den Handel zwischen den vermeintlichen Todfeinden kaum beeinträchtigt hat und es nicht einmal gelungen ist, den Fluss des russischen Gases durch die Ukraine selbst zu stoppen! An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Lenin nicht die Möglichkeit eines »interimperialistischen« Abkommens an sich ablehnte, sondern nur die Vorstellung, dass es die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden könnte:

›Interimperialistische‹ oder ›ultraimperialistische‹ Bündnisse sind daher in der kapitalistischen Wirklichkeit, und nicht in der banalen Spießerphantasie englischer Pfaffen oder des deutschen ›Marxisten‹ Kautsky, notwendigerweise nur ›Atempausen‹ zwischen Kriegen – gleichviel, in welcher Form diese Bündnisse geschlossen werden, ob in der Form einer imperialistischen Koalition gegen eine andere imperialistische Koalition oder in der Form eines allgemeinen Bündnisses aller imperialistischen Mächte. Friedliche Bündnisse bereiten Kriege vor und wachsen ihrerseits aus Kriegen hervor, bedingen sich gegenseitig, erzeugen einen Wechsel der Formen friedlichen und nicht friedlichen Kampfes auf ein und demselben Boden imperialistischer Zusammenhänge und Wechselbeziehungen der Weltwirtschaft und der Weltpolitik. Der neunmalweise Kautsky aber trennt, um die Arbeiter zu beschwichtigen und sie mit den zur Bourgeoisie übergegangenen Sozialchauvinisten auszusöhnen, ein Glied der einheitlichen Kette von dem anderen, trennt das heutige friedliche (und ultraimperialistische, ja sogar ultra-​ultraimperialistische) Bündnis aller Mächte zur ›Befriedung‹ Chinas (man denke an die Niederwerfung des Boxeraufstands) von dem morgigen nicht friedlichen Konflikt, der übermorgen wiederum ein ›friedliches‹ allgemeines Bündnis zur Aufteilung, sagen wir, der Türkei vorbereitet, usw. usf. Statt des lebendigen Zusammenhangs zwischen den Perioden des imperialistischen Friedens und den Perioden imperialistischer Kriege präsentiert Kautsky den Arbeitern eine tote Abstraktion, um sie mit ihren töten Führern auszusöhnen.25

Natürlich ist diese Kritik ebenso direkt auf den Multipolarismus wie auf den Kautsky’schen Ultraimperialismus anwendbar: Selbst wenn man der Meinung ist, dass die BRICS in ihrem Aufstieg über den Westen nun »objektiv« antiimperialistisch sind, muss man anerkennen, dass ihre monopolkapitalistische Basis unvereinbar ist mit der rosigen Vision eines (wie soll man es sonst nennen?) ultraimperialistischen Friedens, den die Volksrepublik China als ihre Belt-​and-​Road-​Initiative vermarktet. Aber es gibt eine viel tiefgreifendere Frage, die hier gestellt werden muss: Selbst wenn man zugesteht, dass jede Art von »ultra-​imperialistischem« Frieden die inneren Widersprüche des imperialistischen Kapitalismus nicht wirklich lösen, sondern nur unterdrücken oder aufschieben könnte – warum muss man davon ausgehen, dass diese Widersprüche, wenn sie zum Vorschein kommen, die Form von Widersprüchen zwischen Nationen annehmen müssen, vor allem, wenn Nationen in der realen materiellen Zusammensetzung der Weltwirtschaft zu so irrelevanten Hülsen geworden sind? Warum weigern sich so viele Marxisten, auch nur darüber nachzudenken, welche anderen Formen diese Widersprüche annehmen könnten? Eine winzige Klasse sitzt jetzt an der Spitze der riesigen, unbeständigen, widersprüchlichen kapitalistischen Welt, in der jeder zwischenimperialistische Konflikt die Herrschaft jedes Mitglieds dieser äußerst kleinen und integrierten Clique ernsthaft gefährden könnte: Ist es unmöglich, dass sie keine andere Übereinkunft finden könnten? Etwa, dass sie den zwischenimperialistischen Konflikt gegen die sich gegenseitig verstärkende, koordinierte gemeinsame interimperialistische Ausbeutung und den Krieg als notwendige Konsequenz zu deren Erreichung gegen die »eigene« Bevölkerung austauschen könnten? Die dazu notwendige Praxis würde natürlich auf die Selbstabschaffung des Kapitalismus durch das imperialistische Finanzkapital selbst hinauslaufen.26

Als Materialisten und Marxisten27 würden wir dann natürlich fragen, welche politische Praxis dies nach sich ziehen würde, welche realen politischen Hindernisse, Möglichkeiten und Aussichten sich hier ergeben? Als Wegweiser, von wo aus das gegenwärtige Programm wirklich in Gang gekommen zu sein scheint, lohnt es sich, hier ausführlich aus einem bemerkenswert vorausschauenden Artikel zu zitieren, der 1975 in der Zeitschrift Science for the People erschien und in dem die politischen Implikationen der Überbevölkerungshysterie des Club of Rome analysiert wurden:

Die sich verschärfenden Konflikte zwischen den verschiedenen kapitalistischen Interessen machen daher ein Vermittlungsinstrument erforderlich, das sicherstellt, dass die Gesamtinteressen des kapitalistischen Systems gewahrt bleiben. Innerhalb des ›internationalen Rahmens‹ des Club of Rome können ›Staatsmänner, Politiker und Wissenschaftler‹ die allgemeinen Entscheidungen erörtern und formulieren, die ›für die Kapitalisten zu einer Notwendigkeit werden und nicht dem guten Willen und den Vorlieben‹ der ›engen nationalen Interessen‹ überlassen werden sollen. Während jedes große Unternehmen und jede Regierung damit beschäftigt ist, die Politik zu formulieren, die ihren eigenen Interessen am besten dient, muss sich jedes Unternehmen auch bewusst werden, dass eine solche Politik nicht umgesetzt werden kann, wenn sie von den anderen abgelehnt wird. Der Club of Rome scheint sich selbst, zumindest für den Augenblick, zur Vorausplanungsagentur für das kapitalistische System als Ganzes ernannt zu haben.

In den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern, insbesondere in den Vereinigten Staaten, ist der Mythos einer offenen Gesellschaft mit gleichen Aufstiegschancen in einer ständig expandierenden Wirtschaft – mit ›pie in the sky‹ – ein wichtiger Bestandteil einer Ideologie gewesen, die die bestehenden Machtverhältnisse legitimiert. Ideologische Überzeugungsarbeit, die sich in geeigneter Weise mit wirtschaftlicher Zusammenarbeit und gewaltsamer Unterdrückung abwechselt, hat die Akzeptanz des ›amerikanischen Systems‹ durch eine große Mehrheit der Menschen in diesem Land gesichert. Der Erfolg ähnlicher Maßnahmen in anderen Ländern ist trotz kultureller Unterschiede weitgehend durch den Grad ihrer wirtschaftlichen Entwicklung bedingt. So wurde das Auftreten der Demokratie im Kapitalismus durch die Versprechungen ermöglicht, die sich aus einer boomenden, auf dem Imperialismus basierenden Wirtschaft ergaben (mit dem daraus resultierenden Mangel an kapitalistischer Entwicklung und Demokratie in großen Teilen der Welt). Die Annahme, dass die Produktionssteigerung durch technologischen Fortschritt die Verteilungsungleichheiten im Kapitalismus – die eigentliche Grundlage der kapitalistischen Demokratie – lösen würde, hat sich als falsch und irreführend erwiesen. Die Ungleichheiten sind nie verschwunden, auch nicht in den entwickelten Ländern. In diesen Ländern ist das Wirtschaftswachstum zum Stillstand gekommen, mit der Folge, dass die Arbeitslosigkeit in die Höhe schießt und die Reallöhne sinken. Eine Verschlechterung des Lebensstandards der meisten Erwerbstätigen scheint unvermeidlich, was die derzeitige Ideologie immer unglaubwürdiger macht. Da die Argumente für die Grenzen des Wachstums als unabhängig von den sozialen und politischen Systemen dargestellt werden, wird zunehmend versucht, die Menschen davon zu überzeugen, einen niedrigeren Lebensstandard zu akzeptieren und sie gleichzeitig davon zu überzeugen, dass die Probleme des Kapitalismus das unvermeidliche Ergebnis einer jeden Industriegesellschaft sind. Es scheint jedoch unwahrscheinlich, dass sich die meisten Erwerbstätigen durch solche Argumente dazu bewegen lassen, eine kontinuierliche Verschlechterung ihres Lebensstandards zu akzeptieren und ihre Hoffnungen auf einen Aufstieg in einer offenen Gesellschaft aufzugeben. Die wirtschaftliche Flexibilität des Systems und die soziale Unterstützung für dieses System könnten also durchaus schwinden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit von mehr Autorität und Zwang, um eine zunehmend starre und hierarchische Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten. Die Stabilität der neuen Gesellschaftsordnung wird dann davon abhängen, ob es gelingt, zumindest die privilegierteren Teile der arbeitenden Bevölkerung – die Mittelschichten – davon zu überzeugen, dass polizeiliche Repression und andere autoritäre Maßnahmen unvermeidlich sind, um das System zu retten. Obwohl die Argumente der ›Modelle des Untergangs‹ die Armen nicht davon überzeugen werden, diese neue Politik des Kapitalismus zu akzeptieren, können die apokalyptischen Projektionen des Club of Rome nützlich sein, um die entscheidende Unterstützung der Mittelschichten in den entwickelten Ländern für ein autoritäres Regime zu sichern. Dies wird für das Überleben des Kapitalismus – und nicht der Welt – notwendig sein. Natürlich werden bei dem Versuch, die kapitalistische Autorität zu stärken, die Argumente für die Grenzen des Wachstums durch viele andere ideologische und praktische Zutaten ergänzt. Sexismus, Rassismus und andere tief sitzende und weit verbreitete soziale (und religiöse) Vorurteile und Ängste werden auch weiterhin von vorkapitalistischen und kapitalistischen herrschenden Gruppen benutzt werden, um ihre Feinde zu spalten und die Unterstützung derjenigen zu gewinnen, die in der Mitte gefangen sind, mit ambivalenten Interessen und Zugehörigkeiten. Die gegenwärtigen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Unterschiede zwischen und innerhalb der Nationen sind zwar weitgehend das Ergebnis des Imperialismus und der ungleichen kapitalistischen Entwicklung, aber es gibt auch andere wichtige kulturelle Unterschiede. Die Vorschläge für eine Triage können als besonders abscheuliche Versuche angesehen werden, all diese Unterschiede zu nutzen, um die Menschen daran zu hindern, einander und ihre wirklichen Probleme zu verstehen.28

Die quantitative Konzentration der gegenwärtig herrschenden Klasse scheint irgendwann in den späten 1960er oder frühen 1970er Jahren in einen entscheidenden qualitativen Wandel übergegangen zu sein. Es kam zum absoluten Aufstieg einer Clique aus den höchsten Kreisen der Industrie, des Militärs, des Geheimdienstes, der Finanzwelt und des organisierten Verbrechens. Diese Clique war durch den Zweiten Weltkrieg und dann durch den Kalten Krieg zusammengeschweißt worden und wurde durch die notstandsbedingte Aussetzung der demokratischen Institutionen ermächtigt, die mit den genannten Kriegen gerechtfertigt wurde. Es gibt eine Reihe aufschlussreicher Momente, die sich als wichtige Wegweiser für diesen Wandel anbieten:

  1. Die Aufhebung der Konvertierbarkeit des US-​Dollars in Gold, was die absolute Unterordnung von Amerikas triadischen Verbündeten (Europa und Japan) unter die willkürliche Dollar-​Diktatur und in der Tat den ganzen Globus unter die zu ihrer Unterstützung notwendige Militärdiktatur bedeutete;
  1. der Prozess gegen die Viererbande, der das Ende der Kulturrevolution und den Höhepunkt der ersten historischen Welle des Sozialismus-​Kommunismus bedeutete;
  1. man ist sogar versucht, bis ins Jahr 1963 zurückzugehen, bis zur Ermordung von John F. Kennedy, die den Unwillen der herrschenden Klasse der USA und der ganzen Welt signalisiert, auch nur ein Minimum an demokratischem Einfluss der reaktionärsten, chauvinistischsten und willfährigsten Arbeiteraristokratie der Welt zu dulden.
  1. Am bedeutendsten ist aber wohl die Veröffentlichung der Grenzen des Wachstums im Jahr 1972.

Die ersten drei Momente waren sowohl notwendig als auch möglich aufgrund der realen und gegenwärtigen Gefahr einer vollständigen globalen Revolution. Diese manifestierte sich am deutlichsten in der Entkolonialisierung der Dritten Welt, der Kulturrevolution in der Zweiten Welt und den radikalen Protestbewegungen in der Ersten Welt. Angesichts dieser überwältigenden Bedrohung mussten alle Teile der privilegierten Klassen der Welt den Schutz der herrschenden US-​Clique zu deren Bedingungen akzeptieren. In diesem Sinne lässt sich eine direkte Analogie zur Dynamik der faschistischen Diktaturen der Zwischenkriegszeit herstellen. Es wäre daher nicht verfehlt diese Entwicklung im Wesentlichen als Wiederaufleben des Faschismus im globalen Maßstab zu bezeichnen. Es ist daher nur folgerichtig, dass auch die alte Handlangerin der rechtsextremen Reaktion, die Eugenik, wieder auftauchte. In der Tat liegt die Bedeutung des Buches Grenzen des Wachstums für unsere heutige Argumentation darin, dass es uns einen Eindruck von den langfristigen, umfassenden Plänen dieser Klasse vermittelt, die sich hier als Folge ihres gefährlichen Aufstiegs herauskristallisierten.

Mit der Niederlage des Sozialismus-​Kommunismus begann die herrschende Klasse mit der endgültigen Demontage der fortschrittlichen nationalistischen Regime der Dritten Welt und der Sozialdemokratie der Ersten Welt. Beide wurden zuvor als strategische Notwendigkeiten hingenommen. Dies hatte den ironischen Effekt, dass praktisch die gesamte globale Linke seit den 90er Jahren in eine objektiv konservative Position gebracht wurde. Angesichts des weltweiten Blitzkriegs der herrschenden Klasse konnten die geschockten fortschrittlichen Kräfte der Erde kaum mehr tun, als Ad-​hoc-​Überlebensstrategien zu entwickeln und alles zu tun, um sich an diese letzten Refugien zu klammern – sei es geografisch, politisch, sprachlich oder kulturell. Diese Reaktion war natürlich und sie war auch gerechtfertigt, auch wenn sie letztlich scheiterte. Schlimmer noch, als diese Bastionen schrumpften, als ein Kompromiss nach dem anderen geschlossen wurde, als nur noch die schmutzigsten liberalen Schalen auf dem ansonsten vollständig (re)nazifizierten globalen Terrain verstreut blieben, wurde der politische Inhalt zum Spiegel der objektiven Form. Diese funktionell konservative Linke wird durch Marx‹ Beschreibung des feudalen Sozialismus im Manifest vor fast zwei Jahrhunderten sehr gut charakterisiert:

[…] halb Klagelied, halb Pasquill, halb Rückhall der Vergangenheit, halb Dräuen der Zukunft, mitunter die Bourgeoisie ins Herz treffend durch bitteres, geistreich zerreißendes Urteil, stets komisch wirkend durch gänzliche Unfähigkeit, den Gang der modernen Geschichte zu begreifen.29

Man kann sich hier diejenigen vorstellen, deren einzige Verteidigung ihres »politischen Programms« (das immer darauf hinausläuft, den einen oder anderen Avatar des Spektakels der herrschenden Klasse zu bejubeln, sei es Xi, Putin, Lula usw.) darin besteht, die verschiedenen Möglichkeiten aufzuzählen, in denen die herrschende Klasse der USA sogar noch räuberischer oder verkommener ist als ihr derzeitiger Retter. Der gute Bulle, den chinesische Investoren oder russische Söldner im Gegensatz zu ihren bösen NATO-​Kollegen spielen können, wird von einigen so genannten Kommunisten geradezu lächerlich gefeiert, als ob diese Rolle nicht Teil eines integrierten und koordinierten Systems wäre. Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass die »US-​geführte« herrschende Klasse allem Anschein nach seit den 90er Jahren geplant hat, das Gebilde namens USA abzuschaffen (vielleicht gab es diesbezüglich Meinungsverschiedenheiten auf hoher Ebene). Molly Klein hat beobachtet, dass die Trump-​Show besonders deutlich macht, wie ernst diese Option ist. Das liegt zumindest teilweise daran, dass die herrschende Klasse innenpolitisch nicht die Absicht hatte, die sich aufblähende Arbeiteraristokratie zu halten, die als unvermeidliche Folge der politischen Notwendigkeiten des Kalten Krieges entstanden war. Und international war sie bereit, alle unbequemen rhetorischen Verpflichtungen gegenüber Liberalismus, Bürgerrechten oder Demokratie, die mit ihrer Geschichte verbunden sind, über Bord zu werfen. Hier sind wir wieder bei den bemerkenswerten nationalistischen Scheuklappen so vieler Menschen, die unmöglich in Betracht ziehen können, dass dieselbe herrschende Klasse, die beispielsweise »ihr eigenes« Unternehmen in den Abgrund reißt, um ihre wirklichen persönlichen Interessen durchzusetzen, das gleiche mit einem Land tun könnte. Auch nicht, dass ein scheinbarer Misserfolg ein Erfolg sein kann. Siehe zum Beispiel den Irak, wo die ach so schlauen geopolitischen Experten im offensichtlichen Scheitern der USA schwelgen – als ob die derzeitige Anarchie in Westasien nicht das Ziel des amerikanischen Angriffs gewesen wäre, als ob »Scheitern« nicht der politisch praktikabelste Rahmen wäre, in dem die Kernziele der imperialen herrschenden Klasse vorangebracht werden könnten.30 Was genau hätte ein echter amerikanischer Sieg nach Ansicht dieser multipolaren Experten bedeuten sollen? Sind sie wirklich so naiv zu glauben, dass Amerika in der Region eine Musterdemokratie installieren wollte? Aber glauben sie auch, dass es politisch machbar gewesen wäre, eine offene Diktatur zu errichten, zumal angesichts der Vermarktung des Krieges? Im Grunde genommen fallen diese Klugscheißer auf die gleiche lächerliche »stümperhafte Imperiums«-Masche der schlimmsten Liberalen und Trottel der ersten Welt herein. Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet die objektiven Interessen der herrschenden Klasse, die politischen Zwänge, unter denen sie agiert, und ihre tatsächlichen Fähigkeiten, zu planen, zu strategisieren und ihre Ziele zu verfolgen, muss man in der Tat zu dem Schluss kommen, dass die derzeitige Lage im Irak wahrscheinlich sehr nahe an das herankommt, was von den Planern beabsichtigt war.

Da die herrschende Klasse winzig klein ist, kann sie ihren Willen gegenüber den Massen kaum offen aussprechen. Vielmehr muss sie unaufhörlich die Realität verdrehen, ihre eigenen Interessen als unsere ausgeben und unsere als Feind. Sie ist nicht, was sie ist, denn das moderne Telekommunikationsnetz ermöglicht es ihr, wie ein globaler Iago zu agieren und uns endlos in Rauch und Spiegeln zu verstricken. Sie lässt die wirklichen Figuren und Kräfte der Geschichte gleichzeitig in zahllosen Rollen in den verschiedenen Genres ihrer unaufhörlichen verwirrenden Erzählung auftreten. Und offensichtlich hat sich dieser globale Iago darauf eingestellt, die USA als eine Art globale ISIS (Daesh) darzustellen. Wie ISIS spielen die USA nun (immer noch) die Rolle einer realen, konkreten imperialen Kriegsmaschine, die direkt die Interessen der herrschenden Klasse vorantreibt UND die Rolle eines Comic-​Superschurken im multipolaren Spektakel (dies ist natürlich eine Vereinfachung – dies ist nur ein Genre in dem Spektakel, das zu vielschichtig und komplex ist, um es hier umfassend zu charakterisieren). Durch diese Darbietung werden Kräfte, die sonst sofort als Verräter, Versklavte und Feinde des »eigenen« Volkes erkannt würden – wie die herrschende Klasse in Russland und China – zu edlen und fortschrittlichen multipolaren Patrioten verklärt.

Warum dies alles? Das dialektische Gegenstück zur extremen Konzentration und Einheit der gegenwärtig herrschenden Klasse ist die entsprechende potenzielle Einheit praktisch der gesamten Weltbevölkerung in ihrem objektiven Widerstand gegen diese Klasse. Wir leben wirklich in einer unipolaren Welt, geeint unter der Diktatur einer kleinen Koalition der herrschenden Klasse, die durch ihr gemeinsames Interesse an unserer Ausbeutung – und daran, nicht gestürzt zu werden – geeint ist. Die wahre Negation dieser Unipolarität ist die wirkliche Einheit der arbeitenden Massen um UNSER gemeinsames Interesse, sie zu stürzen.

Als der Kommunismus zum ersten Mal als echte Möglichkeit am Horizont auftauchte, gelang es der herrschenden Klasse, ihn durch die Neuerung, die wir Imperialismus, Monopolisierung und Finanzialisierung nennen, gleichzeitig »innerhalb« und, wie Marx und Lenin deutlich machten, jenseits/​außerhalb des Kapitalismus erfolgreich zu verhindern. Ein Kernelement dieser Praxis war die Mobilisierung von kleinbürgerlichen, sozialdemokratischen Reformisten wie Kautsky. Wie wir oben erörtert haben, ist Kautskys Theorie des Ultraimperialismus ein klassisches Beispiel dafür, wie die Arbeiterklasse vom Revisionismus in die Irre geführt werden kann.

Anstatt ihre eigene herrschende Klasse zu bekämpfen, wurden viele Arbeiter dazu verleitet, sie (oder Teile von ihnen) als mögliche Akteure des Fortschritts zu betrachten.31 In dieser Hinsicht trug sie auch dazu bei, den nationalen Chauvinismus zu fördern. Außerdem lieferte sie jenen oberen Segmenten der Arbeiterklasse, die mit imperialen Superprofiten bestochen werden konnten, eine bereitwillig angenommene Rechtfertigung. Sie diente auch dazu, die grundlegende Verbindung zwischen Imperialismus und Kapitalismus zu verschleiern, indem sie die Notwendigkeit leugnete, dass sich letzterer in einem bestimmten Stadium der Finanzialisierung in ersteren verwandeln muss. Sie verleitete die Arbeiterklasse dazu, sich der zahnlosen, »frommen« Opposition kleinbürgerlicher Moralisten gegen bestimmte »Formen« des Imperialismus oder seine »Auswüchse« unterzuordnen und die falschen, nicht-​marxistischen Vorstellungen von nicht-​imperialistischem Finanz- oder Monopolkapital zu propagieren. Für die Arbeiterklasse bedeuteten diese Vorstellungen eine passive Unterordnung unter das Kleinbürgertum, das lediglich versuchte, die Arbeiterklasse als Druckmittel einzusetzen, um einige wenige Privilegien von der Bourgeoisie zu erhalten oder zu erhalten. Die unvermeidlichen Folgen: Verrat, gefolgt von Desillusionierung und der (zeitweiligen) Unfähigkeit der Arbeiterklasse zur Erfüllung ihres Schicksals.

Heute hat der Imperialismus seine Grenze erreicht und sogar überschritten und macht eine Art Rückentwicklung durch. In seinen Grundzügen erscheint dies fast wie eine Art rationale Umstrukturierung des Globus. Die herrschende Klasse macht kaum noch einen Hehl aus ihren Plänen, große Teile der Weltbevölkerung auszurotten, fast den gesamten Rest auszuplündern und zu versklaven und zu diesem Zweck ein dünneres Paket von Privilegien an eine verkleinerte Klasse oder Kaste von Aufsehern zu verteilen, die sich vermutlich größtenteils aus der abwärts bewegenden Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie des Kerns und der Bourgeoisie und Kleinbourgeoisie des »aufstrebenden« Südens zusammensetzt (wiederum eine Entwicklung, die zwar formal real ist, aber inhaltlich eine Fälschung darstellt, das heißt das fortschrittliche wirtschaftspolitische Programm, mit dem dies immer verbunden war). Hinter dieser Konvergenz verbirgt sich eine noch gewaltigere, epochale Konvergenz: die der großen Mehrheit der Bevölkerung, die bisher durch die nationale Aufteilung der Welt und die imperiale Arbeitsteilung geschichtet und gegeneinander ausgespielt wurde.

Dies ist die größte Gefahr für die herrschende Klasse, die größte Herausforderung, die vor ihr liegt: das autoritäre Kontrollgitter zu verankern, bevor diese Schichten ihre objektive Einheit unter kommunistischer Führung erkennen und danach handeln. Das vielleicht größte Werkzeug der herrschenden Klasse, um dieses Manöver durchzuziehen, ist der Multipolarismus.

In der »untergehenden« Ersten Welt, in der sich jeden Tag völlig neue Perspektiven für die Organisierung eröffnen, spannen kleinbürgerliche intellektuelle Möchtegern-​Radikale reihen ihre Wägen im fadenscheinigsten »kommunistischen« Schlepptau der Lulas, Xis oder Putins in die Karawane der Agenten der herrschenden Klasse ein, anstatt das revolutionäre Potenzial der ihnen am nächsten stehenden arbeitenden Bevölkerung mit Wahrheit und Klarheit zu organisieren. Das hat folgende Konsequenzen:

  1. Sie verschwenden ihre eigene potenzielle Energie, die sie in den Aufbau revolutionärer Kräfte stecken könnten – und lenken diese Energie sogar in die Unterstützung der Reaktion um;
  2. sie entfremden die Mehrheit der potenziell organisierbaren arbeitenden Bevölkerung, die sicherlich kein Interesse daran hat, weiter zu den erbärmlichen Bedingungen degradiert zu werden, die ein solcher »Kommunismus« bietet (tatsächlich verspricht der Kommunismus sowohl MEHR politische Freiheit als auch einen BESSEREN Lebensstandard, als ihn die westlichen Arbeiteraristokratien auf dem Höhepunkt der Sozialdemokratie genossen! ), was ihre Anerkennung des Kommunismus als ihr Programm weiter verzögert, und
  3. die Elendesten und Unterdrücktesten des Kerns der Ersten Welt und folglich die potentiell Revolutionärsten werden effektiv der kleinbürgerlichen Politik der Passivität im Inland und der Unterstützung der Reaktion im Ausland untergeordnet (die für sie im Spektakel als Fortschritt verkleidet wird).

Anstatt ihre eigene herrschende Klasse zu bekämpfen, wird ihnen gesagt, Putin oder Xi würden das für sie tun. Schließlich, und das ist vielleicht das Wichtigste, wird ihr Potenzial, sich mit den revolutionären Kräften im Ausland zu verbinden und zu vereinen, völlig untergraben, da sie sich in Wirklichkeit mit den Mächten verbünden, die fortschrittliche und/​oder revolutionäre Kräfte (wie die Kräfte, die im Donbass kämpfen) in der ehemaligen Zweiten und Dritten Welt disziplinieren und unterdrücken. Der Multipolarismus spiegelt somit direkt den Kautsky’schen Ultraimperialismus wider: ein Mittel, mit dem die herrschende Klasse durch ihre kleinbürgerlichen Agenten die Arbeiterklasse zu Passivität, nationalem Chauvinismus und reformistischen Fantasien über eine Entwicklung zum Sozialismus ohne akuten und konzertierten Klassenkampf verleitet.

In der Imperialismusdebatte in Deutschland hat Karl Liebknechts berühmte Parole »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« viel Konsternation ausgelöst. Denn einerseits erkennen alle guten Kommunisten an, dass sie die grundsätzlich richtige Position gegenüber dem interimperialistischen Ersten Weltkrieg vertrat, gegen den fatalen Nationalchauvinismus der Sozialdemokraten. Im Kontext des gegenwärtigen Krieges wird er jedoch von den pseudolinken Agenten der NATO oder den Rechtfertigern des westlichen Imperialismus eingesetzt, um Russland und den Westen (oder die Ukraine) gleichzusetzen und kategorisch zu leugnen, dass es irgendeinen fortschrittlichen Inhalt oder eine Legitimation für die Entnazifizierung der Ukraine oder sogar für den allgemeineren Kampf des Südens gegen die andauernde imperialistische Organisation des Globus gibt. Dieser scheinbare Widerspruch löst sich auf, wenn man ernst nimmt, dass die Nation im Sinne dessen, was dieser Begriff zu Liebknechts Zeiten bedeutete, als politische und wirtschaftliche Realität aufgehört hat zu existieren. Die Funktion der scheinbar widerstreitenden Nationen ist heute viel näher an der Rolle der Parteien in den traditionellen parlamentarischen bürgerlichen Demokratien. Solche Parteien sind real, sie repräsentieren reale divergierende Interessen, finanzielle Mittel und andere Privilegien, um sich zu auszubreiten usw. Die Feindseligkeiten zwischen ihnen können unglaublich intensiv sein, sogar tödlich für die Beteiligten. In der marxistischen Tradition haben wir diesen Konflikt jedoch immer so verstanden, dass er durch die von der herrschenden Klasse auferlegten Grenzen völlig begrenzt ist – und dass der illusorische Glaube an die Möglichkeit, über den parlamentarischen Kampf einen grundlegenden Wandel herbeizuführen, eines der wichtigsten Mittel ist, mit dem die Massen befriedet werden.

In diesem Moment der Auflösung des Kapitalismus, in der Einsetzung eines totalen, radikalen globalen Despotismus, dessen Umrisse wir im absurden und terroristischen Covid-​Programm erahnen können, wird ein System mit einer ähnlichen Logik und Struktur wie die bürgerliche Demokratie auf den gesamten Globus verallgemeinert: Während die Nation in Wirklichkeit ausgerottet wird, wird ihr Simulakrum durch das Spektakel zur idée fixe aller Politik erhoben. So wird das revolutionäre Potenzial der Massen durch Chauvinismus und nationalistische politische Sackgassen untergraben. Es ist bezeichnend für unsere derzeitige Malaise, dass quer durch das politische Spektrum immer deutlicher wird, dass die nationalen Politiker dem Willen der Bevölkerung, dem sie angeblich Rechenschaft ablegen müssen, immer mehr und immer dreister gleichgültig gegenüberstehen. Innerhalb weniger Monate haben sowohl der grüne Faschismus der Annalena Baerbock als auch der traditionelle rechtspopulistische Faschismus der Giorgia Meloni erklärt, dass sie den Krieg in der Ukraine trotz der Ablehnung durch ihre Wähler unterstützen werden. Dennoch kann praktisch niemand eine brauchbare Alternative zum hoffnungslosen Kampf um die leblosen Hülsen der nationalen politischen Institutionen anbieten.

Man muss noch einmal betonen, dass es hier nicht um einen vereinfachenden und angeberischen Reduktionismus geht. So wie die Kritik am Parlamentarismus nicht auf »beide Parteien sind gleich« reduziert werden kann, so kann auch die hier vorgebrachte Kritik am vorherrschenden nationalistischen Rahmen nicht auf »alle Regierungen sind gleich« reduziert werden. Die verschiedenen nationalen Programme haben genauso viel realen politischen Inhalt wie die Programme echter parlamentarischer Parteien. Sie dürfen nicht alle in einen Topf geworfen werden. Innerhalb der nationalen bürgerlichen Politik gibt es typischerweise eine Rechte, die auf den Sieg aus ist sowie eine Linke, deren Aufgabe es ist, zu scheitern, zu betrügen und die natürliche Basis ihrer Politik – die arbeitenden Massen – zu desillusionieren. Nichtsdestotrotz üben diese AUCH ihren wirklichen Willen durch sie aus und erringen tatsächlich bestimmte Siege.

Eine vergleichbare Aufgabe ist heute den Führern des Südens gestellt worden. Welcher Mensch mit gesunden Instinkten kann nicht mit der Rhetorik und der Haltung der Russischen Föderation gegen die immer dreistere Rückkehr zum offenen Nazismus im Westen sympathisieren? Dennoch kann man keinem ernsthaften Marxisten verzeihen, wenn er glaubt, dass die russische herrschende Klasse die Absicht hat diese Rhetorik in die Tat umzusetzen. Die Entnazifizierung ist die revolutionäre Forderung der postsowjetischen Massen, die die herrschende Klasse nicht einfach aus der Welt schaffen kann. Deshalb muss sie versuchen, sie zu kooptieren, zu verzerren, zu verkehren, so wie andere fortschrittliche Forderungen in der Vergangenheit von der Linken in parlamentarischen Demokratien aufgegriffen wurden. Die systemtreue linke Politik der bürgerlichen Parteien zu kritisieren, heißt nicht, den Sozialismus oder linke Politik zu kritisieren, sondern ihre Vereinnahmung und Verderbnis. Genauso verhält es sich auch mit den fortschrittlichen Inhalte, für die der Multipolarismus das reformistische Substitut abgibt: vollständige Entkolonialisierung, vollständige Entnazifizierung, vollständiger globaler Kommunismus.

Die Aufgabe der Kommunisten besteht darin, die Massen in die Lage zu versetzen, ihre revolutionären Forderungen zu klären und sie selbst mit ihren eigenen revolutionären Mitteln durchzusetzen. Es ist NICHT die Aufgabe der Kommunisten, die Massen zurück in die Fallen der herrschenden Klasse zu treiben – seien es nun innerstaatliche Parteien oder internationale Blöcke. Die eigentliche Aufgabe Putins und seiner Clique hätte nicht deutlicher gemacht werden können als seine Erklärung zu Beginn der speziellen militärischen Operation, dass es darum gehe, die Ukraine zu entnazifizieren UND zu entkommunisieren. Jeder, der mit dem unerbittlichen Antikommunismus seiner Innenpolitik vertraut ist, hätte wissen müssen, was seine wirkliche Priorität ist. Aber es ist wichtig zu betonen, umso mehr angesichts der totalen Nazifizierung des Globus, die seit der Niederlage des Kommunismus stattgefunden hat, dass diese beiden Begriffe einfache, direkte Gegensätze darstellen, nicht radikaler, diametraler entgegengesetzt als oben und unten, links und rechts, Nord und Süd. Echte Entkommunisierung IST NATOfizierung, IST Nazifizierung. Echte Entnazifizierung und EntNATOfizierung muss und wird heute Kommunisierung sein und nichts weniger. Die radikale Konzentration der gegenwärtig herrschenden Klasse und ihr kühnes Programm einer globalen faschistischen Diktatur haben diese Beziehung auf einen reinen, reibungslosen Vektor reduziert.

Das ursprüngliche Naziprogramm zur Entvölkerung und Ausplünderung Russlands und der Ukraine wurde bereits mit nur geringfügigen Änderungen wieder aufgenommen. Doch es findet auch innerhalb und außerhalb einer spektakulären oder farcenhaften Neuinszenierung desselben statt. Es ist von entscheidender Bedeutung, die verschiedenen Funktionen zu analysieren und zu würdigen, die sich hier überlagern, die vielen Schichten des Spektakels. Der 11. September wurde unter dem Deckmantel mehrerer echter, vorgetäuschter und realer Militärübungen oder »Kriegsspiele« im amerikanischen Luftraum ausgetragen. Die meisten Teilnehmer erfüllten reale Ziele für die reale Operation, während sie glaubten, die falsche oder simulierte Rolle in den Übungen zu spielen. Wichtige Aspekte des Covid-​Programms scheinen in zahlreichen Elite-»Pandemie-Übungen« wie das Event 201 an der Johns Hopkins University erprobt worden zu sein. In Syrien war der Konflikt zwischen den USA und Syrien »unecht« und »echt«. Fake insofern, als die US-​Armee und ISIS zwei Arme der exakt gleichen herrschenden Klasse waren. Real insofern, als das reale Territorium und die reale Bevölkerung Syriens mit echten Waffen, Bomben und Söldnern geplündert, abgeschlachtet und gebrandschatzt wurden. In der Ukraine werden die Privilegierten, Vernetzten oder Nützlichen aus dem Land geschleust oder geschützt, während die ukrainische Bevölkerung – eine der potenziell rebellischsten Bevölkerungen der Welt, die wie fast die gesamte postsowjetische Bevölkerung dem Covid-​Programm äußerst kritisch gegenübersteht – im Kampf gegen ihre russischen Brüder in den sinnlosesten, groteskesten Tod geschickt. Die russische Führung ihrerseits hat offensichtlich alles in ihrer Macht Stehende getan, um eine wirkliche Entnazifizierung oder auch nur das Erreichen von minimal nachvollziehbaren Kriegszielen zu verhindern.32 Wenn die Illusionen über eine »objektiv« fortschrittliche Haltung, die der russischen herrschenden Klasse durch die Umstände aufgezwungen wird, wahr wären, hätten wir als absolutes Minimum eine allgemeine Mobilisierung und das dazu notwendige innenpolitische Sozialprogramm (das auch den befreiten Gebieten in der Ukraine angeboten wird). Wir haben nichts dergleichen gesehen, denn nichts erschreckt die herrschende Klasse – in Russland, in China, in Europa, in Amerika oder sonstwo – mehr als die postsowjetischen Massen, die wieder bewaffnet, mobilisiert und wirklich gegen den Nazismus marschieren – was sie wohl auch tun sollten!

Wie Holderlin bekanntermaßen bemerkte, wächst dort, wo die Gefahr ist, auch die rettende Kraft. Die Abscheulichkeit unseres gegenwärtigen Augenblicks ist auch die Fülle seines Potenzials, wenn wir nur bereit wären, es zu erkennen. Eine kürzliche Bemerkung eines Genossen hat mir gezeigt, wie sehr wir unseren Weitblick verloren haben: Er sagte etwas in der Art von: »Nach Nord Stream 2 kann jeder Idiot sehen, dass es für Deutschland keinen Nutzen in der NATO gibt.« Die völlige Inkohärenz einer solchen Aussage für einen Kommunisten lässt sich vielleicht am besten zeigen, indem man eine ebenso (un)kohärente Aussage gegenüberstellt, die in Wirklichkeit nicht weniger absurd ist: »Nach dem 11. September kann jeder Idiot sehen, dass es für die USA keinen Nutzen in der NATO gibt.« Man sieht hier hoffentlich, wie solche Sätze in gewisser Weise wahr, aber auch politisch bedeutungslos sind. Sie verraten einen Rückfall in den völlig verblendeten nationalen Rahmen des Kleinbürgertums. Und die verrottete Hoffnungslosigkeit dieser Politik könnte nicht deutlicher sein als in den lahmen, absurden Forderungen im Stil der Larouchies, die irgendwie die kommunistische Politik infiziert haben und fordern, dass Deutschland (oder sogar die USA!) seine imperialistische Politik aufgibt und sich sogar friedlich mit dem aufstrebenden Süden verbindet, vielleicht sogar mit der Belt and Road Initiative! Das ist wirklich der reinste, übelste Kautskyismus, dem man nur insofern verzeihen kann, dass er die Massen nicht in Passivität einlullt, als er so lächerlich und schwachsinnig ist, dass er niemanden außer die politisch völlig nutzlosen kleinbürgerlichen Narren anzieht. In dem Maße, in dem die Mittelschichten in die Reihen der Massen eindringen, dürfen wir den Kommunismus nicht verfälschen, um ihn ihrem lauwarmen revisionistischen Geschmack anzupassen: Wir müssen jene Schichten dem vollen, eindeutigen revolutionären Programm der Massen unterordnen.

Das kapitalistische imperialistische Deutschland (oder die USA) werden niemals echte friedliche und freundschaftliche Beziehungen zu irgendeiner Nation eingehen, außer zu vorübergehenden Bündnissen mit anderen Räubern – das ist das Einmaleins des Marxismus-​Leninismus. Rhetorische Aufrufe dazu beleidigen einfach die Intelligenz der Massen. Es hat in der Geschichte genau EINEN friedliebenden und friedensstiftenden deutschen Staat gegeben – die Deutsche Demokratische Republik. Sie war das Produkt der einzigen wirklichen Entnazifizierung: der Kommunisierung. Die Kompromisse, die durch das massive, weltverändernde Gewicht des real existierenden Sozialismus-​Kommunismus (wie in der BRD die Sozialdemokratie und die Ostpolitik) mit oder innerhalb des kapitalistischen Imperialismus möglich wurden, sind mit der Beseitigung des Sozialismus nicht mehr möglich. Deshalb müssen Kommunisten ihre Illusionen über diese Tatsache aufgeben! Wir müssen aufhören uns einzubilden, dass die gleiche geopolitische Logik gilt wie im Kalten Krieg. Die herrschende Klasse hat heute nicht die Absicht, Kompromisse einzugehen und wir sollten das auch nicht. In der gegenwärtigen Übergangsphase hat die herrschende Klasse ihre eigene Legitimität und die ideologischen Grundlagen ihrer politischen Hegemonie zerstört, während sie danach strebt, etwas Neues aufzubauen. Der Zeitpunkt könnte nicht reifer sein. Überall ist man jetzt bereit für den Kommunismus – und stattdessen versuchen die Kommunisten, den Massen die schäbigste, kompromittierte Unterordnung unter die herrschende Klasse zu verkaufen!

Der große irische Revolutionär James Connolly erkannte, dass der wirklich fortschrittliche Inhalt des antiimperialen irischen Nationalismus letztlich nur durch den internationalistischen revolutionären Kommunismus voll verwirklicht werden konnte. Er schrieb einen neuen Text für die Melodie eines berühmten irischen Rebellenliedes aus dem 19. Jahrhundert, das ein perfektes Artefakt des fortschrittlichen kleinbürgerlichen republikanischen Nationalismus jener Epoche ist und die Hoffnung ausdrückt, dass »Irland, lange eine Provinz, wieder eine Nation wird«. Wie uns Newton lehrt, gibt es heute keine Nationen, sondern nur Provinzen eines einzigen Reiches. Die revolutionäre Möglichkeit zum Sturz dieses Imperiums ist weit über die Nützlichkeit oder Lebensfähigkeit eines nationalen Rahmens für einen solchen Kampf hinaus gereift, welcher jetzt nur der Behinderung dieses Kampfes dient. Die proto-​revolutionären interkommunalistischen überarbeiteten Texte von Connolly dienen auch heute noch als eine vollkommen angemessene Antwort auf die schmutzige Politik der herrschenden Klasse, die von den Multipolaristen betrieben wird:

Manche Männer, mutlos, suchen immer

Unser Programm zu retouchieren,

Und behaupten, wo immer sie sprechen

Dass wir zu viel verlangen.

Seltsam ist’s, doch sage ich

Solche Aussagen erheiten mich,

Denn unsere Forderungen sind höchst bescheiden,

Wir wollen nur die Erde.

Unsere Herren allesamt gottesfürchtige Leut‹,

Deren Herzen für die Armen pochen,

Ihr Mitgefühl gewähren sie auch uns,

Wären unsere Forderungen weniger.

Großzügigste Seelen! Doch beachtet bitte,

Was sie von Geburt an genießen,

Ist alles, was wir je zu fordern wagten

Zu verlangen, das heißt, die Erde.

Die Arbeiter lange, mit Seufzern und Tränen,

Vor ihren Unterdrückern gekniet.

Doch noch nie, außer aus Furcht,

Das Herz des Tyrannen geschmolzen.

Wir brauchen nicht zu knien, unsere Sache ist groß

An wahren Männern mangelt es nicht

Und unser Siegesschrei

Wird sein, wir wollen die Erde.33

Verweise

1 Mao Tse-​Tung, Über die Klassen der chinesischen Gesellschaft (März 1926), Ausgewählte Werke, Bd. I, Verlag für fremdsprachige Literatur, Peking 1968, S.9 – 19, https://​www​.marxists​.org/​d​e​u​t​s​c​h​/​r​e​f​e​r​e​n​z​/​m​a​o​/​1​9​2​6​/​0​3​/​k​l​a​s​s​e​n​.​h​tml

2 Es gibt auch keinen größeren Punkt der Uneinigkeit und Verwirrung in den beiden politischen Sphären, in denen sich die Freie Linke Zukunft bewegt – die Corona-​Protestbewegung auf der einen Seite, die traditionelle Linke auf der anderen.

3 Ähnlich wie der Begriff »Faschismus«, der, wie Molly Klein einmal scharfsinnig bemerkte, »keine Essenz ist. Und sein Name ist kein wissenschaftlicher Begriff. Er ist der SLOGAN eines Programms, einer Praxis, einer herrschenden Klassenfraktion und ihrer sozialen Klienten innerhalb der liberalen Demokratie, der die liberale Demokratie verändert.« https://​twitter​.com/​R​e​d​K​a​h​i​n​a​/​s​t​a​t​u​s​/​1​1​2​9​4​4​8​0​4​3​6​2​6​0​1​6​769

4 Was nun den Namen angeht, so kann man die Theorie, für die ich eintrete, durchaus »Ultraimperialismus« oder »Superimperialismus« nennen, nach Hobson – wie Lenin witzelte, bringt die lateinische Vorsilbe nicht viel. Was auch immer es wert ist, es kommt wahrscheinlich der Theorie des Interkommunalismus von Huey P. Newton am nächsten (siehe insbesondere die folgenden Werke von Newton: Speech Delivered at Boston College: November 18,1970, Black Capitalism Reanalyzed (1971) , Who Makes U.S. Foreign Policy (1974),

5 Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, Kap 7, http://​www​.mlwerke​.de/​l​e​/​l​e​2​2​/​l​e​2​2​_​2​6​9​.​htm

6 Die herrschende Klasse produziert nichts, nicht einmal ihre eigenen Ideen. Während also der Multipolarismus, wie der Kautskyismus vor ihm, grundsätzlich die Interessen der herrschenden Klasse fördert, hat er eine organische Basis und ein natürliches Reservoir in bestimmten Schichten des Kleinbürgertums und der Arbeiteraristokratie.

7 Natürlich wird unter den Bedingungen des globalen Imperiums – was Newton als reaktionären Interkommunalismus bezeichnete – der Begriff des »Kompradors« irgendwie bedeutungslos oder vielleicht sogar überflüssig. Der Begriff wird hier dennoch verwendet, um zu bekräftigen, dass diese Klassen entgegen ihren Behauptungen keineswegs als wirklicher Beitrag zu einem (nationalen oder kommunalen) Volksprojekt angesehen werden können.

8 Molly Klein weist darauf hin, dass die soziale Basis noch dünner ist: dass die Intellektuellen einfach billig gekauft werden, jetzt, da diese Klasse ausgepresst und echte Universitäten durch NGO-​Denkfabriken ersetzt werden und es niemanden gibt, der sie einstellt, außer Gates und dem Rest der Intelligenz- und Para-​Intelligenzgemeinschaft. Diese Klasse von Managern und gehobenen Fachkräften wurde in der Tat weitgehend aus dem Verkehr gezogen. Die Belohnungen in der Unterhaltungsindustrie, im Journalismus, in der Rechtswissenschaft und in der Medizin schrumpfen. Gleichzeitig bedeutet die tatsächlich sinkende Profitrate, dass ein schrumpfender Teil dieser Klasse in kleine Unternehmen geht.

9 Huey P. Newton, »Interkommunalismus«, 1974, https://​viewpointmag​.com/​2​0​1​8​/​0​6​/​1​1​/​i​n​t​e​r​c​o​m​m​u​n​a​l​i​s​m​-​1​9​74/, Anm. d. Übers.: Community wurde nicht mit Gemeinschaft übersetzt, sondern im Original belassen. Das nicht nur um Newtons Konzept des Interkommunalismus im Blick zu haben, das mit »Zwischengemeinschaftswesen« oder Ähnlichem nicht den richtigen Ton zu treffen scheint.

10 Huey P. Newton, »Der revolutionäre Interkommunalismus der Black Panther Party« (1970), https://talkingdrum.jimdofree.com/2015/11/06/huey-p-newton-der-revolution%C3%A4re-kommunalismus-der-black-panther-party/

11 Was Newton hilfreicherweise den »herrschenden Kreis« nennt, um einige schlampige oder stereotype Formen des Denkens zu erschüttern und unsere Aufmerksamkeit auf die Vorhut der herrschenden Klasse zu lenken, die Führung dieser Klasse, die in diesem Arrangement eine einzigartige, direkte Kontrolle ausübt – und über ein gewisses Maß an Autonomie verfügt, nicht unähnlich dem, das absolute Monarchen durch die Ausnutzung des Kampfes zwischen dem fallenden Adel und dem aufstrebenden Bürgertum erlangen konnten.

12 Wer sich davon überzeugen lassen will, dass das, was Lenin theoretisch zu denken bereit war, angesichts der massiven Umwälzungen seit seiner Zeit aktualisiert werden musste, braucht nur seine wiederholten Sticheleien gegen die Möglichkeit eines Ultraimperialismus zu bedenken, indem er ihn mit im Labor hergestellten Lebensmitteln vergleicht, zum Beispiel: »Die Entwicklung bewegt sich in der Richtung zu Monopolen, also zu einem einzigen Weltmonopol, einem einzigen Welttrust. Das ist unzweifelhaft, aber ebenso nichtssagend wie etwa der Hinweis, daß ›die Entwicklung sich in der Richtung‹ zur Herstellung von Nahrungsmitteln im Laboratorium ›bewegt‹. In diesem Sinne ist die ›Theorie‹ des Ultraimperialismus ebensolcher Unsinn, wie es eine ›Theorie der Ultralandwirtschaft‹ wäre.«

13 Sie sind »reaktionäre Interkommunalisten« in Newtons Terminologie, die zwar ungeschickt ist, aber dennoch die dialektische Einheit dieser Phänomene hervorhebt. Das Spiegelbild des »linken« multipolaristischen Kleinbürgertums sind die rechten »Antiglobalisten«, Kleinbürger, die in einen ebenso aussichtslosen Versuch verwickelt sind, ihre Privilegien durch die Aufrechterhaltung von »Nationen« zu festigen oder wiederherzustellen, die objektiv längst keine wirtschaftliche Realität mehr haben. Es ist interessant und typisch für die gegenwärtige Phase des Spektakels, dass diese beiden scheinbar widersprüchlichen Genres der kleinbürgerlichen Reaktion zunehmend kombiniert werden – siehe zum Beispiel die absurde »Rage Against the War Machine«-Aktion.

14 Wie Molly Klein es ausdrückt, überschätzen sie die tatsächliche Macht der herrschenden Klasse, unterschätzen aber ihre Kompetenz und führen jedes Scheitern, jeden Rückschlag oder jede Verlangsamung auf Inkompetenz zurück.

15 Gramsci, Gefängnisheft 14 [Übersetzung aus dem Englischen], zitiert nach Molly Klein’s unverzichtbarer Kritik an Zizek: https://​alphonsevanworden​.tumblr​.com

16 Karl Marx/​Friedrich Engels – Werke, Band 8, »Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte«, S. 115 – 123 Dietz Verlag, Berlin/​DDR 1972, http://​www​.mlwerke​.de/​m​e​/​m​e​0​8​/​m​e​0​8​_​1​1​5​.​htm

18 Huey P. Newton, »Interkommunalismus«, 1974.

19 Essay & Petition, Massaker in Attica, The Black Panther Intercommunal News Service, 1971: »Vor kurzem haben die Gefangenen in Attica die Black Panther Party gebeten, mit Nixon, Rockefeller und Oswald über ihre Freiheit zu verhandeln. Die Black Panther Party bittet jetzt den Vorsitzenden Mao Tse-​tung der Volksrepublik China, mit dem Gefängnisdirektor Nixon über die Freiheit der unterdrückten Völker der Welt zu verhandeln.«

20 Ebenda.

21 Vor allem die Larouchies arbeiten hart daran, diesen Begriff jeglicher Bedeutung oder jeglichen Inhalts zu berauben.

23 https://​www​.rferl​.org/​a​/​p​u​t​i​n​-​s​-​a​-​s​o​l​i​d​-​m​a​n​-​d​e​c​l​a​s​s​i​f​i​e​d​-​m​e​m​o​s​-​o​f​f​e​r​-​w​i​n​d​o​w​-​i​n​t​o​-​y​e​l​t​s​i​n​-​c​l​i​n​t​o​n​-​r​e​l​a​t​i​o​n​s​h​i​p​/​2​9​4​6​2​3​1​7​.​h​tml

24 Marc Galwas präsentiert hier Informationen, die jeden Versuch, die russische oder chinesische herrschende Klasse in irgendeinem sinnvollen Sinne als fortschrittlich zu interpretieren, zunichte machen, auch wenn sie mit ultralinken Irrtümern gespickt sind: https://offen-siv.net/wp-content/uploads/2023/01/offensiv‑1 – 2023-Sonderheft-Marc-Galwas.pdf; Auch die Schlüsselrolle, die Lula und seine Partei bei der Vereinnahmung und Irreführung der Antiglobalisierungsbewegung im Dienste der imperialistischen herrschenden Klasse spielen, war bereits in den frühen 2000er Jahren offensichtlich: https://​www​.rupe​-india​.org/​3​5​/​c​o​n​t​e​n​t​s​.​h​tml

26 Wie Marx im Kapital Band III vorausgesagt und Newton als reaktionären Weltstaat diagnostiziert hat: https://magma-magazin.su/2022/09/t‑mohr/imperialism-today-is-conspiracy-praxis/#_ol4crioezadh

27 Das heißt diejenigen, die nicht nur Kapital Band 1 gelesen haben, sondern auch die politischen und historischen Schriften von Marx, die nun mal nur so vor Verschwörungstheorien strotzen.

29 Karl Marx/​Friedrich Engels – Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 4, 6. Auflage 1972, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1959, Berlin/​DDR. S. 459 – 493, http://​www​.mlwerke​.de/​m​e​/​m​e​0​4​/​m​e​0​4​_​4​5​9​.​htm

31 In diesem Fall ist eine friedlichere Welt, die durch den sozialdemokratisch geführten Imperialismus geschaffen wird, wie Baerbocks feministische Außenpolitik heute, eine Etappe in einer fantastischen revolutionenfreien Entwicklung zum Sozialismus unter der liebevollen Obhut der Ausbeuter selbst.

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