Auf­bruch in eine Welt ohne Dollar

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Über die wich­tigs­ten Ent­wick­lun­gen wird im Wes­ten nicht gespro­chen. Dabei wäre das Ende der US-Hege­mo­nie nur für einen win­zi­gen Teil der Bevöl­ke­run­gen ein Nach­teil; die über­wie­gen­de Mehr­heit wür­de an Lebens­qua­li­tät gewinnen.

Man kann den Auf­bruch sehen. Wenn man bei­spiels­wei­se den Emp­fang betrach­tet, der dem bra­si­lia­ni­schen Prä­si­den­ten Lula in den Ver­ei­nig­ten Ara­bi­schen Emi­ra­ten zuteil­wur­de. Nichts wur­de aus­ge­las­sen, was einem Staats­gast zei­gen kann, wie will­kom­men er ist. Kampf­flug­zeu­ge, die den Him­mel in den Far­ben der Lan­des­flag­ge fär­ben, Böl­ler­schüs­se aus Kano­nen, Ehren­for­ma­ti­on – die­ser Emp­fang wur­de zele­briert, wie ein sol­cher Emp­fang nur zele­briert wer­den kann. Und kein west­li­cher Staats­gast kann noch auf eine der­art eupho­ri­sche Begrü­ßung hof­fen; nicht nur Bun­des­au­ßen­mi­nis­te­rin Anna­le­na Baer­bock wird mit dem Mini­mum des diplo­ma­tisch Gebo­te­nen abgespeist.

Die­se Ver­än­de­rung hat in ganz nüch­ter­nen, öko­no­mi­schen Vor­gän­gen ihre Grund­la­ge; in dem sich ent­wi­ckeln­den Pro­jekt, den US-Dol­lar als Welt­re­ser­ve­wäh­rung durch ein neu­es Sys­tem abzu­lö­sen. Und zwar nicht eine Wäh­rung durch eine ande­re, wie es nach dem Zwei­ten Welt­krieg geschah, als das bri­ti­sche Pfund durch den Dol­lar abge­löst wur­de, son­dern durch ein Bün­del von Wäh­run­gen und eine neue Struk­tur des inter­na­tio­na­len Han­dels, die sicher­stel­len soll, dass kein ein­zel­nes Land mehr Domi­nanz über ande­re errin­gen kann.

Wenn man wis­sen will, wie sich das jet­zi­ge, das unter­ge­hen­de Sys­tem für die Län­der des Südens ange­fühlt hat, kann man sich in Erin­ne­rung rufen, was Deutsch­land wäh­rend der Euro­kri­se mit Grie­chen­land, Spa­ni­en, Ita­li­en ange­stellt hat. Der Euro war als Wäh­rung unter der Kon­trol­le der stärks­ten Wirt­schaft des Euro­raums, und als die süd­li­chen Euro­län­der durch die Ban­ken­ret­tung über­schul­det waren, schick­te ihnen die Bun­des­re­gie­rung net­te Brie­fe, in denen vor­ge­ge­ben wur­de, um wie viel die Ren­ten zu kür­zen sei­en, wie vie­le Kran­ken­häu­ser zu schlie­ßen hät­ten und um wie viel die Gehäl­ter der Leh­rer gesenkt wer­den müss­ten. In Grie­chen­land war der Ein­schnitt ins Leben der Mehr­heit der­art kata­stro­phal, dass im ers­ten Win­ter der Troi­ka-Dik­ta­te ein Koch­buch aus dem Zwei­ten Welt­krieg zum Best­sel­ler wurde.

Das, was damals inner­halb der Euro­zo­ne pas­sier­te, war eine euro­päi­sche Re-Insze­nie­rung des­sen, was der Inter­na­tio­na­le Wäh­rungs­fonds und die Welt­bank über Jahr­zehn­te hin­weg auf dem gesam­ten Pla­ne­ten trie­ben. Staa­ten wur­den gezielt in den Bank­rott gestürzt, um ihnen dann Auf­la­gen zu ertei­len, die sicher­stell­ten, dass der Reich­tum des Lan­des in den Wes­ten abfloss. Der zen­tra­le Trick dabei war immer, dass inter­na­tio­na­le Kre­di­te nie in den Lan­des­wäh­run­gen auf­ge­nom­men wer­den konn­ten, son­dern in US-Dol­lar fixiert waren. Damit hat­ten die Kre­dit­neh­mer kei­ner­lei Ein­fluss auf die Ent­wick­lung, die die Höhe die­ser Kre­di­te umge­rech­net in die eige­ne Wäh­rung nahm, und waren daher vom Wohl­wol­len der Besit­zer die­ser Wäh­rung abhän­gig. Was natür­lich in vol­ler Ent­fal­tung erst nach dem Ende der Sowjet­uni­on galt – die­se hat­te mit ihrem Außen­han­del immer einen Wirt­schafts­raum gebil­det, der sich dem Dol­lar ent­zog, und ihren Han­del viel­fach ganz ohne Wäh­rungs­be­tei­li­gung durch Güter­tausch abgewickelt.

Wenn man die Han­dels­bi­lanz der USA betrach­tet, kann man sehen, dass ihre Sta­bi­li­tät völ­lig von der Auf­recht­erhal­tung des Dol­lar-Sys­tems abhängt. Sie impor­tie­ren weit mehr als sie expor­tie­ren, sie wen­den einen extrem hohen Teil ihres Staats­haus­halts für unpro­duk­ti­ve Aus­ga­ben, wie den welt­größ­ten Rüs­tungs­haus­halt, auf, und ein gro­ßer Teil der Gewin­ne von US-Kon­zer­nen beruht auf imma­te­ri­el­lem Eigen­tum, wie Paten­ten und Mar­ken. Das ist eine Öko­no­mie, die ohne stän­di­ge Zuflüs­se von außen kol­la­biert. Und der Kern des Petro­dol­lars, jenes Abkom­mens zwi­schen Sau­di-Ara­bi­en und den USA, das zu Beginn der 1970er geschlos­sen wur­de (und das jetzt been­det ist), war letzt­lich, dass die Sau­dis mehr Geld für ihr Öl ver­lan­gen durf­ten, wenn sie das ein­ge­nom­me­ne Geld anschlie­ßend brav in die USA tra­gen und es dort investieren.

In den letz­ten Mona­ten erfolg­te nun die gro­ße Her­aus­for­de­rung. Sau­di-Ara­bi­en und Chi­na ver­ein­bar­ten, ihren Han­del in hei­mi­schen Wäh­run­gen abzu­wi­ckeln. Bra­si­li­en und Chi­na eben­so. Der bra­si­lia­ni­sche Prä­si­dent Lula hin­ter­frag­te bei der Amts­ein­füh­rung von Dil­ma Rouss­eff als Che­fin der BRICS-Ent­wick­lungs­bank: »Wer hat eigent­lich beschlos­sen, dass der Dol­lar die Wäh­rung ist?«. Unbe­ab­sich­tigt haben die Län­der des Wes­tens mit den Sank­tio­nen gegen Russ­land, ins­be­son­de­re dem Aus­schluss von SWIFT, einen Impuls gege­ben, der die Bewe­gung weg vom US-Dol­lar deut­lich beschleu­nigt hat.

Wel­che Bedeu­tung die­se Ent­wick­lung für die Län­der des glo­ba­len Südens hat, zeigt sich in Momen­ten wie der Begrü­ßung Lulas in den Ara­bi­schen Emi­ra­ten. Es zeigt sich auch im plötz­li­chen Aus­bruch uner­war­te­ten Frie­dens, wie im Jemen. Für die über­wie­gen­den Tei­le der Welt wäre ein Ende des Dol­lar-Regimes end­lich eine Chan­ce zu eigen­stän­di­ger Ent­wick­lung, ohne bestän­dig durch Ein­grif­fe sei­tens des IWF oder gar Regime­wech­sel immer wie­der zurück auf Los gesetzt zu werden.

Der Wes­ten, so die indi­sche Poli­tik­wis­sen­schaft­le­rin Rad­hi­ka Desai jüngst im Gespräch mit Micha­el Hud­son, hat ein Pro­blem: »Alles, was der Wes­ten anzu­bie­ten hat, sind Stö­cke [Das eng­li­sche Gegen­stück zum deut­schen ›Zucker­brot und Peit­sche‹ lau­tet ›car­rots and sticks‹, ›Karot­ten und Stö­cke‹]. Und Chi­na kommt bela­den mit allen Karot­ten, die man sich vor­stel­len kann. Mit den saf­tigs­ten Karot­ten, die man sich den­ken kann.«

Ein afri­ka­ni­scher Staats­chef for­mu­lier­te das vor eini­gen Tagen so: »Die Chi­ne­sen kom­men und brin­gen einen Flug­ha­fen. Der Wes­ten bringt Beleh­run­gen.« Augen­blick­lich sind das vor allem Beleh­run­gen, sich nicht auf Geschäf­te mit Chi­na oder Russ­land einzulassen.

Die Aus­ein­an­der­set­zun­gen, die der­zeit zwi­schen dem IWF und Chi­na statt­fin­den, sind, so Desai, ein Teil die­ses Kamp­fes. Der IWF ver­langt, dass Chi­na sei­nen Schuld­nern gegen­über auf Tei­le der Kre­di­te ver­zich­tet, wäh­rend er selbst und kom­mer­zi­el­le west­li­che Kre­dit­ge­ber ihre Kre­di­te garan­tiert bekom­men. Klar, an chi­ne­si­schen Kre­di­ten hat der IWF kein Inter­es­se, sei­ne Auf­ga­be ist es ja, die Län­der beim Wes­ten ver­schul­det und damit unter Kon­trol­le zu hal­ten. Aber Chi­na lässt sich auf das Spiel nicht ein und for­dert, alle müss­ten glei­cher­ma­ßen ihre Kre­di­te abschreiben.

»Und das«, sagt Desai, »ist ein Teil des Unter­gra­bens. Das ist eine der größ­ten Ver­än­de­run­gen seit dem Ers­ten Welt­krieg. Und ein Teil die­ser Ver­än­de­run­gen ist, dass die Welt, die die impe­ria­lis­ti­schen Mäch­te am Ende des Zwei­ten Welt­kriegs schu­fen, die immer noch sehr mäch­tig sind, jetzt zuneh­mend verschwindet.«

Aber es geht nicht nur dar­um, dass die Domi­nanz des Wes­tens endet. Es geht auch um ein Ende der neo­li­be­ra­len Wirt­schafts­ord­nung, die sich seit den 1970ern im Wes­ten durch­ge­setzt hat und deren Kern die Beto­nung einer auf Ver­schul­dung beru­hen­den Finanz­wirt­schaft ist. Micha­el Hudson:

Offen­sicht­lich ist die eine Sache, die die neue glo­ba­le Welt­mehr­heit kenn­zeich­net, eine gemisch­te Wirt­schaft, in der ande­re Län­der das tun, was Chi­na getan hat. Sie wer­den Geld und Land, genau­er, Woh­nung und Beschäf­ti­gung, zu öffent­li­chen Rech­ten, öffent­li­chen Dienst­leis­tun­gen machen, statt sie in Waren zu ver­wan­deln, zu pri­va­ti­sie­ren und zu finan­zia­li­sie­ren, wie das im Wes­ten gesche­hen ist. (…) Das wird nicht die Fra­ge sein, ob der chi­ne­si­sche Yuan und der rus­si­sche Rubel und ande­re Wäh­run­gen den Dol­lar erset­zen. Das ist ein völ­lig ande­res Wirtschaftssystem.

Eine Wäh­rungs­ord­nung, die es unmög­lich macht, dass ein Land ande­re unter­ord­net, war bereits nach dem Zwei­ten Welt­krieg im Gespräch. Es war ein Vor­schlag des bri­ti­schen Öko­no­men May­nard Keynes namens »Ban­cor«. Dabei soll­te über Kapi­tal­kon­trol­len und ein Sys­tem des Zah­lungs­aus­gleichs sicher­ge­stellt wer­den, dass weder Defi­zi­te noch Über­schüs­se unbe­grenzt wach­sen kön­nen, und auf die­se Wei­se wirt­schaft­li­che Ungleich­ge­wich­te begrenzt wer­den (für die die gegen­wär­ti­ge US-Han­dels­bi­lanz ein Extrem­bei­spiel ist). Ähn­li­che Über­le­gun­gen gab es auch noch auf der Wirt­schafts­kon­fe­renz in Mos­kau 1952. Aber den Ver­ei­nig­ten Staa­ten gelang es, das Sys­tem von Bret­ton Woods durch­zu­set­zen, das den Dol­lar im Wes­ten in die Stel­lung brach­te, die zuvor das bri­ti­sche Pfund ein­ge­nom­men hatte.

An die­sem Punkt ist sich Desai mit Hud­son einig – das neo­li­be­ra­le Wirt­schafts­mo­dell wird abge­löst; nicht aus ideo­lo­gi­schen Grün­den, son­dern schlicht aus Not­wen­dig­keit. »Ich den­ke, die meis­ten Län­der wer­den her­aus­fin­den, dass sie, wenn sie irgend­ei­ne Art Ent­wick­lung schaf­fen wol­len, eine anti-neo­li­be­ra­le Ent­wick­lungs­po­li­tik anneh­men müs­sen. Auf die­se Wei­se gibt es zwar Wir­kun­gen von Über­res­ten des Neo­li­be­ra­lis­mus, aber die Umstän­de stel­len sicher, dass der Neo­li­be­ra­lis­mus im Kern erle­digt ist, denn jeder erfolg­rei­che Ver­such, Ent­wick­lung zu schaf­fen, wird die Art von Staats­ein­grif­fen beinhal­ten, die gera­de ‚ein Stück­chen‘ vom Sozia­lis­mus ent­fernt sind.«

»Man stel­le sich ein­mal vor«, so Hud­son, »die Ver­ei­nig­ten Staa­ten hät­ten das 1945 getan und die Plä­ne von Keynes akzep­tiert. Man stel­le sich ein­mal vor, wie anders die Ent­wick­lung der Welt in den letz­ten 75 Jah­ren gewe­sen wäre.«

Eine Welt ohne Austeri­täts­pro­gram­me, ohne Farb­re­vo­lu­tio­nen und Put­sche, ohne Kolo­ni­al­krie­ge und ohne stän­di­ge Lohn­drü­cke­rei? Selbst für die Bevöl­ke­run­gen des Wes­tens, die in den letz­ten vier­zig Jah­ren gewal­tig an Lebens­stan­dard ein­ge­büßt haben, wäre das eine gewal­ti­ge Ver­bes­se­rung. Genau dar­um ist es so wich­tig, den Krieg in der Ukrai­ne am Lau­fen zu hal­ten. Es könn­te sonst noch jemand dort bemer­ken, dass gera­de wirk­li­che Frei­heit im Ange­bot ist.

Dag­mar Henn ist Mit­glied des Deut­schen Frei­den­ker-Ver­ban­des, von des­sen Web­site frei​den​ker​.org der Arti­kel über­nom­men wur­de, Erst­ver­öf­fent­li­chung am 18.04.2023 auf RT DE

Bild: Pix­a­bay

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