Instant-​Marx für Marx-Abgeneigte

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Liebe Marx-​Abgeneigte zur Linken und Rechten, Rinken und Lechten,

auf der Suche nach menschenfreundlichen Auswegen aus dem gegenwärtigen Krisen‑, Massenmord‑ und Kriegsgeschehen kann uns der Verlust von Missverständnissen helfen. Nachdem ihr euch das hier reingezogen habt, werdet ihr wahrscheinlich besser über Marxens Wirtschaftskram Bescheid wissen als die meisten meiner kommunistischen Gesinnungsgeschwister (falls die hier nicht mitlöffeln). Kürzer hab ich’s leider nicht hinbekommen. Zudem lässt sich so einiges von Marx anders auslegen. Umrühren ist wichtig. Sonst gibt’s Klümpchen!

1. Marktwirtschaft

»Die Marktwirtschaft ist das bestmögliche Wirtschaftssystem!«, sagen viele von euch und meinen vielleicht weniger den Kapitalismus als die einfache Warenwirtschaft.

Einfache Warenwirtschaft funktioniert nach dem Muster: Ware — Geld — andere Ware (W — G — W’). Menschen stellen Güter und Dienstleistungen her und bereit, die sie selbst nicht brauchen, damit sie Güter und Dienstleistungen kaufen können, die sie haben wollen.

Einfache Warenwirtschaft läuft gut, wenn die Beteiligten in einigermaßen ausgewogenen Tauschverhältnissen bekommen, was sie haben wollen, und dafür hergeben, was sie aufgrund spezialisierter Fähigkeiten und Werkzeuge besonders effektiv bereitstellen können, ohne es selbst zu brauchen.

In der einfachen Warenwirtschaft kann es einen Handelssektor geben, der nach dem Muster funktioniert: Geld — Ware — mehr Geld (G — W — G’). Für Handelsleute laufen die Geschäfte gut, wenn sie bei Abschluss des Geschäfts mehr Geld haben als sie für Kamele, Bewaffnete zum Schutz der Karawane, Chinesischunterricht, Warenkauf … ausgeben mussten. Mit welchen Waren sie zu mehr Geld kommen, kann ihnen egal sein (soweit die Waren auf Kamele passen). Der Erfolg der Handelsgeschäfte hängt davon ab, dass andere die Waren bekommen, die sie haben wollen, und zwar zu Tauschverhältnissen, bei denen sie nicht selber auf ein Kamel steigen würden.

Kapitalistisch wird eine Wirtschaft, wenn sich das Muster G — W — G’ aus dem Handelsbereich auf den Bereich der Produktion ausdehnt.

Möglich wird eine hauptsächlich kapitalistisch funktionierende Wirtschaft durch die Trennung relativ vieler Menschen von Privateigentum und/​oder Gemeineigentum an Produktionsmitteln wie Wald, Land, Bodenschätze und was sich daraus machen lässt.

Diejenigen, die von Produktionsmitteln getrennt oder von vornherein ohne Eigentum geboren wurden, sind zur Lohnarbeit gezwungen bei Menschen,

»die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben«.

»[D]er Mensch, der kein andres Eigentum besitzt als seine Arbeitskraft, […] kann nur mit ihrer Erlaubnis arbeiten, also nur mit ihrer Erlaubnis leben.«1

Für ihren Lohn kaufen die Lohnabhängigen die von ihnen selbst hergestellen Waren. So fließen die Löhne als Verkaufseinnahmen zurück an diejenigen, »die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben«. Diese behalten und vermehren ihr Eigentum, sei es in Gestalt von Waren oder Geld oder Produktionsmitteln. Fast. Denn hin und wieder kicken sie ihresgleichen aus dem Geschäft, die dann aus dem Fenster springen oder lohnabhängig werden. Den meisten Lohnabhängigen rinnen unterdessen Geld und Waren durch die Finger und Mägen, so dass sie immer wieder auf’s Neue ihre Arbeitskraft verkaufen müssen. Mit Urlaubsansprüchen, Krankenversicherung und Rente kann das durchaus ein erträgliches Leben sein.

Kapitalistische Warenwirtschaft läuft gut, solange die Beteiligten bekommen, was sie zum Leben und Weitermachen brauchen und sich einigermaßen ausgewogene Tauschverhältnisse der lebenswichtigen Waren gegen andere Waren, einschließlich der Ware Arbeitskraft, einpendeln – und solange zusätzlich für die wirtschaftlich Wichtigsten derer, »die sich zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen gemacht haben«, mehr Geld G’ herausspringt.

»Eine Geldsumme kann sich von der andren Geldsumme überhaupt nur durch ihre Größe unterscheiden. Der Prozess G — W — G’ schuldet seinen Inhalt daher keinem qualitativen Unterschied seiner Extreme, denn sie sind beide Geld, sondern nur ihrer quantitativen Verschiedenheit.«2

Aufgrund der Bedingung, dass aus Warenproduktionen mehr Geld herausspringen muss, kommt es im Kapitalismus zu Krisen auch und gerade dann, wenn ein allgemeiner Überfluss an Waren besteht. In einer bedarfsorientierten Wirtschaft könnten sich die Menschen in diesem Fall einfach auf die faule Haut legen oder angenehme Dinge tun. In einer einfachen Warenwirtschaft käme es in diesem Fall wahrscheinlich zu Konkurrenzkämpfen, in deren Folge Warenproduzierende aus dem Geschäft gekickt und zur Lohnarbeit gezwungen werden, wodurch Kapitalismus möglich würde.

Doch arbeiten auch im Kapitalismus viele mittelständische und kleine Unternehmerinnen nach dem Muster W — G — W’ der einfachen Warenwirtschaft: Sie machen weiter und versuchen, ihre Lohnabhängigen gut zu behandeln, solange die Einkünfte zum Weitermachen reichen, auch wenn kein G’ herausspringt. Letztlich aber unterliegen sie der Logik des Kapitalismus, aus der heraus ein Unternehmen mit Hilfe eines möglichst großen G’ laufend zu modernisieren ist, soll es im Konkurrenzkampf bestehen. Durch diesen Kampf verlief im Kapitalismus die technologische Entwicklung deutlich schneller als in anderen, vorhergehenden und zeitgleich bestehenden Wirtschaftssystemen – ein verständlicher Grund, den Kapitalismus für das bestmögliche Wirtschaftssystem zu halten.

2. Wert

Erste von drei Annäherungen – vielen bekannt

Marx setzt als Maß für einigermaßen ausgewogene Tauschverhältnisse die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit zur Herstellung einer Ware an, ihren »Wert«. Erfordert die Herstellung zum Beispiel eines Tisches mit allem Drum und Dran – Bäume schlagen, Ausbildung, Essen kochen, Transporte, Werkstatt putzen usw. – 10 Stunden Arbeit, und sind für einen Tisch nur Kartoffeln in einer Menge zu haben, deren Herstellung mit allem Drum und Dran 5 Stunden Arbeit erfordert, ist das Tauschverhältnis unausgewogen.

Allgemein: Eine Menge a der Ware A und eine Menge b der Ware B haben denselben Wert, wenn die Herstellung der beiden Warenmengen dieselbe Zeit an Durchschnittsarbeit (Durchschnittsgeschick, Durchschnittsbildung, durchschnittliche Arbeitsintensität …) erfordert. Die Warenpreise schwanken um den Warenwert als »Gravitationspunkt«3. Bei unausgewogenen Tauschverhältnissen müssen Beteiligte ihre Poduktionen ändern oder wechseln, um über die Runden zu kommen. Dies gilt für Gesellschaften, die hauptsächlich Warenhandel betreiben, ob Kapitalismus oder einfache Warenwirtschaft.

In Gesellschaften, die nur nebenbei Warenhandel betreiben, spielt die Arbeitszeit im Tauschhandel eine geringere Rolle. Für deren Mitglieder kann es zum Beispiel durchaus vorteilhaft sein, mühsam erjagte und bearbeitete Bärenfelle gegen wunderschön glitzernde Glasperlen einzutauschen, deren Herstellung in einer überseeischen Fabrik zehn Minuten dauerte.

Zweite Annäherung – vielen unbekannt

Beim Marxschen Wert geht es nicht eigentlich um die Herstellung, sondern um die Wiederherstellung (Reproduktion) von Waren.

»[D]er Wert der Waren [ist] bestimmt […] nicht durch die Arbeitszeit, die ihre Produktion ursprünglich kostet, sondern durch die Arbeitszeit, die ihre Reproduktion kostet, und diese [nimmt] infolge der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft der Arbeit fortwährend [ab].«4

Vermindert zum Beispiel eine neue Produktionsmethode die allgemein zur Herstellung von Kochtöpfen nötige Arbeitszeit, sinkt der Wert der Kochtöpfe – auch derer, die vor der Erfindung produziert wurden und nun auf dem Markt in Konkurrenz zu den mit der neueren Methode produzierten Kochtöpfen angeboten werden. Kochtopfkapitalistinnen mit größeren Lagerbeständen oder noch nicht amortisierten veralteten Maschinenparks und deren Arbeiterinnen haben dann eben Pech.

Die Wertbestimmung erfolgt außerdem nicht direkt anhand von Arbeitszeiten, sondern im Verhältnis zwischen Arbeitszeiten.

»Der Wert eines Produkts wird nicht durch die Arbeitszeit konstituiert, die zu seiner Herstellung für sich allein notwendig ist, sondern im Verhältnis zur Menge aller anderen Produkte, die in derselben Zeit erzeugt werden können.«5

Mit einem Verhältnis zwischen der durchschnittlich nötigen Arbeitszeit für eine Menge a einer Ware A und der durchschnittlich nötigen Arbeitszeit für eine andere Menge b einer Ware B ist es demnach nicht getan. Sämtliche anderen Waren sind an der Wertbestimmung beteiligt.

Dritte Annäherung – geradezu geheim

Karlchen hat einen Teddy und Pikkólína hat 50 Murmeln. Die beiden wollen tauschen und überlegen, wie viel Murmeln der Teddy wohl wert ist.

Der Wert-​Maßstab, auf den die Kinder Murmeln und Teddy beim Tauschhandel beziehen, ist wahrscheinlich so etwas wie »die emotionale Bindung an einen Gegenstand«. Je ausgeprägter die emotionale Bindung Karlchens an seinen Teddy, desto mehr Murmeln wird er verlangen. Je ausgeprägter die emotionale Bindung Pikkólínas an die Murmeln, desto weniger Murmeln wird sie herausrücken wollen.

Aus der speziellen emotionalen Bindung von Pikkólína an die Murmeln und der speziellen emotionalen Bindung von Karlchen an den Teddy machen Pikkólína und Karlchen beim Tauschen etwas Gleiches. Im Tauschgeschäft erzeugen sie einen Maßstab, der sowohl auf die Beziehung Pikkólína/​Murmeln als auch auf die Beziehung Karlchen/​Teddy zutrifft: eine »emotionale Bindung an einen Gegenstand schlechthin«. Darüber Bescheid zu wissen brauchen sie nicht. Sollten sie darüber Bescheid wissen, täten sie nichts anderes.

Ähnlich wird aus speziellen Arbeiten zur Herstellung spezieller Produkte erst durch eine allgemeine Praxis des Tauschgeschäfts Wert. Diese Praxis ist dadurch gekennzeichnet, dass sie menschliche Arbeit für die verschiedensten Produkte miteinander gleich setzt.

»Außerhalb ihrer Beziehung aufeinander – der Beziehung, worin sie gleichgelten – besitzen weder der Teddy noch die Murmeln Wertgegenständlichkeit oder ihre Gegenständlichkeit als bloße Gallerten menschlicher Arbeit schlechthin. Diese gesellschaftliche Gegenständlichkeit besitzen sie auch nur als gesellschaftliche Beziehung.«6

Nach Marx ist als Gemeinsamkeit zu tauschender Produkte im Kapitalismus nicht die emotionale Bindung an einen Gegenstand entscheidend, sondern gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit.7 Begründung:

Damit sich eine Gesellschaft erhalten kann, müssen Menschen unterschiedliche Arbeiten verrichten bzw. dafür sorgen, dass Tiere oder Maschinen Arbeiten verrichten. Eine arbeitsteilige Gesellschaft, in der nicht Fürstinnen oder wie immer geartete Kommitees oder künstliche Intelligenzen gesellschaftlich notwendige Arbeiten gezielt verteilen, geht entweder unter oder entwickelt Mechanismen, die unabhängig von zentralen Arbeitsverteilungsaktivitäten dafür sorgen, dass im Großen und Ganzen

  1. zum Erhalt der Gesellschaft notwendige Arbeiten überhaupt getan werden
  2. zum Erhalt der Gesellschaft notwendige Arbeiten in geeigneter Verteilung getan werden, so dass nicht einige notwendige Arbeiten zugunsten eines Übermaßes anderer Arbeiten ungetan bleiben, und
  3. zum Erhalt der Gesellschaft notwendige Arbeiten in geeigneter Verteilung weiterhin getan werden können.

Im Kapitalismus bilden Warenmärkte diese Mechanismen aus.

3. Geld

Beim Warenhandel praktizieren Menschen eine gesellschaftliche Beziehung, in der Teddys und Murmeln als »bloße Gallerten menschlicher Arbeit« aufeinander bezogen sind. Da »Gallerten menschlicher Arbeit« ziemlich unhandlich sind, verpassen Gesellschaften ihnen eine Form: Geld.

»Geld ist […] die selbständige handgreifliche Existenzform des Werts […], worin alle Spur des Gebrauchswerts der Waren ausgelöscht ist.«8

Entscheidend für die Funktionstüchtigkeit einer »selbständigen Wertform« ist: Wenn ich meine Ware A gegen die »Wertform« eintausche, muss ich davon ausgehen können, später für diese »Wertform« Waren B, C, D … eintauschen zu können, die meinem Arbeitsaufwand und meinen Kosten, die wiederum Arbeitsaufwand für andere bedeuten, mindestens entsprechen. Kommt jemand mit einem Papierzettel aus einem entfernten Königreich an oder bringt eine Zentralbank massenweise Geldscheine in Umlauf, ist das nicht unbedingt der Fall.

Damit sich unterschiedliche Gesellschaften im Warenhandel auf einen gemeinsamen Maßstab beziehen konnten, benötigte die »selbständige Wertform« eine von politischen Grenzen weitgehend unabhängige Gestalt. Geschichtlich setzten sich als übergreifende Geldgestalten vor allem Silber und Gold durch. Soweit politische und militärische oder technologische Zusammenhänge es erlauben, sind auch andere Wertformen möglich, außer Papierzetteln etwa Muscheln oder Rechenwerte aus mehreren Währungen oder Kryptowährungen.

Warenhandel als Wirtschaftsweise kann an fehlenden Waren scheitern, aber nicht an fehlendem Geld. Besteht Bedarf an Warenhandel, begegnen die Beteiligten Problemen fehlenden Geldes mit Ad-​hoc-​Währungen, zum Beispiel in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg mit Zigaretten.

Mit dem Wachstum des Handels, der Kriegsmaschinerien und der Industrie bildeten sich Institutionen aus, die größere Geldsummen handhaben konnten, ohne gleich pleite zu gehen, wenn ein Handelsschiff auf Grund lief, ein Krieg verpatzt wurde oder Bauprojekte zusammenbrachen.

Da Staatswesen mit großen Geldsummen hantieren, sind wechselseitige Abhängigkeiten und Verquickungen zwischen ihnen und großen Finanzinstitutionen kaum zu vermeiden. Ohne Verstaatlichung oder Vergesellschaftung der Finanzinstitutionen können diese Beziehungen nicht anders funktionieren als auch zur Befriedigung der Privatinteressen reicher Leute, unter deren Kontrolle sich die großen Finanzinstitutionen befinden.

4. Angebot und Nachfrage

Preise sind Zuordnungen einer bestimmten Menge der »selbständigen Wertform«, einer bestimmten Geldmenge, zu bestimmten Mengen von Produkten.

Stellt man sich vereinfachend vor, dass jede Geldeinheit im Verlauf eines Jahres nur ein Mal ausgegeben werden kann, lässt sich der Zusammenhang zwischen Preis und Wert ganz grob wie folgt veranschaulichen:

Alles zum Kauf von Waren innerhalb eines Jahres verfügbare Geld liegt auf einem Haufen. Alle zum Kauf innerhalb eines Jahres verfügbaren, Wert vergegenständlichenden Waren liegen auf einem zweiten Haufen. Der Geldhaufen insgesamt gesehen entspricht immer dem Wert des Warenhaufens insgesamt gesehen, egal wie groß der Geldhaufen ist. Wird für jede Ware vom Geldhaufen eine Geldportion verlangt, die der zur Produktion dieser Ware durchschnittlich nötigen Arbeitszeit entspricht, liegt Wert/​Preis-​Entsprechung vor. Daran ändert die Größe des Geldhaufens nichts. Bei einem größeren Geldhaufen werden einfach nur alle Geldportionen für alle Waren größer. Oder anders gesagt: die Geldeinheit wird Wert-loser.

In der wirklichen Welt werden für einige Waren Preise verlangt, die über ihrem Wert liegen, und für andere Waren Preise, die unter ihrem Wert liegen. Das passiert, weil sich meistens Angebot und (zahlungsfähig gemeinte) Nachfrage nach Waren nicht decken.

Angebot und Nachfrage bilden den Hauptmechanismus, mit dem der ideale Kapitalismus und auch die ideale einfache Warenwirtschaft festlegen, wie viel Arbeit in welche Produktionen gesteckt werden soll. Da dieser Mechanismus erst nach der Produktion von Waren greift, erzeugt die Wirtschaft unvermeidlich zu viel oder zu wenig dieser oder jener Produkte.

Mit einem steigenden Preis drückt der Warenmarkt aus: von dieser Ware soll mehr hergestellt werden; für ihre Produktion wurde weniger menschliche Arbeit aufgewandt als die Marktbeteiligten für nötig halten. Mit einem sinkenden Preis drückt der Warenmarkt aus: von dieser Ware soll weniger hergestellt werden; für ihre Produktion wurde mehr menschliche Arbeit aufgewandt als die Marktbeteiligten für nötig halten. Durch sinkende Preise bewirkt der Markt einen Produktionsrückgang spätestens dann, wenn die Preissenkung es unmöglich macht, aus den Verkaufseinnahmen die Produktion im bestehenden Umfang weiterzufinanzieren.

»Z. B. es sei proportionell zuviel Baumwollgewebe produziert, obgleich in diesem Gesamtprodukt von Gewebe nur die unter den gegebnen Bedingungen dafür notwendige Arbeitszeit realisiert. Aber es ist überhaupt zuviel gesellschaftliche Arbeit in diesem besondren Zweig verausgabt; d.h. ein Teil des Produkts ist nutzlos. Das Ganze verkauft sich daher nur, als ob es in der notwendigen Proportion produziert wäre. Diese quantitative Schranke der auf die verschiednen besondren Produktionssphären verwendbaren Quoten der gesellschaftlichen Arbeitszeit ist [… ein] Ausdruck des Wertgesetzes«.9

Es sind gerade die Abweichungen der Preise von den Werten, die auf eine Wert/​Preis-​Angleichung drängen – ohne dass diese in der Regel erreicht wird.

Meinungen, nach denen Angebot und Nachfrage allein genügen, um die Erhaltung einer Gesellschaft zu gewährleisten, werden eher selten vertreten. Bei funktionierender Konkurrenz spiegeln die Preise oft nicht allen gesellschaftlich nötigen Arbeitsaufwand wieder, der mit einem Produkt verbunden ist. Arbeitsaufwand, den beispielsweise langfristige ökologische oder gesundheitliche Schäden verursachen, die bei der Produktion oder dem Gebrauch des Produkts entstehen, bleibt meistens unberücksichtigt. Daher sehen viele Menschen es als zweckmäßig an, durch gesetzliche Zwänge dafür zu sorgen, dass in Umwelt‑, Arbeits‑ und Verbraucherschutzmaßnahmen mehr Arbeit gesteckt wird, als Preisbildungen auf Warenmärkten von sich aus veranlassen würden.

Daran, dass eine kapitalistische Gesellschaft nicht zusammenbricht, ist erkennbar, dass sie es – mit mehr oder weniger Staatseinfluss, gesteuerten Märkten, Monopolen … – im Großen und Ganzen schafft, die Preise der Waren entsprechend der zum Gesellschaftserhalt nötigen Arbeit festzulegen. »Gesellschaftserhalt« ist dabei nicht zu verwechseln mit »Erfüllung der Bedürfnisse der Gesellschaftsmitglieder«. Fortgeschrittene kapitalistische Gesellschaften können sich zum Beispiel weitgehend problemlos erhalten, während ihre älteren Mitglieder an hohen Heizkosten bzw. zu niedrigen Renten sterben. Andererseits: Je höher die Arbeitsproduktivität und der allgemeine materielle Wohlstand sind, desto mehr darf bezüglich des Angebot/​Nachfrage-​Mechanismus und der Arbeitsverteilung schief laufen, ohne dass gleich Menschen sterben.

Preisbildungstheorien, die den Schwerpunkt auf subjektive Entscheidungen oder Knappheiten oder Grenznutzen legen, und Preisbildungstheorien, die den Schwerpunkt auf Arbeitszeiten legen, schließen einander nicht unbedingt aus. Sie können unterschiedliche Aspekte der Preisbildung erklären.

»Wenn Nachfrage und Zufuhr [Angebot] sich decken, hören sie auf zu wirken, und eben deswegen wird die Ware zu ihrem Marktwert verkauft. Wenn zwei Kräfte in entgegengesetzter Richtung gleichmäßig wirken, heben sie einander auf, wirken sie gar nicht nach außen, und Erscheinungen, die unter dieser Bedingung vorgehn, müssen anders als durch das Eingreifen dieser beiden Kräfte erklärt werden. […] Die wirklichen innern Gesetze der kapitalistischen Produktion können offenbar nicht aus der Wechselwirkung von Nachfrage und Zufuhr erklärt werden […], da diese Gesetze nur dann rein verwirklicht erscheinen, sobald Nachfrage und Zufuhr aufhören zu wirken, d.h. sich decken. Nachfrage und Zufuhr decken sich in der Tat niemals, oder wenn sie sich einmal decken, so ist es zufällig […]. In der politischen Ökonomie [Wirtschaftswissenschaft] wird aber unterstellt, dass sie sich decken, warum? Um die Erscheinungen in ihrer gesetzmäßigen, ihrem Begriff entsprechenden Gestalt zu betrachten«.10

5. Wert der Arbeitskraft

Wie der Wert aller Waren, so wird laut Marx auch der Wert der Arbeitskraft von der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit bestimmt, die zu ihrer Reproduktion erforderlich ist – »Reproduktion« als ständiger Vorgang der Erhaltung und Neuschaffung von Arbeitskraft verstanden.

Durch technische Fortschritte kann die Gesamtarbeitskraft schrumpfen, die eine Gesellschaft zu ihrer Erhaltung braucht. Gelingt es gewerkschaftlichen und/​oder politischen Zusammenschlüssen, die Marktmechanismen von Angebot und Nachfrage zu unterlaufen, verhungern dadurch keine Menschen. Gelingt ihnen das nicht, landen überflüssig gewordene Arbeitskräfte wie andere überflüssige Waren auf dem Müll.

Gelernte Arbeitskräfte zu reproduzieren, erfordert mehr Arbeitszeit als un- oder angelernte Arbeitskräfte zu reproduzieren. Während ihrer Lernzeit sind die angehenden gelernten Arbeitskräfte durchzufüttern und mit Lernmaterialien und den zugehörenden Professorinnen und Lehrern zu versorgen, deren Reproduktion wiederum Arbeitszeit erfordert.

Löhne sind Preise der Arbeitskraft.

Wie bei anderen Waren auch entsprechen die Preise meistens nur im Sinn eines »Gravitationspunkts« den Werten – oder noch nichtmal das. Im Hochlohnsektor können die Löhne so hoch liegen, dass den Betreffenden nach Abzug aller Reproduktionskosten ein Überschuss bleibt, von dem sie Aktien kaufen und Teilzeitkapitalistinnen werden. Ausgleichsweise können bei leicht ersetzbaren Arbeitskräften die Preise der Arbeitskraft längerfristig unter den Reproduktionskosten liegen, wenn der Nachschub von Arbeitskräften von außerhalb des kapitalistischen Systems gesichert ist. Für die Ernährung der Kinder bis zur Entstehung brauchbarer Arbeitskräfte kommen dann beispielsweise inländische oder ausländische Bauernfamilien mit ihrer Subsistenz‑ oder einfachen Warenwirtschaft auf.11

Was in einer Gesellschaft als zur Reproduktion von Arbeitskraft nötig gilt, hat zum großen Teil politische und historische Gründe. Bezahlte Urlaube wie auch das Nichtverhungernlassen überflüssiger Arbeitskräfte stellen in manchen kapitalistischen Systemen einen Teil des Werts von Arbeitskräften dar, nachdem diese Dinge dem Kapital durch Streiks und Enteignungsdrohungen als zur Reproduktion der Arbeitskraft erforderlich eingeprügelt wurden.

Nicht-​Bereitschaft zur Revolution aufrecht zu erhalten, ob durch Gewalt oder Zugeständnisse, bildet einen Teil des nötigen Reproduktionsaufwands der Arbeitskräfte.

In gewissen Hinsichten wettgemacht wurde die Wert-​Erhöhung der Arbeitskraft, die bezahlte Urlaube und Durchfütterung unbrauchbarer Arbeitskräfte mit sich brachten, durch Wert-​Minderungen an anderen Stellen. Bei vielen Waren, die zur Reproduktion der Arbeitskraft erforderlich sind, gab es beträchtliche Produktivitätssteigerungen – auch im Privatleben. Man denke etwa an Zeiten mit Kohleöfen und ‑herden und ohne Waschmaschinen. Zur längerfristigen mentalen und körperlichen Gesunderhaltung und Reproduktion von Facharbeitern war in Zeiten ohne Fernsehen und mit vielen Kneipen ein Lohn, der die Versorgung einer disziplinierenden und hausarbeitenden Ehepartnerin mitumfasste, die billigste Option.

Speziell in Krisenzeiten sinken meistens die Preise der Arbeitskraft, jedoch nicht unbedingt ihr Wert. Symptom von Preisen für Arbeitskräfte, die unterhalb ihres Werts liegen, sind Reproduktionsschwierigkeiten: Krankheit, Wohnungsnot, Neigung zum Aufruhr. Werden diese Schwierigkeiten durch staatliche Zuschüssse wie zum Beispiel Kindergeld ausgeglichen, entspricht in gewisser Weise der Preis der Arbeitskraft ihrem Wert, aber der Preis wird von denen, die die Arbeitskraft kaufen, nicht vollständig bezahlt. Ein Teil des Preises wird aus Steuergeldern beglichen, die von Einkommen Bessergestellter abgezogen werden.

In Krisen verminderte Preise für Arbeitskräfte lassen sich nutzen, um den Wert der Arbeitskräfte zu senken. Erkennbar werden solche Wertsenkungen an ausbleibenden Lohnerhöhungen bei konjunkturellen Aufschwüngen und an der Bewältigung anfänglicher Reproduktionsschwierigkeiten durch Gewöhnung oder Antidepressiva oder eBay.

6. Gesamtarbeiter

Es gibt viele Arbeiten, bei denen Arbeiterinnen den Eindruck haben könnten, den Kapitalistinnen lediglich Geld zu kosten, aber ihnen kein Geld einzubringen. Hier hilft Marxens Vorstellung vom »Gesamtarbeiter« weiter.

Die Ware ist »das gemeinsame Produkt eines Gesamtarbeiters, d. h. eines kombinierten Arbeitspersonals, dessen Glieder der Handhabung des Arbeitsgegenstandes näher oder ferner stehen. Mit dem kooperativen Charakter des Arbeitsprozesses […] erweitert sich […] der Begriff der produktiven Arbeit und ihres Trägers, des produktiven Arbeiters. Um produktiv zu arbeiten, ist es nun nicht mehr nötig, selbst Hand anzulegen; es genügt Organ des Gesamtarbeiters zu sein, irgendeine seiner Unterfunktionen zu vollziehen.«12

»[Arbeit, die sich fixiert und realisiert in einer käuflichen und tauschbaren Ware], [umfasst:] alle intellektuellen Arbeiten, die direkt in der materiellen Produktion konsumiert werden. Nicht nur der direkte Handarbeiter oder Maschinenarbeiter, sondern [Aufseher, Ingenieur, Manager] […] etc., kurz die Arbeit des ganzen Personals, das in einer bestimmten Sphäre der materiellen Produktion nötig ist, um eine bestimmte Ware zu produzieren, dessen [Zusammenwirken] von Arbeiten (Kooperation) notwendig zur Herstellung der Waren ist. In der Tat fügen sie dem [konstanten Kapital] ihre Gesamtarbeit hinzu und erhöhen den Wert des Produkts um diesen Betrag. (Wieweit dies von Bankiers etc. gilt?)«13

Mit dieser Vorstellung vom Gesamtarbeiter wird der Begriff des »Proletariats« ziemlich umfangreich – was manchen kommunistischen Strömungen so wenig in den Kram passt, dass sie ihren Proletariatsbegriff auf eine Teilmenge dessen reduzieren.

7. Inflation und Kredit

»Inflation« bedeutet in einer ersten Annäherung: Die den Leuten zum Kauf von Waren verfügbare Geldmenge steigt stärker als der Wert, der in den kaufbaren Waren vergegenständlicht ist. Dadurch kommt es zu allgemeinen Preiserhöhungen.

Die zum Kauf von Waren verfügbare Geldmenge hängt auch von der Umlaufgeschwindigkeit des Geldes ab. Je häufiger eine Geldeinheit – sei es eine Münze oder eine Kontobuchung – die Inhaberschaft wechselt, desto häufiger kann sie dem Kauf von Waren dienen.

Im vorherrschenden Geldsystem erzeugen Banken »Geld aus dem Nichts«. Marx nennt aus dem Nichts geschaffenes Geld, Banknoten inbegriffen, »Kreditgeld« und unterscheidet es von »wirklichem Geld«, d.h. Gold und Silber.14

Obschon Kreditgeld für sich gesehen die Geldmenge relativ zum vergegenständlichten Wert erhöhen kann, erzeugt es nicht unbedingt Preiserhöhungen lebensnotwendiger Waren, wenn es

  • die Poduktion zusätzlichen Werts anregt oder
  • in Finanzmärkte fließt und dort bleibt.

Werden von Kreditgeld Produktionsmittel und Arbeitskräfte gekauft, können zusätzliche Produktionen entstehen. Laufen die Geschäfte gut, gleicht der Wert der dadurch zusätzlich entstehenden Waren den inflationären Effekt des Kreditgelds mindestens teilweise aus.

Phantasiebeispiel: Eine Eisenbahnlinie ermöglicht den Transport landwirtschaftlicher Erzeugnisse, die ohne sie aufgrund langer Transportzeiten unterwegs vergammeln würden und daher gar nicht erst angebaut werden. Solange die Kreditzinsen nicht allzu hoch sind, ist es für eine Regierung zweckmäßig, die Eisenbahnlinie per Kredit zu finanzieren und nicht zunächst 20 Jahre lang Goldbarren für sie zu sammeln. Die durch die Eisenbahnlinie zusätzlich angebauten landwirtschaftlichen Erzeugnisse unterfüttern das Kreditgeld mit Wert.

Anderes Phantasiebeispiel: Das Gesundheitsministerium von Simbabwe muss mRNA-​Spritzstoff kaufen, um Anforderungen der Weltgesundheitsorganisation zu erfüllen. Das Pharmakapital will in Euros bezahlt werden, nicht in Simbabwe-​Dollars, die morgen nichts mehr wert sein könnten. Um an die Euros zu kommen, nimmt Simbabwe einen Kredit bei einer großen Bank auf. Dort schnippt eine Bankerin mit den Fingern und schon sind die Euros da. Mit diesen Euros kauft das Gesundheitsministerium von Simbabwe den Spritzstoff. Um den Kredit zurückzahlen zu können, muss Simbabwe Waren exportieren, deren Herstellung Arbeit erfordert. Auf diese Weise wird der aus dem Nichts geschaffene Euro-​Betrag mit Wert unterfüttert. Gelingt Simbabwe die Kreditrückzahlung nicht, bleibt der Euro-​Betrag heiße Luft.

Kreditgeld, das für Konsumtionsmittel oder Gift oder Panzer oder Wertpapiere (Aktien, Schuldscheine …) ausgegegeben wird, kann den Aufbau zusätzlicher Produktionen anregen oder ermöglichen und dadurch ebenfalls zu einer Erhöhung der Wertmasse führen. So regen zum Beispiel Spekulationsblasen auf dem Immobilienmarkt die Wertproduktion in der Bauwirtschaft an. Platzen die Blasen, zerfallen allerdings die Werte: es stellt sich heraus, dass relativ zur zahlungsfähigen Nachfrage »zuviel gesellschaftliche Arbeit in diesem besondren Zweig verausgabt« wurde (siehe Abschnitt Angebot und Nachfrage).

Obschon sich auf den heutigen Finanzmärkten enorme Geldbeträge herumwälzen, halten sich Preiserhöhungen lebensnotwendiger Waren in Grenzen, soweit das Geld nicht direkt als Nachfrage nach solchen Waren erscheint. Indirekte Wirkungen können gravierend sein. Eine ehemalige Wertpapierhändlerin im Nahrungsmittelbereich meinte einmal dazu:

»Mein Geschäftsgebiet war der Hunger […] ganz sicher habe ich mehr Menschenleben auf dem Gewissen als all die Generäle und Politiker, die man wegen Kriegsverbrechen vor Tribunale gestellt hat. Der Unterschied ist nur: mich wird man nie vor Gericht stellen.«15

8. Mehrprodukt, Mehrwert und Profit

Mehrprodukte sind Güter, die Menschen, Maschinen und nichtmenschliche Lebewesen über das hinaus erzeugen, was sie im Rahmen ihrer Arbeit und für ihre eigene Reproduktion verbrauchen.

Mehrprodukte ermöglichen den Unterhalt von Nichtarbeitenden, Erweiterungen der Produktion, Forschungen, die Sammlung von Reserven, Verschwendung und allerhand Unsinn. Sie sind eine wirtschaftssystem-​übergreifende Angelegenheit.

Im Unterschied zum Mehrprodukt ist Mehrwert nach Marxens Begriffsverständnis etwas, das Mehrprodukten nur im Kapitalismus zukommt.

Im funktionierenden Kapitalismus übersteigt der Gesamtwert sämtlicher in einem bestimmten Zeitraum geschaffenen Waren den Gesamtwert der in diesem Zeitraum zur Reproduktion des bisherigen Produktionsumfangs und zur Reproduktion sämtlicher Arbeitskräfte nötigen Waren. Die Differenz bildet das Mehrprodukt und als solches den Mehrwert, den sich Kapitalistinnen aneignen.

Beim Warenverkauf wird der Mehrwert zu Geld und damit zu Profit. Marx nennt das »Mehrwertrealisierung«.

»Der Kapitalist zahlt den Wert, resp. davon abweichenden Preis der Arbeitskraft [Lohn] und erhält im Austausch die Verfügung über die lebendige Arbeitskraft selbst. Seine Nutznießung dieser Arbeitskraft zerfällt in zwei Perioden. Während der einen Periode produziert der Arbeiter nur einen Wert = Wert seiner Arbeitskraft, also nur ein Äquivalent. Für den vorgeschossnen Preis der Arbeitskraft erhält so der Kapitalist ein Produkt vom selben Preis. Es ist, als ob er das Produkt fertig auf dem Markt gekauft hätte. In der Periode der Mehrarbeit dagegen bildet die Nutznießung der Arbeitskraft Wert für den Kapitalisten, ohne ihm einen Wertersatz zu kosten. Er hat diese Flüssigmachung der Arbeitskraft umsonst. In diesem Sinn kann die Mehrarbeit unbezahlte Arbeit heißen. […] Aller Mehrwert, in welcher besondern Gestalt von Profit, Zins, Rente [Einnahmen aus Wertpapieren oder auch Zinsen auf Sparkassenbücher] usw. er sich später kristallisiere, ist seiner Substanz nach Materiatur unbezahlter Arbeitszeit.«16

Praktisch wurde im Kapitalismus Zeit = Geld. Speziell in der Anfangsphase der Entwicklung des Kapitalismus werden leicht ersetzbare Arbeiterinnen in der Regel durch niedrige Löhne gezwungen, pro Jahr weit mehr Stunden zu arbeiten als es unter vorkapitalistischen Bedingungen üblich war. Erträgliche Arbeitszeiten lassen sich oft erst durch schwere Kämpfe erreichen.17

Um im Zuge des Konkurrenzkampfs nicht aus dem Geschäft gekickt zu werden, sind Kapitalistinnen gezwungen, aus Arbeiterinnen herauszuholen, was irgend geht.

In diesem Zusammenhang bekommen gesetzliche Zwänge Bedeutung. Werden alle Kapitalistinnen gleichermaßen gezwungen, zum Beispiel keine Kinder zu Minilöhnen für sich arbeiten zu lassen und sie bei der Gelegenheit mit allem möglichen Dreck zu vergiften, wirkt sich der Verzicht auf Kinderverschleiß bzw. Zahlung ausreichend hoher Löhne für Familienmütter und ‑väter weniger als Nachteil im Konkurrenzkampf aus. Daher sehen viele im Staat, der solche Zwänge schafft, eine wichtige Instanz, um den Kapitalismus im Rahmen des menschlich Erträglichen zu halten.

Doch nur, wenn der kapitalistische Konkurrenzkampf keine Gewinnerinnen und Verliererinnen hervorbrächte, wenn er also gar kein wirklicher Konkurrenzkampf wäre, käme aus ihm nicht die Herausbildung einer zunehmend reicher und schmäler werdenden »Wirtschaftselite« heraus, deren Staatseinfluss wächst.

Die gegenwärtigen Machtverhältnisse sind das Ergebnis eines Wettbewerbs, bei dem die Fiesen und Verlogenen strukturell bedingt bessere Karten haben als die Lieben und Ehrlichen.

Um den Kapitalismus gut und gerecht finden zu können, sollte man diese Aspekte lieber vergessen. Zusätzlich darf natürlich die Profitentstehung nicht mit unbezahlt eingeheimster Arbeitszeit erklärt werden. Die vorherrschende Erklärung stimmt mit der Praxis überein und geht etwa so:

Beim Warenverkauf machen Kapitalistinnen Profit, indem sie auf ihre Ausgaben für die Warenproduktion – eingekaufte Güter, Dienstleistungen und Arbeitskräfte – eine Summe aufschlagen, so dass die Verkaufspreise die Kosten übersteigen.

Damit diese Preisaufschläge allerdings nicht bloß eine inflationäre Wirkung haben, sondern Wert-​haltigen Profit darstellen, müssen ihnen Wert-​haltige Güter und/​oder Dienstleistungen entsprechen. Andere Güter und Dienstleistungen als solche, die Kapitalistinnen auf welchem Weg auch immer für umsonst erhielten, können dies nicht sein.

9. Kapital

Aus Geld wird Kapital, wenn

»ein Teil desselben in solche Waren verwandelt wird, die der Arbeit als Arbeitsmittel dienen (Rohstoff, Instrument, kurz, die sachlichen Arbeitsbedingungen), ein andrer Teil zum Ankauf von Arbeitsvermögen verwandt wird.«18

Marx nennt

  • »die sachlichen Arbeitsbedingungen« bzw. Produktionsmittel: konstantes Kapital (c)
  • das »Arbeitsvermögen« bzw. die Arbeitskraft: variables Kapital (v)

Indem die Arbeitskräfte mit Hilfe der Produktionsmittel Waren herstellen, erzeugen sie

  • Mehrwert (m)

Für Waren, die sie als konstantes und variables Kapital einsetzen, bezahlen Kapitalistinnen. Für den Mehrwert bezahlen Kapitalistinnen nichts. Die Warenproduktion spuckt Waren mit einem Gesamtwert aus, der gleich der Summe der Werte des eingesetzten Kapitals und des Mehrwerts ist: c + v + m = Gesamtwert.

Hierbei wird vereinfachend angenommen, dass sich am Produktionsprozess, Materialverbrauch und den Umweltbedingungen nichts Wesentliches ändert, denn eigentlich bezieht sich der Wert auf den Reproduktionsaufwand und nicht auf den bisherigen Produktionsaufwand.

Beim Warenverkauf erhält das produktive Kapital, wenn alles gut läuft, für c + v + m = Gesamtwert eine dem Wert entsprechende Geldmenge. m ist der Profit.

m ist nicht etwas, für das »zu viel« bezahlt würde – bloß weil Kapitalistinnen gierig wären.

In der einfachen Warenwirtschaft fallen v + m zusammen. Ein selbständiger Tischler verlangt Geld für die gesamte Arbeitszeit, die er leistet, nicht lediglich für den Teil, den er zur Reproduktion seiner Arbeitskraft ableisten muss. Für die Arbeit, die er über den bloßen Reproduktionsbedarf hinaus leistet und in Rechnung stellt, kann sich der Tischler einen Luxus gönnen, zusätzliche Maschinen kaufen, vielleicht jemanden einstellen und Kapitalist werden.

Dem variablen Kapital v entsprechen sämtliche Ausgaben, die innerhalb eines zugrunde gelegten Zeitraums zur Reproduktion der Arbeitskräfte nötig sind – außer Löhnen auch Sozialversicherungen, Steuern zur Finanzierung von Schulen, Verkehrswegen und Stromversorgung der lohnabhängigen Bevölkerung, Altersrenten, Propaganda-​Aufwand usw.

Verrichten Kapitalistinnen zur Herstellung einer Ware nötige Arbeiten, gehört ein Teil ihrer Einkünfte zu v – so, als hätten sie eine Arbeitskraft zum Beispiel zur Geschäftsführung eingestellt. Das Wort »Kapitalistin« steht weniger für einen Menschen als für eine Funktionalität, die zur Vereinfachung oder für ideologische Zwecke personifiziert wird.

Der Mehrwert m entspricht dem, was sich Kapitalistinnen allein aufgrund ihres Eigentums an Produktionsmitteln aneignen, ohne etwas zur Produktion beizutragen.19

»Die kapitalistische Produktion selbst hat es dahin gebracht, dass die Arbeit der Oberleitung, ganz getrennt vom Kapitaleigentum, auf der Straße herumläuft. […] Die [von Arbeitern selbst organisierten] Kooperativfabriken liefern den Beweis, dass der Kapitalist als Funktionär der Produktion ebenso überflüssig geworden, wie er selbst […] den Großgrundbesitzer überflüssig findet.«20

Dem konstanten Kapital c entsprechen Kosten für Rohstoffe, Werkzeuge, Verkehrswege, Stromversorgung, Gebäude … – sämtliche Wert-​haltigen Güter und Dienstleistungen, die innerhalb des zugrunde gelegten Zeitraums im Produktionsprozess verbraucht oder abgenutzt werden.

»Abgenutzt« bedeutet: der Wert des verbrauchten Etwasses bzw. der einer Abnutzung entsprechende Wert geht in das neue Produkt über und bleibt auf diese Weise erhalten, »konstant«. Der Wert einer Maschine etwa, die 10 Jahre in Gebrauch ist, geht zu einem Zehntel in die Produktion eines Jahres ein.21 Während der 10 Jahre, die diese Amortisation dauert, kann der Wert der Maschine durch Produktivitätsfortschritte fallen. Speziell, wenn größere technologische Umbrüche anstehen, kann dies von Investitionen in Maschinen mit langen Amortisationszeiten abschrecken.

Konstantes Kapital, das abgenutzt wird wie die Maschine, nennt Marx »fixes Kapital«. Konstantes Kapital, das in der Produktion verbraucht wird oder zu einem Bestandteil der Produkte wird, etwa Strom, Öl, Lithium, Baumwolle, nennt Marx »zirkulierendes Kapital«.

Angelegenheiten wie Verkehrswege und Stromversorgungsnetze oder auch Öl, Computer und viele Werkzeuge sind gleichermaßen als Produktionsmittel und zur Reproduktion der Arbeitskraft als Konsumtionsmittel nutzbar (worunter auch Werkzeuge für Hobbies zählen). Um hier c und v auseinander zu halten, muss man in die Details gehen und die Nutzungsarten gegebenenfalls prozentmäßig aufgliedern. Wesentliches Unterscheiddungskriterium ist, ob etwas in seiner Sachgestalt nach dem Verkauf wieder in den Produktionsprozess des kapitalistischen Systems eingeht oder ob es ein Endprodukt ist, d.h. aus dem Produktionsprozess oder durch Export in andere Wirtschaftssysteme aus dem jeweiligen kapitalistischen System herausfällt.

Verkehrswege, Stromversorgungsnetze, Häfen usw. werden meistens aus Steuergeldern finanziert. Die dafür aufgewendeten Steuereinnahmen erscheinen zunächst als Abzüge vom realisierten Mehrwert m (Gewinnsteuern) oder als Abzüge von v (Lohnsteuern). Erst nachträglich, bei Anwendung der Steuergelder, stellt sich heraus, dass es Ausgaben für c oder auch v sind. Der Staat kann zum Beispiel Lohnsteuern dazu verwenden, Kapitalistinnen zu subventionieren, die mit dem Geld Produktionsmittel kaufen. Über die Steuerpolitik entstehen zudem Möglichkeiten, Ausgaben des Gesamtkapitals für c und von Produzierenden außerhalb des kapitalistischen Systems (familiäre Landwirtschaft, Selbständige) mitfinanzieren zu lassen.

Zusätzliche Möglichkeiten zur Entlastung des Gesamtkapitals entstehen durch Staatsproduktionen, wenn deren Produkte, sei es Stahl oder Krankenpflege, zu Preisen unter Wert, d.h. bei weitgehendem Verzicht auf m, zur Verfügung gestellt werden. Langfristig fehlt den Staatsproduktionen dadurch oft das Geld für Investitionen, und der Mainstream schreit: »Staatsproduktionen sind ineffektiv!«

Arbeitskräfte

  • übertragen zuvor geschaffenen Wert, der im konstanten Kapital (c) vergegenständlicht ist, in neue Waren. Das konstante Kapital verliert entsprechend an Wert, wird abgenutzt usw.
  • erzeugen den Wert ihrer Arbeitskraft (v) – den sie als Pizza essen usw.
  • erzeugen zusätzlichen Wert (m), den sich Kapitalistinnen aneignen.

Dies ist auch auf Software beziehbar, obgleich sie fast kostenlos unendlich oft kopiert werden kann. In den Wert von Software gehen wie bei allen Waren die zu ihrer Entwicklung und Erhaltung (zum Beispiel Anpassung an neue Windows-​Versionen) nötigen Arbeitszeiten ein.

Der Ausdruck »Wert übertragen« ist einigermaßen seltsam. Verständlicher wird er vielleicht, wenn man sich das Gegenteil vorstellt. Ein Stück Eisen, das in einer Werkstattecke vergessen wird, hat zwar in der Herstellung Arbeit erfordert, ist aber Wert-​los. Befestigt eine Arbeiterin das Stück Eisen an einen Holzstab, so dass ein verkäuflicher Hammer entsteht, ermöglicht sie der im Stück Eisen vergegenständlichten Arbeit, beim Verkauf des Hammers als Wert zu erscheinen.

Bei gleich bleibendem Gesamtwert bedeutet c + v + m =  Gesamtwert: wachsendes v führt unvermeidlich zu sinkendem m und umgekehrt. Die Bedürfnisse von Lohnabhängigen und die Interessen von Kapitalistinnen stoßen hier direkt aufeinander. Zur Erzeugung eines Scheins der Gleichartigkeit der Seiten werden die Bedürfnisse von Lohnabhängigen – Ausschlafen, Sinn im Leben, gut Essen usw. – »Interessen« genannt.

Bei steigendem Gesamtwert, etwa durch eine Verlängerung der allgemeinen Schulpflicht oder durch eine bessere allgemeine Altersversorgung der Arbeiterinnen, können v und m gleichermaßen wachsen: eine Durchschnittsarbeitsstunde wird generell mehr wert, ob als v bezahlt oder als m angeeignet. Profit-​Schwierigkeiten scheinen dadurch nur im Handel mit anderen Wirtschaftssystemen entstehen zu können (Verteuerung der Exporte), aber nicht in einem kapitalistischen System für sich gesehen. Dazu später mehr.

Einen Teil des Profits führen Kapitalistinnen unter Umständen als Steuern an den Staat und als Mieten und Pachten an Land- und Immobilieneigentümerinnen ab. Ein anderer Teil kann zur Kreditabzahlung und als Zins bei Banken landen. Der Rest ist »Unternehmergewinn« und wird teilweise investiert und teilweise für den Konsum der Kapitalistinnen ausgegeben.22

Ab einer gewissen Zinshöhe für Kredite relativ zum realisierbaren Mehrwert lohnen sich kreditfinanzierte Inverstitionen in die Produktion nicht mehr. Niedrige Kreditzinsen – ob durch Marktprozesse entstanden oder durch politische Entscheidungen – deuten darauf hin, dass Produktionen nur einen sehr niedrigen oder überhaupt keinen Profit abwerfen. Zunehmender Reichtum von Reichen beruht in diesem Fall weniger auf Mehrwertrealisierung als zum Beispiel auf für sie vorteilhafte Verteilungen Wert-​loser werdender Geldmassen.

Für Besitzende, die Mieten und Pachten kassieren, und für Bankleute, die Zinsen kassieren, sieht der Zugewinn an Geld aus, als würde er ihren »Vorleistungen« und nicht menschlicher Arbeit entspringen: aus dem Land an sich oder dem Geld an sich. Für Kapitalistinnen sieht Zugewinn an Geld aus, als würde er aus Preisaufschlägen auf die Produktionskosten entspringen.

Um erklären zu können, weshalb Zugewinn an Geld echten Reichtum und nicht bloß Inflation darstellt, muss allgemein angenommen werden, dass aus der Kombination von c und v mehr entsteht als die Summe aus c und v beträgt. Die Formel c + v + m = Gesamtwert drückt genau dies aus.

Soll vorausgesetzt werden, dass Arbeiterinnen nicht ausgebeutet werden, darf m nicht aus ihrer Hand- und Kopf-​Arbeit entspringen. Als Alternativen kommen Gegenstände und Eigentumstitel mit Selbstvermehrungskräften in Frage. Marx bezeichnet den Glauben an solche Kräfte als »Fetischismus«23 und hält diesem entgegen:

»Kapital ist kein Ding, sowenig wie Geld ein Ding ist. Im Kapital, wie im Geld, stellen sich bestimmte gesellschaftliche Produktionsverhältnisse der Personen als Verhältnisse von Dingen zu Personen dar, oder erscheinen bestimmte gesellschaftliche Beziehungen als gesellschaftliche Natureigenschaften von Dingen.«24

10. Fiktives Kapital

Aus Geld wird fiktives Kapital, wenn es zum Kauf von Wertpapieren eingesetzt wird. In Wertpapieren ist so gut wie keine Arbeit vergegenständlicht. Sie sind an sich reichlich Wert-​lose Waren, aber Kauf‑ und Verkaufsaktivitäten ordnen ihnen eine Art Pseudo-​Wert zu,

»wie wenn der Ladungsschein [für ein Frachtschiff oder einen LKW] einen Wert erhielte neben der Ladung«.25

Der Wertbetrag, der nach dem Verkauf von Wertpapieren für Geld in Form (nicht-​fiktiv Wert-​haltiger) Waren erhältlich ist, »kann fallen und steigen ganz unabhängig von der Wertbewegung des wirklichen Kapitals«.26

Eine der vielen Formen fiktiven Kapitals besteht in Staatsanleihen. Leute kaufen diese Schuldscheine des Staates in der Aussicht, die ausgegebebene Geldsumme plus Zinsen zu bekommen, oder wenigstens weniger durch die Inflation gebeutelt zu werden. Vor Ablauf einer bestimmten Frist können sie vom Staat nicht die Einlösung der Schuldscheine verlangen, aber sie können die Schuldscheine weiter verkaufen, sie als Waren handhaben.

»Diese Transaktionen mögen sich noch so sehr vervielfältigen, das Kapital der Staatsschuld bleibt ein rein fiktives, und von dem Moment an, wo die Schuldscheine unverkaufbar würden, fiele der Schein dieses Kapitals weg.«27

Eine andere Form fiktiven Kapitals beruht auf Aktien, obschon Aktien in gewisser Hinsicht wirkliches Kapital (Produktionsmittel, eingekaufte Arbeitskraft) repräsentieren.

»Die Aktien von Eisenbahn‑, Bergwerks‑, Schiffahrts- etc. Gesellschaften stellen wirkliches Kapital vor, nämlich das in diesen Unternehmungen angelegte und fungierende Kapital oder die Geldsumme, welche von den Teilhabern vorgeschossen ist, um als Kapital in solchen Unternehmungen verausgabt zu werden.«28

Aber Aktienkapital

»existiert nicht doppelt, einmal als Kapitalwert der Eigentumstitel, der Aktien, und das andre Mal als das in jenen Unternehmungen wirklich angelegte oder anzulegende Kapital. Es existiert nur in jener letztern Form, und die Aktie ist nichts als ein Eigentumstitel […] Die selbständige Bewegung des Werts dieser Eigentumstitel […] bestätigt den Schein, als bildeten sie wirkliches Kapital neben dem Kapital […]. Sie werden nämlich zu Waren, deren Preis eine eigentümliche Bewegung und Festsetzung hat. Ihr Marktwert erhält eine von ihrem Nominalwert verschiedne Bestimmung, ohne dass sich der Wert (wenn auch die Verwertung) des wirklichen Kapitals änderte.«29

In der »eigentümlichen Bewegung und Festsetzung« des Marktwerts von Wertpapieren spielen laut Marx subjektive Aspekte eine entscheidende Rolle.

»Es ist der Glaube, der selig macht. Der Glaube in den Geldwert als immanenten Geist der Waren, der Glaube in die Produktionsweise und ihre prädestinierte Ordnung«.30

»Solange der gesellschaftliche Charakter der Arbeit als das Gelddasein der Ware und daher als ein Ding außer der wirklichen Produktion erscheint, sind Geldkrisen, unabhängig oder als Verschärfung wirklicher Krisen, unvermeidlich. Es ist andrerseits klar, dass, solange der Kredit einer Bank nicht erschüttert ist, sie durch Vermehrung des Kreditgelds in solchen Fällen die Panik lindert, durch dessen Einziehung sie aber vermehrt.«31

Lassen sich mit fiktivem Kapital höhere Gewinne machen als mit wirklichem Kapital, sinken Investitionen in die Produktion oder hören vielleicht sogar ganz auf. Dies stößt aber an Grenzen:

»Wollte ein ungebührlich großer Teil der Kapitalisten sein Kapital in Geldkapital verwandeln, so wäre die Folge ungeheure Entwertung des Geldkapitals und ungeheurer Fall des Zinsfußes; viele würden sofort in die Unmöglichkeit versetzt, von ihren Zinsen zu leben, also gezwungen, sich in industrielle Kapitalisten rückzuverwandeln.«32

11. Unproduktive Arbeit

In Marxens »Kapital«, Band I, heißt es:

»[D]ie in dem Arbeitsprodukte dargestellte Arbeit [ist] nur wertbildend […], soweit sie unterschiedslose menschliche Arbeit ist«.33

Umgekehrt muss das nicht zutreffen. Dadurch, dass etwas für Geld zu haben ist und behandelt wird, als wäre es ein Produkt unterschiedsloser menschlicher Arbeit, wird die in dem betreffenen Produkt vergegenständlichte Arbeit noch lange nicht wertbildend.

»[D]er Preis von Dingen, die an und für sich keinen Wert haben, d.h. nicht das Produkt der Arbeit sind, wie der Boden, oder die wenigstens nicht durch Arbeit reproduziert werden können, wie Altertümer, Kunstwerke bestimmter Meister etc., [kann] durch sehr zufällige Kombinationen bestimmt werden […]. Um ein Ding zu verkaufen, dazu gehört nichts, als dass es monopolisierbar und veräußerlich [verkaufbat] ist«.34

Van Goghs Arbeit als Künstler war und ist nach Marxens Begriffsverständnis nicht wertbildend. Der Wertmasse, die ein kapitalistisches System erzeugt, fügt ein Gemälde von Van Gogh nichts hinzu. Kauft ein kapitalistischer Abflussrohrfabrikant einen Van Gogh, bezahlt er aus dem in der Abflussrohrproduktion geschaffenen Mehrwert. Der Mehrwert bzw. das Geld, das ihm entspricht, fließt aus seiner Tasche in die Tasche der Gemäldeverkäuferin. Der Preis für das Gemälde wird durch Angebot und Nachfrage und kulturelle Verhältnisse bestimmt und hat nichts mit dem Arbeitsaufwand zu tun, den ein erneutes Malen des Gemäldes erfordern würde. In Bezug auf den Prozess der Kapitalverwertung wirkt der Gemäldekauf wie eine Schenkung.

Führt ein Arbeiter eine traditionelle Ehe, lebt die Hausfrau vom Lohn des Arbeiters. Die Dienstleistung der Ehefrau, ihre Hausarbeit, erscheint nicht als Ware, wird nicht in ein »Verhältnis zur Menge aller anderen Produkte« gesetzt und fügt der Wertmasse, die ein kapitalistisches System erzeugt, nichts hinzu. Die Lebenshaltung der Ehefrau ist im Wert der Arbeitskraft des Arbeiters enthalten. Dies ermöglicht ihr, Arbeit zu leisten. Es wäre jedoch möglich, aus der Arbeit von Ehefrauen Waren zu machen, verkäufliche Dienstleistungen. Dadurch würde die Arbeit der Ehefrauen wertbildend.

Engagiert der kapitalistische Abflussrohrfabrikant eine freischaffende Gärtnerin zur Gestaltung des Parks vor seiner Villa, so bezahlt er die Gärtnerin aus dem in der Abflussrohrproduktion geschaffenen Mehrwert. Der Abflussrohrfabrikant realisiert Mehrwert aus dem Produktionsprozess und kauft sich ein Konsumtionsmittel in Form der Dienstleistung der Gärtnerin. Ein Arbeiter, der eine freischaffende Gärtnerin engagiert, um den alten Kaktus auf seiner Fensterbank zu retten, kauft ebenfalls ein Konsumtionsmittel. Er zahlt von seinem Lohn.

Die freischaffende Gärtnerin schafft Wert. Ihre Arbeit fügt der Wertmasse, die eine Wirtschaft als Ganzes erzeugt, etwas hinzu. Die Gärtnerin schafft jedoch keinen Mehrwert. Sie erhält Geld für die gesamte Arbeitszeit, die sie aufbringt, nicht lediglich für den Teil, den sie zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft benötigt. Bei ihr fallen v + m zusammen. Sie arbeitet nicht als Teil des kapitalistischen Systems, sondern agiert im Rahmen der betreffenden Gesamtwirtschaft quasi von auswärts mit dem kapitalistischen System. Die Komponente m bildet bei ihr keinen Mehrwert in der Marxschen Wortbedeutung.

Dadurch, dass die Arbeit der Gärtnerin Wert schafft, entsteht die Möglichkeit, dass sie auch Mehrwert schafft. Wäre die Gärtnerin als Arbeitskraft in einem Lohnarbeit/​Kapital-​Verhältnis tätig, dann würde sie für ihren Kapitalisten und das kapitalistische System Mehrwert schaffen. Sie würde v behalten, aber m käme dem Kapital zugute. An der Arbeit der Gärtnerin bräuchte sich durch das Lohnarbeit/​Kapital-​Verhältnis nicht eine Bohne zu ändern. In der weiteren Entwicklung aber würde das Lohnarbeit/​Kapital-​Verhältnis die Arbeit verändern. Nehmen die Aufträge für Gartenarbeiten zu, ist es für das Kapital zum Beispiel wenig profitabel, eine weitere Gärtnerin einzustellen. Profitabler ist es, die Arbeit zu teilen und eine Arbeitskraft zu niedrigem Lohn einzustellen, um ihr die stumpfsinnigen Anteile an den Gartenarbeiten aufzubürden.

Marx bezeichnet Arbeiten wie die Malerei von Van Gogh, Fensterputzen durch Ehefrauen und Gartenarbeiten durch selbständige Gärtnerinnen mit dem einigermaßen unglücklichen Ausdruck »unproduktiv«.

»Dieselbe Arbeit (z.B. [Gartenarbeit, Schneidern] etc.) kann von demselben [Arbeitsmann] im Dienste eines industriellen Kapitalisten, oder eines unmittelbaren Konsumenten verrichtet werden etc. In beiden Fällen ist er Lohnarbeiter oder Tagelöhner, aber in dem einen Fall ist er produktiver, in dem andern unproduktiver Arbeiter, weil er in dem einen Fall Kapital produziert, in dem andern nicht; weil in dem einen Fall seine Arbeit ein Moment des Selbstverwertungsprozesses des Kapitals bildet [Teil des kapitalistischen Systems ist], in dem andern nicht. […] Der Unterschied der produktiven und unproduktiven Arbeit besteht bloß darin, ob Arbeit gegen Geld als Geld oder gegen Geld als Kapital ausgetauscht wird.«35

Ein anderes Beispiel:

»[E]in Schulmeister [ist] produktiver Arbeiter, wenn er nicht nur Kinderköpfe bearbeitet, sondern sich selbst abarbeitet zur Bereicherung des Unternehmers. Dass letzterer sein Kapital in einer Lehrfabrik angelegt hat, statt in einer Wurstfabrik, ändert nichts an dem Verhältnis.«36

Im Kapitalismus, so Marx,

»verengt sich der Begriff der produktiven Arbeit. Die kapitalistische Produktion ist nicht nur Produktion von Ware, sie ist wesentlich Produktion von Mehrwert. Der Arbeiter produziert nicht für sich, sondern für das Kapital. Es genügt daher nicht länger, dass er überhaupt produziert. Er muss Mehrwert produzieren. Nur der Arbeiter ist produktiv, der Mehrwert für den Kapitalisten produziert«.37

Produktive Arbeit im Marxschen Sinn bildet auch in fortgeschrittenen kapitalistischen Gesellschaften lediglich einen Teil der Produktion. Größere Teile der Wirtschaft können in einfacher Warenproduktion verharren. Viele Arbeiten tauchen nicht im Wert-​Budget des kapitalistischen Systems auf.

Auffällig ist das späte Aussterben halb- und nichtkapitalistisch betriebener Landwirtschaften. Die Verbreitung relativ preisgünstiger Kleintraktoren nach dem Zweiten Weltkrieg und weitere Umstände machten es dem Kapital zunächst schwer, in der Landwirtschaft durch Produktivitätsvorteile so gründlich »aufzuräumen« wie etwa in der Schuhproduktion. Ein anderes Beispiel: Mit der Entwicklung von Computern entstanden neue Berufszweige, in denen die Arbeitenden ihre eigenen Produktionsmittel besitzen und als (nicht nur Schein-)Selbständige überleben können. Marx dazu:

»Sofern eine einzelne Arbeitsmaschine an die Stelle der Kooperation oder der Manufaktur tritt, kann sie selbst wieder zur Grundlage handwerksmäßigen Betriebs werden.«38

12. Mehrwertrate

Die Mehrwertrate ist das Verhältnis des Mehrwerts zum variablen Kapital: m/​v.

Die Mehrwertrate steigt, wenn m relativ zu v wächst, d.h. wenn die unbezahlt geleistete Arbeit relativ zur bezahlt geleisteten zunimmt. (Der Bruch 2/​4 = 0,5 ist eine kleinere Zahl als der Bruch 3/​4 = 0,75.)

Innerhalb eines kapitalistischen Systems unterliegen Mehrwertraten einer Tendenz zum Ausgleich – nicht zuletzt auch deshalb, weil Arbeiterinnen den Job wechseln können. Konkurrenz unter Arbeiterinnen um »Arbeitsplätze« treibt die Mehrwertrate nach oben, erfolgreiche Gewerkschaftskämpfe und Arbeitskräftemangel nach unten.

Möglichkeiten, die Mehrwertrate zu erhöhen, sind unter anderem:

  • Verlängerung der Arbeitszeit, etwa Erhöhung des Rentenalters
  • Wertsenkung der Arbeitskraft durch Importe von Massen-​Konsumtionsmitteln aus Wirtschaftssystemen, die zu geringeren Werten produzieren oder notorisch zu Preisen unter Wert verkaufen (Zwangsarbeit in Kolonien; Produktion in Nationen mit niedrigerem Wohlstandsniveau; Exportzwänge durch Verschuldung; hohe Weltmarkt-​Konkurrenz durch geringe Möglichkeiten zum Umstieg auf andere Exportgüter)
  • Wertsenkung der Arbeitskraft durch Erhöhung der Arbeitsproduktivität
  • Wertsenkung der Arbeitskraft durch Einwanderung bei schwachen Gewerkschaften.

Unter günstigen Umständen leiden Arbeiterinnen untter einer Erhöhung der Mehrwertrate nicht. In Folge erhöhter Produktivkraft steigen ihr materieller Wohlstand und zugleich der Anteil unbezahlt bleibender Arbeit an der Gesamtarbeit. Anders gesagt: die Reallöhne wachsen, aber sie wachsen langsamer als die Produktivkraft.

»Es ist möglich, dass in Gebrauchswerten geschätzt (Quantität von Ware oder Geld) [… der] Arbeitslohn steigt (bei steigender Produktivität) und doch dem Wert nach fällt und umgekehrt.«39

Die Wertsenkung der Arbeitskraft durch Einwanderung beschreibt Marx 1870 am Beispiel der Enteignung irischer Bauernfamilien durch die englische Großgrundherrschaft. Die dadurch erzeugte Einwanderung landlos gewordener Arbeitssuchender nach England drückt die

»materielle und moralische Position der English Working class [englischen Arbeiterklasse] herab. Und das Wichtigste! Alle industriellen und kommerziellen Zentren Englands besitzen jetzt eine Arbeiterklasse, die in zwei feindliche Lager gespalten ist […]. Der gewöhnliche englische Arbeiter hasst den irischen Arbeiter als einen Konkurrenten, welcher den Standard of life [Lebensstandard] herabdrückt. Er fühlt sich ihm gegenüber als Glied der herrschenden Nation und macht sich eben deswegen zum Werkzeug seiner Aristokraten und Kapitalisten gegen Irland, befestigt damit deren Herrschaft über sich selbst. Er hegt religiöse, soziale und nationale Vorurteile gegen ihn. […] Der Irländer pays him back with interest in his own money [zahlt es ihm mit gleicher Münze heim]. Er sieht zugleich in dem englischen Arbeiter den Mitschuldigen und das stupide Werkzeug der englischen Herrschaft in Irland.

Dieser Antagonismus wird künstlich wachgehalten und gesteigert durch die Presse, die Kanzel, die Witzblätter, kurz, alle den herrschenden Klassen zu Gebot stehenden Mittel. Dieser Antagonismus ist das Geheimnis der Ohnmacht der englischen Arbeiterklasse, trotz ihrer Organisation. Er ist das Geheimnis der Machterhaltung der Kapitalistenklasse. Letztre ist sich dessen völlig bewusst.«40

Um die »soziale Emanzipation« der englischen Arbeiterklasse zu ermöglichen, so Marx, sei »die nationale Emanzipation Irlands« nötig.41

13. Profitraten und ihr Ausgleich

Für unternehmerische Entscheidungen wichtiger als die Mehrwertrate m/​v ist das Verhältnis zwischen dem, was sich aus einem Produktionsprozess an Mehrwert herausholen lässt und dem Gesamtkapital c + v, das hineingesteckt werden muss.

Marx nennt dieses Verhältnis »Profitrate«: m/​(c + v).

An manchen Produktionsprozessen ist mehr Technik (c) beteiligt, an anderen weniger. In der Automobilindustrie beispielsweise liegt c im Verhältnis zu v wahrscheinlich höher als in der Krankenhausbranche.

Eine ideale kapitalistische Marktwirtschaft gleicht diese technisch bedingten Unterschiede der Profitraten über die Warepreise aus, so dass am Ende für die Automobilindustrie und die Krankenhausbranche gleich hohe Profitraten herausspringen.

Ein grobes Zahlenbeispiel soll diesen »Ausgleich der Profitraten« verdeutlichen.

In der Krankenhausbranche und der Automobilindustrie, beide vollprivatisiert, sei die Mehrwertrate m/​v = 40/​100, d.h. pro 100 bezahlten Durchschnittsarbeitsstunden werden 40 unbezahlte Durchschnittsarbeitsstunden geleistet, in denen der Mehrwert entsteht.

In der Krankenhausbranche entspreche das zum Einsatz von 100 Arbeitsstunden nötige konstante Kapital 60 Durchschnittsarbeitsstunden (Verbandsmaterial, Medizingeräte usw.). In der Automobilindustrie entspreche das zum Einsatz von 100 Durchschnittsarbeitsstunden nötige konstante Kapital 220 Durchschnittsarbeitsstunden (Metalle, Roboter usw.).

Für die Krankenhausbranche ergibt sich eine Profitrate von
m/​(c + v) = 40/​(60+100) = 0,250.

Für die Automobilindustrie ergibt sich eine Profitrate von
m/​(c + v) = 40/​(220+100) = 0,125.

Wegen der in der Krankenhausbranche doppelt so hohen Profitrate fließt zunächst Kapital eher in die Krankenhausbranche als in die Automobilindustrie. Dies ermöglicht außer Angebotserweiterungen unter Umständen technische Neuerungen im Krankenhausbereich, so dass auch dort c relativ zu v steigt. Aber dem sind zur Zeit noch technologische Grenzen gesetzt. Der Krankenhausbereich bleibt arbeitsintensiv.

Unter idealen kapitalistischen Marktbedingungen führt der durch die hohe Profitrate motivierte Kapitalfluss irgendwann zu einem Überangebot der Krankenhausbranche. Obschon die Profitrate in der Krankenhausbranche hoch ist, sinken durch das Überangebot die Preise für Krankenhausleistungen und damit die Profite, der realisierbare Mehrwert.

Die Preise pendeln sich so ein, dass in der Krankenhausbranche und in der Automobilindustrie die Profitraten gleich hoch werden und einer gesamtwirtschaftlich durchschnittlich erzielbaren Profitrate entsprechen. Aus der Krankenhausbranche fließt über die Preise realisierter Mehrwert in die Automobilindustrie. Bestünde die Wirtschaft nur aus Krankenhausbranche und Automobilindustrie, betrüge die Durchschnittsprofitrate: (40+40)/​(60+220+100+100) = 0,167.

»Es ist jetzt [nach Ausgleich der Profitrate] nur noch Zufall, wenn der in einer besondren Produktionssphäre wirklich erzeugte Mehrwert und daher Profit mit dem im Verkaufspreis der Ware enthaltnen Profit zusammenfällt. […] Der wirkliche Größenunterschied zwischen Profit und Mehrwert […] in den besondren Produktionssphären versteckt nun völlig die wahre Natur und den Ursprung des Profits, nicht nur für den Kapitalisten, der hier ein besondres Interesse hat, sich zu täuschen, sondern auch für den Arbeiter.«42

Das Auseinanderfallen von Preisen und Werten macht es schwierig, Aussagen von Marx anhand von Wirtschaftsdaten zu überprüfen, da diese meistens nur in Geldmengen angegeben sind, die auf Preisen beruhen. Das ist ein Grund, Marxens Wertbegriff als unwissenschaftlich zu verwerfen … oder auch nicht. Denn in den Naturwissenschaften gibt es ein ähnliches Phänomen. Führen wir mit Waagen Messungen durch, dann lesen wir Anzeigen von Waagen ab, die deren Mechanismen in Reaktion auf die Gravitation erzeugen, die unmittelbar nicht messbar ist. Um von der Ebene der Messgeräte zur Ebene der Gravitation zu kommen, ist eine Art Sprung nötig.

»[A]lle Wissenschaft wäre überflüssig, wenn die Erscheinungsform und das Wesen der Dinge unmittelbar zusammenfielen«.43

In der einfachen Warenwirtschaft liegen Erscheinungsformen und Wesen der Dinge näher beieinander. Preise für nichtkapitalistisch hergestellte Waren sind im Prinzip die Summe aus einem Geldbetrag für die geleisteten Arbeitsstunden (zusammenfallendes v + m) und den Ausgaben für Maschinen, Rohstoffe und Werkzeuge (c). Die Konkurrenz sorgt dafür, dass der für die geleisteten Arbeitsstunden geforderte Geldbetrag tendenziell im Rahmen eines durchschnittlich Nötigen zu liegen kommt. Ob die Ausgaben für im Vergleich zur Menge der Arbeitsstunden hoch oder niedrig sind, ist egal. Die Ausgaben für c werden über die Preise einfach weitergereicht.

Nur im Kapitalismus wird der Zusammenhang zwischen Preisen und Werten zum Problem.

»Die ganze Schwierigkeit kommt dadurch hinein, dass die Waren nicht einfach als Waren ausgetauscht werden, sondern als Produkt von Kapitalen [c + v], die im Verhältnis zu ihrer Größe […] Teilnahme an der Gesamtmasse des Mehrwerts beanspruchen.«44

Die Tendenz zum Ausgleich der Profitraten wirkt sich in Richtung der Bildung eines Durchschnittsprofits über Wirtschaftsbranchen hinweg aus.

»[D]er Durchschnittsprofit […] jedes besondren Kapitals, [ist] bestimmt […] nicht durch die Mehrarbeit, die dies Kapital in erster Hand aneignet, sondern durch das Quantum von Gesamtmehrarbeit, die das Gesamtkapital aneignet, und wovon jedes besondre Kapital nur als proportioneller Teil des Gesamtkapitals seine Dividende [seinen Gewinnanteil] zieht.

Dieser gesellschaftliche Charakter des Kapitals wird erst vermittelt und vollauf verwirklicht durch volle Entwicklung des Kredit- und Banksystems. […] Es stellt den industriellen und [im Handel aktiven] kommerziellen Kapitalisten alles […] nicht bereits aktiv engagierte Kapital der Gesellschaft zur Verfügung, so dass weder der Verleiher noch der Anwender dieses Kapitals dessen Eigentümer oder Produzenten sind. Es hebt damit den Privatcharakter des Kapitals auf, und enthält so an sich, aber auch nur an sich, die Aufhebung des Kapitals selbst.«45

Gewisse Umstände, zum Beispiel unterschiedliche Investitionsrisiken oder sehr hohe Anfangsinvestitionen, können die Herausbildung eines Durchschnittsprofits stören oder verhindern. Risikokapital erreicht höhere Profitraten als relativ sicher angelegtes Kapital. Zwischen einem Elektrofachbetrieb mit 3 Angestellten und dem Siemenskonzern oder auch zwischen einer Textilfabrik in Bangladesch und Gucci bildet sich eher kein Durchschnittsprofit heraus.

Der Nicht-​Ausgleich von Profitraten lässt sich als Kriterium zur Unterscheidung unterschiedlicher Wirtschaftssysteme verwenden und die Gesamtwirtschaft einer Nation als politische Verbindung unterschiedlicher Wirtschaftssysteme verstehen. Insofern verlaufen die Grenzen zwischen Wirtschaftssystemen teilweise innerhalb von Nationalstaaten, teilweise entlang nationaler Grenzen und teilweise über sie hinweg. Staatspolitiken können dadurch bezüglich des Kapitalismus’ widersprüchlich ausfallen. So entspricht der Verkauf von Mietshäusern an transnationale Konzerne deren Interessen, aber widerspricht den Interessen national operierender Kapitale, weil durch höhere Mieten Lohndruck nach oben entsteht.

Marx bezieht sich in der Regel auf nationale Grenzen als Wirtschaftssystemgrenzen. Inzwischen könnte Folgendes deutlicher geworden sein: Wirtschaftsgebiete, in denen zwischen Großkapitalen ein Ausgleich der Profitraten stattfindet (der unter anderem von Verkehrsverbindungen, geografischen Verteilungen von Kapitalaktivitäten und staatlicher Kontrollierbarkeit von Bevölkerungen abhängt) neigen zunächst zur Bildung von Nationalstaaten. Passen nationale Grenzen schlecht zu den territorialen Grenzen des Profitratenausgleichs, entsteht eine Tendenz zur Auflösung der nationalen Grenzen – je nachdem in Richtung Separatismus oder Bildung umfassenderer Regierungs- und Verwaltungseinheiten.

14. Organische Zusammensetzung des Kapitals

Im Verlauf des technischen Fortschritts wächst nach Marx das konstante Kapital c stärker als das variable v.

Marx nennt das Verhältnis c/​v »organische Zusammensetzung des Kapitals«.46

c und v (und auch der Mehrwert m) repräsentieren gleichermaßen menschliche Arbeit. und m stehen für Arbeit, die im Produktionsprozess geleistet wird (»lebendige Arbeit«). c steht für Arbeit, die in vorangegangenen Produktionsprozessen geleistet wurde und sich in Maschinen, Rohstoffen usw. vergegenständlicht hat (»tote Arbeit«).47

Steigt die organische Zusammensetzung des Kapitals c/​v, bedeutet das nicht, dass zur Herstellung einer gewissen Warenmenge weniger gearbeitet wird. Es bedeutet nur, dass die Menge der toten Arbeit im Vergleich zur lebendigen Arbeit zunimmt.

Praktisch bedeutet das Steigen der organischen Zusammensetzung des Kapitals: Um einen profitablen Arbeitsplatz zu schaffen, muss im Durchschnitt mehr und mehr konstantes Kapital (c) vorgeschossen werden. Auswirkungen dessen sind ein wachsender Umfang von Krediten, die Enteignung kleinerer selbständiger Kapitale und die Konzentration und Zentralisation von Kapital.

Möglichkeiten, c/​v in einem kapitalistischen System zu senken, sind unter anderem:

  • Importe von Rohstoffen aus anderen Wirtschaftssystemen, die zu geringeren Werten produzieren oder unter Wert verkaufen müssen (»andere Systeme« heißt, wenn es kapitalistische Systeme sind: zwischen den Systemen findet kein oder kaum ein Profitratenausgleich statt)
  • technische Innovationen zur Wertsenkung der Produktionsmittel, zum Beispiel Plastik und Aluminium statt Eisen
  • Senkungen der Arbeitsproduktivität, zum Beispiel durch Massenverabreichung ungenügend geprüfter Pharmazeutika
  • stärkere Entwicklung des arbeitsintensiveren Dienstleistungssektors im Vergleich zum Industriesektor
  • Privatisierungen arbeitsintensiver Bereiche, etwa der Krankenhäuser.

15. Tendenzieller Fall der Profitrate

In Folge einer wachsenden Produktivität der Arbeit kann die Profitrate fallen, steigen oder gleich bleiben. Dazu drei Zahlenbeispiele:

Ein kapitalistisches System produziere jährlich mit folgenden Wertbeträgen:
konstantes Kaptal c = 400,
variables Kapital v = 100 und
Mehrwert m = 100.
Die Durchschnittsprofitrate48 beträgt: m/​(c + v) = 100/​(400+100) = 0,20.

  1. Durch steigende Produktivität sinke die zur Herstellung der bisherigen Warenmenge erforderliche Arbeitszeit überall in der Wirtschaft gleichmäßig um 10 %.
    Aus 100/​(400+100) wird 90/​(360+90) = 0,20 → die Profitrate bleibt gleich.
  2. Die Produktivität steige vor allem im Produktionsmittelsektor.
    Aus 100/​(400+100) wird etwa 99/​(360+99) = 0,21 → die Profitrate steigt.
  3. Die Produktivität steige vor allem im Konsumtionsmittelsektor.
    Aus 100/​(400+100) wird etwa 90/​(399+90) = 0,18 → die Profitrate fällt.

In allen drei Beispielen kommt es letztlich zur Wertsenkung der Arbeitskraft. Steigt die Produktivität vor allem im Produktionsmittelsektor (Beispiel 2), so werden am Ende der Produktionsketten auch Konsumtionsmittel für Arbeiterinnen mit weniger Arbeitskraft hergestellt.

In allen drei Beispielen sinkt die Mehrwertmasse m. Die Mehrwertrate m/​v aber bleibt unverändert. Damit durch Fortschritte der Produktivität die Mehrwertmasse m nicht sinkt, muss entweder mengenmäßig mehr produziert und gearbeitet werden, so dass m absolut zumindestens gleich bleibt, oder die Mehrwertrate m/​v muss steigen oder beides. Hier liegt die Wurzel des seltsamen Phänomens, dass Automatisierung unter gewissen Umständen zu mehr Arbeit und Stress führt, anstatt zu weniger Arbeit und Stress. Bei starken Gewerkschaften oder unter günstigen Umständen (Systemkonkurrenz DDR plus günstige Angebot/​Nachfrage-​Situation auf dem Weltmarkt) kann Automatisierung zu mehr Freizeit und Wohlstand führen.

Nach einer verbreiteten falschen Erklärung sinkt die Profitrate m/​(c + v) dadurch, dass weniger gearbeitet wird.49 Doch bei gleich bleibender Mehrwertrate sinkt die Profitrate nur, wenn die organische Zusammensetzung des Kapitals c/​v steigt. Dies ist nur der Fall, wenn die Produktivkraft zur Herstellung von Konsumtionsmitteln zur Reproduktion der Arbeitskraft stärker steigt als die Produktivkraft zur Herstellung von Produktionsmitteln wie in Beispiel 3: c/​v steigt von 400/​100 = 4,0 auf 399/​90 = 4,4. In den Beispielen 1 und 2 beträgt c/​v: 360/​90 = 4,0 und 360/​99 = 3,6.

Weshalb sinkt die Profitrate bei wachsendem c/​v, wo doch und v dasselbe repräsentieren: menschliche Arbeit?

Kaufen Kapitalistinnen Produktionsmittel von anderen Kapitalisten, so bezahlen sie damit auch den Mehrwert, den die anderen unbezahlt einheimsen. Je höher daher c im Vergleich zu v gesamtwirtschaftlich wird, desto geringer wird der Anteil der unbezahlt bleibenden Arbeit an der Gesamtarbeit. Einzelne Kapitale realisieren bei den Produktionsmittelverkäufen zwar Mehrwert, aber auf das Gesamtkapital bezogen verringert sich die unbezahlt angeeignete Wertportion, der realisierbare Mehrwert. Über den Ausgleich der Profitraten wirkt sich das auf viele Einzelkapitale des Wirtschaftssystems negativ aus.

Marx geht davon aus, dass c/​v unvermeidlich steigt und daher die Profitrate tendenziell fallen muss.

»Da die Masse der angewandten lebendigen Arbeit [v] stets abnimmt im Verhältnis zu der Masse der von ihr in Bewegung gesetzten vergegenständlichten Arbeit [c] […], so muss auch der Teil dieser lebendigen Arbeit, der unbezahlt ist und sich in Mehrwert [m] vergegenständlicht, in einem stets abnehmenden Verhältnis stehn zum Wertumfang des angewandten Gesamtkapitals [c + v]. Dies Verhältnis der Mehrwertsmasse zum Wert des angewandten Gesamtkapitals bildet aber die Profitrate [m/​(c + v)], die daher beständig fallen muss.«50

Unter Marx-​freundlichen Sachverständigen gehen die Meinungen darüber, ob und in welchem Ausmaß c/​v steigen und die Profitrate fallen muss, auseinander.51

Was mit c/​v und den Profitraten in der wirklichen Wirtschaftswelt passiert, ist schwierig zu ermitteln. Zum Beispiel verschwinden Unternehmensgewinne in Steueroasen und »gemeinnützigen« Organisationen oder kann man für v nicht einfach die Lohnsumme setzen, sondern muss staatliche Sozialleistungen berücksichtigen.

Gegen eine sinkende Profitrate hilft es nicht, die Produktion lediglich mengenmäßig zu steigern. Zwar wird dadurch die Mehrwertmasse erhöht, aber die Zahlenverhältnisse im Bruch m/​(c + v) bleiben gleich.

Gegen eine sinkende Profitrate helfen im Prinzip zwei Maßnahmen: (a) Erhöhung der Mehrwertrate und (b) Senkung der organischen Zusammensetzung des Kapitals.

(a) Erhöhung der Mehrwertrate m/​v

Wird m/​v größer, schrumpft im Bruch m/​(c + v) das v unter dem Bruchstrich und steigt das m über dem Bruchstrich: die Profitrate wird größer.

Mengenmäßige Steigerungen der Produktion sind oft mit Erhöhungen der Mehrwertrate verbunden, unter anderem, weil Arbeitsteilungen optimaler gestaltet werden können und Anschaffungen spezialisierter Maschinen eher in Frage kommen.

Je größer m im Verhältnis zu v allerdings bereits ist, desto geringer wird der Effekt, den eine Erhöhung der Mehrwertrate auf die Profitrate hat. Zahlenbeispiel:

Bei 100/​(400+100) = 0,20 ergibt eine Verdoppelung der Mehrwertrate eine 1,45 Mal so hohe Profitrate:
133,33/​(400+66,67) = 0,29 | mit 0,29/0,20 = 1,45.
Aber bei 133,33/​(400+66,67) = 0,29 ergibt eine Verdoppelung der Mehrwertrate nur noch eine 1,25 Mal so hohe Profitrate:
160/​(400+40) = 0,36 | mit 0,36/0,29 = 1,25.

Die Mehrwertrate stößt mit zunehmender Höhe asymptotisch gegen eine Grenze, die sie nie erreicht: komplett unbezahlt bleibende Arbeitszeit ohne Reproduktionsanteil der Arbeitskraft.

»Je […] kleiner bereits der Bruchteil des Arbeitstags, der […] die notwendige Arbeit ausdrückt [v], desto geringer ist das Wachstum des Surpluswerts [m], das das Kapital von der Vermehrung der Produktivkraft erhält. Sein Surpluswert steigt, aber in immer geringrem Verhältnis zur Entwicklung der Produktivkraft.«52

Eine Frage, die sich wohl zu fragen lohnt, aber hier nicht behandelt werden kann: Gibt es einen Mechanismus, weshalb das Kapital vor einer Vollautomatisierung von ALLEM nicht mit sinkenden Profitraten weitermachen können sollte oder wollte?

(b) Senkung der organischen Zusammensetzung des Kapitals c/​v

Zur Senkung von c/​v bestehen vielfältige Möglichkeiten (siehe Abschnitt Organische Zusammensetzung des Kapitals).

Man könnte aber auch gezielt durch Erhöhung des Werts der Arbeitskraft dafür sorgen, dass bei wachsendem das v ebenfalls steigt. m steigt dabei um denselben Faktor wie v: menschliche Arbeitskraft wird mehr wert.

Um in Beispiel 3 die Profitrate wieder in Ordnung zu bringen, kann der Wert der menschlichen Arbeitskraft zum Beispiel durch Arbeitszeitverkürzungen bei vollem Lohnausgleich erhöht werden. Aus 90/​(399+90) = 0,18 wird dann wieder so etwas: 100/​(400+100) = 0,20.

An dieser Stelle setzen sozialreformerische Vorschläge zur Verbesserung des Kapitalismus an. Hohe Profitraten und Wohlstand der Arbeiterinnen sind miteinander verträglich! Werterhöhungen der Arbeitskraft, zum Beispiel durch Arbeitszeitverkürzungen oder bessere Betreuung im Alter oder auch arbeitsintensivere und dafür umweltschonendere Landwirtschaft, scheitern lediglich an der Unvernunft der Kapitalistinnen oder an der Weltmarktkonkurrenz bzw. der Uneinigkeit der Menschheit!

Leider hat die Sache einen Haken. Durch den Verkauf von Konsumtionsmitteln an Arbeiterinnen realisieren Einzelkapitale zwar Mehrwert. Aber das Geld, das die Arbeiterinnen beim Kauf ausgeben, stammt aus Löhnen (v). Letztlich zahlen Kapitalistinnen für den Mehrwert, den andere Kapitalisten beim Konsumtionsmittelverkauf realisieren. Auf das Gesamtkapital bezogen verringern demnach Werterhöhungen der Arbeitskraft den realisierbaren Mehrwert.

Zum Effekt einer wachsenden organischen Zusammensetzung des Kapitals c/​v besteht diesbezüglich kein Unterschied: auch hier ergibt sich der Profitverlust für das Gesamtkapital aus der Realisierung des Mehrwerts durch die Kapitalistinnen selbst.

Die Formel m/​(c + v) spiegelt das nicht wider, weil in ihr nicht auftaucht, wer den Mehrwert m letztlich realisiert. Geht es darum, den Zustand eines kapitalistischen Wirtschaftssystems einzuschätzen, ist es sehr wichtig, zwischen der durchschnittlichen Profitrate der Einzelkapitale und der Profitrate des Gesamtkapitals zu unterscheiden.

In einer Wirtschaft, die ausschließlich aus Lohnabhängigen und deren Kapitalistinnen besteht, kann m für das Gesamtkapital maximal dem Wert der Konsumtionsmittel der Kapitalistinnen entsprechen, d.h. dem, was die Kapitalistinnen quasi verfressen und nicht wieder in den Produktionsprozess zurückführen. m kann nicht für Erweiterungen der Produktion genügen. Denn bei der Realisiation von m für Erweiterungen der Produktion wird dafür gesorgt, dass die Kapitalistinnen ihren eigenen Mehrwert realisieren, so dass er für das Gesamtkapital keine unbezahlt eingeheimste Arbeit darstellt: beim Produktionsmittelkauf direkt und bei den Konsumtionsmitteln der Lohnabhängigen indirekt über Lohnzahlungen oder auch Steuern. So kann es geschehen, dass die durchschnittliche Profitrate von Einzelkapitalen superhoch ist, aber das Gesamtkapital keine Profitrate erreicht, die Kapitalwachstum (Kapitalakkumulation) ermöglicht.

16. Extraprofit

Extraprofit oder, wie Marx auch sagt,

»Surplusprofit [… besteht] im Überschuss des individuellen Profits über den Durchschnittsprofit«.53

Dazu ein Zahlenbeispiel:

a. Ausgangssituation
Ein Einzelkapital produziere mit m = 40 | c = 60 v = 100.
Alle anderen Kapitale zusammen produzieren mit m = 400 c = 600 | v = 1000.
Die Profitraten sind 40/​(60+100) = 0,25 und 400/​(600+1000) = 0,25.
Eine Werteinheit entspreche 1 €.
Beim Verkauf nimmt das Einzelkapital dann 40+60+100=200 € ein, wovon 40 € den Profit bilden. Die anderen nehmen 400+600+1000=2000 € ein, wovon 400 € den Profit bilden.

b. Neuerung der ersten Art
Das Einzelkapital kann durch eine Erfindung den Stromverbrauch drastisch senken und Arbeitskräfte entlassen, ohne die Produktionsmenge zu verringern.
Der »individuelle Wert« der Produktionsmenge des Einzelkapitals sinke dadurch auf m = 40 | c = 20 | v = 80. Die Mehrwertrate m/​v ist gestiegen, denn am allgemeinen Wert der Arbeitskraft hat die Erfindung des Einzelkapitals statistisch kaum etwas verändert.
Alle anderen Kapitale zusammen produzieren weiterhin mit m = 400 | c = 600 | v = 1000.
Die Profitraten sind 40/​(20+80) = 0,40 und 400/​(600+1000) = 0,25.

Verkauft das Einzelkapital nach der Erfindung seine Waren zu Preisen, die dem »individuelle Wert« seiner Produktionsmenge entsprechen, kommt heraus: 40+20+80=140 €. Der Profit bleibt mit 40 € gleich. Immerhin steigt die Profitrate.

Wenn das Einzelkapital nach der Neuerung aber seine Waren zum alten Preis verkauft, d.h. für 200 €, realisiert es außer den 40 € einen Extraprofit von 200140=60 €. Dieser Extraprofit stammt nicht – wie »normaler« Profit – aus seiner Produktion, sondern aus der »Differenz zwischen dem individuellen Wert der wohlfeiler [billiger] produzierten Waren und ihrem gesellschaftlichen Wert«.54

»Die unter den günstigren Bedingungen produzierte Ware enthält weniger Arbeitszeit als die unter ungünstigren produzierte, verkauft sich aber zum selben Preis, hat denselben Wert, als ob sie dieselbe Arbeitszeit, die sie nicht enthält, enthielte.«55

Der gesellschaftliche Wert der Ware ist noch unverändert, da sich bezüglich der gesellschaftlich nötigen Arbeitzeit zur Reproduktion der Ware und der Arbeitskraft nur ganz wenig verändert hat. Die »günstigren Bedingungen«, unter denen das Einzelkapital produziert, wirken sich statistisch und praktisch auf die gesellschaftlich durchschnittlich nötige Arbeitszeit kaum aus.

Das Einzelkapital könnte seine Preise senken und trotzdem noch Extraprofit machen. Es könnte das eingesparte Geld nutzen, um seine Produktion zu erweitern. Für die anderen Kapitale entsteht ein Konkurrenznachteil, den sie im idealen Kapitalismus durch eigene Neuerungen zu überwinden versuchen. Gelingt ihnen das, sinkt der gesellschaftliche Wert der Ware und damit wahrscheinlich auch ihr Preis relativ zu anderen Warenarten – ein Ergebnis, das den Einzelkapitalen eigentlich gar nicht Recht ist.

Nun könnte man sich einen Fall wie den folgenden vorstellen:

c. Neuerung der zweiten Art
Das Einzelkapital ändert nichts in der Produktion und erhöht einfach so seinen Mehrwert um 60: m = 100 | c = 60 | v = 100.
Alle anderen Kapitale zusammen produzieren weiterhin mit m = 400 | c = 600 | v = 1000.
Die Profitraten sind 100/​(60+100) = 0,625 und 400/​(600+1000) = 0,25.

Aber dieser Fall existiert so nicht. Ein Einzelkapital kann nicht ohne Produktionsänderung seinen Mehrwert einfach so heraufsetzen. beträgt immer noch wie im Fall a 40. Ein Einzelkapital kann allerdings den Verkaufspreis heraufsetzen. Statt 40+60+100=200 € kann es zum Beispiel 260 € verlangen. Insbesondere Monopole, Kartelle und Unternehmen, die patentgeschützte Technologien anbieten, können so etwas durchziehen: Waren längerfristig über ihren Wert verkaufen. In Abgrenzung vom Extraprofit sei diese Art Profit »Monopolprofit« genannt.

Werden Waren über Wert verkauft, ob zur Erlangung von Extraprofiten oder von Monopolprofiten, so bedeutet das unter ansonsten gleich bleibenden Wirtschaftsbedingungen zwangsläufig, dass andere Beteiligte Waren unter Wert verkaufen müssen (die Ware Arbeitskraft eingeschlossen). Das der gesamtwirtschaftlichen Wert- und Mehrwertmasse entsprechende Geld und der realisierte Mehrwert fließen in andere Taschen.

Für kapitalistische Systeme des Globalen Nordens waren lange Zeit unter anderem die Schwerindustrie und durch sie ermöglichte Produkte – Maschinen, Lokomotiven, Infrastruktur zur Elektrizitätsversorgung … – eine Quelle des Extraprofits und auch Monopolprofits. Solange in anderen Ländern keine Schwerindustrie existierte und die Märkte nicht gesättigt waren, ließen sich ihre Produkte auf dem Weltmarkt über dem Wert verkaufen, den sie innerhalb der herstellenden Wirtschaftssysteme hatten. Ihr Kauf lohnte sich für die Wert-​mäßig Übervorteilten trotzdem, weil sie enorme Steigerungen der Arbeitsproduktivität ermöglichten.

Bei freien Märkten bzw. ohne Staatseingriffe hätte der Schwerindustrie des Globalen Nordens kaum Konkurrenz entstehen können, denn bis zur Erreichung kapitalfreundlicher Profitraten vergehen in diesem Wirtschaftszweig Jahrzehnte, die kein frei fließendes Privatkapital überbrücken würde. Das Kapital würde eher in bereits bestehende Konzerne fließen und Tochtergesellschaften gründen als in eine neue, für lange Zeit nicht konkurrenzfähige Schwerindustrie. Nachträglich aufgebaute eigenständige Schwerindustrien entstanden zum Beispiel in Russland, China und Indien auf staats- und planwirtschaftlichen Wegen.

17. Weltmarkt und ungleicher Tausch

Auf dem Weltmarkt kann eine Mischform von »normalen« Profiten, die sich aus der Produktion ergeben, und Extraprofiten, die sich aus Unterschieden zwischen Produktionen ergeben, etwa wie folgt entstehen:

  • Kapital 1 in System 1 produziert die Menge a der Ware A in drei Arbeitstagen
  • Kapital 2 in System 2 produziert die Menge a der Ware A an einem Arbeitstag.

Solch ein Unterschied könnte zum Beispiel durch einen höheren Industrialisierungsgrad in System 2 mit besseren Verkehrswegen und besserer Stromversorgung zustande kommen. Produzieren beide Kapitale bei gleichem Wert der Arbeitskraft etwa gleich viel und entspricht ihr kombiniertes Angebot ungefähr der Nachfrage des Weltmarktes, tendiert der Weltmarkt-​Preis für A zu einem Preis, der einem Wert zwischen drei Arbeitstagen und einem Arbeitstag entspricht.

Dadurch kann Kapital 2 seine Waren über ihrem Wert verkaufen. Kapital 1 muss seine Waren unter ihrem Wert verkaufen.

»Kapitale, im auswärtigen Handel angelegt, können eine höhere Profitrate abwerfen, weil hier […] mit Waren konkurriert wird, die von andern Ländern mit mindren Produktionsleichtigkeiten produziert werden, so dass das fortgeschrittnere Land seine Waren über ihrem Wert verkauft, obgleich wohlfeiler als die Konkurrenzländer. […] Ganz wie der Fabrikant, der eine neue Erfindung vor ihrer Verallgemeinerung benutzt, wohlfeiler verkauft als seine Konkurrenten und dennoch über dem individuellen Wert seiner Ware verkauft […]. Er realisiert so einen Surplusprofit.« 56

Der Extraprofit im Welthandel läuft auf einen ungleichen Tausch von Arbeitszeit hinaus.

»[D]rei Arbeitstage eines Landes [können sich] gegen einen eines anderen austauschen. […] In diesem Fall exploitiert das reichere Land das ärmre, selbst wenn letztres durch den Austausch gewinnt«. 57

Im Beispiel der Ware muss zur Einnahme derselben Geldsumme auf dem Weltmarkt in System 1 länger gearbeitet werden als in System 2. Wird die Geldsumme bei Einkäufen auf dem Weltmarkt wieder ausgegeben, muss entsprechend für dieselbe Warenmenge in System 1 länger gearbeitet werden als in System 2.

Im Beispiel wird unterstellt, dass die Arbeitskräfte beider Systeme denselben Wert haben. Da die Arbeitskräfte in System 1 für dieselben Einkäufe auf dem Weltmarkt länger arbeiten müssen, läge es nahe, dass ihr Wert höher liegt als der der Arbeitskräfte in System 2. Wertgleichheit der Arbeitskräfte beider Systeme könnte unter dieser Bedingung entstehen, wenn das Wohlstandsniveau der Arbeitskräfte in System 1 niedriger liegt oder wenn bei gleichem Wohlstandsniveau in System 1 das Leben mit weniger Arbeitskraft reproduzierbar ist, beispielsweise, weil weniger geheizt werden muss und keine Winterklamotten nötig sind.

In weniger industrialisierten Systemen, die für Weltmarkteinkäufe – speziell von Nahrungsmitteln –mehr Arbeitsstunden aufbringen müssen als höher industrialisierte, können aufgrund der damit verbundenen Wertsteigerung der Arbeitskräfte trotz niedrigerer organischer Zusammensetzung des Kapitals c/​v die Mehrwert- und Profitrate m/​v und m/​(c + v) niedriger liegen als in hoch industrialisierten Systemen. Dies könnte die Schwierigkeiten mancher Länder, ausländisches Kapital »anzulocken«, erklären.

Wertgleichheit der Arbeitskräfte unterstellt, kommt im Beispiel der Ware System 2 auf dem Weltmarkt besser davon, weil sich sein hoher Industrialisierungsgrad (noch) nicht weltweit durchgesetzt hat. Der niedrigere Industrialisierungsgrad von System 1 treibt die zur Produktion von Ware A im Weltmaßstab durchschnittlich benötigte Arbeitszeit und damit den Weltmarktpreis nach oben. Aus diesem Zusammenhang entsteht für System 2 einerseits ein Interesse, eigenständige Industrialisierungen anderer Systeme zu verhindern, und andererseits ein Interesse, nicht allzu viel zu produzieren. Würde Kapital 2 den gesamten Weltbedarf für Ware A decken, würden sich die Preise der Wertentsprechung von einem Arbeitstag annähern und Kapital 1 womöglich pleite gehen.

Für in Sytem 1 entstehendes Kapital liegt es nahe, nach System 2 umzuziehen, anstatt in System 1 eine eigene Produktion der Ware A zu betreiben. In System 2 entstehen dann Arbeitsplätze und in System 1 nicht. System 1 verliert und System 2 gewinnt Chancen, auf Basis von Steuereinkünften seine Verkehrswege, Stromversorgung usw. zu verbessern. Der Entwicklungsunterschied zwischen den Systemen wächst dann noch über das Maß hinaus, das der Arbeitszeitnachteil im Welthandel mit sich bringt.

Um Kapitalflucht einzugrenzen, hat System 1, wenn es kapitalistisch wirtschaftet, außer einer staatlichen Kapitalverkehrskontrolle, mit der es sich den »freien Westen« zum Feind macht, kaum andere Möglichkeiten als den Wert der Arbeitskräfte geringer zu halten als in System 2. Die Diktatur als Regierungsform liegt da nicht fern. Währenddessen verbessern die Vorteile, die das Kapital von System 2 genießt, die Chancen der dortigen Proletariate, die Mehrwertrate m/​v zu drücken und den allgemeinen Wohlstand zu heben. Die damit einhergehende Zufriedenheit ermöglicht den Machterhalt des Kapitals mit »demokratischeren« Regierungsformen.

Im Endresultat kann es zu folgender Situation kommen:

  • Kapital 1 in System 1 produziert die Menge a der Ware A in drei Arbeitstagen
  • Kapital 2 in System 2 produziert die Menge a der Ware A zwar an einem Arbeitstag, aber der Wert der Arbeitskraft liegt durch erfolgreiche Gewerkschaftskämpfe vier Mal so hoch wie in System 1.

In diesem Fall macht Kapital 2 im Weltandel keinen Extraprofit. Vielmehr würde ihm der Aufbau von Produktionsstätten in System 1, der Kapitalexport, Vorteile bringen.

Das bisherige Beispiel setzt voraus, dass zwischen System 1 und System 2 fast kein bis kein Ausgleich der Profitraten stattfindet. Nicht zuletzt zwischen den riesigen Finanz- und Aktienkapitalen, die an internationalen Börsen präsent sind, tendieren die Profitraten aber zum Ausgleich. Zugleich tendiert der Durchschnittswert der Arbeitskraft in den einzelnen Nationen aufgrund von Einwanderungsbeschränkungen, zu hoher Armut zum Auswandern und anderem mehr meistens nicht zum Ausgleich. Das Kapital fließt relativ frei über den Globus, die Arbeitskraft nicht.

Betreiben im Rahmen der weltweiten Arbeitsteilung einige Länder vor allem Produktionszweige mit niedriger organischer Zusammensetzung des Kapitals und andere Länder vor allem Produktionszweige mit hoher organischer Zusammensetzung des Kapitals und sind die Mehrwertraten ersterer nicht allzu gering, kommt es beim Profitratenausgleich über Weltmarktpreise und Währungsverhältnisse zu einer Mehrwertübertragung von ersteren auf letztere. Der Vorgang entspricht dem unter Profitraten und ihr Ausgleich angedeuteten. Man ersetze »Krankenhausbranche« etwa gegen »Kakao-​Erzeugung«. In der Kakao-​Erzeugung ist der Wert der Arbeitskräfte so gering, dass zu deren Reproduktion Kinderarbeit erforderlich ist. Dadurch erreichen das Handels- und Industriekapital der Schokoladenbranche hohe Mehrwertraten. (Als Lösung vorgeschlagen wird natürlich, die Verkaufspreise für Schokolade zu erhöhen, nicht, die Mehrwertraten zu senken, denn dann würde Schokoladenkapital womöglich in die Automobilindustrie wechseln.)

Der weltweite Profitratenausgleich wirkt sich auf das allgemeine Lebensniveau innerhalb der einzelnen Länder ungleich aus, je nachdem in welchen Ländern die Eigentümerinnen von Finanz- und Aktienkapitalen hauptsächlich sitzen, wo wie viel Steuern gezahlt werden, wo in vertikal gegliederten Konzernen welche Rechnungs- und Einnahmeposten hinverschoben werden, wo welche Folgegeschäfte ablaufen, in welchen Währungen die Finanzen abgewickelt werden usw.

Mehrwertzuflüssse aus internationalem Profitratenausgleich wie auch auf dem Weltmarkt erzielte Extra- und Monopolprofite können dem Gesamtkapital eines begünstigten Systems zu Gute kommen, wenn sie dort in den Ausgleich der Profitraten eingehen. Marx deutet dies in Bezug auf Kolonien an:

»Warum nun die höhern Profitraten, die in gewissen Zweigen angelegte Kapitale so abwerfen und [aus Kolonien] nach der Heimat abführen, hier, wenn sonst nicht Monopole im Wege stehn, nicht in die Ausgleichung der allgemeinen Profitrate eingehn […] sollen, ist nicht abzusehn. Es ist dies namentlich nicht abzusehn, wenn jene Zweige der Kapitalanwendung unter den Gesetzen der freien Konkurrenz stehn.«58

Für Proletariate erhöhen Wertzuflüsse aus anderen Systemen, wie sie der Profitratenausgleich und Extra- und Monopolprofite mit sich bringen, die Chancen, Verbesserungen durchzusetzen. Langfristig beseitigt ihr Erfolg aber die Grundlagen dieser Wertzuflüsse und treibt das produktive Kapital zur Flucht in bisher benachteiligte Systeme, in denen der Wert der Arbeitskraft niedriger liegt. In der Folge erhöhen sich die Chancen der Proletariate bisher benachteiligter Systeme, Verbesserungen durchzusetzen.

18. Krisen und Konjunkturzyklen

Die wohl bekannteste Krisenerklärung von Marx lautet:

»Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der Gesellschaft [in der Produktion und der individuellen Konsumtion] ihre Grenzen bilde.«59

Zur Vereinfachung wird zunächst vorausgesetzt, die Wirtschaft bestünde nur aus Kapitalistinnen und deren Lohnabhängigen. Eine Verallgemeinerung folgt danach.

Um überhaupt arbeiten zu dürfen, müssen die Lohnabhängigen insgesamt gesehen mehr Wert herstellen, als sie in Warenform von ihren Löhnen kaufen können.

Den Wertbetrag, den sich die Lohnabhängigen als Konsumtionsmittel nicht leisten können, nehmen Kapitalistinnen auf – hauptsächlich durch Produktionsmittelkäufe.

Produktionsmittelkäufe lohnen sich letztlich nur bzw. treiben das Kapital dann nicht in die Pleite, wenn sie am Ende langer und komplexer Ketten von Produktionsstufen zur Produktion von Konsumtionsmitteln führen, die sich im Schnitt Wert-​entsprechend verkaufen lassen.

Solange Kapitalistinnen den Wertbetrag, den die Lohnabhängigen als Konsumtionsmittel zu kaufen sich nicht leisten können, da er auf’s Gesamtkapital bezogen Mehrwert m darstellt, in Form von Produktionsmitteln kaufen, d.h. solange Kapitalistinnen Produktionsmittel anhäufen, Kapital akkumulieren, stößt die Wirtschaft nicht an die Grenze der »Konsumtionsbeschränkung der Massen«. Die Wirtschaft wächst.

Der Laden fliegt dann auf, wenn die Kapitalistinnen den Wertbetrag, den die Lohnabhängigen als Konsumtionsmittel zu kaufen sich nicht leisten können, nicht aufnehmen, wenn Kapitalistinnen zu wenig Produktionsmittel kaufen, d.h. zu wenig Kapital akkumulieren, so dass die Wirtschaft ungenügend wächst.

Unter welchen Umständen kaufen Kapitalistinnen zu wenig Produktionsmittel?

Sie kaufen zu wenig Produktionsmittel, wenn sich damit zu wenig Profit machen lässt.

Produktionsmittel bringen nicht deshalb zu wenig Profit, weil die Lohnabhängigen die mit ihnen produzierbaren Waren nicht wert-​entsprechend kaufen könnten. Wie angedeutet, wird diese Lücke der »Unterkonsumtion«60 durch Produktionsmittel-​Käufe von Kapitalistinnen gestopft.

Produktionsmittel bringen zu wenig Profit unter Umständen, die Marx »Überproduktion von Kapital« nennt. Diese bildet seiner Meinung nach bei aller Vielfalt der möglichen und jeweiligen Krisenauslöser das »Grundphänomen der Krisen«.61

»Überproduktion von Kapital, nicht von einzelnen Waren – obgleich die Überproduktion von Kapital stets Überproduktion von Waren einschließt –, heißt […] Überakkumulation von Kapital. Um zu verstehn, was diese Überakkumulation ist […], hat man sie nur absolut zu setzen. Wann wäre die Überproduktion des Kapitals absolut? Und zwar eine Überproduktion, die sich nicht auf dieses oder jenes oder auf ein paar bedeutende Gebiete der Produktion erstreckt, sondern in ihrem Umfang selbst absolut wäre, also sämtliche Produktionsgebiete einschlösse?« 62

Marx antwortet auf diese Frage: Sobald mit zusätzlichen oder auch neueren Produktionsmitteln weder die Mehrwertmasse noch die Mehrwertrate m/​v erhöht werden kann.

»Sobald […] das Kapital gewachsen wäre in einem Verhältnis zur Arbeiterbevölkerung, dass weder die absolute Arbeitszeit, die diese Bevölkerung liefert, ausgedehnt, noch die relative Mehrarbeitszeit erweitert werden könnte (das letztre wäre ohnehin nicht tubar in einem Fall, wo die Nachfrage nach Arbeit so stark, also Tendenz zum Steigen der Löhne); wo also das gewachsene Kapital nur ebensoviel oder selbst weniger Mehrwertsmasse produziert als vor seinem Wachstum, so fände eine absolute Überproduktion von Kapital statt.«63

Marx sagt hier, dass die Profitabilität von Investitionen an hohen Löhnen scheitern kann. Dasselbe besagt der Austeritätsgedanke: indem wir alle »den Gürtel enger schnallen«, kann es wieder aufwärts gehen. Viele Linke streiten es ab. Deshalb hier noch mal Marx mit anderen Worten:

»Will man aber dieser Tautologie [dass die Krisen aus Mangel an zahlungsfähiger Konsumtion … hervorgehn] einen Schein tiefrer Begründung dadurch geben, dass man sagt, die Arbeiterklasse erhalte einen zu geringen Teil ihres eignen Produkts, und dem Übelstand werde mithin abgeholfen, sobald sie größern Anteil davon empfängt, ihr Arbeitslohn folglich wächst, so ist nur zu bemerken, dass die Krisen jedesmal gerade vorbereitet werden durch eine Periode, worin der Arbeitslohn allgemein steigt und die Arbeiterklasse realiter größern Anteil an dem für Konsumtion bestimmten Teil des jährlichen Produkts erhält. Jene Periode müsste – von dem Gesichtspunkt dieser Ritter vom gesunden und ›einfachen‹ (!) Menschenverstand – umgekehrt die Krise entfernen.«64

Die Problematik hoher Löhne folgt aus dem oben beschriebenen Umstand, dass für den Mehrwert, den Kapitalistinnen beim Konsumtionsmittelverkauf realisieren, andere Kapitalisten aufkommen müssen, so dass für das Gesamtkapital die realisierbare Mehrwertmasse schrumpft.

In Phantasiezahlen ausgedrückt besteht absolute Überproduktion von Kapital, wenn gesamtwirtschaftlich bei Investitionen eines Wertbetrags von zum Beispiel 40 in Produktionsmittel Folgendes passiert: aus einer Profitrate von 100/​(400+100) = 0,20 wird 100/​(440+100) = 0,18 oder – falls die Investition Entlassungen von Lohnabhängigen ermöglicht – noch schlimmer 80/​(440+80) = 0,15.

Das dem Wertbetrag von 40 entsprechende Geld, das sich nicht in Produktionsmittel zu investieren lohnt, kann auf Finanzmärkte ausweichen, falls dort etwas zu holen ist. Das Geld kann als Geldkapital erscheinen, das verliehen wird. Durch Vermehrung des leihbaren Geldes können die Kreditzinsen sinken, so dass sich unter Umständen hier und da Investitionen in Produktionen wieder lohnen. Möglicherweise reicht das schon, um den Ausbruch einer umfassenden Krise zu vermeiden – oder besser: hinauszuzögern. Denn der »letzte Grund aller wirklichen Krisen«, dass sich aufgrund der Unterkonsumtion des Proletariats Produktionen letztlich nicht rentieren können, wird dadurch nicht behoben.

Oft wird Marxens Krisenerklärung mit der »Konsumtionsbeschränkung der Massen« und mit der »Überproduktion von Kapital« als Alternative hingestellt, von der nur das eine oder das andere stimmen kann. Doch ohne Unterkonsumtion würde der Nichtkauf von Produktionsmitteln vom Mehrwert m nicht zu einer Krise führen, sondern könnte durch den Kauf von Konsumtionsmitteln durch Lohnabhängige ersetzt werden. Der Kauf von Produktionsmitteln bedingt, damit er sich lohnen kann und nicht zur Pleite führt, ihren Einsatz und letztlich den Wert-​entsprechenden Verkauf von Konsumtionsmitteln. Der Kauf von Produktionsmitteln bedingt Kapitalakkumulation. So entsteht die Alternative: entweder Kapitalakkumulation bzw. Wirtschaftswachstum oder Krise. Eine kapitalistische Wirtschaft, die nicht ständig wächst, funktioniert nicht.

Bei rückläufigen oder stockenden Produktionsmittelkäufen geraten zunächst die Wirtschaftsbranchen in eine Krise, die Produktionsmittel anbieten. Die betroffenen Einzelkapitale lassen kurzarbeiten oder entlassen Arbeiterinnen. Dadurch sinkt die Nachfrage der Arbeiterinnen nach Konsumtionsmitteln. Davon werden Einzelkapitale der Konsumtionsmittelbranche betroffen, die wiederum Arbeiterinnen entlassen. Es kommt eine Abwärtsspirale in Gang. Die Krise ist da!

In der Krise verlieren Produktionsmittel an Wert, denn: »es ist überhaupt zuviel gesellschaftliche Arbeit in diesem [nicht mehr nur] besondren Zweig [der Produktionsmittel-​Produktion] verausgabt«.65 Zusätzlich sinken bei wachsender Erwerbslosigkeit die Reallöhne.

Durch die Krise wird günstigenfalls die Situation der Überproduktion von Kapital beseitigt, so dass irgendwann die Profitrate wieder steigt. In Phantasiezahlen ausgedrückt: Eine Profitrate von 100/​(440+100) = 0,18 erhöht sich nach krisenbedingter Wertsenkung der Produktionsmittel von 440 um 40 auf 100/​(400+100) = 0,20.66

Nachdem »die Wirtschaft«, d.h. die Wertmasse c + v + m, geschrumpft ist, und dadurch die Profitrate gestiegen ist, kann es wieder bergauf gehen. Aber wie genau?

»Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? Einerseits durch die erzwungene Vernichtung einer Masse von Produktivkräften; andererseits durch die Eroberung neuer Märkte und die gründlichere Ausbeutung alter Märkte. Wodurch also? Dadurch, dass sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.« 67

Wird berücksichtigt, dass die Wirtschaft nicht nur aus Kapitalistinnen und deren Lohnabhängigen besteht, sondern auch aus nichtkapitalistisch Produzierenden (familiäre Landwirtschaft, Selbständige, Staatsproduktionen), und dass es außerdem noch einen Weltmarkt gibt, kommt es zunächst weniger wahrscheinlich oder seltener zu Krisen oder zu weniger schweren Krisen. Denn dann braucht zur Krisenvermeidung die Unterkonsumtion der Lohnabhängigen nicht nur durch Produktionsmittelkäufe innerhalb des kapitalistischen Systems ausgeglichen zu werden, sondern kann auch durch die zahlungsfähige Nachfrage der nichtkapitalistisch Produzierenden und des Weltmarkts ausgeglichen werden. Zudem kann sich diese Nachfrage sowohl auf Konsumtionsmittel als auch auf Produktionsmittel beziehen. Der Bereich dessen, was für das Gesamtkapital eines Systems als »Endprodukt« Profit bringen kann, wird enorm erhöht.

Umstände der »Überproduktion von Kapital« treten durch dieses Verschwinden des Nadelöhrs der Unterkonsumtion weniger wahrscheinlich ein. Durch »die Eroberung neuer Märkte« kann das Wachstum der Wertmasse wieder in Gang kommen und sogar über das Niveau vor der Krise hinaus wachsen.

Neben den Verhältnissen in der und zur Außenwelt spielt Kreditgeld eine bedeutende Rolle bei Krisenausbrüchen und ‑verläufen. Die Vermehrung von Kreditgeld kann einen Anschein von Profiten aufrecht erhalten, während die Profitabilität der Produktion schon lange in die Grütze gegangen ist. So gehen den Ausbrüchen größerer Weltwirtschaftskrisen oft wachsende Exportüberschüsse der jeweils führenden kapitalistischen Systeme voran, die mit wachsenden Krediten an die Importländer finanziert werden. Solange diese Kredite nicht als unabzahlbar auffliegen, kann munter weiterproduziert und ‑investiert werden.

19. Imperialismus

Imperialismus hat es immer gegeben. So ist die menschliche Natur! Ob allerdings die menschliche Natur Schlägereien unter Fußballfans oder atomkriegs­fördernde Terror­anschlags­machbarkeits­gespräche unter Generälen mit sich bringt, entscheiden gesellschaftliche Verhältnisse. Ginge es darum, die menschliche Bosheit und Gier zu berücksichtigen, könnte die Schaffung von Wirtschafts- und Gesellschaftsformen helfen, in denen Menschen möglichst wenig Macht über andere haben.

Traditionell bestehen die Ziele des Imperialismus darin, das Luxusleben und die Militärapparate der Obrigkeiten der erobernden Mächte auszubauen und gegenüber Konkurrenzmächten zu sichern. Beim speziell kapitalistischen Imperialismus geht es zusätzlich zu diesen »Gebrauchswerten« um ein im Wesen maßloses Streben nach Akkumulation von Kapital.

»Der außerhalb Europa[s] direkt durch Plünderung, Versklavung und Raubmord erbeutete Schatz floss ins Mutterland zurück und verwandelte sich hier in Kapital.«68

Damit für das Gesamtkapital eines kapitalistischen Systems genügend realisierter Mehrwert zur weiteren Kapitalakkumulation herausspringt, muss dafür gesorgt werden, dass es nicht nur die Einzelkapitale des Systems selber sind, die den Mehrwert realisieren. Entsprechend argumentiert Marx gegen einen seiner Ideengeber, den Ökonomen David Ricardo:

Ricardo übersieht, »dass die kapitalistische Produktion […] von einer beständigen Erweiterung des Weltmarkts abhängt. […]. Die demand [zahlungsfähige Nachfrage] der Arbeiter genügt nicht, da der Profit ja grade dadurch herkommt, dass die demand der Arbeiter kleiner als der Wert ihres Produkts, und um so größer ist, je relativ kleiner diese demand. Die demand der capitalists untereinander genügt ebensowenig.«69

Damit das Gesamtkapital eines Systems Mehrwert zur Kapitalakkumulation realisieren kann, muss es von außerhalb des Systems zusätzlichen Wert in Geldform erhalten oder auch zusätzlichen Wert in Warenform (der zum Beispiel aus dem Nichts geschaffenes Geld mit Wert unterlegt wie beim Spritzstoff-​Beispiel im Abschnitt Inflation und Kredit).

Im einfachsten Fall erlangt ein kapitalistisches System den zur Kapitalakkumulation erforderlichen Wertbetrag durch notorische Exportüberschüsse. Dabei kaufen Außenstehende dem System Waren ab, ohne ihm im selben Wert-​entsprechenden Geldumfang Waren zu verkaufen. Perspektivisch gehen Außenstehende, die nichts dagegen unternehmen, daran pleite, so dass gemeckert werden kann: »Die haben über ihre Verhältnisse gelebt!« Außenstehende, die etwas dagegen zu unternehmen versuchten, zogen bislang Attentate, Farbrevolutionen, Sanktionen und Bomben an.

Der kapitalistische Sachzwang zur Ausbeutung der Außenwelt besteht bereits im Normalbetrieb. Er ist eine Konsequenz der Mehrwertaneignung. Er folgt nicht erst aus besonderen Umständen wie Monopolisierung oder besondere Bosheit von Superreichen. In der einfachen Warenwirtschaft besteht solch ein Sachzwang nicht. Die Wirtschaft kann durch steigendes Mehrprodukt, durch Produktivitätsfortschritte wachsen, auch wenn die beteiligten Warenproduzierenden insgesamt gesehen vollständig für das Mehrprodukt aufkommen. Etwas umsonst einzuheimsen, um weiterzuproduzieren, haben sie nicht nötig.

Ist ein kapitalistisches System noch wenig entwickelt, kann es seinen Bedarf zur Ausbeutung einer Außenwelt unter Umständen durch eine inländische nicht-​kapitalistische Landwirtschaft decken, indem diese Arbeitskräfte produziert, landwirtschaftliche Produkte unter Wert verkauft, Industrieprodukte über Wert einkauft und das Kapital mit Steuergeldern unterstützt. Mit der weiteren Entwicklung des Kapitalismus wird der Beitrag der inländischen Landwirtschaft relativ zur Gesamtwirtschaft kleiner.

Genügt die Wertzufuhr von Außerhalb nicht, entsteht eine Dauerkrise der Akkumulierbarkeit von Kapital, die sich nicht mit den üblichen Mitteln der Lohnsenkung und begrenzten Wertvernichtung beheben lässt wie herkömmliche Krisen der Akkumulation von Kapital. Dem Kapitalismus bleiben dann im Wesentlichen drei Möglichkeiten:

  • Schaffung von mehr und mehr Kreditgeld ohne Wertbasis, um den Zusammenbruch der Warenwerte und der Produktion zu verzögern, der großes Elend mit sich bringen und die Macht des Kapitals gefährden würde
  • bei militärischer Stärke und entsprechender Grundverfassung der Gesellschaft: Durchsetzung des Bedarfs zur Ausbeutung der Außenwelt mit verstärkten Mitteln der Verschwörung, des (Neo-)Kolonialismus’ und Kriegs
  • bei militärischer Schwäche oder friedfertiger Grundverfassung der Gesellschaft: Verdrängung des Kapitals aus Wirtschaftsbereichen, um dort durch nicht-​kapitalistische Produktionen Wertquellen zu schaffen, aus denen das verbleibende Gesamtkapital ähnlich wie durch eine inländische nicht-​kapitalistische Landwirtschaft versorgt wird.

Insbesondere zur Einschätzung von Kriegen ist es wichtig zu prüfen, inwieweit die Gesamtwirtschaften der beteiligten Gesellschaften so aufgestellt sind, dass sie aufgrund eines großen kapitalistisch funktionierenden Wirtschaftsanteils imperialistische Erfolge brauchen. In Gesellschaften mit einem großen Anteil von Wert produzierenden Staatswirtschaften an der Gesamtwirtschaft und meist damit verbundener verstaatlichter Großfinanz fallen außenpolitische Nutzen/​Schaden-​Kalküle der herrschenden Kreise wesentlich anders aus. Imperialistische Erfolge sind für ihren Machterhalt nicht existenziell, wohl aber die Abwehr imperialistischer Versuche, ihre Staatsproduktionen und ‑finanzen auszuhebeln. Die Abwehrbarkeit des Imperialismus ist in der Regel mit Unterdrückungen politischer Opposition im Innern verbunden, da diese – trotz aller subjektiv bestehenden Aufrichtigkeit – ein Einfallstor imperialistischer Kräfte bilden.

Welche Wirtschaftsbereiche wären für eine Verdrängung des Kapitals zu Gunsten gebrauchswertorientierter Produktionen besonders geeignet? Rohstoff-​gewinnende und großindustrielle Branchen? »Natürliche« Monopole wie Eisenbahn, Post, Großbanken? Wirtschaftszeige, deren Profitorientierung gesamtgesellschaftlich deutlich schädlich wurde oder seit jeher war und deren Innovationen sowieso seit langem schon gesamtgesellschaftlich ermöglicht und finanziert werden? Vielleicht die Pharmaindustrie, gewisse Dienstleistungen des Internets, Rüstungsindustrie …?

Bewegungen in Richtung Aufhebung der kapitalistischen Sachzwänge, soweit sie nicht faschistisch/​korporatistisch gestoppt wurden – durch Zusammenschluss bestehender herrschender Kreise mit Staatsapparaten und Teilersatz kapitalistischer Sachzwänge mit politischen Zwängen unter Beibehaltung des Privateigentums an Produktionsmitteln, wie sie im Westen jetzt verstärkt im Gange sind –, führten bisher zur Entstehung neuer, als »sozialistisch« bezeichneter herrschender Kreise. Diese Kreise ersetzten kapitalistische Sachzwänge ebenfalls durch politische Zwänge. Später machten sich manche von ihnen »zu Eigentümern der gegenständlichen Arbeitsbedingungen« und warfen die Maschinerie der kapitalistischen Sachzwänge wieder an.

Marx meint dazu:

»Eine soziale Revolution befindet sich deswegen auf dem Standpunkt des Ganzen, weil sie – fände sie auch nur in einem Fabrikdistrikt statt – weil sie eine Protestation des Menschen gegen das entmenschte Leben ist, weil sie vom Standpunkt des einzelnen wirklichen Individuums ausgeht […]. Die politische Seele einer Revolution besteht dagegen in der Tendenz der politisch einflusslosen Klassen, ihre Isolierung vom Staatswesen und von der Herrschaft aufzuheben. Ihr Standpunkt ist der des Staats, eines abstrakten Ganzen, […] das undenkbar ist ohne den organisierten Gegensatz zwischen der allgemeinen Idee und der individuellen Existenz des Menschen. Eine Revolution von politischer Seele organisiert daher auch, der beschränkten und zwiespältigen Natur dieser Seele gemäß, einen herrschenden Kreis in der Gesellschaft, auf Kosten der Gesellschaft.« 70

Fußnoten

1 Kritik des Gothaer Programms
Diese Sache war schon dem christlichen Priester Thomas Müntzer (1489 – 1525) aufgefallen: »unsere Herren und Fürsten […] nehmen alle Kreaturen zum Eigentum. Die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden muss alles ihnen sein (Jes 5,8). Darüber lassen sie dann Gottes Gebot ausgehen unter die Armen und sprechen: ›Gott hat geboten, du sollst nicht stehlen‹« (Hochverursachte Schutzrede 1524).

2 Das Kapital I, S. 165 (Apostroph hinter dem zweiten »G« von mir hinzugefügt)

3 Das Kapital III, S. 187

4 Das Kapital III, S. 411

6 »Rock« mit »Teddy« und »Leinwand« mit »Murmeln« ersetzt. MEGA, 2. Abteilung Band 6, S. 30 – Karl Marx, [Ergänzungen und Änderungen zum ersten Band des »Kapitals« (1871/​72], in: Karl Marx /​Friedrich Engels, Gesamtausgabe, Zweite Abteilung, Band 6, Dietz Verlag: Berlin/​DDR, 1987, S. 30. – Auch Das Kapital I, S. 192
Die Gleichsetzung der Arbeit ermöglicht übrigens die Kategorie »Menschen mit Behinderung« mit ihren Prozentangaben zum »Grad der Behinderung«.

7 Das Gleichnis wäre zu Zeiten von Marx vielleicht weniger einleuchtend gewesen als heute, weil die Psychen noch nicht so sehr an die Wertrealität angepasst waren.

8 Das Kapital II, S. 63

9 Das Kapital III, S. 649

10 Das Kapital III, S. 191
Moderner Versuch, den Zusammenhang zwischen Werten und Preisen empirisch aufzuzeigen: Nils Fröhlich: Die Überprüfung klassischer Preistheorien mithilfe von Input-​Output-​Tabellen. Statistisches Bundesamt, Wiesbaden 2010. Sahra Wagenknecht zum Preis/​Wert-​Verhältnis: Was ist und was mißt Wert? (2005)

11 Bürgerliche Wirtschaftswissenschaften sagen, verpackt im Begriff der »Wertschöpfung«, etwa: Lohnabhängige mit höherem Lohn produzieren mehr »Wert« als solche mit niedrigerem Lohn. Dadurch sieht es so aus als bekämen Lohnabhängige jeweils, was ihnen relativ zu ihrem Beitrag zum »Wert« der produzierten Waren »zusteht«.

12 Das Kapital I, S. 531f

13 Theorien über den Mehrwert I, S. 134
Eckige Klammern: im Original englische und französische Ausdrücke habe ich übersetzt.

14 Das Kapital III, S. 532

15 Zentrum für Politische Schönheit: Schuld. Die Barbarei Europas (2011)

16 Das Kapital I, S. 556

19 Das Kapital III, S. 395 ab »Gehn wir nun näher ein auf den Unternehmergewinn«.

20 Das Kapital III, S. 400

21 Wie bei Maschinen schnellere Betriebsgeschwindigkeiten, so führt nach Marx höhere Arbeitsintensität zu schnellerem Verschleiß, aber dafür größerer Wert- bzw. Mehrwerterzeugung pro Zeiteinheit. Wird die höhere Arbeitsintensität »in allen Industriezweigen gleichzeitig und gleichmäßig« durchgesetzt, kommt sie einer Wertminderung der Arbeitskraft gleich, wenn Lohnerhöhungen zur Kompensation des beschleunigten Verschleißes ausbleiben. (Das Kapital I, S. 548)

22 Das Kapital III, S. 528

23 Siehe z.B. Das Kapital III<, S. 404f

25 Das Kapital III, S. 494

26 Das Kapital III, S. 494

27 Das Kapital III, S. 483

28 Das Kapital III, S. 484f

29 Das Kapital III, S. 484f

30 Das Kapital III, S. 606

31 Das Kapital III, S. 533

32 Das Kapital III, S. 391

33 Das Kapital III, S. 646

34 Das Kapital III, S. 646

35 Resultate des unmittelbaren Produktionsprozesses, S. 70ff
Eckige Klammern: im Original englische Wörter wurden übersetzt.

36 Das Kapital I, S. 532

37 Das Kapital I, S. 532

38 Das Kapital I, S. 484
Das Softwareunternehmen Adobe hat es aufgrund seiner Monopolstellung geschafft, Softwareprogramme nach Art feudalen Landbesitzes zu verpachten, anstatt zu verkaufen (»Creative Cloud«). Auch Microsoft arbeitet daran, den Menschen die Computer als Privateigentum, das sie unter Kontrolle haben, wegzunehmen. Das Kapital ist nicht am Kapitalismus interessiert, wenn ihm andere Wirtschaftsformen mehr Geld einbringen.
Zur Landwirtschaft siehe z.B. Hermann Ploppa: Globaler Landraub und deutsche Bauernproteste. Apolut 6.1.2024

40 Brief von Marx an Sigfrid Meyer und August Vogt 9.4.1870, MEW 32, S. 668f

41 Brief von Marx an Sigfrid Meyer und August Vogt 9.4.1870, MEW 32, S. 669

42 Das Kapital III, S. 177f
Um die Profitraten verschiedener Unternehmen oder auch Branchen vergleichen zu können, ist ein zeitlicher Bezug nötig, der hier ignoriert wird: »bei Kapitalen gleicher prozentiger Zusammensetzung, bei gleicher Mehrwertsrate und gleichem Arbeitstag verhalten sich die Profitraten zweier Kapitale umgekehrt wie ihre Umschlagszeiten.« (Das Kapital III, S. 82)

43 Das Kapital III, S. 825

44 Das Kapital III, S. 184f

45 Das Kapital III, S. 620f
Genauer genommen stellen Banken auch »einfaches Geld« zur Verfügung, z.B. die Ersparnisse von Arbeiterinnen. Durch Verleihen dieses Geldes wird es für die Banken zu Geldkapital – und auch für die Arbeiterinnen, die Zinsen bekommen. Insofern sind auch sie Kapitalistinnen.

46 Das Kapital I, S. 640

48 Streng genommen gibt es die Durchschnittsprofitrate nur auf der Geldebene, nicht auf der Wertebene, weil sie sich erst über Geldflüsse herausbilden kann.

49 Falscherklärungen mit trotzdem interessanten Einsichten z.B. von 99 zu Eins – Spectrum of Communism: Kolumbien und die Cambridge-​Gleichung (17.11.2022) – Majak: Marxistische Krisentheorie und ein Blick auf die andere Seite des Globus (22.12.2021).

50 Das Kapital III, S. 223

53 Das Kapital III, S. 656

54 Das Kapital I, S. 337
Der »individuelle Wert« ist eine Art Hilfskonstruktion zur Erklärung. Nach dem Marxschen Wertbegriff gibt es ihn nicht und sind nur die Produktionskosten individuell. Siehe dazu auch Theorien über den Mehrwert II, S. 201f.

56 Das Kapital III, S. 247f.
Siehe auch Das Kapital III, S. 188.

57 Theorien über den Mehrwert III, S. 101 – »exploitieren« = ausbeuten.
Meistens sind »ärmre Länder« reich an Rohstoffen und/​oder ergiebigen Naturverhältnissen, nur die Leute sind arm.
Einer Theorie zufolge können weniger industrialisierte Länder durch Nutzung »komparativer Vorteile« die industrialisierten Länder nach und nach einholen . Tatsächlich werden Länder, die ihre Wirtschaften auf Warenproduktionen konzentrierten, in denen sie besonders gut sind, wahrscheinlicher abgehängt. Dies unter anderem, weil sie in einfacher zu bedienende Segmente liefern, in denen oftmals gerade deshalb ein Überangebot herrscht. Auch entstehen durch Fokussierung auf einen »komparativen Vorteil« Produktionseinrichtungen, die nicht flexibel genug sind, um bei Krisen im bedienten Segment auf andere Segmente wechseln zu können. Siehe dazu z.B. César Hidalgo, Ricardo Hausmann: The building blocks of economic complexity. Center for International Development and Harvard Kennedy School, Harvard University, Cambridge, MA 02138; Ricardo Hausmann: Secrets of Economic Growth (2015).

58 Das Kapital III, S. 248
Für das in Deutschland mit Hilfe des preußischen Staats groß gewordene Kapital und die dortige Bevölkerung war es nicht ungünstig, dass die Bevölkerungen Großbritanniens und Frankreichs die Hauptlast der kolonialen Unterdrückungskosten trugen, während am Weltmarkt billige »Kolonialwaren« zu haben waren.

59 Das Kapital III, S. 501. Siehe auch Theorien über den Mehrwert II, S. 521.

60 Der Ausdruck wird von Friedrich Engels in Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft verwendet. Er kann bei Anhängerinnen einiger marxistischer Strömungen Adrenalinstöße auslösen. Hier ist er als abkürzende Bezeichnung dafür gemeint, dass Arbeiterinnen mehr Wert herstellen, als sie in Warenform von ihren Löhnen kaufen können.

62 Das Kapital III, S. 261

63 Das Kapital III, S. 261f

64 Das Kapital II, S. 409

65 Das Kapital III, S. 649

66 Wenn man den Wert in einer Weise substantialisiert, wie es nach einer Beschreibung von Spectrum of Communism in MagMa vielleicht Moseley tut, gibt’s keine Wertsenkung, nur eine Preissenkung. Wäre das der Fall, könnten der Staat oder eine Weltregierung Krisen durch Preispolitiken beheben und dabei entstehende Verluste der benachteiligten Einzelkapitale durch Steuer-​Umverteilungen ausgleichen.

68 Das Kapital I, S. 781

69 Theorien über den Mehrwert II<, S. 469
Für eine Einführung unzumutbares Marx-​Zitat dazu: »Die Gesamtrechnung betrachtet, soweit die Profite einer Produktionssphäre eingehn in den Kostpreis der andren, soweit sind also diese Profite bereits in Rechnung gebracht für den Gesamtpreis des schließlichen Endprodukts und können nicht zum zweitenmal auf der Profitseite erscheinen. Erscheinen sie aber auf dieser Seite, so nur, weil die Ware selbst Endprodukt war, ihr Produktionspreis also nicht in den Kostpreis einer andern Ware eingeht.« (Das Kapital III, S. 170)

Bild gebastelt aus Wikimedia Commons: Kaffeebecher, Mann, Bücher, Hahn

3 thoughts on “Instant-​Marx für Marx-Abgeneigte

  1. Fangen wir mal damit an: »Allgemein: Eine Menge a der Ware A und eine Menge b der Ware B haben denselben Wert, wenn die Herstellung der beiden Warenmengen dieselbe Zeit an Durchschnittsarbeit (Durchschnittsgeschick, Durchschnittsbildung, durchschnittliche Arbeitsintensität …) erfordert. «

    Wenn also jemand die Menge a von der Ware A in der Zeit x herstellt und jemand anderes die Menge b von der Ware B auch in der Zeit x herstellt, wären aA und bB gleichviel wert? Nun, zum einen gibt es kein Durchschnittsgeschick, Durchschnittsbildung, durchschnittliche Arbeitsintensität, aber noch viel mehr: wenn niemand aA oder bB braucht oder will, ist aA oder bB Null und Nichts wert. Wenn aA zB 100 Stück Gartenzwergverankerungs-​Grundplatten sind die niemand braucht oder will, dann ist aA eben auch nichts wert, egal wie lange man daran gearbeitet hat.

    Oder das hier: »In der einfachen Warenwirtschaft kann es einen Handelssektor geben, der nach dem Muster funktioniert: Geld — Ware — mehr Geld (G — W — G’).« Da wird angesichts vom Handel mit Waren der Aspekt der Dienstleistung schlicht unterschlagen. Tatsächlich ist der Händler ein Dienstleister und die Ware ist in dem Fall nur eine Art Arbeitsmittel. Das was da als G’, also mit mehr Geld als am Anfang, beschrieben wird, ist doch schlicht die Bezahlung der Handels-​Dienstleistung. Also G‹ – G = Wert der an dieser Stelle entsprechenden Dienstleistung »Handel«. Entspricht also 100% dem »Einfache Warenwirtschaft funktioniert nach dem Muster: Ware — Geld — andere Ware (W — G — W’). Menschen stellen Güter und Dienstleistungen her und bereit, die sie selbst nicht brauchen, damit sie Güter und Dienstleistungen kaufen können, die sie haben wollen.«

    »»Geld ist […] die selbständige handgreifliche Existenzform des Werts […], worin alle Spur des Gebrauchswerts der Waren ausgelöscht ist.«8« ist die völlige Unterbelichtung des Themas »Geld« und Überhöhung von Geld an sich. Wie kann die »selbständige handgreifliche Existenzform des Werts« manchmal einfach völlig wertlos werden, am krassesten bei einer Hyperinflation? Und was ist von der »selbständige handgreifliche Existenzform des Werts« zu halten, die etwa von der »Federal reserve bank« beliebig erschaffen werden kann. Die »selbständige handgreifliche Existenzform des Werts« aus dem Nichts geschaffen? Geld ist ein halbwegs verlässliches Tauschmittel bei dem aber immer, oft eher unsichtbar, mehrere Hände mit im Spiel sind, siehe Steuer, siehe Inflation, siehe eingepreiste Kosten wie Miete, etc.aber was Geld ganz gewiss NICHT ist, ist »selbständige handgreifliche Existenzform des Werts«. Das ist doch völlig sinnloses Gesülze.

    So, das reicht mir jetzt völlig. Ich habe schon öfter die Erfahrung gemacht, dass die Fehler in einem Denksystem sehr häufig ganz an dessen Anfang zu finden sind. Grundannahmen, die als selbstverständlich angenommen werden, die aber bei genauerer Betrachtung in sich zusammenfallen.Und das das darüber erbaute theoretische Gebäude damit ebenso nicht mehr steht, sondern fällt, ist wohl klar. Solche Theorien kommen in den Köpfen an, weil man über die Grundannahmen erst einmal hinweg liest und später von dem Theoriengewölke so besoffen ist, dass man diese Grundnannahmen gar nicht mehr bemerkt oder gar hinterfragt.

    Wer heute nicht aus solchen Träumen aufwachen will angesichts der unübersehbaren Tatsache, dass alle die Marxisten, Trotzkisten, Leninisten, Kommunisten, Maoisten, freie Kurdistanisten, Sonstwosplittergruppisten heut nichts weiter sind als bestes Spaltmaterial die sich zum einen ständig gegenseitig bekämpfen und zum anderen immer im auffälligen Einklang mit den Konzertmedien die am lautesten »gegen rechts« Schreienden sind (wobei die »Rechten« witziger Weise meist die ach so viel beschworenen, angebeteten, verherrlichten Proletarier sind), also nichts als die realen Spalter und damit Widerstandsverhinderer gegen die Ausbeuter sind, wird wohl nie mehr aufwachen.

    Und eine _​Idiologie_​die gleich erst mal die 90% der Menschheit verunglimpft weil diese eine Form des spirituellen Glaubens hegen (»Religion ist Opium fürs Volk«), ja nicht einmal unterscheiden kann zwischen Religion/​Spiritualität und der leicht missbrauchbaren Organisationsform Kirche, eine _​Idiologie_​die mit ihrem Materialismus größte Schnittmengen mit dem Denken heutiger transhumanistischer Weltbedrückern aufweist, eine _​Idiologie_​die eine zwangsläufige historische Entwicklung zum Kommunismus behauptet aber dennoch ihre Anhänger die Geschichte ständig dahin zu drängen versuchen – anstatt einfach abzuwarten -, eine solche _​Idiologie_​ist keine Lösung sondern heute Teil des Problems unserer Zeit.

    1. Daß Sie die Mehrwerttheorie nicht verstanden haben (und es drängt sich zudem der Verdacht auf, daß Ihr generelles Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge eher begrenzt ist), ist schon nach wenigen Worten offensichtlich. Das lässt sich auch mit einem Wortschwall antimarxistischer Phrasen (wohl teils copy and paste) nicht vertuschen.

      1. Dass der Autor (und wohl auch Sie) die Realität nicht verstanden hat (haben), ist schon nach wenigen Worten offensichtlich geworden.

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