Wofür will Deutsch­land in Gha­na Arbeits­kräf­te stehlen?

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Es ist noch nicht klar, wie vie­le Stei­ne in der deut­schen Wirt­schaft auf­ein­an­der ste­hen blei­ben, da flie­gen Wirt­schafts­mi­nis­ter Heil und Ent­wick­lungs­mi­nis­te­rin Schul­ze nach Afri­ka, um Arbeits­kräf­te zu wer­ben. Der wirk­li­che Grund liegt dies­mal nicht in Deutschland.

Zuerst eine Anmer­kung vor­ne­weg, nur, damit auch dem Letz­ten klar ist, dass ich kei­ne Pro­ble­me mit afri­ka­ni­schen Migran­ten habe – mei­ne bei­den jün­ge­ren Töch­ter haben einen west­afri­ka­ni­schen Vater. Aber genau dar­um weiß ich auch sehr genau, dass man Men­schen nicht pro­blem­los von einem Ende der Welt an ein ande­res ver­pflan­zen kann, und dass der Preis, den die Migran­ten selbst zah­len, oft hoch ist.

Und noch etwas: In die­sem Jahr wür­den die ers­ten Kin­der, die wegen Hartz IV nicht gebo­ren wur­den, voll­jäh­rig. Mit die­ser Ände­rung des Sozi­al­rechts wur­den in einem Land, das zuvor schon nicht gera­de einen Ruf der Kin­der­freund­lich­keit hat­te, die Bedin­gun­gen, Kin­der auf­zu­zie­hen, wei­ter deut­lich ver­schlech­tert. Man kann es auch anders for­mu­lie­ren: Der Nied­rig­lohn von heu­te ist der Fach­kräf­te­man­gel von mor­gen. Damit ist auch klar, wer davon pro­fi­tiert und wer nicht.

Aber eigent­lich geht es um einen Bericht des Maga­zins Der Spie­gel. In Gha­na, so wird erzählt, hät­te das deut­sche Migra­ti­ons­zen­trum sei­ne Poli­tik geän­dert und wür­de auf Anwer­bung von Arbeits­kräf­ten umschwen­ken, nach­dem es zuvor den Auf­trag hat­te, die jun­gen Leu­te von einer Zukunft in Gha­na zu über­zeu­gen. Ähn­li­ches dürf­te zumin­dest im gesam­ten eng­lisch­spra­chi­gen Afri­ka gesche­hen. Die Begrün­dung: Die deut­sche Wirt­schaft benö­ti­ge Arbeitskräfte.

Da muss mir etwas ent­gan­gen sein. Klar, es gibt die Berei­che, in denen die Lücken groß sind, in der Pfle­ge bei­spiels­wei­se, aber meist liegt das unter ande­rem an schlech­ten Arbeits­be­din­gun­gen und eben­so schlech­ter Bezah­lung. Nur Indus­trie und IT? Zu einem Zeit­punkt, da deut­sche Kon­zer­ne rei­hen­wei­se dabei sind, sich zu ver­la­gern, mehr noch, zu dem sie von den USA gezielt abge­wor­ben wer­den, mit mas­si­ven Sub­ven­tio­nen gekö­dert, nach­dem eben­die­se USA sicher­ge­stellt haben, dass Ener­gie in Deutsch­land unbe­zahl­bar wird?

Die Rech­nung geht irgend­wie nicht auf. Da bedarf es nicht ein­mal eines Ver­wei­ses auf die Ein­wan­de­rungs­wel­le 2015 und die unzäh­li­gen Ukrai­ner im Land. Was sol­len die ange­wor­be­nen jun­gen Leu­te in einem Land, das gera­de sei­nen eige­nen Abstieg insze­niert? Selbst wenn sie scha­ren­wei­se hier­her­kä­men, wür­de dadurch kein ein­zi­ger Betrieb in Deutsch­land blei­ben und kein ein­zi­ger neu beginnen.

Die Spie­gel-Repor­ter umschif­fen die­se Fra­ge. Sie erzäh­len etwas von Solar­tech­nik … als wäre die nicht abhän­gig von chi­ne­si­scher Pro­duk­ti­on, und als woll­te der Wes­ten nicht gera­de Chi­na eben­falls sank­tio­nie­ren. Neben­bei, einen Ersatz chi­ne­si­scher Solar­zel­len durch deut­sche kann man getrost ver­ges­sen – die Pro­duk­ti­on des Sili­zi­um­kris­talls ist der ener­gie­auf­wän­digs­te Teil des Gan­zen, wird also in Deutsch­land nicht mehr passieren.

Arbeits­mi­nis­ter Huber­tus Heil und Ent­wick­lungs­mi­nis­te­rin Sven­ja Schul­ze sind nach Gha­na gereist und lie­ßen sich das Migra­ti­ons­zen­trum zei­gen. »Man müs­se künf­tig alle Regis­ter zie­hen, um Fach­kräf­te zu gewin­nen, sag­te Heil anschlie­ßend. Und die Ent­wick­lungs­mi­nis­te­rin schwärm­te vom »enor­men Poten­zi­al der Migra­ti­on«. Die Vor­aus­set­zun­gen für Anwer­bun­gen in Gha­na sind augen­blick­lich gut. Schließ­lich hat Gha­na, auch dank sei­ner folg­sa­men Umset­zung der CO₂-Poli­tik, enor­me wirt­schaft­li­che Schwierigkeiten.

Die­se Zusam­men­hän­ge erwähnt der Spie­gel selbst­ver­ständ­lich nicht, und die explo­die­ren­den Lebens­hal­tungs­kos­ten wer­den weder mit west­li­cher Spe­ku­la­ti­on noch mit der Zins­po­li­tik der FED in Ver­bin­dung gebracht. Erwähnt wird jedoch, dass noch ande­re west­li­che Län­der auf Beu­te hof­fen: »Auch das Ver­ei­nig­te König­reich rekru­tiert gezielt Fach­per­so­nal für das Gesund­heits­we­sen, um die Lücken in bri­ti­schen Kran­ken­häu­sern zu stopfen.«

Schon an der vom Spie­gel gelie­fer­ten Geschich­te kann man sehen, dass natür­lich wie­der Illu­sio­nen ver­kauft wer­den. Eine Vier­zig­jäh­ri­ge wür­de gern Stuck­hand­werk ler­nen. Dass gera­de sol­che hand­werk­li­chen Aus­bil­dun­gen eher nicht zu haben sind, dass die drei Jah­re Berufs­aus­bil­dung ein hohes Niveau an deut­schen Sprach­kennt­nis­sen vor­aus­set­zen und die Hand­wer­ke mit Per­so­nal­man­gel eher Bäcker und Metz­ger hei­ßen, wird nicht erwähnt. Restau­ra­tor? Das wür­den nach wie vor gern mehr Deut­sche ler­nen, als es Aus­bil­dungs­plät­ze gibt.

Und über­haupt ist das Hand­werk gera­de alles ande­re als eine gesi­cher­te Arbeits­per­spek­ti­ve. Schließ­lich spart die öffent­li­che Hand seit Jahr­zehn­ten, und die Ver­pflich­tung zu euro­pa­wei­ten Aus­schrei­bun­gen hat gan­ze Sek­to­ren rui­niert. Das wird kei­nes­wegs bes­ser, wenn auch noch die Indus­trie als Abneh­mer weg­fällt. Stuck­hand­werk? Das wird allen­falls für Luxus­sa­nie­run­gen benö­tigt. So wie die Zah­len im Bau augen­blick­lich aus­se­hen, wird in Deutsch­land fast gar nichts mehr gebaut. Die Fan­ta­sien der Bun­des­re­gie­rung bezüg­lich Däm­mung und Heiz­tech­nik dürf­ten das noch ver­schär­fen. Und wo bit­te, sol­len die ange­wor­be­nen Migran­ten woh­nen? Es ist nach wie vor in ganz Deutsch­land so, dass Arbeits­plät­ze und bezahl­ba­re Woh­nun­gen grund­sätz­lich nicht in ein und der­sel­ben Gegend zu fin­den sind.

War­um also jetzt eine Anwer­be­kam­pa­gne, wenn eigent­lich klar ist, dass aller Vor­aus­sicht nach nicht ein­mal fer­tig aus­ge­bil­de­te Kräf­te in tat­säch­li­chen Man­gel­be­ru­fen auf eine siche­re Zukunft set­zen kön­nen? Nur für ein paar IT-Kräf­te, für deren Tätig­keit die Beherr­schung des Eng­li­schen aus­reicht? Auch wenn selbst die ziem­lich bald die Erfah­rung machen dürf­ten, dass die Aus­bil­dung deut­scher Behör­den­ver­tre­ter zwar irgend­wie Eng­lisch beinhal­tet, das aber noch lan­ge nicht heißt, dass alle For­men des Eng­li­schen ver­stan­den werden?

Nein, die­ser Schwenk zielt eher auf den Kol­la­te­ral­scha­den, den die Migra­ti­on im Ent­sen­de­land hin­ter­lässt. Es geht dabei nicht um die deut­sche Wirt­schaft, es geht um die gha­nai­sche, oder, um es genau­er zu sagen, es geht dar­um, den Aus­bruch aus den kolo­nia­len Struk­tu­ren mög­lichst zu erschweren.

Denn wenn die Ent­wick­lung hin zu afri­ka­ni­scher Sou­ve­rä­ni­tät anhält, wird Afri­ka sich ver­wan­deln. Es hat jedes Poten­zi­al, in die­sem Jahr­hun­dert ein gigan­ti­sches Wachs­tum hin­zu­le­gen. Der Rie­sen­kon­ti­nent ist nach wie vor weit­ge­hend uner­schlos­sen und der Bin­nen­han­del ist völ­lig unterentwickelt.

Die chi­ne­si­sche Ent­wick­lungs­po­li­tik ist dabei, das zu ändern. Chi­na baut Stra­ßen- und Eisen­bahn­net­ze, Strom­ver­sor­gung und Fabri­ken. Ohne die Raub­zü­ge der west­li­chen Kolo­ni­al­mäch­te – die Gha­na vor Kur­zem erst einen neu­en IWF-Kre­dit ver­passt haben – wer­den alle Kräf­te für die eige­ne Ent­wick­lung gebraucht. Nicht Euro­pa ist der auf­stei­gen­de Kon­ti­nent, Afri­ka ist es.

Und wäh­rend auf der einen Sei­te alle west­li­chen Natio­nen, auch Deutsch­land, mit allen Mit­teln Druck auf die afri­ka­ni­schen Län­der aus­üben, sich nicht mit Chi­na oder gar Russ­land zu ver­bün­den, wird gleich­zei­tig ver­sucht, mög­lichst schlech­te Vor­aus­set­zun­gen für die­sen Auf­bruch zu schaf­fen. Wenn die ange­wor­be­nen Fach­kräf­te in Deutsch­land als Piz­za­fah­rer enden, was soll’s, Haupt­sa­che, das Kolo­ni­al­sys­tem bleibt erhalten.

Natür­lich rich­tet sich das Haupt­in­ter­es­se, auch wenn der Spie­gel das nicht schreibt, auf medi­zi­ni­sches Per­so­nal. Die Aus­bil­dung von Ärz­ten ist eine der teu­ers­ten. In die­sem Sek­tor betä­tigt sich Deutsch­land schon seit Jahr­zehn­ten als Para­sit und schöpft gern Kräf­te ab, deren Aus­bil­dung eine ande­re Volks­wirt­schaft finan­ziert hat. Gleich­zei­tig ist die Ent­wick­lung des Gesund­heits­sys­tems eine der wich­tigs­ten Auf­ga­ben für alle afri­ka­ni­schen Län­der; eine Auf­ga­be, an der sie schei­tern, wenn die aus­ge­bil­de­ten Kräf­te stän­dig abge­zo­gen werden.

Wie sähe es denn aus, wenn Deutsch­land tat­säch­lich die Ent­wick­lung in Afri­ka för­dern woll­te? Dann gin­ge die Bewe­gung in die ande­re Rich­tung. Gleich, wie die öko­no­mi­sche Lage sonst ist, gibt es ein kost­ba­res Export­pro­dukt: die deut­sche Berufs­aus­bil­dung. Wenn man wirk­lich dazu bei­tra­gen woll­te, dass die afri­ka­ni­schen Län­der ihr Poten­zi­al ent­fal­ten kön­nen, müss­te man Berufs­schu­len expor­tie­ren. Oder gezielt dar­an arbei­ten, Berufs­schul­leh­rer aus­zu­bil­den und für deren künf­ti­ge Schu­len die nöti­ge Aus­stat­tung zu liefern.

Aller­dings wur­de in Deutsch­land in den Sek­to­ren, die in Afri­ka als Ers­tes wach­sen wer­den, über Jahr­zehn­te hin­weg die Aus­bil­dung her­un­ter­ge­fah­ren, sodass das viel­leicht gar nicht mehr mög­lich wäre – in allen Hand­wer­ken rund um den Bau bei­spiels­wei­se. Und selbst bei der Bahn und das gilt nicht nur für Deutsch­land, ganz Euro­pa wür­de es nicht mehr schaf­fen, die Züge zu bau­en, die es benö­ti­gen wird.

Zusätz­lich wird das Behar­ren auf der Posi­ti­on als Kolo­ni­al­macht dafür sor­gen, dass die­se zukünf­ti­gen Züge erst in Chi­na und dann in Afri­ka selbst gebaut wer­den. Hat jemand in Deutsch­land schon ein­mal aus­ge­rech­net, von wel­chen Stre­cken wir hier reden, wenn man nur errei­chen will, dass alle afri­ka­ni­schen Haupt­städ­te zwei­mal täg­lich erreich­bar sind?

Ich sage das, um klar­zu­stel­len, dass es Mög­lich­kei­ten gibt, durch die auch Deutsch­land einen Nut­zen von der afri­ka­ni­schen Befrei­ung haben könn­te. Die Vor­aus­set­zung dafür ist aller­dings, die Sou­ve­rä­ni­tät der afri­ka­ni­schen Län­der zu respek­tie­ren. Aus einem Land, des­sen Sou­ve­rä­ni­tät man respek­tiert, wirbt man kei­ne Arbeits­kräf­te ab, es sei denn, dass die­ses Land dar­um gebe­ten hätte.

So schnell wie die inter­na­tio­na­le Lage sich augen­blick­lich ver­än­dert, ist es vor­stell­bar, dass die Plä­ne, die Heil und Schul­ze ver­fol­gen, ohne­hin schei­tern. Denn wenn die Tren­nung von der west­li­chen Herr­schaft wei­ter fort­schrei­tet, wer­den Ein­rich­tun­gen wie die­ses deut­sche Migra­ti­ons­zen­trum als das gese­hen, was sie sind – als Insti­tu­tio­nen zur Ein­mi­schung in die inne­ren Ange­le­gen­hei­ten des Lan­des. Die Län­der, die ihre Sou­ve­rä­ni­tät absi­chern wol­len, wer­den eine Abwer­bung von Arbeits­kräf­ten unter­sa­gen. Und wenn in der Ver­gan­gen­heit sol­che Ent­wick­lun­gen Jah­re benö­tig­ten, zei­gen die aktu­el­len Durch­läu­fe von Farb­re­vo­lu­tio­nen auch den afri­ka­ni­schen Län­dern deut­lich genug, was sie machen müssen.

Man kann die­ses abseh­ba­re Schei­tern durch­aus mit Freu­de betrach­ten, denn wie viel freund­li­cher müss­te die­ses Deutsch­land zu sei­nen Men­schen sein, wenn es sei­ne Arbeits­kräf­te nicht mehr über­all zusam­men­steh­len könn­te, son­dern die Bedin­gun­gen schaf­fen muss, sie selbst aufzuziehen?

Dag­mar Henn ist Mit­glied des Deut­schen Frei­den­ker-Ver­ban­des, von des­sen Web­site frei​den​ker​.org der Arti­kel über­nom­men wur­de, Erst­ver­öf­fent­li­chung am 14.03.2023 auf RT DE

Bild: Pix­a­bay

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