Eine Dys­to­pie mit­ge­stal­ten? Zum Buch »Zei­ten­wen­de« von Andrea Komlosy

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Andrea Kom­lo­sys Buch Zei­ten­wen­de gehört zu den sehr weni­gen Tex­ten von Sozi­al­wis­sen­schaft­lern, die sich kri­tisch mit der Coro­na-Pan­de­mie und ihren Fol­gen beschäf­tigt haben. Die Wirt­schafts­his­to­ri­ke­rin Andrea Kom­lo­sy, gebo­ren 1957, ist Pro­fes­so­rin für Wirt­schafts- und Sozi­al­ge­schich­te an der Uni­ver­si­tät Wien. Ihr Buch ist im rela­tiv ein­ge­führ­ten Pro­me­dia-Ver­lag erschei­nen. Glück­li­cher­wei­se war sie also von dem Black­out nicht betrof­fen, der über coro­na­kri­ti­sche Wis­sen­schaft­ler wie Kees van der Pijl und inves­ti­ga­ti­ve Jour­na­lis­ten wie Tho­mas Röper ver­hängt wurde.

Kom­lo­sy ver­tritt in ihrem Buch einen struk­tur­ge­schicht­li­chen Ansatz zur Erklä­rung der Coro­na-Pan­de­mie: »Weder geriet alles durch­ein­an­der noch wird ein gro­ßer Plan in die Tat umge­setzt.«1 Viel­mehr ver­sucht sie, die­se Pan­de­mie und ihre Fol­gen in lang­fris­ti­ge Trends und Zyklen einzuordnen:

Coro­na wur­de von vie­ler­lei Sei­ten als ›Zei­ten­wen­de‹ gese­hen: Eine Gele­gen­heit, ein Oppor­tu­ni­täts­fens­ter, eine ein­ma­li­ge Chan­ce, alte Struk­tu­ren auf­zu­bre­chen und Reform­mü­dig­keit zu über­win­den. Poli­ti­ke­rIn­nen, Tech­ni­ke­rIn­nen, Ver­tre­te­rIn­nen auf­stre­ben­der Bran­chen und Zukunfts­for­sche­rIn­nen über­schlu­gen sich gera­de­zu vor Begeis­te­rung über die Nach­fra­ge- und Wachs­tums­po­ten­zia­le, die Coro­na eröff­ne­te. Aber auch wachs­tums­kri­ti­sche Krei­se applau­dier­ten den Lock­downs, weil sie Per­spek­ti­ven für einen öko­so­zia­len Umbau eröff­ne­ten.2

Distanz­ge­bo­te wir­ken ihrer Ansicht nach als Schub­kraft für digi­ta­le Kom­mu­ni­ka­ti­on, Online-Han­del und Home Office, das Her­un­ter­fah­ren der Wirt­schaft durch ver­ord­ne­te Schlie­ßun­gen begüns­tigt ihren Umbau auf neue, auf­stre­ben­de Geschäfts­fel­der (»inter­na­tio­nal«, »digi­tal«, »smart«, »grün«), das Track­ing des Gesund­heits­zu­stan­des und die Nach­ver­fol­gung der per­sön­li­chen Bewe­gungs­mus­ter die­nen als Schub­kraft für digi­ta­le Über­wa­chung, was sowohl im staat­li­chen (Big Brot­her) wie auch im öko­no­mi­schen Inter­es­se sei (Big Data und Big Pro­fit).3

Mas­sen­kon­sum und Mas­sen­pro­duk­ti­on waren typisch für die Indus­trie­ge­sell­schaft. In der neu­en kyber­ne­ti­schen Gesell­schaft sind die Waren auf ein­zel­ne Ziel­per­so­nen zuge­schnit­ten. Die­se ver­hei­ßen die Selbst­op­ti­mie­rung bis hin zur eige­nen Ver­voll­komm­nung als unsterb­li­ches Wesen, so die Autorin.4

Das Coro­na-Moment fun­gie­re als Kata­ly­sa­tor für die­se Ent­wick­lung, die Kom­lo­sy wohl für irrever­si­bel hält. Das Her­un­ter­fah­ren der sozia­len Kon­tak­te und der Wirt­schaft habe einen Boom für neue Berei­che der IT-Indus­trie bewirkt, die sich alle­samt um Digi­ta­li­sie­rung, Robo­tik, Mensch-Maschi­ne-Ver­bin­dun­gen und Künst­li­che Intel­li­genz dre­hen. Aber auch die so genann­ten MAN­BRIC-Tech­no­lo­gien (Medi­cal, addi­ti­ve, nano‑, bio‑, robo‑, info‑, and cog­no-tech­no­lo­gies) wer­den ihrer Mei­nung nach einen gro­ßen Auf­schwung neh­men. Die Corona-»Impfungen« sei­en nur der Anfang.

Der jetzt anste­hen­de Über­gang von der Indus­trie­ge­sell­schaft hin zu einer kyber­ne­ti­schen Gesell­schaft ist nach Kom­lo­sy nur ver­gleich­bar ist mit dem Über­gang der alt­stein­zeit­li­chen Jäger- und Samm­ler­ge­sell­schaf­ten zur Agrar­ge­sell­schaft und von ihr zur Industriegesellschaft.

Hier refe­riert sie zustim­mend Klaus Schwab und Yuval Noah Hara­ri, die bei­de davon aus­ge­hen, dass Kyber­ne­tik, Künst­li­che Intel­li­genz und Bio­tech­no­lo­gie ein neu­es Zeit­al­ter her­bei­füh­ren wer­den. Der Homo sapi­ens sei obso­let gewor­den und ent­wi­ckelt sich wei­ter zum Homo deus, so Hara­ri. Damit dro­hen aller­dings auch Gefahren:

Mit Maschi­nen­in­tel­li­genz aus­ge­stat­tet, könn­te eine Super-Eli­te die Herr­schaft über­neh­men, mit­hil­fe tech­ni­scher Mög­lich­kei­ten Kör­per, Gehirn und Bewusst­seins­zu­stand opti­mie­ren und die Mas­se der Mensch­heit zur Nutz- und Bedeu­tungs­lo­sig­keit ver­ur­tei­len.5

Die Autorin bet­tet die­sen Über­gang ein in die Theo­rie der lan­gen Wel­len. Danach gibt es im Kapi­ta­lis­mus nicht nur kurz­fris­ti­ge Kon­junk­tur­zy­klen, son­dern unge­fähr 25-jäh­ri­ge Peri­oden einer all­ge­mein expan­si­ven Wirt­schafts­ent­wick­lung (A‑Phase), gefolgt von gleich­lan­gen Abschwungs­pe­ri­oden (B‑Phase). Die letz­te expan­si­ve Pha­se dau­er­te von 1989 bis 2008; wir befin­den uns jetzt in einer B‑Phase. Obwohl Kom­lo­sy Ernest Man­del als Theo­re­ti­ker der Lan­gen Wel­len zumin­dest erwähnt, refe­riert sie in der Fol­ge nur die älte­re Theo­rie von Kond­ra­tiew. Für Man­del ist das Auf- und Ab der Pro­fi­tra­te die pri­mä­re Ursa­che für das Umschla­gen einer lan­gen Wel­le mit depres­si­ver in eine sol­che mit expan­si­ver Ten­denz und umge­kehrt. Eine stark anstei­gen­de Pro­fi­tra­te bewirkt dann die Anla­ge von bis­her brach­lie­gen­dem Kapi­tal, die Nut­zung von neu­en natur­wis­sen­schaft­li­chen Ent­de­ckun­gen und damit die Ver­brei­tung von neu­en Technologien.

Aus­lö­ser für eine lan­ge Wel­le mit expan­si­vem Cha­rak­ter waren nach Man­del immer geo­gra­phi­sche, geo­lo­gi­sche und poli­ti­sche Fak­to­ren. Die­se waren spe­zi­fisch und es ist kei­nes­wegs garan­tiert, dass noch ein­mal so vie­le Fak­to­ren zusam­men­kom­men, um eine neue lan­ge Wel­le mit expan­si­ver Ten­denz aus­zu­lö­sen. Der Umschlag in eine lan­ge Wel­le mit sta­gnie­ren­der Ten­denz wird dage­gen gesetz­mä­ßig durch die im Gesetz des ten­den­zi­el­len Falls der Pro­fi­tra­te beschrie­be­ne Stei­ge­rung der orga­ni­schen Zusam­men­set­zung des Kapi­tals hervorgerufen.

Für Kond­ra­tiew dage­gen bewir­ken neue neu­en Tech­no­lo­gien einen Anstieg der Pro­fi­tra­te und damit eine lang­an­hal­ten­de Auf­schwungs­pe­ri­ode. Da Kom­lo­sy nur sei­ne Ansich­ten dar­stellt, scheint sie sich die­se zu eigen gemacht zu haben.

Sie erkennt, dass die mensch­li­che Arbeits­kraft immer stär­ker durch Maschi­nen ersetzt wird und dadurch die vom Kapi­tal ange­eig­ne­te Mehr­ar­beit zurück­geht (ten­den­zi­el­ler Fall der Pro­fi­tra­te). Inso­fern argu­men­tiert sie mar­xis­tisch. Aller­dings scheint sie zu glau­ben, dass die­ser Rück­gang durch die Aneig­nung von mensch­li­cher Erfah­rung in Form von Daten durch den Platt­form­ka­pi­ta­lis­mus aus­ge­gli­chen wer­den kann: »Wir kön­nen also von einer Ver­schie­bung im Aneig­nungs­mo­dus spre­chen, die die Aneig­nung der Erfah­rung gegen­über der Aus­beu­tung der Arbeits­kraft in den Vor­der­grund tre­ten lässt.«6

Kom­lo­sy defi­niert Daten unter Ver­weis auf Shosha­na Zuboff als den neu­en Roh­stoff des Über­wa­chungs­ka­pi­ta­lis­mus. Die­se wür­den die bis­he­ri­gen drei Berei­che ergän­zen, die im Kapi­ta­lis­mus der Markt­dy­na­mik unter­wor­fen wur­den: Natur ver­wan­delt sich in Grund­be­sitz, Leben in Arbeits­kraft und Aus­tausch in Geld. Letzt­lich geht die­se The­se über meh­re­re Sta­tio­nen auf den sieb­ten und letz­ten Abschnitt des drit­ten Ban­des des Kapi­tals von Karl Marx zurück, der über­schrie­ben ist mit »Die Reve­nu­en und ihre Quellen«.

Für Marx han­delt es sich dabei aller­dings um Mys­ti­fi­ka­tio­nen des bür­ger­li­chen Bewusst­seins, wenn er schreibt:

Im Kapi­tal – Pro­fit, oder noch bes­ser Kapi­tal – Zins, Boden – Grund­ren­te, Arbeit – Arbeits­lohn, in die­ser öko­no­mi­schen Tri­ni­tät als dem Zusam­men­hang der Bestand­tei­le des Werts und des Reich­tums über­haupt mit sei­nen Quel­len ist die Mys­ti­fi­ka­ti­on der kapi­ta­lis­ti­schen Pro­duk­ti­ons­wei­se, die Ver­ding­li­chung der gesell­schaft­li­chen Ver­hält­nis­se, das unmit­tel­ba­re Zusam­men­wach­sen der stoff­li­chen Pro­duk­ti­ons­ver­hält­nis­se mit ihrer geschicht­lich-sozia­len Bestimmt­heit voll­endet: die ver­zau­ber­te, ver­kehr­te und auf den Kopf gestell­te Welt, wo Mon­sieur le Capi­tal und Madame la Terre als sozia­le Cha­rak­te­re und zugleich unmit­tel­bar als blo­ße Din­ge ihren Spuk trei­ben.7

Bereits die klas­si­sche poli­ti­sche Öko­no­mie hat nach Marx die­se Mys­ti­fi­ka­tio­nen auf­ge­löst, indem sie zeig­te, dass Zins ein Teil des Pro­fits und die Grund­ren­te auf den Über­schuss über dem Durch­schnitts­pro­fit zurück­ge­führt wer­den kann, sie also im Mehr­wert zusam­men­fal­len, der ja nur durch mensch­li­che Arbeits­kraft geschaf­fen wer­den kann.8

Marx ging bekannt­lich davon aus, dass nur die Ware Arbeits­kraft Wert und Mehr­wert pro­du­zie­ren kann. Aus mar­xis­ti­scher Sicht besit­zen auch Daten von sich aus kei­nen Wert. Sie wer­den an Wer­be­trei­ben­de ver­kauft und haben für die­se letzt­lich nur dann Wert, wenn ihre Nut­zung zum Bei­spiel in der per­so­na­li­sier­ten Wer­bung sich durch ent­spre­chen­de Käu­fe bezahlt macht. Je stär­ker die Men­schen aber ver­ar­men – aus wel­chem Grund auch immer – des­to gerin­ger ist auch der Wert die­ser Daten. Bes­ten­falls bewir­ken sie im Rah­men eines Null­sum­men­spiels eine Umver­tei­lung von Mehr­wert etwa von loka­len Geschäf­ten mit sozi­al eini­ger­ma­ßen abge­si­cher­ten Arbeits­kräf­ten hin zu Netz­werk­fir­men mit Arbei­tern ohne jede sozia­le Absicherung.

Auch die Nut­zung von Daten kann aus mar­xis­ti­scher Sicht von sich aus nicht zu einem neu­en kapi­ta­lis­ti­schen Auf­schwung füh­ren. Damit hängt Kom­lo­sys zen­tra­les Argu­ment, war­um ein sol­cher Auf­schwung wahr­schein­lich und sogar unver­meid­lich ist, in der Luft.

Ein wei­te­res Pro­blem ihrer The­se besteht dar­in, dass sie den tech­no­lo­gi­schen Deter­mi­nis­mus der Kond­ra­tiew­schen Ver­si­on der Lan­gen-Wel­len-Theo­rie übernimmt.

Zusam­men­ge­nom­men bewir­ken die­se bei­den pro­ble­ma­ti­schen theo­re­ti­schen Fest­le­gun­gen einen nach Ansicht des Rezen­sen­ten nicht gerecht­fer­tig­ten Opti­mis­mus dahin­ge­hend, dass die Ver­hei­ßun­gen der Olig­ar­chen um Schwab und das World Eco­no­mic Forum zur Wirk­lich­keit wer­den. Denn ob die­se schö­ne, neue Welt uto­pi­sche oder dys­to­pi­sche Züge annimmt, ist Kom­lo­sys Mei­nung nach noch nicht ent­schie­den. Sie plä­diert wohl dafür, die­se Ent­wick­lung kri­tisch zu beglei­ten und sie mit­zu­ge­stal­ten, was vor­aus­setzt, dass man sich auf sie ein­lässt. Denn, so Komlosy:

Es ist auch nicht rat­sam, die Ver­spre­chun­gen auf ein leich­te­res, län­ge­res Leben und ein nach­hal­ti­ges, res­sour­cen­scho­nen­des Wirt­schaf­ten, die der jun­gen Gene­ra­ti­on ein­ge­impft wer­den, ein­fach weg­zu­wi­schen.9

Oder an die­ser Stel­le noch deut­li­cher: »Die Ablö­se des indus­tri­el­len durch das kyber­ne­ti­sche Prin­zip scheint unaus­weich­lich. Wir befin­den uns mit­ten im Umbruch.«10

Mas­sen­pro­duk­ti­on, Mas­sen­kon­sum, poli­ti­sche Demo­kra­tie und gesell­schaft­li­cher Wohl­stand neig­ten sich ihrem Ende zu. Letzt­end­lich sei die­ses Ende auch unver­meid­lich, da die­ser Wohl­stand durch Aus­beu­tung der Natur, der Haus­frau­en und der Men­schen der Ent­wick­lungs­län­der erkauft wor­den sei.

Die­se Ent­wick­lung habe aber auch etwas Gutes, führt Kom­lo­sy aus:

Bei aller Unsi­cher­heit und Zukunfts­angst kann dies als Moment unge­ahn­ter Gestal­tungs­mög­lich­keit begrif­fen wer­den. Unter­schied­li­che Akteu­re brin­gen sich in Stel­lung, um ihren kon­kur­rie­ren­den Visio­nen und Inter­es­sen zum Durch­bruch zu ver­hel­fen. Die trei­ben­den Kräf­te sind die Advo­ka­ten eines erneu­er­ten digi­ta­len post­in­dus­tri­el­len Kapi­ta­lis­mus. […] Die Ver­tre­ter des Erneue­rungs­ka­pi­ta­lis­mus ver­spre­chen eine ‚schö­ne neue Welt‘. Dabei wol­len sie nicht nur mit dem Indus­tria­lis­mus Schluss machen, son­dern auch mit der bür­ger­li­chen Demo­kra­tie, der poli­ti­schen Mit­be­stim­mung, der staat­li­chen Umver­tei­lung und der inter­na­tio­na­len Ord­nung der Staa­ten.11

Sie setz­ten dage­gen auf Opti­mie­rung sämt­li­cher Pro­zes­se durch Big Data und Künst­li­che Intelligenz:

Wer die Welt des digi­ta­len Kapi­ta­lis­mus nicht ver­in­ner­licht hat, mag sich abge­sto­ßen füh­len. Wer das ana­lo­ge Leben mit sei­nen unkon­trol­lier­ba­ren Frei­räu­men, Selbst­ver­ant­wor­tung, Ver­trau­en und Ver­bind­lich­keit zu schät­zen weiß, traut den Ver­spre­chun­gen von Indi­vi­dua­li­sie­rung, Fle­xi­bi­li­sie­rung, Opti­mie­rung und Frei­heits­ge­winn durch digi­ta­le All­ge­gen­wart der Daten­spu­ren nicht. Men­schen, die als Digi­tal Nati­ves und Digi­tal Nomads über­all und gleich­zei­tig nir­gends auf der Welt zu Hau­se sind, neh­men die Digi­ta­li­sie­rung für gege­ben hin wie die Gene­ra­tio­nen vor ihnen bei­spiels­wei­se den Takt der Maschi­ne, den wir uns über die Uhr ver­ge­gen­wär­ti­gen kön­nen. Wir haben ver­ges­sen, dass die­ser Takt der Maschi­ne uns in Zeit- und Bewe­gungs­ko­or­di­na­ti­on, in die Unter­schei­dung zwi­schen Arbeits­zeit und Frei­zeit, in Pünkt­lich­keit und Ord­nung des Tages­ab­laufs ein­ge­wie­sen hat.12

Kom­lo­sy ver­gisst aller­dings, dass die­se Durch­set­zung des Tak­tes der Maschi­ne äußerst gewalt­sam ver­lief, meh­re­re Gene­ra­tio­nen dau­er­te und mit der Arbei­ter­be­we­gung eine Gegen­be­we­gung her­vor­brach­te, die zu bestimm­ten Zei­ten nahe dran war, den Kapi­ta­lis­mus als Pro­duk­ti­ons­wei­se zu überwinden.

Sie hat in ihrem Buch selbst beschrie­ben, dass sich die Arbeits­ver­hält­nis­se gera­de der digi­ta­len Noma­den über Home­of­fice, Werk­ver­trä­ge und Crowd Working immer wei­ter ver­schlech­tern bis schließ­lich nicht mehr genü­gend Lohn zum Über­le­ben bleibt. Was kann der gegen­wär­ti­ge Kapi­ta­lis­mus den Men­schen über­haupt noch anbie­ten außer geist­tö­ten­der Pro­pa­gan­da, Dro­hun­gen und tota­ler Verelendung?

Die Kapi­ta­lis­ten füh­len sich gegen­wär­tig so sicher, dass sie an Kon­zes­sio­nen nicht im Gerings­ten den­ken. Sie zie­hen trotz Krieg Sozi­al­ab­bau (zum Bei­spiel Ren­ten­re­form in Frank­reich, Abschaf­fung der Grund­si­che­rung in Ita­li­en), die Zer­stö­rung der Land­wirt­schaft in den Nie­der­lan­den, die Abschaf­fung der indi­vi­du­el­len Mobi­li­tät und die Zwangs­stil­le­gung gro­ßer Tei­le des in Gene­ra­tio­nen auf­ge­bau­ten Wohn­raums für die Mas­sen in der gesam­ten EU eis­kalt durch. Unter die­sen Umstän­den hän­gen nach Ansicht des Rezen­sen­ten auch Vor­stel­lun­gen von einer Mit­ge­stal­tung der »schö­nen neu­en Welt« der Olig­ar­chen in der Luft. Die Rea­li­tät der letz­ten Jah­re zeigt eher, dass sich hin­ter dem Schwab­schen Wort­ge­klin­gel tat­säch­lich dys­to­pi­sche Absich­ten verbergen.

Die­se Kri­tik bedeu­tet nun nicht, dass das Buch Zei­ten­wen­de nicht auch mit Gewinn gele­sen wer­den kann. Kom­lo­sy beschreibt näm­lich sehr aus­führ­lich und anhand von zahl­rei­chen Quel­len die öko­no­mi­schen Ver­än­de­run­gen, die durch das Coro­na-Moment aus­ge­löst wur­den. Eine sol­che Unter­su­chung hat es bis­her noch nicht gege­ben. Sie kann auch dann zum Ver­ständ­nis des Gre­at Reset bei­tra­gen, wenn man die opti­mis­ti­schen Zukunfts­vor­stel­lun­gen der Autorin nicht zu tei­len vermag.

Andrea Kom­lo­sy: Zei­ten­wen­de. Coro­na, Big Data und die kyber­ne­ti­sche Zukunft. Pro­me­dia-Ver­lag, Wien 2022. 288 Sei­ten, ISBN: 978 – 3‑85371 – 505‑5 (Print), ISBN: 978 – 3‑85371 – 901‑5 (E‑Book), https://​media​shop​.at/​b​u​e​c​h​e​r​/​z​e​i​t​e​n​w​e​n​de/

Ver­wei­se

1 Andrea Kom­lo­sy: Zei­ten­wen­de, Wien 2022, E‑Book, Einleitung

2 Kom­lo­sy, a.a.O., Einleitung

3 Vgl. Kom­lo­sy, a.a.O., Einleitung

4 Vgl. Kom­lo­sy, a.a.O., Einleitung

5 Kom­lo­sy, a.a.O., Kapi­tel 1.3: Evo­lu­ti­ons­zy­klen, Unter­ka­pi­tel: Cyberoptimismus

6 Kom­lo­sy, a.a.O., Kapi­tel 2.2.: Der neue Mensch, Unter­ka­pi­tel: Ver­da­tung, Unter­ka­pi­tel: Von der Aus­beu­tung der Arbeits­kraft zur Aneig­nung der Erfahrung

7 Karl Marx: Das Kapi­tal, Band 3, MEW 25, Ber­lin 1988, S. 838

8 Vgl. Karl Marx: Das Kapi­tal, Band 3, MEW 25, Ber­lin 1988, S. 838

9 Kom­lo­sy, a.a.O., Kapi­tel 2.1: Kyber­ne­ti­scher Kapitalismus

10 Kom­lo­sy, a.a.O., Schluss

11 Kom­lo­sy, a.a.O., Schluss

12 Kom­lo­sy, a.a.O., Schluss

Bild: Buch­co­ver Kom­lo­sy Zei­ten­wen­de, Pro­me­dia Verlag

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