Zum 105. Jah­res­tag der Oktoberrevolution

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Lie­be Genos­sin­nen und Genossen,

ich möch­te euch zum 105. Jah­res­tag des gro­ßen roten Okto­bers herz­lich gratulieren.

Es ist eine beson­de­re Zeit, in der wir leben, und Ent­wick­lun­gen, die an jenem Tag ihren Aus­gang nah­men, ste­hen kurz vor der Vollendung.

Oder, um aus der Rede des Vor­sit­zen­den der Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Chi­nas, Xi Jin­ping, vor weni­gen Tagen zu zitie­ren, wir erle­ben »glo­ba­le Ver­än­de­run­gen von einer Grö­ßen­ord­nung, wie sie seit hun­dert Jah­ren nicht gese­hen wurden.«

Wir wis­sen, dass die his­to­ri­sche Ent­wick­lung nicht gleich­mä­ßig ver­läuft; es gibt an einer Front Rück­schlä­ge, wäh­rend es an einer ande­ren gewal­ti­ge Fort­schrit­te gibt. Es ist das Gesamt­bild, das entscheidet.

Ich beto­ne das unter ande­rem des­halb, weil Deutsch­land, wie auch ganz West­eu­ro­pa, der gesam­te Wes­ten, die Front ist, an der die Rück­schlä­ge schmerz­lich sind, objek­tiv wie subjektiv.

Sie sind es objek­tiv, weil die gewal­ti­ge Über­ak­ku­mu­la­ti­on, die dazu geführt hat, dass die Kern­län­der des Impe­ria­lis­mus vor allem vom Ren­ten­ka­pi­tal gesteu­ert wer­den, zu mas­si­ven Angrif­fen auf die Lebens­la­ge der Werk­tä­ti­gen geführt hat.

Dazu gehö­ren auch die Fol­gen der anti­rus­si­schen Sanktionen.

Die enor­men Erhö­hun­gen der Strom- und Gas­prei­se, die für vie­le jetzt die ohne­hin hohen Mie­ten ver­dop­peln und Mil­lio­nen in Euro­pa im kom­men­den Win­ter vor die Fra­ge stel­len wer­den, ob sie lie­ber hun­gern oder frie­ren – und das ist ganz wört­lich gemeint – beru­hen, so die Erkennt­nis­se der UNC­TAD, zur Hälf­te auf Spekulation.

Das heißt, sie lan­den letzt­lich in den Kas­sen der Kern­struk­tu­ren die­ses Ren­ten­ka­pi­tals, wie Blackrock.

Etwas Ähn­li­ches geschah bereits im Gefol­ge der Coro­na-Maß­nah­men über den Impf­stoff von Pfizer/​BioNTech, für den Mil­li­ar­den aus den öffent­li­chen Kas­sen an die­sen Kon­zern flos­sen, wäh­rend ganz neben­bei die Men­schen in per­ma­nen­te Panik ver­setzt und mas­siv unter Druck gesetzt wur­den, was sie dann in die­sem Jahr für die Kriegs­pro­pa­gan­da beson­ders emp­fäng­lich machte.

Sub­jek­tiv sind die Rück­schlä­ge viel­leicht noch schlimmer.

Die Orga­ni­sa­tio­nen der Arbei­ter­be­we­gung sind fast völ­lig zer­schla­gen. Über­wie­gend nicht durch lega­le oder gar gewalt­sa­me, son­dern durch ideo­lo­gi­sche Angrif­fe und geziel­te Zersetzung.

Das Ergeb­nis ist ein wei­test­ge­hen­des Feh­len jeder Füh­rung; der Wider­stand gegen die Kriegs­po­li­tik wie gegen die Angrif­fe auf die Lebens­la­ge ent­wi­ckelt sich zwar, aber nur spontan.

Gleich­zei­tig ver­schwin­det die bür­ger­li­che Demo­kra­tie, wie wir sie ken­nen. Nicht nur die Kon­zern­me­di­en eben­so wie die öffent­li­chen sind völ­lig kon­trol­liert; jede Äuße­rung, die davon abweicht, wird atta­ckiert. Inzwi­schen die­nen Mei­nungs­äu­ße­run­gen in sozia­len Medi­en als Grund­la­ge für Pro­zes­se, selbst die Ver­wen­dung des Buch­sta­bens Z ist bei­spiels­wei­se in Tei­len Deutsch­lands ver­bo­ten. Ein ein­zi­ger »fal­scher« Satz kann zum Ver­lust des Arbeits­plat­zes, zu poli­zei­li­chen Anzei­gen, Ermitt­lun­gen durch die Staats­an­walt­schaft und den Ver­fas­sungs­schutz führen.

Das ein­zi­ge Kri­te­ri­um der Defi­ni­ti­on des Faschis­mus, wie sie der sieb­te Welt­kon­gress der Kom­in­tern getrof­fen hat, als »offe­ne, ter­ro­ris­ti­sche Dik­ta­tur der reak­tio­närs­ten, chau­vi­nis­tischs­ten, am meis­ten impe­ria­lis­ti­schen Ele­men­te des Finanz­ka­pi­tals«, das nicht bereits rea­li­siert ist der Ter­ror im Inne­ren, aber obwohl die Zer­schla­gung der Orga­ni­sa­tio­nen bereits statt­ge­fun­den hat, schwebt er über uns wie ein Damo­kles­schwert, das jeder­zeit her­ab­fal­len kann.

Nur, um zu illus­trie­ren, was das bedeu­tet – ich habe in den letz­ten Jah­ren mit dem Ver­ein »Frie­dens­brü­cke-Kriegs­op­fer­hil­fe e.V.« vor allem huma­ni­tä­re Hil­fe orga­ni­siert, sehr viel in den Don­bass, und ver­sucht, in Deutsch­land dar­über auf­zu­klä­ren, was dort geschah.

In den letz­ten Wochen vor mei­ner Rei­se in den Don­bass, Hil­fe vor Ort, stand täg­lich ein Auto mit ukrai­ni­schem Kenn­zei­chen vor mei­nem Haus, aus dem her­aus ich beob­ach­tet und indi­rekt bedroht wur­de, und ein Dut­zend Anzei­gen bei der deut­schen Poli­zei änder­te nichts daran.

Obwohl es kei­nen blu­ti­gen Ter­ror gibt, ist das Niveau der Gleich­schal­tung und der Ein­schüch­te­rung so hoch, wie es his­to­risch in Deutsch­land erst Jah­re nach 1933 war.

Das macht es schwie­rig, die Fra­ge, ob es bereits Faschis­mus ist oder gera­de noch nicht, zu beantworten.

Wenn man aber davon aus­geht, dass der offe­ne Ter­ror vor allem auf die Zer­schla­gung der Orga­ni­sa­tio­nen ziel­te, die bereits auf ande­rem Wege erfolgt ist, dann kommt man zu dem Schluss, dass der Faschis­mus mitt­ler­wei­le nicht nur in der Ukrai­ne herrscht, son­dern auch zumin­dest in gro­ßen Tei­len Westeuropas.

Die Ideo­lo­gie, die genutzt wird, ist wie das his­to­ri­sche Vor­bild zutiefst anti­hu­ma­nis­tisch, gleich, ob es der Teil ist, der als »woke« bekannt ist, oder jener, der als »Kli­ma­schutz« erklärt, die Men­schen, also die arbei­ten­den Klas­sen, müss­ten zur Ret­tung der Welt Opfer brin­gen; und es wird ein ent­kern­ter Begriff von »Demo­kra­tie« im Mund geführt, der fak­tisch die völ­li­ge Macht des Ren­ten­ka­pi­tals bedeu­tet, die über tief kor­rup­te Struk­tu­ren wie die EU-Kom­mis­si­on eben­so aus­ge­übt wird wie über NGOs, die Simu­la­tio­nen von poli­ti­scher Bewe­gung darstellen.

In Deutsch­land, in dem der Mar­xis­mus gebo­ren wur­de, ist es beson­ders schmerz­haft, zu sehen, wie die gesam­te öffent­li­che Wahr­neh­mung von Poli­tik von jeder Spur einer mate­ria­lis­ti­schen Sicht gesäu­bert wurde.

Nicht nur, dass nicht mehr von Klas­sen­in­ter­es­sen gespro­chen wer­den kann; das gesam­te kolo­nia­le Sys­tem, die Wahr­neh­mung des Impe­ria­lis­mus, selbst das ganz gewöhn­li­che Benen­nen von Inter­es­sen, das die Grund­la­ge selbst der nor­ma­len Diplo­ma­tie gewöhn­li­cher bür­ger­li­cher Demo­kra­tien war, ist ersetzt durch eine Wol­ke idea­lis­ti­scher Fiktionen.

Das war die Vor­aus­set­zung dafür, dass die mate­ri­el­len Grund­la­gen nicht nur des all­täg­li­chen Lebens der werk­tä­ti­gen Mas­sen, son­dern auch der Indus­trie auf die Art preis­ge­ge­ben wer­den konn­ten, wie es in den letz­ten Mona­ten gesche­hen ist; all dies, um die glo­ba­le Domi­nanz die­ses Ren­ten­ka­pi­tals (das, die­sen Punkt muss man dabei klar im Blick behal­ten, nicht nur US-ame­ri­ka­nisch, son­dern auch deutsch, fran­zö­sisch oder bri­tisch ist) mit allen Mit­teln und um jeden Preis zu erhalten.

Kurt Goss­wei­ler, des­sen Lebens­werk vor allem der öko­no­mi­schen Ana­ly­se des deut­schen Faschis­mus gewid­met war, benann­te die che­mi­sche Indus­trie, damals die IG Far­ben, als den aggres­sivs­ten Teil des deut­schen Kapi­tals. Die che­mi­sche Indus­trie war schon immer zu gro­ßen Tei­len Ren­ten­ka­pi­tal, denn ihre Gewin­ne beru­hen pri­mär nicht auf dem Mehr­wert, der in ihren Pro­duk­ten steckt, son­dern auf Paten­ten, geis­ti­gem Eigen­tum, das eine Spiel­art der Ren­te darstellt.

Was wir heu­te erle­ben, ist die poli­ti­sche Domi­nanz eben die­ses Kapi­tals in allen Kern­län­dern des Wes­tens. Die beson­de­re Aggres­si­vi­tät beruht dar­auf, dass die Durch­set­zung von Ren­ten­an­sprü­chen im Gegen­satz zur Rea­li­sie­rung des Mehr­werts völ­lig von der poli­ti­schen Macht abhängt. Dar­um ist das euro­päi­sche Ren­ten­ka­pi­tal bereit, jedes natio­na­le Inter­es­se zu opfern, um die US-Vor­herr­schaft zu erhal­ten, und ver­wan­delt sich in den exis­ten­ti­el­len Feind der Natio­nen, die es her­vor­ge­bracht haben.

Der Grund dafür liegt dar­in, dass die mili­tä­ri­sche Macht der Ver­ei­nig­ten Staa­ten, die es jahr­zehn­te­lang ermög­lich­te, vom gesam­ten Sys­tem zu pro­fi­tie­ren, ohne des­sen Kos­ten tra­ge zu müs­sen, im Rin­gen um die Erhal­tung die­ses Sys­tems die ein­zig nen­nens­wer­te Kraft darstellt.

Die arbei­ten­den Klas­sen der Ver­ei­nig­ten Staa­ten haben die­ses ver­meint­li­che Pri­vi­leg mit einer frü­he­ren und tie­fe­ren Ver­elen­dung bezahlt, die nun auch in West­eu­ro­pa auf der Tages­ord­nung steht.

Der Angriff auf die Lebens­la­ge erfolgt noch weit schär­fer in den Län­dern des glo­ba­len Südens, in denen der – eben­falls laut UNC­TAD vor allem durch Spe­ku­la­ti­on aus­ge­lös­te – Anstieg der Lebens­mit­tel­prei­se im Kern einen Ver­such dar­stellt, über eine Wel­le von Hun­gers­nö­ten und Staats­bank­rot­ten die kolo­nia­le Macht wie­der zu fes­ti­gen, nach dem Mus­ter, wie dies bereits wäh­rend der Latein­ame­ri­ka­kri­se der 1980er geschah. Aber so gra­vie­rend, so schreck­lich die­ser Angriff ist, steht den­noch bereits fest, dass er schei­tern wird.

Wir sehen alle, wie gera­de der Druck sei­tens des impe­ria­lis­ti­schen Kerns, sich voll­stän­dig für ihn zu ent­schei­den und die Ver­bin­dun­gen zu Chi­na und Russ­land zu kap­pen, den Pro­zess der Ablö­sung beschleu­nigt und nicht ver­lang­samt. Die­se Ent­wick­lung ist gera­de­zu atem­be­rau­bend, denn sie erfasst längst Län­der, die über Jahr­zehn­te hin­weg als ver­läss­li­che Befehls­emp­fän­ger gal­ten, wie zum Bei­spiel Sau­di Arabien.

All die­se klei­nen und gro­ßen Schrit­te der Befrei­ung sind ein Erbe des Gro­ßen Roten Oktobers.

Die Sou­ve­rä­ni­tät, die jetzt in so vie­len Tei­len der Welt errun­gen wird, wäh­rend sie im Wes­ten Euro­pas aus­ge­löscht wur­de, ist der ers­te, unver­zicht­ba­re Schritt.

So gefahr­voll und schwie­rig die Lage in Euro­pa gera­de ist, es gibt jeden Grund, die­sen Jah­res­tag freu­dig und vol­ler Stolz zu begehen.

Denn, um den Kreis zu schlie­ßen und noch ein­mal auf die Rede des chi­ne­si­schen Prä­si­den­ten zurück­zu­grei­fen, die Bewe­gung geht hin zu »einer leuch­ten­den Zukunft für die Menschheit«.

Die­se Zukunft wur­de vor 105 Jah­ren geboren.

Bild: M. Boz­hiy »Aljo­nusch­ka« 1948 (https://t.me/SocialRealm)

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