Die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx als Sprechpuppe der Pharmaindustrie

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Wie man das Dickicht der verschiedenen datenschutzrechtlichen Regelungen ausdünnen beziehungsweise harmonisieren kann und insbesondere, wie man die teils sehr ängstliche und sehr restriktive Auslegungspraxis in diesem Bereich der Datennutzung verbessern kann. Denn sonst müssen wir uns von vielen Chancen und Fortschritten für die Behandlung von Patienten und die medizinische Wissenschaft verabschieden. Ich hoffe da auf die Juristinnen und Juristen – ethisch ist der Fall nämlich inzwischen ziemlich klar.

Das hält Alena Buyx, Vorsitzende des Ethikrats, für die zentrale Problematik der Zusammenarbeit von Juristerei und Medizinethik – so verkündet in den aktuellen Mitteilungen der Münchner Rechtsanwaltskammer.

Einspruch, Euer Ehren. Ganz so klar ist die Sache nicht. Nur zur Erinnerung: Da war doch das Menschenrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Nun ist das distanzierte Verhältnis des Ethikrats und insbesondere seiner Vorsitzenden zu den Menschenrechten durchaus bekannt (Stichwort »Ungeimpfte stellen sich außerhalb der Solidargemeinschaft«). Worum also geht es hier?

Datenschutz störe beim medizinischen Fortschritt, meint Frau Buyx. Liest man die Nachrichten zu dem Thema, bekommt man meist folgende Argumente serviert: Die Pharmaindustrie benötigt Massen an Patientendaten, um Krankheiten wie Alzheimer frühzeitig erkennen und bekämpfen zu können. Idealerweise könne eine KI lange vor Auftreten der ersten Symptome vor einem unentdeckten Tumor warnen. Hätte man erst einmal die Genome einer großen Anzahl von Patienten entschlüsselt, könne personalisierte Medizin eine auf den Einzelnen zugeschnittene Therapie ermöglichen. Nebenwirkungsarm und wirksam. Aus diesem Grund will auch Karl Lauterbach nach israelischem Vorbild die elektronische Patientenakte leichter für die Forschung zugänglich machen. Wunderbarerweise decken sich die Ansichten von Frau Buyx also wieder einmal mit den Wünschen der Bundesregierung und der Pharmaindustrie.

Aber sind das nicht wichtige und notwendige Entwicklungen? Kann man das bisschen Datenschutz nicht for the greater good vergessen?

Die erste Frage ist: Kann die Medizin denn das, was hier versprochen wird, tatsächlich leisten? Nun, in der Krebstherapie gibt es tatsächlich durchaus Ansätze in diese Richtung. Garantiert ist aber nichts. Und profitieren alle Datenspender davon? Eindeutig nein. Die einen, weil sie gar keinen Krebs entwickeln, oder so spät, dass sie selbst von den Forschungsergebnissen nichts mehr haben. Die anderen, weil sie möglicherweise gesetzlich versichert sind und zwar Daten spenden dürfen, aber von den Ergebnissen nicht profitieren (weil zum Beispiel ihre Kasse dafür nicht bezahlt). Oder weil das Geld, das in diese Forschung gesteckt wird, an anderer Stelle eingespart wird, möglicherweise genau da, wo es für die Behandlung anderer Krankheiten bitter nötig wäre.

Weitere Fragen sind zu stellen: Könnte man medizinischen Fortschritt nicht auch mit weniger Daten generieren? Wir sprechen ja davon, dass die elektronische Patientenakte demnächst nur noch als Opt-​Out zur Verfügung steht (das heißt, Versicherte müssen dem Datensammeln ausdrücklich widersprechen), später womöglich gänzlich unfreiwillig sein soll. Wo werden diese sensiblen Daten eigentlich gespeichert, und wer hat darauf Zugriff? Sind sie dort sicher? Und was, wenn jemand aufgrund eines Algorithmus gar keine oder nur schlechte Konditionen bei der Krankenversicherung bekommt? Ist das seiner Gesundheit so zuträglich?

Derart große Datenmengen werden derzeit in Clouds gespeichert. Allerdings hat der Chaos Computer Club bereits bewiesen, wie leicht es ist, eine elektronische Patientenakte zu hacken und der entsprechenden Person zuzuordnen. In zahllosen Fällen kam es bereits zu Erpressungen bei psychiatrischen Diagnosen oder Veröffentlichung der Akten von AIDS-Kranken. Sicher sind die Daten also nicht.

Aber muss man das nicht in Kauf nehmen für verbesserte und modernere Behandlungen? Kritiker merken hier zu Recht an: es ist ja nicht einmal das Geld für bereits erprobte, wirksame Behandlungen da. Die Versicherten bekämen also noch schlechtere Leistungen dafür, dass vielleicht (und keineswegs garantiert!) in Zukunft andere von ihren Daten profitieren. Durch die Reduktion auf Daten werde die Medizin enthumanisiert. (Franz Bartmann contra Andreas Meißner, »Digitalisierte Gesundheit«, besprochen hier). Selbst der Gematik-​Chef gibt offen zu, dass die gesetzlich Versicherten für teure Technik bezahlten, die für die ärztliche Versorgung indes weitgehend bedeutungslos sei. Menschen hätten also selbst möglicherweise gesundheitliche Nachteile, dafür, dass vielleicht (oder auch nicht) andere profitieren. Das ist in höchstem Maße unethisch, Frau Buyx!

Der Nutzen der elektronischen Akte hält sich also in Grenzen und könnte die Versorgung im Einzelfall sogar verschlechtern. Im Interesse der Patienten ist sie damit nicht. In wessen dann?

Die Geschäftsinteressen der Pharmaindustrie und der großen IT-​Unternehmen profitieren in hohem Maße. Der gläserne Patient ist eine Goldgrube: Datenmengen können z. B. Zulassungsprozesse verkürzen, was den Unternehmen viel Geld spart. Patienten haben nichts davon. Für sie bedeutet das nur: Totalüberwachung von der Wiege bis zur Bahre. Jede Depression, jeder Genitalpilz, jeder Brechdurchfall wird damit einsehbar für gewinnorientierte Forschung wie etwa bei amazon, das am liebsten Alexa zur Hausärztin machen würde: die KI stellt auf der Basis von Symptomdaten eine Diagnose und verkauft den Patienten dann auch gleich das passende Mittel (vorzugsweise natürlich aus dem Sortiment von amazon). Eine polemische Zuspitzung? Das klingt hier keineswegs so: Das Wirtschaftsmagazin Brandeins beschreibt ausführlich, wie die Pharmaindustrie im Rennen um die Patientendaten hinter den IT-​Unternehmen zurückgeblieben ist und wie sie diesen Wettbewerbsnachteil auszugleichen gedenkt.

Schließlich vereinfacht die Auslieferung sensibelster Daten an Big Pharma auch die Analyse zu Wirksamkeit und Nebenwirkungen bei neuen Medikamenten. So geschehen in Israel, das genau wegen dieser Zustände als Testlabor der Pharmaindustrie gilt, wie selbst wohlmeinende Staatsmedien formulieren.

Die digitale Patientenakte dient also vor allem den Geschäftsinteressen von Big Pharma und Big IT. Und da stellt sich natürlich die Frage nach Interessenkonflikten (etwas unfreundlicher könnte man auch von Korruption sprechen). So machte der ohnehin der Pharmaindustrie eng verbundene Jens Spahn denjenigen, der ihm eine Wohnung verkauft hat, zum Chef der Betreibergesellschaft Gematik – des staatlichen Unternehmens, das für die Digitalisierung des Gesundheitswesens zuständig ist.

Theoretisch könnte die Industrie profitieren, aber gleichzeitig dennoch ein Nutzen für Patienten da sein. Doch zu Recht bemerkt Norbert Haering, dass die gesamte Argumentation der Befürworter naiv-​technokratisch ist. Erstens besteht Medizin nicht nur aus Daten. Eine Depression kann mit Tabletten, aber auch mit einer Analyse der Lebensumstände behandelt werden. Und je nachdem, was sie verursacht, wird es unter Umständen eher helfen, die Patienten zu einer Veränderung der belastenden Umstände zu ermutigen, als sie mit Pillen ruhigzustellen. Und schließlich kann es durchaus auch Akteure geben, die mit nicht rein selbstlosem Interesse an die Daten herangehen. Die dem Patientenwohl widersprechende kommerzielle Interessen haben, oder, im Falle von Regierungskriminalität, womöglich Schlimmeres. Die äußerst sensiblen Gesundheitsdaten stehen ja nicht für sich. Nächster Coup ist bekanntlich die digitale ID, die Gesundheit, Bankkonto, Ausweis, alles miteinander verknüpfen soll (was das Verfassungsgericht bislang unterbunden hat – aber wie lange noch?) und immer wieder massiv propagiert wird. Wenn wir uns in Erinnerung rufen, wie im letzten Jahr der Impfstatus als Eintrittskarte für die Teilnahme am öffentlichen Leben diente, braucht man nicht viel Phantasie, um sich auszumalen, was man mit einer solchen ID alles anstellen könnte. Und die, denen es selbst an dem bisschen Phantasie noch fehlt, können es hier oder hier nachlesen.

Vor diesem Hintergrund sollte man abschließend die Stelle betrachten, wo Buyx sagt, sie »hoffe da auf die Juristinnen und Juristen«. Die Justiz soll also jetzt von ihr auf die gewünschte Linie gebracht, konform gefüttert werden, damit sie bei diesen Zielen nicht im Weg steht.

Warum sollte eine Ethikprofessorin so etwas tun? Nun, vielleicht, weil sie selbst massive Interessenkonflikte hat. Ausführlich besprochen in der Welt vom 22.2. 22 (»Die verborgene Seite der Ethikrat-​Chefin«, von Cornelia Stolze). Buyx bezieht unter anderem Fördermittel vom pharmanahen Wellcome Trust: Der britischen Stiftung ist sie seit Jahren eng verbunden. Stolze zeichnet auch überzeugend nach, wie Buyx bereits 2016 mit entsprechenden Fördergeldern über ihren Lieblingsbegriff »Solidarität« publizierte – also genau ihr Hauptargument in der Corona-​Krise (»Das Solidaritätsprinzip«, mit Barbara Prainsack, 2016). Und damit nicht genug: Im Rahmen des SolPan-​Projekts untersuchten Buyx und Prainsack bereits 2020, wie Menschen zum Impfen zu bewegen seien – keine rein akademische Frage, wie schnell deutlich wurde und wie Stolze überzeugend darlegt. Aber auch ansonsten zeige der Ethikrat, seit Buyx (passenderweise 2020) den Vorsitz übernommen habe eine auffallende Übereinstimmung mit den Interessen der Pharmaindustrie. Stolze beschreibt, wie Interessenkonflikte beim Ethikrat offenbar systematisch unter den Tisch gekehrt werden – auch schon beim damaligen Vorsitzenden 2019, dem Theologieprofessor Dabrock, der damals mit Facebook kungelte und sich – o Wunder – später ebenfalls mit besonders abscheulichen Hetztiraden gegen Ungeimpfte hervortat.

De facto wurde der Begriff der Solidarität von Buyx systematisch als Unterordnung des Einzelnen und seiner Menschenrechte unter das Kollektiv ausgearbeitet. Der Mensch wird somit als reines Objekt behandelt. Das steht im Widerspruch zur verfassungsmäßig garantierten Menschenwürde, wie bereits 2021 ein Artikel im Magazin Multipolar hervorgehoben hat: Ein Menschenbild, in dem Bürger Objekte sind, gilt als Kennzeichen von Totalitarismus. Das Berufungsgericht in Florenz sah das am 6.7. 22 im Fall einer ungeimpften Psychologin genauso und schreibt wörtlich: »… dopo l’esperienza del nazi-​fascismo non consente di sacrificare il singolo individuo per un interesse collettivo vero o supposto …« (nach der Erfahrung des Nazi-​Faschismus darf das einzelne Individuum nicht einem tatsächlichen oder angenommenen Kollektivinteresse geopfert werden …«, S. 2)

Wie schon bei Corona und den diskriminierenden 2/​3G-​Regeln zeigt sich der Ethikrat und besonders seine Vorsitzende als konformes Sprachrohr von Industrie und Regierung und propagiert unter dem Deckmantel der »Solidarität« die Objektifizierung von Menschen. Das beweist, dass die Hetze gegen Ungeimpfte kein Ausrutscher oder »Wissensdefizit« des Ethikrats war, wie dieser jetzt auf erbärmlichste Weise zu suggerieren versucht. Der Ethikrat und seine Vorsitzende haben ein massives Problem mit Menschenrechten. Und nicht nur der Ethikrat – nicht zuletzt stammt das eingangs zitierte Interview mit Alena Buyx von der Website der Rechtsanwaltskammer München! Die, einschließlich Präsident Michael Then, offenbar ebenfalls kein Problem mit diesen massiven Unstimmigkeiten hat. Wieder einmal zeigt sich, dass der Ethikrat Menschenrechte nicht sichert, sondern denjenigen Legitimationsstrategien liefert, die sie für lästig halten. Dass er die Regierung nicht kontrolliert, sondern ihr die Legitimation für jeden noch so absurden Angriff auf die Menschenwürde liefert. Der Ethikrat lässt die Maske fallen und zeigt seine wahre Fratze. Er gehört endlich abgeschafft.

Quellen

Die Welt, 22.2.22 Cornelia Stolze: Die verborgene Seite der Ethikrat-​Chefin »Wissensdefizit« des Ethikrats.

Tweet von Christoph Lütge:

Bild: Alena Buyx auf der re:publica 2022 (Flickr by re:publica 2022 at https://​flickr​.com/​p​h​o​t​o​s​/​3​6​9​7​6​3​2​8​@​N​0​4​/​5​2​1​3​4​5​3​8​523. It was reviewed on 11 June 2022 by FlickreviewR 2 and was confirmed to be licensed under the terms of the cc-by-sa‑2.0)

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