Israels Verbündete beschleunigen Völkermord durch Einfrieren der UNRWA-Mittel

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Mehrere Verbündete Israels haben die Finanzierung des UNO-​Hilfswerks für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) ausgesetzt, nachdem 12 seiner Mitarbeiter an den Anschlägen vom 7. Oktober unter Führung der Hamas beteiligt gewesen sein sollen.

Die israelischen Anschuldigungen scheinen auf Geständnissen palästinensischer Gefangener zu beruhen, die wahrscheinlich unter Folter zustande gekommen sind. Menschenrechtsexperten warnen, dass die Aussetzung der Hilfe für das UNRWA zum jetzigen Zeitpunkt einen Verstoß gegen die Völkermordkonvention von 1948 darstellt.

Das UNRWA ist der wichtigste Anbieter von humanitärer Hilfe und der zweitgrößte Arbeitgeber im Gazastreifen, wo zwei Drittel der 2,3 Millionen Palästinenser Flüchtlinge sind.

Israel hindert palästinensische Flüchtlinge daran, ihr Recht auf Rückkehr in die jetzt von ihm besetzten Gebiete wahrzunehmen, weil dies »den demografischen Charakter Israels so verändern würde, dass es als jüdischer Staat nicht mehr existiert«, wie die Wirtschafts- und Sozialkommission der Vereinten Nationen für Westasien in einem Bericht von 2017 feststellte.

Das UNRWA erklärt, die Aussetzung der Finanzierung durch einige seiner größten Geber würde seine Hilfsarbeit im Gazastreifen gefährden, wo eine Hungersnot herrsche, da Israel Lebensmittel und andere lebenswichtige Güter als Kriegswaffen einsetze.

Mehr als 150 der 13.000 UNRWA-​Mitarbeiter in Gaza wurden seit dem 7. Oktober getötet – der größte Verlust an Mitarbeitern während eines Konflikts in der 78-​jährigen Geschichte der Vereinten Nationen.

Palästinenser, die unter der UN-​Flagge Schutz suchten, wurden getötet, da UNRWA-​Einrichtungen wiederholt angegriffen wurden. Letzte Woche wurden mehr als ein Dutzend Palästinenser getötet, nachdem israelischer Panzerbeschuss ein Gebäude in einem UNRWA-​Schulungszentrum in Khan Younis getroffen hatte, in dem 30 000 Menschen Zuflucht gefunden hatten, nachdem sie aus anderen Gebieten des Gazastreifens vertrieben worden waren.

Seit dem 7. Oktober wurden im Gazastreifen mehr als 26 000 Palästinenser getötet. Tausende weitere werden unter den Trümmern zerstörter Gebäude vermisst, während viele andere an Hunger und Krankheiten gestorben sind, nachdem Israel das Gebiet vollständig belagert hat.

In den letzten Tagen haben israelische Demonstranten Hilfsgütertransporter daran gehindert, dringend benötigte Hilfe über den Grenzübergang Kerem Shalom zu liefern. Nach Angaben der UNO verweigert Israel hunderttausenden von Palästinensern im nördlichen Gazastreifen systematisch den Zugang zu humanitärer Hilfe. Die Menschen dort beginnen zu verhungern.

Michael Fakhri, der UN-​Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, sagte, dass vor der Streichung der Mittel für das UNRWA eine »Hungersnot« in Gaza drohte. Mit der »kollektiven Bestrafung« wegen »der angeblichen Handlungen einer kleinen Anzahl von Mitarbeitern«, fügte Fakhri hinzu, »ist die Hungersnot nun unvermeidlich«.

Philippe Lazzarini, der Leiter des umstrittenen Hilfswerks, sagte, er sei schockiert über die Aussetzung der Finanzierung, nachdem das UNRWA die Verträge der beschuldigten Mitarbeiter gekündigt hatte. Er sagte, dass »die höchste Ermittlungsbehörde im UN-​System bereits mit dieser sehr ernsten Angelegenheit befasst wurde«.

Lazzarini sagte, es sei »äußerst unverantwortlich, eine Organisation und eine ganze Gemeinschaft, der sie dient, aufgrund von Anschuldigungen krimineller Handlungen gegen einige Personen zu sanktionieren«.

»Das Leben der Menschen im Gazastreifen hängt von dieser Unterstützung ab, ebenso wie die regionale Stabilität«, fügte er hinzu.

UN will bei der Strafverfolgung kooperieren

UN-​Generalsekretär António Guterres erklärte am Sonntag, dass von den 12 betroffenen Personen neun sofort identifiziert und vom UNRWA entlassen wurden. Einer der UNRWA-​Mitarbeiter »wurde als tot bestätigt, und die Identität der beiden anderen wird derzeit geklärt«, fügte er hinzu. Er signalisierte die Bereitschaft der UNO, bei der Strafverfolgung der beschuldigten Personen mitzuwirken.

Die Entscheidung, die Unterstützung des UNRWA auszusetzen, betrifft praktisch alle Palästinenser, die Israels brutale Militäraktion im Gazastreifen erdulden, die der Internationale Gerichtshof am Freitag als Völkermord einstufte.

Dieser Schritt schadet auch Millionen palästinensischer Flüchtlinge im Westjordanland, im Libanon, in Jordanien und in Syrien, die von dem chronisch unterfinanzierten Hilfswerk abhängig sind, das ihnen regierungsähnliche Dienstleistungen bietet.

Die USA, das Vereinigte Königreich, Kanada, Australien, Deutschland, Italien, die Niederlande und Finnland begründeten ihre Entscheidung, die Finanzierung des UNRWA auszusetzen, mit Informationen des israelischen Inlandsgeheimdienstes Shin Bet und des militärischen Geheimdienstes.

Ein ungenannter hochrangiger israelischer Beamter sagte dem Axios-Reporter Barak Ravid, selbst ein israelischer Militärreservist, der häufig von den Spionageabteilungen des Landes mit Informationen versorgt wird, dass »ein Großteil der Informationen das Ergebnis von Verhören militanter Kämpfer ist, die während des [7. Oktober]-Anschlags festgenommen wurden«.

Dies gibt Anlass zu der ernsten Sorge, dass die genannten Länder Millionen von Palästinensern die dringend benötigte Hilfe vorenthalten, und zwar auf der Grundlage von Informationen, die unter Folter erlangt wurden.

Israels rechtsextremer Minister für nationale Sicherheit, Itamar Ben-​Gvir, hat bereits zugegeben, dass gegen mutmaßliche Mitglieder der Nukhba-​Kommandoeinheit der Qassam-​Brigaden, des militärischen Flügels der Hamas, Maßnahmen ergriffen werden, die der Anwendung von Folter gleichkommen könnten.

Äußerungen der Leiterin des israelischen Strafvollzugsdienstes, Katy Perry, und anderer Beamter deuten stark darauf hin, dass Palästinenser, die der Zugehörigkeit zur Nukhba-​Truppe verdächtigt werden, systematisch gefoltert werden.

Folter

Der israelische Sender Kanal 12 berichtete letzten Monat über einen »hochrangigen, als geheim eingestuften Bericht des Außenministeriums«, der einen dreistufigen Prozess vorsieht, durch den das UNRWA aus dem Gazastreifen vertrieben werden soll. Die erste Stufe »beinhaltet einen umfassenden Bericht über die angebliche Zusammenarbeit des UNRWA« und die »Verstrickung« mit der Hamas, berichtete die Times of Israel.

Bei diesem jüngsten Angriff auf das UNRWA, das Israel seit langem zu diffamieren und zu zerstören versucht, könnte Tel Aviv sowohl diesem Plan des Außenministeriums folgen als auch nach einem bekannten Drehbuch vorgehen.

Im Jahr 2016 verhaftete Israel Mohammed El Halabi, einen Entwicklungshelfer der internationalen christlichen Hilfsorganisation World Vision, unter dem Vorwurf, internationale Hilfsgelder an die Hamas weitergeleitet zu haben.

In ihrem als Verschlusssache eingestuften Urteil aus dem Jahr 2022 stützte sich ein Gremium israelischer Richter fast ausschließlich auf ein Geständnis, das El Halabi gegenüber einem Informanten abgelegt haben soll, nachdem er angeblich von israelischen Verhörbeamten geschlagen worden war.

Das UN-​Menschenrechtsbüro hat im Fall von El Halabi »immer wieder ernste Bedenken« wegen »grausamer, erniedrigender und unmenschlicher Behandlung, die auf Folter hinauslaufen könnte«, geäußert.

Die australische Regierung, die zwischen 2014 und 2016 rund ein Viertel des Budgets von World Vision im Gazastreifen bereitstellte, gab eine externe Prüfung in Auftrag, die »keine Beweise für die Abzweigung von Geldern und keine stichhaltigen Beweise dafür fand, dass El Halabi der Hamas angehörte oder für sie arbeitete.«

Trotzdem stellte Australien seine Finanzierung für World Vision in Gaza ein, das seinerseits seine Aktivitäten in dem Gebiet einstellte. World Vision stellte sich hinter El Halabi und erklärte bei seiner Verurteilung im Jahr 2022, dass »die Verhaftung, der sechsjährige Prozess, das ungerechte Urteil und die [12-​jährige] Haftstrafe sinnbildlich für Handlungen sind, die die humanitäre Arbeit in Gaza und im Westjordanland behindern«.

In ähnlicher Weise hat Israel mehrere prominente palästinensische Menschenrechts- und Sozialdienstorganisationen kriminalisiert, darunter drei Gruppen, die mit den Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs in Palästina befasst sind. Israel bezeichnete die Gruppen als »Terror«-Organisationen, um sie von der Finanzierung durch europäische Geber abzuhalten.

Das UNRWA versuchte, seine Tätigkeit im Gazastreifen zu sichern, indem es die Mitarbeiter, die Israel der Beteiligung an den Anschlägen vom 7. Oktober beschuldigt, fristlos entließ. »Jeder UNRWA-​Mitarbeiter, der in Terrorakte verwickelt war, wird zur Rechenschaft gezogen werden, auch durch strafrechtliche Verfolgung«, sagte Lazzarini am Freitag – Worte, die der UN-​Generalsekretär am Sonntag wiederholte.

Der Analyst Mouin Rabbani sagte in einem Interview mit dem Journalisten Owen Jones, dass die UNO in ihrer Reaktion auf die israelischen Anschuldigungen »mehrere Fehltritte« begangen habe. Er sagte, dass die Entlassung der UNRWA-​Mitarbeiter »als eine Art Bestätigung« der israelischen Anschuldigungen gelesen werden kann und von den USA und anderen als »Schuldeingeständnis« angesehen werden könnte.

Die Tatsache, dass die israelischen Anschuldigungen offenbar auf Geständnissen beruhen, die unter Folter erpresst wurden, »sollte in Erwartung weiterer Ermittlungen zu Fragezeichen führen«, so Rabbani weiter.

Drei prominente palästinensische Menschenrechtsorganisationen – Al-​Haq, Al Mezan und das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte – beschuldigen die israelischen Behörden, willkürlich in Gaza verhaftete Personen zu foltern und anderweitig zu misshandeln.

Die in Genf ansässige Menschenrechtsorganisation Euro-​Med Human Rights Monitor hat nach eigenen Angaben Zeugenaussagen über die systematische Folter und unmenschliche Behandlung palästinensischer Gefangener in israelischen Armeelagern gesammelt, nachdem diese in Gaza gewaltsam verschwunden waren.

»Direkter Verstoß gegen die Völkermordkonvention«

Unmittelbar nach dem mit Spannung erwarteten Zwischenurteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag, das Israel auffordert, den Völkermord im Gazastreifen einzustellen, kündigten die USA an, ihre Unterstützung für das UNRWA auszusetzen.

Der Weltgerichtshof erließ mehrere vorläufige Maßnahmen, während er die von Südafrika eingereichte Klage prüft, in der Israel beschuldigt wird, die Völkermordkonvention von 1948 zu verletzen.

Eine der sechs vom Gericht angeordneten vorläufigen Maßnahmen verlangt, dass Israel »sofortige und wirksame Maßnahmen ergreift, um die Bereitstellung dringend benötigter grundlegender Dienstleistungen und humanitärer Hilfe zu ermöglichen«.

Nach der Völkermordkonvention sind die Staaten verpflichtet, Völkermord zu verhindern.

Durch die Sanktionierung des UNRWA bestrafen die Staaten »kollektiv Millionen von Palästinensern zum kritischsten Zeitpunkt«, erklärte Francesca Albanese, UN-​Sonderberichterstatterin für das Westjordanland und den Gazastreifen, am Samstag.

Damit, so Albanese weiter, verstoßen diese Länder »höchstwahrscheinlich gegen ihre Verpflichtungen aus der Völkermordkonvention«.

Sie fügte hinzu, dass die Streichung der Mittel für das UNRWA »offenkundig gegen die Anordnung des Internationalen Gerichtshofs verstößt, wirksame humanitäre Hilfe zu leisten, um die widrigen Lebensbedingungen der Palästinenser in Gaza zu verbessern«.

»Dies wird eine rechtliche Verantwortung nach sich ziehen – oder den Untergang des internationalen Rechtssystems«, sagte Albanese.

Francis Boyle, der erste Anwalt, der vor dem Internationalen Gerichtshof erfolgreich einen Fall von Völkermord vertrat, sagte, dass die Staaten über die Beihilfe zu Israel hinausgingen, indem sie die Finanzierung des UNRWA einstellten.

Boyle sagte dem Journalisten Sam Husseini, dass »diese Staaten nun auch direkt gegen Artikel 2(c) der Völkermordkonvention verstoßen: ›Vorsätzliche Zufügung von Lebensbedingungen, die darauf abzielen, die physische Zerstörung der Gruppe ganz oder teilweise herbeizuführen.‹ «

»Versuch, das UNRWA ganz zu beseitigen«

»Israel hat das UNRWA schon immer gehasst«, sagte der ehemalige hohe UN-​Beamte Craig Mokhiber in einem Interview mit der Journalistin Katie Halper.

»Das UNRWA ist ein Rettungsanker, der sie daran hindert, das zivile Leben in Gaza vollständig zu zerstören«, erklärte Mokhiber, und das sei »eine Bedrohung für Israels ethnonationalistischen Plan für das besetzte Gebiet«.

Er fügte hinzu, dass die Überlebenden des Völkermordes in Gaza »auf ein gut funktionierendes UNRWA angewiesen sein werden. Das wird heute und in den kommenden Tagen, Wochen und Monaten den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen«.

Wie der Wissenschaftler Dalal Yassine letztes Jahr in The Electronic Intifada schrieb, »haben Israel und seine Unterstützer in den Vereinigten Staaten das UNRWA jahrzehntelang ins Visier genommen«.

Benjamin Netanjahu, Israels Premierminister, hat die Auflösung des UNRWA gefordert, weil es »das palästinensische Flüchtlingsproblem aufrechterhält«.

»Die Trump-​Administration hat sich eine ähnliche Rhetorik zu eigen gemacht und versucht, die Definition eines palästinensischen Flüchtlings zu ändern«, so Yassine.

Die Regierung Biden erneuerte die von Trump gestrichenen Mittel für das UNRWA, »knüpfte die Finanzierung aber an eine Reihe von Fragen im Zusammenhang mit der Identität und den nationalen Rechten des palästinensischen Volkes«, so Yassine.

Der bekannte palästinensische Autor und Historiker Salman Abu Sitta erklärte letztes Jahr gegenüber The Electronic Intifada, dass die USA und Israel »versuchen, das UNRWA ganz abzuschaffen, indem sie seine Aktivitäten auf andere Organisationen übertragen«.

»Das bedeutet, dass die Palästinenser kein Recht auf Rückkehr haben werden und nur noch anderswo, weit weg von ihrer Heimat, Nahrung und Unterkunft suchen können«, fügte er hinzu.

Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinaflüchtlinge (UNRWA) hat einen potenziellen Todesstoß erlitten, da 1,3 Millionen Palästinenser jetzt in Rafah an der Südgrenze des Gazastreifens zu Ägypten konzentriert sind. Das UN-​Menschenrechtsbüro hat die »große Sorge« geäußert, dass sie bei einer möglicherweise kurz bevorstehenden Eskalation der Feindseligkeiten in diesem Gebiet »aus dem Gazastreifen vertrieben werden könnten«.

Mindestens zwei Staaten haben ihre Absicht erklärt, die Finanzierung des UNRWA fortzusetzen, was auf eine wachsende Spaltung der europäischen Länder in Bezug auf die israelische Militäraktion in Gaza hinweist.

Mindestens zwei Staaten haben ihre Absicht erklärt, das UNRWA weiterhin zu finanzieren, was auf eine zunehmende Spaltung der europäischen Länder in Bezug auf die israelische Militäraktion im Gazastreifen hindeutet.

Anstatt das UNRWA zu sanktionieren, bekräftigte die norwegische Regierung ihre Unterstützung für das palästinensische Volk durch das Hilfswerk. »Wir müssen unterscheiden zwischen dem, was Einzelpersonen getan haben, und dem, wofür das UNRWA steht«, erklärte die norwegische Vertretung bei der Palästinensischen Behörde am Samstag.

»Die Zehntausenden von Mitarbeitern der Organisation im Gazastreifen, im Westjordanland und in der Region spielen eine entscheidende Rolle bei der Verteilung von Hilfsgütern, der Rettung von Menschenleben und der Sicherung von Grundbedürfnissen und Rechten«, so das norwegische Büro weiter.

Auch der irische Außenminister erklärte, dass sein Land, das 2023 19,5 Mio. USD bereitstellt, »keine Pläne hat, die Finanzierung der lebenswichtigen Arbeit des UNRWA im Gazastreifen einzustellen«.

Zuerst in englisch erschienen bei The Electronic Intifada

Bild: Quds News Network (https://t.me/QudsNen/94511)

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