Zum 22.06.1941: Wer die Vergangenheit nicht kennt, kennt weder die Gegenwart noch die Zukunft, noch sich selbst

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Rede anlässlich des Überfalls Hitlerdeutschlands auf die Sowjetunion am 22.06.1941, gehalten im Dynamo Stadion und Park des Sieges am 22.06.2023

Liebe Freunde, liebe Genossen,

im Verlauf des vergangenen Jahres sind sie beide näher gerückt, die Vergangenheit wie die Zukunft. Die Vergangenheit, weil mittlerweile wieder deutsche Panzer auf russischem Boden stehen, in den NATO-​Ländern bereits über die Entsendung von Kampfflugzeugen nachgedacht wird und die Zahl der Söldner aus NATO-​Ländern, die in der Ukraine eingesetzt sind, von Tag zu Tag wächst.

Aber auch die Zukunft, weil sich währenddessen die Welt verändert; weil Dutzende Länder dabei sind ihr koloniales Joch endgültig abzuschütteln und die Vorherrschaft des Westens, insbesondere der USA, sich dem Ende nähert.

Man hätte sich nicht denken können, wie weit in jenen Ländern, die sich so gern für die Fackelträger der Demokratie halten, zu einem Denken zurückgekehrt wird, das als begraben und vergessen galt.

Gerade erst wurden Dokumente veröffentlicht, die belegen, dass der Nichtangriffspakt, der 1939 zwischen Ribbentrop und Molotow geschlossen wurde, von vorneherein nur zur Täuschung gedacht war. Zum Glück war sich die sowjetische Führung dieser Tatsache bewusst; hätte sie den Zusagen der Nazis getraut, die Folgen wären nicht abzusehen gewesen.

»Die Aufgabe dieser Front ist daher nicht mehr der Schutz einzelner Länder, sondern die Sicherung Europas und damit die Rettung aller.« So steht es in der Rede Hitlers, mit der er damals der deutschen Bevölkerung gegenüber dem Überfall begründete.

Die NATO und die EU müssten die Freiheit Europas verteidigen, tönt es heute aus Brüssel, um zu begründen, warum sich ein gewaltiger Strom von Waffen und Munition in die Ukraine ergießt, um die dortige Macht zu stützen. Und wieder ging eine Täuschung voraus, diesmal offen eingestanden von den Beteiligten Merkel, Hollande und Poroschenko …

Sie teilen mit ihren Vorgängern die Überheblichkeit, den Wahn, selbst die wertvolleren Menschen zu sein, als einzige eine Kultur zu besitzen; den Wunsch, sich russischen Boden samt seinen Schätzen anzueignen, aber ohne die Menschen, die darauf leben. Das war nicht der erste Krieg, der unter solchen Vorzeichen geführt wurde; Frankreich etwa hatte Mitte des 19.Jahrhunderts seine Eroberung Algeriens mit der Absicht begonnen, danach ein menschenleeres Land mit Franzosen zu besiedeln. Aber es war das erste Mal, dass dies in Europa versucht wurde. Dieser Grad der Unmenschlichkeit war davor den Kolonialvölkern vorbehalten.

Nicht nur die Naziwehrmacht schickte damals ihre Truppen auf sowjetischen Boden, auch Rumänien und Italien waren beteiligt, in der SS gab es später Ukrainer, Franzosen und Balten; ganz Europa wurde geplündert, um die Kriegsmaschine am Laufen zu halten. Dass Großbritannien und die Vereinigten Staaten letztlich an der Seite der Sowjetunion gegen das Nazireich antraten, war das Ergebnis eines politischen Ringens, in dem die Arbeiterbewegung dieser Länder eine zentrale Rolle spielte; wie unwillig große Teile der Herrschenden gerne anders entschieden hätten, zeigte sich bereits nur wenige Monate nach Kriegsende.

Hier in Moskau sammelten sich Emigranten aus allen europäischen Ländern, in denen die Nazis herrschten, setzten ihren Kampf fort, manche in den Reihen der Roten Armee, andere bei der Vorbereitung der Ordnung danach.

Wenn ich etwas suche, das mich begreifen lässt, wie jener Tag damals gewesen sein muss, als dieser auf Vernichtung zielende Krieg über die Menschen in der friedlichen Sowjetunion hereinbrach, dann sind es die Aufnahmen vom 02. Juni 2014 in Lugansk. Die Atemlosigkeit und das Entsetzen in der Stimme des Mannes, der damals dort filmte, fassen es. Eben noch war es ein friedlicher Sommertag.

Als am 22. Juni 1941 die ersten Bomben auf ahnungslose Städte fielen, zeichnete sich schnell ab, dass Verhandlungen oder gar Kapitulation bei diesem Feind nicht möglich waren. Wie ungeheuer war die Anstrengung, ihn abzuwehren! Wie sehr zeigte er bei jedem Schritt, dass er unbedingt abgewehrt werden musste! Als die Rote Armee schließlich das Blatt wendete und den Feind verjagte, entdeckte sie ein ums andere Mal, dass selbst die schlimmsten Erwartungen von dem Grauen übertroffen wurden, dem sie auf dem Weg nach Berlin begegneten.

Der deutsche Generalplan Ost enthielt eine genaue Vorstellung, wie die angestrebte Beute zu verteilen sei. Im Deutschen gibt es dafür ein Sprichwort: das Fell des Bären teilen, ehe er erlegt ist. Irgendwie hat sich das die heutige EU zum Vorbild genommen und hält im europäischen Parlament bereits Kongresse über die Aufteilung Russlands ab. Öl, Kohle, Erze und fruchtbare Getreidefelder, die zu erobern eine gigantische industrielle Maschine angeworfen wurde. Aber dem sowjetischen Volk gelang es, sie noch zu übertreffen, mit mehr Panzern und mehr Granaten; eine wirtschaftliche Leistung, mit der der Feind nicht gerechnet hatte.

Wenn man daran denkt, was es ermöglichte, den schrecklichen Überfall in einen Sieg münden zu lassen, darf man jene Schlachten nicht vergessen, die in den Fabriken geschlagen wurden. Dass sich das Volk einig war und gemeinsam dafür kämpfte, die sowjetische Heimat zu schützen, war es, was den Erfolg ermöglichte. Ein Erfolg, ohne den die Welt in der Barbarei versunken wäre. Denkende, liebende, menschliche Menschen sein zu dürfen, danken wir diesem Sieg.

Heute ist die Verpflichtung, die Rückkehr dieses Ungeheuers nicht zuzulassen, wieder Tagesaufgabe. Das bringt uns die Opfer und die Heldentaten der Vergangenheit näher, als sie viele Jahre waren.

Aber blicken wir auf die andere Seite, blicken wir in die Zukunft. Der Sieg der Roten Armee beendete nicht nur das Grauen des Nazismus, er schwächte auch seine Wurzeln, und die Kolonien erlangten die Unabhängigkeit, wenn auch nicht auf Dauer. In manchen Kämpfen entscheidet sich weit mehr als das Schicksal eines Landes; der damalige Sieg prägte die Welt für Jahrzehnte. An einem solchen Punkt stehen wir auch heute; die politischen Lenker der Ukraine in Washington haben das bemerkt; der Krieg in der Ukraine sei, so schrieb vor kurzem eine davon, sei zu einer Rebellion des globalen Südens unter russischer Führung geworden.

Die sowjetischen Soldaten damals haben es bewiesen, dass das schlimmste Grauen besiegt werden und eine friedliche Zukunft errungen werden kann. Wenn wir ihrer Taten gedenken, dann soll uns der Weg, den sie vom Morgen des 22.Juni bis zum Sieg in Berlin zurücklegten, Ansporn zur Zuversicht werden.

Denn der Satz gilt noch immer, mit dem Molotows Ansprache an jenem Sommertag schloss: Unsere Sache ist gerecht, der Sieg wird unser Sein!

Bild: Die Moskauer hören im Radio die Ankündigung der sowjetischen Regierung über den verräterischen Angriff Nazi-​Deutschlands auf die Sowjetunion. Ein sehr berühmtes Foto vom ersten Tag des Krieges. Der Titel des Autors lautet »Der erste Tag des Krieges«. In der ersten Reihe (von rechts nach links): Anna Trushkina (1920 – 2001), Fahrerin an der Front während des Krieges; dritte Reihe: Valentina Smirnova (1919 – 2012), Oberärztin des Sortier- und Evakuierungskrankenhauses Nr. 1949 in den Jahren 1942 – 45; rechts: Oleg Bobryaev, zukünftiger Flakhelfer (https://t.me/podvignarodaussr)

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