Wäre die Coro­na-Hys­te­rie ohne das »Wis­sen« um Pest und Cho­le­ra möglich

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Eine Epi­de­mie ohne neue Krank­heits­sym­pto­me hät­ten wohl nur weni­ge für bare Mün­ze genom­men, wären nicht Pest, Cho­le­ra und die Spa­ni­sche Grip­pe im kol­lek­ti­ven Gedächt­nis ver­an­kert. Aber wor­auf beruht eigent­lich unser ver­meint­li­ches Wissen?

Tat­säch­lich ist die Beweis­la­ge über Pan­de­mien in Euro­pa dürf­tig. Es gibt kaum Auf­zeich­nun­gen von Zeit­ge­nos­sen, die authen­tisch und glaub­wür­dig sind. His­to­ri­ker zitie­ren immer wie­der die glei­chen Quel­len ohne Beweis­kraft. Ita­lie­ni­sche Schrift­stel­ler und angeb­li­che »Chro­nis­ten« wie Boc­c­ac­cio und Petrar­ca gel­ten seit Jahr­hun­der­ten als Kron­zeu­gen für die ers­te gro­ße Pest ab 1347. Bei­de waren jedoch nicht vor Ort.

Auch die gro­ße Pest in Lon­don von 1665 wird uns über­all aus dem ver­meint­li­chen Jour­nal des Geheim­dienst­agen­ten und Robin­son-Cru­soe-Autors Dani­el Defoe nahe gebracht. Doch zum Zeit­punkt der Ereig­nis­se war er kei­ne fünf Jah­re alt. Ist die Seu­chen­ge­schich­te »ein Packen von Lügen über Ereig­nis­se, die nie statt­ge­fun­den haben, erzählt von Per­so­nen, die nicht dabei waren« (Geor­ge San­ta­ya­na, 1863 – 1952)?

Eine Recher­che zu den ver­meint­lich satt­sam bekann­ten Ereig­nis­sen lohnt sich. Als die Pest 1665 in Lon­don 70 – 80 Pro­zent von etwa 100.000 erkrank­ten Bewoh­nern das Leben gekos­tet haben soll, star­ben in der 150 Kilo­me­ter ent­fern­ten Hafen­stadt Bris­tol mit ihren 15.000 Ein­woh­nern gera­de ein­mal 100 Men­schen an der glei­chen Krank­heit – 0,6 Pro­zent. Mit einer unent­rinn­bar töd­li­chen Infek­ti­ons­krank­heit sind die­se Fak­ten nicht in Ein­klang zu bringen.

Und woher wol­len wir wis­sen, dass bei der ers­ten gro­ßen Pest um 1350 min­des­tens ein Drit­tel der euro­päi­schen Bevöl­ke­rung umkam, wenn es nur Chro­ni­ken aus Städ­ten gibt, aber 90 Pro­zent der Men­schen auf dem Land leb­ten? War­um sind bis­her kaum Mas­sen­grä­ber gefun­den wor­den, die auf einen Seu­chen­tod schlie­ßen lassen?

Es passt vie­les nicht zusam­men. Der His­to­ri­ker Otto­kar Lorenz (1832 – 1904) beklag­te vor 150 Jah­ren, dass sich »das Geschäft der Geschichts­schrei­bung nicht all­zu­hoch über das Geschäft des Schrei­bens und zwar des Abschrei­bens im eigent­li­chen Sin­ne erhebt.»i His­to­ri­ker haben meist zu viel geglaubt und zu wenig hin­ter­fragt. Schrift­li­che Doku­men­te waren auch in den ver­gan­ge­nen Jahr­hun­der­ten oft mehr Pro­pa­gan­da als Chro­nik. Wer die erhal­te­nen Schrif­ten und Bil­der als ver­bürg­te Fak­ten ver­kennt, geht genau­so fehl, wie jemand der aus den heu­ti­gen gelenk­ten Medi­en die Gescheh­nis­se der letz­ten drei Jah­re rekonstruiert.

Eine unvoll­stän­di­ge Auf­lis­tung euro­päi­scher »Pest«-Ereignisse über­stieg bereits vor 100 Jah­ren die Mar­ke von 6.000 für 550 Jah­re.ii Epi­de­mi­sche Fie­ber­krank­hei­ten gehör­ten zum All­tag. Es lag an der jewei­li­gen Emp­find­lich­keit und diver­sen Inter­es­sen­la­gen, ab wel­cher Zahl von Krank­heits- und Todes­fäl­len der Nor­mal- zum Aus­nah­me­zu­stand erklärt wur­de. So wie in Deutsch­land die Win­ter­sai­son 2017/18 eine glaub­wür­di­ge­re Grip­pe-Epi­de­mie abge­ge­ben hät­te als die Jah­re von 2020 bis 2023. Das Zusam­men­zäh­len von geschätz­ten Todes­op­fern über meh­re­re Jah­re hat­te schon zum Ende des Ers­ten Welt­kriegs mit der Spa­ni­schen Grip­pe einen unse­li­gen Vorläufer.

Wer bis­her ver­kennt, dass sich Geschich­te auf jeden Fall reimt, wird es anläss­lich der Vor­gän­ge um Epi­de­mien nicht mehr abstrei­ten kön­nen. Seu­chen waren angeb­lich immer Ein­dring­lin­ge von außen. Meist aus dem Osten. Die Cho­le­ra aus Ben­ga­len, die Pest aus der eura­si­schen Step­pe und die Grip­pe aus Russ­land oder Chi­na. Nur die Syphi­lis, die wohl wirk­lich aus der Neu­en Welt impor­tiert war, kam aus dem Wes­ten. In die Schu­he gescho­ben wur­de sie dann den Fran­zo­sen, obwohl sie zuerst in Spa­ni­en hei­misch wur­de. Der ver­meint­li­che Import eines Virus aus Wuhan steht in einer lan­gen Tradition.

Seit 700 Jah­ren sucht man – ob in Unkennt­nis von Mikro­ben oder wis­sen­schaft­lich gewapp­net – meist ver­geb­lich den soge­nann­ten »Pati­en­ten 0«, der die Krank­heit ein­ge­schleppt hät­te. Wenn der oder die ver­meint­li­chen Ver­ur­sa­cher »iden­ti­fi­ziert« wur­den, floss meist Blut. Über Jahr­hun­der­te muss­ten es die Juden büßen. Oft noch bevor eine Epi­de­mie über­haupt auftrat.

Seu­chen wur­den immer instru­men­ta­li­siert und nicht sel­ten sogar initi­iert. Auch ohne Krank­hei­ten war Seu­chen­angst erwünscht und zei­tig­te Wir­kun­gen. Der Leib­arzt eines böh­mi­schen Königs war sich vor 700 Jah­ren bewusst, dass »allein schon die Angst vor der Seu­che, die Ein­bil­dung und das Reden von ihr den Men­schen ohne Zwei­fel pest­krank machen kann.»iii

Epi­de­mi­sche Krank­hei­ten waren nie schick­sal­haf­te Natur­er­schei­nun­gen. Die not­wen­di­gen sozia­len Bedin­gun­gen waren haus­ge­macht. Und es war nicht nur Schlen­dri­an. Immer wie­der fin­den sich ver­ein­zel­te Doku­men­te, die Kal­kül erken­nen las­sen. Der Geist­li­che und Öko­nom Tho­mas Robert Mal­thus (1766 – 1834) schrieb 1826 Klartext:

Wir soll­ten die Vor­gän­ge der Natur, die die­se Sterb­lich­keit her­vor­brin­gen, erleich­tern, anstatt uns töricht und ver­geb­lich zu bemü­hen, sie zu behin­dern; und wenn wir die zu häu­fi­ge Heim­su­chung durch die schreck­li­che Form des Hun­gers fürch­ten, soll­ten wir die ande­ren For­men der Zer­stö­rung, zu denen wir die Natur zwin­gen, eif­rig för­dern. In unse­ren Städ­ten soll­ten wir die Stra­ßen enger machen, mehr Men­schen in die Häu­ser drän­gen und die Rück­kehr der Pest för­dern.iv

Ein neu­er, fri­scher Blick auf die frü­he­ren Epi­de­mien oder das, was als sol­che über­lie­fert ist, lohnt sich. Er ist schon des­we­gen uner­läss­lich, um nicht einer nächs­ten Pan­de­mie-Insze­nie­rung wie­der auf den Leim zu gehen.

Ver­wei­se

i Lorenz O (1832 – 1904); zitiert nach: Höni­ger R: Der Schwar­ze Tod in Deutsch­land. S. 4; Eugen Gros­ser; Ber­lin 1882

ii Sti­cker G: Abhand­lun­gen aus der Seu­chen­ge­schich­te und Seu­chen­leh­re. Band 1: Die Pest. Alfred Töpel­mann; Gie­ßen 1908

iii Albich S: Regi­men tem­po­re pestilen­tiae. Prag 1348; zitiert nach: Berg­dolt K: Der Schwar­ze Tod. 4. Auf­la­ge; S. 25; C.H. Beck; Mün­chen 2017

iv Mal­thus T: Essay on the Prin­ci­ple of Popu­la­ti­on. Volu­me II; 6th ed.; John Mur­ray; Lon­don 1826

Dr. med. Gerd Reu­ther ist Arzt und Medi­zin­hin­his­to­ri­ker. Er ist Autor der Bücher »Der betro­ge­ne Pati­ent« und »Hei­lung Neben­sa­che«. Dr. Rena­te Reu­ther ist pro­mo­vier­te His­to­ri­ke­rin, Sach­buch­au­to­rin und Publi­zis­tin. Ihr Buch Haupt­sa­che Panik: Ein neu­er Blick auf Pan­de­mien in Euro­pa ist im Engels­dor­fer Ver­lag erschienen.

Zuerst erschie­nen bei tkp​.at

Bild: Kup­fer­stich des Dok­tor Schna­bel [d.h. Dr. Beak], eines Pest­arz­tes im Rom des sieb­zehn­ten Jahr­hun­derts, mit einem sati­ri­schen maka­ro­ni­schen Gedicht (»Vos Cre­di­tis, als eine Fabel, / quod scri­bi­tur vom Doc­tor Schna­bel«) in acht­sil­bi­gen Reim­paa­ren (wiki­me­dia commons)

3 thoughts on “Wäre die Coro­na-Hys­te­rie ohne das »Wis­sen« um Pest und Cho­le­ra möglich

  1. Denkt das lächer­li­che Autoren­pär­chen viel­leicht Yer­si­nia pes­tis wäre ein Fake?
    Wenn hier Wer­bung für alber­ne Bücher gemacht wird, dann soll­te sie als sol­che gekenn­zeich­net sein.
    Einen Moment lang dach­te ich Mag­Ma taugt etwas. Das hat sich mit die­sem Blöd­sinn erle­digt. Schö­nes Leben noch.

    1. Alle Bei­trä­ge sind die Mei­nun­gen der jewei­li­gen Autoren, die Redak­ti­on kenn­zeich­net dies nicht extra und distan­ziert sich von Arti­keln. Nun ja, über das Pest­ba­zil­lus steht in die­sem Text nichts. Aber wie es sich für His­to­ri­ker gehört, schei­nen sie erst­mal grund­le­gen­de Quel­len­kri­tik geübt zu haben. Der Redak­ti­on war zum Bsp. nicht bewusst, dass es der­art weni­ge Quel­len gibt und wel­cher Art die sind. Das scheint loh­nens­wert, es nach­zu­prü­fen und die For­schung auf dem Gebiet vor­an zu brin­gen. Soll­te es sich als Unsinn ent­pup­pen, dann wird das natür­lich auch hier publi­ziert. Aber wenn auch erst­mal abwe­gig klin­gen­de Hypo­the­sen und For­schun­gen gar nicht ver­öf­fent­licht wer­den kön­nen, dann tut das der Ent­wick­lung des Wis­sen­schaf­ten und Publi­zis­tik Abbruch. Das will die Redak­ti­on nicht. Sie ris­kiert lie­ber hier und da ein wenig Kopf­schüt­teln und Empö­rung statt der Denk- und For­schungs­frei­heit den Gar­aus zu machen. Wohin das führ­te, wis­sen wir.

    2. die Argu­men­ta­ti­on erin­nert an die kra­kee­ler, die stän­dig von »Coro­na­leug­ner« spre­chen. In dem Arti­kel wird kei­ne Krank­heit bestrit­ten, son­dern ledig­lich deren impact in Fra­ge gestellt. Aber solch selbst­ver­ständ­li­ches hin­ter­fra­gen ver­meint­li­cher Tat­sa­chen ruft heu­te sofort die Inqui­si­ti­on auf den plan.

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