Stalin und die Union der Gleichenberechtigten: Zur Gründung der Sowjetunion vor 100 Jahren

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Stalins Standpunkt zur freiwilligen Ein- und Austrittsmöglichkeit in die beziehungsweise aus der Sowjetunion stand ganz im Einklang mit Lenin.

Es ist mehr als symbolisch, dass der Geburtstag Stalins in diesem Dezember praktisch mit dem 100. Jahrestag der Gründung der Sowjetunion zusammenfällt, mit der sein Name untrennbar in der Geschichte verbunden ist. Die politischen Gegner schlummern indessen nicht ein. Wir haben bereits mehr als einmal erwähnt, dass die gegenwärtigen Behörden und ihre Diener im Zusammenhang mit dem nahenden Datum auf jede erdenkliche Weise versuchen, einerseits ein Maximum an propagandistischer Wirkung zu erzielen, indem sie bei Bedarf die Macht und die konkreten Errungenschaften der Sowjetunion hochspielen, andererseits aber auch ein Minimum an ideologischem Schaden für sich selbst zu erleiden, indem sie es nach Möglichkeit vermeiden, die Quellen dieser Errungenschaften und die politischen Grundlagen des großen Staates zu erwähnen.

Diese »Verharmlosung« wurde insbesondere durch die etwas gedämpften, aber immer noch andauernden Auseinandersetzungen auf verschiedenen Ebenen über die angeblich »tiefen Gräben« zwischen Lenin und Stalin in einer Reihe von Fragen versucht. Stalin beispielsweise wird nach wie vor regelmäßig eine Art »großrussischer« (oder alternativ »imperialer«) Nationalismus zugeschrieben, der im Gegensatz zum Leninschen Internationalismus stünde.

Unter all diesem primitiven Basar-​Quatsch nehmen die Versuche, einen Keil zwischen die Positionen von Lenin und Stalin zu den Grundprinzipien der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken zu treiben, immer noch einen besonderen Platz ein. Offensichtlich haben die modernen Antikommunisten keine andere Wahl, als Fakten und die Chronologie historischer Ereignisse grob zu verfälschen. Eine solche Verfälschung erfolgt, wie die Prawda bereits festgestellt hat, indem zunächst bestimmte Momente aus dem allgemeinen Ablauf der Ereignisse herausgezogen werden. Insbesondere werden bestimmte Meinungsverschiedenheiten zwischen der Leninschen und der Stalinschen Position gleich zu Beginn der Diskussion über die Grundlagen der künftigen Union thematisiert. Diese wurden später vollständig aufgeklärt, aber die antikommunistischen Propagandisten schweigen hartnäckig dazu.

Heute werden wir uns einigen öffentlich zugänglichen Dokumenten zuwenden, die Historikern und anderen Fachleuten gut bekannt sind, aber von der breiten Öffentlichkeit in der Chruschtschow-​Ära und in der Folgezeit völlig unverdientermaßen in Vergessenheit geraten sind, wie man sagt. Sie alle bezeugen eines: Als die Vorbereitungen für die Gründung der UdSSR abgeschlossen waren, stimmten die Positionen Stalins in allen Punkten mit denen Lenins überein.

Zunächst einmal war es Stalin, der als Mitglied des Politbüros und Generalsekretär des Zentralkomitees der RKP(b) beauftragt war, auf dem X. Allrussischen Sowjetkongress, der am 23. Dezember 1922 eröffnet wurde, den historischen Bericht »Über die Vereinigung der Sowjetrepubliken« zu verfassen. Wie die Prawda bereits schrieb, sollte der Bericht ursprünglich von Lenin verfasst werden, doch angesichts seiner schweren Krankheit wurde die ehrenvolle Aufgabe Stalin anvertraut.

Wie klar und präzise sich Stalin in leninistischer Manier die Grundlage der künftigen föderalen Struktur eines vereinigten Unionsstaates vorstellte, beweist sein einen Monat zuvor geführtes Gespräch mit einem Korrespondenten der Prawda, das in der Zeitung vom 18. November 1922 veröffentlicht wurde. Darin hebt Stalin ein wichtiges Detail hervor, nämlich dass die nationalen Sowjetrepubliken »als natürliches Ergebnis der Entwicklung der jeweiligen Nationalitäten entstanden sind und sich hauptsächlich auf nationale Merkmale stützen«. Man kann also sagen, dass die Völker, die diese Republiken nach der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution ausgerufen haben, in ihren Ländern heimisch waren und daher ganz natürlich das Recht hatten, ihre Zukunft selbst zu bestimmen.

Tatsächlich – und das ist besonders wichtig – folgt Stalin hier weiterhin seiner prinzipiellen Position, die er viereinhalb Jahre zuvor, gleich zu Beginn des April 1918, festgelegt hatte. Es ist sehr wichtig, auf diesen Punkt gesondert einzugehen. Stalin, in seiner Funktion als Volkskommissar für Nationalitäten in der von Lenin geleiteten Sowjetregierung, äußert in einem Gespräch mit den Mitarbeitern der Zeitung Prawda zum Thema »Die Organisation der Russischen Föderativen Republik«, dessen Text in den Ausgaben vom 3. und 4. April veröffentlicht wurde, seine wichtigsten Vorstellungen über das Wesen des entstehenden Sowjetföderalismus.

Worin besteht der grundlegende Unterschied zwischen dem sowjetischen Föderalismus und anderen Ländern mit einer föderalen Struktur? – Stalin fragt die Wahrheitsverkünder. Und er selbst antwortet:

Es darf nicht vergessen werden, dass die Kantone der Schweiz und die Staaten Amerikas nicht nach nationalen oder gar wirtschaftlichen Gesichtspunkten entstanden sind, sondern auf einer völlig zufälligen Basis.

Es ist also völlig umsonst, dass die heutigen Kritiker der national-​territorialen Struktur zunächst der Sowjetunion und dann des modernen Russlands die Tür aufstoßen und argumentieren, dass angeblich nirgendwo auf der Welt, außer in Russland, Föderationen nicht auf nationalem Charakter beruhen. Sie können nicht einfach aufgrund der Besonderheiten ihrer eigenen Geschichte so konstruiert worden sein!

Auch hier scheint Stalin auf solche »Kritiker« aus hundert Jahren Entfernung zu reagieren. Im Gegensatz zu anderen Staaten, sagt er, stellen in Sowjetrussland »die abgespaltenen Regionen (künftige Subjekte der Föderation. – O.C.) ganz bestimmte Einheiten in Bezug auf Leben und nationale Zusammensetzung dar«. So kommt Stalin zu dem Schluss, dass »die Russische Föderation kein Zusammenschluss einzelner autonomer Städte ist… oder Regionen im Allgemeinen … sondern ein Zusammenschluss bestimmter historisch isolierter Gebiete, die sich sowohl durch eine besondere Lebensweise als auch durch ihre nationale Zusammensetzung auszeichnen«.

Das Gleiche gilt für das gesamte Gebiet des zusammengebrochenen Russischen Reiches, in dem die indigenen Völker nach der Revolution ihre eigenen Staatsgebilde auf dem Boden ihrer historischen Siedlungsgebiete bildeten. Das Gleiche gilt – wir wiederholen es – für das gesamte Gebiet des zusammengebrochenen Russischen Reiches, in dem die indigenen Völker nach der Revolution ihre eigenen Staatsgebilde auf dem Land ihrer historischen Wohnsitze bildeten.

Und es ist diese objektive Realität und nicht die Erfindung von irgendjemandem, die die objektive Grundlage für den Föderalismus in unserem Land geschaffen hat, und Stalins Verständnis davon steht in vollem Einklang mit Lenins Positionen. Und dieselbe objektive Realität definiert die Einheit der Russischen Föderation in unseren schwierigen Tagen, und sie heute anzugreifen, wie es ein Haufen derselben völlig unverantwortlichen Abenteurer regelmäßig auf dem wichtigsten Fernsehkanal Rossia Eins tun, ist ein Angriff auf die Einheit Russlands selbst.

Und es ist ebenso offensichtlich, wir betonen noch einmal, dass Stalins Position zu allen Aspekten der nationalen Frage völlig mit der Lenins übereinstimmte und nie etwas mit seinen gerne kolportierten imperial-​nationalistischen Ansichten zu tun hatte. Dies wird durch die wichtigsten Aussagen Stalins in seinem Gespräch mit einem Korrespondenten der Prawda im November 1922, auf das wir nun zurückkommen, eindeutig bestätigt.

Um alle Versuche dieser möglichen Mitstreiter zu verhindern, die sich unter dem Einfluss der giftigen Dämpfe des Großmachtchauvinismus befanden, wiederholte Stalin, wie man sagt, mit Nachdruck: »Der Charakter der Union sollte freiwillig sein, völlig freiwillig, wobei jeder nationalen Republik das Recht zugestanden wird, aus der Union auszutreten«. Und dann: »Das Prinzip der Freiwilligkeit muss also die Grundlage des Vertrags über die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken sein.«

Wessen Worte sind das? Die von Lenin? Nein, das ist Stalins Standpunkt in der Schlüsselfrage der Gründung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, aber er ist völlig identisch mit dem von Lenin. Wer ist sich danach noch im Unklaren über Stalins Haltung zum Recht der Republiken, sich von der freiwillig gebildeten Union abzuspalten?!

Und dann, als ob er sich auf die heutigen Trauerexperten bezöge, die sich durch ein Missverständnis als »Historiker« bezeichnen, Stalin, der ein hervorragender Polemiker ist, als ob er die Situation absichtlich verschlimmern würde:

Die Abschaffung der nationalen Republiken wäre eine reaktionäre Absurdität… Das heißt, reaktionärer Eselismus, der selbst bei den Obskuranten des russischen Chauvinismus Einwände hervorruft.

Leider gibt es heute solche Obskuranten, wenn auch – wiederholen wir es noch einmal – in geringer Zahl, aber es gibt sie … Indem sie sich offen gegen die Existenz von Republiken sogar in der aktuellen russischen Verfassung aussprechen, schüren Personen wie der häufige Gast der Abende mit Wladimir Solowjow, der häufig in der Prawda erwähnt wird, der extreme Nationalist Sergej Michejew, einfach die Zwietracht zwischen den Völkern Russlands.

Solche und ähnliche, die vor 100 Jahren häufig in den Reihen der Weißgardisten und Konterrevolutionäre waren, schwiegen zwar zum Zeitpunkt der Gründung der UdSSR, aber unter den Bolschewiki gab es noch Zweifler. Am vierten Tag des historischen X. Allrussischen Sowjetkongresses, dem 26. Dezember, sprach Stalin im Namen der Parteiführung und des Präsidiums des Allrussischen Zentralen Exekutivkomitees der RSFSR mit seinem Bericht, als ob er sich erneut an diese Genossen wenden würde. Anders als in der Welt der bürgerlichen Demokratie, so Stalin, »haben wir es in unserer Föderation von nicht weniger als 30 Nationalitäten mit einem Prozess der Stärkung der staatlichen Bindungen zwischen unabhängigen Republiken zu tun, mit einem Prozess, der zu einer immer engeren Vereinigung unabhängiger Nationalitäten zu einem unabhängigen Staat führt!«

Vor uns liegt ein verblüffend überzeugendes Beispiel für die Anwendung der marxistischen Dialektik bei der Staatsbildung, wenn zuvor unabhängige Nationalitäten in einem einzigen Staat vereinigt werden, vorausgesetzt, wie Stalin betont, dass die »Freiheit der nationalen Entwicklung der Völker« weiterhin gewährleistet sei.

Die ersten beiden Absätze des Resolutionsentwurfs, den Stalin den Delegierten des Kongresses vorlegte, lassen keinen Zweifel an der völligen Einmütigkeit der höchsten Partei- und Sowjetführung der RSFSR über die Grundlagen des Aufbaus der künftigen Union – im Gegensatz zu allen falschen Behauptungen der heutigen sogenannten Kritiker:

1. Die Vereinigung der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik, der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik, der Transkaukasischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik und der Weißrussischen Sozialistischen Sowjetrepublik zur Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken als zeitgemäß anzuerkennen.

2. Der Grundsatz der Freiwilligkeit und der Gleichberechtigung der Republiken, wobei jede von ihnen das Recht der freien Sezession von der Union der Republiken behält, soll die Grundlage der Vereinigung bilden.

Die Resolution, die auf den ursprünglich von Lenin vorgeschlagenen und von Stalin voll unterstützten Grundsätzen beruht, wurde von den Delegierten des Zehnten Allrussischen Sowjetkongresses einstimmig angenommen.

Zwei Tage später, am 29. Dezember, prüfte und verabschiedete die Konferenz der bevollmächtigten Delegationen der RSFSR, UdSSR, ZSFSR und BSSR die Erklärung und den Vertrag über die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Die Konferenz beauftragte Stalin, auf dem Eröffnungskongress der Sowjets am 30. Dezember eine Rede zu halten. In einem kurzen Bericht »Über die Bildung der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken« legte Stalin die einstimmige Position der Sowjetkongresse aller vier Republiken dar. Am selben Tag beschloss der Erste Sowjetkongress der UdSSR einstimmig die Gründung unseres großen Staates – der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken. Es begann tatsächlich eine neue Ära in der Geschichte der Menschheit.

Der Artikel aus der Prawda wurde mit Hilfe von DeepL übersetzt, die Zitate Stalins auch, ggf. werden sie in Originalübersetzung nachgereicht

Bild: S. Karpow, »Die Völker der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, 1925.

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