Lie­ber zuhö­ren und nach­den­ken als ver­dam­men und strafen

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Immer noch inter­es­sie­ren sich zu vie­le Deut­sche für alter­na­ti­ve Medi­en, also »böse Feind­sen­der«, mei­nen deut­sche Poli­ti­ker – und wün­schen sich mehr Zen­sur. Und auch die EU sucht nach neu­en Mit­teln, um uner­wünsch­te Infor­ma­tio­nen fern­zu­hal­ten. Damit han­deln sie wie­der ein­mal sogar gegen die eige­nen Interessen.

Wir wol­len hier gar nicht erst von Mei­nungs­frei­heit anfan­gen – oder von der Erkennt­nis von Wahr­heit, die die Bereit­schaft vor­aus­setzt, Annah­men auch zu über­prü­fen. Auch nicht davon, dass es die unge­heu­re Men­ge des Ver­schwie­ge­nen ist, die erst den Platz für die so gefürch­te­ten alter­na­ti­ven Medi­en geschaf­fen hat. Oder davon, wie absurd und gera­de­zu aber­gläu­bisch die Vor­stel­lung ist, Infor­ma­tio­nen oder Reiz­wor­te könn­ten gan­ze Sys­te­me »dele­gi­ti­mie­ren«, wenn es nicht dane­ben die wirk­li­chen Wider­sprü­che in der rea­len Welt gäbe.

Nein, eigent­lich muss man sich mit etwas ganz ande­rem aus­ein­an­der­set­zen, weil die Kas­te der herr­schen­den Poli­ti­ker in Deutsch­land nach wie vor nicht begreift, was die Stun­de geschla­gen hat. Bli­cken wir in die Glo­bal Times vom 12. Dezember:

Die USA und eini­ge ande­re west­li­che Län­der wur­den ‚Bank­rot­teu­re‘ in der inter­na­tio­na­len Gemein­schaft. Sie wagen es, ihre Ver­spre­chen zu bre­chen, weil die west­li­che Hege­mo­nie mit den USA in der Mit­te sie schützt. Washing­ton hat schon vie­le ande­re west­li­che Län­der geka­pert, sich solch einer Hege­mo­nie anzu­schlie­ßen, und schafft und erhält eine ver­zerr­te inter­na­tio­na­le Ord­nung. Es lässt sich vor­her­se­hen, dass eini­ge, von den USA geführ­te west­li­che Län­der wei­ter­hin die soge­nann­ten Wer­te als Ent­schul­di­gung nut­zen wer­den, um ihre kol­lek­ti­ve Hege­mo­nie zu ver­tei­di­gen und ande­re unter eine inter­na­tio­na­le Regel und Ord­nung zu ihren Guns­ten zu zwin­gen. Solan­ge eine sol­che Domi­nanz besteht, wird die Welt wei­ter ein Opfer der Macht­po­li­tik sein, und kein Ort vol­ler Gerech­tig­keit und Fairness.

Das ist die – halb­of­fi­zi­el­le – chi­ne­si­sche Reak­ti­on auf Ange­la Mer­kels Ein­ge­ständ­nis, dass die Mins­ker Ver­ein­ba­run­gen jah­re­lang nur der Täu­schung Russ­lands dien­ten. In vie­len wei­te­ren Län­dern sieht die Reak­ti­on dar­auf nicht wesent­lich anders aus. Mer­kels Sät­ze waren ein öffent­li­ches Geständ­nis, wer den Krieg in der Ukrai­ne wirk­lich her­bei­ge­zo­gen hat. Und genau so wird das außer­halb des Wes­tens auch verstanden.

Auch ande­re Din­ge – wie etwa die Spren­gung der Nord Stream Pipe­lines – sind außer­halb der west­li­chen Infor­ma­ti­ons­bla­se kein Rät­sel. Und selbst wenn man sich ein­re­den kann, es wäre eine funk­tio­nie­ren­de Stra­te­gie, um die eige­ne Über­le­gen­heit noch ein wenig zu ver­län­gern, wenn an allen nur denk­ba­ren Orten rund um den Pla­ne­ten gezün­delt wird, vom Koso­vo bis Peru. Das führt nur dazu, den Brand­stif­ter für alle kennt­lich zu machen.

Wenn gro­ße Umbrü­che statt­fin­den – und das, was letz­te Woche zwi­schen Chi­na und Sau­di-Ara­bi­en gesche­hen ist, war ein gro­ßer Umbruch –, dann nützt es nichts, den Kopf unter die Decke zu ste­cken, sich die Ohren zuzu­hal­ten und ganz laut die Sprü­che von der »regel­ba­sier­ten Welt­ord­nung« auf­zu­sa­gen. Es ändert nichts an Ent­wick­lun­gen, die nicht mehr auf­zu­hal­ten sind. Und es trägt nicht dazu bei, einen Platz in die­ser neu­en Welt zu finden.

Alle Vor­her­sa­gen, ohne rus­si­sches Erd­gas wer­de es öko­no­mi­sche Pro­ble­me geben, wur­den im Früh­jahr als »rus­si­sche Pro­pa­gan­da« zurück­ge­wie­sen. Jetzt ist es »rus­si­sche Pro­pa­gan­da«, wenn man ange­sichts tat­säch­lich dro­hen­der Black­outs, ver­fins­ter­ter Städ­te und kal­ter Büro­räu­me dar­an erin­nert, dass es die von der EU beschlos­se­nen Sank­tio­nen sind, die die­sen Zustand aus­ge­löst haben. Doch das Eti­kett »rus­si­sche Pro­pa­gan­da« macht die­se Wahr­heit nicht weni­ger wahr. Es dient nur dazu, den­je­ni­gen am Erken­nen der Wahr­heit zu hin­dern, der im eige­nen Inter­es­se drin­gend auf die­se Wahr­heit ange­wie­sen wäre.

Es ist nicht all­zu schwer, eine Bilanz zu zie­hen, wel­che Bericht­erstat­tung wahr­haf­ti­ger war. Es genügt, das ver­gan­ge­ne Jahr in Augen­schein zu neh­men. Aber in Kri­sen­zei­ten ist der Umgang mit der Wahr­heit immer schwie­rig. Inso­fern ist die Ableh­nung, die einem Medi­um wie RT gegen­über exer­ziert wird, von der glei­chen Art wie die, auf die ehr­li­che Berich­te von Nach­rich­ten­diens­ten aus dem eige­nen Land sto­ßen. Nicht umsonst konn­te es auch im Mär­chen nur ein Kind sein, das den Kai­ser in sei­nen »neu­en Klei­dern« ein­fach nackt nen­nen konnte.

Die neo­li­be­ra­le Poli­tik ist am Ende. Sie hat die west­li­chen Gesell­schaf­ten öko­no­misch wie mora­lisch zer­fres­sen, um den Mil­li­ar­dä­ren ihre Macht zu erhal­ten. Aber man kann es gera­de in der Ukrai­ne (nein, eigent­lich in Russ­land, denn momen­tan fin­den alle Kämp­fe auf rus­si­schem Gebiet statt) in Gra­na­ten abzäh­len, dass die­se Macht nur noch auf töner­nen Füßen steht. Dar­an wer­den noch so vie­le Beschwö­run­gen trans­at­lan­ti­scher Ver­bun­den­heit nichts ändern, und die Arbeit von hun­der­ten soge­nann­ter NGOs wird den mora­li­schen Bank­rott nicht ver­de­cken können.

Es gibt einen Weg ins Nichts und einen Weg in die Zukunft. Der Weg ins Nichts wäre das Ergeb­nis einer noch hem­mungs­lo­se­ren Aus­wei­tung der gegen­wär­ti­gen Aus­ein­an­der­set­zung, der Griff nach nuklea­ren Waf­fen, um die so sicht­ba­re Nie­der­la­ge abzu­wen­den. Dass der Wes­ten dies tun könn­te, ist die Sor­ge des grö­ße­ren, des nicht­west­li­chen Teils auf die­ser Welt. Der ein­zi­ge Weg in die Zukunft setzt vor­aus, die eige­ne Nie­der­la­ge ein­zu­ge­ste­hen und Mög­lich­kei­ten zu suchen und zu fin­den, mit ande­ren auf Augen­hö­he umzu­ge­hen. Das müss­te sich aller­dings schon dar­an bewei­sen, all die Ermah­nun­gen und bis­he­ri­gen Erpres­sun­gen zu unter­las­sen, oder aber sich selbst auch Ent­spre­chen­des vom Bot­schaf­ter von, sagen wir ein­mal, Bur­ki­na Faso zu Her­zen zu nehmen.

Die EU wünscht sich in eine Höh­le, in der sie immer nur die eige­ne Stim­me und deren Wider­hall ver­neh­men muss, in die die Umbrü­che auf die­ser Welt nicht ein­drin­gen. Fast die gesam­te deut­sche Poli­tik- und Medi­en­land­schaft hat sich dar­auf ein­ge­schwo­ren. Wenn die Mau­er, mit der die Höh­le geschlos­sen wird, dick genug ist, dringt kein stö­ren­der Laut mehr hinein.

Der Weg in die Zukunft ist kein leich­ter. Weil es eine Sache ist, der Bevöl­ke­rung »Will­kom­mens­kul­tur« zu ver­ord­nen, aber eine ganz ande­re Sache, die Völ­ker der Welt tat­säch­lich nicht län­ger wie ein Kolo­ni­al­herr zu behan­deln. Aber solan­ge es die­se stö­ren­den Stim­men gibt, die die erstreb­te Abschot­tung mit die­sen ner­vi­gen Wahr­hei­ten durch­bre­chen, besteht Hoff­nung. Was all die Über­le­gun­gen, wie man RT DE und wei­te­re Stö­ren­frie­de aus der west­li­chen Bla­se ver­ban­nen könn­te, nicht auf­neh­men, ist, was es bedeu­ten wür­de, wenn die­se Bemü­hun­gen tat­säch­lich ein Ende fänden.

Denn sogar, wenn fast alle diplo­ma­ti­schen Gepflo­gen­hei­ten vom Wes­ten in den ver­gan­ge­nen Jah­ren erfolg­reich abge­streift wur­den und wenn das Ver­trau­en in den Wes­ten, wie das obi­ge Zitat belegt, mitt­ler­wei­le auf null geschrumpft ist: Solan­ge der Ver­such fort­ge­setzt wird, die Men­schen inner­halb die­ser Bla­se zu errei­chen, ist die Hoff­nung nicht end­gül­tig auf­ge­ge­ben. Das bedeu­tet auch, wenn man es in die har­ten Wor­te der mate­ri­el­len Wirk­lich­keit über­setzt, dass der Nie­der­gang, der aus Über­heb­lich­keit ein­ge­lei­tet wur­de, nicht end­gül­tig sein muss.

Soll­te es aber dazu kom­men, dass Russ­land und ande­re Län­der selbst die­se Bemü­hun­gen ein­stel­len, hie­ße das, dass die Staa­ten des Wes­tens samt ihrer Bevöl­ke­run­gen auf­ge­ge­ben wer­den. Dass der gesam­te Wes­ten hin­ter sei­ner selbst errich­te­ten Ummaue­rung ver­rot­ten kann. Das ist der Zustand, auf den all die Zen­sur­be­mü­hun­gen, die Sank­tio­nie­run­gen von Jour­na­lis­ten, all die immer wei­ter über­dreh­ten Maß­nah­men hin­ar­bei­ten, ohne zu erken­nen, dass das, was sie anstre­ben, nicht die Mil­li­ar­den außer­halb die­ser Mau­er ver­dam­men kann, son­dern die eige­nen Mil­lio­nen innerhalb.

Inzwi­schen wird in Deutsch­land ernst­haft debat­tiert, ob nicht auch jede wis­sen­schaft­lich-kul­tu­rel­le Kom­mu­ni­ka­ti­on mit Russ­land ein­ge­stellt wer­den soll­te. Es erfor­dert nicht viel Fan­ta­sie, Glei­ches für den bal­di­gen Umgang mit Chi­na vor­her­zu­sa­gen. Das Ergeb­nis wäre im güns­tigs­ten Fal­le ein geis­ti­ger Still­stand hier­zu­lan­de. Da aber die öko­no­mi­schen Per­spek­ti­ven mit »schlecht« noch beschö­nigt wären, wird es nicht beim Still­stand blei­ben. Ein erfolg­reich abge­schot­te­ter Wes­ten wäre auf dem Weg in neue dunk­le Jahr­hun­der­te; wür­de zum abge­le­ge­nen rück­stän­di­gen Anhäng­sel, in dem die Pro­duk­ti­vi­tät weit ins ver­gan­ge­ne Jahr­tau­send zurück­fällt, wäh­rend der Rest der Mensch­heit zu den Ster­nen fliegt.

Noch vor drei­ßig Jah­ren waren die Afri­ka­ner, die sich auf den Weg nach Euro­pa mach­ten – gleich, auf wel­che Art und Wei­se –, die am bes­ten gebil­de­ten. Und sie woll­ten meist an euro­päi­sche Uni­ver­si­tä­ten, auch wenn das vie­len nicht gelang. Wenn heu­te die Analpha­be­ten nach Euro­pa kom­men, liegt das nicht dar­an, dass der Bil­dungs­stand in afri­ka­ni­schen Län­dern gesun­ken wäre. Aber die Gebil­de­ten haben längst ein ande­res Ziel. Sie gehen nach Chi­na. Kei­ne hie­si­ge Will­kom­mens­kul­tur wird dar­an noch etwas ändern.

Deutsch­land, Euro­pa und der gan­ze Wes­ten sind dabei, sich selbst abzu­hän­gen. Jede Infor­ma­ti­on, die die­sen Wahn durch­bre­chen könn­te, ist eine Hil­fe­stel­lung. Nur, wenn bis in die Köp­fe noch vor­drin­gen kann, wie der Rest der Welt denkt, fühlt und han­delt, ist es mög­lich, noch umzu­steu­ern. Dabei ist es ganz gleich, ob das nun von oben oder von unten geschieht. Zuzu­hö­ren und nach­zu­den­ken wäre weit eher im deut­schen und euro­päi­schen Inter­es­se, als abzu­schal­ten, zu ver­dam­men und zu strafen.

Denn eines ist klar: auch wenn es in klas­si­schen Tra­gö­di­en die Hybris ist, die den Sturz des Hel­den ein­lei­tet, heißt das noch lan­ge nicht, dass jeder, der über sei­ne Über­heb­lich­keit stürzt, ein tra­gi­scher Held ist. Weit öfter ist er nur ein Narr.

Dag­mar Henn ist Mit­glied des Deut­schen Frei­den­ker-Ver­ban­des, von des­sen Web­site frei​den​ker​.org der Arti­kel über­nom­men wur­de. Erst­ver­öf­fent­li­chung am 15.02.2022 auf RT DE

Bild: Kitaev Akh­med Ibadul­lo­vich »Abend­schu­le« 1955 (https://t.me/SocialRealm)

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