Die Frei­heit des Mar­tin Schirdewan

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Ein Inter­view mit Mar­tin Schir­de­wan in der Welt zum The­ma Frei­heit lässt auf­hor­chen. Mar­tin Schir­de­wan bekennt sich in die­sem Inter­view zu den staat­li­chen Coro­na­maß­nah­men als Aus­druck von Freiheit:

Lin­ke Frei­heit erwächst auch dar­aus, dass man Ver­ant­wor­tung für­ein­an­der über­nimmt. Zum Bei­spiel die Frei­heit, sich nicht anste­cken las­sen zu müs­sen. Imp­fun­gen, Abstands­re­geln und Mas­ken­pflicht haben vie­le Leben gerettet.

Liest man die­ses Inter­view, bleibt man ver­wirrt zurück. Zunächst die for­ma­le Betrach­tung: Die Fra­gen schei­nen aus dem Zusam­men­hang gegrif­fen. Es ist kein Gespräch, in dem die Gesprächs­part­ner sich auf­ein­an­der bezie­hen, son­dern Mar­tin Schir­de­wan arbei­tet einen Fra­gen­ka­ta­log ab, der ihm vor­ge­legt wur­de. So steht jede Fra­ge und jede Ant­wort für sich. Nach­fra­gen und Ver­tie­fun­gen gibt es nicht.

Inhalt­lich fällt die Inkon­sis­tenz von Mar­tin Schir­de­wans Ant­wor­ten auf. Wie­so über­nimmt ein Mensch Ver­ant­wor­tung, wenn er die schein­bar »lin­ke Frei­heit« sich nicht anste­cken las­sen zu müs­sen in Anspruch nimmt. Die Coro­na­maß­nah­men sind für ihn an die­ser Stel­le Aus­druck von Frei­heit, wäh­rend er ein paar Sät­ze spä­ter sagt: »Ich fin­de, dass der Staat sowie­so sehr zurück­hal­tend sein muss, wenn es um Bevor­mun­dung geht … Die Frei­heit ist immer die Frei­heit des Andersdenkenden.«

Sind denn die staat­li­chen Coro­na­maß­nah­men kei­ne Bevor­mun­dung des Staa­tes? Mar­tin Schir­de­wan klam­mert sich an die Ver­ir­rung der Lin­ken in der Coro­na­kri­se. Wenn er wenigs­tens zuge­ben wür­de, dass er die 1,8 Bil­lio­nen Euro begrüßt, die die EU zur Unter­stüt­zung der Staa­ten auf­ge­nom­men hat. Geld, das nicht nur die direk­ten Fol­gen der Lock­downs abfe­dern soll­te, son­dern in gro­ßem Maß­stab in Digi­ta­li­sie­rung und erneu­er­ba­re Ener­gien inves­tiert wer­den soll. Das wäre doch ganz im Sin­ne der poli­ti­schen Ideen der Par­tei der Lin­ken. Schließ­lich betont er, dass Frei­heit ohne die not­wen­di­gen sozia­len und wirt­schaft­li­chen Vor­aus­set­zun­gen nicht mög­lich sei. Aber nein, er hält nicht nur dar­an fest, dass die Coro­na­maß­nah­men, die viel­fäl­ti­ge Lei­den für Alte, Kin­der, Fami­li­en usw. mit sich gebracht haben, sinn­voll waren, son­dern er ver­steigt sich dar­ein, dass es um die Frei­heit der Men­schen geht. Zwangs­maß­nah­men als Aus­druck »lin­ker Frei­heit« zu bezeich­nen dis­qua­li­fi­ziert die Par­tei der Lin­ken end­gül­tig als wähl­ba­re Alter­na­ti­ve. Die Ver­lo­gen­heit die­ser Argu­men­ta­ti­on ist kaum zu über­bie­ten. Die Lüge hat er auf dem Par­tei­tag der Lin­ken öffent­lich vor­ge­führt: Die Mas­ke setz­te er auf dem Weg zum Red­ner­pult erst kurz vor der Büh­ne auf, um sie dann publi­kums­wirk­sam abzunehmen.

Am Libe­ra­lis­mus stö­re ihn am meis­ten, dass er zur ideo­lo­gi­schen Phra­se ver­kom­men sei. Und dann kommt an zwei­ter Stel­le, dass der Libe­ra­lis­mus die mate­ri­el­len Grund­la­gen igno­rie­re, die man bräuch­te, um Frei­heit aus­üben zu kön­nen. Das wirft die Fra­ge auf, ob der Libe­ra­lis­mus für ihn in Ord­nung wäre, wäre er nicht zur ideo­lo­gi­schen Phra­se ver­kom­men. Demo­kra­ti­schen Sozia­lis­mus redu­ziert er auf einen Zustand, in dem die ärme­ren Men­schen end­lich aus­rei­chend kon­su­mie­ren kön­nen. Und auf die Fra­ge, ob er im Win­ter für die Frei­heit frie­ren wür­de, schiebt er die Ver­ant­wor­tung uni­so­no, wie alle bür­ger­li­chen Poli­ti­ker, der Poli­tik der vori­gen Bun­des­re­gie­run­gen zu. Auf die Idee, die aktu­el­le Bun­des­re­gie­rung in die Pflicht zu neh­men und von ihr zu for­dern, sich für Frie­den ein­zu­set­zen und für Ener­gie­si­cher­heit zu sor­gen, kommt er nicht. Er erwar­tet von jedem ein­zel­nen, sein Ver­hal­ten anzu­pas­sen und wenn er davon redet, dass die Regie­rung Ver­ant­wor­tung über­neh­men soll, wird er in kei­ner Wei­se kon­kret, was er damit meint.

»Die Frei­heit des Ein­zel­nen steht dann über der Gemein­schaft, wenn es dar­um geht, sich aus­zu­drü­cken«, sag­te Schir­de­wan. Es ist die Frei­heit der Gedan­ken und der Rede und nicht die Frei­heit des Han­delns, die er somit pro­kla­miert. »Frei­heit ist gege­ben, wenn ein Mensch frei (Ach­tung Tau­to­lo­gie) und in Wür­de leben kann.« Er ergänzt, dass die sozia­len und wirt­schaft­li­chen Vor­aus­set­zun­gen dafür gege­ben sein müss­ten. Ein Blick ins Lexi­kon defi­niert Frei­heit als »Zustand, in dem jemand frei von bestimm­ten per­sön­li­chen oder gesell­schaft­li­chen, als Zwang oder Last emp­fun­de­nen Bin­dun­gen oder Ver­pflich­tun­gen, unab­hän­gig ist und sich in sei­nen Ent­schei­dun­gen o. Ä. nicht ein­ge­schränkt fühlt.« Im Grund­ge­setz erfährt die Frei­heit ein paar Einschränkungen:

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Ent­fal­tung sei­ner Per­sön­lich­keit, soweit er nicht die Rech­te ande­rer ver­letzt und nicht gegen die ver­fas­sungs­mä­ßi­ge Ord­nung oder das Sit­ten­ge­setz ver­stößt. (2) Jeder hat das Recht auf Leben und kör­per­li­che Unver­sehrt­heit. Die Frei­heit der Per­son ist unverletzlich.

Eine zusätz­li­che Ein­schrän­kung des Frei­heits­be­griffs auf »Lin­ke Frei­heit« ist ein Novum. Und als Lin­ker muss man sich für die­se Begriffs­schöp­fung schä­men. Der Begriff »Lin­ke Frei­heit« hat etwas Will­kür­li­ches, Into­le­ran­tes. Er hat den Impe­tus, dass Frei­heit nach dem Ansin­nen der Lin­ken gewährt wird. Zumal es bei den Coro­na­maß­nah­men tat­säch­lich nicht um Maß­nah­men ging, die die Teil­ha­be der Men­schen am wirt­schaft­li­chen Gesche­hen aus­wei­te­ten, son­dern um Ein­schrän­kun­gen ganz per­sön­li­cher, inti­mer Lebens­be­rei­che. Sol­che Ein­schrän­kun­gen in die per­sön­li­che Frei­heit sind durch nichts zu rechtfertigen.

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2 thoughts on “Die Frei­heit des Mar­tin Schirdewan

  1. Wenn Coro­na eine so gefähr­li­che Krank­heit wäre, wie von »oben« behaup­tet, wäre es natür­lich ein Aus­druck von Frei­heit, durch bestimm­te Maß­nah­men die Infek­ti­ons­ket­te zu bre­chen. Doch 1. war Coro­na nicht gefähr­li­cher als eine schwe­re Grip­pe und 2. waren vie­le der Lock­down­maß­nah­men ein­fach gaga. Ich will damit sagen, dass die Hal­tung zu einer Sache immer mit der Ana­ly­se des Pro­blems, d.h. der Rea­li­tät, begin­nen muss. Das ist mate­ria­lis­tisch. Eine Hal­tung oder eine Posi­ti­on »an sich« als falsch usw. dar­zu­stel­len, kann schnell in die Irre füh­ren. Vor­wer­fen muss man Schir­de­wan und der Lin­ken v.a., dass sie es unter­las­sen haben, irgend­et­was zu ana­ly­sie­ren und qua­si in vor­aus­ei­len­dem Gehor­sam den Wahn­sinn der Coro­na-Poli­tik der Regie­rung mitzumachen.

    1. Im Grund­satz stim­me ich dir zu. Ich glau­be jedoch nicht, dass sich die Füh­rung der Par­tei der Lin­ken genau wie die Spit­zen­po­li­ti­ker aller ande­ren Par­tei­en nicht voll­kom­men über die wah­ren Hin­ter­grün­de die­ser »Pan­de­mie« im Kla­ren sind. Die ein­fa­chen Mit­glie­der glau­ben viel­leicht tat­säch­lich, dass es um den Schutz vor Krank­heit und Über­las­tung des Gesund­heits­we­sen geht. Wir wis­sen es nicht.
      Ich habe mich von Anfang an gefragt, war­um ins­be­son­de­re »lin­ke« Par­tei­en und Regie­run­gen sich so inten­siv um die Ein­hal­tung der Maß­nah­men bemüht haben, wäh­rend kon­ser­va­ti­ve Regie­run­gen oft­mals schnel­ler von den Maß­nah­men abge­rückt sind. Dabei bin ich zu dem Schluss gekom­men, dass die Coro­na­maß­nah­men tem­po­rä­re Aus­gleichs­maß­nah­men für die Aus­wei­tung der Geld­men­ge dar­stel­len sol­len. Die Aus­wei­tung der Geld­men­ge ist m.E. ein Ergeb­nis der Agen­da 2030, die Ener­gie­er­zeu­gung auf erneu­er­ba­re Ener­gien umzu­stel­len. Dies erfor­dert rie­si­ge Inves­ti­tio­nen. Nach mei­nen Beob­ach­tun­gen ist genau die­ser Teil der Coro­na­maß­nah­men für Lin­ke attrak­tiv. Die Fra­ge ist berech­tigt, war­um Aus­gleichs­maß­nah­men gebraucht wer­den. So wird die kon­sump­ti­ve Nach­fra­ge und die Dienst­leis­tungs­nach­fra­ge ein­ge­schränkt. Inves­ti­tio­nen in die­sen Berei­chen unter­blei­ben. Mit­tel und Arbeits­kräf­te wer­den in die Berei­che umge­lei­tet, die geför­dert wer­den sol­len. Auf mei­nen Rei­sen durch Ost­eu­ro­pa in den letz­ten drei Jah­ren und wir haben es auch in Deutsch­land gese­hen, bin ich auf rie­si­ge bau­stel­len und Inves­ti­ti­ons­vor­ha­ben gestoßen(Banhöfe, Stra­ßen, Gebäu­de). Und das waren nur die sicht­ba­ren Inves­ti­tio­nen. Das ist natür­lich ein rie­si­ger Nach­fra­ge­schub und hat sicher dazu bei­getra­gen, dass es erstaun­li­cher­wei­se trotz der Coro­na­maß­nah­men einen gro­ßen Fach­kräf­te­man­gel gibt. Nur kann das nicht gut­ge­hen, weil allei­ne das Geld schafft noch kei­ne Res­sour­cen mit denen Inves­ti­tio­nen getä­tigt wer­den kön­nen. Wir hat­ten im Jahr 2020 z.B. eine plötz­lich anstei­gen­de Nach­fra­ge nach Holz. Bei uns im Tau­nus ist der »hal­be« Wald abge­holzt wor­den. Das Holz wur­de rela­tiv zügig ver­kauft. Angeb­lich Käfer­holz. Ich habe Fotos gemacht. Das sah alles ziem­lich gesund aus. Und war­um stei­gen die Prei­se, wenn so viel Holz abge­holzt wird? Und so trifft welt­weit eine stei­gen­de Inves­ti­ti­ons­nach­fra­ge auf ein sin­ken­des Ange­bot. Des­halb die infla­tio­nä­ren Ten­den­zen. Der Nega­tiv­zins­satz hat die Kre­dit­auf­nah­me ver­ein­facht. Und man konn­te schön beob­ach­ten, wie die Coro­na­maß­nah­men in vie­len Län­dern gleich­zei­tig oder kurz im Anschluss an die Zins­er­hö­hun­gen fie­len. Auch im Euro­raum siehst du es: nach­dem die EZB die Zin­sen erhöht hat, fal­len in Frank­reich und Öster­reich die Coro­na­maß­nah­men. Auch Chi­na hat wäh­rend des für uns kaum nach­voll­zieh­ba­ren letz­ten Lock­down die Geld­men­ge aus­ge­wei­tet. – Ein Neben­satz in einem FAZ-Arti­kel wies mich dar­auf hin.
      Die New Mone­ta­ry Theo­ry gibt den Prot­ago­nis­ten die­ser Agen­da eine schein­ba­re öko­no­mi­sche Legi­ti­ma­ti­on. Nach die­ser Theo­rie muss das Geld, das geschaf­fen wur­de, um tem­po­rär die Geld­men­ge und Nach­fra­ge aus­zu­wei­ten, wie­der ein­ge­sam­melt wer­den. Und an dem Punkt ste­hen wir gera­de in die­ser Geschich­te. Hier tre­ten nun die Wider­sprü­che auch in der Ampel­ko­ali­ti­on zuta­ge. Und die Par­tei der Lin­ken sitzt in den Start­lö­chern, um zu ver­hin­dern, dass das Geld bei der Bevöl­ke­rung und nicht wie in ande­ren euro­päi­schen Län­dern von den Gewin­nen der Unter­neh­men ein­ge­sam­melt wird.
      Nicht falsch ver­ste­hen. Ich hal­te solch ein Vor­ge­hen nicht für rich­tig. Weder die Coro­na­maß­nah­men, noch die Geschwin­dig­keit mit der in erneu­er­ba­re Ener­gien inves­tiert wird noch die Aggres­si­vi­tät die seit dem Beginn des Ukrai­ne­kriegs in die­ses The­ma getra­gen wird, über­zeu­gen mich. Im Gegen­teil: Für mich wird dadurch der Zusam­men­hang zwi­schen den Kli­ma­zie­len und den geo­stra­te­gi­schen Zie­len des »Wer­te­wes­tens« nur noch klarer.

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