Dem Frieden im Weg oder zum Elend der heutigen Friedensbewegung

Das anlässlich des Krieges in der Ukraine von Bundestag und Bundesrat genehmigte 100‐​Milliarden‐​Euro‐​Aufrüstungspaket für die Bundeswehr ist Gegenstand einer am 2. Juli in Berlin stattfindenden Kundgebung, die sich anschickt, unter dem Motto »100 Milliarden für eine demokratische, zivile & soziale Zeitenwende« gegen jenes Aufrüstungspaket zu mobilisieren. Der Unterstützerkreis reicht von attac, über IALANA und DFG bis hin zur Linksjugend und zur DKP. Zentrales Anliegen der Initiative ist, wie der Name schon vermuten lässt, »die Umwidmung der Mittel [des Aufrüstungspakets, Anm.d.Verf.] zum Ausbau des Sozialstaats«, das heißt »massive öffentliche Investitionen und dauerhafte Ausgabenerhöhungen für Soziales, Gesundheit, Bildung, Kultur und Klima«, oder konkreter: »je 20 Milliarden in die öffentliche Energie‐ und Verkehrsinfrastruktur, in die Sanierung von Schulen und Hochschulen, in den personellen Ausbau des Gesundheitswesens, in sanktionsfreie soziale Mindestsicherungen und in die Förderung von Museen, Theatern, Kinos und Bücherhallen«.

Das klingt ja alles ganz hübsch und nett, doch man fragt sich, warum ausgerechnet eine Bundesregierung, der in der militärischen wie wirtschaftlichen Kriegsführung gegen Russland jedes Mittel recht ist, sogar die Wiederinbetriebnahme der von den Grünen sonst bei jeder Gelegenheit verteufelten Braunkohlekraftwerke, sich veranlasst sehen sollte, plötzlich von dem eben noch euphorisch gefeierten Aufrüstungsprogramm abzulassen. Hier wird man schließlich auch des Elefanten im Zimmer gewahr, über den sich der Zeitenwende‐​Aufruf geradezu peinlich ausschweigt: die Sanktionen gegen Russland.

Die sind nämlich die Erklärung dafür, was in der nächsten Zeit auf uns zukommen wird und sich schon jetzt sehr handgreiflich bemerkbar macht: Massive Teuerungen elementarer, lebensnotwendiger Güter, eine Energiekrise epochalen Ausmaßes, der Zusammenbruch ganzer Wirtschaftszweige, galoppierende Arbeitslosenzahlen etc.pp. Selbst die geforderten 100 Milliarden »für Soziales, Gesundheit, Bildung, Kultur und Klima« nähmen sich verglichen damit wie der Tropfen auf dem heißen Stein oder wie Opium aus, das zwar die Schmerzen vorrübergehend lindern, die Krankheit aber keineswegs heilen kann.

Aber warum dieses Setzen auf Forderungen und Losungen, die keine Wirkmacht entfalten können, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind, wiewohl sie subjektiv ernst gemeint sein mögen? Um eine mögliche Antwort auf diese Frage zu finden, soll im Folgenden die Geschichte der westlichen Friedensbewegung der letzten 50 – 60 Jahre kurz rekapituliert werden.

Das zentrale Thema der Friedensbewegung der 60er und frühen 70er Jahre war der Vietnamkrieg. Sofort drängen sich einem Bilder von »Ho‐​Ho‐​Ho Chi Minh« rufenden Schüler‐ und Studentenchören, »Flower Power«-Hippies, »Make Love, Not War«-Wohnmobilen, John Lennons »Imagine« und natürlich Kim Phúc, das vor einem Napalm‐​Angriff fliehende kleine Mädchen, deren Foto um die Welt ging, auf. Rückblickend wird gern erzählt, dass die Verbindung aus Hippie‐ und Studentenbewegung sowie Soldaten, die sich nicht länger für einen sinnlosen Krieg verheizen lassen wollten, für einen Stimmungsumschwung in den USA gesorgt und so zum Ende des Krieges maßgeblich beigetragen hätte.

Das stimmt nur bedingt. Tatsächlich entwickelte sich Vietnam mehr und mehr zu einem »Quagmire« (Sumpf), der nicht nur unzählige Soldaten, sondern auch Unsummen an Dollar verschlang. Dadurch geriet das 1944 von den USA installierte goldgedeckte Bretton‐​Woods‐​System, das Amerika weltpolitisch eine Vormachtstellung verschaffen sollte (angestrebter Unipolarismus), ins Wanken (1973 scheiterte es tatsächlich endgültig und machte dem Petrodollar Platz). Dass nicht die gesamte Monopolkapitalistenklasse der USA bereit war, dieses Risiko einzugehen, sollte von daher nicht verwundern.

Der Vietnamkrieg verursachte zudem einen starken internationalen Reputationsverlust und stand der Strategie, den kommunistischen Feind durch »tödliche Umarmung«, die wirtschaftliche, politische und kulturelle Aspekte besaß, in die Knie zu zwingen, im Wege. Otto Winzer, damaliger Minister für Auswärtige Angelegenheiten der DDR, prägte in Bezug auf die sozialliberale Ostpolitik, für die ähnliche Motive mit – wenn auch nicht allein – ausschlaggebend waren, à la Brandt und Scheel dafür den Begriff des »Imperialismus auf Filzlatschen«.

Die Tatsache, dass sich ein bedeutender Teil der Anti‐​Vietnamkrieg‐​Bewegung im Westen, insbesondere aber in den USA und Westdeutschland, aus breiten Schichten des akademischen Kleinbürgertums, aus der intellektuellen und kulturellen »Elite« des jeweiligen Landes, weniger aber aus der Arbeiterklasse rekrutierte, sollte nicht als isoliertes Phänomen, sondern im Kontext des eben Geschilderten gelesen werden. Zugespitzt formuliert: Unabhängig von den subjektiven Motiven ihrer Mitglieder spielte die Bewegung gegen den Vietnamkrieg objektiv einerseits die Funktion, den Fraktionen des Monopolkapitals, die ein Interesse an der Beendigung des Krieges hatten, eine gewisse Massenbasis zu bescheren. Andererseits war die sich hier parallel anbahnende, dem die Atomisierung der Gesellschaft forcierenden neoliberalen Zeitalter vorgreifende »kulturelle Revolution« (Stichwort antiautoritäre Erziehung, sexuelle Befreiung usw.) samt ihrer popkulturellen Erzeugnisse ein herausragendes Mittel im Propagandakrieg gegen die staatlich organisierte Arbeiterbewegung der Sowjetunion und ihrer europäischen Verbündeten.

Vergleichen wir die Bewegung gegen den Vietnamkrieg mit der gegen den Koreakrieg Anfang der 50er Jahre. Dort gab es keine relevanten Segmente des bürgerlichen Staatsapparats, die sich direkt oder indirekt hinter die Proteste gestellt hätten; abgesehen von vereinzelten Intellektuellen – vorwiegend Naturwissenschaftlern, die vor den Folgen einer möglichen nuklearen Auseinandersetzung warnten – war es ganz überwiegend der Arbeiterbewegung, namentlich der kommunistischen, vorbehalten, den Widerstand gegen einen Krieg zu organisieren, der direkte, militärische Systemauseinandersetzung zwischen Imperialismus und Sozialismus war. 15 Jahre später, als es um Vietnam ging, ordnete sich diese kommunistische Bewegung mehr oder weniger einem weitgehend liberal dominierten Widerstand unter, der – bewusst oder unbewusst – seine eigene Agenda verfolgte.

Dieser Trend setzte sich nach dem Vietnamkrieg bis in die späten 80er Jahre fort. In dieser Zeit (Ende der 60er bis Ende der 80er Jahre) wurden die späteren Protagonisten der Kriegstreiber gegen Russland und China politisch sozialisiert: In den USA die Demokraten mit den Clintons an der Spitze, in Deutschland die ganze Riege der Grünen. Die Friedensbewegung ging mit ihrem Gegenteil schwanger, doch noch war das Kind nicht geboren. Dazu musste zuerst die Sowjetunion niedergerungen werden. Reagans Aufrüstungsspirale und der Krieg in Afghanistan gegen die US‐​gesponserten Mudschaheddin allein hätten das nicht vermocht. Die Spitze der KPdSU musste auch ideologisch vor dem Westen kapitulieren, was dann mit Gorbatschow schließlich geschah. Der Imperialismus auf Filzlatschen mit seinem verlockenden Angebot nach Weltfrieden und Annäherung der Systeme siegte. Nur sah das, was bereits unmittelbar folgte, überhaupt nicht nach Weltfrieden aus.

Die Abwicklung des Sozialismus in der Sowjetunion und Osteuropa 1989 – 1991 wurde begleitet vom Zweiten Golfkrieg, dem sich in Europa die Jugoslawienkriege, in Zentralasien der Afghanistankrieg, dann der Irakkrieg (Dritte Golfkrieg), der Libyenkrieg, der Syrienkrieg und eine Unzahl weiterer Kriege anschlossen, als deren Aggressoren jedes Mal NATO‐​Staaten mit den USA an der Spitze auftraten. Einen sozialistischen Block, der diesen angegriffenen »Peripherie«-Staaten militärisch oder politisch‐​ökonomisch hätte zu Hilfe eilen können, gab es nicht mehr.

Wie reagierte die Friedensbewegung auf diese veränderte Situation? Mit jedem neuen Krieg (abgesehen vielleicht vom Irakkrieg) spaltete und verzwergte sie sich aufs Neue. Aus vielen einstigen Kämpfern für den Frieden wurden Advokaten imperialistischer Angriffskriege, denn schließlich galt es doch, Menschenrechte herbeizubomben und herbei zu sanktionieren sowie Reinkarnationen Hitlers (Saddam, Milošević, Gaddafi, Assad) zu verhindern – alles im Namen des Antifaschismus, versteht sich (Joschka Fischer: Uranbomben auf Belgrad werfen, das sich an den Bombenterror der Wehrmacht nur zu gut erinnern konnte, weil »nie wieder Auschwitz«).

Zugleich ist dem Westen mit China aber ein neuer, ernstzunehmender Konkurrent herangewachsen und auch Russland hat sich vom Desaster der 90er Jahre weitestgehend erholen können. In einer gemeinsamen Allianz, der sich eine steigende Zahl an Entwicklungs‐ und Ländern der Dritten Welt angeschlossen hat und weiter anschließt, bieten diese beiden Staaten dem seit 2007/​2008 in einer chronischen Verwertungskrise steckenden und von wachsender sozialer, politischer und kultureller Verelendung betroffenen Westen zunehmend Paroli. Seit 2022 wird dieser globale Konflikt als Stellvertreterkrieg in der Ukraine offen ausgetragen, über dessen Hintergründe ich in chronologischer Form bereits an anderer Stelle berichtete. Dieser Krieg lässt sich gut mit dem Koreakrieg der 50er Jahre vergleichen: Bei beiden handelt es sich im Kern um militärisch ausgetragene Konflikte unvereinbarer Gesellschaftssysteme, nur, dass dem Imperialismus dieses Mal eine Vielzahl an gesellschaftlichen Systemen gegenübersteht, deren gemeinsamer Wille sich auf die Beendigung des kolumbianischen Zeitalters und die Errichtung einer multipolaren Weltordnung konzentriert.

Eine Friedensbewegung, die sich auf diese veränderten Umstände nicht einzustellen vermag, ist dem Tode geweiht. Das linksliberal‐​linksgrüne Lager, das sich in den letzten drei Jahrzehnten vor der kapitalistischen Restauration 1990 vielleicht noch als Bündnispartner gegen Krieg und gegen imperialistische Einmischung anbot, ist heute selbst politisch‐​ideologischer Hauptfeind aller Kräfte, die aufrichtig für Frieden, Fortschritt, Humanismus und Antifaschismus einstehen. Bündnispolitische Rücksichtnahme auf Kräfte, die sich von einem Aufruf abgeschreckt fühlen könnten, in dem nicht gegendert wird, der nicht das linksistische »Vaterunser« herunterbetet, der dafür aber überhaupt und an erster Stelle auf die selbstmörderischen Sanktionen gegen Russland eingeht und sich traut, den eigentlichen Aggressor, also die NATO, klar zu benennen, kann de facto nur auf eine Vereinigung irrelevanter, von den realen Sorgen, Ängsten und Nöten der breiten Bevölkerung losgelöster Politsekten hinauslaufen, auf die der Gang der Weltgeschichte keine Rücksicht nehmen wird.

Die Losungen, unter denen sich eine zeitgemäße Friedensbewegung zu sammeln hätte, lassen sich auf drei Punkte beschränken:

Schluss mit den Sanktionen gegen Russland!

Frieden mit Russland und China!

Deutschland raus aus der NATO – NATO raus aus Deutschland! Neutralität jetzt!

Bild: Ostermarsch in Hof (Saale) am 16.04.2022. Der Friedensmarsch begann an der Marienkirche und wanderte nach circa 4 – 5 Redenden zum Wittelsbacher Park, wo die Statue und die Umgebung mit Friedenselementen versehen wurden. Thema war unter anderen der russische Überfall auf die Ukraine 2022. Beginn war etwa um 11 Uhr Ortszeit an der Marienkirche, Ende etwa gegen 12:15 Uhr im Wittelsbacher Park. Hier sieht man eine Friedensfahne im Wittelsbacher Park (PantheraLeo1359531 CC BY 4.0) – Bildbeschreibung im Original belassen zur zusätzlichen Illustrierung des im Artikel angesprochenen

4 thoughts on “Dem Frieden im Weg oder zum Elend der heutigen Friedensbewegung

  1. Warum nur Deutschland raus aus der NordAtlantischenTerrorAllianz?

    BITTE DOCH: Europa raus aus der NATO, NATO raus aus Europa !

    Für Frieden und Völkervereständigung, Ami go home, wir boykottieren den Dollar !

    1. Es gibt kein »Europa«, das sich entschließen könnte, aus der NATO aufzutreten – nur einzelne Mitgliedstaaten, die, wie wir es für Deutschland erzwingen müssen, ihren Austritt vollziehen können. Damit würde der Rausschmiss der US‐​Soldaten und ‑Atombomben einhergehen. Wenn das alle einzelnen US‐​geführten NATO‐​Vasallenstaaten tun würden, würde die NATO schließlich aufgelöst. Andersherum oder von einem (dahingehend) machtlosen Gebilde wie der EU kann das nicht verursacht werden. Besser den Hebel gegen die Unterdrückungsmaschinerie der EU auch innerhalb ansetzen und gegen beide faschisierenden und ostlandrittgeilen imperialistischen Kräfte (USA‐​NATO und Deutsch‐​EU) angehen.

  2. Komischer Artikel, im Präteritum geschrieben, über eine Veranstaltung, die bei Veröffentlichung des Artikel noch gar nicht stattgefunden hat – das bin ich noch nicht mal von den Öffentlich‐​Rechtlichen gewohnt. Der Autor scheint eine Kristallkugel zu haben, wohin die Reise geht. Der Artikel kommt deutlich als Aufforderung rüber, an der Kundgebung nicht teilzunehmen – ich empfinde das als ziemlich zersetzend.

    Die Demonstration richtet sich gegen die Grundgesetzänderung zur Etablierung des Bundeswehr‐​Sondervermögens – das ist der Protestgegenstand. Dieser Protestgegenstand passt dem Autor offensichtlich nicht – er will die Sanktionen stärker in den Fokus rücken. Dass Sanktionen schlecht in das Bild von einer wünschenswerten Zukunft passen, dass in dem Aufruf gezeichnet wird, ignoriert er komplett – wahrscheinlich würde er bei vielen der Teilnehmer und auch der Veranstalter mit dieser Forderung auf Zustimmung stoßen.

    Tatsächlich tut sich in der Friedensbewegung etwas. Genauer: Es trennt sich die Spreu vom Weizen. Man sieht das ziemlich schnell, wenn man die Bündnispartner der aktuellen Demo im Vergleich zum Beispiel zu der Demo auf der Straße des 17. Juni vergleicht. Davon abgesehen, dass Campact raus ist, gibt es hier in der Wahrnehmung des Autors eine deutliche Verzerrung: Es ist eben nicht »Die DFG« oder »Attac«, die da aufrufen, es sind häufig Untergruppierungen der Bundesorganisationen, die das tun. Das hat seine Gründe in einem Richtungswechsel, der da in den Teilen der Friedensbewegung stattfindet – weg von dem Narrativ des »Russischen Angriffskriegs«, hin zu einer klar antimilitaristischen Ausrichtung.

    Und genau diesen Teil der Friedensbewegung, der sich in die antimiltaristische Richtung bewegt und auch die besagte Demo veranstaltet, greift der Autor an – und nicht etwa den Anderen. Cui bono?

    Der Artikel ist insgesamt auch mit wenig Sachkenntnis und Recherche geschrieben – mehr eine Aneinanderreihung von Behauptungen, als eine begründete Kritik. Leute, die länger in der Friedensbewegung tätig sind, fällt das z.B. sofort daran auf, dass die Zäsur der Friedensbewegung im Jahr 2011 in der vermeintlichen »Historie« gar nicht benannt wird. 

    Insgesamt ein Artikel, bei dem schnell klar wird, dass der Autor von der Geschichte und aktuellen Entwicklung der Friedensbewegung keine Ahnung hat. Treffen tut er mit seinem Artikel jedenfalls genau den Teil der Friedensbewegung, der sich aktuell wieder in eine klar antimilitaristische Richtung bewegt. Vielleicht könnte der Autor ja, wenn er das Thema »Sanktionen« gerne im Mittelpunkt hätte, ja selbst Veranstaltungen zu dem Thema mit einer entsprechenden Bündnispolitik machen. Tut er nicht, stattdessen fällt er ausgerechnet dem Teil der Friedensbewegung in den Rücken, der sich aktuell auf die Gedanken des Friedens, des Antimilitarismus und der Völkerfreundschaft besinnt – und damit den Menschen, die sich gerade für diese Entwicklung viel Arbeit machen.

    1. Nachtrag: Der Tempus des Artikels wurde nachträglich geändert. Laut Aussage eines der Betreiber der Seite war dem Autor nicht klar, wann der Artikel veröffentlicht wird. Das heißt aber auch, dass der Artikel im Präteritum vor der fraglichen Demo eingereicht wurde, die in meinem Kommentar geäußerte Kritik damit valid ist.

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