Interview mit Klaus‐​Jürgen Bruder zum Kongress »Corona. Die Inszenierung einer Krise« der Neuen Gesellschaft für Psychologie

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Im Vorfeld des vom 7. bis 9. Juli stattfindenden Kongresses der Neuen Gesellschaft für Psychologie interviewte MagMa ihren Vorsitzenden Klaus‐​Jürgen Bruder. 

Herr Bruder, bisher fand die Konferenz der Neuen Gesellschaft für Psychologie im Gebäude des Neuen Deutschland statt – warum diesmal nicht?

Aus unserer bisherigen Herberge, dem ND‐​Gebäude mit der fantastischen Adresse Straße der Pariser Kommune haben uns die konterrevolutionären Verwalter hinausgeworfen, nachdem wir ursprünglich bei ihnen Asyl gefunden hatten, nachdem die neoliberal gewendete Universität uns nur noch gegen halsabschneiderische Mieten akzeptieren wollte.

Symptomatisch für den Verfall der Institutionen Universität und politische Linke – nicht?

Ja, absolut. Das ist Ausdruck der Zerstörung der Universität durch den Neoliberalismus, Zerstörung beziehungsweise Selbstzerstörung des linken Milieus durch ihren torschlusspanikartigen Versuch, in den abfahrenden Zug der Regierungsbeteiligung aufzuspringen, bei dem sie die Bevölkerung, deren natürliche Interessen vollkommen aus den Augen verloren und verraten hatten.

Wie sehen Sie die Rolle der Neuen Gesellschaft für Psychologie in Anbetracht des massiven Rechtsrucks mitsamt Gleichschaltung einst kritischer Institutionen?

In diesem für ein Menschenleben relativ langen Prozess der Zerstörung von Demokratie und Widerstand, bis hin zur völligen Zerstörung von Denken und Menschlichkeit haben wir, die Neue Gesellschaft für Psychologie, unsere prekäre Rolle auf der Seite der immer leiser werdenden Kritik der allgemeinen Entwicklung gespielt und werden das weiterhin tun.

Worin besteht das Neue der NGfP, was macht sie besonders?

Das wichtigste, das ich herausheben möchte, war und ist unsere wissenschaftliche Ausrichtung:

Psychologie aus ihrer fachspezifischen Isolation heraus auf das weitere Feld der Sozialwissenschaften zu führen, dabei den gesellschaftlichen Kontext im Blick zu halten, in dem diese Wissenschaften agieren, mit der Perspektive einer »Kritik aller Verhältnisse, in denen der Mensch ein ihm nicht würdiges Dasein führen muss«.

Das impliziert bereits die Konzipierung in Richtung auf eine »konkrete Psychologie« (Politzer), in Richtung einer konkreten Kritik, wie sie sich in den Themenstellungen der jeweiligen Kongresse zeigt: Militarisierung, Rassismus, Antisemitismus, Digitalisierung und nun Coronapandemie‐Inszenierung.

Die aktuellen Debatten der Zeit von einem kritisch‐​wissenschaftlichen Standpunkt beleuchten, ist das der Anspruch der NGfP?

So ist es. Die Themen waren durch die jeweils aktuellen politischen Ereignisse beziehungsweise Debatten bestimmt, auf sie ausgerichtet. Wenn man sie so hintereinander aufzählt, lassen sie eine Entwicklung des öffentlichen Diskurses erkennen, in der immer mehr die Bildung von Bewusstsein, beziehungsweise dessen Zerstörung nicht nur voranschreitet, sondern zugleich von immer größeren Teilen – ich wollte sagen der Bevölkerung – mitgetragen wird.

Aber ich merke: an dieser Stelle muss mich sofort korrigieren, aber das haben wir bereits im letzten Kriegskongress von 2019 thematisiert: nicht nur mitgetragen, sondern aktiv und offensiv vertreten, propagiert von den Intellektuellen, genauer gesagt den Akademikern, zunächst den in den Anstalten der öffentlichen Meinungsbildung agierenden, dann aber auch außerhalb dieser, in vielfältigen Berufsorganisationen sich artikulierenden.

Sie konstatieren also einen Rollenwandel der Funktion des Intellektuellen weg vom kritischen und unbestechlichen Gewissen der Gesellschaft hin zum Propagandisten der Macht?

Die Rolle dieser bereits angesprochenen Intellektuellen schält sich immer mehr heraus in ihrer Bedeutung für den Diskurs der Macht, für die Herstellung von Konsens wie Chomsky gesagt hat, für die Manipulation des Bewusstseins und damit des politischen Verhaltens der Bevölkerung.

Wir erleben das in der gegenwärtigen Pandemie‐​Inszenierung mit einer bisher ungekannten Gewalt. Gleichzeitig ist unübersehbar, dass die Intellektuellen von einer Spaltung gezeichnet sind, die auch durch die Gesellschaft geht, dass die Spaltung der Gesellschaft durch die Staatsmacht, die in ihrer Rigorosität bisher nicht derart wahrnehmbar gewesen ist, auch durch die Schicht der Intellektuellen schlägt.

Wie macht sich das bemerkbar?

Das Shibboleth, das wie ein Graben durch ihre Reihen geht, lautet: »Verschwörungstheorie«. Es trennt die Staatstreuen von den Ungläubigen.

Für Psychologen doch ein gefundenes Fressen?

Durchaus. Als Psychoanalytiker ist mir die Differenz zwischen sichtbarem Verhalten und dem, was man nicht sieht, zwischen dem, was jemand sagt und dem, was er nicht sagt, was ihm aber durch den Kopf geht, selbstverständlich.

Wir nennen das allerdings nicht »Verschwörungstheorie«, sondern Differenz zwischen dem Bewusstsein und dem Unbewussten, beziehungsweise Vorbewussten.

Und für den Psychoanalytiker ist das, was nicht gesagt wird, viel interessanter als das, was gesagt wird.

Und das ist in der politischen Rede, in der Rede von Politikern, in den Berichten der Medien nicht anders.

Nun haben auch viele Psychoanalytiker viel nicht gesagt. Sind Sie enttäuscht von den Kollegen?

Als Psychoanalytiker bin ich nicht überrascht, dass die Rede vom »neuartigen«, lebensgefährlichen oder gar Millionen tötenden Virus nicht der Verpflichtung entspringt, Unheil von der Bevölkerung abzuwenden, wie Politiker es in ihrem Amtseid geschworen haben, sondern etwas ganz anderem, das im Ver‐​Sprechen der Politiker nicht erscheint.

Von daher überrascht es im Gegenteil, dass die Psychoanalytiker nicht die ersten waren, die Alarm geschlagen hätten.

Sind Psychoanalytiker nicht auch nur Menschen?

Sicher weiß der Psychoanalytiker nicht, was sich hinter der Rede des anderen verbirgt. Aber er weiß, dass es nicht unbedingt das ist, was in der Rede erscheint.

Die Grundstruktur des Redens: durch Sprechen verschweigen, verstecken durch Zeigen, wie sie Chomsky und Bourdieu zur Grundlage ihrer Medienanalyse gemacht haben, ist dem Psychoanalytiker durchaus eine Binsenweisheit.

Deshalb bleibt auch dem Psychoanalytiker nichts anderes übrig als dem Sichtbaren gegenüber, dem das gesagt wird, eine skeptische Haltung einzunehmen. Zugleich aber hat auch er nichts anderes, als diese Ebene. Er weiß, dass er alle seine Schlussfolgerungen nur aus der Analyse des Sichtbaren und Hörbaren ziehen kann, seine eigenen Fantasien ebenso wie seine Absichten an der Kandare halten muss. Freud nannte das den »kalten Blick des Chirurgen«. (Er würde sich als psychoanalytisch ausgebende Ferndiagnosen von Putin1 oder von Querdenkern versagt haben).

Sie wollen sagen, Freud wäre heute Querdenker?

Das kann ich nicht sagen, aber mir vorstellen, dass ihm auf der Ebene des Sichtbaren der Coronapandemie‐​Inszenierung von Anfang an womöglich Widersprüche ins Auge gefallen wären:

Die Widersprüche zwischen den unterschiedlichen Registern des Sprechens: zwischen den Behauptungen (über die Gefährlichkeit des Virus) und den Anweisungen, die vor dieser Gefährlichkeit schützen sollten;

die Widersprüche zwischen dem Reden der Politiker und ihrem Handeln: die Gefährlichkeit des Virus galt offensichtlich nicht für sie, oder nicht für Ihre ausführenden Apparate;

die Widersprüche zwischen den verschiedenen Diskursarten:

Die einfachsten Standards wissenschaftlichen Arbeitens und Argumentierens waren außer Kraft gesetzt: Beispiele: Verwendung der Statistik, Testtheorie, bis hin zu den wissenschaftlichen Grundlagen der Virologie.

Diese Differenzen, Widersprüche sind für den Psychoanalytiker die fruchtbarsten Momente, Einsatzstellen seiner Arbeit:

Hier sind Konflikte zu vermuten, Versuche der Kompensation, Verdrängung, Verleugnung von etwas, was nicht sichtbar werden darf.

Das ist im Raum der Politik, der Öffentlichkeit nicht anders. Der einzige Unterschied zur Psychoanalyse besteht darin, dass wir es im politischen Raum mit einer grundsätzlich anderen Struktur der Beziehung zu tun haben.

Können Sie diese grundsätzliche Andersartigkeit näher erläutern?

Während Freund die psychoanalytische Situation als »miteinander reden von zweien« definiert, haben wir es im Politischen, im »öffentlichen Debattenraum« mit einer Beziehung zwischen ungleichen Partnern, von ungleicher Macht zu tun, die zugleich nicht unmittelbar, sondern vermittelt durch ein Medium, die auch sogenannten Medien hergestellt ist (Maletzke 1963: »disperses Publikum«2), weshalb das Reden zwischen diesen beiden Positionen einem Diskurs der Macht folgt.

Diese Differenz zu vergessen ist fatal, kann tödlich sein, tödlich zumindest für das Bewusstsein.

Mit der Macht, der Macht‐​Differenz, schärfer noch als Klassendifferenz zu bezeichnen, wird eine zweite Struktur auf alles gelegt, was wir als Erfahrung aus der »primären« Beziehung und damit als Wissen der Psychologie des Alltags kennen, von Marx als »zweite Natur« bestimmt.

Marx formuliert sehr eindrücklich:

»Gesetzt, wir hätten als Menschen produziert.« (so wäre meine Arbeit freie Lebensäußerung, daher Genuss des Lebens). Und konstatiert: »Unter der Voraussetzung des Privateigentums ist sie Lebensentäußerung, denn ich arbeite, um zu leben, um mir ein Mittel des Lebens zu verschaffen. Mein Arbeiten ist nicht Leben.«3

Des Pudels Kern sind also nach wie vor die Eigentumsverhältnisse?

Diese Voraussetzung, das Privateigentum an Produktionsmitteln – in der Hand der Klasse der Produktionsmittelbesitzer – ist es, die das Leben heute zu dem macht, wie wir es kennen. Das Privateigentum ist die Voraussetzung der Verkehrung. Letztlich die Verkehrung aller menschlichen Verhältnisse in ihr Gegenteil.

Was Genuss des Lebens hätte sein sollen/​können, meine Lebensäußerung, ist »Lebensentäußerung« geworden. »Mein Arbeiten ist nicht Leben«, »denn ich arbeite, um mir ein Mittel des Lebens zu verschaffen«, »mir verhaßt, eine Qual und vielmehr nur der Schein einer Tätigkeit, darum auch eine nur erzwungene Tätigkeit und nur durch eine äußerliche zufällige Not, nicht durch eine innere notwendige Not mir auferlegt«. »Daher erscheint sie nur noch als der gegenständliche, sinnliche, angeschaute und darum über allen Zweifel erhabene Ausdruck meines Selbstverlustes und meiner Ohnmacht.«

Die Welt steht also gewissermaßen auf dem Kopf, wenn sie nicht gar kopflos ist?

Es handelt sich um eine grundlegende Verkehrung:

Die Produktion hat nicht mehr die Funktion, Produkte für menschliche Bedürfnisse herzustellen, sondern umgekehrt die menschlichen Bedürfnisse, der Mensch selbst sind nur noch der Vorwand für die Produktion, deren Zweck in erster Linie die Produktion des Werts, nicht des Gebrauchswerts ist.4

Diese Verkehrung durchzieht nicht nur das Leben aller und trennt die einen von den anderen, sondern verkehrt auch alles, was wir tun, denken, produzieren in sein Gegenteil.

An die Stelle der menschlichen Beziehung tritt die sachliche, die Beziehung von Sachen, der Produkte menschlicher Arbeit zueinander, sie scheinen Herrschaft über die Menschen auszuüben (während sich hinter ihnen die tatsächlich Herrschenden verstecken.

Um den Bogen zum Thema der anstehenden Konferenz zurückzuspannen: Wo spielt bei alldem die Inszenierung der Pandemie rein?

Die gerade thematisierte Funktion der Verkehrung kommt bereits in der Rede, im Narrativ vom Virus als Subjekt zum Vorschein, womit das Virus, also die »Natur« und nicht die verantwortlichen Politiker für die Folgen ihrer Politik verantwortlich gemacht werden konnte.

Der Diskurs der Macht ist zugleich eine Inszenierung, beziehungsweise setzt diese voraus: die Macht, das Narrativ zum herrschenden zu machen. Deshalb heißt er ja auch »Diskurs der Macht«.

Wie schafften es die Mächtigen, eine Inszenierung als Realität zu verkaufen?

Die Inszenierung der Corona – »Pandemie« wurde mit einer Überrumpelung der Bevölkerung eröffnet und durchgesetzt.

Am wirkungsvollsten erwiesen sich die Bilder von Särgen, mit denen die Behauptung als belegt verbreitet wurde, das Coronavirus habe in Bergamo bereits eine große Zahl von Menschen dahingerafft. Es war tatsächlich die von Naomi Klein beschriebene Schockstrategie, mit der die Menschen in Panik versetzt werden können und tatsächlich wurden.

Wie aber kann es sein, dass die Inszenierung so lange nicht erkannt wird?

Im Rahmen der einmal installierten Inszenierung konnten dann alle weiteren Behauptungen ihre bestätigende Bedeutung erhalten, so zum Beispiel: Es läge an den Maßnahmen, dass doch nicht so viele Menschen an Corona sterben mussten, weil sie durch die Maßnahmen geschützt worden waren. Dasselbe Argument erweist seine Fruchtbarkeit als »Beweis«, dass Impfen vor Ansteckung schütze: wäre ich nicht geimpft, so hätte meine Ansteckung, meine Krankheit einen wesentlich schlimmeren Verlauf genommen.

Flankiert wird diese Argumentation natürlich durch das gleichzeitige Verschweigen der tatsächlichen Impffolgen, die eine Übersterblichkeit zeigen, die durch das Impfen gerade verhindert werden sollte, ganz abgesehen von den unzähligen Impf-»Nebenwirkungen«.

»Diskurs« und »Inszenierung« sind die beiden Begriffe, die das, was wir in den letzten zwei Jahren erlebt haben am besten erfassen. Sie sind deshalb als zentrale Begriffe auch der psychologischen Analyse produktiv geworden.

Was sind die Besonderheiten einer solchen psychologischen Herangehensweise?

Eine solche psychologische Analyse weicht von der, vor allem unter Nicht‐​Psychologen verbreiteten Erwartung ab, Psychologie könnte gesellschaftliche Phänomene aus dem Inneren des Subjekts, seiner »in der (inner‐) psychischen Verfasstheit« zureichend erklären.

Wir betrachten diese inner‐​psychischen Strukturen und Verhaltensweisen als Antworten des Subjekts auf äußere, »außerpsychische« Bedingungen, Herausforderungen, Anregungen und Verführungen (s. Parin: »Anpassungsmechanismen«):

Wir kennen die Formel des Behaviorismus:

»Verhalten ist die Funktion der Bedingungen des Verhaltens.«

Oder auch bekannt in der Fassung:

S → R

Davon auszugehen ist nach den Erfahrungen der letzten zwei Jahre nicht nur angebracht, sondern höchst aktuell:

Die Inszenierung ist nichts anderes als die Umsetzung dieser Formel, eine Installation genau der Bedingungen, die zu den Ergebnissen von Panik und Gehorsam geführt haben, die wir in den letzten zwei Jahren fassungslos beobachten, miterleben mussten.

Könnten Sie das bitte für den Laien anschaulich machen?

Vor allem im weiteren Verlauf der Pandemieinszenierungen zeigte sich immer deutlicher das behavioristische Schema:

»Wenn Du keine Maske vor die Nase hältst, kommst Du hier nicht rein«, »wenn Du nicht getestet bist, und kein negatives Testergebnis vorweisen kannst, kommst Du hier nicht rein«, schließlich der vorläufige Höhepunkt: »ohne Impf‐​Nachweis darfst Du Deinen Beruf nicht mehr ausüben«.

Was vorher selbstverständlich war: die Teilnahme am gesellschaftlichen beruflichen und kulturellen Leben wird Bedingungen unterworfen, Forderungen, die zu erfüllen die Voraussetzung dafür wurde, die vorher zurückgenommenen Selbstverständlichkeiten als Belohnung zurück zu erlangen – nichts anderes als das chinesische Social‐​Credit‐​System – nur auf anderer sozialer Grundlage.

Trotz aller Kritik aus humanistischer Ecke scheint sich der Behaviorismus als Herrschaftstechnik ungebrochener Beliebtheit zu erfreuen?

Die Kritik am behavioristischen Menschenbild war bislang immer:

Der Mensch ist keine Billardkugel, die ohne eigene Beteiligung auf den Stoß des Queue reagiert.

Der Mensch muss den Stimulus des Stoßes nicht nur wahrnehmen, sondern muss ihn auch »interpretieren« um »richtig« darauf reagieren zu können.

In terminis der Theorien, die sich mit dem Interpretieren beschäftigen (Saussure) heißt das: dem Stoß, dem Stimulus (S2) eine »Bedeutung« (S1) unterlegen, um der Bedeutung entsprechend zu handeln:

S2
S1

Der zeitgenössische Behaviorismus hat diese Notwendigkeit längst einbezogen:

S→R

Das klingt sehr interessant, aber was bedeutet das genau?

Die Inszenierung kann auf die begleitende Beigabe der Bedeutung nicht verzichten: in der Form von Behauptungen – zum Beispiel über die Gefährlichkeit des Virus, über seine Häufigkeit, über die Häufigkeit von Krankheits‐ oder gar Todesfolgen, die Erklärung von Impfnebenwirkungen als Folgen nicht der Impfung, sondern anderer ungünstiger Bedingungen, beziehungsweise mit der Behauptung, ohne Impfung wäre alles noch viel schlimmer geworden usw.

Die Interpretation ist also nicht nur der Anteil des Subjekts, der erst sein Verhalten als Antwort ausmacht, ja möglich macht, sondern »trojanisches Pferd« für den Eintritt äußerer Mächte in die Lenkung seines Handelns.

Man wird also dazu gebracht, sich einzureden, dass man dem Zwang »freiwillig« folgt?

Genau dies ist die Funktion des Diskurses der Macht. Er verführt das Subjekt, den Anweisungen, Befehlen der Macht zu gehorchen, indem er dieses Gehorchen als selbstbestimmtes Handeln anbietet, indem er die Rechtfertigungen des vom Subjekt geforderten Verhaltens liefert, indem er die Erklärungen für die Anweisungen (»Narrative«) monopolisiert.

Es scheint, die NGfP ist angesichts der geschilderten Entwicklungen notwendiger denn je?

Das mag man bedauern, aber es ist so. Wir stehen an einem Wendepunkt. Wir haben mit der Arbeit der NGfP die gesellschaftliche Entwicklung der letzten zwölf bis 15 Jahre, im besonderen der Entwicklung der Manipulation der Zustimmung zum Diskurs der Macht bis zu einem Punkt verfolgt, an dem wir sagen können: der Diskurs der Macht bestimmt das Denken und Handeln der Menschen in einem Maße, wie es bisher unvorstellbar gewesen war, unvorstellbar auch für die marxistische Analyse.

Mit der Kriegspropaganda geht es gerade unter anderen Vorzeichen weiter?

Unsere Analyse des Diskurses der Macht hat mit dem jetzt erreichten Höhepunkt der kompletten Manipulation des Bewusstseins großer Teile der Bevölkerung bestätigt. Die Kriegspropaganda kann als unmittelbare Fortsetzung verstanden werden – auch wenn die Linken, das (wieder, immer noch) nicht verstehen (wollen).

Wir bedanken uns für das Interview und wünschen der bald anstehenden Konferenz gebührenden Erfolg.

Hier findet man das Programm des Kongresses und hier Anmeldemöglichkeiten.

Bild: Buchcover des bei Sodenkamp & Lenz erscheinenden Sammelbandes zum Kongress.

Verweise

1 Wie jüngst Wolfgang Leuschner, FR vom 1.6.22: Putins langer Schatten von Leningrad

2 Maletzke: Psychologie der Massenkommunikation, Hamburg 1963

3Karl Marx (1844): »Auszüge aus James Mills Buch ‚Eléments d’économie politique‘. Trad. Par J. T. Parisot, Paris 1823, in: MEW Ergänzungsband Erster Teil, Dietz Verlag Berlin, 1968, S. 462f.

4 Karl Marx: »4. Der Fetischcharakter der Ware und sein Geheimnis«, in: MEW 23, Das Kapital, Erster Band, Buch I: Der Produktionsprozeß des Kapitals, 1. Abschnitt, Ware und Geld, 1. Kapitel, Die Ware, S. 85 – 94.

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