Krieg gegen das Leben oder Fest des Lebendigen

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Eine Kri­se ist der Zustand, in dem das Alte abstirbt, aber das Neue noch nicht zur Welt kom­men kann. In einer sol­chen Zeit der Zwi­schen­herr­schaft gibt es vie­le Gefah­ren, und es kann zu allen mög­li­chen Krank­heits­er­schei­nun­gen kom­men – es ist die Zeit der Mons­ter. [1]

Anto­nio Gramsci

Die Begrün­dung der poli­ti­schen Reak­ti­on auf Coro­na – »Schutz des Lebens« – ist in der berühm­ten Begriff­lich­keit von Geor­ge Orwell rei­nes »Dop­pel­denk«. Denn die poli­ti­sche Reak­ti­on auf Coro­na bedeu­tet kei­nen Schutz des Lebens, son­dern die Eska­la­ti­on eines Kriegs gegen das Leben.

Argu­men­te gegen die weder epi­de­mio­lo­gisch noch ethisch und juris­tisch zu recht­fer­ti­gen­de poli­ti­sche Reak­ti­on auf Coro­na wur­den tau­send­fach vor­ge­tra­gen – von mir etwa hier, hier und hier –, doch sie stie­ßen inner­halb der Leit­me­di­en und Poli­tik größ­ten­teils auf Dif­fa­mie­rung, Zen­sur oder Igno­ranz. Fazit nach knapp zwei Jah­ren Pan­de­mie ist, dass der leit­me­di­al erzeug­ten Coro­no­ia mit Fak­ten, Argu­men­ten und Ver­nunft nicht bei­zu­kom­men war. Ob ihrer Halt­lo­sig­keit kann die poli­ti­sche Reak­ti­on auf Coro­na des­halb nur als Reak­ti­on ver­stan­den wer­den: als ver­zwei­fel­ter Todes­kampf einer in sys­te­mi­schen Zwän­gen gefan­ge­nen, grö­ßen­wahn­sin­ni­gen und auto­de­struk­ti­ven Macht­ma­schi­ne­rie, die dar­um weiß, dass der Welt­geist sich gegen sie gewen­det hat und in ein neu­es Zeit­al­ter führt und die des­halb zu umso bru­ta­le­ren Mit­teln greift, um ihr unauf­halt­sa­mes Ende herauszuzögern.

Die­se neu­zeit­lich-moder­ne (west­li­che) Macht­ma­schi­ne­rie oder »Megama­schi­ne« (Lewis Mum­ford) basiert auf Aus­beu­tung, Raub, Mord und Kolo­ni­sie­rung, zen­tra­lis­ti­scher Staats­ge­walt, Geld­schöp­fungs­mo­no­pol, Papier­geld, Kre­dit­we­sen und Zin­ses­zins, Elek­tri­zi­tät, Öl, Gas, Koh­le und Atom­kraft, Kunst­dün­ger, Pan­zern und Düsen­jets, der Tren­nung von Sub­jekt und Objekt und Mensch und Natur, der Nega­ti­on des Todes – und damit des Lebens – und der Hybris des Glau­bens, zu gott­glei­cher All­macht befä­higt und beru­fen zu sein. Und zwar hat die­se Macht­ma­schi­ne­rie einem Teil der mensch­li­chen Bevöl­ke­rung zu nie gekann­tem mate­ri­el­len Kom­fort und nie gekann­ten Hand­lungs­op­tio­nen ver­hol­fen, doch gleich­zei­tig hat sie damit das Wun­der des Lebens an den Rand sei­ner Aus­lö­schung gebracht. We live in times of Extinc­tion Rebel­li­on.

Die­se Macht­ma­schi­ne­rie ist ein wuchern­der Krebs, der tot unsterb­lich sein will. Und in ihrer Ago­nie, in dem uner­bitt­li­chen Ver­such, den Wirt, das Leben, und damit sich selbst zu ersti­cken, erklär­te die­se Macht­ma­schi­ne­rie im Ange­sicht von Coro­na Soli­da­ri­tät zu Gehor­sam, Nähe zu Distanz, Frei­heit zu Skla­ve­rei und das Leben zum Feind des Lebens.

Die­je­ni­gen, die sich für die Herr­scher die­ser Maschi­ne­rie hal­ten, haben das Leben auf der Erde abge­schrie­ben. Sie ver­ach­ten das Leben, weil sie es nicht voll­stän­dig unter­wer­fen kön­nen, weil trotz der ver­zwei­fel­ten Anstren­gun­gen, es bedin­gungs­los Unter­tan zu machen, ihnen das Leben ins Gesicht zu sprin­gen droht und sie dar­in ihre eige­ne Frat­ze des Todes, ihr Schei­tern, ihren zum Absturz ver­damm­ten Ika­rus­flug erbli­cken wür­den. So pla­nen sie ihre Flucht zum Mars, ihren Upload ins All, ihren Flug in die Dun­kel­heit – und wer­den doch von Wür­mern zer­fres­sen werden.

Nach den letz­ten Zuckun­gen des Todes­kampfs der Megama­schi­ne, nach Wir­ren und Ver­wer­fun­gen, Nahrungsmittel‑, Wasser‑, Ener­gie- und Roh­stoff­kri­sen, nach Flücht­lings­strö­men, Plün­de­rei, Bar­ba­rei und Cha­os wird ein neu­es Zeit­al­ter ste­hen. Und jeder von uns hat bereits heu­te die Wahl: Will ich wei­ter Teil des Kriegs gegen das Leben sein? Will ich in die Welt des Xi Jin­ping und Bill Gates, in die Welt der QR-Codes, Abschaf­fung des Bar­gelds und ID2020 ein­tre­ten? Oder will ich zum Leben zurück­keh­ren und wie­der Teil des Ter­res­tri­schen (Bru­no Latour) werden?

Der das neue Zeit­al­ter begrün­den­de Welt­geist ist post­ko­lo­ni­al, post­na­tio­nal und post­pa­tri­ar­chal. Der neue Welt­geist ist regio­nal und glo­bal, ist ver­bun­den mit der Erde und dem Kos­mos. Der neue Welt­geist ent­springt, wur­zelt und sprießt auf Inseln der Auto­no­mie und Aut­ar­kie: auf dem Land, in den Ber­gen, an den Flüs­sen, Quel­len und Seen, im Kon­takt mit der Erde, den Ster­nen, Pflan­zen, Stei­nen und Tie­ren, in Net­zen regio­na­ler Wirt­schafts­kreis­läu­fe und an Orten für Per­ma­kul­tur, Heil­kun­de, Spi­ri­tua­li­tät und Selbstbestimmung.

Die­sem neu­en Welt­be­wusst­sein steht (noch) eine tech­no­kra­ti­sche Des­po­tie der »sozia­len Phy­sik« ent­ge­gen: Mit digi­ta­lem Zen­tral­bank­geld, beding­tem (digi­ta­len) Grund­ein­kom­men und lücken­lo­ser com­pu­te­ri­sier­ter Über­wa­chung, Berech­nung und Steue­rung sol­len wir zu rei­nen Zah­len inner­halb einer schein­bar per­fek­ten kyber­ne­ti­schen Herr­schafts­ma­schi­ne­rie werden.

Doch die­sem Reich des Todes wer­den wir ein Fest des Leben­di­gen ent­ge­gen­set­zen. Wider die Hybris tota­ler Kon­trol­le wer­den wir Macht, Eigen­tum und Ver­mö­gen umver­tei­len. Wir wer­den uns unab­hän­gig machen von rus­si­schem Gas, chi­ne­si­schen Metal­len, sau­di­schem Öl und ame­ri­ka­ni­schen Platt­form­mo­no­po­len. Wir wer­den ler­nen, mit dem zu leben, was da ist und was wir dar­aus machen kön­nen. Wir wer­den den Tod ins Leben zurück­ho­len, wir wer­den Alter und Ster­ben wie­der zum hei­li­gen Teil des Lebens machen und den lebens­ver­ach­ten­den Struk­tu­ren der kapi­ta­lis­ti­schen Maschi­ne­rie ent­zie­hen. Wir wer­den die Alten­hei­me schlie­ßen und eine Kul­tur schaf­fen, in der wir Zeit und Res­sour­cen haben, um Ange­hö­ri­ge und Freun­de selbst­be­stimmt und in Wür­de in den Tod beglei­ten zu kön­nen. Und so wie wir den Tod in den Kreis des Lebens zurück­ho­len wer­den, so wer­den wir auch die Bil­dung wie­der leben­dig machen. Wir wer­den sie dem geist­lo­sen Szi­en­tis­mus und der defor­mie­ren­den Ver­wer­tungs­lo­gik des Kapi­tals ent­zie­hen und statt­des­sen auf Phi­lo­so­phie, Cha­rak­ter­bil­dung, emo­tio­na­le Intel­li­genz und Selbst­wirk­sam­keit set­zen. Wir wer­den ler­nen, wie man nach­hal­tig pflanzt und gärt­nert, schrei­nert und baut, schnei­dert und flickt, kocht und braut, repa­riert und bewahrt. Wir wer­den ler­nen, uns selbst und das Leben zu pfle­gen, zu ach­ten und zu hei­li­gen. Wir wer­den phi­lo­so­phie­ren, atmen, medi­tie­ren, musi­zie­ren, tan­zen und sin­gen. Wir wer­den ler­nen, unse­ren Geist und Kör­per gesund, wach und emp­find­sam zu hal­ten. Wir wer­den schlicht das tun, was Men­schen brau­chen, um erfüllt zu sein; was Men­schen brau­chen, um sich selbst zu füh­len und zu fin­den. Wir wer­den wie­der wis­sen, wer wir sind und was wir wol­len, statt den Erzäh­lun­gen von Kapi­tal, Wer­be­indus­trie und Apps zu glau­ben, wer wir sind und wie wir zu sein haben. Wir wer­den zu einem neu­en Mit­ein­an­der fin­den, in dem wir uns mit weni­ger Angst und Scham und grö­ße­rer Neu­gier und Respekt begeg­nen kön­nen, weil wir den Ande­ren als Teil unse­rer selbst, als Teil der mensch­li­chen Gemein­schaft aner­ken­nen – mit sei­nem Schmerz, sei­nen Wun­den, Ängs­ten und Trau­ma­ta, sei­nen Begier­den, Wün­schen und Träu­men. Und statt auf von Ute­rus-Neid getrie­be­ne Män­ner­phan­ta­sien digi­ta­ler Assis­ten­tin­nen hören wir auf unse­re inne­re Stim­me und Novalis:

Wenn nicht mehr Zah­len und Figuren
Sind Schlüs­sel aller Kreaturen
Wenn die so sin­gen, oder küssen,
Mehr als die Tief­ge­lehr­ten wissen,
Wenn sich die Welt ins freie Leben
Und in die Welt wird zurückbegeben,
Wenn dann sich wie­der Licht und Schatten
Zu ech­ter Klar­heit wie­der gatten,
Und man in Mär­chen und Gedichten
Erkennt die wah­ren Weltgeschichten,
Dann fliegt vor Einem gehei­men Wort
Das gan­ze ver­kehr­te Wesen fort.

Die­se neue Roman­tik des Leben­di­gen, die­ses neue Leben, die­se neue Welt ent­steht jetzt. Die Zeit der Mons­ter wird vor­bei sein.

[1] Die viel zitier­te »Zeit der Mons­ter« ist eine sehr freie Über­set­zung, im ita­lie­ni­schen Ori­gi­nal heißt es »fen­ome­ni mor­bo­si«, wört­lich über­setzt eher: »Krank­heits­er­schei­nun­gen«.

Die­ser Arti­kel erschien zuerst auf Medi­um.

One thought on “Krieg gegen das Leben oder Fest des Lebendigen

  1. |La cri­si con­sis­te appun­to nel fat­to che il vec­chio muo­re e il nuo­vo non può nas­ce­re: in ques­to inter­reg­no si veri­fi­ca­no i fen­ome­ni mor­bo­si piú svariati.|

    Also die Krank­heits­er­schei­nung sind ja in der Über­set­zung auch drin – »und es kann zu allen mög­li­chen Krank­heits­er­schei­nun­gen kom­men«. Damit sind die fen­ome­ni mor­bo­si über­setzt, die Mons­ter­zeit kommt im Zitat garnicht.

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