Über die Dauerkrise des Kapitalismus als Modus der Durchsetzung von Kapitalinteressen

Assemblea Militante auf Demonstration
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Folgender Artikel basiert auf einem Manuskript eines Vortrags, gehalten auf der Internationalen Konferenz der Freien Linken in Prag am 3. September 2022.

Ich persönlich glaube nicht, dass es eine einheitliche »Agenda« des Weltkapitalismus gibt, aber sicherlich an eine »Gemeinsamkeit« und Konvergenz der Interessen, auch wenn sie – teilweise – miteinander in Konflikt stehen. Vor allem im Westen wird zur Überwindung der seit 2008 währenden Systemkrise des Kapitalismus versucht, die wirtschaftlichen und sozialen Ziele von Davos durch die künstliche und künstliche Entfesselung immer neuer Notlagen zu verfolgen, mit denen Opfer wie die Kürzung des privaten Konsums und Sozialausgaben, aber auch politische und soziale Disziplinierung und Entvölkerung gerechtfertigt werden sollen (mRNA-​Impfstoffe könnten ein erstes Massenexperiment sein, nicht nur wegen der mit den Nebenwirkungen verbundenen Todesfälle, sondern womöglich auch als weltweite Massensterilisierungskampagne).

Das Reservoir an Krisen scheint gut gefüllt: Pandemien (Covid-​19 oder Affenpocken); Klimakrise; Nahrungsmittel- und Energiekrise; Wasserkrise; Kriegskrise (von der Ukraine bis Serbien, von Armenien bis Taiwan). Terrorismus gegen die Gesundheit, Terrorismus durch Hunger und Krieg.

Dieses Muster, das mit den starken Mächten der Staaten wie der WHO, der UNO, des IWF und der multinationalen Pharma- und Technologiekonzerne abgestimmt ist, könnte allerdings auf Widerstand stoßen. Sowohl auf denjenigen vieler regionaler, sich dem Diktat nicht beugen wollenden Kapitalismen stoßen als auch auf die Weigerung derjenigen Völker, sich diesen vermeintlichen Notlagen zu unterwerfen, die durch eine Wirtschaftskrise bedrängt werden und vor dem Ausbruch massiver sozialer Konflikte stehen. Man denke an Afrika, Asien und Lateinamerika.

Während allerdings die erste Covid-​19-​Pandemie die Angst vor dem Tod ausnutzte, haben die anderen Krisenoptionen weniger »terrorisierenden« Charakter auf die Bevölkerungen, angefangen mit der Krise des Krieges/​Nuklearkonflikts.

Die Agenda unseres »kollektiven Westens«

Wir haben es nicht mit einer zyklischen Krise des Kapitalismus zu tun, sondern mit einer systemischen Krise der kapitalistischen Produktionsweise, auf die der Imperialismus, der »kollektive« Westen, versucht, eine ebenso systemische Antwort zu geben:

  1. auf finanzieller Ebene
  2. auf wirtschaftlicher Ebene,
  3. auf militärischer Ebene,
  4. auf sozialer Ebene,
  5. auf dem Gesundheitsplan,
  6. auf ökologischer Ebene,
  7. auf der politischen Ebene

Das ist es, was wir beim autoritären Umgang mit der Pandemie gespürt haben: ein Angriff nicht nur auf die Gesundheit, sondern auch auf sozialem und politischem Feld. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit für die Angreifer, eine echte malthusianische Politik auf planetarischer Ebene durchzusetzen und Raub und Ausbeutung zu intensivieren.

Auf der Tagesordnung des Imperialismus steht daher die Bewältigung dieser Phase durch die Schaffung:

  • neuer Ungeheuer und neuer Aggressionen (Russland, China)
  • neuer Viren (Covid-​Varianten, Affenpocken, usw.)
  • neuer Notstände (Umwelt‑, Energie‑, Wasser‑, Nahrungsmittelkatastrophen)

All dies, um ihr eigenes Proletariat zu vernichten und zu terrorisieren und zu versuchen, es im Inneren auszupressen.

Wir stehen vor einer noch nie dagewesenen Krise. Diese macht sich bereits bemerkbar. Womöglich stehen wir vor einer ausgewachsenen Depression. Mit dem Risiko, dass sich Staaten mit Kämpfen, sozialen Konflikten und Streiks konfrontiert sehen. Und so müssen Notlagen dauerhaft werden und mit Gewalt, Militarisierung der Territorien und Repression bewältigt werden. Das ist das Muster.

Mit der Pandemie haben die Regierungen erneut versucht ihre Masken als vermeintliche Verteidiger des Gemeinwohls aufzusetzen. Im Gegenzug wurden die Bürger aufgefordert (gezwungen), ihre »individuellen Freiheiten« zugunsten der kollektiven, von den Staaten verteidigten und geförderten, aufzugeben, um verteidigt und geschützt zu werden.

Wir in Italien sind mit unserem autoritären Umgang mit der Pandemie das soziale und politische Labor des Westens gewesen. Wir waren:

  1. das erste Land, das Abriegelungsmaßnahmen ergriffen hat,
  2. das erste Land, das den Grünen Pass und die Pflichtimpfung eingeführt hat,
  3. das erste Land, das die Telematik für Kinder eingeführt hat,
  4. das erste Land, das nicht geimpfte Ärzte, Krankenschwestern und Lehrer vom Dienst suspendiert hat.
  5. Eines der ersten Länder, das durch aggressive und heftige Propaganda gegen die so genannten »No Vax« oder Impfgegner versucht hat, sie zu isolieren und sie als unverantwortlich, egoistisch und uninteressiert darzustellen.
  6. Und wir sind derzeit das erste Land, das Virologen, Wissenschaftler und Ärzte bei politischen Wahlen nominiert, die als überparteiliche Techniker dargestellt werden, die nur am »Gemeinwohl« interessiert sind.
  7. Wir sind das Land, sicherlich nicht das einzige, in dem fast alle Gewerkschaftsorganisationen (sowohl die offiziellen als auch die so genannten »antagonistischen«) die Politik der Regierung bedingungslos unterstützen. Manchmal mit noch reaktionäreren Positionen als die Regierung. Das Land, wo diejenigen Gewerkschaftsaktivisten isoliert worden, die versucht haben, sich den Zielen der kapitalistischen Regierung zu widersetzen.

Italien ist ein soziales Labor, das den Grünen Pass zur Generalprobe für die Einführung des Personalausweises auf europäischer Ebene gemacht hat, der digitalen Identität, mit der der Staat in der Lage sein wird, Gesundheitsverpflichtungen, Lebensmittelrationen, Bürgereinkommen, Konsum, gewerkschaftliche und politische Aktivitäten usw. zu überwachen.

Dieses gigantische Projekt der sozialen Disziplinierung, das die Gesamtheit unserer sozialen Beziehungen und die Beziehung zwischen uns und unseren Körpern betrifft, wird – wenn es gelingt – auch einen neuen kapitalistischen Totalitarismus markieren, der die Errungenschaften des Faschismus und des Nationalsozialismus noch übertreffen wird, wie es bereits der Fall ist. Das ist keine Rückkehr in die Vergangenheit, sondern ein Sprung in die unmittelbare Zukunft.

Rückkehr zum Faschismus oder zum Nationalsozialismus?

Einer der Hauptdiskussionspunkte unter den »antagonistischen Linken« in Italien ist genau der, der mit der angeblichen Rückkehr zum faschistischen Totalitarismus zusammenhängt, gegen den ein neuer Partisanenwiderstand und neue Nationale Befreiungskomitees, aber auch ein neuer volkstümlicher und antifaschistischer Souveränismus ins Feld geführt werden.

Die Diskussion unter uns innerhalb der Assemblea Militante ist noch offen, aber einige von uns sind der Meinung, dass der Faschismus in Italien und der Nazismus in Deutschland, weit davon entfernt, kranke Pläne von despotischen Diktatoren zu sein, einfach die Antwort der jeweiligen nationalen Bourgeoisien auf zwei Probleme waren:

  1. Die Blockierung proletarischer Kämpfe, die zu Revolutionen zu eskalieren drohten.
  2. Die Zentralisierung ihrer nationalen Ressourcen gegen die Konkurrenz durch andere Mächte.

Ihr Totalitarismus bestand jedoch nicht so sehr in der Abschaffung der formalen Demokratie und der Unterdrückung von Gegnern, sondern in der ideologischen und praktischen Verankerung der unauflöslichen Verbindung zwischen Volk und Staat – einer Verbindung, die, einmal hergestellt, die demokratische Ordnung überflüssig machte.

Mit dem Untergang des italienischen- und des Hitlerfaschismus kam es zu einem Prozess der Weiterentwicklung des Kapitalismus in der ganzen Welt. Dieser führte zur Verwirklichung eines weitaus invasiveren und allgegenwärtigeren Totalitarismus: dem des Kapitals, das nicht mehr der Vermittlung des Volksstaates bedurfte, um die unterdrückten Klassen und Völker zu beherrschen, sondern sich »selbstbestimmt« in ein soziales Produktionsverhältnis verwandelte, das sich auf alle Aspekte des gesellschaftlichen und individuellen Lebens erstreckte und sich mit der Reproduktion des Lebens selbst identifizierte.

Wenn wir also von einer Rückkehr zum Faschismus sprechen wollen, müssen wir diese »Rückkehr« einfach als seine Weiterentwicklung hin zu einer weiteren Stärkung des kapitalistischen Totalitarismus und zu einer noch größeren Stärkung des Staates verstehen, der nun völlig losgelöst von Klassen und Parteien ist. Wenn der kapitalistische Totalitarismus den Faschismus weit übertroffen hat, geht es jetzt darum, den Aspekt der Disziplinierung des Staates, den der Faschismus teilweise erreicht hatte, notwendigerweise zurückzugewinnen und zu stärken.

Einige Beispiele: Basisgewerkschafter werden angeklagt; Polizeimaßnahmen werden gegen Studenten verhängt; Anarchisten und Aktivisten der revolutionären Linken werden in Gefängnissen in das berüchtigte 41-​bis-​Regime gezwungen. Dabei handelt es sich um eine besonders harte und repressive Maßnahme, viel schlimmer als die faschistische Einkerkerung. Verbotslisten für bündnisfreie Intellektuelle werden erstellt, Blogs und soziale Netzwerke werden unkenntlich gemacht, politische Aktivisten werden mit speziellen Überwachungsmaßnahmen verfolgt, der bloße Akt des Streiks wird für den Staat zu einem subversiven Akt, der verboten und unterdrückt werden muss.

Den heutigen Gegnern, die sich nicht damit identifizieren, wird eine weitere Lektion aus dem Faschismus und dem Nationalsozialismus erteilt: Isolierung, Ausgrenzung, Kriminalisierung von Gegnern und deren Unterdrückung.

Doch während die faschistischen und hitlerfaschistischen Staaten die Aktivierung des Volkes brauchten, muss das Volk im neuen postliberalen Regime notwendigerweise in einem Zustand der Passivität gehalten werden, in einem permanenten politischen und sozialen »Lockdown«. Im Gegensatz zu der vom Faschismus geforderten Mobilisierung des Volkes um seine Nation wird der Staat heute technokratischer, überparteilicher und »unpolitischer«.

Ende September werden wir Wahlen haben. Bei diesen Wahlen haben alle politischen Kräfte, die Rechten, die Mitte, die Linken und die »Ultralinken« praktisch die gleiche Agenda. Zur Pandemie, zum Krieg, zum PNNR [Der »Piano Nazionale di Ripresa e Resilienza«,also Nationaler Plan für Nachhaltigkeit und Resilienz, ist ein strategisches Dokument, das die italienische Regierung erstellt hat, um Mittel aus dem EU-​Programm der nächsten Generation (NGEU) zu erhalten/​Anm. d. Red.]. Gewiss gibt es bei den verschiedenen Parteien unterschiedliche Grautönen, aber im Wesentlichen teilen alle dieselbe Agenda und die gleiche Vorstellung von »Zukunft« und sozialer Disziplin. In Italien ist ein regelrechtes transatlantisches Bewerbungsrennen ausgebrochen: Wer treibt die Draghi-​Agenda weiter als Draghi, wer ist russophober als die bisherige Regierung?

Und dann gibt es noch eine »Anti-System«-Front, die versucht, die (legitimen) antiglobalistischen Stimmen, die sich auf der Straße gegen den Green Pass und die autoritäre Verwaltung der Pandemie geäußert haben, zu bündeln, indem sie sie in Richtung einer nationalistischen und chauvinistischen Souveränitätspolitik lenkt. Diese Kräfte sowohl der »Rechten« als auch der »Linken« versuchen, die in der »No Green Pass«-Bewegung zum Ausdruck gebrachte Forderung nach Demokratie und Wiederherstellung der verletzten Verfassung in Besitz zu nehmen und zu bündeln. Sie versprechen den Bürgern ihre Freiheiten gegen das Diktat des Staates und des Großkapitals zurückzugeben, zugleich wollen sie die Bewegung aber in nationales, parlamentarisches und institutionelles Fahrwasser lenken.

Wird es ein Wiederaufleben einer souveränistischen Kraft geben, wie wir es in Italien mit der Lega Nord oder dem Movimento 5 Stelle erlebt haben? Es ist nicht unwahrscheinlich, aber die enttäuschenden Erfahrungen dieser Parteien sprechen im Moment gegen diese Möglichkeit. Es ist möglich, dass sich der soziale Widerstand gegen die Maßnahmen, die die Regierungen in Europa umzusetzen gedenken, derzeit auf dem Terrain einer neuen souveränen und nationalistischen Bürgerschaft entwickelt, die ihrerseits – in Verbindung mit internen und internationalen Faktoren ‑zwei Richtungen einschlagen könnte: erstens eine national-​populäre und eine eher klassenbezogene. Eine, die von der Rechten aufgefangen werden könnte. Und zweitens eine, die sich in ein eher klassisches und antikapitalistisches Terrain bewegen könnte. Diese Entwicklungen hängen nicht von uns ab. Sie sind in jedem Fall durch die Krise bedingt, die uns den Boden unter den Füßen wegzieht und zu Hypothesen führt, die nur darauf abzielen, die Notwendigkeit weiterer und härterer Opfer abzuschwächen oder zu verzögern.

Aber auch wenn die Zukunft dystopisch und erschreckend ist, so ist sie doch nicht vollständig geschrieben. Schon bei der autoritären Notlage der Pandemie haben sich nicht alle der terroristischen Propaganda der Staaten gebeugt: Das war zum Beispiel in Indien nicht der Fall, auch nicht in Russland und anderen östlichen Ländern. Und auch im Westen gab es wichtige Signale: der Kampf der Hafenarbeiter in Triest, der der LKW-​Fahrer in Kanada. Kämpfe, die isoliert waren und in denen es keine Klassensolidarität gab (höchstens von Arbeitern als Individuen, nicht als Klasse), von denen aber dennoch ein wichtiges Signal ausging: Der Kampf und der Widerstand gegen die kapitalistische Unterdrückung hat begonnen, sich von der alleinigen Gewerkschaftsebene, vom alleinigen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit, auf eine umfassendere und politische Ebene zu bewegen.

In Italien mobilisierten zunächst die am meisten geschädigten Kleinstunternehmer (Ladenbesitzer, Barbesitzer, Gastronomen) gegen die Beschränkungen und Schließungen, doch ihre Proteste wurden überall durch die von der Regierung bereitgestellten Hilfsmaßnahmen niedergeschlagen. Mit der obligatorischen Impfung und dem grünen Pass zum Arbeiten oder Reisen gingen die Proteste wieder los. Die soziale Zusammensetzung der Demonstranten war sehr unterschiedlich, wobei jedoch die Angestellten, darunter viele Arbeiter, überwogen.

Auf politischer Ebene war die Linke jeglicher Couleur (Regierung, Opposition, Alternative oder Revolutionäre) aktiv dagegen, mit wenigen Ausnahmen vor allem einzelner Aktivisten, von denen die Assemblea Militante in Italien einen Versuch der Koordination darstellt.

Die faschistische Rechte versuchte die Proteste zu beeinflussen, scheiterte jedoch. Die vorherrschende politische Ausrichtung der Mobilisierungen tendierte zumeist zu verschiedenen Deklinationen des Souveränismus, die sich gegen die weitere Übernahme der (sanitären und dispositiven) Souveränität über die Körper durch den Staat, Big Pharma und Big Tech wenden und die auch die wirtschaftliche, finanzielle und politische Vorherrschaft des Großkapitals und seiner offiziellen und inoffiziellen Institutionen anfechten.

Das Ausmaß und die Kontinuität der Mobilisierungen waren in Italien wie in anderen Ländern unterschiedlich, aber überall hatten die Mobilisierungen eine große Bedeutung und Wirkung, trotz staatlicher Repression, Medienpropaganda, Beleidigungen (und manchmal physischen Angriffen) von vermeintlichen Gegnern des kapitalistischen Systems. In keinem Land war diese Bewegung explizit erfolgreich, auch wenn sie in einigen Ländern (Spanien, Großbritannien) sicherlich dazu beigetragen hat, dass die Regierungen in Bezug auf die Impfpflicht und die Hausärzte einen Rückzieher gemacht haben (auch in Deutschland hat sie sicherlich dazu beigetragen, dass Parlamentsbeschlüsse zugunsten der Impfpflicht bisher verhindert wurden). Sie war jedoch ein Dorn im Auge der Regierungspolitik und hat eine Mobilisierung der Opposition offen gehalten, die aus dem wachsenden Misstrauen gegen Impfstoffe, aus der Verbreitung von Wahrnehmungen über den fortschreitenden Autoritarismus des Staates und der totalitären Kontrollinstrumente und nicht zuletzt aus dem möglichen Aufkommen von Mobilisierungen des Widerstands gegen die sich im Zuge einer beginnenden Rezession und als Folge des Krieges und der Sanktionen gegen Russland entwickelnde Wirtschafts- und Sozialpolitik neue Nahrung finden könnte.

Ein Beispiel: Im Vorgriff auf die Opfer und die Rationierung, die die italienische Regierung den Familien aufbürden will, fordert das Gesundheitsministerium die über 60-​Jährigen auf, ihre Infusionsdosis zu nehmen und verlangsamt zahlreiche restriktive Maßnahmen in Bezug auf Quarantäne und Maskengebrauch. Man will die Bevölkerung nicht mit Verpflichtungen und Einschränkungen belasten, die sich als Bumerang erweisen könnten.

Was ist zu tun?

Welche Rolle können wir, die antikapitalistischen, revolutionären Kämpfer, angesichts dieser ersten Anzeichen spielen?

Sicherlich weiterhin die terroristischen und autoritären Kampagnen unserer Staaten anprangern und die bösartigen »Notstände« entmystifizieren, die sie schaffen, um das Proletariat, die verarmten Mittelschichten, die ausgebeuteten Massen zu disziplinieren. Wir müssen den roten Faden aufzeigen, der das autoritäre Management der Pandemie mit all den neuen Notständen verbindet, mit denen sie uns terrorisieren und disziplinieren wollen. In dem Bewusstsein, dass in dieser epochalen Krise, jenseits unseres guten Willens oder unserer Großzügigkeit als revolutionäre Kämpfer, der soziale Kampf einen neuen Hebel proletarischer Kämpfer hervorbringen muss, die gezwungen sind, den kapitalistischen Angriff als Ganzes anzugreifen, indem sie seine gewerkschaftlichen und sozialen Aspekte mit seinen politischen und organisatorischen verbinden.

Sicherlich benötigen wir die Fähigkeit, den realen Widerstand zu begreifen, der diesem totalitären Projekt entgegengebracht wurde und wird, ohne ihn durch die ideologische Brille unserer eigenen Traditionen zu betrachten (ich beziehe mich auf die Kritik an den Anti-​Green-​Pass-​Bewegungen, die als fadenscheinig, interklassistisch, wenn nicht gar reaktionär bezeichnet werden, die Gleichgültigkeit gegenüber dem Kampf der kanadischen LKW-​Fahrer oder dem der niederländischen Bauern).

Und schließlich denke ich (aber das Thema ist komplex und ich erwähne es hier nur), dass die Menschheit nicht das Problem haben wird, die bisher vom Kapitalismus entwickelten technologischen Ressourcen (einschließlich der Informationstechnologie, der telematischen Medizin und der Entwicklung der KI) »umzuwandeln« oder »besser zu verwalten«, sondern – in ihrem Bedürfnis, eine nicht entfremdete Beziehung zur Natur (und damit ihr selbst) wiederzuerlangen. Dabei müssen einige Technologien gerettet, manche zerstört werden. Das ist keine Ludditen-​Haltung, sondern die Einsicht, dass der Kapitalismus nicht mehr in der Lage ist, die Wissenschaft zu betreiben, die er weit genug entwickelt hat. Im Gegenteil, der Kapitalismus hat zu viel aufgebaut und lebt in der historischen Antithese: barbarisch zerstören oder gewaltsam zerstört werden. Die klassenbewusste Linke begegnet dieser immer dringlicheren Notwendigkeit in völliger Unvorbereitetheit, wenn sie sich nicht von den Fortschritten in Wissenschaft, Medizin und Technologie beeinflussen lässt. Sowohl bei den »Impfstoffen« (deren Patente sie gerne liberalisieren oder gerechter an die Dritte Welt verteilen würde, als auch bei der künstlichen Intelligenz, die sozial besser genutzt werden könnte) entstaubt sie den wissenschaftlichen Positivismus der II. Internationale. Daraus folgt, dass die Kritik, die eine »totale« am Kapitalismus und am Staat sein sollte (vor allem in dieser Phase), meist in der Vorstellung endet, dass das Problem nur in der Techniknutzung, in ihrer Verwirklichung, in der sozialen Umgestaltung eines gerechteren Staates liegt. Ich persönlich bin der Meinung, dass die Menschheit als Ganzes die Bastille des Staates stürmen und ihn zerstören sollte, nicht ihn reformieren und »popularisieren«. Aber das ist sicherlich ein Thema, das wir besser diskutieren und erforschen sollten.

Abschließend möchte ich sagen, dass unser erstes Treffen von großer Bedeutung ist, trotz der Tatsache, dass wir in unseren Ländern derzeit hyper-​minoritäre Phänomene sind. Sowie trotz der Tatsache, dass wir die Grenzen und Vorurteile unserer politischen Traditionen der Zugehörigkeit registrieren müssen, die uns oft nicht nur an einer größeren Homogenisierung, sondern vor allem an einer größeren Analyse und einheitlichen Praxis hindern. Grenzen, die wir jedoch überwinden konnten, als die Bewegung gegen den Grünen Pass und das autoritäre Management der Pandemie entstand.

Dieses Treffen ist auch die Frucht dieser Kämpfe. Die Saat, die sie hinterlassen haben und die wir weiter pflegen müssen.

Unsere Aufgabe besteht meiner Meinung nach auch darin, die Netzwerke der Genossen zu stärken, nationale und internationale Koordinierungen zu schaffen (zum Beispiel Volkskomitees gegen Notstandspolitiken), Analysen und Interventionspraktiken für all jene Kämpfe auszuarbeiten, die sich gegen die repressive Politik unserer Regierungen entwickeln können. In dem Bewusstsein, dass diese sozialen Widerstände weiterhin auf einer falschen, widersprüchlichen, manchmal ambivalenten Ebene stattfinden werden.

Wir sollten versuchen die Komitees »Kein Grüner Pass« in nationale Komitees »Gegen Notstände, gegen wirtschaftliche und soziale Opfer und gegen Kriege« umzuwandeln und diese mit denen anderer Länder zu koordinieren, indem wir diesen Winter, wenn wir Widerstand und Volkskämpfe gegen die Politik unserer Regierungen in unseren Ländern registrieren, ein internationales Treffen gegen den Krieg, das Elend und alle Notstände, durch die der Kapitalismus uns disziplinieren und ausbeuten möchte, vorschlagen.

Bild: Assemblea Militante mit Banner auf Demonstration in Italien

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