Stalin und der Kampf für demokratische Reformen (Teil 2)

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Nachdem MagMa letztes Jahr zum 70. Jahrestag von Stalins Tod den deutschen Lesern vielleicht zum ersten Mal eine Übersetzung von W. E. B. Du Bois’ Lobrede geboten hat, folgt an diesem 71. Todestag die wichtige zweiteilige Arbeit von Grover Furr zu Stalins Kampf für demokratische Reformen in der Sowjetunion. Wie schon der Text des kolossalen schwarzen Bürgerrechtlers, lädt auch Furrs Arbeit dazu ein, das althergebrachte Stalinbild der Bourgoisie, der Faschisten und all derer zu hinterfragen, die uns ausbeuten, in Kriege schicken, mit Giftspritzen traktieren, wegsperren und mundtot machen wollen. Denn wieso sollten die Unterdrückten Stalin genauso hassen wie ihre Unterdrücker?

1. Während des Krieges

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges unternahmen Stalin und seine Anhänger im Politbüro noch einen weiteren Versuch, um die direkte Kontrolle der Bolschewistischen Partei über die sowjetische Regierung zu beenden. Juri Schukow beschreibt diesen Vorgang wie folgt:

»Im Januar 1944 … gab es zum ersten Mal während des Krieges eine gemeinsame Sitzung des Plenums (des Zentralkomitees) und des Obersten Sowjets der UdSSR. Molotow und Malenkow erarbeiteten den Entwurf für eine Verfügung des Zentralkomitees, wonach die Partei rechtlich verbindlich von der Macht entfernt werden sollte. Sie sollte sich nur noch auf Agitation und Propaganda beschränken. Niemand sollte ihr diese normalen Parteiangelegenheiten sowie die Beteiligung an der Auswahl der Kader nehmen können, was nur allzu selbstverständlich war. Dieser Verfügungsentwurf untersagte es der Partei jedoch, sich in wirtschaftliche Angelegenheiten sowie in die Arbeit der Staatsorgane einzumischen. Stalin verlas den Entwurf, änderte sechs Wörter und schrieb »einverstanden« darunter. Was dann passierte, ist immer noch ein Geheimnis. […]

Dies war der erneute Versuch, die Partei aus dem Staatsapparat herauszuführen. Sie sollte nur noch die Funktionen, die sie während des Krieges ausgeübt hatte, behalten. Unter dem Entwurf stehen fünf Unterschriften: die von Molotow, Malenkow, Stalin, Chruschtschow und Andrejew. Es gab keinen stenografischen Bericht dazu, und wir können nur mutmaßen, wie andere abstimmten. Leider konnte selbst das allmächtige Staatliche Verteidigungskomitee mit seinen vier Politbüromitgliedern des Zentralkomitees nicht die alte Ordnung erschüttern. Das beweist einmal mehr, dass Stalin nie die Macht besaß, die ihm sowohl Anti‐​Stalinisten als auch Stalinisten zugeschrieben haben (J. Schukow, »Kultawanja«, Hervorhebungen von mir).«1

Wir wissen nicht, wie diese »Distanzierung« der Partei von Ökonomie und Staat umgesetzt werden sollte. Vermutlich wurde ein anderes Verfahren für die Besetzung der staatlichen Organe ins Auge gefasst. Bedeutete dies die Rückkehr zu Wahlen, so wie sie in der Verfassung von 1936 vorgesehen waren?

Wie immer man diese Fragen beantworten mag, es scheint, dass das Zentralkomitee, das hauptsächlich aus Ersten Sekretären der Partei bestand, erneut die Pläne der Stalin‐​Führung für einen grundlegenden Wandel des sowjetischen Systems zurückwies. In seiner »Geheimrede« bestritt Chruschtschow, dass ein solches Plenum überhaupt stattgefunden hatte! Da die meisten der Mitglieder des Zentralkomitees wissen mussten, dass dies eine Lüge war, kann es sein, dass der Zweck dieser Lüge darin bestand, ihnen insgeheim anzudeuten, dass dieser gefährliche Schritt gegen ihre Macht nun auch formal begraben war.

2. Nach dem Kriege

Wie wir gesehen haben, war Stalin der Auffassung, dass ein wichtiges Problem sowohl für die UdSSR als auch für die Bolschewistische Partei das Bestehen der »Doppelmacht« sei. Es war die Partei, nicht die Regierung, die tatsächlich die Gesellschaft regierte. Die Parteioffiziellen übten ihre Kontrolle als Aufsichtshabende und Kontrolleure aus, nicht so sehr als Manager der Produktion.

Den Staat der direkten Kontrolle der Partei zu entziehen, hätte gleich mehreren Zielen gedient:

  • Die Verfassung von 1936 wäre in Kraft getreten, was die Bindungen der sowjetischen Bevölkerung an den sowjetischen Staat verstärkt hätte;
  • die staatlichen Einrichtungen hätten von denen geleitet werden können, die wirklich dafür qualifiziert waren;
  • es wäre verhindert worden, dass die Partei – besonders auf höchster Ebene – zu einer parasitären Kaste von korrupten Karrieristen herunterkam.

Vor dem Krieg traf sich das Politbüro mindestens zweimal die Woche. Im Mai 1941 wurde Stalin zum offiziellen Staatsoberhaupt des Sowjetstaates ernannt, wodurch er Molotow als Vorsitzenden des Rates der Volkskommissare, auch Sownarkom genannt (die offizielle Spitze der Exekutive der UdSSR), ablöste.

Während des Krieges jedoch wurde die UdSSR tatsächlich weder von diesem Gremium noch von der Partei geführt, sondern von dem Staatlichen Verteidigungskomitee, das sich aus Stalin und drei seiner engsten Mitarbeiter zusammensetzte. Während des Krieges wurde nur ein ZK‐​Plenum abgehalten und auch das Politbüro traf sich selten, was nach dem Kriege auch noch der Fall war. Pyschikow: »Das Politbüro existierte praktisch nicht.« Der sowjetische Dissident Schores Medwedjew ist der Ansicht, dass es 1950 nur sechsmal, 1951 nur fünfmal und 1952 nur viermal2 tagte, das heißt, dass Stalin das Politbüro nicht mehr an staatlichen Angelegenheiten beteiligte (Pyschikow, Medwedjew, »Sekretnyi« (Geheimnisse)).

Stalin scheint seine Rolle als Parteiführer vernachlässigt zu haben. ZK‐​Vollversammlungen wurden seltener. Kein einziger Parteitag wurde in den dreizehn Jahren nach dem letzten aus dem Jahre 1939 abgehalten. Erst 1952 wieder. Nach dem Kriege signierte Stalin gemeinsame Beschlüsse von Partei und Regierung nur noch als Vorsitzender des Ministerrates (vormals: Rat der Volkskommissare) und überließ es einem der restlichen Parteisekretäre, Schdanow oder Malenkow, im Namen der Partei zu zeichnen (so Pyschikow, S. 100).

Die Partei genoss weiterhin eine hohe Autorität, was aber vielleicht nur daran lag, dass Stalin immer noch Generalsekretär dieser Partei war. Er war der einzige alliierte Führer, der nach dem Krieg noch im Amt war: Roosevelt war gestorben und Churchill wurde 1945 aus dem Amt gewählt. Es wäre keine Übertreibung zu sagen, dass Stalin unter den arbeitenden Menschen der berühmteste und am meisten respektierte Politiker der Welt war. Die kommunistische Bewegung, an deren Spitze er stand, war die Hoffnung von Millionen von Menschen. Sie war infolge des Sieges über den Faschismus gewaltig angewachsen. Stalins hohes Ansehen als Staatschef verlieh auch dem Parteiapparat hohes Prestige (so Muchin, Ubiistwo (Mord), S. 622, 13. Kap., s. dort).

Stalins Vorgehensweise legt nahe, dass er immer noch versuchte zu verhindern, dass die Partei die direkte Kontrolle über den Staat erlangte. Wenn das aber stimmt, dann muss gesagt werden, dass er dies sehr vorsichtig tat. Vielleicht hatte dies folgende Gründe: Ein unverdientes Misstrauen gegenüber der Partei hätte ein schlechtes Beispiel für andere Länder abgegeben, wo die kommunistischen Parteien noch nicht die Macht ergriffen hatten; das Zentralkomitee und die nomenklatura hätten das nicht mitgemacht. Schon vor dem Kriege hatte sie sich quergestellt.

Deshalb musste dies heimlich geschehen und durfte so wenig Aufsehen wie möglich erregen (Muchin, s. dort, S. 611).

3. Der Entwurf des Parteiprogramms aus dem Jahre 1947

Stalins Demokratisierungspläne gehen wahrscheinlich sehr viel weiter als wir heute erahnen können. Alexander Pyschikow, ein antikommunistischer und antistalinistischer Historiker, hat interessante Auszüge aus dem Entwurf für ein neues Parteiprogramm aus dem Jahre 1947 zitiert, aus denen hervorgeht, dass Demokratie und soziale Gleichheit in der UdSSR vorangetrieben werden sollten. Diese faszinierenden und bislang vollkommen unbekannten Pläne sind bislang nie veröffentlicht worden, und ganz offensichtlich sind sie den Historikern bislang unbekannt geblieben.

Hier der Abschnitt, der von Pyschikow wörtlich zitiert wird:

»Die Entwicklung der sozialistischen Demokratie auf der Grundlage der Vollendung des Aufbaus einer klassenlosen Gesellschaft wird nach und nach die Diktatur des Proletariats in eine Diktatur des sowjetischen Volkes verwandeln. In dem Maße wie die gesamte Bevölkerung allmählich in die Verwaltung staatlicher Angelegenheiten miteinbezogen wird, wird das Anwachsen des kommunistischen Bewusstseins, der Kultur und der sozialistischen Demokratie dazu führen, dass die Formen des Zwangs in der Diktatur der sowjetischen Bevölkerung zunehmend aussterben werden, dass immer mehr Maßnahmen des Zwanges durch den Einfluss der öffentlichen Meinung ersetzt werden; wird dazu führen, dass die politischen Aufgaben des Staates immer mehr zurückgehen, so dass der Staat im Wesentlichen in ein Organ der Verwaltung des wirtschaftlichen Lebens der Gesellschaft verwandelt wird.«

Pyschkow fasst andere Abschnitte dieses unveröffentlichten Dokuments wie folgt zusammen:

»Er [der Programmentwurf] beschäftigt sich insbesondere mit der Entwicklung der Demokratisierung der sowjetischen Ordnung. Er sieht es als wesentlich an, einen umfassenden Prozess in Gang zu setzen, um Arbeiter an den Geschäften des Staates zu beteiligen, sie auf der Grundlage einer steten Entwicklung des kulturellen Niveaus der Massen und einer maximalen Vereinfachung der staatlichen Verwaltung ständig für staatliche und soziale Belange zu aktivieren. Er sieht vor, in der Praxis dazu überzugehen, die produktive Arbeit mit der Beteiligung an der Führung staatlicher Angelegenheiten zu verbinden und auch dazu überzugehen, schrittweise die Aufgaben des staatlichen Managements den arbeitenden Menschen zu übertragen. Er erörtert auch ausführlich den Gedanken der Einführung direkter Gesetzesinitiativen durch das Volk, wofür folgende Maßnahmen als wesentlich angesehen werden:

a. Das allgemeine Wahlrecht sowie die Entscheidungsfindung für die Mehrheit der wichtigsten Fragen, die das staatliche Leben betreffen, sowohl in der sozial‐​ökonomischen Sphäre, als auch was Fragen der Lebensbedingungen oder der kulturellen Entwicklung betrifft, einzuführen;

b. Die Gesetzesinitiative von unten umfassend zu entwickeln, indem sozialen Organisationen das Recht verliehen wird, dem Obersten Sowjet Vorschläge für neue Gesetze zu machen;

c. Das Recht der Bürger und sozialen Organisationen zu garantieren, sich direkt mit Vorschlägen an den Obersten Sowjet, was die wichtigsten Fragen der internationalen und inneren Politik angeht, zu wenden.

Auch wurde das Prinzip der Wahl von Führungskräften nicht vernachlässigt. Der Entwurf des Parteiprogramms warf die Frage der Einführung – in Übereinstimmung mit der Entwicklung hin zum Kommunismus – des Prinzips der Bestimmung aller verantwortlichen Mitglieder des Staatsapparates durch Wahlen auf, warf die Frage von Veränderungen innerhalb einer ganzen Reihe von Staatsorganen in der Richtung auf, sie zunehmend in Einrichtungen zu verwandeln, die in der Lage sind, die Wirtschaft als Ganzes zu führen und zu beaufsichtigen. Dafür wurde es als wichtig angesehen, unabhängige Organisationen von Freiwilligen zu entwickeln. Bedeutung wurde auch der Frage beigemessen, wie man bei der kommunistischen Transformation des Bewusstseins der Bevölkerung, wie man auf der Grundlage der sozialistischen Demokratie unter der breiten Masse des Volkes, auf der Basis der ’sozialistischen Staatsbürgerschaft‹, des ›Arbeitsheroismus‹ oder des ›Mutes der Roten Armee‹ das gesellschaftliche Bewusstsein stärken könnte.«

Nach Pyschikow berichtete Schdanow im Februar 1947 vor dem Plenum des ZK über die Arbeit der Planungskommission. Er schlug vor, den 19. Parteitag Ende 1947 oder 1948 einzuberufen. Er legte auch einen Plan vor zur vereinfachten Anberaumung von Parteikonferenzen, und zwar einmal im Jahr, wobei er vorschlug, dass nicht weniger als ein Sechstel der Mitglieder des Zentralkomitees »verpflichtend ausgetauscht« werden sollte. Wenn dies Wirklichkeit geworden wäre, hätte dies bedeutet, dass die Ersten Sekretäre und andere Parteiführer des ZK weniger fest im Sattel gesessen hätten und gezwungen worden wären, jungen Leuten leichteren Zugang zu hohen Parteiämtern zu gewähren, und es hätte außerdem bedeutet, dass die Kritik der Basis an Parteiführern erleichtert worden wäre (Pyschikow, S. 96).

Dieser kühne Plan erinnert an Lenins Gedanken vom »langsamen Absterben des Staates«, die er in seinem bahnbrechenden Werk Staat und Revolution entwickelte, der sich wiederum an Ideen orientierte, die schon bei Marx und Engels zu finden sind. Indem er eine direkte demokratische Beteiligung an allen lebenswichtigen staatlichen Entscheidungen durch das sowjetische Volk und ihre Massenorganisationen vorschlägt sowie eine »Erneuerung«, verbunden mit der Möglichkeit einer jährlichen Abberufung von nicht weniger als einem Sechstel des Zentralkomitees durch eine Parteikonferenz, sah dieser Plan der Partei die Entfaltung der Demokratie von unten vor – sowohl im Staatsapparat als auch in der Partei selbst.

Aus diesem Plan wurde jedoch nichts. Ähnlich wie bei den vorangegangenen Versuchen, eine Demokratisierung des sowjetischen Staates und der Partei durchzuführen, wissen wir auch in diesem Fall nicht, woran er scheiterte. Es kann sein, dass er auf einer Vollversammlung des Zentralkomitees abgelehnt wurde. Der 19. Parteitag wurde dann auf 1952 verschoben. Auch hier wissen wir nicht, warum. Der Inhalt des Programmentwurfs legt nahe, dass er am Widerstand der Ersten Sekretäre im ZK gescheitert ist.3

4. Der neunzehnte Parteitag

Es hat den Anschein, dass die Stalin‐​Führung auf dem 19. Parteitag 1952 eine letzte Anstrengung unternahm, um der Partei die direkte Kontrolle über den Staat zu nehmen. Angefangen mit Chruschtschow, versuchte die Nomenklatura der Partei jede Erinnerung an diesen Kongress auszulöschen und ging sofort daran, das, was dort erarbeitet wurde, ungeschehen zu machen. Unter Breschnew wurden die Protokolle sämtlicher Parteitage bis zum 18. Parteitag einschließlich veröffentlicht. Die des 19. Parteitages jedoch wurden bis heute nicht veröffentlicht. Stalin gab nur eine kurze Ansprache auf dem Parteitag, die veröffentlicht wurde. Aber er hielt auch eine 90‐​minütige Rede vor dem Plenum des Zentralkomitees, das unmittelbar darauf folgte. Diese Rede wurde auch nie veröffentlicht, außer einige wenige Auszüge daraus, und es existiert auch kein Protokoll dieses Plenums.4

Stalin hatte den Parteitag einberufen lassen, um den Status der Partei und seine Organisationsstruktur zu ändern. Zu den Änderungen gehörten:

• Der Name der Partei wurde offiziell von »Allunions‐​Kommunistische Partei (Bolschewiki)« in »Kommunistische Partei der Sowjetunion« umgewandelt. Das entsprach der Sprachregelung der meisten anderen kommunistischen Parteien der Welt, womit die Partei mit dem Staat verbunden wurde.5

• Ein »Präsidium« ersetzte das Politbüro des Zentralkomitees. Dieser Name lehnte sich an den eines anderen Vertretungsorgans an: an das Präsidium des Obersten Sowjets. Das »Polit« wurde aus dem Namen entfernt, denn die gesamte Partei war schließlich politisch, nicht nur ihr führendes Organ.

Zweifellos war der Name eine präzisere Umschreibung für ein Organ, das nur die Partei, aber nicht Partei und Staat zusammen kennzeichnen sollte. Das ehemalige Politbüro umfasste schließlich mehrere Parteimitgliedschaften. In ihm vertreten war der Vorsitzende des Ministerrates (das heißt der Chef der Exekutive, also das Staatsoberhaupt); der Vorsitzende des Präsidiums des Obersten Sowjets (das heißt der Chef der Legislative); der Generalsekretär der Partei (das heißt Stalin); ein oder zwei weitere Parteisekretäre sowie ein oder zwei weitere Minister der Regierung. Die Beschlüsse des Politbüros waren sowohl für die Regierung als auch für die Partei verbindlich.

Daraus folgt, dass im Vergleich zu der wahrhaft überragenden Bedeutung des Politbüros im Land, die Rolle des Präsidiums stark eingeschränkt war. Da das Staatsoberhaupt und der Vorsitzende des Obersten Sowjets dort nicht mehr automatisch vertreten waren, sollte das Präsidium nur noch das führende Organ der Kommunistischen Partei sein.

Andere Änderungen:

• Das Amt des Generalsekretärs – Stalins eigener Posten – sollte abgeschafft werden. Ab jetzt war Stalin nur einer von 106 Parteisekretären, von denen alle dem neuen Präsidium angehörten, das sich nun aus 25 Mitgliedern und 11 Kandidaten zusammensetzte. Es war also sehr viel größer als das alte Politbüro mit seinen 9 – 11 Mitgliedern. Sein großer Umfang machte aus ihm eher ein Organ der vorläufigen Überlegungen als eines, in dem viele Entscheidungen routinemäßig und auf die Schnelle getroffen werden konnten.

• Die meisten der Mitglieder des Präsidiums scheinen Regierungsbeamte gewesen zu sein, jedoch keine Parteiführer. Chruschtschow und Malenkow wunderten sich später darüber, wie Stalin auch nur von den Leuten gehört haben konnte, die er für das erste Präsidium vorgeschlagen hatte, da sie keine bekannten Parteiführer waren, also zum Beispiel keine Ersten Sekretäre. Vermutlich nominierte sie Stalin aufgrund ihrer Position im Staatsapparat und nicht aufgrund der im Parteiapparat.7

Stalin machte seinen Rücktritt als Generalsekretär der Partei wahr, der auf dem 19. Parteitag stattfand. Wenig später, auf dem Plenum des ZK, trat er auch aus dem Zentralkomitee aus und blieb nur noch Staatsoberhaupt (Vorsitzender des Ministerrates).

Das bedeutete, dass, wenn Stalin nicht mehr dem Zentralkomitee angehörte, sondern nur noch Staatsoberhaupt war, hohe Regierungsbeamte sich nicht mehr verpflichtet gefühlt hätten, dem Präsidium – dem neuen höchsten Parteiorgan – Bericht zu erstatten. Stalins Vorstoß hätte den Parteioffiziellen Macht entzogen, deren Kontrollfunktion innerhalb des Staatsapparates dadurch überflüssig geworden wäre. Ohne Stalin als Chef der Partei hätte die Nomenklatura über weniger Prestige verfügt. Parteimitglieder an der Basis hätten sich nicht mehr verpflichtet gefühlt, die Kandidaten, die von den Ersten Sekretären empfohlen wurden, lediglich zu bestätigen.

So betrachtet hätte der Rückzug Stalins aus dem Zentralkomitee für die Nomenklatura eine Katastrophe bedeutet. Sie konnten der Meinung gewesen sein, durch »Stalins Schatten« von heftiger Kritik vonseiten einfacher Parteimitglieder stets abgeschirmt gewesen zu sein. Das wiederum hätte bedeuten können, dass in Zukunft nur noch intelligente und fähige Leute in der Parteinomenklatura sowie im Staatsapparat überlebt hätten (Muchin, Ubiystvo, S. 618 – 23).

Die Tatsache, dass auf diesem ZK‐​Plenum kein Protokoll geführt wurde, deutet darauf hin, dass sich dort ganz bestimmte Dinge zutrugen und dass Stalin etwas sagte, was diese Nomenklatura nicht an die Öffentlichkeit dringen lassen wollte. Das bedeutet auch, und es ist wichtig dies einmal zu betonen, dass Stalin nicht »allmächtig« war. Stalins ernste Kritik an Molotow und Mikojan auf diesem Plenum wurde lange nach seinem Tod nicht veröffentlicht.8

Der berühmte sowjetische Schriftsteller Konstantin Simonow war als Mitglied des ZK auf diesem Plenum anwesend. Er schildert Malenkows schockierte und panikartige Reaktion, als Stalin vorschlug, zur Abstimmung zu stellen, ihn von seiner Funktion als Sekretär des Zentralkomitees zu entbinden (Simonow, S. 244 – 5). Als Stalin sich mit heftigem Widerstand konfrontiert sah, bestand er nicht mehr darauf.9

Die Parteiführung hat dann eiligst Schritte unternommen, um die Beschlüsse des 19. Parteitages zu annullieren. Am 2. März [1953/​Anm. d. Übers.], als Stalin noch lebte, aber bewusstlos war, trat ein verkleinertes Präsidium, im Grunde das alte Politbüro, auf Stalins Datscha zusammen. Dort einigten sich seine Mitglieder darauf, das Präsidium wieder auf zehn Mitglieder zu verringern, statt es bei den 25 Mitgliedern zu belassen. Die Zahl der Parteisekretäre wurde wieder auf fünf reduziert. Chruschtschow wurde zum »Koordinator« des Sekretariats ernannt und dann, fünf Monate später, wurde er »Erster Sekretär«. Schließlich nannte man ab 1966 das Präsidium erneut »Politbüro«.

Während der restlichen Geschichte der UdSSR regierte die Partei die sowjetische Gesellschaft, wobei ihre führende Schicht zu einer korrupten, selbsternannten, sich selbst verherrlichenden Kaste von privilegierten Eliten wurde. Unter Gorbatschow schuf die herrschende Gruppe die UdSSR ab und eignete sich ihren wirtschaftlichen Reichtum und die politische Führerschaft in der neuen kapitalistischen Gesellschaft an. Gleichzeitig vernichtete sie die Ersparnisse und stahl die sozialen Errungenschaften der sowjetischen Arbeiterklasse sowie die der Bauern, deren Arbeit alles aufgebaut hatte und eignete sich den riesigen, von der Allgemeinheit geschaffenen Reichtum der UdSSR an. Und genau diese ehemalige Nomenklatura regiert bis heute die postsowjetischen Staaten.

5. Lawrenti Berija

Berija ist die am meisten verleumdete Persönlichkeit in der sowjetischen Geschichte.10

Deshalb ist der Wandel in der Einschätzung von Berijas Karriere, der nach dem Ende der Sowjetunion plötzlich einsetzte, sogar als noch dramatischer anzusehen als die Neubewertung der Rolle Stalins durch die Wissenschaft, was das Hauptanliegen dieses Artikels ist.

Berijas »hundert Tage« – in Wirklichkeit sind es 112 Tage: angefangen von Stalins Tod am 5. März 1953 bis zu seiner Entfernung am 26. Juni – sahen den Beginn einer großen Anzahl von weitreichenden Reformen vor. Wenn die sowjetische Führung die volle Entfaltung dieser Reformen ermöglicht hätte, wäre die Geschichte der Sowjetunion, die der internationalen kommunistischen Bewegung, die des Kalten Krieges, kurz, die Geschichte der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts, wahrscheinlich ganz anders verlaufen.

Berijas Reforminitiativen beinhalteten mindestens die folgenden, die einer besonderen Untersuchung Wert sind, und tatsächlich werden sie heute untersucht, obwohl die russische Regierung die meisten Primärquellen dazu weiter unter Verschluss hält und selbst Forschern, die ihr Vertrauen besitzen, den Zugang dazu verwehrt:

• Die Wiedervereinigung Deutschlands als eines nichtsozialistischen, neutralen Staates – ein Schritt, der unter den Deutschen sehr begrüßt worden wäre und der den Nato‐​Alliierten und den USA nicht gefallen hätte.

• Die Normalisierung der Beziehungen zu Jugoslawien, die die Möglichkeit eröffnete hätte, es aus seiner heimlichen Allianz mit dem Westen gegen die Kominform herauszulösen.

• Eine Nationalitätenpolitik, die der »Russifizierung« in den neu erworbenen Gebieten der West‐​Ukraine und den baltischen Staaten entgegengetreten wäre, in Verbindung mit dem Ziel, zumindest einigen nationalistischen Gruppen von Emigranten entgegenzukommen, plus eine reformierte Nationalitätenpolitik in anderen nichtrussischen Gebieten, darunter Georgien und Weißrussland.

• Die Rehabilitierung und Entschädigung jener, die durch Sondergerichte wie den sogenannten Troikas und NKWD‐​Sonderkommissionen während der 30iger und 40iger Jahre rechtswidrig verurteilt worden waren. Unter Berija wäre dieser Prozess entschieden anders eingeleitet worden als er später unter Chruschtschow, der viele der zweifellos Schuldigen »rehabilitierte«, vorangetrieben wurde.

Einige der weiteren Reformen Berijas wurden größtenteils verwirklicht, darunter

• eine Amnestie für Millionen von Menschen, die wegen Verbrechen gegen den Staat gefangen gehalten worden waren.

• die Beendigung der Untersuchung der sogenannten Ärzteverschwörung, zusammen mit dem Eingeständnis, dass die Anschuldigungen ungerechtfertigt waren und die Bestrafung der darin verwickelten NKWD‐​Leute sowie die Entfernung von Kruglow, dem ehemaligen NKWD‐​Vorsitzenden, aus dem Zentralkomitee.11

• die Beschneidung der Befugnisse der sogenannten Sonderkommissionen des NKWD, die dem Organ erlaubten, Menschen zum Tode oder zu langen Freiheitsstrafen zu verurteilen.

• das Verbot, bei Feierlichkeiten die Portraits von führenden Politikern zu zeigen, um jede Art von Personenkult, nicht nur den Stalin‐​Kult, zu unterbinden. Dies wurde von der Parteiführung nach Berijas Beseitigung aufgehoben.

6. Berijas Schritte in Richtung einer demokratischen Reform

Nach offiziellen Angaben wurde Berija von seinen Genossen im Politbüro sowie von einigen Generälen am 26. Juni 1953 verhaftet. Die genauen Umstände dieser angeblichen Verhaftung sind jedoch unklar. Es existieren dazu unterschiedliche Versionen.12 Auf dem ZK‐​Plenum vom Juli 1953, das sich mit der Anklage gegen Berija beschäftigte, sagte Mikojan:

»Als Berija auf dem Roten Platz sprach über dem Grab von Stalin, sagte ich nach seiner Rede: ›In Ihrer Rede gibt es Stellen, wonach Sie jedem Bürger die in der Verfassung vorgesehenen Rechte und Freiheiten garantieren wollen. Das ist keine leere Phrase, selbst dann nicht, wenn sie von einem einfachen Redner gebraucht wird, schon gar nicht, wenn sie ein Innenminister verwendet: Es wird zum Aktionsprogramm, und Sie sind dann gezwungen, es umzusetzen‹. Er antwortete mir: ›Und genau das werde ich tun‹ (Muchin, S. 178; »Berija«, SS. 308 – 9).«

Berija hatte in seiner Rede etwas gesagt, das Mikoyan alarmierte. Ganz offensichtlich war es die Tatsache, dass Berija in seiner Rede auf dem Roten Platz, als er von der Verfassung sprach, die Kommunistische Partei nicht erwähnte, sondern nur von der sowjetischen Regierung sprach. Berija sprach gleich nach Malenkow, was zeigte, dass er das zweithöchste Amt im sowjetischen Staat bekleidete. Er sagte:

»Die Arbeiter, die Kolchosbauern, die Intelligenz unseres Landes können friedlich und zuversichtlich sein, weil ihnen bewusst ist, dass die sowjetische Regierung gewissenhaft und unermüdlich die Rechte garantiert, die in der Stalin‐​Verfassung niedergelegt sind, … und die Außenpolitik der sowjetischen Regierung wird auch künftig die Lenin‐​Stalin‐​Politik der Bewahrung und Stärkung des Friedens sein … (»Berija«, Rede).«

Muchin schlägt folgendes plausibles Verständnis dieser Textstelle vor:

»Die einfachen Menschen verstanden kaum, was Berija sagte. Für die Parteinomenklatura jedoch war dies ein schwerer Schlag. Berija hatte vor, das Land ohne die Partei nach vorne zu bringen, das heißt ohne sie. Er versprach den Menschen, ihre Rechte zu wahren, die ihnen von der Partei jedoch nicht verliehen worden waren, sondern von einer Verfassung! (Muchin, S. 179).«

Auf dem Juni‐​Plenum 1953 sagte Chruschtschow:

»Erinnern wir uns daran, was Rakosi (der ungarische Kommunistenführer – GF) sagte: ›Ich möchte ganz gerne wissen, was im Ministerrat beschlossen wird und was im Zentralkomitee, welche Arbeitsteilung es da geben soll‹. … Berija sagte dann fahrlässig: ›Welches Zentralkomitee? Lassen wir den Ministerrat entscheiden! Das Zentralkomitee kann sich um Kaderfragen und Propaganda kümmern‹ (»Berija«, S. 91).«

Später auf dem gleichen Plenum schlug Lazar Kaganowitsch in Chruschtschows Kerbe:

»Die Partei ist für uns das Höchste. Niemand hat das Recht, so zu sprechen wie der Schurke (Berija ist gemeint – GF), dass das Zentralkomitee nur noch für Kader und Propaganda zuständig sein soll, nicht mehr für die politische Führung, nicht mehr für die Führung allen Lebens, so wie wir Bolschewiki es kennen (»Berija«, S. 138).«

Diese Leute schienen geglaubt zu haben, dass Berija die Absicht hatte, die Partei von der direkten Führung des Landes auszuschließen. Aber das glich auf ein Haar dem, wofür Stalin und seine Anhänger während der Verfassungsdiskussion in den Jahren 1935 – 37 gekämpft hatten. Man kann sie in dem Entwurf des neuen Parteiprogramms von 1947 wiederfinden, aber auch bei Stalins Versuchen, die bolschewistische Partei auf dem 19. Parteitag sowie auf dem nachfolgenden ZK‐​Plenum, das nur ein paar Monate zuvor stattgefunden hatte, umzustrukturieren.

Berijas Sohn Sergo behauptet, dass sein Vater und Stalin sich darauf geeinigt hatten, der Partei die direkte Kontrolle über die sowjetische Gesellschaft zu entziehen.

»Das Verhältnis meines Vaters zu den Organen der Partei war problematisch … Er verbarg nie sein Verhältnis zum Parteiapparat. Zum Beispiel sagte er ganz direkt zu Chruschtschow und Malenkow, dass der Parteiapparat die Menschen korrumpiere. Er habe in früheren Zeiten seine Existenzberechtigung gehabt, als der sowjetische Staat gerade gegründet wurde. Mein Vater fragte sie: ›Wer braucht diese Kontrolleure aber heute noch‹?

Er sprach genauso offen mit den Betriebsdirektoren, die sich natürlich um die Nichtstuer aus dem Zentralkomitee nicht im Geringsten kümmerten.

Er war auch Stalin gegenüber genauso offen. Josef Wissarionowitsch stimmte dem zu und meinte, dass sich der Parteiapparat aus der Verantwortung für konkrete Belange gestohlen habe und nichts außer Gerede produziere. Ich weiß noch, dass ein Jahr vor seinem Tod, als Stalin die neue Zusammensetzung des Präsidiums des Zentralkomitees präsentierte, er eine Rede hielt, deren entscheidender Punkt war, dass es notwendig sei, neue Formen der Verwaltung des Landes zu finden, dass die alten nicht die besten seien. Dann fand eine ernste Diskussion über die Aktivitäten der Partei statt (Sergo Berija, Moy Otets Lavrentii Beria (Mein Vater Lavrenti Berija)).«

Berijas Umstrukturierungsvorhaben wären sicherlich an der Parteibasis sehr populär gewesen, ganz zu schweigen von den nichtorganisierten Sowjetbürgern. Aber für die Nomenklatura waren sie bedrohlich.

Muchin umschreibt es so:

»Berija hielt nicht mit seinem Vorhaben hinter dem Berg, den Menschen einzuschärfen, dass das Land im Zentrum und auf örtlicher Ebene von den Sowjets regiert werden müsse, so wie die Verfassung es vorsah, und die Partei sollte ein ideologisches Organ sein, das durch seine Propaganda garantieren müsse, dass durch ihre Hilfe die Abgeordneten der Sowjets auf allen Ebenen Kommunisten blieben. Berija schlug vor, die Verfassung mit ihrer Devise ›alle Macht den Sowjets!‹ im umfassenden Sinne wiederzubeleben. Wenn Berija ausschließlich auf dem Gebiet der Ideen tätig gewesen wäre, wäre dies zwar für die Nomenklatura unangenehm, aber kaum beängstigend gewesen. Aufgrund ihres Einflusses hätten sie Delegierte für den Obersten Sowjet ausgesucht und sie instruiert, Berijas Pläne zu sabotieren. Wenn aber Berija den Sekretären des Zentralkomitees nicht mehr erlaubt hätte, die Wahlen oder Sitzungen des Obersten Sowjets zu organisieren, dann wäre man nicht sicher gewesen, wie sich die Delegierten bei ihren Beschlüssen verhalten hätten (Ubiistwo, S. 363 – 4).«

Zwangsläufig musste dies Berija stark von der Mehrheit der Parteinomenklatura entfremden (Ubiistwo, S. 380). Chruschtschow führte sie an und vertrat die Interessen dieser Gruppe oder zumindest einen großen und aktiven Teil davon. Und Chruschtschow besaß ein ganz anderes Konzept von »Demokratie«. Der berühmte Filmregisseur Michail Romm gab Chrustschows Worte auf einer Versammlung vor Intellektuellen wie folgt wieder:

»Natürlich haben alle gehört, was Sie gesagt haben und haben mit Ihnen gesprochen. Aber wer wird entscheiden? In unserem Land müssen die Menschen entscheiden. Und die Menschen – wer ist das? Das ist die Partei. Und wer ist die Partei? Das sind wir. Wir sind die Partei. Das heißt, dass wir entscheiden werden. Ich werde entscheiden. Verstanden? (Alichanow).«

Muchin sagt es so: »Die Partei als Organisation, in der Millionen von Kommunisten organisiert waren, war am Ende. Die Gruppe an ihrer Spitze wurde zur Partei.« (Muchin, Ubiistwo, S. 494).

7. Der Tod von Stalin und Berija … und der anderer?

Zusätzlich zu den mysteriösen Umständen von Berijas Tod existieren viele Hinweise darauf, dass Stalin entweder auf dem Flur seines Büro in seiner Datscha hilflos sich selbst überlassen wurde, um dort zu sterben oder sogar vergiftet wurde. Wir haben hier weder die Zeit noch den Raum, um dieser Frage nachzugehen.

Das ist an dieser Stelle auch nicht notwendig. Die weite Verbreitung und der Glaube an diese Geschichten unter Russen aus allen politischen Lagern zeigen, dass viele Russen der Meinung sind, dass der Tod Stalins und Berijas der Nomenklatura nur allzu gelegen kam. Die Beweise dafür, dass Berija und Stalin eine kommunistische Perestroika, eine »Umstrukturierung« anstrebten, obwohl dies nur eine politische und keine ökonomische sein sollte, also keine Wiedereinführung einer kapitalistischen Superausbeutung und Ausplünderung des Landes, die mit diesem Namen in den späten 80iger Jahren verbunden sind, sind nicht abhängig davon, ob sie eventuell ermordet wurden oder nicht.

Das unmittelbare Ergebnis des Scheiterns von Stalin und Berija, eine Demokratisierung durchzuführen, bedeutete, dass die UdSSR der Parteiführung ausgeliefert wurde. Es wurde keine Arbeiterdemokratie in der Sowjetunion eingeführt. Die Spitze der Parteiführung konzentriert nach wie vor alle wichtigen Ämter in ihren Händen, einschließlich der in Staat und Wirtschaft und entwickelte sich zu einer vollkommen parasitären, ausbeuterischen Schicht, die sehr viel Ähnlichkeit mit der in offen kapitalistischen Ländern besitzt.

Diese Schicht ist im wahrsten Sinne des Wortes heute immer noch an der Macht. Gorbatschow, Jeltsin, Putin und der Rest der russischen Führung sowie die in den postsowjetischen Staaten gehörten allesamt mit zur Parteielite. Sie nahmen die Bürger der Sowjetunion als superprivilegierte Funktionäre aus. Dann schließlich, unter Gorbatschows Führung, nahmen sie die Privatisierung allen Kollektiveigentums, das der Arbeiterklasse der UdSSR gehört hatte, in Angriff, wodurch sie nicht nur die Arbeiter, sondern auch die breite Mittelschicht gleich mit verarmten. Dies ist die größte Ausplünderung der Weltgeschichte genannt worden.13 Die Parteinomenklatura hat die Sowjetunion zerstört (Bivens & Bernstein; O’Meara; Williamson).

Um ihre eigene Rolle bei den Massenexekutionen in den 30iger Jahren zu tarnen, ihre erfolgreichen Machenschaften bei der Verhinderung von Stalins Plänen, eine Demokratisierung durchzuführen, ihre Blockadehaltung, Stalins und Berijas Reformen einzuführen – kurz, um ihre Weigerung, die Sowjetunion zu demokratisieren zu tarnen, schoben Chruschtschow und die höchsten Parteiführer Stalin für alles die Schuld in die Schuhe. Sie logen über das Vorhandensein von ernsthaften Verschwörungen in der UdSSR in den 30iger Jahren und verheimlichten ihre eigene Rolle bei den Massenexekutionen, die folgten.

Chruschtschows sogenannten Geheimrede von 1956 war der größte Schlag gegen die internationale kommunistische Bewegung der Geschichte. Sie ermunterte überall die Antikommunisten, die ausnahmsweise einmal der Meinung waren, dass da jetzt ein kommunistischer Führer an der Macht sei, an den auch sie glauben konnten. Dokumente, die seit dem Ende der UdSSR freigegeben wurden, machen deutlich, dass praktisch sämtliche Beschuldigungen Chruschtschows, die er gegen Stalin in seiner Rede erhob, erlogen waren. Diese Erkenntnis zwingt uns wiederum, der Frage nachzugehen, welche wirklichen Gründe es für Chruschtschows Angriffe gegen Stalin gab.14 Russische Forscher haben bereits den Beweis erbracht, dass die »offiziellen« Anschuldigungen gegen Berija, die von Chruschtschow und seinen Komplicen in der sowjetischen Führung zitiert wurden, entweder falsch oder ohne jede Beweiskraft sind. An Berija wurde ein Justizmord verübt aus Gründen, die seine Mörder nie offengelegt haben. Der »Mantel der Lügen«, die beide Ereignisse umgeben, zwingt uns zu fragen: Was passierte wirklich? Dieser Aufsatz schlägt eine bestimmte Antwort vor.

8. Schlussfolgerungen und künftige Forschung

Da Stalin ausdrücklich die Existenz konkurrierender Parteien bei Wahlen ausgeschlossen hatte, muss die Frage erlaubt sein: Wie »demokratisch« wäre denn das Ergebnis gewesen, wenn er sich durchgesetzt hätte? Antworten auf Fragen zur Demokratie müssen mit einer anderen Frage beginnen: »Was ist unter ›Demokratie‹ zu verstehen?«

In der industrialisierten kapitalistischen Welt kennzeichnet der Begriff ein System, bei dem politische Parteien bei Wahlen antreten, bei dem aber alle von einer Elite kontrolliert werden – von extrem reichen und äußerst autoritären Leuten und Gruppen. Auch bedeutet »Demokratie« nicht, dass der Kapitalismus selbst jemals »abgewählt« werden könnte. Diese sogenannten Demokratie ist eine Form und ein Verfahren der Klassenherrschaft, kurz, ein »Mangel an Demokratie«.

Hätten Wahlen im Rahmen der Arbeitermacht in der UdSSR funktionieren können? Können Wahlen in einer künftigen sozialistischen Gesellschaft funktionieren? Worin besteht die Aufgabe einer »repräsentativen Demokratie« in einer Gesellschaft, die die Aufhebung der Klassen anstrebt? Weil diese Bestimmungen der Verfassung von 1936 nie in der UdSSR praktiziert wurden, können wir nicht wissen, welche Stärken und Schwächen dieser Vorschlag gehabt hätte. Marx und Engels zogen aus ihrer Studie der Pariser Kommune wichtige Schlussfolgerungen für das Wesen einer proletarischen Demokratie. Es ist sehr schade, dass wir keine ähnlichen Erfahrungen aus der Sowjetunion zu Stalins Zeiten, was Wahlen angeht, erhalten haben. Zweifellos hätten sich Stärken, aber auch Schwächen gezeigt, was sehr lehrreich gewesen wäre.

Wissenschaftler, motiviert durch den politischen Antikommunismus, werden weiterhin versuchen, dem alten und falschen, aber noch nicht genügend diskreditierten chruschtschowschen Anti‐​Stalin‐​Paradigma des Kalten Krieges neues Leben einzuhauchen. Jedoch hat der Prozess einer Neubewertung der Geschichte der Sowjetunion durch die Freigabe einer Flut von ehemals geheimen Dokumenten in Russland schon längst begonnen. Bald schon wird diese Neubewertung auch anderswo Fuß fassen. Ein wichtiges Anliegen dieser Studie besteht darin, andere mit dieser Entwicklung vertraut zu machen.

Eine Sache wird fast jedem Leser sofort auffallen. Aufgrund des »Personenkults«, der Lobhudelei, von der Stalin umgeben war, sind wir geneigt zu glauben, dass Stalin ein »allmächtiger Diktator« war. Dieser fundamentale Irrtum des Kalten Krieg/​Chruschtschow‐​Paradigmas, der durch die Forschungsarbeiten, über die hier berichtet wurde, offensichtlich zu Tage gefördert wurde, hat unser Verständnis der sowjetischen Geschichte völlig verzerrt. Tatsächlich war Stalin nie »allmächtig«. Er wurde durch die gemeinsamen Anstrengungen anderer Parteiführer gelähmt, und er hat nie sein Ziel, eine Verfassungsreform einzuführen, erreichen können. Auch war er nicht in der Lage, die Ersten Sekretäre der Partei und die örtlichen NKWD‐​Organe in Schach zu halten.

Der »Kult« verdeckte diese politischen Kämpfe. Protokolle von Vollversammlungen des Zentralkomitees zeigen, dass obwohl bestimmte bolschewistische Politiker zeitweilig mit Stalin ganz und gar nicht übereinstimmten, dies jedoch selten offen geschah. Politische Kontroversen konnten nicht öffentlich gemacht und offen beigelegt werden. Stattdessen wurden sie an anderen Stellen ausgetragen. Einige dieser Zusammenkünfte waren informeller Art, was sich im Fall der Ersten Sekretäre im Juli 1937 zeigte. Einige dieser Kontroversen wurden durch repressive Methoden geführt, wobei oft andere politische Meinungen als feindliche Opposition bezeichnet wurden.

Wie der Mechanismus im Einzelnen auch ausgesehen haben mag – die Folgen des »Kults« waren autoritär und zutiefst antidemokratisch. Stalin gehörte zu den wenigen sowjetischen Führern, die dies zum Teil begriffen haben. Im Verlaufe seines Lebens verurteilte er den »Kult« viele Male.15 Aber ganz offensichtlich hat er nie durchschaut, welchen Schaden er unweigerlich anrichten musste.

Die Schlussfolgerungen, zu denen wir hier gelangt sind – fast gänzlich auf der Grundlage der Forschungsarbeiten anderer – zeigen einige wichtige Felder auf, die einer künftigen Untersuchung wert wären:

Welche Form kann »Demokratie« in einer sozialistischen Gesellschaft annehmen, die sich in Richtung einer klassenlosen Gesellschaft entwickeln will? Hätte die Umsetzung der Verfassung von 1936, so wie sie von Stalin ins Auge gefasst wurde, funktionieren können, um sowohl die Sowjetunion zu demokratisieren als auch um die Bolschewistische Partei wieder in ihre alte Rolle einzusetzen – als eine Organisation von engagierten Revolutionären, deren allererste Aufgabe es gewesen wäre, eine führende Rolle beim Aufgabe des Kommunismus zu spielen? Oder hätte dieses demokratische Modell bereits so viele bürgerlich‐​kapitalistische Konzepte einer Demokratie enthalten, dass es die Entwicklung der UdSSR zurück in den Kapitalismus beschleunigt, statt aufgehalten hätte?

Worin besteht die eigentliche Aufgabe einer kommunistischen Partei in einer solchen Gesellschaft? Welches sind die besonderen Formen der politischen Führung, die mit einer demokratischen Ermächtigung der Arbeiterklasse vereinbar sind? Welche Formen politischer und ökonomischer Führung stehen im Widerspruch zu diesen Zielen?

Wenn wir erst einmal den Gedanken, dass Wahlen und eine »repräsentative« Regierung alleine schon ausreichen, damit der Staat die Interessen der Arbeiter und Bauern zum Ausdruck bringen kann, in Frage stellen, dann folgt daraus, dass die Verfassung von 1936, selbst wenn sie umgesetzt worden wäre, dieses Ziel auch nicht realisiert hätte. Dies würde darauf hindeuten, dass die sogenannten Lösung nicht darin bestehen kann, den Staat zu stärken und die Partei zu schwächen, wie Stalin und Berija anscheinend angenommen haben. Marxisten sind der Meinung, dass der Staat entweder von der einen oder der anderen Klasse dominiert wird, so dass, wenn eine neue herrschende Klasse sich aus der führenden Schicht der Partei oder aus einem anderen Teil der Gesellschaft herauskristallisiert, sie herrschen und den Staat so verändern wird, dass ihre Herrschaft dadurch noch effektiver wird. Das würde wiederum bedeuten, dass die Trennung zwischen Partei und Staat künstlich und trügerisch ist und dass man auf sie verzichten sollte.

  • Der Begriff »Bürokratismus« oder »Bürokratie« lenkt die Aufmerksamkeit auf ein Problem und verschleiert gleichzeitig ein anderes. Ich glaube, dass die beiden oben aufgeworfenen Fragen, Demokratie und die Rolle der Partei, kreativere und nutzbringendere Denkinstrumente anbieten für ein Nachdenken über das Problem des Verhältnisses zwischen dem organisierten, politisch bewussten Teil der Bevölkerung in einer sozialistischen oder kommunistischen Gesellschaft und dem weniger organisierten und weniger politisch bewussten Teil, der jedoch die wirtschaftlich produktive Mehrheit stellt.
  • Die Bolschewiki im Allgemeinen und Stalin im Besonderen unterschieden klar zwischen politischen und technischen Fähigkeiten oder Ausbildung. Aber sie beschäftigten sich nie angemessen mit dem Widerspruch zwischen »Roter« und »Experte«, wie dieser Widerspruch während der Chinesischen Kulturrevolution genannt wurde. Der Gedanke, der praktisch von allen Sozialisten vertreten wird, dass politische »Aufsicht« oder »Kontrolle« von dem technischen Spezialwissen und der Produktion getrennt werden kann, widerspiegelte teilweise die irrtümliche Vorstellung, dass »Technik« (Wissenschaft) politisch neutral ist und dass, wenn sie effizient angewendet wird, die ökonomische Produktion dann als politisch »links« oder »kommunistisch« anzusehen sei. Das Dilemma des Widerspruchs zwischen Staat und Partei ergibt sich hieraus.
  • Was bedeutet »innerparteiliche Demokratie« für eine kommunistische Partei? In der UdSSR verwandelten sich viele der oppositionellen Kräfte, deren Ansichten auf Parteitagen und Parteikonferenzen in den 20iger Jahren keine Mehrheit fanden, in Verschwörer, die dann schließlich dazu übergingen, zu versuchen, die Parteiführung zu ermorden, einen Putsch zu organisieren oder mit der Auslandsspionage feindlicher kapitalistischer Länder zusammenzuarbeiten. Gleichzeitig entwickelten Parteiführer auf der unteren Ebene diktatorische Manieren, wodurch sie sich von der Parteibasis entfremdeten – ganz zu schweigen von der noch sehr viel größeren nichtkommunistischen Bevölkerung – während sie sich gleichzeitig materielle Privilegien sicherten.

Die materiellen Vergünstigungen, die hohe Parteioffizielle erhielten, müssen eine wichtige, vielleicht sogar entscheidende Rolle bei der Entwicklung jener Schicht gespielt haben, die auch Nomenklatura genannt wird. Stalins erklärtes Ziel, der Partei die direkte Herrschaft zu entreißen und sie auf ihre Aufgabe, Propaganda und Agitation zu betreiben, zu reduzieren, zeigt, dass er, aber vielleicht auch andere, sich selbst dieses Gegensatzes [zwischen den einfachen Parteimitgliedern und den hochbezahlten Parteiführern/​Anml. d. Übers.] bewusst war. In welchem Maße waren große Einkommensunterschiede wichtig, um die Industrialisierung in der UdSSR zu beschleunigen? Wenn sie entscheidend wichtig waren, war es dann ein Fehler, Parteimitgliedern zu erlauben, sich Zugang zu materiellen Privilegien zu verschaffen in Form von hohen Gehältern, besserem Wohnraum, besonderen Läden usw.? Der politische Zusammenhang, in dem diese Entscheidungen in den späten 20iger und frühen 30iger Jahren gefällt wurden, muss näher untersucht werden. Die Diskussionen, die heute verfügbar sind, die etwa in den frühen dreißiger Jahren um die Beendigung des sogenannten Partei‐​Maximums geführt wurden, müssen wieder aufgegriffen und analysiert werden.

Schukow und Muchin scheinen anzunehmen, dass die Taktik, die sie Stalin und Berija zuschreiben, die darin bestand, die Parteiführung von der Leitung der Staatsgeschäfte fernzuhalten, tatsächlich die beste Chance besaß, die Partei vor der Entartung zu bewahren. Vielleicht lag der wahre Grund für die Entartung in der Verteidigung ihrer eigenen Privilegien und nicht so sehr in dem Widerspruch zwischen dem »Roten« und dem »Experten«.

Ganz eindeutig wurden materielle Anreize für nötig gehalten, um zunächst qualifizierte, jedoch bürgerliche und antikommunistische und arbeiterfeindliche Intellektuelle in den Aufbau der Industriebasis der UdSSR miteinzubeziehen. Davon ausgehend könnte argumentiert werden, dass höhere Löhne notwendig waren, um technisch qualifizierte Leute (einschließlich qualifizierte Arbeiter) dazu zu veranlassen, in die Bolschewistische Partei einzutreten oder aber unter harten und widrigen Lebens‐ und Arbeitsverhältnissen, oft mit dem Risiko verbunden, die eigene Gesundheit zu riskieren und die eigene Familie aufzuopfern, zurechtzukommen. Von dieser Position aus konnte dann die ganze Palette kapitalistisch anmutender Ungleichheiten gerechtfertigt werden und wurde sie auch.

Vielleicht waren Stalin und Berija der Auffassung, dass allein schon durch die Rückkehr der Partei zur Wahrnehmung ihrer »rein politischen« Aufgabe, sie vor der Entartung bewahrt werden konnte. Da ihr Plan – wenn es ihr Plan war – nie zur Ausführung kam, können wir dies nicht wirklich wissen. Aber ich vermute, dass das Thema der »materiellen Anreize«, das heißt das der ökonomischen Ungleichheit, das ausschlaggebende war. In seinen Gesprächen mit Felix Tschujew sann der alternde Molotow über die Notwendigkeit für mehr Gleichheit nach und sorgte sich um die Zukunft des Sozialismus in der UdSSR, weil er erkannte, dass die Ungleichheit zunahm. Molotow verfolgte die Ursachen dieser Entwicklung nicht in die Tage von Lenin und Stalin zurück. Tatsächlich war Molotow wie Stalin nicht in der Lage, das Erbe Lenins kritisch zu betrachten, obwohl die Notwendigkeit Ungleichheiten zu bewahren und sogar auszuweiten, um die Produktion anzukurbeln, zumindest bis Lenin zurückverfolgt werden kann, wenn nicht bis Marx (siehe: »Kritik des Gothaer Programms«).

Die Fragen, die jemand stellt, offenbaren zwangsläufig die eigenen politischen Anliegen, und bei mir ist es nicht anders. Ich glaube, dass die Geschichte der Bolschewistischen Partei während der Stalin‐​Jahre – eine Geschichte, die durch viele antikommunistische Lügen vernebelt wurde und die noch geschrieben werden muss – künftigen Generationen viel mitzuteilen hat. Politische Aktivisten, die in die Vergangenheit blicken, um dort Ratschläge zu finden und politisch bewusste Wissenschaftler, die der Meinung sind, dass ihr größter Beitrag für eine bessere Welt durch das Studium von vergangenen Kämpfen geleistet werden kann, können eine Menge von dem Erbe der Sowjetunion lernen.

Wie mittelalterliche Seeleute, deren Karten auf Einbildungen und weniger auf Fakten beruhten, sind wir von einer standardisierten Geschichtsschreibung der UdSSR, die größtenteils falsch ist, auf Irrwege geführt worden. Der Prozess der Entdeckung der wahren Geschichte des ersten sozialistischen Experiments der Welt hat kaum begonnen. Wie jeder Leser dieses Aufsatzes feststellen wird, ist dies von enormer Bedeutung für unsere Zukunft.

Link zu Teil 1

Ergänzende Bibliografie für Teil 2

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Koshliakov, Sergei, “Lavrentiia Beria rasstreliali zadolgo do prigovora“. Vesti Nedeli, 29. Juni 2003, bei: http://​www​.vesti7​.ru/​a​r​c​h​i​v​e​/​n​e​w​s​?​i​d​=​2​728.

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Toptygin, Aleksei. Lavrentii Beria. Moscow: Yauza, Eksmo, 2005.

Contents copyright c 2005 by Grover Furr.

Format copyright c 2005 by Cultural Logic, ISSN 1097 – 3087.

Fußnoten

1 Der vollständige Text findet sich bei Schukow, »Stalin«. Vgl. auch Schukows frühere Arbeit bei Tayny, S. 270 – 6, wo der Text auch steht.

2 Eine andere Lesart der Archive lässt darauf schließen, dass die Zahlen 6, 6 und 5 sein könnten. Siehe O. Chlewjnuk u.a., Politburo TsK VKP(b) i Sovet Ministrov SSSR 1945 – 53. Moscov: ROSSPEN, 2002, SS. 428 – 31.

3 Pyschikow schreibt diese demokratische Richtung den Leningradern zu, besonders aber Wosnessenski. (vgl. den Artikel »N. A. Wosnessenski« bei: http://​www​.akdi​.ru/​i​d​/​n​e​w​/​e​k​5​.​htm). Das würde bedeuten, dass auch Schdanow sie unterstützte, obwohl Schdanows Schirmherrschaft nicht zu Pyschikows Theorie von den am meisten prokapitalistischen Kräften passt, wonach Wosnessenski und seine »Leningrader« am »demokratischten« gewesen seien, noch erklärt es, weshalb der Entwurf nicht angenommen wurde, da die »Leningrader« das ganze Jahr 1947 einflussreich blieben, noch deutet es darauf hin, geschweige denn beweist es, dass es irgendeine zwangsläufige Verbindung gibt zwischen der prokapitalistischen und »konsumorientierten« Einstellung Wosnessenskis und einer politischen Demokratie. Schließlich deutet nichts darauf hin, dass Stalin ihn nicht unterstützte.

4 Nach Schores Medwedjew wurde Stalins privates Archiv unmittelbar nach seinem Tod zerstört. (Medwedjew, »Sekretyni«). Wenn das stimmt, würde dies darauf hindeuten, dass einige seiner Ideen für sehr gefährlich gehalten wurden (so Muchin, Ubiystvo, S. 612), darunter jene, die er auf den beiden Tagungen entwickelte. Ich folge hauptsächlich Muchin, Kap. 13, sowie Medwedjew, siehe dort.

5 Dies war sicherlich als einheitsstiftende Maßnahme gedacht. Jede der Republiken der UdSSR behielt ihre eigene Partei: Es gab die Kommunistische Partei der Ukraine, die Georgiens usw. Dies veranlasste einige Parteiführer anzunehmen, dass Russland, die größte der Republiken, aber diejenige, die keine »eigene« Partei besaß, im Nachteil sei. Offensichtlich bestand die schwerwiegendste Beschuldigung gegen die Parteiführer, die im Rahmen der Leningrader Affäre nach dem Kriege angeklagt und hingerichtet wurden, darin, dass sie geplant hatten, eine eigene russische Partei zu gründen und vorhatten, die Hauptstadt der Russischen Republik (nicht die der UdSSR) nach Leningrad zu verlegen. Man kann der Meinung sein, dass dies Russland noch mächtiger gemacht und dem großrussischen Chauvinismus Vorschub geleistet hätte, obwohl das, worauf es damals ankam, darin bestand, die verschiedenen Nationalitäten enger zusammenzuführen, siehe David Brandenberger, »Stalin, die Leningrader Affäre und die Grenzen des russischen Nachkriegszentrismus«, Russian Review 63, 2004, S. 241 – 255.

6 Der Posten »Erster Sekretär« wurde erst nach Stalins Tod für Chruschtschow eingeführt.

7 Zitiert nach Muchin, Ubiystvo, S. 617.

8 Die erste Veröffentlichung, auf die ich gestoßen bin, stand in der linksgerichteten Zeitung Sovetskaia Rossiia vom 13. Januar 2000, bei: http://​www​.kprf​.ru/​a​n​a​l​y​t​i​c​s​/​1​0​8​2​8​.​s​h​tml;

9 Muchin meint, dies sei ein fataler Irrtum gewesen. Er ist der Ansicht, dass es im Interesse der Parteinomenklatura gewesen sei, dass Stalin im Fall seines Todes sowohl Sekretär des Zentralkomitees (obwohl nicht mehr Generalsekretär) und Staatsoberhaupt gleichzeitig war; mit anderen Worten, dass er immer noch in einer Person die Parteiführung und die Staatsführung des Landes vereinigte. Sein Nachfolger musste dann als Sekretär des ZK auch aller Wahrscheinlichkeit nach vom Land und der Regierung als Staatsoberhaupt anerkannt werden. Das hätte dann aber den Bestrebungen, der Parteinomenklatura die Führung des Landes zu entreißen, ein Ende bereitet. (Muchin, Ubiystvo, 604 & Kap. 13, siehe dort).

10 Ich bezog mich auf die längeren Abhandlungen zu Berijas Reformen – sowohl auf die, die er durchgeführt als auch auf jene, die er nur vorschlug – siehe Kokurin, Poschalow, Starkow, Knight und Muchin, Ubiystvo). Alle jüngeren Abhandlungen zu Berija, die in der Bibliografie zitiert werden, diskutieren die Reformen ebenfalls.

11 In seiner »Geheimrede« prangerte Chruschtschow auch die »Ärzteverschwörung« als eine Intrige an. Aber er besaß die Unverschämtheit, Berija dafür verantwortlich zu machen, der tatsächlich die Untersuchung niedergeschlagen hatte, während er Kruglow pries, der als NKWD‐​Chef für diese Intrige verantwortlich gewesen war und dessen ZK‐​Mitgliedschaft wiederhergestellt wurde. Kruglow saß im Zuschauerraum, als Chruschtschow sprach.

12 Es gibt eine Reihe von Hinweisen darauf, dass Berija noch am Tage seiner Verhaftung ermordet wurde. Sein Sohn Sergo behauptet in seinen Erinnerungen, dass ihm Untersuchungsbeamte bei seinem »Prozess« [angeblich im Dezember 1953/​Anm. d. Übers.] erzählt hätten, dass sein Vater gar nicht anwesend war. Muchin weist darauf hin, dass Baybakow, das letzte noch lebende ZK‐​Mitglied aus dem Jahre 1953, ihm erzählt habe, dass Berija zur Zeit des Juli‐​Plenums des ZK bereits tot gewesen sei, dass aber die Mitglieder des ZK dies damals gar nicht gewusst hätten (Sergo Berija; Muchin, Ubiystvo, S. 375). Amy Knight (S. 220) berichtete, dass Chruschtschow selbst gleich zweimal erklärt habe, dass Berija am 26. Juni 1953 getötet worden sei, änderte aber später die Aussage wieder. Unterdessen wird behauptet, dass die Prozessdokumente angeblich aus den Archiven »entwendet« worden seien, so dass noch nicht einmal überprüft werden kann, ob sie je existierten (Klinschtein, 2003). Einige Forscher wie André Suchomlinow (SS. 61 – 2) sind jedoch nach wie vor der Ansicht, dass die Beweise für Berijas Ermordung nicht stichhaltig sind.

13 Der Begriff »größter Diebstahl der Geschichte« wird weithin verwendet, um die »Privatisierung« des gemeinschaftlich erwirtschafteten Staats‐ und Kollektiveigentums der UdSSR zu umschreiben. Einige Beispiele dazu findet man in dem Aufsatz »Russian Oligarchy. Welcome to the Real World«, in: The Russian Journal, 17. 3. 2003: http://​www​.russiajournal​.com/​n​e​w​s​/​c​n​e​w​s​-​a​r​t​i​c​l​e​.​s​h​t​m​l​?​n​d​=​3​6​013, Raymond Baker, Centre for International Policy, »A Clear and Present Danger«, Australian Broadcasting Corp, 2003: http://​www​.abc​.net​.au/​4​c​o​r​n​e​r​s​/​s​t​o​r​i​e​s​/​s​2​9​6​5​6​3​.​htm.

14 Ab November 2005 werde ich einen Artikel über Chruschtschows Lügen in seiner »Geheimrede« beginnen, dessen Veröffentlichung für den Februar 2006 geplant ist – den 50. Jahrestag der Chruschtschow‐Rede.

15 Roy Medjedjew, in: Let History Judge: The Origins and Consequences of Stalinism, zitiert eine Reihe von Textstellen, in denen Stalin dies tut: siehe S. 150, 507, 512, 538, 547 der Knopf‐​Ausgabe von 1971. Andere sind nach dem Ende der UdSSR ans Tageslicht gekommen, zum Beispiel The Diary of Georgi Dimitrov 1933 – 1949, hrsg. u. eingeleitet von Ivo Banac, New Haven, CT, Yale University Press, 2003, SS. 66 – 7.

Deutsche Übersetzung Gerhard Schnehen. Format angepasst an MagMa, Flüchtigkeitsfehler stillschweigend korrigiert, Nummerierung der Überschriften hinzugefügt. Englisches Original erschienen in Cultural Logic (content copyright Grover Furr, format copyright Cultural Logic). Deutsche Übersetzung zuerst erschienen auf Grover Furrs Website und in der offen‐​siv

Bild: Diskussion über die Verfassung der UdSSR von 1936

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