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Zum 70. Jahrestag von Stalins Tod bringt MagMa den deutschen Lesern vielleicht zum ersten Mal eine Übersetzung von W. E. B. Du Bois’ Lobrede. Als Aktivist und Intellektueller ist Du Bois ein Titan in der Geschichte der progressiven Politik in den USA. Wie Stalin war sein Leben dem Kampf gegen Rassismus, Kapitalismus und Imperialismus gewidmet. In seinen Veröffentlichungen und öffentlichen Debatten vernichtete er den »wissenschaftlichen Rassismus« seiner Zeit. Er demontierte die Mythologie der herrschenden Klasse über die Reconstruction, also den Zeitraum der Wiedereingliederung der aus den USA ausgetretenen Südstaaten nach dem Sezessionskrieg, der bis dahin als eine Katastrophe dargestellt wurde, die durch die zu schnelle Gewährung von Rechten an Schwarze verursacht worden war. Du Bois bewies, dass die Schwarzen die demokratischen Rechte sofort mit Würde, Intelligenz und Können angenommen hatten. Du Bois’ Ansichten über Stalin sind jedoch nicht allgemein bekannt. Das liegt daran, dass Du Bois’ bemerkenswertes politisches Vermächtnis ihn zu dem Schicksal verurteilte, das so viele tote Revolutionäre teilen, wie es Lenin berühmt beschrieben hat: »Nach ihrem Tode versucht man, sie in harmlose Götzen zu verwandeln, sie sozusagen heiligzusprechen, man gesteht ihrem Namen einen gewissen Ruhm zu zur ›Tröstung‹ und Betörung der unterdrückten Klassen, wobei man ihre revolutionäre Lehre des Inhalts beraubt, ihr die revolutionäre Spitze abbricht, sie vulgarisiert.« Wie wir wissen, ist dieses Schicksal unvereinbar mit jeder öffentlichen Assoziation mit Stalin, denn Stalin hat sich als nahezu unempfindlich gegenüber diesem Prozess erwiesen. Er kann nicht heilig gesprochen werden; man macht kein Götze aus ihm. Die Lobrede von Du Bois macht deutlich, warum das so ist: Er verkörpert vielleicht mehr als jeder andere die furchterregende Gestalt der unterdrückten Massen, bewaffnet, ermächtigt und selbstbewusst.

Josef Stalin war ein großer Mann; nur wenige andere Männer des 20. Jahrhunderts kommen an seine Größe heran. Er war bescheiden, besonnen und beherzt. Er verlor selten die Fassung, sann langsam über seine Probleme nach, traf seine Entscheidungen klar und entschlossen, ließ sich weder zur Prahlerei hinreißen noch zierte er sich davor, seinen rechtmäßigen Platz mit Würde einzunehmen. Er war der Sohn eines Leibeigenen, aber er hielt den Großen ohne Zögern und Nervosität die Stirn hin. Doch auch – und das war der höchste Beweis für seine Größe – kannte er den einfachen Menschen, spürte seine Probleme, verfolgte sein Schicksal.

Stalin war kein Gelehrter im herkömmlichen Sinne; er war viel mehr als das: Er war ein Mann, der tiefgründig dachte, verständnisvoll las und auf Weisheiten hörte, ganz gleich, woher sie kamen. Er wurde angegriffen und verleumdet wie nur wenige Männer der Macht; dennoch verlor er selten seine Höflichkeit und sein Gleichgewicht; er ließ sich auch nicht durch Angriffe von seinen Überzeugungen abbringen oder dazu bewegen, Positionen aufzugeben, von denen er wusste, dass sie richtig waren. Als Angehöriger einer der verachteten Minderheiten der Menschheit hat er Russland zuerst auf den Weg der Überwindung von Rassenvorurteilen gebracht und aus seinen 140 Gruppen eine Nation gemacht, ohne deren Individualität zu zerstören.

Sein Urteil über die Menschen war tiefgründig. Schon früh durchschaute er die Extravaganz und das Imponiergehabe Trotzkis, der die Welt und insbesondere Amerika täuschte. Die ganze flegelhafte und beleidigende Haltung der Liberalen in den USA von heute begann mit unserer naiven Akzeptanz von Trotzkis prunkvoller Lügenpropaganda, die er um die Welt trug. Gegen sie stand Stalin wie ein Fels in der Brandung und bewegte sich weder nach rechts noch nach links, während er sich weiter in Richtung eines echten Sozialismus bewegte anstatt der von Trotzki angebotenen Augenwischerei.

Als Stalin an der Macht war, stand er vor drei großen Herausforderungen, die er mit großer Bravour meisterte: zuerst das Bauernproblem, dann der Angriff aus Westeuropa und schließlich der Zweite Weltkrieg. Der arme russische Bauer war das niedrigste Opfer des Zarismus, des Kapitalismus und der orthodoxen Kirche. Er hat auf Popen ohne weiteres verzichten können; er hat sich weniger bereitwillig, aber spürbar von seinen Ikonen abgewandt; aber seine Kulaken klammerten sich hartnäckig an den Kapitalismus und waren kurz davor, die Revolution zunichte zu machen, als Stalin eine zweite Revolution riskierte und die ländlichen Blutsauger verjagte.

Dann kam die Intervention, die ständige Bedrohung durch Angriffe aller Nationen, die durch die Weltwirtschaftskrise gestoppt wurde, um dann durch den Hitlerismus wieder aufgenommen zu werden. Es war Stalin, der die Sowjetunion zwischen Skylla und Charybdis hindurchführte: Westeuropa und die USA waren bereit, sie an den Faschismus zu verraten, um dann im Zweiten Weltkrieg um ihre Hilfe bitten zu müssen. Ein Geringerer als Stalin hätte Rache für München gefordert, aber er hatte die Weisheit, nur Gerechtigkeit für sein Vaterland zu verlangen. Roosevelt gewährte dies, aber Churchill hielt sich zurück. Das britische Empire schlug zuerst vor sich selbst in Afrika und Südeuropa zu retten, während Hitler die Sowjets zerschlug.

Die zweite Front trödelte, aber Stalin drängte unbeirrt weiter. Er riskierte den völligen Ruin des Sozialismus, um die Diktatur Hitlers und Mussolinis zu zerschlagen. Nach Stalingrad wusste die westliche Welt nicht, ob sie weinen oder applaudieren sollte. Der Preis des Sieges für die Sowjetunion war furchtbar. Bis zum heutigen Tag hat die Außenwelt keine Vorstellung von dem Schmerz, den Verlusten und den Opfern. Für seine ruhige, strenge Führung wird Stalin von den Menschen in ganz Russland zutiefst verehrt, wenn auch nirgendwo anders.

Dann kam das Problem des Friedens. So schwer dies für Europa und Amerika auch war, für Stalin und die Sowjets war es noch viel schwerer. Die konventionellen Machthaber der Welt hassten und fürchteten sie und wären nur zu gern bereit gewesen diesen Versuch des Sozialismus scheitern zu lassen. Gleichzeitig war auch die Angst vor Japan und Asien real. Die Diplomatie setzte sich also durch und Stalin wurde als Opfer ausgewählt. Er wurde zu einer Konferenz mit dem britischen Imperialismus, vertreten durch seine geschulte und wohlgenährte Aristokratie sowie mit dem enormen Reichtum und der potenziellen Macht Amerikas, vertreten durch seinen liberalsten Führer seit einem halben Jahrhundert, geladen.

Hier zeigte Stalin seine wahre Größe. Er hat weder gekuscht noch sich aufgespielt. Er war nie anmaßend, er hat nie kapituliert. Er gewann die Freundschaft von Roosevelt und den Respekt von Churchill. Er verlangte weder Bewunderung noch Rache. Er war vernünftig und versöhnlich. Aber in dem, was er für wesentlich hielt, war er unnachgiebig. Er war bereit den Völkerbund, der die Sowjets beleidigt hatte, wieder aufleben zu lassen. Er war bereit gegen Japan zu kämpfen, obwohl Japan damals keine Bedrohung für die Sowjetunion darstellte und für das britische Empire und den amerikanischen Handel der Tod bedeuten konnte. Aber in zwei Punkten war Stalin unnachgiebig: Clemenceaus »Cordon Sanitaire« muss an die Sowjets zurückgegeben werden, von denen er als Bedrohung gestohlen worden war. Der Balkan dürfe der westlichen Ausbeutung zugunsten des Landmonopols nicht hilflos ausgeliefert werden. Die Arbeiter und Bauern dort müssen ein Mitspracherecht haben.

So war der Mann, der nun tot darniederliegt, immer noch die Zielscheibe lärmender Schakale und schlecht erzogener Menschen in einigen Teilen des missmutigen Westens. Zu Lebzeiten litt er unter ständiger und einstudierter Beleidigung; er war dazu gezwungen, in einsamer Verantwortung bittere Entscheidungen zu treffen. Seine Belohnung kommt, wenn der gewöhnliche Mensch in feierlichem Beifall aufsteht.

Zuerst erschienen im National Guardian am 16. März 1953. Diese Übersetzung basiert auf dem Text des Marxist Internet Archive

Bild: Porträt Stalins von Isaak Brodsky, 1935 (wikimedia commons)

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