Eine Kritik eines Essays von Alex de Jong in der Zeitschrift Jacobin vom August 2021
Im August 2021 veröffentlichte die sozialdemokratische Zeitschrift Jacobin einen Artikel des niederländischen Schriftstellers Alex de Jong mit dem Titel »Stalin lieferte Hunderte von Kommunisten an Hitler aus«. Die Behauptung im Titel des Artikels ist falsch. De Jongs Artikel und andere Artikel und Bücher, die diese Behauptung aufstellen, begehen alle die folgenden drei Kardinalfehler:
Rehabilitierungen
Sie gehen davon aus, dass die von den Regimen Chruschtschow und Gorbatschow in der ehemaligen UdSSR für »rehabilitiert« erklärten Personen in Wirklichkeit unschuldig an den Verbrechen waren, für die sie bestraft wurden.
Viele oder die meisten der Deutschen und Österreicher, die zwischen 1937 und 1941 aus der UdSSR nach Deutschland deportiert wurden, wurden für »rehabilitiert« erklärt. In Wirklichkeit bedeutet dies jedoch keineswegs, dass sie unschuldig gegenüber den gegen sie erhobenen Vorwürfen waren. Der antikommunistische Forscher Marc Junge stellt fest:
[…] die Rehabilitierung in der Sowjetunion blieb ein willkürlicher politischer und administrativer Akt, der in erster Linie von der politischen Zweckmäßigkeit der Maßnahmen, nicht aber von der Korrektheit des Strafrechts bestimmt wurde (Junge, Bucharins Rehabilitierung, Berlin, 1999, S. 266).
In Kapitel 11 meines 2011 erschienenen Buches Chruschtschows Lügen [dt. 2014/Anm. d. Übers.] habe ich die Rehabilitationsberichte untersucht, die bis 2003 veröffentlicht wurden. Ich habe gezeigt, dass keiner von ihnen einen Beweis dafür enthält, dass die »rehabilitierte« Person unschuldig war. Für Gorbatschow (und zuvor für Chruschtschow) war es politisch bequem zu behaupten, dass viele Personen, die während der »Stalinzeit« wegen schwerer Verbrechen verurteilt wurden, zu Unrecht verurteilt wurden. Aber Gorbatschows Leute veröffentlichten weder die Ermittlungsakten, die die Beweise gegen die Angeklagten enthielten, noch – im Falle der Deutschen und Österreicher – die »Rehabilitations«-Berichte.
Im Jahr 2010 veröffentlichten mein Kollege Wladimir L. Bobrow und ich einen Artikel über die »Rehabilitierung« von Nikolai Bucharin, der wegen Beteiligung an der rechts‐trotzkistischen Verschwörung verurteilt und im März 1938 hingerichtet worden war. Darin wiesen wir nach, dass der Oberste Gerichtshof der Sowjetunion 1988 »absichtlich über ein Dokument gelogen hat, das er als Beweis für die »Rehabilitierung« Bucharins anführte. Dieses Dokument, das 2006 endlich veröffentlicht wurde, liefert in der Tat weitere Beweise für Bucharins Schuld!
Bis heute haben wir keine Beweise dafür, dass eine dieser Personen unschuldig ist, was die Anklagepunkte betrifft, für die sie verurteilt wurden. In den Fällen, in denen wir überhaupt Beweise haben, deuten diese auf ihre Schuld hin.
Verschwörungen
Bücher und Artikel, in denen behauptet wird, dass die nach Deutschland deportierten Deutschen unschuldig waren, gehen alle davon aus, dass die Verschwörungen, derer sie für schuldig befunden wurden, nicht existierten.
Wenn es keine derartigen Verschwörungen gab, mussten natürlich alle, die wegen ihrer Beteiligung daran verurteilt wurden, einschließlich der Deutschen, unschuldig sein. Auch dies wurde von Chruschtschows und Gorbatschows Leuten behauptet. Beweise aus ehemaligen sowjetischen Archiven zeigen jedoch, dass es solche Verschwörungen tatsächlich gab und dass sie gefährlich und weit verbreitet waren.
Die Ermittlungen und Prozesse in den Jahren 1936 – 1938 zerschlugen schwerwiegende Verschwörungen von Trotzkisten, Anhängern von Grigorij Sinowjew, Militärführern und anderen. Das Bild einer »Hexenjagd« diente den Interessen der Antikommunisten und derjenigen, die wie Leo Trotzki seine eigene Verschwörung und seine Kollaboration mit den Deutschen, Japanern, einheimischen Faschisten und seinen eigenen heimlichen Anhängern gegen das Stalin‐Regime leugneten.
Versäumnis der Verwendung der NKVD‐Ermittlungsakten über die Angeklagten der 1930er‐Jahre
Diese stehen den Forschern seit einigen Jahren zur Verfügung. Diese Akten enthalten in der Regel Verhöre, Geständnisse, persönliche Konfrontationen zwischen Anklägern, den Bericht der Ermittler, die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft und Prozessprotokolle.
Die Behauptung, dass eine bestimmte Person unschuldig oder schuldig ist, kann nur dann Gültigkeit haben, wenn diese Beweise untersucht wurden. Weder de Jong noch seine Quellen haben die Ermittlungsakten von auch nur einer dieser Personen studiert. Ich habe Ermittlungsakten des NKWD über eine Reihe prominenter Oppositioneller erhalten. Einer von ihnen ist Osip Pyatnitsky, der bis 1935 Führer der Komintern war, 1937 verhaftet, verurteilt und 1938 hingerichtet wurde. De Jong hätte das Gleiche tun können.
Heinz Neumann war ein Führer der »linken« – das heißt, der anti‐Stalin‐ und anti‐sowjetischen – Opposition in der Kommunistischen Partei Deutschlands. De Jong behauptet, die Anklage gegen ihn und seine Frau Margarete Buber‐Neumann sei »erfunden«. Dies ist falsch. Die einzigen Beweise, die wir bezüglich der Anklagen gegen Neumann haben – zum Beispiel in den Geständnisaussagen von Osip Pyatnitsky – deuten auf Neumanns Schuld hin.
Eine der Frauen, die mit Buber‐Neumann inhaftiert und dann nach Deutschland deportiert wurden, war Betty Olberg. Sie war die Frau von Valentin Olberg, der im Moskauer Prozess von 1936 gestand, in die Sowjetunion gereist zu sein, um auf Anweisung Trotzkis ein Attentat auf Stalin zu verüben. Aus den sowjetischen Archiven liegen uns heute zahlreiche Beweise vor, die das Geständnis von Valentin Olberg bestätigen.
Eine Geständnisaussage von Betty Olberg wurde 2013 veröffentlicht. Darin gibt sie zu, dass sie und ihr Mann mit Hilfe der Gestapo und von Trotzkis Sohn Leon Sedow gefälschte honduranische Pässe gekauft hatten. Valentin Olberg wurde hingerichtet, seine Frau jedoch nicht – möglicherweise weil sie mit der Staatsanwaltschaft kooperierte.
Wie ähnliche Artikel behauptet auch de Jong, dass die deportierten Deutschen und Österreicher (mit wenigen Ausnahmen) Kommunisten waren. Auch dies ist falsch. Die Verurteilung wegen eines schweren Verbrechens hatte den Ausschluss aus der kommunistischen Bewegung zur Folge. Darüber hinaus waren einige der Deportierten als Oppositionelle aus ihren eigenen Parteien ausgeschlossen worden. Für die Sowjets war also niemand von ihnen Kommunist, als sie deportiert wurden.
De Jong schreibt:
Es ist daher schwer zu sagen, wie viele Menschen das gleiche Schicksal wie [Margarete] Buber‐Neumann erlitten. Eine vorsichtige Schätzung geht davon aus, dass über sechshundert deportiert oder vertrieben wurden.
Woher hat de Jong diese Zahl? Er zitiert das 1990 erschienene Buch des antikommunistischen Historikers Hans Schafranek Zwischen NKWD und Gestapo. Schafranek kommt zu dem Schluss, dass es nicht mehr als 300 gewesen sein können.
De Jong stellt fest, dass Buber‐Neumann die Deportationen als »Stalins Geschenk an Hitler« bezeichnete. De Jong verschweigt seinen Lesern jedoch, dass eine sorgfältige Studie des antikommunistischen deutschen Sozialisten Wilhelm Mensing zu dem Schluss kam, dass dies nicht der Fall war.
- Es wurden keine »500 erbitterte Gegner Hitlers« nach Deutschland deportiert. Es wurden etwas mehr als 300 Personen deportiert. Das Nazi‐Regime hat die meisten der Deportierten nicht bestraft.
- Die Deportationen von 1939 – 1941 richteten sich nicht gegen Kommunisten
- Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Molotow‐Ribbentrop‐Nichtangriffspakt der Grund für die Deportationen war.
- Es gibt keine Beweise dafür, dass die 1939 – 1941 aus der Sowjetunion nach Deutschland deportierten Menschen dort verfolgt wurden. Im Gegenteil, es gibt Hinweise darauf, dass einige von ihnen, darunter auch ehemalige Kommunisten, nicht belästigt wurden.
Mensing enthüllt auch, dass viele der Deportierten wegen des einen oder anderen Verbrechens verurteilt worden waren.
De Jong spricht über den österreichischen Kommunisten Fritz Koritschoner, kennt aber nicht einmal die Anklage gegen ihn. Auch Schafranek, de Jongs Hauptquelle, weiß es nicht. Hier, wie auch anderswo, geht de Jong einfach davon aus, dass »Rehabilitierung« Unschuld bedeutet – was nicht der Fall ist.
In Bezug auf den österreichischen Sozialisten Georg Bonner schreibt de Jong:
Zu einer Gruppe von fünfundzwanzig Deportierten, die im Dezember 1939 überstellt wurden, gehörten zehn Schutzbündler. Einer von ihnen war Georg Bogner. Er hatte während des Aufstandes im Februar 1934 in seiner Heimatstadt Attnang‐Puchheim gekämpft und war dann in die Sowjetunion geflohen. Die sowjetische Geheimpolizei verhaftete Bogner im Jahr 1938. Ende Dezember 1939 befand er sich in Warschau in der Obhut des deutschen Geheimdienstes, des Sicherheitsdienstes.
De Jong vergisst zu erwähnen, dass Bogner, der am 25. März 1938 verhaftet wurde, erst am 14. Dezember 1939 vor Gericht gestellt wurde – genug Zeit für eine Untersuchung. Bogners österreichische Genossen hatten ihre Zweifel an ihm, lange bevor die Sowjets ihn verhafteten. Auf einer antikommunistischen deutschen Seite über Bogner heißt es: Das Kollektiv des Schutzbundes stellte fest, dass Bogner 1934 einer faschistischen Organisation beigetreten war. De Jong verschweigt dies. Über Ernst Fabisch schreibt de Jong:
Fabisch war im Alter von neunzehn Jahren der Kommunistischen Partei Deutschlands (Opposition), kurz KPO, beigetreten. Die von Heinrich Brandler und August Thalheimer geführte KPO war eine kommunistische Strömung, die zur so genannten »Rechten Opposition« in der Bewegung gehörte und mit sowjetischen Politikern wie Nikolai Bucharin, Stalins letztem großen Rivalen, verbunden war. Sie lehnt die sektiererische Feindseligkeit der KPD gegenüber Sozialdemokraten und anderen Sozialisten ab und plädiert für Einheit gegen den Faschismus.
Das ist alles falsch. In den 1930er‐Jahren war Bucharin kein »Rivale« Stalins. Außerdem haben wir eine Menge Beweise für Bucharins Schuld aus den ehemaligen sowjetischen Archiven. Was die »Einheit gegen den Faschismus« betrifft, so war dies bereits seit mehr als zwei Jahren die Position der Komintern und der Sowjetunion, als Fabisch am 29. Juli 1937 vom NKWD verhaftet wurde.
Nach den einzigen Informationen, die ich über ihn finden kann, wurde Fabisch wegen »konterrevolutionärer Tätigkeit« und »Mitgliedschaft in einer bewaffneten Gruppe« angeklagt. Auf der deutschen Wikipedia-Seite heißt es, Fabisch sei wegen »Mitgliedschaft in der Brandler‐Gruppe« verurteilt worden. Diese Gruppe, die 1929 aus der Kommunistischen Partei Deutschlands ausgeschlossen wurde, war Teil der internationalen Rechten Opposition, die die Stalinsche Führung der Sowjetunion angriff.
Am 15. November 1937 (Schafranek, S. 136, hat den 17. November) wurde Fabisch zunächst zu einer Strafe im Arbeitslager und am 5. Januar 1938 zur Deportation als unerwünschter Ausländer verurteilt.
De Jong schreibt:
Wie der Historiker Hermann Weber feststellte, starben von den dreiundvierzig führenden KPD‐Mitgliedern mehr in der Obhut der sowjetischen Geheimpolizei als von den Nazis getötet wurden.
Wer waren sie? Warum erwähnt de Jong nicht einmal einen von ihnen? Tatsache ist, dass Weber diese Liste von einer Liste kopiert zu haben scheint, die von Gorbatschows Leuten am 3. August 1989 herausgegeben wurde und die weder Untersuchungen noch Beweise enthält.
De Jong schreibt: »Stalin löste die Polnische Kommunistische Partei 1938 auf […]«. Auch dies ist falsch.
Am 28. November 1937 schickte der Komintern‐Führer Georgi Dimitrow Stalin einen Resolutionsentwurf des Exekutivkomitees der Komintern, in dem die Auflösung der Polnischen Kommunistischen Partei vorgeschlagen und begründet wurde. In Stalins Handschrift findet sich darauf der Vermerk »Diese Auflösung kommt etwa zwei Jahre zu spät«.
Selbst dann fand die Auflösung erst am 16. August 1938 statt, und zwar nicht durch einen Befehl Stalins, sondern durch eine Abstimmung des Exekutivkomitees der Komintern (Dimitrow und Stalin, 1934 – 1943, S. 26 – 32). Stalin hat sie also nicht angeordnet – sonst wäre sie zwei bis drei Jahre früher erfolgt! Ein weiterer Beweis dafür, dass Stalin kein Diktator war – etwas, was die C.I.A. in den frühen 1950er‐Jahren berichtete.
Weder Buber‐Neumann noch die anderen, die von den Sowjets nach Deutschland deportiert wurden, waren Kommunisten, als sie nach Deutschland zurückgeführt wurden. Alle waren wegen eines schweren, aber nicht kapitalen Verbrechens verurteilt worden. Eine Verurteilung hätte den Ausschluss aus der kommunistischen Partei bedeutet, wenn sie nicht vorher ausgetreten oder ausgeschlossen worden wären.
Bei der Erörterung des Falles Hugo Eberlein verschweigt de Jong, dass er in einer Zusammenfassung des Untersuchungsmaterials über Komintern‐Figuren auftaucht, die das NKWD am 20. April 1938 an Stalin schickte und in der einige seiner Geständnisse zusammengefasst sind. Dieses Dokument ist sogar im Internet verfügbar.
Sowjetische Quellen geben an, dass Eberlein am 30. Juli 1941 wegen »Beteiligung an einer antisowjetischen rechts‐trotzkistischen Organisation« zum Tode verurteilt wurde. Eberlein war in der deutschen Kommunistischen Partei in der Anti‐Thaelmann‐Opposition gewesen.
De Jong schreibt: »Buber‐Neumann, Fabisch, Bogner, Eberlein und viele andere wurden Opfer einer Hexenjagd. Ihr endgültiges Schicksal hing von willkürlichen bürokratischen Entscheidungen ab.«
Dies ist eine bewusste Fälschung, denn de Jong konnte dies nicht wissen. In allen Fällen, in denen ich überhaupt Beweise finden kann, wurde der Angeklagte nach umfangreichen Ermittlungen vor Gericht gestellt.
Seit einigen Jahren sind die Ermittlungsakten des NKWD aus den 1930er‐Jahren für Forscher zugänglich. Aber de Jong interessiert sich nicht für Beweise! Aber wer sich nicht um Beweise kümmert, der kümmert sich auch nicht um die Wahrheit. De Jong hat keine Ahnung von der sowjetischen Geschichte dieser Zeit. Er schreibt:
Der Anstoß für die Deportationen kam in erster Linie aus dem Inneren des sowjetischen Systems. Stalins Säuberungen begannen als Angriff auf eine genau definierte Gruppe von Menschen: Kommunisten, die als potenzielle Unterstützer der Opposition angesehen wurden. Im Laufe der Zeit führte die Anwendung von Folter und anderen Formen des Drucks, um Verdächtige zur Nennung von Namen zu zwingen, in Verbindung mit einer allgemeinen Atmosphäre der Paranoia und des Misstrauens und dem bürokratischen Erfordernis von Verhaftungsquoten zu einer unaufhaltsamen Ausweitung der Zahl der Zielpersonen.
Auch das ist falsch. Die Verhaftungen und Prozesse gegen Verschwörer waren keine »Angriffe« auf irgendjemanden. Es handelte sich um Untersuchungen von Verschwörungen gegen Stalin und die sowjetische Führung und um die Verfolgung der Verschwörer. Heute verfügen wir über eine Vielzahl von Beweisen gegen diese Verschwörer aus ehemaligen sowjetischen Archiven.
Nur Personen, die tatsächlich der Verschwörung verdächtigt wurden, und nicht »potenzielle Anhänger der Opposition«, wurden vor Gericht gestellt. Die sowjetische Regierung genehmigte keine »Verhaftungsquoten«, sondern setzte stattdessen »Grenzen« – Höchst‑, nicht Mindestzahlen – für Verhaftungen fest.
Der verstorbene Stephen Cohen, dessen Arbeit ich an anderer Stelle kritisiert habe, kam in einem Artikel von 2003 zu dem Schluss, dass Nikolai Bucharin nicht gefoltert wurde. Nikolai Jeschow, Leiter (Volkskommissar) des NKWD von August 1936 bis November 1938, setzte jedoch tatsächlich Folter und falsche Anschuldigungen ein. Jeschow und seine Männer töteten mehr als sechshunderttausend Sowjetbürger, von denen die überwiegende Mehrheit unschuldig gewesen sein muss. Dokumente aus ehemaligen sowjetischen Archiven haben gezeigt, dass Jeschow seine eigene gefährliche Verschwörung gegen den Sowjetstaat betrieb (siehe Furr, Yezhov vs Stalin, 2016).
Jeschow wurde im November 1938 – laut dem Historiker Juri Schukow offenbar nur mit Mühe – zum Rücktritt überredet und durch Lawrentij Beria ersetzt. Ab Dezember 1938 wurden die massiven Verbrechen von Jeschow und seinen Männern untersucht und aufgedeckt. Die Schuldigen wurden vor Gericht gestellt und verurteilt.
Es gibt keinen Grund, daran zu zweifeln, dass Eberleins Brief an seine Frau Charlotte (1) echt ist. Darin beschreibt er seine brutale Behandlung durch die NKWD‐Männer von Jeschow. Michail Schreider, ein verhafteter ehemaliger NKWD‐Mann, schrieb in seinen Memoiren, dass er im Gefängnis Hugo Eberlein getroffen hatte, der schwer geschlagen worden war.
Später traf Shreider mit Lawrentij Beria zusammen, der Nikolai Jeschow als Leiter des NKWD abgelöst hatte. Als Beria von Shreider von der Folterung Eberleins durch Jeschows Männer erfuhr, zeigte er sich überrascht und ungläubig, versprach aber eine Untersuchung. (NKWD Iznutri S. 136; 168) Es gibt keinen Grund, warum Shreider eine Geschichte erfinden sollte, die Beria gut aussehen ließ.
Der Molotow‐Ribbentrop‐Pakt
Erheblich wird von De Jong der Charakter des Nichtangriffsvertrags zwischen Deutschland und der Sowjetunion verfälscht, der oft als Molotow‐Ribbentrop‐Pakt und von Antikommunisten als »Hitler‐Stalin‐Pakt« bezeichnet wird.
Der Pakt »teilte das Gebiet der baltischen Staaten und Polens« nicht zwischen Deutschland und der Sowjetunion auf. Er bestimmte Ostpolen als sowjetische »Einflusssphäre«. Das bedeutete, dass dort ein geschrumpfter Staat Polen existieren konnte, der Nazi‐Deutschland feindlich gegenüberstand und als Puffer zwischen der deutschen Armee und der sowjetischen Grenze diente.
Die Sowjetunion hat Polen nicht »angegriffen«. Die polnische Regierung war aus dem Land geflohen, ohne eine Exilregierung zu ernennen. Da ein Staat nach internationalem Recht eine Regierung haben muss, teilten die Deutschen den Sowjets mit, dass es keinen Staat Polen mehr gibt. Das bedeutete für die Deutschen, dass das Geheimprotokoll über eine sowjetische »Einflusssphäre« in Ostpolen nicht mehr gültig war. Hätte die Rote Armee Ostpolen nicht besetzt, hätten die deutschen Streitkräfte bis an die sowjetische Grenze von vor 1939 heranrücken können.
Dieses Gebiet – »Ostpolen« – war in Wirklichkeit Westweißrussland und die Westukraine. Es war vom imperialistischen Polen im Krieg 1919 – 1921 von einem geschwächten Sowjetrussland erobert worden. Daher eroberte die Sowjetunion 1939 die Gebiete zurück, die sie 1921 verloren hatte.
Am 17. September 1939, dem Tag, an dem die Rote Armee in Westweißrussland einmarschierte, floh die polnische Regierung aus Polen und wurde in Rumänien interniert. Der 17. September ist heute in Weißrussland ein Feiertag – der »Tag der Wiedervereinigung«.
De Jong behauptet, dass die Deportation dieser Deutschen und Österreicher durch die Sowjetunion »ein schockierender Verrat« war und dass Stalin »das Versprechen« des »Asylrechts schändlich gebrochen hat.« Wie wir gezeigt haben, waren die nach Deutschland repatriierten Personen wegen schwerer Verbrechen verurteilt worden, während diejenigen, die einst Kommunisten waren, dies nicht mehr waren.
De Jong behauptet, dass »unser eigenes Verständnis von Sozialismus seine Versprechen einhalten und die Menschenwürde in den Mittelpunkt stellen sollte«. Ich würde jedoch behaupten, dass die Litanei von Unwahrheiten und Auslassungen in de Jongs Aufsatz auf etwas anderes schließen lässt.
Sozialisten, Kommunisten und alle, die sich für eine bessere Welt ohne kapitalistische Ausbeutung und Krieg einsetzen, sollten »die Wahrheit in den Tatsachen suchen« und die Tatsachen in den Beweisen suchen. Hätte sich de Jong an die Beweise gehalten, die seit langem verfügbar sind – über die deutschen und österreichischen Deportierten, über den Molotow‐Ribbentrop‐Pakt, über die Verschwörungen der Opposition gegen die Stalin‐Regierung in der Sowjetunion -, hätte er diesen Aufsatz niemals schreiben können.
Anstatt sich auf Beweise zu stützen, hat de Jong nachweislich betrügerische Behauptungen professioneller Antikommunisten für bare Münze genommen. Das Ergebnis sind noch mehr Unwahrheiten, um die Köpfe der Menschen von heute zu vergiften, die aus den Erfolgen, aber auch aus den Misserfolgen der kommunistischen Bewegung der Vergangenheit lernen wollen.
Verweise
1 Ruth Stoljarowa, Wladislaw Hedeler: » ›Deine Liebe zu unserer Sache hat dir wenig Freude und viel Leid gebracht.‹ Die junge Kommunistin Charlotte Scheckenreuter als Mitarbeiterin und Frau Hugo Eberleins in den 1930er‐Jahren, aufgezeichnet nach den Akten in Moskauer Archiven, in: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung, I (2008), S. 31 ff.
Zuerst erschienen unter anderem bei MLToday, weitere Arbeiten von Furr sind auf dessen Website zugänglich.
Bild: Stalin