Wur­zel und Wir­kung des Holo­do­mor und sei­ne offi­zi­el­le Anerkennung

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Der unfehl­ba­re Deut­sche Bun­des­tag hat die Hun­gers­not in der Ukrai­ne 1932/1933 zum Völ­ker­mord erklärt und ihn damit auf den unver­rück­ba­ren Sockel der angeb­li­chen his­to­ri­schen Wahr­heit gestellt. Zugleich stellt ein neu­es Gesetz die Leug­nung von Geno­zid unter Stra­fe. Aber die Lek­tü­re alter Zei­tungs­be­rich­te ist wahr­schein­lich noch straffrei.

»Je weni­ger der Waf­fen- und Wirt­schafts­krieg gegen Russ­land die erwünsch­ten Resul­ta­te bringt, des­to inten­si­ver und irra­tio­na­ler wird der ideo­lo­gi­sche Feld­zug gegen Mos­kau«, mein­te die­ser Tage Arnold Schöl­zel in der lin­ken Tages­zei­tung jun­ge Welt, deren Chef­re­dak­teur er über vie­le Jah­re war. Schöl­zel bezog sich mit sei­ner Kri­tik auf die Holo­do­mor-Reso­lu­ti­on, die der Bun­des­tag die­se Woche nun beschlos­sen hat. Damit wur­de die Hun­gers­not in wei­ten Tei­len der Sowjet­uni­on in den Jah­ren 1932 und 1933 offi­zi­ell als Geno­zid ein­ge­stuft, und zwar als angeb­lich geziel­ter Ver­such der sowje­ti­schen Füh­rung, die Men­schen in der Ukrai­ne zu vernichten.

Der Begriff »Holo­do­mor« wur­de erst Ende der 1980er Jah­re in Krei­sen natio­na­lis­ti­scher und faschis­ti­scher Ukrai­ner im West-Exil und ihrer US/­NA­TO-Unter­stüt­zer eta­bliert. Laut Tha­na­sis Spa­ni­dis Ana­ly­se in jun­ge Welt ist »Holo­do­mor eine ukrai­ni­sche Wort­neu­schöp­fung, die in etwa ›Mord durch Hun­ger‹ bedeu­tet und deren klang­li­che Ähn­lich­keit mit dem Wort Holo­caust wohl beab­sich­tigt ist«.

Nach­dem der Deut­sche Bun­des­tag im Zuge der »Plan­de­mie« in sei­ner unend­li­chen Weis­heit mit sei­nen Coro­na-Beschlüs­sen den Weg zur Zer­stö­rung der deut­schen Wirt­schaft und Gesell­schaft geeb­net hat­te, hat er nun mit der Aner­ken­nung des Holo­do­mor als »Völ­ker­mord« sei­ne unfehl­ba­re Kom­pe­tenz in Sachen Geschichts­wis­sen­schaft unter Beweis gestellt. Was auf den ers­ten Blick jedoch wie eine Baga­tel­le anmu­tet, ist poli­tisch ein brand­ge­fähr­li­cher Schritt in Rich­tung wei­te­rer Beschnei­dung der Pres­se- und Mei­nungs­frei­heit hierzulande.

Wer näm­lich jetzt den offi­zi­ell fest­ge­stell­ten Holo­do­mor-Geno­zid infra­ge stellt, dem droht nicht nur der Ver­lust sei­nes Jobs, wie wir das auch Coro­na-Can­cel-Zei­ten ken­nen, son­dern – ähn­lich wie beim Holo­caust – Gefäng­nis. Dafür hat sich die zuneh­mend auto­ri­tä­re Bun­des­re­gie­rung inzwi­schen schar­fe, juris­ti­sche Instru­men­te geschaf­fen. Die dafür not­wen­di­gen Geset­zes­än­de­run­gen gin­gen ohne sub­stan­ti­el­le Dis­kus­si­on im Bun­des­tag über die Büh­ne und blie­ben von der Öffent­lich­keit weit­ge­hend unbemerkt.

In einem Mei­nungs­ar­ti­kel auf RT-DE vom Diens­tag die­ser Woche erklär­te Gert Ewen Ungar die poli­ti­sche Bri­sanz der offi­zi­el­len Aner­ken­nung der Hun­gers­not von 1932 und 1933 in der Ukrai­ne als Völ­ker­mord. Denn dies müs­se »vor dem Hin­ter­grund der unlängst erfolg­ten Ver­schär­fung des Para­gra­phen 130 des Straf­ge­setz­buchs« gese­hen wer­den. Ursprüng­lich stell­te die­ser Para­graph gezielt jeg­li­che Leug­nung des Holo­caust unter Stra­fe. Aber der jetzt erwei­ter­te Gel­tungs­be­reich des Para­gra­phen sei »in einer unspek­ta­ku­lä­ren Geset­zes­no­vel­lie­rung ohne par­la­men­ta­ri­sche Debat­te kur­zer­hand inhalt­lich aus­ge­wei­tet« wor­den. Er stel­le »jetzt ganz all­ge­mein die Leug­nung von Völ­ker­mord unter Stra­fe. Der Para­graph sieht dafür eine Frei­heits­stra­fe von bis zu drei Jah­ren vor«.

Mit die­ser Straf­rechts­ver­schär­fung, so Ungar, habe »sich die herr­schen­de deut­sche Poli­tik immer wei­ter von demo­kra­ti­schen Grund­prin­zi­pi­en und selbst von ihrer eige­nen wer­te­ba­sier­ten Flos­kel ent­fernt«. Neben den zuneh­mend repres­si­ven innen­po­li­ti­schen Wir­kun­gen in Form von Beschnei­dung Pres­se- und Mei­nungs­frei­heit, stel­le die offi­zi­el­le Dekla­ra­ti­on des Holo­do­mor als Geno­zid auch einen wei­te­ren »aggres­si­ven Akt gegen­über Russ­land« dar.

Es brau­che kei­ne »gro­ßen sehe­ri­schen Fähig­kei­ten, um vor­her­sa­gen zu kön­nen, dass die Aner­ken­nung als Geno­zid von einer noch­mals gestei­ger­ten anti­rus­si­schen Kam­pa­gne beglei­tet wer­den wird, wel­che die­se dann als Geno­zid aner­kann­te Hun­gers­not nutzt, um das Feind­bild Russ­land mög­lichst noch tie­fer in der deut­schen Gesell­schaft zu ver­an­kern. Eine offe­ne Dis­kus­si­on wird nicht mög­lich sein, da jeder, der das Nar­ra­tiv infra­ge stellt, jetzt schon mit Straf­ver­fol­gung rech­nen muss. Es ist in die­sem Zusam­men­hang sogar zu erwar­ten und zu befürch­ten, dass not­falls dafür Exem­pel sta­tu­iert werden«.

Resi­gniert stellt Ungar fest: »Es wird wie­der dun­kel in Deutsch­land. Es ent­steht ein immer umfas­sen­de­res Kli­ma der Angst und der Repres­si­on. Dis­kus­sio­nen über unter­schied­li­che Sicht­wei­sen wer­den unmög­lich gemacht. Man muss wohl künf­tig wie­der sehr auf­pas­sen, wel­che The­men man in wel­chem Rah­men mit wem bespricht. Poli­tisch moti­vier­te Frei­heits­stra­fen für eine zwar begrün­de­te, aber per Gesetz ver­bo­te­ne Mei­nung las­sen sich künf­tig nicht mehr ausschließen.«

Mit dem Geno­zid-Beschluss des Bun­des­ta­ges wird die Hun­gers­not von 1932/1933 per Gesetz in den Stand einer nicht wei­ter dis­kus­si­ons­fä­hi­gen »Wahr­heit« erho­ben. Damit wird der soge­nann­te Holo­do­mor auf den­sel­ben Stand des Holo­caust geho­ben, was zugleich jedoch das Geden­ken an die Juden­ver­nich­tung welt­weit beschä­di­gen wird. Denn dem Rest der Welt ist nicht ent­gan­gen, dass der Bun­des­tag mit dem Holo­do­mor ein The­ma auf­ge­grif­fen hat, mit dem die deut­schen Nazis bereits 1933 ihre Pro­pa­gan­da gegen die kom­mu­nis­ti­sche Sowjet­uni­on geschürt hat­ten, wie man im Archiv der New York Times nach­le­sen kann.

Spä­ter haben die ukrai­ni­schen Natio­na­lis­ten und Faschis­ten, die wäh­rend des Zwei­ten Welt­krie­ges in Kol­la­bo­ra­ti­on mit Nazi-Deutsch­land an der Sei­te der SS in der Ukrai­ne und Polen hun­dert­tau­send­fach Juden, Kom­mu­nis­ten und Anders­den­ken­de ermor­det haben, das Nar­ra­tiv »Völ­ker­mord durch Hun­ger« über­nom­men. Nach dem Krieg haben die ukrai­ni­schen Nazis die­ses Nar­ra­tiv in den USA, aber vor allem in Kana­da, wei­ter gepflegt. Dort hat­ten sie einen siche­ren Hafen gefunden.

Als Recht­fer­ti­gung für ihre Zusam­men­ar­beit mit den deut­schen Nazis behaup­ten die ukrai­ni­schen ehe­ma­li­gen SS-Scher­gen, sie hät­ten an den Rus­sen und Kom­mu­nis­ten nur Rache geübt, weil Josef Sta­lin die Hun­gers­not in der Ukrai­ne mit Absicht her­bei­ge­führt hät­te. Mit dem Argu­ment konn­te man im Kal­ten Krie­gen gut Sym­pa­thien gewin­nen. Da wur­de die Fra­ge, war­um sie auch Zig­tau­sen­de von Juden und – laut offi­zi­el­len Zah­len aus War­schau – Hun­dert­tau­sen­de Polen, Män­ner Frau­en Kin­der, ermor­det haben, gar nicht erst gestellt.

Nach der Auf­lö­sung der Sowjet­uni­on im Jahr 1991 kamen dann die Kin­der und Enkel der faschis­ti­schen ukrai­ni­schen Mör­der­ban­den aus ihrem Exil in den USA und Kana­da in die nun unab­hän­gi­ge Ukrai­ne zurück. Mit poli­ti­scher und finan­zi­el­ler Hil­fe ihrer west­li­chen Spon­so­ren wur­den sie als­bald eine nicht mehr weg­zu­den­ken­de Kraft in west­li­chen Gebie­ten der Ukrai­ne, wo sich schon immer die Hoch­bur­gen der Faschis­ten befan­den. Im Rah­men des Mai­dan-Put­sches kamen sie dann in Kiew an die Macht, wo sie sich schnell in Schlüs­sel­po­si­tio­nen in der Regie­rung und in den Minis­te­ri­en der Exe­ku­ti­ve wie Mili­tär, Poli­zei, Jus­tiz und Geheim­diens­te eta­bliert haben. So wur­de auch ihr Nar­ra­tiv vom Holo­do­mor zum Grün­dungs­my­thos der neu­en Ukrai­ne, die sie mit Hil­fe des Wes­tens in den letz­ten acht Jah­ren zum mili­tä­ri­schen Ramm­bock gegen Russ­land gemacht haben.

Bis dato erken­nen welt­weit 24 Regie­run­gen den »Holo­do­mor« als Völ­ker­mord an, dar­un­ter Polen, Aus­tra­li­en, Kana­da, die USA, Spa­ni­en, Tsche­chi­en, die bal­ti­schen Gift-Zwerg­staa­ten und ande­re US-Vasal­len. Auch das EU-Par­la­ment bezeich­ne­te 2008 den »Holo­do­mor« als Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit. In die­sem Jahr hat­te das EU-Par­la­ment in Brüs­sel auch sei­ne Gän­ge und öffent­li­chen Hal­len für eine in der Ukrai­ne vor­be­rei­te­te, umfang­rei­che Holo­do­mor-Foto­aus­stel­lung von Hun­ger­to­ten zur Ver­fü­gung gestellt. Die Aus­stel­lung beglei­te­te die Reso­lu­ti­on des EU-Par­la­ments vom 23. Okto­ber 2008 mit dem Titel »Zum Geden­ken an den Holo­do­mor, die wis­sent­lich her­bei­ge­führ­te Hun­gers­not von 1932/1933 in der Ukraine«.

Der­weil hat sich die oben geäu­ßer­te Befürch­tung des RT-DE-Autors Ungar inzwi­schen schon bewahr­hei­tet, dass näm­lich die Holo­do­mor-Aner­ken­nung als Völ­ker­mord zu »einer noch­mals gestei­ger­ten anti­rus­si­schen Kam­pa­gne« genutzt wird, »um das Feind­bild Russ­land mög­lichst noch tie­fer in der deut­schen Gesell­schaft zu verankern«:

So erklär­te der neue ukrai­ni­sche Bot­schaf­ter in Deutsch­land, Olek­sij Make­jew, gegen­über dem Redak­ti­ons­Netz­werk Deutsch­land (RND), dass damit »nun die Wahr­heit über die Ver­bre­chen Sta­lins aner­kannt« wür­den, »die man jahr­zehn­te­lang ver­sucht hat­te zu ver­tu­schen«. Und er füg­te hin­zu, dass die­se Aner­ken­nung »auch für das Ver­ständ­nis und die Ver­ar­bei­tung des his­to­ri­schen Kon­texts der heu­ti­gen rus­si­schen geno­zi­da­len Kriegs­füh­rung extrem wich­tig« sei. Kri­ti­sche Fra­gen zu die­ser in vie­ler Hin­sicht frag­wür­di­gen Aus­sa­ge brauch­te der »ukrai­ni­sche Diplo­mat« von deut­schen Qua­li­täts­me­di­en nicht zu fürchten.

Ich wer­de mich tun­lich hüten, die neue Holo­do­mor-Wahr­heit der Bun­des­ta­ges in Fra­ge zu stel­len, ste­hen dar­auf doch – laut jüngs­ter Ver­schär­fung des Para­gra­phen 130 des Straf­ge­setz­buchs – bis zu 3 Jah­re Gefäng­nis. Außer­dem glau­be ich an die alte Volks­weis­heit, wonach vie­le Dum­me oft klü­ger sind als ein Gescheiter.

Bei his­to­ri­schen Belan­gen ist jedoch immer wie­der inter­es­sant, sich Berich­te von Zeit­zeu­gen des jewei­li­gen Gesche­hens zu lesen. Die fin­det man bei­spiels­wei­se in dem sehr umfang­rei­chen, aber gut geord­ne­ten Archiv der New York Times (NYT), die damals zu Recht als die am bes­ten infor­mier­te und zuver­läs­sigs­te Zei­tung der Welt bekannt war und deren Arti­kel auch heu­te noch – laut Aus­kunft der Web­sei­ten deut­scher Uni­ver­si­tä­ten – in wis­sen­schaft­li­chen Arbei­ten zitier­fä­hig sind.

Die wich­tigs­ten Quel­len der NYT in der Sowjet­uni­on war Wal­ter Duran­ty. Der in Eng­land gebo­re­ne ame­ri­ka­ni­sche Jour­na­list war 14 Jah­re lang, näm­lich von 1922 bis 1936, der Büro­chef die­ser Zei­tung in Mos­kau. Auch nach sei­nem Weg­gang aus Mos­kau behielt die NYT Duran­ty bis 1941 als Son­der-Kor­re­spon­den­ten für Spe­zi­al­auf­trä­ge an Bord.

1932 erhielt Duran­ty den Pulit­zer-Preis, die höchs­te jour­na­lis­ti­sche Aus­zeich­nung in den USA, für eine Rei­he von Berich­ten über die Sowjet­uni­on, u.a. über die Lage in der Ukrai­ne. In sei­nen Arti­keln the­ma­ti­sier­te er auch die Hun­gers­not in den Jah­ren 1932/1933. Aller­dings habe die­se Hun­gers­not nicht nur die Ukrai­ne, son­dern auch eini­ge ande­re Regio­nen Russ­lands (Wol­ga und Kau­ka­sus) beson­ders stark getrof­fen, wobei sich die nor­ma­le Sterb­lich­keit »min­des­tens ver­drei­facht« habe. Von einer poli­ti­schen Ent­schei­dung Sta­lins oder der Kom­mu­nis­ten, die Ukrai­ner aus­zu­rot­ten, gab es in Duran­tys Berich­ten nicht den gerings­ten Hin­weis. Viel­mehr kri­ti­sier­te er in sei­nen NYT-Arti­keln eini­ge West-Jour­na­lis­ten und inter­es­sier­te Krei­se scharf, die die Hun­gers­not zu einem Pro­pa­gan­da­feld­zug gegen die jun­ge Sowjet­uni­on aus­zu­nut­zen versuchten.

Ein nach­fol­gend geschil­der­tes Ereig­nis zeigt, dass der media­le Kampf um die Deu­tungs­ho­heit der Hun­gers­not von 1932/1933 in Russ­land und der Ukrai­ne bereits 1933 begon­nen hat­te, wobei Duran­ty sei­ner nüch­ter­nen aber prä­zi­sen Bericht­erstat­tung treu blieb, für die er das Jahr zuvor mit dem Pulit­zer Preis aus­ge­zeich­net wor­den war.

Am 31. März 1933 pran­ger­te Wal­ter Duran­ty in der New York Times eine plötz­lich »wie auf Kom­man­do« erschie­ne­ne Ansamm­lung von Berich­ten als Fake an, die rei­ße­risch über die Not­la­ge in der Ukrai­ne mit Hun­dert­tau­sen­den, womög­lich Mil­lio­nen vom Hun­ger­tod bedroh­ten Men­schen berich­te­ten. Vor allem rich­te­te er sei­ne Kri­tik gegen Gareth Jones, einen bri­ti­schen Jour­na­lis­ten und vor­ma­li­gen Sekre­tär des bri­ti­schen Pre­mier­mi­nis­ters David Lloyd Geor­ge, der zwei Tage zuvor in Ber­lin eine weit ver­brei­te­te Pres­se­mit­tei­lung her­aus­ge­ge­ben hat­te. Dar­in behaup­te­te Jones, dass er sich bei einer Rei­se durch die Ukrai­ne per­sön­lich ein Bild von der mensch­li­chen Tra­gö­die habe machen können.

Duran­ty setz­te dem rei­ße­ri­schen Arti­kel von Jones, der die anti­so­wje­ti­schen Krei­se im Wes­ten in ihren Vor­ur­tei­len bedien­te, einen nüch­ter­nen Arti­kel ent­ge­gen, und zwar unter dem Titel »Die Rus­sen sind hung­rig, aber sie sind nicht am Ver­hun­gern«. Als Unter­ti­tel folg­te »Todes­fäl­le durch von Unter­ernäh­rung ver­ur­sach­ten Krankheiten«.

Im nach­fol­gen­den Text setz­te Duran­ty dann den Arti­kel von Jones in den grö­ße­ren Zusam­men­hang des gera­de statt­fin­den­den »diplo­ma­ti­schen Duells« zwi­schen Groß­bri­tan­ni­en und der Sowjet­uni­on, näm­lich um die bri­ti­schen Inge­nieu­re der Fir­ma Metro­po­li­tan-Vickers, die in sowje­ti­scher Haft saßen. Ihnen wur­de vor­ge­wor­fen, ihre Arbeit beim Auf­bau eines Indus­trie­pro­jek­tes dazu genutzt zu haben, um die­ses Pro­jekt ins­ge­heim zu sabo­tie­ren. Aus­ge­rech­net wäh­rend die­ser hohe Wogen schla­gen­den diplo­ma­ti­schen Aus­ein­an­der­set­zung um die Inge­nieu­re – so Duran­ty wei­ter – tau­che dann plötz­lich aus bri­ti­scher Quel­le in der ame­ri­ka­ni­schen Pres­se eine gro­ße Schre­ckens­ge­schich­te über die Hun­gers­not in der Sowjet­uni­on auf, mit »bereits Tau­sen­den Toten und Mil­lio­nen vom Hun­ger­tod bedroh­ten Men­schen«, wie Jones berich­tet hatte.

Im Anschluss wen­det sich Duran­ty in die­sem Arti­kel sei­nem Wider­sa­cher Jones per­sön­lich zu und schreibt, dass die­ser sich jüngst drei Wochen in der Sowjet­uni­on auf­ge­hal­ten habe und zu dem Schluss gekom­men wäre, dass das Land »am Ran­de eines schreck­li­chen Zusam­men­bruchs stand«. Das – so Duran­ty – habe Jones ihm gegen­über per­sön­lich erklärt. Im nächs­ten Schritt cha­rak­te­ri­sier­te er Jones als einen emsi­gen Mann, der sich sogar die Mühe gege­ben habe, Rus­sisch zu ler­nen, das er eini­ger­ma­ßen flie­ßend beherr­sche. Aller­dings sei die Lage­ein­schät­zung von Jones zu vor­ei­lig. Wört­lich heißt es wei­ter in dem Artikel:

Als ich ihn [Jones] frag­te, wor­auf er denn sein Urteil fun­diert, erfuhr ich, dass Jones einen 40-Mei­len-Trip durch eini­ge Dör­fer in der Nach­bar­schaft von Char­kow gemacht habe und dabei trau­ri­ge Bedin­gun­gen vor­ge­fun­den hat. Auf sei­ne Fra­ge hin habe Jones ihm erzählt, dass es in den Dör­fer, die er besucht hat­te, ›so gut wie kein Brot gege­ben hat und dass die Erwach­se­nen aus­ge­mer­gelt und apa­thisch aus­sa­hen‹. Dazu mein­te ich ihm gegen­über, dass das ein ziem­lich unzu­rei­chen­der Quer­schnitt eines gro­ßen Lan­des sei, um einen schreck­li­chen Zusam­men­bruchs vor­her­zu­sa­gen. Aber nichts konn­te sei­ne Über­zeu­gung ändern. Erklä­rend füg­te Duran­ty dann in sei­nem Arti­kel hin­zu, dass die­se Art von Welt­un­ter­gangs­pro­gno­sen für die Sowjet­uni­on vor allem unter Bri­ten sehr ver­brei­tet ist, aber bis­her immer falsch gewe­sen seien.

Fünf Mona­te spä­ter, am 23. August 1933, schrieb Duran­ty in einem wei­te­ren Arti­kel der New York Times:

Jeder Bericht über eine aktu­el­le Hun­gers­not in Russ­land ist eine Über­trei­bung oder bös­ar­ti­ge Pro­pa­gan­da. Die Nah­rungs­mit­tel­knapp­heit, von der im letz­ten Jahr die gesam­te Bevöl­ke­rung und ins­be­son­de­re in den getrei­de­pro­du­zie­ren­den Pro­vin­zen betrof­fen war, vor allem in der Ukrai­ne, im Nord­kau­ka­sus und in der unte­ren Wol­ga-Regi­on, hat jedoch zu schwe­ren Ver­lus­ten an Men­schen­le­ben geführt.« Dann mach­te Duran­ty sei­nen eige­nen Wor­ten zufol­ge eine ›kon­ser­va­ti­ve Schät­zung‹, wonach ›anzu­neh­men ist‹, dass sich die nor­ma­le Sterb­lich­keit in bestimm­ten Pro­vin­zen mit einer Gesamt­be­völ­ke­rung von über 40 Mil­lio­nen »min­des­tens ver­drei­facht« habe. Das ist schlimm, aber den­noch weit ent­fernt von den im Wes­ten von inter­es­sier­ten Kri­sen ver­brei­te­ten Schre­ckens­nach­rich­ten vom mil­lio­nen­fa­chen Hungertod.

Aber Duran­ty war nicht der ein­zi­ge West­be­su­cher in Russ­land zu die­ser Zeit, der die rei­ße­ri­schen Medi­en­be­rich­te über mas­sen­haf­ten Hun­ger­tod in Russ­land und in der Ukrai­ne zurück­wies. Mit Datum vom 18. Sep­tem­ber 1933 ver­öf­fent­lich­te die New York Times eine Notiz unter dem Titel: »Her­ri­ot ver­spot­tet Geschwätz über die Hun­gers­not«. Der kur­ze Arti­kel berich­tet über den ehe­ma­li­gen fran­zö­si­schen Pre­mier­mi­nis­ter Édouard Her­ri­ot, der gera­de von einem Besuch in Russ­land zurück­ge­kom­men war. Bei einer poli­ti­schen Ver­samm­lung in der Nähe sei­ner Hei­mat­stadt Lyon habe der erklärt:

Wenn behaup­tet wird, dass die Ukrai­ne durch eine Hun­gers­not ver­wüs­tet wur­de, dann erlau­ben Sie mir bit­te, dass ich mei­nen Kopf schüt­te­le. Im Gegen­teil, in Russ­land habe ich Leu­te gese­hen, die gera­de eine enor­me Anstren­gung gemacht haben, die all­ge­mei­ne Schul­pflicht ein­zu­füh­ren und das Land auf der Basis der Geset­ze der Wis­sen­schaft zu industrialisieren.

In einer wei­te­ren Notiz vom 2. Okto­ber 1933 über den ehe­ma­li­gen fran­zö­si­schen Pre­mier­mi­nis­ter unter dem Titel »Her­ri­ot besorgt über Nazis in der Ukrai­ne« zitiert die New York Times aus einem Arti­kel des Pari­ser Wirt­schafts­blat­tes Agence Éco­no­mi­que et Finan­ciè­re. Dar­in hat­te Her­ri­ot geschrieben:

Der­zeit gibt es kein ande­res Land in der Welt, über das so viel dum­mes Zeug geschrie­ben wird, wie über Russ­land. Aktu­ell gibt es über­all eine Kam­pa­gne über die angeb­li­che Hun­gers­not in der Ukrai­ne. Ich habe davon nichts gese­hen, natür­lich hier und da und dort Pro­ble­me die Bevöl­ke­rung hin­rei­chend zu ernäh­ren oder Pro­ble­me mit unzu­rei­chen­der Pro­duk­ti­on, aber eine ech­te Hun­gers­not habe ich nir­gend­wo gese­hen, nicht ein­mal in den Deut­schen Dör­fern, die ich in der Regi­on besucht habe. Was ich dage­gen sehr deut­lich gese­hen habe ist eine Hit­ler-arti­ge Kam­pa­gne, die auf dem ganz offen­sicht­li­chen Wunsch einer deut­schen Expan­si­on in Rich­tung Osten basiert.

In einer wei­te­ren Notiz der New York Times vom 20. Okto­ber 1933, kurz vor der Aner­ken­nung der Sowjet­uni­on durch die Ver­ei­nig­ten Staa­ten, heißt es, dass eine Dele­ga­ti­on der »Ver­ei­nig­ten Ukrai­ni­schen Orga­ni­sa­tio­nen« der USA, also eine Dele­ga­ti­on von Exil-Ukrai­nern US-Prä­si­dent Roo­se­velt eine Reso­lu­ti­on über­rei­chen wer­de, in der vor der Aner­ken­nung der UdSSR »eine unpar­tei­li­che Unter­su­chung der Zustän­de in der Ukrai­ne« gefor­dert wird.

Die Aner­ken­nung der Sowjet­uni­on sei nichts ande­res als die Aner­ken­nung der Fremd­herr­schaft einer bru­ta­len Macht über die Ukrai­ne. Wei­ter heißt es in dem Memo­ran­dum der Ver­ei­nig­ten Ukrai­ni­schen Orga­ni­sa­tio­nen: »Wir sind fest davon über­zeugt, dass die Hun­gers­not in der Ukrai­ne nicht das Resul­tat einer schlech­ten Ern­te oder der Tro­cken­heit war, son­dern im Gegen­teil, es war das Resul­tat eines poli­ti­schen und kul­tu­rel­len Kon­flik­tes zwi­schen ukrai­ni­schen natio­na­lis­ti­schen Ambi­tio­nen und Mos­kaus impe­ria­lis­ti­schen und zen­tra­lis­ti­schen Vor­ha­ben. Sie [die Hun­gers­not] war der Höhe­punkt einer uner­bitt­li­chen und grau­sa­men Verfolgung.«

Am 4. Novem­ber 1933 berich­te­te dann die NYT von einem wei­te­ren Vor­stoß der »Ver­ei­nig­ten Ukrai­ni­schen Orga­ni­sa­tio­nen« in den USA, die diplo­ma­ti­sche Aner­ken­nung der Sowjet­uni­on durch Washing­ton doch noch zu ver­hin­dern. In einer erneu­ten Reso­lu­ti­on an Roo­se­velt war­fen sie der Sowjet­re­gie­rung in Mos­kau vor, »den ver­hun­gern­den Ukrai­nern weder Hil­fe zu leis­ten noch frem­de Hil­fe­leis­tun­gen zu erlau­ben«. Alle Ame­ri­ka­ner ukrai­ni­scher Her­kunft wur­den auf­ge­ru­fen, »gegen die bru­ta­le Behand­lung der Ukrai­ner unter sowje­ti­schem Joch zu pro­tes­tie­ren« und an einer Gedenk­ver­an­stal­tung »für die Opfer der skru­pel­lo­sen Ver­nich­tungs­po­li­tik der Rus­sen teilzunehmen«.

Wie wir gese­hen haben, hat sich an dem Rus­sen-Hass der der der­zeit in der Ukrai­ne ton­an­ge­ben­den natio­na­lis­ti­schen und faschis­ti­schen Orga­ni­sa­tio­nen und ihrer west­li­che Unter­stüt­zer in den letz­ten 90 Jah­ren nicht viel geän­dert. Selbst im Wes­ten ist die Geschich­te der Hun­ger-Jah­res 1932/1933 umge­schrie­ben wor­den, um das Feind­bild Russ­land mög­lichst noch tie­fer in der deut­schen Gesell­schaft zu ver­an­kern und in deren Fahr­was­ser zu ver­su­chen, die seit Jahr­zehn­ten geheg­ten Gelüs­te nach frei­em Zugriff auf rus­si­sche Roh­stof­fe wahr zu machen.

Als Resul­tat der Ende der 1980er Jah­re im Wes­ten erneut begon­ne­nen gra­du­el­len Ent­wick­lung hin zu ukrai­ni­schen Faschis­ten-Ver­ste­hern blieb auch das Erbe von Wal­ter Duran­ty nicht ver­schont. Mit der zeit­glei­chen Ent­ste­hung der Holo­do­mor-Bewe­gung in den USA und Kana­da wur­de der 1957 ver­stor­be­ne Duran­ty wegen sei­ner angeb­li­chen Leug­nung der Hun­gers­not in der Ukrai­ne mit »Mil­lio­nen Toten« immer hef­ti­ger attackiert.

Laut NYT haben ab 1990 vor allem »ukrai­nisch-ame­ri­ka­ni­sche und ande­re Orga­ni­sa­tio­nen das Pulit­zer-Preis­ko­mi­tee wie­der­holt auf­ge­for­dert, Duran­tys Preis zu annul­lie­ren«. Dage­gen habe es der Pulit­zer-Vor­stand zwei­mal abge­lehnt, den Preis zurück­zu­zie­hen, zuletzt im Novem­ber 2003, mit der Begrün­dung, er habe »kei­ne kla­ren und über­zeu­gen­den Bewei­se für eine vor­sätz­li­che Täu­schung« in der Serie von Duran­tys Arti­keln gefun­den, die den Preis gewon­nen hat­ten, so die NYT.

Des­sen unge­ach­tet hat nun der unfehl­ba­re Deut­sche Bun­des­tag die Ver­si­on der ukrai­ni­schen Natio­na­lis­ten, Faschis­ten und Rus­sen-Has­ser auf den unver­rück­ba­ren Sockel der his­to­ri­schen Wahr­heit gestellt.

Rai­ner Rupp ist Mit­glied des Bei­rats des Deut­schen Frei­den­ker-Ver­ban­des, von des­sen Web­site frei​den​ker​.org der Arti­kel über­nom­men wur­de, Erst­ver­öf­fent­li­chung am 01.12.2022 auf RT DE

Bild: Bau­ern des Fische­rei­ar­tels des Dor­fes Vov­ny­hy mit dem Fisch­fang nach dem Sta­pel­lauf des Dni­pro­ges, 1932 (wiki­me­dia commons)

2 thoughts on “Wur­zel und Wir­kung des Holo­do­mor und sei­ne offi­zi­el­le Anerkennung

  1. ZAH­LEN, DIE WICH­TIG SIND:

    »In den Jah­ren 1927 bis 1931 wur­den in der Ukrai­ni­schen SSR (UkrS­SR) jähr­lich zwi­schen 496.000 und 539.000 Todes­fäl­le regis­triert bei einer Gesamt­be­völ­ke­rung von 29 Mil­lio­nen im Jahr 1927 und 31 Mil­lio­nen 1931. 1932 ver­zeich­ne­ten die staat­li­chen Per­so­nen­re­gis­ter eine erhöh­te Sterb­lich­keit in Höhe von 668.000 Todes­fäl­len. 1933 wur­de eine deut­lich erhöh­te Zahl von 2.104.000 Todes­fäl­len gemeldet.«

    Zitiert aus: https://​free​assan​ge​.rtde​.me/​e​u​r​o​p​a​/​1​5​5​9​2​8​-​f​a​k​t​e​n​c​h​e​c​k​-​h​o​l​o​d​o​m​o​r​-​g​e​f​a​e​l​s​c​h​t​e​-​z​a​h​l​e​n​-​v​e​r​k​a​n​n​te/

    Dazu ist fest­zu­hal­ten: EINE LÜGE WIRD NICHT ZUR WAHR­HEIT, WENN SIE VOM BUN­DES­TAG (oder einem ande­ren Par­la­ment) IN EINE RESO­LU­TI­ON VER­PACKT WIRD.

    Eigent­lich wäre ein Ver­fah­ren gegen jene zu eröff­nen wegen anti­rus­si­scher Volks­ver­het­zung, die der Reso­lu­ti­on im Bun­des­tag zuge­stimmt haben, und wenn da das Argu­ment der Nicht­ver­folg­bar­keit kommt, weil’s im Par­la­ment geschah, so gegen alle, die außer­halb damit hetzen.

  2. Inzwi­schen ist der 3. Teil der Serie bei RT DE erschienen:

    https://freeassange.rtde.me/europa/156147-faktencheck-holodomor-teil‑3/

    Hal­ten wir fest, daß die Zen­sur gegen RT & al. ein Ver­stoß gegen die Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on des Euro­pa­rats ist, die nicht nur ein Men­schen­recht auf freie Mei­nungs­äu­ße­rung nor­miert, son­dern auch ein sol­ches auf frei­en Infor­ma­ti­ons­zu­gang. Mit ihrer Zen­sur gehö­ren folg­lich EU-Kom­mis­si­on und alle Zustim­men­den im EU-Rat sowie in den Mit­glieds­re­gie­run­gen und ‑par­la­men­ten vor den Rich­ter – wären wir denn in einem Rechts­staat. Da das nicht pas­siert, ist der Umkehr­schluß zulässig.

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