Was hat alles dazu bei­getra­gen, dass die Nazi-Ideo­lo­gie in Deutsch­land wie­der so leicht Fuß fas­sen kann?

Lese­zeit5 min

Die Haupt­ur­sa­che liegt dar­in, dass die wich­tigs­ten Bestand­tei­le der Macht­ba­sis sowie ihre öko­no­mi­sche Grund­la­ge in der West­re­pu­blik BRD erhal­ten bleiben.

Die öko­no­mi­sche Macht

Die Besit­zer der gro­ßen Kon­zer­ne blie­ben die Glei­chen, und selbst ver­ur­teil­te Kriegs­ver­bre­cher, wie zum Bei­spiel Flick, waren 1951 bereits wie­der frei (sie­he Braun­buch). Ande­re, wie Quands, Krupps und Kon­sor­ten, die mas­siv vom Hit­ler­fa­schis­mus pro­fi­tier­ten, wur­den nie vor Gericht gestellt, weil die Straf­ver­fol­gung bereits nach weni­gen Jah­ren ende­te. Auch der Ber­tels­mann-Kon­zern wur­de mit Wehr­machts­ka­len­dern groß. Das heißt, öko­no­misch domi­nier­ten in der BRD haupt­säch­lich die Pro­fi­teu­re der Naziherrschaft.

Die Jus­tiz

Braun­buch, 1965, DDR

Der gesam­te Rechts­kor­pus blieb, mit sehr weni­gen Aus­nah­men (Ras­se­ge­set­ze) unver­än­dert in Kraft. So besteht die unter den Nazis geän­der­te Defi­ni­ti­on des Mor­des (Heim­tü­cke) bis heu­te wei­ter. Die Ver­schär­fung des §175, die Homo­se­xua­li­tät unter Stra­fe stell­te, ver­schwand erst nach der Anne­xi­on der DDR, weil die­ser Para­graf dort längst gestri­chen war.

Der Staats­ap­pa­rat

Mit der Ein­füh­rung des Arti­kel 131 im Jahr 1951 ins Grund­ge­setz unter Ade­nau­er erhielt jeder, der unter den Nazis Beam­ter war, einen Rechts­an­spruch dar­auf, nicht nur wie­der beschäf­tigt zu wer­den, son­dern im glei­chen Rang wie­der beschäf­tigt zu wer­den. Im Ergeb­nis waren Poli­zei und Jus­tiz, Uni­ver­si­tä­ten und Schu­len, selbst Finanz­be­hör­den in per­so­nel­ler Kon­ti­nui­tät mit dem Appa­rats vor 1945 weit­ge­hend iden­tisch. Etwa zur glei­chen Zeit wur­den Kom­mu­nis­ten ent­las­sen. Wenn man die­se Kon­ti­nui­tät betrach­tet, sieht man, dass in der DDR ganz anders damit umge­gan­gen wur­de. Dort wur­den die meis­ten Beam­ten ent­las­sen und Aus­bil­dun­gen wur­den aberkannt.

Poli­zei

Wich­tig ist die­se Kon­ti­nui­tät ins­be­son­de­re in den Sicher­heits­or­ga­nen. Die Poli­zei wäh­rend der Nazi­zeit war kom­plett an den soge­nann­ten Son­der­ein­sät­zen betei­ligt; alle Poli­zis­ten der Nazi­zeit waren also an Kriegs­ver­bre­chen beteiligt.

West­in­te­gra­ti­on

Die West­in­te­gra­ti­on und das Ende jeden Ver­suchs der Ent­na­zi­fi­zie­rung gehö­ren untrenn­bar zusam­men. Dabei ist nicht ein­deu­tig zu klä­ren, ob der Schwenk von den USA aus­ging, unter Tru­man, oder nicht von Geh­len aus­ge­löst wur­de. Der US-His­to­ri­ker Chris­to­pher Simpson hat sich in Blow­back aus­führ­lich mit dem Import von Nazis in die USA befasst. Er geht davon aus, dass Geh­lens (gefälsch­te) Papie­re einen gro­ßen Ein­fluss auf den Beginn des Kal­ten Kriegs hat­ten. Man könn­te fast sagen, das war der Plan B der Nazieliten.

Bil­dung

In der Anfangs­zeit haben selbst die West­al­li­ier­ten dar­auf bestan­den, die Glie­de­rung des Schul­sys­tems aus­zu­he­beln, die die Kin­der bereits in der vier­ten Klas­se ein­teilt. Bis heu­te ist die Haupt­ori­en­tie­rung des Bil­dungs­sys­tems auf Selek­ti­on, wes­halb eine Inte­gra­ti­on von Migran­ten nur durch Absen­kung des Niveaus mög­lich ist. Aus­nah­me: die beruf­li­che Bil­dung, weil dort die »Abneh­mer«, die aus­bil­den­den Betrie­be der Indus­trie, erfolg­rei­che Abschlüs­se wol­len. Aber unter ande­rem dadurch wird eine Hier­ar­chi­sie­rung sehr früh im Bewusst­sein ver­an­kert. Die Ergeb­nis­se des Volks­ent­scheids in Ham­burg 2010 beleg­ten, dass gera­de­zu ein Anspruch auf eine Repro­duk­ti­on der Klas­sen­zu­ge­hö­rig­keit gese­hen wird. Teil­be­rei­che wur­den ab Mit­te der 1980er erforscht, also erst zu dem Zeit­punkt, als die Gene­ra­ti­on der Täter end­gül­tig aus dem Appa­rat ver­schwun­den war (die letz­ten bei­den bun­des­deut­schen Poli­ti­ker mit NSDAP-Kar­rie­re, der baden-würt­tem­ber­gi­sche Minis­ter­prä­si­dent Fil­bin­ger und der bay­ri­sche Jus­tiz­mi­nis­ter Seidl, muss­ten 1981 zurück­tre­ten, waren da aber bereits im Pensionsalter). 

For­schung

Gleich­zei­tig kon­zen­trier­te sich die his­to­ri­sche For­schung vor allem auf den Holo­caust; die Ver­fol­gung von Kom­mu­nis­ten, Gewerk­schaf­tern, Sozi­al­de­mo­kra­ten war nie ein zen­tra­les For­schungs­the­ma, eben­so­we­nig wie der Gene­ral­plan Ost.

Ideo­lo­gie

Bei der Betrach­tung der Ideo­lo­gie, so wie sie ab den 1980ern statt­fand, lag der Schwer­punkt auf der NS-Pro­pa­gan­da gegen­über der Bevöl­ke­rung (»Volks­ge­mein­schaft«), weit weni­ger auf der Ideo­lo­gie der SS, die sich deut­lich unter­schied mit ihrem Bezug auf Euro­pa und extre­mer Beto­nung des Indi­vi­du­ums bei star­kem Kon­kur­renz­den­ken (»Über­le­ben des Stärks­ten«). Wäh­rend sich von der Vari­an­te Volks­ge­mein­schaft heu­te so gut wie nichts fin­den lässt, ist die Ideo­lo­gie der SS voll­kom­men kom­pa­ti­bel mit EU und einer hoch indi­vi­dua­li­sier­ten Gesell­schaft. Sozi­al­dar­wi­nis­mus, neben dem Anti­kom­mu­nis­mus der ent­schei­den­de Punkt der NS-Ideo­lo­gie, wur­de mit der neo­li­be­ra­len Poli­tik wie­der salon­fä­hig und in ein­zel­nen Schü­ben, wie bei­spiels­wei­se durch die »Sozi­al­re­for­men« von Hartz IV, mas­siv ver­brei­tet. Grund­ge­dan­ke: die Armen sind selbst schuld, dass sie arm sind. Her­aus­ra­gen­des Bei­spiel, wie Gedan­ken­gän­ge aus der NS-Ideo­lo­gie wie­der ver­brei­tet wur­den, ist die »Para­si­ten«-Bro­schü­re aus dem Arbeits­mi­nis­te­ri­um 2005. 

Erzie­hung

Wich­tig auch: Erzie­hungs­vor­stel­lun­gen änder­ten sich im Wes­ten kaum. Der popu­lärs­te Erzie­hungs­rat­ge­ber der Nazi­zeit war jahr­zehn­te­lang popu­lär. Dar­in liest man unter ande­rem Sät­ze wie »Die Über­schüt­tung des Kin­des mit Zärt­lich­kei­ten, etwa gar von Drit­ten, kann ver­derb­lich sein und muss auf die Dau­er ver­weich­li­chen«. Oder: »Eine gewis­se Spar­sam­keit in die­sen Din­gen ist der deut­schen Mut­ter und dem deut­schen Kin­de sicher­lich ange­mes­sen.« Zwar gab es einen Rück­gang kör­per­li­cher Gewalt in der Erzie­hung, aber die grund­sätz­li­che Käl­te blieb erhal­ten und wur­de auch durch die »anti­au­to­ri­tä­re« Zwi­schen­pha­se nicht auf­ge­ho­ben. In den 90ern/​2000ern tauch­ten dann wie­der Bücher auf wie »Kin­der brau­chen Gren­zen«, die die kal­te Fami­li­en­sicht des deut­schen Bür­ger­tums wie­der­be­leb­ten. Heu­te ist die deut­sche Gesell­schaft eine kal­te und zutiefst kin­der­feind­li­che Gesell­schaft, was sich unter ande­rem an der Gleich­gül­tig­keit gegen­über der Tat­sa­che zeigt, dass vie­le Kin­der in Armut auf­wach­sen (in Städ­ten wie Ber­lin bis zu einem Drittel).

Kon­trast DDR

Wich­tig dabei: all die­se Punk­te tra­fen auf die DDR nicht zu. Wes­halb die Unter­schie­de zwi­schen den bei­den deut­schen Tei­len bis heu­te tief gehen. 

Sozia­le Immobilität

Eine der wenig beach­te­ten Struk­tu­ren, in denen Nazi­ideo­lo­gie unver­än­dert wei­ter­ge­ge­ben wur­de, sind die schla­gen­den Bur­schen­schaf­ten, die nach wie vor bedeu­ten­de Kar­rie­renetz­wer­ke dar­stel­len, auch wenn mitt­ler­wei­le Stif­tun­gen die Rekru­tie­rungs­funk­ti­on über­nom­men haben. Die deut­sche Gesell­schaft hat eine sehr gerin­ge sozia­le Mobi­li­tät und außer­dem noch eine extrem gerin­ge Zahl an Ehen zwi­schen Men­schen mit unter­schied­li­chem sozia­lem Sta­tus. Das ist selbst in West­eu­ro­pa eine Aus­nah­me. Durch die frü­he Tren­nung in den Bil­dungs­kar­rie­ren bil­den sich auch sozi­al geschlos­se­ne Freundeskreise. 

Ras­sis­mus

Damit ist die Gesell­schaft hoch anfäl­lig für ras­sis­ti­sche Ideo­lo­gien, selbst wenn die Rhe­to­rik »Anti­ras­sis­mus« betont. Eine huma­nis­ti­sche Sicht ist kaum zu fin­den. Im Sozi­al­ver­hal­ten wirkt die Poli­tik der »offe­nen Gren­zen« gera­de­zu ent­ge­gen­ge­setzt. Denn sie sorgt dafür, dass gan­ze Grup­pen vor allem als Piz­za­fah­rer und Putz­frau­en erlebt wer­den, was zusam­men mit der extre­men Lohn­sprei­zung in Deutsch­land dazu führt, dass die »ande­ren« als unter­le­gen erfah­ren werden. 

Nach­dem inzwi­schen jede Aus­ein­an­der­set­zung mit kolo­nia­len Macht­ver­hält­nis­sen und ihren Fol­gen ver­schwun­den ist, ist das eine Art des »Anti­ras­sis­mus«, die selbst wie­der Ras­sis­mus erzeugt, der nach Bedarf auf ein neu­es Objekt gerich­tet wer­den kann. Die ras­sis­ti­sche Dar­stel­lung von Rus­sen hat­te eine unge­bro­che­ne Kon­ti­nui­tät in der BRD, und die kur­ze Pau­se zwi­schen Kal­tem Krieg und dem Anfang des 21. Jahr­hun­derts war zu kurz, um da irgend etwas zu ändern. 

Sobald die poli­ti­sche Pro­pa­gan­da gegen Russ­land wie­der begann, wur­den auch wie­der die alten Bil­der ver­wen­det. Das lässt sich schon anhand von Zei­tungs­ti­tel­bil­dern bele­gen. Aber man fin­det auch immer wie­der ent­spre­chen­de Dar­stel­lun­gen in Fil­men, bei­spiels­wei­se in der Rei­he Tann­bach – Schick­sal eines Dor­fes. Am Ende der ers­ten Fol­ge, die Rote Armee zieht in den Ort ein, es wird erst eine kom­plet­te Fami­lie umge­bracht, dann wer­den alle Frau­en ver­ge­wal­tigt …, wäh­rend zuvor die Ame­ri­ka­ner zivi­li­siert und freund­lich waren … Kom­plett ahis­to­risch, aber ein gutes Bei­spiel, um das Gesag­te zu untermauern.

Bild: Hans Fil­bin­ger, Wiki­me­dia Commons

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert