Nach zwei Weltkriegen sind die einstigen Erbfeinde Frankreich und Deutschland beste Freunde geworden. Die Feindschaft zu Russland ist geblieben. Geht es dabei alleine um die Wahrheit und die westlichen Werte?
Westliche Wahrheiten
Diese Frage zu beantworten, scheint nirgendwo so einfach zu sein wie im Westen. Putin lügt, die russischen Medien sagen ihrer Bevölkerung nicht die Wahrheit, während bei uns unabhängige Medien den Bürgern reinen Wein einschänken. Zudem gibt es Seiten im Netz, die unabhängig von staatlicher Beeinflussung alle Fakten einem Wahrheitstest unterziehen. Sie bieten Faktencheck mit Wahrheits‐TÜV‐Siegel. Der Leser kann also sicher sein, nur mit solchen Informationen versorgt zu werden, die eine unbeeinflusste Meinungsbildung ermöglichen.
So ist denn niemand Geringerer als der Herausgeber der Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Berthold Kohler, der Ansicht, »nur verblendete Russen können stolz darauf sein, dass ihre Armee ein friedliches Nachbarland überfällt …«, aber »noch behindern in Russland Propaganda und Zensur die Ausbreitung der Wahrheit«. Jedoch ist das nach Kohlers Meinung keine Entschuldigung. »Denn schon jetzt können nicht alle Russen sagen, sie hätten von allem nichts gewusst.«
Wer sich also der westlichen Wahrheit verschließt, lädt Schuld auf sich. Aus diesen Worten des FAZ-Herausgebers werden Überheblichkeit und Geringschätzung deutlich, die man im Westen Russland und seiner Bevölkerung entgegen bringt. Dass die Russen die westliche Wahrheit nicht annehmen, führt man auf deren Unfähigkeit zurück, die Informationen russischer Medien als Propaganda zu durchschauen.
Dazu im Widerspruch stehen Berichte der FAZ, wonach in Russland facebook empfangen werden darf, das ja sicherlich nicht die russische Propaganda vertreibt. Auch kritische Medien wie die Nowaja Gaseta sowie die TV‐Sender Meduza und Dozhd, die viel Lob aus dem Westen erhalten haben, konnten lange in Russland ihre Meinung verbreiten. Dies weiß auch Herausgeber Kohler. Nur scheint er sich nicht erklären zu können, wieso trotzdem die Mehrheit der Russen sich eher in eigenen Medien informiert als über die westlichen oder westlich orientierten.
Im Interesse der Kriegsführung ist die Berichterstattung in Russland eingeschränkt worden. Dies geschah aber nicht nur in Russland sondern auch im Westen. Auch in den NATO‐Staaten, die sich nicht einmal im Kriegszustand mit Russland befinden, wurde die Informationsfreiheit durch das Abschalten von RT und Sputnik beeinträchtigt. Man wolle Russlands Propaganda nicht unterstützen, so die Erklärungen der Missionare der Meinungs‐ und Pressefreiheit.
Offensichtlich traut man den eigenen Bürgern nicht zu, dass sie zwischen Information und Propaganda unterscheiden können und glaubt, sie bevormunden und ihr Denken betreuen zu müssen. Aber in Wirklichkeit traut man der eigenen Überzeugungskraft nicht zu, sich mit der Sichtweise der sogenannten russischen Propaganda messen zu können. Das Verbot von RT und Sputnik ist das Eingeständnis der eigenen Unfähigkeit, mit einem Weltbild zu überzeugen, das der Welt entspricht und die Welt erklärt. Wie anders erklärt sich Herr Kohler die Tatsache, dass immer mehr Bürger im Westen sich von den sogenannten unabhängigen Medien abwenden?
Selbstbild
Dennoch hält sich der überwiegende Teil der westlichen Bürger im Gegensatz zu den russischen für objektiv und seriös informiert, unbeeinflusst durch irgendwelche Interessen. Nach seinem Selbstverständnis ist er aufgeklärt, kennt sich bestens aus, weiß besser Bescheid als alle anderen auf dem Planeten. Ihm kann man nichts vormachen. Selbst über Putin, Russland und die russische Politik hat er Informationen, die dem russischen Bürger von deren eigener Regierung und Medien vorenthalten werden, so glaubt er.
Nach seinem Weltbild hat der westliche Bürger hat einen Wissens‐ und Informationsvorsprung gegenüber dem Russen. Diese Vorstellung eigener Überlegenheit durch höheres Wissen macht nicht bei den einfachen Bürgern Halt. Außenministerin Annalena Baerbock behauptet gar, dass selbst Putin nicht so recht im Bilde über die Realität in seinem Lande sei, denn »offenkundig hört er nicht auf meinen Kanzler und auch nicht auf die anderen internationalen Partner«. Und weil er auf beide nicht hört, wird er selbst Opfer seiner eigenen Lügen.
Aus diesen Worten einer Außenministerin, die erst seit wenigen Wochen im Amt ist, äußert sich nicht nur westliche Überheblichkeit gegenüber russischen Kollegen mit Jahrzehnte langer Erfahrung. Aus diesen Worten spricht auch gefährliche Selbsttäuschung, die auf der Vorstellung ruht, dass der Westen aufgrund seines Modells von Meinungs‐ und Pressefreiheit einen uneinholbaren Wissensvorsprung gegenüber den Menschen in Russland und China hat. Das verführt zu der Ansicht, dass die eigenen Ansichten und Meinungen denen anderer Völker überlegen sind.
Das Streben nach Überlegenheit ist einer der westlichen Wesenszüge, sozusagen Teil seiner DNA. Zwar hates sich in seinen Erscheinungsformen immer wieder gewandelt, aber gerade dadurch in seinem Kern erhalten. Es verschwand nie ganz, hat sich immer nur hinter anderen Masken versteckt, zuletzt in der Werteorientierung. Besonders in den sogenannten westlichen Werten drückt sich heute der Anspruch der Überlegenheit gegenüber anderen Völker und Gesellschaften aus.
Bürgerliches Gedankengut
Das Überlegenheitsdenken ist Teil des bürgerlichen Denkens. Besonders im 19. Jahrhundert erwies sich das Bürgertum als die gesellschaftliche Klasse, die mit ihrer Industrie den wirtschaftlichen Fortschritt befeuerte. Damit wurde es zu jener gesellschaftlichen Kraft, die den bis dahin größten Zuwachs an Wohlstand in der Menschheitsgeschichte erbrachte. Diese seine Erfolge waren unübersehbar und ließen bei ihm selbst das Bewusstsein besonderer Fähigkeiten durch geistige Überlegenheit entstehen.
Dieses Denken wurde besonders bestärkt durch die Entwicklungsunterschiede, die man in den Kolonien gegenüber den dort vorgefundenen Gesellschaften feststellen konnte. Die weißen Kolonialherren waren den ansässigen, überwiegend farbigen Bewohnern der Kolonialgebiete wirtschaftlich und militärisch überlegen. In dieser Feststellung sah sich bürgerliches Überlegenheitsgefühl bestätigt.
Das Bürgertum, besonders das später auftauchende Bildungsbürgertum, deutete den Unterschied zwischen Kolonialvölkern und Kolonialherren nicht als Ergebnis einer zeitlich unterschiedlich verlaufenen Entwicklung sondern als Ergebnis unterschiedlicher rassischer Qualitäten. Wirtschaftliche Unterlegenheit wurde gedeutet als rassische Minderwertigkeit der Kolonialvölker. In dem unterschiedlichen Entwicklungsstand sahen sie die Überlegenheit der weißen Herrscherschicht, der weißen Rasse allgemein.
Dieses Denken führte in Laufe der Entwicklung zu der Vorstellung, dass diese scheinbar rassisch bedingte Unterentwicklung und Rückständigkeit zwangsläufig Vorrechte für die eigene Rasse mit sich brachte. Das war der psychologische Kern des Faschismus, die Vorstellung, aufgrund besonderer Eigenschaften höhere Rechte zu haben als andere Menschen. Der weiße Mensch als Kolonialherr war zum Herrenmenschen geworden, der seine Herrschaft gegenüber Nichtweißen willkürlich und nach Gutdünken glaubte ausüben zu können.
Die Niederlage des Herrenmenschen
Dieses Denken gipfelte in der von den Nazis propagierten Ideologie vom Herrenmenschen, die nun aber nicht mehr nur zwischen Weißen und Nicht‐Weißen unterschied. Sie schuf den Begriff des Untermenschen im Gegensatz zum Herrenmenschen innerhalb der weißen Rasse. Zu Untermenschen erklärte man die Juden und besonders die Slawen. Nach dieser Ideologie standen den Herrenmenschen höhere Rechte zu, unter anderem über Leben und Vernichtung der sogenannten Untermenschen.
Nun wollte es aber die Ironie des Schicksals, dass dieser Herrenmenschenwahn gerade durch die Bürger der Sowjetunion, die mehrheitlich als Slawen zu den Untermenschen gezählt wurden, und durch ihre Rote Armee zunichte gemacht wurde. Es waren gerade die slawischen Untermenschen, die die Herrenmenschen im Zweiten Weltkrieg vernichtend geschlagen hatten.
Die Ideologie von der Überlegenheit der weißen Herrenrasse hatte ihren ersten bedeutenden Gegenschlag erhalten, was viele bekennende und heimliche Anhänger dieses Weltbildes besonders den Russen bis heute nicht verziehen haben. Noch größer dürfte die Zahl derer sein, die sich ihrer Anhängerschaft dieses Denkens gar nicht bewusst sind. Der Zusammenhang zwischen der Herrenmenschen‐Ideologie und den Konflikten mit Russland wird heute im Westen nicht thematisiert. Man sieht das Herrenmenschendenken im Westen als demokratisch überwunden an.
Westliche Meinungsmacher, von denen viele als Intellektuelle in der Tradition des Bildungsbürgertums stehen, leugnen für sich diesen Zusammenhang oder blenden ihn aus. Dabei waren besonders viele Intellektuelle glühende Verehrer und Wegbereiter der Rassentheorie, sahen sie sich doch gerade durch sie in ihrer Vorstellung der eigenen Überlegenheit durch Wissen und vermeintliche Intelligenz bestätigt. Dieses Selbstbild der eigenen Überlegenheit, das sich damals in der Rassenlehre bestätigt fühlte, sieht sich heute bestätigt in der Vorstellung, russischen und chinesischen Bürgern aufgrund der eigenen kritischen Sichtweise überlegen zu sein.
Niedergang
Historisch gesehen, speist sich der heutige Wertewesten aus den Völkern der ehemaligen Kolonialherren. Diese sind hervorgegangen aus dem Bürgertum hauptsächlich Zentraleuropas, den Hochburgen der kapitalistischen Entwicklung, sowie den USA und Australien, deren Gesellschaften sich weitestgehend aus europäischen Auswanderern zusammensetzten. Einzig Japan macht in dieser Abstammung eine Ausnahme, war andererseits aber auch selbst Kolonialmacht gewesen.
Mit der Niederlage des Faschismus war das Überlegenheitsdenken nicht aus der westlichen Welt verschwunden. Es lebte weiter in der Auseinandersetzung des Kalten Krieges um die Vorherrschaft der politischen Systeme. Auch hier musste der kapitalistische Westen mit seinem Überlegenheitsanspruch gerade wieder gegen jene Russen antreten, dievormals slawischen Untermenschen, die nun als zu Teilen sozialistisch orientierte Proletarier nicht nur dem Vormachtstreben des kapitalistischen Westen die Stirn boten sondern auch seiner Klassenherrschaft.
Doch der Russe war nicht mehr allein. Ihm hatten sich viele der ehemals ebenfalls als minderwertig angesehenen Völker angeschlossen. Ganz Ostasien entglitt dem westlichen Machtanspruch und bis in die 1970er Jahre taten es ihnen viele Staaten im Rest der Welt gleich. Aufgrund seiner wirtschaftlichen und militärischen Stärke konnte der Westen weiterhin sein Trugbild eigener Überlegenheit aufrechterhalten. Dennoch wuchsen die Selbstzweifel, denn nach den Niederlagen gegen den voranschreitenden Sozialismus war das westliche Selbstbewusstsein angegriffen. Die eigene Überlegenheit war nur noch schlecht zu erkennen.
Mitte der 1970er Jahre kam die Wende mit der von den USA ausgerufenen Menschenrechtspolitik. Sie ersetzte das frühe rassistische Überlegenheitsdenken, das spätere wirtschaftlich‐militärische der Zeit des Kalten Krieges durch ein wertebasiertes Denken. Der Westen wandelte sich zum Wertewesten. Er gab vor, für höhere Werte einzutreten, Werte, die denen anderer Staaten und Gesellschaften überlegen sein sollten. Mit seinen westlichen Werten behauptet er bis heute, sich von Autokraten, Diktatoren und Schurkenstaaten zu abzuheben.
Aber auch in dieser Auseinandersetzung steht ihm Russland wieder entgegen, das nun nicht mehr sozialistisch ist wie die frühere Sowjetunion. Obwohl dieser Systemkonflikt weggefallen ist, der früher als Stein des Anstoßes galt, wird Russland trotzdem weiterhin als Feind angesehen. Denn dieses Russland ist nicht mehr schwach wie in den 1990er Jahren. Es gewinnt zunehmend an Einfluss in der Welt. Und es wird unterstützt von einem China, das die Welt und ihre Entwicklung ähnlich sieht wie Russland.
Dass dieses unterentwickelte China, das sich zudem noch als sozialistisch versteht, innerhalb einer Generation zu einer wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Führungs‐ und Weltmacht aufgestiegen ist, ist für das Selbstbewusstsein des Wertewestens ebenso verheerend wie seinerzeit der Sieg der slawischen Untermenschen über jene, die sich für Herrenmenschen hielten. Beide zerstören die Vorstellung der eigenen Überlegenheit. China ist dem Westen wirtschaftlich ebenbürtig. Und beide, China wie Russland, setzen der westlichen Wertepropaganda immer erfolgreicher die eigene Sicht in Menschenrechtsfragen entgegen.
Zudem entwickelt sich der Wertewesten selbst zum größten Zerstörer der eigenen Werte. Seine völkerrechtswidrigen Kriege wie jene gegen Jugoslawien, den Irak und Libyen, seine Unterstützung von Umstürzen, seine Initiativen für Regimewechsel überall in der Welt, seine Sanktionen gegen Staaten, die andere Vorstellungen über die eigene gesellschaftliche Entwicklung vertreten, lassen die Zweifel an seinem werteorientierten Handeln wachsen, weltweit, aber auch in den eigenen Gesellschaften.
Das bedrohte Überlegenheitsgefühl der herrschenden Kreise im Westen ist aber auch gleichzeitig die Grundlage der Feindschaft, die sich besonders gegenüber Russland und China seit Jahren immer mehr verfestigt hat. Denn es sind diese beiden Staaten, die der Vorherrschaft des Westens die Grundlage entziehen. Chinas wirtschaftlicher Erfolg und Russlands Wiederaufstieg zur politischen und militärischen Großmacht zersetzen das westliche Selbstbild.
Bild: Gemeinsames Foto von Wehrmachtssoldaten. Auf der Schultafel steht mit Kreide geschrieben: »Der Russe muß sterben, damit wir leben. Die stramme 6. Kompanie«. Gebiet Brjansk, 2. Oktober 1941
Eine Linke, die sich dadurch definiert antikapitalistisch zu sein, sollte nicht bei diesem Spiel im Interesse der USA‐Kriegsverbrecher und der von ihr geführten NordAtlantischenTerrorOrganisation mitmachen. Die Forderungen der Linken müssen sein: USA aus Europa kicken, NATO&EU auflösen bzw. wenn das nicht durchsetzbar ist austreten um so die Bedingungen für Frieden und Völkerverständigung in Europa zu schaffen.