Offener Brief an »den Revolutionär«

Werte Genossinnen und Genossen,

dieser offene Brief ist eine Antwort auf euren offenen Brief vom 12. März 2022. Bereits im Vorwort wird das Netzwerk Linker Widerstand von euch de facto als fünfte Kolonne Moskaus geschmäht, wenn ihr schreibt, dass die »MagMa – Magazin der Masse, eine in Russland gehostete Internetplattform« sei. Offensichtlich könnt ihr euch nicht vorstellen, dass kritische Stimmen im »freien Westen« zunehmend mit Zensur zu rechnen haben. So erlaubt der im November 2020 in Kraft getretene Medienstaatsvertrag die offene Zensur von Internet‐​Angeboten. Eine Möglichkeit, von der unsere beamteten Zensoren bereits weidlich Gebrauch gemacht haben, so bei KenFm und dem Blauen Boten. Die EU bereitet ein weiteres Zensurpaket für das Internet vor und ihre grundgesetzwidrige Sperre von RT und Sputnik belegt, dass sie keinerlei Skrupel hat, kritische Stimmen zum Verstummen zu bringen.

Das Netzwerk Linker Widerstand ist ein Zusammenschluss verschiedener maßnahmenkritischer Gruppen. Das in dem Newsletter veröffentlichte Flugblatt stammt von der Gruppe Freie Linke Zukunft (FLZ), eine der Gruppen, die das Netzwerk Linker Widerstand bilden. Die folgenden Ausführungen geben nur die Ansicht dieser Gruppe wieder. Andere Mitglieder des Netzwerks mögen eine andere Sichtweise auf den Ukraine‐​Krieg haben.

Ihr meint, dass die Kritik der FLZ in dem besagten Flugblatt nicht gerechtfertigt sei, da ihr immer schon geforderte hättet, dass die BRD aus der NATO austreten solle etc. Unsere Kritik richtete sich allerdings primär an größere linke Organisationen wie die Linkspartei. Was von deren Forderung nach Auflösung der NATO zu halten ist, hat Gregor Gysi dankenswerterweise dem damaligen US‐​Botschafter Murphy erläutert. Die Forderung nach Abschaffung der NATO war in Wirklichkeit ein Weg, den »gefährlicheren« Ruf nach einem Rückzug Deutschlands aus dem Bündnis zu verhindern. Für eine Auflösung der Nato ist die Zustimmung der USA, Frankreichs und Großbritanniens nötig. Und das ist unrealistisch. Das heißt, die Linkspartei erhebt diese Forderung nur pro forma. Nach der russischen Intervention der Ukraine hat die Linkenvorsitzende Henning‐​Welsow die Kritik an der NATO weiter heruntergefahren. Für seine Kriegsrede erhielt Olaf Scholz im Bundestag stehende Ovationen von allen Fraktionen. Nach Willy Wimmer lag ein Hauch von 1914 in der Luft.

Letztlich konzentriert ihr euch auf die Frage, ob Russland eine imperialistische Macht ist oder nicht. Bezeichnend ist, dass ihr in diesem Zusammenhang alles ausblendet, was den russischen Militäreinsatz in der Ukraine in einem anderen Licht erscheinen lässt:

  • Ukrainische Truppen und Nazi‐​Bataillone wie Asow beschießen seit 8 Jahren den Donbass, was zu 14.000 Toten führte. Der Westen unterstützte die Ukraine dabei, das Minsker Abkommen nicht umzusetzen, so dass keine Chance auf eine friedliche Lösung des Konfliktes mehr bestand.
  • Nazi‐​Bataillone wie Asow wüten seit dem Maidan‐​Putsch ungestraft in der ganzen Ukraine, verüben bestialische Verbrechen wie das Massaker von Odessa und ermorden Kritiker des nationalistischen Kurses.
  • Alle kritischen Medien in der Ukraine wurden schon vor Jahren geschlossen. Die Ukrainische Kommunistische Partei wurde in den Untergrund getrieben.
  • Die russische Sprache wurde auch im Alltagsgebrauch verboten, ein »Volksgruppengesetz« teilt die Ukrainer nach ihrer Herkunft in Menschen mit unterschiedlichen Rechten ein. Am unteren Ende der Skala stehen die Russen.
  • Die USA wollten nicht ausschließen, Mittelstreckenraketen in der Ukraine zu stationieren, die Moskau in fünf Minuten erreichen können.
  • Die USA unterhielten in der Ukraine zahlreiche Biolabore, in denen mit gefährlichen Viren experimentiert wurde. Unter anderem wurde untersucht, wie diese Viren über Zugvögel in Russland freigesetzt werden können.
  • Wolodimir Selensky erklärte, dass die Ukraine das Budapester Memorandum aufkündigen und sich Nuklearwaffen beschaffen würde. Dafür erhielt er stehende Ovationen auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2022. Die Ukraine hat in ihrer Militärdoktrin unter anderem die Wiedereroberung der Krim festgeschrieben.
  • Der Westen pumpte die Ukraine zunehmend mit den modernsten Waffen voll und hat unter dem Vorwand von Ausbildungsmissionen de facto Militärstützpunkte in der Ukraine errichtet.
  • Der Westen hat jeden diplomatischen Versuch Russland, Sicherheitsgarantien für sich zu erlangen, arrogant zurückgewiesen.

Zusammengenommen können diese Aspekte den Militäreinsatz Russlands erklären, ohne einen imperialistischen Charakter des russischen Staates anzunehmen. Das kann man nicht einfach als Propaganda abtun.

Darüber hinaus halten wir euren Versuch, Russland als ein imperialistisches Land darzustellen, nicht für überzeugend. Wie ein Artikel von Stansfield Smith aus der Monthly Review[1] zeigt, kann von einem großangelegten Kapitalexport Russlands nicht die Rede sein. Russische Banken und Unternehmen sind in der Forbes‐​Liste der weltgrößten Unternehmen nur unter »ferner liefen« zu finden. Warum sollte sich Russland fremde Rohstoffe aneignen? Es hat selbst mehr als genug davon.

Der oben genannte Artikel bezieht sich nur auf die Leninschen Kriterien des Imperialismus. Aber seitdem sind mehr als 100 Jahre vergangen. Hauptquelle des Surplusprofits ist im neoliberalen Kapitalismus nicht mehr die Ausbeutung von Kolonien und Halbkolonien, sondern die technologischen Renten, die anfallen, wenn ein Unternehmen als erstes ein High‐​Tech‐​Produkt auf den Markt bringt. In dieser Beziehung schneidet Russland sogar noch schlechter ab. Das Land ist nur in ganz wenigen High‐​Tech‐​Branchen, im Bereich der Militär‐ und Kerntechnik international konkurrenzfähig.

Es kann also keine Rede davon sein, dass Russland ein imperialistisches Land ist. Vielmehr kämpft es um seine pure Existenz, um seine Staatlichkeit, die Macron und Baerbock nach eigenen Worten vernichten wollen. Offenbar hat es Ananlena Baerbock nicht verkraftet, dass Deutschland den zweiten Weltkrieg verloren hat. War doch ihr Großvater auf den Seelower Höhen in Kämpfe mit der Roten Armee verwickelt. Jetzt will sie offenbar die Niederlage der Nazi‐​Wehrmacht gutmachen und Russland doch noch in die Knie zwingen. Zunächst nur mittels Sanktionen. Aber kann man sich darauf verlassen, dass es dabei bleibt?

Wenn ihr meint, dass wir den eigenen Imperialismus nicht angreifen würden, habt ihr unser Flugblatt wohl nur oberflächlich gelesen. Zunächst haben wir die aggressive Expansion der NATO und der EU nach Osten angeprangert und im letzten Absatz die sozialen und politischen Folgen des Wirtschaftskrieges des Westens gegen Russland. Wir wollen sie hier noch einmal wiederholen: »Wir erleben gegenwärtig einen neuen Schub an Demokratieabbau und Autoritarismus. Antidemokratische Maßnahmen wie die Impfpflicht und Massenüberwachung per Digitalpass können nun umso einfacher durchgedrückt werden. Tun wir alles in unserer Macht stehende dafür, dass dieser Kriegsrausch schneller vorbei geht als der des ersten Weltkrieges. Denn als Folge der Sanktionen gehen die Energiepreise durch die Decke. Ein weiterer massiver Verarmungsschub ist absehbar. Dagegen müssen wir breiten Widerstand aufbringen!«

Wir gehen davon aus, dass es die sich immer mehr verdüsternde ökomische Situation der Menschen sein wird, die bewirkt, dass der aktuelle Kriegsrausch verfliegt. Das war bereits im Ersten Weltkrieg so und wird jetzt nicht viel anders sein. Erste Anzeichen in Form der Proteste der Trucker und der Fischer gibt es bereits. Und das war vermutlich nur ein laues Lüftchen im Vergleich zu dem, was noch kommen wird.

Verweise

[1] https://​mronline​.org/​2​0​1​9​/​0​1​/​0​2​/​i​s​-​r​u​s​s​i​a​-​i​m​p​e​r​i​a​l​i​st/ dt. Übers. hier: https://​www​.klassegegenklasse​.org/​i​s​t​-​r​u​s​s​l​a​n​d​-​i​m​p​e​r​i​a​l​i​s​t​i​s​ch/

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