Klar, dass einer wie Kiesewetter dafür ist, deutsche Taurus‐Marschflugkörper in die Ukraine zu liefern. Er kann sich schließlich in Sachen Militanz nicht von einem wie Pistorius oder gar Hofreiter überholen lassen. Weshalb das, was er sagt, auch besonders schlimm ist – wenn man hinhört.
Unzweifelhaft, es gibt Dumme. Und dann gibt es solche, die sich dumm stellen. Wie Roderich Kiesewetter, einer der sichtbarsten Kriegstreiber der CDU im Bundestag. Denn viele andere mögen allerlei Dinge über die Taurus‐Marschflugkörper glauben und aus diesen Gründen irgendwelches Zeug erzählen; aber Kiesewetter war nicht immer Bundestagsabgeordneter, er ist Oberst a.D., Artillerist, und im Laufe seiner Karriere war er auch Kommandeur des Raketenartillerielehrbataillons 52. Was bedeuten sollte, dass ihm allzu leicht ihm niemand ein X für ein U vormachen kann, wenn es um Dinge geht, die bumm machen.
Und trotzdem redet er Unfug. Etwa als er bei Markus Lanz erklärte, »die Ukraine muss befähigt werden, den Krieg nach Russland zu tragen«, und dann sagte, »dass man auch das Kriegsministerium oder das Nachrichtendienstministerium – also Geheimdienstministerium – angreifen muss«.
Und dann beteuerte, er habe damit nicht gemeint, dass die deutschen Taurus gegen Moskau eingesetzt werden sollten. Weil die Ukraine sich daran halten würde, wenn man ihr einen Einsatz gegen Russland untersagte.
Nein, der entscheidende Punkt ist nicht der vermeintliche Kinderglaube, die Ukrainer hielten sich an derartige Auflagen. Auch wenn die HIMARS‐Raketen (darunter auch aus Deutschland gelieferte) scheinbar besonders gern gegen Zivilisten eingesetzt werden, ebenso gegen Städte im bereits 1992 russischen Gebiet, wie in Brjansk. Was bedeuten muss, dass es entweder derartige Einschränkungen nicht gibt oder sie der Ukraine egal sind, oder den eventuell vorhandenen westlichen Instrukteuren ebenso.
Den wirklichen Unfug redet er bei der Erwähnung der beiden Ministerien (hat Russland wirklich ein »Geheimdienstministerium«? Überrascht mich etwas …). Seine Formulierung »den Krieg nach Russland tragen« passt auf den ersten Blick auf die bekannten ukrainischen Terroranschläge, davon gab es einige, gegen Daria Dugina beispielsweise. Die Kombination von »Kriegsministerium« und »den Krieg nach Russland tragen« besagt aber etwas anderes.
Da kann man nicht mal eben mit einer angemalten, mit Sprengstoff gefüllten Büste auftauchen oder einen Sprengsatz unter ein Auto legen. Da geht es um ein rundum gesichertes Gebäude mit Luftabwehr und einem überwachten Perimeter. Mehr noch, um ein Gebäude, das für ebendiesen Zweck gebaut wurde, und die sowjetische Architektur hat in dieser Hinsicht alles aus sich herausgeholt, wie die weitläufigen Bunkeranlagen beweisen, die etwa auf dem Asow‐Stahl‐Gelände zu finden waren.
Verglichen mit dem Verteidigungsministerium Russlands ist das Bundeskanzleramt, dessen Insassen jüngst mal in dessen Bunker geschickt wurden, probeweise, eher ein Zelt auf einem Campingplatz. Selbst wenn man die Bunkeranlagen mit einberechnet, die schon allein aus praktischen Gründen irgendwo in der Nähe der ungenutzten U‑Bahn‐Station liegen müssen, weil auch der Verkehr in Berlin geografisch umfassende Bewegungen ausschließt (Moskau ist in der Hinsicht wie Berlin mal zehn).
Wie gesagt, Artillerist und Kommandeur eines Raketenartilleriebataillons. Das bedeutet, der Mann weiß genau, dass es nur eine Möglichkeit gibt, dem russischen Verteidigungsministerium Schaden zuzufügen: mithilfe einer bunkerbrechenden Rakete. Und es gibt exakt eine Lenkrakete, die der Ukraine geliefert werden könnte, die diesen praktischen Anforderungen genügt und derzeit überhaupt im Gespräch ist. Das ist eben der Taurus‐Marschflugkörper.
Kiesewetter tut also so, als wolle er keinen Einsatz dieser Raketen gegen Russland; vielleicht weil in seinem Gedächtnis irgendwo noch herumspukt, wie so etwas das letzte Mal ausgegangen ist, aber in Wirklichkeit verleiht er seinem Wunsch Ausdruck, ebendiese Taurus mögen doch gen Moskau fliegen. Man kann es nicht oft genug wiederholen – da spricht jemand, der die technischen Parameter von Geschossen im Kopf hat, nicht irgendwer, der den Unterschied zwischen einer Überschall‐ und einer Hyperschallrakete nicht versteht. Die Taurus fliegt übrigens noch knapp unter Schallgeschwindigkeit.
Eigentlich müsste ihm aber auch klar sein, welche Folgen es hätte, würde seine Fantasie wahr. Selbst wenn wir jetzt die Frage überspringen, ob nicht die Lieferung dieser Dinger bereits als Kriegsbeteiligung behandelt und entsprechende Folgen nach sich ziehen würde – was meint er, würde geschehen, träfe eine derartige Rakete mit deutschem Absender tatsächlich das russische Verteidigungsministerium? Will er dann mit dem Paddelbötchen zu der neuen Anlegestelle am Reichpietschufer fahren, weil der neue See am Landwehrkanal, der die Stelle des Bundesministeriums der Verteidigung eingenommen hat, so nett ist?
Ja, irgendwie kann man es nachvollziehen, dass einer wie Kiesewetter meint, er müsse das deutsche Militär von der Last der Vergangenheit befreien. Die Adresse dieses Ministeriums ist wirklich gemein – es liegt an der Kreuzung Reichpietschufer/Stauffenbergstraße, und daneben liegt die Gedenkstätte deutscher Widerstand. Max Reichpietsch war einer der zwei Matrosen, die im September 1917 wegen ihrer Arbeit gegen den Krieg hingerichtet wurden; das gehörte zum Vorlauf der Revolution 1918. Der Name dieser Straße ist einer der wenigen von der DDR vergebenen Straßennamen, die die Annexion überlebt haben. Und zu Stauffenberg muss man nicht viel erläutern. Eigentlich eine ungünstige Umgebung, um ausgerechnet gegen Russland Raketen liefern zu wollen. Kiesewetter, zurzeit eher Besucher als Insasse des betreffenden Baus, fand diese historische Umzingelung sicher immer unangenehm.
Übrigens, ein Stück das Reichpietschufer stadteinwärts, in Richtung auf den jetzt schon vorhandenen Anlegesteg, liegt die Hiroshimastraße, und dabei der Hiroshimasteg. Was die Konsequenzen regelmäßig in Erinnerung rufen müsste, die es haben kann, wenn man derartige Fantasien umsetzt. Und dann liegt die Konrad‐Adenauer‐Stiftung, die Herrn Kiesewetter als CDU‐Abgeordnetem sicher wohlbekannt ist, an der Köbisstraße – das war der zweite 1917 hingerichtete Matrose.
Es ist also nicht nur seine berufliche Ausbildung, es ist auch die Umgebung, durch die er sich regelmäßig bewegt, die Kiesewetter wieder ins Bewusstsein rufen müsste, was er tut, wenn er solche Sätze von sich gibt. Es mag ja sein, dass auf der deutschen Seite nur Wenige erfassen, wie gefährlich die zweite in seinen Sätzen verborgene Botschaft ist. Aber er selbst, er muss genau wissen, was er da gesagt hat.
Dagmar Henn ist Mitglied des Deutschen Freidenker‐Verbandes, von dessen Website freidenker.org der Artikel übernommen wurde, Erstveröffentlichung am 07.03.2024 auf RT DE
Bild: Roderich Kiesewetter (CDU), Mitglied des Deutschen Bundestages bei einer Plenarsitzung des Deutschen Bundestages am 29. Oktober 2020 in Berlin (Olaf Kosinsky CC BY‐SA 3.0 DE Deed)