Vermehrt hört man jetzt von den USA und ihrer NATO die Forderung nach einem Waffenstillstand, um den heißen Konflikt einzufrieren. Diesbezügliche Vorstellungen werden in einem neuen Papier der US‐Denkfabrik RAND entwickelt, machen aber bereits deutlich, dass sich Russland unter diesen Bedingungen niemals auf einen Waffenstillstand einlassen wird.
Am 30. November 2023, also vor etwas mehr als einem Monat, gab es in der renommierten britischen Zeitung The Times in London einen Artikel über eine hochrangige Konferenz zu Fragen der Verteidigung in Berlin, über deren Stattfinden und erst recht deren explosive Diskussionsinhalte die deutschen »Qualitätsmedien« beharrlich geschwiegen haben. Dafür titelte The Times umso deutlicher: »Europas verworrene Streitkräfte könnten von Russland weggespült werden.«
Das Ergebnis der Konferenz unter Beteiligung von hochrangigen Politikern, Generälen und Militärwissenschaftlern war laut Times, dass Europa nicht auf einen Krieg mit Russland vorbereitet ist und Gefahr läuft, in einem Konflikt mit Russland »weggespült« zu werden, ähnlich wie das Heilige Römische Reich (Deutscher Nation) von Napoleon zerschlagen wurde. Mehrere deutsche Generäle deuteten auch an, dass die NATO bereits die »erste Schlacht« in einem Verteidigungskrieg an ihrer Ostflanke möglicherweise nicht gewinnen könne, weil sie Schwierigkeiten hätte, schnell genug genügend Truppen und Ausrüstung an die Front zu schicken. »Es könnte mindestens 15 Jahre dauern, bis Deutschland für einen Krieg bereit ist«, schrieb die Zeitung.
Im Nachrichtensender Welt räumte der Ex‐Brigadegeneral der Bundeswehr Wolfgang Richter am 2. Januar ein, dass die EU‐Sanktionen Russland nicht geschadet, sondern viel mehr dazu beigetragen hätten, die russische Rüstungsindustrie zu stärken und deren Stabilität noch zu untermauern.
»Mit einer erstaunlich großen Anzahl der Drohnen und Raketen lege die russische Armee »die ukrainische Luftabwehr lahm«, konstatiert der Experte. Laut Richter »verzettelt sich die ukrainische Luftabwehr, wenn die Raketen aus allen Himmelsrichtungen kommen. Die Luftabwehr erreicht ganz schnell das Limit der Leistung und wird überfordert ». Richter zeigte sich erstaunt, »wie das Militär (das ukrainische oder das US‐Militär samt NATO?) so fehlerhafte Prognosen machen konnte«. Man habe nämlich damit gerechnet, dass die russische Rüstungsindustrie im Jahr 2023 ihre Produktion wegen der vom Westen verhängten, schärfsten Sanktionen aller Zeiten hätte herunterfahren müssen. Das Gegenteil war der Fall. Aber das war nicht der einzige Punkt, wo die sogenannten »Eliten« versagt haben.
Tatsächlich haben sich die Experten der USA und ihrer NATO bei allen wichtigen Entscheidungen komplett verrechnet. Sie glaubten lieber an das eigene und somit vorherrschende, von Wunschdenken und Vorurteilten getrübte Narrativ vom maroden und schwachen Russland. Anstatt sich mit der realen Stärke Russlands zu befassen, die für unvoreingenommene Beobachter durchaus erkennbar war, zogen sie es vor, statt einer unangenehmen Realität ins Auge zu blicken lieber wie Pipi Langstrumpf vom großen Sieg der Ukraine als USA‐ und NATO‐Gehilfe gegen Russland zu träumen.
In den letzten Monaten und noch stärker in den letzten Wochen wurden die USA‐/NATO‐/EU‐Traumtänzer in Politik und Medien endgültig von der Realität eingeholt. Von einem Sieg der Ukraine ist nun nicht mehr die Rede. Eine militärische Niederlage der Ukraine würde aber zugleich eine Bankrotterklärung der im Westen herrschen Eliten und das Ende ihrer Karrieren und ihres persönlichen Prestiges bedeuten – bei vielen gepaart mit negativen Auswirkungen auch auf ihren privaten Wohlstand. Fehler zuzugeben und abzudanken kommt daher für diese Westelite nicht infrage. Stattdessen werden neue Pläne ausgeheckt, wie die das Narrativ mit der Ukraine umgedichtet werden kann, um einer persönlichen Katastrophe zu entgehen.
Daher kommen derzeit aus allen Richtungen neue Vorschläge, die auf Verhandlungen mit den Russen drängen, um einen Waffenstillstand auszuhandeln und den Konflikt in der Ukraine einzufrieren, beispielsweise entlang des aktuellen Frontverlaufs. Dabei wird bisweilen der eingefrorene Konflikt zwischen Nord‐ und Süd‐Korea als Musterbeispiel erwähnt. Oder es gibt Vorschläge, die Ukraine solle nun Land gegen Frieden tauschen. Aber dafür müsste erst der ukrainische Präsident wieder bereit sein, mit den Russen zu verhandeln und zuvor das von ihm selbst unterschriebe Gesetz annullieren, das jedem mit schwerer Gefängnisstrafe droht, der mit den Russen verhandelt. Zugleich schafft die Tatsache, dass Selenskij am 3. Januar dieses Jahres den russischen Präsidenten als ein »Tier« bezeichnet hat, sicherlich keine für Verhandlungen günstige Atmosphäre.
Überhaupt gibt es keinen einzigen Vorschlag der USA – folglich auch nicht der NATO oder der EU – für einen Waffenstillstand, der auf die unverzichtbaren Sorgen und Bedingungen der Russen eingeht. Vielmehr zielen alle westlichen Vorschläge darauf ab, dass im Rahmen eines eingefrorenen Konflikts die Ukraine geteilt werde, die Westukraine Teil der NATO werde und dann in den nachfolgenden Jahren wieder mit westlichen Waffen und Geldern als Rammbock gegen Russland aufgebaut wird. Zugleich sollen vor allem Deutschland und die »Europäische Union« die nächsten Jahre nutzen, die Kapazitäten ihrer Rüstungsindustrie schleunigst auszubauen, um im nächsten Krieg gegen Russland die Ukraine und womöglich auch noch Polen und Rumänien an vorderster Front besser unterstützen zu können.
Am besten erklärt ein neuer Aufsatz von führenden RAND‐Mitarbeitern, warum sich die Russen unter diesen Bedingungen niemals auf Waffenstillstandsverhandlungen mit dem Westen und der Ukraine einlassen können und werden. »RAND« ist zweifellos die einflussreichste militärische und militärpolitische Denkfabrik der USA. RAND hatte mit dem umfangreichen Plan aus dem Jahr 2019 »Overextending and Unbalancing Russia«, also um Russland zu »überdehnen und zu destabilisieren«, den Herrschenden in Washington, D.C. die Blaupause für den aktuellen Ukraine‐Konflikt geliefert.
Der Aufsatz der vier hochkarätigen RAND‐Mitarbeiter (siehe Anhang) geht davon aus, dass nach einem Waffenstillstand die Ukraine Mitglied der NATO wird. Als Sicherheitsgarantie zur Untermauerung des Beistandsartikels 5 der NATO‐Charta müssten dann auch NATO‐Truppen in der Ukraine stationiert werden, wie es derzeit bereits in Polen, Rumänien und den baltischen Staaten der Fall ist. Aber auch schon vor der NATO‐Mitgliedschaft sollte man überlegen, bereits NATO‐Truppen in die Ukraine zu schicken. Deshalb folgen hier einige Auszüge aus dem Aufsatz:
»Selbst wenn ein Waffenstillstand mit Russland vereinbart würde, müssten alle verbündeten Streitkräfte in der Ukraine besondere Schutzmaßnahmen gegen die weitreichenden und präzisen Luftstreitkräfte der Russen ergreifen, z.B. die eigenen Positionen befestigen, zerstreuen und hohe Mobilität gewährleisten.«
Und weiter:
»Die Verteidigung der Ukraine wird durch eine lange Frontlinie von etwa tausend Kilometern behindert. Aber die Ukraine hat einen Vorteil in der geografischen Tiefe, was die Reichweite der Luftstreitkräfte wertvoll macht. Die Landgrenzen der Ukraine zu vier NATO‐Verbündeten (Polen, Slowakei, Ungarn und Rumänien) erleichtern zudem die Logistik und Ausbildung [ukrainischer] Soldaten. In einer Krise könnten alliierte Einheiten über mehrere Routen [in die Ukraine] eindringen, wie die aktuellen Nachschublinien zeigen. Denn Russland würde weiterhin zögern, Ziele auf NATO‐Territorium anzugreifen.«
(Zu dem letzten Satz ist folgende Anmerkung des Autors RR unabdingbar: Die Behauptung, dass Russland zögern würde, in diesem Fall »Ziele auf NATO‐Territorium anzugreifen«, stimmt nicht. Denn Russland hat klargemacht, wenn etwa F‑16‐Jagdbomber von Flugplätzen in der NATO kommend kurz in der Ukraine zwischenlanden und dann weiter in östliche Richtung fliegen, um weitreichende Raketen gegen russische Ziele in der Ukraine oder Ziele in Russland zu starten, dann würde Russland die Flughäfen, auf denen die F‑16 stationiert sind, zerstören – NATO‐Territorium Hin oder Her. Der Vorschlag der vier RAND‐Experten ist also brandgefährlich, allerdings nur für die europäischen NATO-»Partner«. Er stellt eine Rote Linie dar, die niemand in der NATO vergessen oder überschreiten sollte.)
Dann machen sich die vier RAND‐Autoren Gedanken darüber,
»… welche Optionen für die Präsenz von NATO‐Streitkräften die Ukraine am besten stärken würden … Eine ständige Präsenz könnte durch eine Rotation oder dauerhafte Stationierung alliierter Streitkräfte und durch die Vorpositionierung von Waffen und Munition für alliierte Einheiten erreicht werden beinhalten, die in einer Krise in die Ukraine entsandt werden könnten«.
Dann werden drei dieser Optionen präsentiert:
»Leicht: Ein Bataillon alliierter Bodentruppen in der Ukraine und Vorpositionierung für ein weiteres, plus Stationierung eines alliierten Kampfflugzeuggeschwaders in einem angrenzenden NATO‐Staat. Dies könnte der Ukraine helfen, ein russisches Eindringen zu verlangsamen.«
»Mittel: Eine Brigade alliierter Bodentruppen in der Ukraine und Vorbereitung für eine weitere, plus Stützpunkt für eine alliierte Kampfflugzeugstaffel. Dies könnte der Ukraine helfen, einen Eindringling in einem oder mehreren lokalen Gebieten zu stoppen.«
»Schwer: Zwei alliierte Bodentruppenbrigaden in der Ukraine und Vorbereitung auf eine weitere sowie Stationierung von zwei Kampfflugzeugstaffeln im Land. Dies könnte der Ukraine helfen, einen Eindringling an mehreren Fronten zu stoppen.«
Und dann kommt die deutliche Aufforderung an die Europäer in der NATO, sich bereits jetzt darauf vorzubereiten, mehr Kanonenfutter für den nächsten NATO‐Krieg der USA gegen Russland bereitzustellen:
»Die gewichtigeren Optionen könnten, laut RAND, größere Verschiebungen in der Positionierung der alliierten Streitkräfte beinhalten. Da die US‐Armee zum Beispiel nur zwei Kampfbrigaden in Europa hat, wäre die Präsenz mehrerer Verbündeter [in der Ukraine] von entscheidender Bedeutung. … Unter allen Szenarien würde die Rotation von NATO‐Kriegsschiffen ins Schwarze Meer wieder aufgenommen und fortgesetzt.«
»Die Verstärkung durch Verbündete kann kritisch werden. Sie könnten eine gemeinsame Task Force in Kiew einrichten, um bei der militärischen Planung zu helfen. Polen oder die Vereinigten Staaten könnten F‑35‐Tarnkappenflugzeuge an vorderster Front fliegen. Die Raketenabwehr von Aegis Ashore in Rumänien und Polen oder vielleicht in der Ukraine könnte die Verteidigung stärken.«
(Anmerkung: Dieser zuletzt zitierte Vorschlag, Aegis Ashore in der Ukraine zu stationieren, ist ein weiteres dunkelrotes Tuch für den Kreml, denn mit diesem System können nicht nur Raketenabwehr‐Raketen, sondern auch nuklearwaffenfähige Boden‐Boden‐Mittelstreckenraketen gestartet werden. Raketen dieses Typs waren einstmals laut dem INF‐Vertrag zwischen den USA und der Sowjetunion, später Russland über das Verbot von atomwaffenfähigen Mittelstreckenraketen über 20 Jahre lang aus ganz Europa verbannt. Aber in Washington wurde vor einigen Jahren unter fadenscheinigen Gründen der INF‐Vertrag aufgekündigt, und zwar auch, um die Stationierung des Systems Aegis Ashore in Rumänien zu rechtfertigen.)
Weiter heißt es im Text von RAND:
»Verbündete könnten der Ukraine eine bessere elektronische Kriegsführung und nachrichtendienstliche Unterstützung bieten. Sie könnten große unbemannte Luftfahrzeuge wie den bewaffneten Reaper über die Ukraine fliegen. Verbündete könnten der Ukraine mit fortschrittlicheren Schiffsabwehrraketen sowie Luft‐ und Marinedrohnen helfen. Verbündete könnten die Beschränkungen für die Endverwendung ihrer Waffen lockern und der Ukraine erlauben, ihre Waffen einzusetzen, um Ziele jenseits der russischen Grenze anzugreifen.«
(Anmerkung: Der Vorschlag, die Endverwendungsbeschränkungen für Waffen aufzuheben, die zuvor von NATO‐Ländern mit restriktiven Auflagen an die Ukraine geliefert wurden, um Kiew somit nun doch zu erlauben, Ziele tief im russischen Raum zu vernichten, ist eine weitere Rote Linie für Russland. Zu deren Übertretung hat sich bisher noch keine Regierung der USA oder der NATO‐Mitgliedstaaten bekannt. Allerdings hat es bereits eine Reihe von Fällen gegeben, wo dennoch Ziele zig Kilometer hinter der russischen Grenze von der Ukraine mit nachweislich westlichen Waffen zerstört wurden. Aber die dafür infrage kommenden NATO‐Lieferanten haben stets dementiert, dass sie Kiew dafür die Erlaubnis erteilt hätten.
Jetzt aber fordern die vier RAND‐Experten unverblümt, dass die Lieferung von solchen Raketen, die Angriffe bis in die Tiefe des russischen Raums erlauben, womöglich bis nach Moskau, zu einer offiziellen NATO‐Politik werde. Besonders ein Marschflugkörper deutscher Herstellung rückt damit in den Fokus: »Taurus« ist zielgenau und erfüllt alle diesbezüglichen Anforderungen. Schon lange verlangt Kiew deren Lieferung von der bundesdeutschen »Ampel«-Regierung. Dabei wird die Ukraine wortstark von einem blutrünstigen deutschen Vampir‐Wesen unterstützt, das von Beruf Rüstungslobbyistin und nebenberuflich Bundestagsabgeordnete einer Partei dieser »Ampel« ist. Auch der neue polnische Außenminister Sikorski hat – kaum wieder im Amt – bereits von Berlin Taurus‐Lieferungen an die Ukraine verlangt. Auch die CDU drängt auf eine zeitnahe Lieferung. Mit jedem Tag wird also die Gefahr größer, dass die »Ampel«-Regierung auch diesen brandgefährlichen Schritt macht.
Aber wozu soll das gut sein?
Die Taurus‐Marschflugkörper in Händen der Ukraine werden den Verlauf des Krieges und die Niederlage des Landes höchstens um Wochen verzögern, allein schon deshalb, weil die vorhandene Stückzahl dieser Waffen beschränkt ist und die Bundeswehr selbst etliche in ihrem eigenen Arsenal behalten will – für alle Fälle. Zugleich aber wächst die Gefahr, dass Russland Gegenmaßnahmen, und zwar gegen Deutschland ergreift. Das müssen keine Raketenschläge sein, aber auch asymmetrische Vergeltungsschläge gegen deutsche Interessen, etwa in anderen Ländern, könnten sehr schmerzhaft sein.
Allerdings gibt es in Russland immer mehr Stimmen, die eine direkte Vergeltung gegen die NATO‐Länder fordern, aus denen die Waffen kamen, mit denen Ziele in Russland vernichtet wurden. Ein jüngstes Beispiel ist Andrei Pintschuk, ein Oberst der Reserve des FSB und der erste Minister des Staatsschutzes der Republik Donezk.
Er sagte angesichts der Tatsache, dass für den jüngsten Angriff auf ausschließlich zivile Ziele in der russischen Stadt Belgorod Waffen aus Tschechien benutzt wurden, müsste »als Akt der Selbstverteidigung ein Schlag gegen Tschechien ausgeführt werden. Konkret müssten die Verteilerstationen und Munitionslager dort vernichtet werden, von denen aus die Ukraine beliefert wird.« Nur dann könne »der Prozess des etappenweisen Einsatzes der westlichen Raketenwaffen gegen Russland von außerhalb der Zone der SMO aufgehalten werden«. Wenn erst einmal die ersten F‑16 zum Einsatz kämen, würde es »bereits zu spät sein, erst recht, wenn man die Möglichkeit deren Stationierung in Tschechien oder anderen angrenzenden NATO‐Ländern in Betracht zieht«.
Rainer Rupp ist Mitglied des Beirats des Deutschen Freidenker‐Verbandes, von dessen Website freidenker.org der Artikel übernommen wurde, Erstveröffentlichung am 04.01.2024 auf RT DE
Bild: Avdeevka (https://t.me/craZybear2022)