Warum Smart Cities eine dumme Idee sind

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Wie sieht die Stadt der Zukunft aus?

Für den 23.09.2023 lud das MARTa Herford, ein Museum für zeitgenössische Kunst, alle Interessierten zu einem einmaligen Abend mit besonderem Programm aus Vortrag und Ausstellungsbesuch ein. Anlässlich der beeindruckenden Ausstellung »SHIFT – KI und eine zukünftige Gemeinschaft« war Rena Tangens anwesend. Die Netzpionierin und Gründerin des sich seit 1987 in Deutschland für eine lebenswerte Welt im digitalen Zeitalter einsetzenden Vereins Digitalcourage e.V. sprach darüber„ »warum Smart Cities eine dumme Idee sind«. Tangens baute bereits Ende der 1980er-​Jahre selbst Kommunikationsnetze auf und war Teil des Entwicklungsteams der Zerberus MailBox Software. Seit 2000 ist sie Organisatorin und Jurymitglied der BigBrotherAwards. Für ihr Bürgerrechtsengagement wurde sie mehrfach ausgezeichnet.

Die Datenschutzaktivistin beleuchtete in ihrem Vortrag die verschiedenen Facetten von Smart Cities und zeigte den Besuchern gute Gründe auf, sich gegen blinde Technikgläubigkeit zur Wehr zu setzen. Ihr Vortrag solle den Bürgern auch als Werkzeug hinsichtlich der Entwicklungen bei ihnenvor Ort dienen, um zu beurteilen, was dort passiert und sich gegebenenfalls einzumischen, so Tangens.

Nach Ausführungen über den Verein Digitalcourage e.V. und die von ihm verliehenen Big Brother Awards sowie das von ihr gemeinsam mit »padeluun« ins Leben gerufene Kunstprojekt »Art d’Ameublement« erläuterte die Internet-​Pionierin, warum Smart Cities der persönlichen Entwicklung alles andere als zuträglich seien. Daher ging Tangens auf die relevanten Punkte bei Smart Cities ein: Sicherheit, Überwachung, Privatisierung, kulturelle Veränderungen. Hierbei sei vielen Menschen nicht klar, was das »Buzzword« Smart City genau bedeute.

Die Idee der »Smart City« wurde von IBM mit »Smart Planet« gestartet, als dieser Konzern mit Großrechnern nicht mehr genug hätte verdienen können. So sei man zu dem Schluss gekommen, dass Smart Cities ein lohnenswertes Geschäft darstellten. Eine Menge Konzerne seien bei dem Thema neben IBM mit involviert wie beispielsweise IBM, Cisco, Microsoft, Huawei und Siemens.

Das Problem bei Smart Cities: Dieses Thema ginge mit einer Art Technologie-​Gläubigkeit einher, es bliebe dabei allerdings völlig unberücksichtigt, dass viele Aufgaben auch ohne diese Technologie durchaus lösbar wären. Weiter könne diese Technologie nicht nur zur Problemlösung eingesetzt werden, sondern auch ganz anderen Zwecken dienen.

Rena Tangens erklärte den anwesenden Besuchern das Problem der fehlenden Sicherheit in IT-​Systemen und führte aus, dass, je mehr wir uns auf diese Technologie verlassen würden, auch unsere Infrastruktur angreifbarer würde. Den größten Teil ihres Vortrags nahm die Thematik »Smart City als Surveillance by Design« ein: Die Überwachung der Bürger. Als größte Errungenschaft der Smart Cities würden hierbei durch die Firmen und Konzerne »smarte« Straßenlaternen gepriesen.

Sie könnten nicht nur leuchten, sondern hätten auch Videoüberwachung eingebaut, Fußgängererkennung, KFZ-​Kennzeichenleser, Umweltsensoren und die Möglichkeit des »trackens« einer Position. Stelle man sich dies kombiniert mit W‑LAN vor, so könnte man die Position eines Smartphones beziehungsweise seines Besitzers unproblematisch ermitteln. Gesichtserkennung, Videoanalyse – wir würden keinen Schritt mehr unbeobachtet gehen können, wenn dies tatsächlich flächendeckend so gebaut würde.

In Deutschland, so erklärte Tangens weiter, würde aktuell noch mit den Begriffen Nachhaltigkeit, Umweltschutz, Effizienz und Bequemlichkeit für die Smart Cities geworben. Die Technologiefirmen in China, Dubai und der Türkei sprächen dagegen offen aus, um was es wirklich geht: Lückenlose Überwachung und Kontrolle der Bevölkerung. Staatliche Kontrolle und Geschäft ließe sich dahingehend gut kombinieren. Die Smart City, so das gängige Narrativ, solle eine »Safe City« sein, wobei allerdings Sicherheit mit Kontrolle und Überwachung der Bevölkerung gleichgesetzt würde.

In dem Zusammenhang las Tangens eine Pressemeldung eines Überwachungsanbieters vor, der den Städten seine Technologie angeboten habe:

»Mit der heutigen Technologie können vollkommen sichere Städte gestaltet werden. Gesichtserkennungssysteme unter der Kontrolle der Sicherheitsbehörden von Städten und intensiver Überwachung können das weltweite Sicherheitsverständnis völlig verändern. Die neue Gesichtserkennungstechnologie ermöglicht es Regierungen und Privatunternehmen, ALLE Gesichter zu erkennen und zu archivieren, während das vorher für eingetragene Straftäter beschränkt war.«

Es würde, so Rena Tangens weiter, den Menschen suggeriert, dass es eine Stadt sicherer machen würde, wenn alle Bewohner jederzeit im Blick und unter Kontrolle seien. So teste beispielsweise am Bahnhof Südkreuz die Bundespolizei seit August 2017 intelligente Videoüberwachung mit Gesichtserkennung.

Rena Tangens ist der Ansicht, dass wir uns als Menschen frei entscheiden müssten, ohne dass dies von Außen bestimmt würde. Freiheit beinhalte die Möglichkeit, auch Fehler zu machen. Auch deshalb sollten die Bürger sich wehren gegen die Bevormundung durch »smarte« Technik und Technik-​Paternalismus. Eine Stadt sei nicht »smart« – klug wären die Menschen, die darin leben.

Weiter ging sie intensiv auf die bereits jetzt bestehende Überwachung in China ein und die hohe Nachfrage nach Überwachungstechnologie. So würden in Shenzhen (grenzt im Süden an die Sonderverwaltungszone Hongkong) Menschen, die bei Rot über die Straße gehen, identifiziert und sogleich auf großen Monitoren mit Angabe ihrer Personalien an den Pranger gestellt. Es würde ein Bußgeldbescheid erstellt und der Arbeitgeber benachrichtigt, außerdem gäbe es Punktabzug beim »social score«, der darüber entscheidet, ob jemand eine Wohnung, einen Job oder einen Studienplatz erhalte.

Im Nordwesten Chinas, so erzählte Tangens, gäbe bereits eine Provinz, die man als »Echtzeitlabor für Massenüberwachung« bezeichnen könne. Dort würden von der Gesamtbevölkerung zwischen von 12 und 65 Jahren DNS und Blutgruppe getestet. Iris-​Scans, Fingerabdrücke und 3‑D-​Bilder erstellt – im Rahmen einer sogenannten kostenlosen »Gesundheitsuntersuchung«. Die gesammelten Bewegungsprofile gingen an eine Firma – was diese damit machen würde, wüsste man nicht.

Auch in den Niederlanden wären bereits ab 2018 Überwachungsprojekte gestartet – zur Überwachung von Jugendlichen. So hätte beispielsweise Utrecht seit 2014 achtzig »smarte« Projekte in der Stadt und inzwischen komplett den Überblick verloren, da alles in den Händen verschiedener Firmen läge. Hierbei käme man auch zu dem größten Problem: Die Privatisierung. Nicht der Service für die Bürger, nicht die Menschen, sondern ihre profitablen Daten seien den Konzernen wichtig.

Rena Tangens ging auch auf das problematische »Cross Boarder Leasing« ein – ein Steuersparmodell aus den USA. Hierbei wurden Anlagen der öffentlichen Infrastruktur in Deutschland an US-​Firmen verkauft und dann zurückgemietet. Auf diese Weise seien kurzfristig städtische Haushalte saniert worden, die Städte hätten in Folge allerdings Miete an die US-​Firmen zahlen müssen, die dadurch Profite erwirtschafteten und Gelder einsparten. In Folge sei der Service immer schlechter geworden und die Anlagen wären überteuert zurückgekauft worden. Diesen Fehler solle man nicht wieder begehen.

Viele Technologiefirmen würden den Städten anbieten, Smart Cities zu bauen, wobei dies bedeute, dass die gesammelten Daten bei den Firmen landen. In dem Zusammenhang wurde von Tangens das Beispiel des Rattenfängers von Hameln und auch das trojanische Pferd genannt.

Durch Smart Cities träten langfristig zusätzlich kulturelle Veränderungen ein und wir würden als Gesellschaft instabil, so Tangens These, die ihren Vortrag mit einem Plädoyer für mehr Engagement der Bürger für ihre Rechte und einem Zitat aus Harry Potter schloß: »Die Zeit wird kommen, dass ihr euch entscheiden müsst, zwischen dem, was richtig ist und dem, was bequem ist.«

In der anschließenden Diskussionsrunde beantwortete Tangens ausführlich verschiedene Fragen der Besucher – wie beispielsweise berechtigte Bedenken hinsichtlich einer möglichen Bargeldabschaffung.

Bild: Rena Tangens (Sandra Gabriel)

Der Vortrag wurde aufgezeichnet:

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