Was ist überhaupt Planwirtschaft?

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Unter Genossen wird über den Begriff Planwirtschaft gesprochen, als sei er für jede Person ohne Erklärung verständlich. Allzu oft wissen die Genossen, die den Begriff benutzen, selbst nicht einmal so genau, was dieser Begriff bedeutet. Dabei ist dieser so essentiell für das Verständnis der marxistischen Politökonomie. Aus diesem Grund werde ich hier eine kurze Einführung in das Spektrum des Begriffs darlegen.

Marx und Engels sprachen bereits im Kommunistischen Manifest davon, dass die gesamte Wirtschaft unter einem einheitlichen Plan zu leiten sei. Sie schrieben: »Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung der Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan.«1 Das ist nicht die einzige Stelle, wo Marx und Engels über die Notwendigkeit einer Planwirtschaft sprechen, aber die wohl bekannteste. Wahr ist aber, dass sie kein Gesamtkonzept einer Planwirtschaft ausarbeiten konnten, da sie keinen sozialistischen Staat regierten. Die einzige Diktatur des Proletariats zu ihren Lebzeiten war die Pariser Kommune.

Zu Lenins Lebzeiten wurde in der Sowjetunion erst nach und nach eine Planwirtschaft geschaffen: Dieser Prozess wurde erst unter Stalin abgeschlossen. Deshalb konnte auch Lenin kein vollendetes Modell einer Planwirtschaft hinterlassen. Dies oblag Stalin.

Stalin sah die Notwendigkeit der planmäßigen, proportionalen Entwicklung der Wirtschaft und meinte daraus folgend, dass das Wertgesetz kein Regulator der Produktion sein könne.2 Das würde nämlich Marktwirtschaft bedeuten. Schumpeter sah das ganz ähnlich, als er davon sprach, dass im Sozialismus das blinde Wirken der ökonomischen Gesetze durch einen »politischen Akt« ersetzt werden muss. Stalins »politischer Akt« war nicht nur die Einführung von Fünfjahrplänen, sondern auch die Formulierung eines Grundgesetzes des Sozialismus. Dieses lautet wie folgt: »Sicherung der maximalen Befriedigung der ständig wachsenden materiellen und kulturellen Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft durch ununterbrochenes Wachstum und stetige Vervollkommnung der sozialistischen Produktion auf der Basis der höchstentwickelten Technik.«3 Dieses Grundgesetz lässt einen den Zweck der sozialistischen Planwirtschaft nicht aus den Augen verlieren. Dies ist sozusagen die »Programmierung« der Planwirtschaft zum Zweck der Interessen der Arbeiterklasse. Nun zu Schumpeter.

In der Schule fällt im Politikunterricht einige Male der Name Schumpeter. Seine Theorie der »schöpferischen Zerstörung« wird häufig angeführt. Was aber verschwiegen wird, ist seine positive Sicht auf eine Planwirtschaft und die Überzeugung, dass der Sozialismus möglich ist. »Kann der Sozialismus funktionieren? Selbstverständlich kann er es«, schrieb er unter der Prämisse, dass die industrielle Entwicklung auf eine gewisse Stufe gehoben und die Übergangsprobleme gelöst werden.4 Dies haben die sozialistischen Staaten bewiesen. Schumpeter stellte den Sozialismus in der Sowjetunion nicht in Frage, auch wenn er ihn kritisierte. Dennoch war sein Blick auf eine Planwirtschaft im Sozialismus im Kern der von Stalin nicht unähnlich. Schumpeter schrieb:

Da es prima facie keine Marktwerte der Produktionsmittel gibt und, was noch wichtiger ist, da die Prinzipien der sozialistischen Gesellschaft nicht gestatten würden, sie zum Kriterium der Verteilung zu machen, selbst wenn sie vorhanden wären, fehlt der Verteilungsautomatismus der kommerziellen in einer sozialistischen Gesellschaft. Die Lücke muß durch einen politischen Akt geschlossen werden.5

Außerdem schrieb Schumpeter davon, dass einer sozialistischen Leitung mehr Werkzeuge zur Verfügung stünden, als eine kapitalistische Leitung jemals haben könnte.6 Das stimmt durchaus. Durch die Bündelung der Produktionsmittel und der Entscheidungsbefugnisse in den Staatsorganen ist ein Überblick über die gesamte Wirtschaft möglich und, bei sachgerechter Leitung, eine höhere Effizienz einfach erreichbar. Schumpeter grenzte sich mit diesen Ausführungen bewusst von Mises und Hayek ab.

Hayek sah den Markt als notwendig an, sprach aber davon, dass die Marktteilnehmer nach verwertbaren Informationen suchen.7 Genau darin steckt aber die Anarchie des Marktes, die es unmöglich macht, notwendige wirtschaftliche Proportionen aufrechtzuerhalten. Hermann Duncker verfasste eine vorzügliche Einführung in die grundlegenden Wirtschaftslehren von Karl Marx. In dieser zeigte er anhand eines eindrücklichen Schaubilds den Unterschied zwischen Warenproduktion (Marktwirtschaft) und Planwirtschaft auf: In der Planwirtschaft wird von einem Zentrum aus die Produktion koordiniert, während in der Marktwirtschaft erst produziert wird und danach mitten auf dem Markt anarchisch die Waren abgesetzt werden.8 Die notwendigen Proportionen der Produktion sind in einer Marktwirtschaft also bestenfalls zufällig zu erreichen, weil erst produziert wird und anschließend herausgefunden wird, ob das hergestellte Produkt überhaupt einen Abnehmer findet. Dadurch lässt sich die Produktion erst im Nachhinein anpassen. Diese Entwicklung kann dazu führen das Teile der Produktion vernichtet werden, wenn sie unverkauft bleiben, während andere Teile Extraprofite aufgrund von Angebotsverknappung erzielen. Außerdem führt dies langfristig zu Wirtschaftskrisen.9 Aus diesem Grund ist Konsumverzicht auch so wirkungslos, etwa bei Plastiktüten. Das eigentlich Problem ist nämlich, dass sie hergestellt werden. Man kann nur das konsumieren, was auch hergestellt wurde. Wenn man das hergestellte Produkt dann nicht einmal verwendet, so hat man Müll produziert, der nicht einmal einen Gebrauchswert erfüllt hat. Würde man planmäßig herangehen, würde man die Produktionszweige, die zu umweltschädlich sind, schließen und durch welche ersetzen, die einen vergleichbaren Gebrauchswert erfüllen, aber ökologisch verträglicher sind. In diesem Fall würde man Plastiktüten etwa durch Zellulosetüten10 ersetzen. Während in der Planwirtschaft alle Informationen gebündelt werden, liegen sie in der Marktwirtschaft anarchisch zerstreut. Aus diesem Grund ist es den kapitalistischen Großkonzernen so wichtig Daten einzusammeln von ihren Kunden und Nutzern, um ihre Produktion zumindest konzernintern zu einem gewissen Grad planbarer zu machen. Die Datenerfassung ist für die Optimierung der Planwirtschaft umso wichtiger. Die Details zu diesem Unterthema hier auszubreiten würde zu weit führen.11

Es genügt also nicht, im Wesentlichen Marktwirtschaft zu betreiben und sie bloß als »Planwirtschaft« zu betiteln, wie etwa in den osteuropäischen sozialistischen Staaten seit den Kossygin-​Reformen und ihren nationalen Kopien, wie etwa der Neue Ökonomische Mechanismus in Ungarn unter Kádár. Ein Name verändert kein Wesen. Die Anarchie der Produktion ist das Kernproblem, das eine Marktwirtschaft ineffektiv macht, und wieso im Staatsmonopolkapitalismus die Unternehmen intern Planungsmechanismen verwenden. Selbst unter Genossen gibt es jene, die an die »Überlegenheit der Marktwirtschaft« glauben, somit eigentlich nicht besser sind, als der durchschnittliche bürgerlich Gesinnte, den man auf der Straße antrifft. Für beide Personentypen gilt, was der chinesische Philosoph Cheng Yi einmal sagte: »Wer lernen will, muß erst zweifeln können.«12 Wer nicht bereit dazu ist, eigene Anschauungen zu hinterfragen, der wird auch nicht hinzulernen können. Nicht jede neue Erkenntnis kann in ein bestehendes Wissensschema eingeordnet werden, sondern es benötigt einen Bruch mit einem falschen Schema, sodass eine Anpassung an die Tatsachen erfolgen kann. Das ist nicht auf den Bereich der Wirtschaftstheorie beschränkt, sondern gilt für alles im Leben.

Zurück zur Planwirtschaft. Bisher sind theoretische Grundlagenfragen beantwortet worden. Was fehlt, sind griffige Definitionen, die das Thema im Wesentlichen erfassen.

Man kann natürlich eine Lehrbuchdefinition von 1969 aus der DDR nehmen zur Planwirtschaft. Etwa diese hier: »Sozialistische Planwirtschaft ist bewußte und vorausschauende Gestaltung der ökonomischen und anderen gesellschaftlichen Prozesse durch den Staat und durch die Produzenten, deren bewußtes Handeln von ihrer genauen Kenntnis der ökonomischen Gesetze und ihrer sachkundigen Anwendung bestimmt ist.«13 Die planmäßige14 und proportionale15 Entwicklung wird an anderen Stellen explizit erwähnt, genauso wie auch das Grundgesetz des Sozialismus von Stalin, ohne ihn namentlich zu nennen.16 Dennoch, diese Lehrbuchdefinition ist etwas für ökonomisch geschulte Parteikader; ohne Vorkenntnisse ist sie kaum verständlich. Bucharin umriss 1919 die Notwendigkeit der Planwirtschaft, obwohl er, wie sich später offen herausstellen sollte, er ein Revisionist war. Dennoch sind diese Ausführungen von Wert:

Damit die Produktion glatt vonstatten gehe, dazu ist, wie wir schon früher erwähnten, ein allgemeiner einheitlicher Plan notwendig. Das wäre zu wenig, wenn in jeder großen Fabrik nur ihre Arbeiterverwaltung wäre. Denn es gibt viele Fabriken, es existieren verschiedene Betriebszweige; sie alle sind mit einander verbunden, alle hängen von einander ab: wenn sie Steinkohlengruben wenig Kohlen liefern, bleiben die Fabriken und Eisenbahnen stehen; wenn es kein Naphta gibt, können die Dampfschiffe nicht gehen; wenn es keine Baumwolle gibt, haben die Textilfabriken nichts zu tun. Hier muß man folglich eine Organisation schaffen, die die ganze Produktion umfaßt, nach einem allgemeinen Plan arbeitet und mit den Arbeiterverwaltungen der einzelnen Fabriken und Hüttenwerke verbunden ist, über alle Vorräte und Bedürfnisse genaue Rechnung führt, nicht über eine Stadt, und nicht über eine Fabrik, sondern übers ganze Land.17

Bucharin umreißt damit sehr zutreffend die Problematik der möglichen Disproportionen zwischen den verschiedenen Wirtschaftszweigen, und wie die Störung eines Produktionszweiges eine Kettenreaktion auslösen kann. Ähnlich wie Bucharin offenbarte sich Schljapnikow später als Revisionist. Dennoch machte er 1920 brauchbare Ausführungen zum Verständnis dessen, was eine Planwirtschaft umfasst:

Der kommunistische Aufbau muß sich auf einen einheitlichen Wirtschaftsplan stützen, der die Grundlage für die organisierte Nutzung und Steigerung der Produktivkräfte des Landes bildet. Die Planwirtschaft besteht sowohl in der zweckmäßigen Nutzung der Arbeitskräfte, der technischen Werkzeuge und Mittel als auch in der organisierten und gezielten Verteilung zwischen den einzelnen Industriezweigen und Verkehrszweigen sowie zwischen den einzelnen Produzenten und Verbrauchern.18

Dies ist eine brauchbare Kurzdefinition, wenn sie auch nicht alle Aspekte umfasst. Genauso wenig können meine Ausführungen hier die Planwirtschaft in ihrer Gänze umfassen. Worum es geht, sind die Grundlagen. Die Grundlagen, die eine Planwirtschaft ausmachen, dürften dem Leser einigermaßen verständlich gemacht worden sein.

Verweise

1 »Manifest der Kommunistischen Partei« In: Karl Marx/​Friedrich Engels »Werke«, Bd. 4, Dietz Verlag, Berlin 1977, S. 481.

2 Vgl. »Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR« (Februar – September 1952) In: J. W. Stalin »Werke«, Bd. 15, Verlag Roter Morgen, Dortmund 1979, S. 310.

3 Ebenda, S. 331.

4 Joseph A. Schumpter »Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie«, Narr Francke Attempto Verlag, Tübingen 2020, S. 219.

5 Ebenda, S. 229.

6 Vgl. Ebenda, S. 282.

7 Vgl. Karl-​Heinz Brodbeck »Preise, Markt und Ideologie – Zur Kritik von Hayeks Theorie des Wissens«, Metropolis-​Verlag, Marburg 2021, S. 22/​23.

8 Vgl. »Wegweiser zum Studium der ökonomischen Grundlehren von Karl Marx« (1931) In: Hermann Duncker »Einführungen in den Marxismus«, Bd. II, Verlag Tribüne, Berlin 1959, S. 166.

9 Vgl. Ebenda, S. 167/​168.

12 Zit. nach: (Hrsg.) Ernst Schwarz »Chinesische Weisheiten«, Anaconda Verlag, Köln 2016, S. 116.

13 »Politische Ökonomie des Sozialismus und ihre Anwendung in der DDR«, Dietz Verlag, Berlin 1969, S. 245.

14 Siehe: Ebenda, S. 243.

15 Siehe: Ebenda, S. 562.

16 Siehe: Ebenda, S. 237.

17 Nikolaj Bucharin »Das Programm der Kommunisten« (1919) In: (Hrsg.) Philip Broistedt/​Christian Hofmann »Planwirtschaft«, Promedia, Wien 2022, S. 97.

18 Alexander Schljapnikow »Die Organisation der Volkswirtschaft und die Aufgaben der Gewerkschaften« (1920) In: Ebenda, S. 108.

Zuerst erschienen in Die Rote Front

Bild: Vergleich der wirtschaftlichen Entwicklung seit 1913 zwischen der UdSSR (rot) und den kapitalistischen Ländern USA, England, Frankreich. Aus: Die wichtigsten sozialen und wirtschaftlichen Indikatoren der UdSSR, 1917 – 1956 (http://​istmat​.info/​f​i​l​e​s​/​u​p​l​o​a​d​s​/​1​7​1​6​1​/​d​o​s​t​i​z​h​e​n​i​e​_​s​s​s​r​_​z​a​_​4​0​_​l​e​t​_​d​i​a​g​r​a​m​m​y​.​pdf)

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