Trü­ge­ri­sche Sicherheit

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Gold und ame­ri­ka­ni­sche Staats­an­lei­hen gal­ten über Jahr­zehn­te als die siche­ren Anla­gen schlecht­hin. In Bezug auf die US-Titel hat der Kapi­ta­lis­mus selbst die­ses Glau­bens­be­kennt­nis als Täu­schung ent­larvt. Die ame­ri­ka­ni­schen Schul­den­ti­tel ent­wi­ckeln sich zuneh­mend zu einem Pro­blem für Ban­ken und Schattenbanken.

Geän­der­te Vorzeichen

War die Welt­fi­nanz­kri­se von 2007/8 aus­ge­löst wor­den durch hoch­spe­ku­la­ti­ve Anla­gen, so hat die jet­zi­ge Kri­se ihre Ursa­che gera­de im Gegen­teil. Die schein­bar grund­so­li­den ame­ri­ka­ni­schen Staats­an­lei­hen haben auf­grund der Zins­an­he­bun­gen der US-Noten­bank bis­her etwa drei­ßig Pro­zent ihres Kurs­wer­tes ver­lo­ren. Das trifft neben den Anle­gern beson­ders sol­che Ban­ken, die gro­ße Tei­le ihres Eigen­ka­pi­tals in die­sen Titeln ange­legt haben. Damit soll­te ihr Geld nicht nur Zins­er­trä­ge brin­gen son­dern auch jeder­zeit schnell ver­füg­bar sein.

Die Anla­ge in Staats­an­lei­hen hat­te aber auch noch einen ande­ren Hin­ter­grund: Sie müs­sen nicht durch Hin­ter­le­gung mit Eigen­ka­pi­tal gegen Zah­lungs­aus­fall abge­si­chert wer­den wie ande­re Wert­pa­pie­re oder Anla­gen. Denn die Wirt­schafts­wis­sen­schaft geht davon aus, dass Staa­ten nicht zah­lungs­un­fä­hig wer­den kön­nen, wes­halb Staats­an­lei­hen also kei­ner geson­der­ten Absi­che­rung bedür­fen. In ihrer Welt­ent­rückt­heit schei­nen ihr aber die Staats­bank­rot­te von Argen­ti­ni­en bis Zim­bab­we bis­her ent­gan­gen zu sein und auch, dass die USA als größ­te Schuld­ner der Welt aktu­ell und zum wie­der­hol­ten Male am Ran­de der Zah­lungs­un­fä­hig­keit torkelt.

Jeden­falls ste­hen vie­le Bür­ger und Staa­ten dem Welt-Finanz­sys­tem seit der Plei­te von Leh­man-Brot­hers kri­ti­scher gegen­über. Das blin­de Ver­trau­en, das sei­ne Insti­tu­tio­nen bis 2007 genos­sen, ist einem weit ver­brei­te­ten Miss­trau­en gewi­chen. Hin­zu kommt, dass den Bür­gern heu­te ganz ande­re Mög­lich­kei­ten zur Ver­fü­gung ste­hen, sich dem Griff der Geld­häu­ser zu entziehen.

Der digi­ta­le Bürger

Die Digi­ta­li­sie­rung des Lebens hat nicht vor den Ban­ken und Kon­ten Halt gemacht. Die Ban­ken haben die Chan­cen der Digi­ta­li­sie­rung für sich zu nut­zen gewusst. Immer mehr Bank­auf­ga­ben wur­den an die Kon­to­in­ha­ber über­tra­gen. Er selbst über­nahm die Ver­wal­tung sei­nes Kon­tos. Die Ban­ken stell­ten mit ihrer Soft­ware nur noch den Rah­men für die Bank­ge­schäf­te. Das eröff­ne­te ihnen gewal­ti­ge Ein­spar­mög­lich­kei­ten. Filia­len konn­ten geschlos­sen, Mit­ar­bei­ter zu Tau­sen­den ent­las­sen bzw frei­ge­wor­de­ne Arbeits­plät­ze muss­ten nicht mehr besetzt werden.

Mit die­ser Über­ga­be der Kon­to­ver­wal­tung an den Kon­to­in­ha­ber haben aber die Ban­ken auch die Kon­trol­le über die Kon­ten abge­ge­ben. Das rächt sich nun in der aktu­el­len Ban­ken­kri­se. Denn mit weni­gen Maus­klicks kann heu­te der Kon­to­in­ha­ber sein Gut­ha­ben von einer Bank auf eine ande­re über­tra­gen, ohne dass die Bank dar­auf bis­her Ein­fluss neh­men kann. Hat­te man 2007/8 noch die Mög­lich­keit gehabt, Bank­schal­ter zu schlie­ßen, um dem Ansturm der Kund­schaft Herr zu wer­den, so hät­te das heu­te kei­ne Wir­kung mehr.

Damals genüg­te das Wort der Kanz­le­rin, um die Kun­den zuhau­se zu hal­ten. Heu­te müs­sen sie gar nicht mehr zur Bank, sie stür­men die Ban­ken von zu Hau­se aus. Die­se Ver­än­de­rung beka­men die ame­ri­ka­ni­schen Ban­ken in den letz­ten Wochen deut­lich zu spü­ren. Kaum waren Zwei­fel an der Soli­di­tät der Sili­con Val­ley Bank auf­ge­kom­men, zogen die Kun­den Mil­li­ar­den­be­trä­ge inner­halb von Sekun­den ab und über­tru­gen sie auf die gro­ßen Geld­häu­ser, die man gera­de auf­grund ihrer Grö­ße für siche­rer hielt.

Bei der Sili­con Val­ley Bank hat­ten Anle­ger bei den ers­ten Anzei­chen der Schwä­che »in nur fünf Stun­den 42 Mil­li­ar­den Dol­lar an Ein­la­gen abge­zo­gen« (1). Erst­mals schie­nen nun auch die Len­ker der Finanz­märk­te die Gefah­ren zu erken­nen, die auf sie zukom­men könn­ten. Der Chef­auf­se­her der Euro­päi­schen Zen­tral­bank (EZB), Andrea Enria, sprach »von der dunk­len Sei­te der Digi­ta­li­sie­rung. Die­se ermög­li­che den Kun­den einer Bank sehr schnel­le Flucht­mög­lich­kei­ten. … Eine sol­che Geschwin­dig­keit des Ein­la­gen­ab­zugs habe es zuvor nicht gegeben,«(2). Was als will­kom­me­ne Gele­gen­heit der Kos­ten­er­spar­nis begann, droht sich nun als Kata­stro­phe für das Bank­we­sen zu ent­pup­pen, die digi­ta­le Selbst­ver­wal­tung des Kontoinhabers.

Kapi­ta­lis­ti­sche Kurpfuscher

Was als schlum­mern­de Gefahr bis­her nicht erkannt wor­den war, nun aber dra­ma­tisch offen­sicht­lich wur­de, geschah nicht ohne Grund. Der Hin­ter­grund der Ent­wick­lung um die mit­tel­gro­ßen ame­ri­ka­ni­schen Ban­ken liegt in den Zins­er­hö­hun­gen der letz­ten Mona­te. Sie sol­len die Infla­ti­on bekämp­fen, die beson­ders über die Staa­ten des Wes­tens in unbe­kann­ter Schär­fe her­ein­ge­bro­chen war. Was im stren­gen Sin­ne nichts wei­ter ist als Preis­stei­ge­run­gen (3), soll nun mit der All­zweck­waf­fe Zins­po­li­tik bekämpft wer­den. Das ist ver­gleich­bar mit dem Arzt, der Anti­bio­ti­ka ver­ab­reicht, wenn der Erre­ger nicht klar ist.

Die­se wie auch Geld­po­li­tik kön­nen anschla­gen, kön­nen aber auch die Abwehr­kräf­te zusätz­lich schwä­chen. Im Fal­le der US-Ban­ken schlägt die Poli­tik der Zins­er­hö­hun­gen ins Gegen­teil um. Neue Anlei­hen wer­den auf dem Markt mit einem höhe­ren Zins­satz ange­bo­ten. Der Zins­satz der alten bleibt unbe­rührt, denn er ist fest­ge­schrie­ben für die Lauf­zeit der Anlei­he. Den­noch steigt deren Ren­di­te, denn die Kur­se der Altanlei­hen fal­len. (4) Das bedeu­tet, dass die Altanlei­hen, die vie­le Ban­ken in ihren Bilan­zen als Eigen­ka­pi­tal hal­ten, an Wert ver­lie­ren und damit das Eigenkapital.

Im Fal­le der Sili­con Val­ley Bank hat das die Rating-Agen­tur Moo­dys auf den Plan geru­fen, die das Rating der Bank neu bewer­ten zu müs­sen glaub­te. Mit sol­chen Aus­wir­kun­gen ihrer Maß­nah­men hat­ten die Noten­ban­ken offen­bar nicht gerech­net. Jeden­falls wirk­te die FED sehr über­rascht. In Win­des­ei­le stell­te sie Finanz­sprit­zen zur Ver­fü­gung und änder­te ihre Plä­ne bezüg­lich der Zins­er­hö­hun­gen. Das ist nicht das ers­te Mal, dass die Füh­rungs­kräf­te der west­li­chen Finanz­welt an ihren Hand­lun­gen deut­lich machen, dass sie den Kapi­ta­lis­mus nicht verstehen.

Das war schon der Fall vor der Kri­se von 2007/8, als die Rating-Agen­tu­ren eine Zusam­men­set­zung der ABS-Zer­ti­fi­ka­te vor­schlu­gen, die nach ihrer Mei­nung aus­fall­si­cher sei. Weni­ge Mona­te spä­ter führ­ten gera­de die­se Zer­ti­fi­ka­te fast zum Zusam­men­bruch des west­li­chen Finanz­ka­pi­ta­lis­mus. Es ist schwer zu glau­ben, aber die Reprä­sen­tan­ten des Kapi­ta­lis­mus wis­sen nicht, wie er funk­tio­niert. Ande­rer­seits ist es gera­de kein Wun­der, wenn man die wir­ren Theo­rien der bür­ger­li­chen Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten inha­liert, Marx jedoch als über­holt oder wider­legt zur Sei­te schiebt.

Bit­te­re Medizin

Die Zins­er­hö­hun­gen ver­grö­ßern die Pro­ble­me; trotz­dem hält man dar­an fest, wie die neu­er­li­chen Auf­schlä­ge der FED und EZB zei­gen. Die Infla­ti­on sinkt kaum, dafür aber die Wirt­schafts­tä­tig­keit. Was ansteigt, sind die Schul­den und die Ver­un­si­che­rung der Anle­ger. Die­se flie­hen zu den gro­ßen Bank­häu­sern, die man für sicher hält. Nur stellt sich die Fra­ge, wer denn die neue, um die Cre­dit Swis­se erwei­ter­te Uni­on Bank of Switz­er­land (UBS) noch ret­ten soll, wenn ihr unter den stei­gen­den Zin­sen bzw. fal­len­den Anlei­he­kur­sen das Eigen­ka­pi­tal dahinschmilzt.

Die Sili­con Val­ley Bank hat­te, um nach dem Abzug der Kun­den­ein­la­gen wie­der flüs­sig zu wer­den, US-Staats­an­lei­hen ver­kauft und dabei Ver­lus­te rea­li­siert, die ihre Eigen­ka­pi­tal­ba­sis zer­rüt­te­ten. Ähn­lich war es bei den ande­ren US-Ban­ken, die unter den Zins­an­he­bun­gen ins Strau­cheln kamen. Die­ser Pro­zess ist nicht auf die USA begrenzt. »Auch die Spar­kas­sen-Grup­pe muss­te des­halb im ver­gan­ge­nen Jahr Wert­be­rich­ti­gun­gen von 7,8 Mil­li­ar­den Euro ver­kraf­ten.« (5)

Wenn auch das Risi­ko von Ver­lus­ten, die noch in den Büchern schlum­mern, nach Ansicht des Inter­na­tio­na­len Wäh­rungs­fonds (IWF) in den USA höher ist als in Euro­pa, so muss auch gese­hen wer­den, dass die­se Ent­wick­lung noch nicht am Ende ange­kom­men ist. Über­ra­schun­gen sind immer mög­lich, mit denen bis­her nie­mand gerech­net hat. Denn bis­her sind die Ver­wer­fun­gen nur an der Ober­flä­che, also bei den Ban­ken, aufgebrochen.

Unterm Radar

Noch gar nicht erkenn­bar sind die Aus­wir­kun­gen der Zins­er­hö­hun­gen im Bereich der Immo­bi­li­en­fi­nan­zie­rer, wenn beson­ders bei den Gewer­be­im­mo­bi­li­en Anschluss­fi­nan­zie­run­gen zusam­men­ge­stellt wer­den müs­sen. Auch hier ste­hen die Regio­nal­ban­ken wie­der in vor­ders­ter Front, weil sie in der Regel zuerst als Ansprech­part­ner bei der Immo­bi­li­en­fi­nan­zie­rung infra­ge kom­men. Die mitt­le­ren Insti­tu­te sind beson­ders gefähr­det auf­grund der im Ver­gleich zu den Groß­ban­ken gerin­ge­ren Kapitalausstattung.

Die Kun­den ste­hen vor dem Pro­blem, dass einer­seits die Zin­sen für die Anschluss­fi­nan­zie­run­gen erheb­lich gestie­gen sind, ande­rer­seits aber der Wert der Immo­bi­lie auf­grund der nach­las­sen­den Nach­fra­ge gefal­len ist, also weni­ger Sicher­heit für einen neu­en Kre­dit dar­stellt. Die­se Sche­re zu schlie­ßen, dürf­te vie­len Kun­den, aber auch den Ban­ken nicht leicht fal­len. Denn die­se ver­än­der­ten Bedin­gun­gen beein­träch­ti­gen die Ban­ken in ihren Mög­lich­kei­ten der Kre­dit­ver­ga­be. Es steht also zu befürch­ten, dass so man­che Immo­bi­li­en­ent­wick­ler und ‑gesell­schaf­ten den Gang zum Insol­venz­ver­wal­ter wer­den antre­ten müs­sen und die Ban­ken auf unein­bring­ba­ren For­de­run­gen sit­zen bleiben.

Die größ­ten Gefah­ren lau­ern jedoch in den soge­nann­ten Schat­ten­ban­ken. Zu ihnen gehö­ren die Pri­va­te Equi­ty Fonds, Geld­markt- und Hedge­fonds. Die­se wer­den im Gegen­satz zu den Geschäfts­ban­ken von der Ban­ken­auf­sicht weit weni­ger kon­trol­liert. Das hat dazu geführt, dass die risi­ko­rei­chen Akti­vi­tä­ten der Ban­ken gera­de an sol­che Schat­ten­ban­ken aus­ge­la­gert wur­den, um sie der Kon­trol­le der Bank­auf­sich­ten zu ent­zie­hen. Wel­che Tret­mi­nen hier ver­gra­ben sind, offen­ba­ren die letz­ten Zah­len des Finanz­sta­bi­li­täts­rats aus Basel: »Die gehal­te­nen Ver­mö­gens­wer­te der Schat­ten­ban­ken machen inzwi­schen die Hälf­te des welt­wei­ten Volu­mens aus.«(6)

Dar­an wer­den die Risi­ken deut­lich, die über dem Welt­fi­nanz­sys­tem hän­gen, wenn die­se Kom­ple­xe durch wei­te­re poli­ti­sche Ent­schei­dun­gen von Noten­ban­ken und Poli­tik erschüt­tert wer­den oder gar ins Wan­ken gera­ten soll­ten. Da dürf­ten alle Noten­ban­ken der west­li­chen Welt nicht genug Mit­tel auf­brin­gen kön­nen, um mit Liqui­di­täts­hil­fen einen Zusam­men­bruch auf­hal­ten zu können.

Ver­wei­se

(1) Frank­fur­ter All­ge­mei­ne Zeitung(FAZ) vom 3.5.2023: Stress­test für Bankenaufseher

(2) eben­da

(3) sie­he dazu: Rüdi­ger Rauls – Infla­ti­on und Hochwasser

(4) sie­he dazu: Rüdi­ger Rauls – Noten­ban­ken in Not

(5) FAZ vom 3.5.2023: Stress­test für Bankenaufseher

(6) FAZ vom 02.05.2023: Die im Dun­keln sieht man nicht

Rüdi­ger Rauls ist Buch­au­tor und betreibt den Blog Poli­ti­sche Analyse

Bild: U.S. Staats­an­lei­he: 1976 8% Tre­asu­ry Note (wiki­me­dia commons)

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