Eska­la­ti­on der Zensur

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Wir erle­ben gegen­wär­tig im Wes­ten eine neue Eska­la­ti­ons­stu­fe der Zen­sur. Der deut­sche Staat geht nun auch mit dem Mit­teln des Straf­rechts gegen kri­ti­sche Jour­na­lis­ten vor. Das hat es seit den 70er Jah­ren nicht mehr gegeben.

Was ist pas­siert? Wie am 15. Juni bekannt wur­de, ermit­telt die Staats­an­walt­schaft Lüne­burg gegen die in Donetsk leben­de deut­sche Jour­na­lis­tin Ali­na Lipp und zwar wegen Ver­sto­ßes gegen den §140 StGB, also wegen Beloh­nung und Bil­li­gung von Straftaten.

Ihr wird vor­ge­wor­fen, den »rus­si­schen Angriffs­krieg« in der Ukrai­ne gerecht­fer­tigt zu haben, wobei das Füh­ren eines Angriffs­krie­ges gegen §13 Völ­ker­straf­ge­setz­buch ver­stößt. Ali­na Lipp dro­hen nun drei Jah­re Haft. Außer­dem wur­den die Spen­den­gel­der, von denen sie ihren Lebens­un­ter­halt bestrei­tet, ein­ge­fro­ren. Das heißt, sie steht jetzt auch öko­no­misch vor dem Nichts. Es geht immer­hin um Beträ­ge von knapp 14.000 Euro.

Wie Dirk Pohl­mann zurecht fest­stell­te, konn­te noch 2003 noch öffent­lich gestrit­ten wer­den, ob der US-Ame­ri­ka­ni­sche »Mili­tär­ein­satz« (so Wiki­pe­dia) im Irak der Beginn einer Demo­kra­ti­sie­rung des gesam­ten Mitt­le­ren Ostens war oder ein völ­ker­rechts­wid­ri­ger Angriffs­krieg. Dies ist heu­te völ­lig anders. Dass es sich bei der rus­si­schen Mili­tär­ope­ra­ti­on in der Ukrai­ne um einen straf­ba­ren Angriffs­krieg han­delt, wird staat­li­cher­seits bereits vor­aus­ge­setzt und darf in der Öffent­lich­keit nicht in Fra­ge gestellt wer­den. Dabei gibt es durch­aus auch Argu­men­te, die für die rus­si­sche Sicht sprechen.

Bekannt­lich sind die Staats­an­walt­schaf­ten den Wei­sun­gen des jewei­li­gen Jus­tiz­mi­nis­ters unter­stellt. Man kann also davon aus­ge­hen, dass die Ermitt­lun­gen gegen die Jour­na­lis­tin Ali­na Lipp im Ein­ver­ständ­nis mit hohen und höchs­ten staat­li­chen Stel­len erfolgen.

Hier­für spricht auch fol­gen­der Tweet von Innen­mi­nis­te­rin Nan­cy Fae­ser vom 28. März 2022:

Die­ser Tweet kommt einer Auf­for­de­rung gleich, straf­recht­lich gegen alle Kri­ti­ker des offi­zi­el­len Ukrai­ne-Nar­ra­tivs vorzugehen.

Auch die Begrün­dung, war­um Ali­na Lipps Äuße­run­gen geeig­net sei­en sol­len, den öffent­li­chen Frie­den zu stö­ren, hat es in sich. Dazu wei­ter unten mehr.

Die straf­recht­li­chen Ermitt­lun­gen gegen kri­ti­sche Jour­na­lis­ten bedeu­ten eine wei­te­re Dre­hung an der Eska­la­ti­ons­schrau­be staat­li­cher Zen­sur­maß­nah­men, die sich 2008 immer schnel­ler dreht.

Der His­to­ri­ker Han­nes Hof­bau­er hat die zunächst schlei­chen­den und dann immer radi­ka­le­ren Zen­sur­maß­nah­men des Wes­tens in den letz­ten Jah­ren zusam­men­ge­stellt. Dabei schau­keln sich die drei Akteu­re EU, Natio­nal­staa­ten und Pri­vat­wirt­schaft gegen­sei­tig hoch.1

  1. 2008: EU-Rah­men­be­schluss 2008/913/JI des Rates vom 28. Novem­ber 2008 zur straf­recht­li­chen Bekämp­fung bestimm­ter For­men und Aus­drucks­wei­sen von Ras­sis­mus und Frem­den­feind­lich­keit. Unter Stra­fe zu stel­len ist nach die­sem Beschluss »das öffent­li­che Bil­li­gen, Leug­nen oder gröb­li­che Ver­harm­lo­sen von Völ­ker­mord, Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit und Kriegs­ver­bre­chen.»
    Die EU will hier­mit die Deu­tungs­ho­heit dar­über erlan­gen, was als Völ­ker­mord zu betrach­ten ist und was nicht. Das ist in ein­zel­nen Fäl­len durch­aus umstrit­ten. Wer zum Bei­spiel behaup­tet, dass das Mas­sa­ker von Sre­bre­ni­ca kein Völ­ker­mord gewe­sen sei, soll nach dem Wil­len der EU bestraft wer­den. Aber wie der Fall Ali­na Lipp zeigt, wird auch bestraft, wer behaup­tet, dass im Don­bass ein Völ­ker­mord an Rus­sen statt­ge­fun­den habe (sie­he unten).
  2. 2013, 29. Novem­ber: Die EU grün­det die East Strat­com Task Force. Sie bestimmt als staat­li­cher Fak­ten­che­cker, was als Wahr­heit und was als Kreml­pro­pa­gan­da, als Des­in­for­ma­ti­on zu gel­ten hat. Die Task Force hat kei­ne unmit­tel­ba­re Zen­sur­funk­ti­on, jedoch dient sie der Ori­en­tie­rung der Nach­rich­ten­agen­tu­ren und der Fak­ten­che­cker, wel­che Posi­tio­nen die Herr­schen­den ger­ne dis­kre­di­tiert hätten.
  3. 2017, 1. Okto­ber: Das deut­sche Netz­werk­durch­set­zungs­ge­setz tritt in Kraft. Sozia­le Netz­wer­ke wie Face­book müs­sen bei hohen ange­droh­ten Stra­fen Hass­pos­tings und Fal­sch­nach­rich­ten löschen. Aller­dings blei­ben die Defi­ni­tio­nen von Hass­pos­tings und Des­in­for­ma­ti­on schwam­mig.
    In der Fol­ge geben sich sozia­le Netz­wer­ke wie You­Tube und Face­book Com­mu­ni­ty-Stan­dards, die noch viel stren­ger sind als die For­de­run­gen des Staa­tes. Im Zwei­fel wird gelöscht. Es fin­det ein mas­si­ves Over­blo­cking statt. Die Zen­sur wird an Pri­va­te aus­ge­la­gert. Im Lau­fe der Jah­re eska­lier­ten die Löschun­gen immer stär­ker. You­Tube lösch­te zum Bei­spiel bereits Ende 2020 mit Ken­FM das reich­wei­ten­stärks­te Alter­na­tiv­me­di­um und im Sep­tem­ber 2021 den Kanal von RT-Deutsch. Bestimm­te Per­so­nen wie Wolf­gang Wodarg wer­den grund­sätz­lich gelöscht, wenn auf You­Tube auf­tau­chen. Sie sind wort­wört­lich zur Unper­son gemacht worden.
  4. 2018, Okto­ber: Vera Jou­ro­va, EU-Kom­mis­sa­rin für Wer­te und Trans­pa­renz, han­delt mit den sozia­len Netz­wer­ken einen Ver­hal­tens­ko­dex gegen Des­in­for­ma­ti­on aus, der im Okto­ber 2018 unter­zeich­net wird. Als zu löschen­de Des­in­for­ma­ti­on gilt alles, was den offi­zi­el­len EU-Nar­ra­ti­ven wider­spricht. Die­ser Ver­hal­tens­ko­dex wur­de in den Fol­ge­jah­ren kon­ti­nu­ier­lich ver­schärft. Seit 2020 dür­fen auch die offi­zi­el­len Nar­ra­ti­ve zur Coro­na-Pan­de­mie nicht mehr infra­ge gestellt wer­den.
    Uner­wünsch­te Inhal­te wer­den ent­we­der gelöscht, von so genann­ten Fak­ten­che­ckern als Fake News mar­kiert oder in ihrer Reich­wei­te ein­ge­schränkt (Shadow­ban­ning). Such­ma­schi­nen sind dahin­ge­hend zu mani­pu­lie­ren, dass bei allen pas­sen­den Such­an­fra­gen offi­zi­el­le Quel­len immer an ers­ter Stel­le ange­zeigt werden.
  5. 2020, März. Angriff der Fak­ten­che­cker: Mit der Aus­ru­fung des Coro­na-Not­stan­des schie­ßen die so genann­ten Fak­ten­che­cker wie Cor­rec­tiv auf alles, was dem offi­zi­el­len Coro­na-Nar­ra­tiv wider­spricht, sei­en es alter­na­ti­ve Medi­en­por­ta­le wie Ken­FM oder aus­ge­wie­se­ne kri­ti­sche Ärz­te bzw. Wis­sen­schaft­ler wie Wol­fang Wodarg, Sucha­rit Bhak­di und Cle­mens Arvey. Sie des­in­fi­zie­ren und ver­en­gen den Mei­nungs­kor­ri­dor mas­siv. Fak­ten­check­er­or­ga­ni­sa­tio­nen wer­den immer von den­sel­ben Olig­ar­chen wie Pierre Omidyar (Lumi­na­te), Bill Gates und Geor­ge Sor­os (Open-Socie­ty-Foun­da­ti­on) finan­ziert oder sie sind gleich den Staats­me­di­en ange­glie­dert wie der BR-Fak­ten­fuchs.
  6. 2020, 7. Novem­ber: Deut­scher Medi­en­staats­ver­trag tritt in Kraft: Deut­sche Lan­des­me­di­en­an­stal­ten sol­len Mel­dun­gen in Inter­net­me­di­en dahin­ge­hend über­prü­fen, ob »jour­na­lis­ti­sche Stan­dards« ein­ge­hal­ten wur­den. Bei Zuwi­der­hand­lung kön­nen hohe abschre­cken­de Geld­stra­fen ver­hängt oder das Medi­um geschlos­sen wer­den. Bis­her wur­den durch die­se Zen­sur­in­sti­tu­ti­on aus­schließ­lich oppo­si­tio­nel­le Medi­en wie Ken­FM, Rubi­kon und Nach­denk­sei­ten trak­tiert. Die Dro­hung der Lan­des­me­di­en­an­stalt Ber­lin-Bran­den­burg mit einem Ver­wal­tungs­straf­ver­fah­ren, der Schlie­ßung und Zwangs­gel­dern von 50.000 Euro und mehr führ­te zum Ende des Medi­en­por­tals Ken­FM, das Ken Jeb­sen frei­wil­lig still­leg­te. Er ließ es also nicht auf einen sei­ner Mei­nung nach wohl nicht mehr zu gewin­nen­den Pro­zess ankommen.
  7. 2022, 2. März: Sen­der­sper­ren. Im Bal­ti­kum und der Ukrai­ne wur­den bereits vor dem Ukrai­ne­krieg von 2022 oppo­si­tio­nel­le, rus­sisch­spra­chi­ge Fern­seh­sen­der abge­schal­tet und damit der rus­si­schen Min­der­heit ihre sprach­li­chen Aus­drucks­mög­lich­kei­ten geraubt. Das wur­de von der den west­li­chen Wer­ten ver­pflich­te­te EU nicht etwa kri­ti­siert, son­dern wohl­wol­lend zur Kennt­nis genom­men. Die­se faschis­to­ide Pra­xis über­nahm die EU am 2. März 2022. Seit­dem ist die Über­tra­gung von Inhal­ten der rus­si­schen Sen­der RT und Sput­nik in der gesam­ten EU ver­bo­ten, sei es nun über Fern­se­hen oder das Inter­net. Die Begrün­dung ist atem­be­rau­bend: Bei RT und Sput­nik han­de­le es sich schlank­weg nicht um Medi­en, son­dern um rei­ne Pro­pa­gan­da­in­stru­men­te des Kreml. Des­halb unter­fie­len sie nicht der in der EU garan­tier­ten Mei­nungs­frei­heit. Vera Jou­ro­va, EU-Kom­mis­sa­rin für Wer­te und Trans­pa­renz, for­der­te die Mit­glieds­staa­ten auf, stän­dig zu prü­fen, ob bestimm­te Medi­en eine Bedro­hung für die natio­na­le Sicher­heit dar­stel­len, und sie gege­be­nen­falls zu sper­ren, ohne auf Ent­schei­dun­gen der EU zu war­ten. Wohl­ge­merkt: Von einer Beschrän­kung auf rus­si­sche Sen­der oder Fern­seh­sen­der über­haupt war bei die­ser For­de­rung nach einem kur­zen Pro­zess nicht die Rede.2

Nun folgt im Mai 2022 ein neu­er Eska­la­ti­ons­schritt. Der deut­sche Staat geht mit den Mit­teln des Straf­rechts gegen eine kri­ti­sche Jour­na­lis­tin vor, die das west­li­che Nar­ra­tiv vom rus­si­schen Angriffs­krieg in der Ukrai­ne in Fra­ge stellt.

Auch das hat es in der Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik schon gege­ben. Im Jahr 1976 trat der Para­graph 88a des StGB in Kraft, der die »Ver­fas­sungs­feind­li­che Befür­wor­tung von Straf­ta­ten« mit drei Jah­ren Haft oder mit Geld­stra­fe bestraf­te. Ver­bo­ten waren unter ande­rem: Die Befür­wor­tung von Gewalt unter dem Deck­man­tel einer schein­ba­ren Distan­zie­rung, die Beschrei­bung straf­ba­rer Hand­lun­gen mit Nach­ah­mungs­ef­fekt, die Befür­wor­tung von Gewalt in Form der Beschrei­bung eines his­to­ri­schen Ereig­nis­ses, in der Absicht, es als nach­ah­mens­wer­tes Vor­bild hin­zu­stel­len, sowie Befür­wor­tung von Gewalt in Form des Abdrucks frem­der Meinungen.

Die­ser Para­graph rich­te­te sich gegen die in den 70er erstark­te sozia­lis­ti­sche und kom­mu­nis­ti­sche Bewe­gung in der BRD und beson­ders gegen gewalt­be­rei­te Grup­pen sowie deren Umfeld. Er wur­de in den Fol­ge­jah­ren exzes­siv ange­wandt. So wur­den im August 1976 hun­der­te lin­ke Buch­hand­lun­gen durch­sucht, inkri­mi­nier­te Lite­ra­tur beschlag­nahmt und Straf­ver­fah­ren gegen 100 Geschäfts­füh­rer, Ange­stell­te und Gesell­schaf­ter geführt.

Vier Dru­cker des Kol­lek­tivs Agit-Druck wur­den 1979 zu Haft­stra­fen zwi­schen 9 und 12 Mona­ten ohne Bewäh­rung ver­ur­teilt. Ihnen wur­de vor­ge­wor­fen, das links­au­to­no­me Blatt Info-BUG gedruckt zu haben.

Der Bun­des­grenz­schutz beschlag­nah­me eine gan­ze LKW-Ladung mit Büchern des damals lin­ken Ber­li­ner Ober­baum­ver­lags wegen Ver­sto­ßes gegen den §88a StGB. Dar­un­ter befan­den sich Tex­te zur Chi­ne­si­schen und Rus­si­schen Revo­lu­ti­on sowie der Titel »Ver­such der Revo­lu­tio­nie­rung des bür­ger­li­chen Indi­vi­du­ums«, her­aus­ge­ge­ben von der »Kom­mu­ne 2«.3

Im März 1981 wur­de der umstrit­te­ne Para­graph 88a auf­ge­ho­ben, nach­dem der Staat im Deut­schen Herbst 1977 den Krieg gegen den lin­ken Ter­ror gewon­nen hat­te. Dies war – wie sich heu­te zeigt – umso eher mög­lich, als auch der §140 StGB zur Ein­schüch­te­rung von Jour­na­lis­ten genutzt wer­den kann.

Im Unter­schied zu den 70er Jah­ren stellt heu­te aller­dings kaum noch jemand die bür­ger­lich-kapi­ta­lis­ti­sche Gesell­schafts­ord­nung in Fra­ge, Ali­na Lipp schon mal gar nicht. Sie stu­dier­te das Mode­fach Umwelt­ma­nage­ment, war Mit­glied der Grü­nen und absol­vier­te ein Prak­ti­kum bei der Grü­nen­frak­ti­on im nie­der­säch­si­schen Land­tag. Aller­dings hat sie einen rus­si­schen Vater, der vor eini­gen Jah­ren wegen der stän­di­gen Dis­kri­mi­nie­rung von Rus­sen in Deutsch­land auf die Krim aus­wan­der­te. Ali­na besuch­te ihn mehr­mals und erleb­te aus eige­ner Anschau­ung, dass die Main­stream­m­e­di­en nicht die Wahr­heit über die Krim und den Ukrai­ne­kon­flikt berich­te­ten. Die­se Infor­ma­tio­nen teil­te sie über ihre inzwi­schen gelösch­ten You­Tube-Kanä­le. Schließ­lich wan­der­te sie eben­falls auf die Krim aus und lebt nun in Donetsk, wo sie schon vor dem Krieg auf ihrem Tele­gram­ka­nal aus eige­ner Anschau­ung über den stän­di­gen Beschuss die­ser Stadt durch die regu­lä­re ukrai­ni­sche Armee und die faschis­ti­schen Batail­lo­ne wie Asow berichtete.

Was zunächst ein weit­ge­hend unbe­ach­te­tes Hob­by­pro­jekt war, wur­de zu einem Poli­ti­kum, als die EU am 2. März 2022 die rus­si­schen Sen­der RT und SNA (ehe­mals Sput­nik) sperr­te. Ali­na Lipp und Tho­mas Röper aus St. Peters­burg waren damit nahe­zu die ein­zi­gen Deut­schen, die noch über die rus­si­sche Sicht des Krie­ges berich­te­ten. Die Zahl der Abon­nen­ten von Ali­nas Tele­gram­ka­nal »Neu­es aus Russ­land« schnell­te von eini­gen 1.000 auf inzwi­schen 175.000 hoch.

Da sich der deut­sche Staat in einem Krieg gegen Russ­land wähnt, möch­te er die­se weni­gen authen­ti­schen Stim­men auch noch zum Schwei­gen bringen.

Um den §140 StGB anwen­den zu kön­nen, muss belegt wer­den, dass der Ver­däch­ti­ge den öffent­li­chen Frie­den stört. Der zustän­di­ge Rich­ter führt dies­be­züg­lich aus:

»Ihre Äuße­run­gen sind dabei geeig­net, das psy­chi­sche Kli­ma auch inner­halb der Bevöl­ke­rung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land auf­zu­het­zen, auf­grund zumin­dest ver­zer­ren­der, teils auch wahr­heits­wid­ri­ger Dar­stel­lun­gen einen Dis­sens inner­halb der Gesell­schaft her­bei­zu­füh­ren und den gesell­schaft­li­chen Zusam­men­halt auf­zu­lö­sen, Zwei­fel an der Funk­ti­ons­fä­hig­keit der öffent­li­chen Mei­nungs­bil­dung und der Wahr­haf­tig­keit der media­len Bericht­erstat­tung inner­halb der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zu säen und dadurch das Ver­trau­en in die Rechts­si­cher­heit und die Ver­trau­ens­wür­dig­keit des demo­kra­ti­schen Sys­tems im Inland ins­ge­samt zu erschüttern.«

Ver­bo­ten sind unter ande­rem fol­gen­de Aussagen:

  • Die Bevöl­ke­rung des Don­bass fei­ert die rus­si­schen Streit­kräf­te als Befreier
  • Im Don­bass fand ein Geno­zid statt

Deut­sche Gerich­te defi­nie­ren damit, wie die Wahr­heit im Ukrai­ne­krieg aus­sieht und ver­bie­ten im Grun­de genom­men jede regie­rungs­kri­ti­sche Bericht­erstat­tung. Denn jeder kri­ti­sche Bericht egal zu wel­chem The­ma ist dazu geeig­net, einen »einen Dis­sens inner­halb der Gesell­schaft her­bei­zu­füh­ren« und »Zwei­fel an der Wahr­haf­tig­keit der media­len [Main­stream-] Bericht­erstat­tung« zu säen.

Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass es sich bei den jetzt bekannt gewor­de­nen Ermitt­lun­gen gegen Ali­na Lipp nur um die Spit­ze des Eis­bergs han­delt. Ver­gleich­ba­re Ermitt­lun­gen dürf­ten gegen Tho­mas Röper und Dag­mar Henn lau­fen, denn sie haben Ähn­li­ches geäu­ßert. Ich wür­de ihnen raten, mög­lichst nicht in die EU einzureisen.

Ali­na Lipp selbst hat per­sön­lich wohl nicht viel zu befürch­ten. Sie kann nun in Russ­land oder der Volks­re­pu­blik Donetsk poli­ti­sches Asyl bean­tra­gen, was ihr höchst­wahr­schein­lich auch gewährt wer­den wür­de. Aller­dings steht sie öko­no­misch vor dem Nichts. Eine Spen­den­samm­lung in Deutsch­land ist nun nicht mehr mög­lich. Sie muss nun in Donetsk ent­we­der einer ande­ren Erwerbs­ar­beit nach­ge­hen oder Finanz­hil­fen vom rus­si­schen Staat anneh­men, wenn er sol­che gewährt. Auch das ist nicht sicher, denn die Mei­nungs­be­ein­flus­sung in Rich­tung EU ist längst nicht mehr sei­ne Prio­ri­tät. Wie auch immer, die­se vom deut­schen Staat bewusst her­bei­ge­führ­te Zwangs­la­ge wäre eine per­fek­te Begrün­dung, ihren Kanal abzu­klem­men oder Tele­gram gleich ganz zu sperren.

Die Ermitt­lun­gen gegen Ali­na Lipp nach §140 StGB sind vor allem eine Bot­schaft an deut­sche Staats­bür­ger und die­nen der Ein­schüch­te­rung. Es wird hier­mit über­deut­lich signa­li­siert, dass es nun mit dem Straf­recht unter­bun­den wird, dass offi­zi­el­le Nar­ra­tiv zum Ukrai­ne­krieg in Fra­ge zu stellen.

Es ist davon aus­zu­ge­hen, dass sich EU-weit die Eska­la­ti­ons­spi­ra­le der Zen­sur­maß­nah­men wei­ter dre­hen wird und zwar immer schnel­ler. Öster­reich und Mol­da­wi­en haben bereits Geset­ze ver­ab­schie­det, die es bei Haft- und/​oder abschre­ckend hohen Geld­stra­fen ver­bie­ten, Mel­dun­gen von RT und ande­ren rus­si­schen Medi­en in sozia­len Netz­wer­ken zu tei­len. Dies steht dann wohl auch bei den ande­ren EU-Staa­ten auf der Agen­da. Am Ende die­ser Ent­wick­lung steht das Ver­bot für EU-Bür­ger, »Feind­sen­der abzu­hö­ren«, das heißt, die Mel­dun­gen von RT, von Neu­es aus Russ­land bzw. dem Anti-Spie­gel auch nur zu lesen.

Konn­te man in den 70er Jah­ren noch davon aus­ge­hen, dass es ehe­ma­li­ge Nazi-Rich­ter waren, die lin­ke Buch­händ­ler und Dru­cker zu abschre­ckend hohen Haft­straf­ten ver­ur­teil­ten und dass sich das Pro­blem bald bio­lo­gisch lösen wür­de, so muss man nun mit gro­ßem Ent­set­zen fest­stel­len, dass faschis­ti­sche Denk- und Hand­lungs­mus­ter wie­der im Main­stream der Gesell­schaft ange­kom­men sind. Das ist die Fol­ge der stür­mi­schen Lie­bes­af­fä­re der deut­schen Bour­geoi­sie mit dem ukrai­ni­schen Faschis­mus. Dag­mar Henn geht davon aus, dass die deut­sche Bour­geoi­sie mit ihrer Ver­tu­schung und Recht­fer­ti­gung des Mas­sa­kers von Odes­sa im Mai 2014 dem Mons­ter, dem sie sich zuge­wandt hat­te, immer ähn­li­cher wur­de. War das straf­recht­lich nor­mier­te Ver­bot des Füh­rens eines Angriffs­krie­ges eine Leh­re, die man aus dem deut­schen Faschis­mus gezo­gen hat­te, so wird die­ser Para­graph nun genutzt, um kri­ti­sche Stim­men zum Schwei­gen zu brin­gen. Wobei kein west­li­cher Füh­rer jemals für einen Angriffs­krieg belangt wor­den ist.

Dag­mar Henn geht davon aus, dass die­ser Beschluss sei­ne Wir­kun­gen weit über die nun abge­schaff­te Mei­nungs­frei­heit hin­aus ent­fal­ten wird. Die Mei­nungs­frei­heit ist ein sehr basa­les Grund­recht. Es ver­steht sich von selbst, dass Ver­samm­lun­gen und Orga­ni­sa­ti­ons­grün­dun­gen auf der Basis die­ser nun kri­mi­na­li­sier­ten Mei­nung eben­falls unmög­lich sind. Kon­se­quen­ter­wei­se füh­ren die deut­schen Staats­an­walt­schaf­ten eine Viel­zahl von Ermitt­lungs­ver­fah­ren gegen Per­so­nen, die zum Bei­spiel auf einer Ver­samm­lung den Buch­sta­ben »Z« gezeigt haben. Ihnen dro­hen eben­falls drei Jah­re Haft.

Die Lis­te der deut­schen Jour­na­lis­ten im Exil ist lang und wahr­schein­lich noch nicht annä­hernd vollständig:

  1. Jochen Mit­sch­ka (Nami­bia)
  2. Dr. Bodo Schiff­mann (Tan­sa­nia)
  3. Mathi­as Brö­ckers (Schweiz)
  4. Ken Jeb­sen (Österreich/​Schweden)
  5. Hen­ning Rosen­busch (Schwe­den)
  6. Robert Flei­scher (Spa­ni­en)
  7. Dag­mar Henn (Russ­land)
  8. Tho­mas Röper (Russ­land)

Sie wird ver­mut­lich bald noch viel län­ger wer­den. Jeder, der es noch kann, soll­te Deutsch­land so schnell wie mög­lich ver­las­sen. Bald könn­te es zu spät sein. Es senkt sich wie­der ein­mal die Nacht über Deutschland.

Dirk Pohl­mann behaup­tet zwar, der oben genann­te Gerichts­be­schluss sei ver­fas­sungs­wid­rig. Aber was ver­fas­sungs­wid­rig ist, bestimmt letzt­in­stanz­lich das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt. Das aber hat unter sei­nem Prä­si­den­ten Har­barth die größ­ten Grund­rechts­ein­schrän­kun­gen in der Geschich­te der Bun­des­re­pu­blik ein­fach so durch­ge­wun­ken und es hat­te wohl auch kei­ne Ein­wän­de gegen den alten §88a StGB, der in den 70er Jah­ren exzes­siv ange­wen­det wurde.

Es han­delt sich auf jeden Fall bei dem oben zitier­ten Beschluss nicht um die Ein­zel­mei­nung eines Rich­ters, son­dern er ist ein Teil einer koor­di­nier­ten Anstren­gung, den Mei­nungs­kor­ri­dor in Deutsch­land wei­ter zu ver­en­gen. Hier­für spricht auch, dass die Ermitt­lun­gen gegen Ali­na Lipp nun von der Staats­an­walt­schaft Göt­tin­gen geführt wer­den, die bun­des­weit für »Hass­kri­mi­na­li­tät« ver­ant­wort­lich ist. Dies deu­tet dar­auf hin, dass der deut­sche Staat nun mit aller Här­te und gro­ßer Kon­se­quenz gegen abwei­chen­de Mei­nun­gen vor­zu­ge­hen beab­sich­tigt. Dies wird sich sicher­lich nicht allein auf das staats­of­fi­zi­el­le Ukrai­nenar­ra­tiv beschrän­ken. Dag­mar Henn hat die Befürch­tung aus­ge­spro­chen, dass Kri­tik an den Sank­tio­nen in Kür­ze eben­falls kri­mi­na­li­siert wer­den wird.

Die mas­si­ve Eska­la­ti­on der Zen­sur ist natür­lich ein Anzei­chen für die Schwä­che des offi­zi­el­len Nar­ra­tivs. Aber man soll­te sich nicht täu­schen: Kurz- und mit­tel­fris­tig kann es EU und Bun­des­re­gie­rung durch­aus gelin­gen, durch exzes­si­ve Zen­sur, Repres­si­on, Mora­li­sie­rung und Gräu­el­pro­pa­gan­da gegen Russ­land die Unzu­frie­den­heit der Men­schen zu deckeln. Damit wird Zeit gewon­nen, den Gre­at Reset wei­ter vor­an­zu­trei­ben. Er besteht vor allem in der in der Zer­stö­rung der indus­tri­el­len Basis Euro­pas und der breit­flä­chi­gen Absen­kung des Lebens­stan­dards der Men­schen. Das scheint bis­her zu funk­tio­nie­ren. Denn trotzt der abseh­ba­ren Ver­ar­mung bleibt vor­erst alles ruhig.

Das ist wohl auch nicht anders zu erwar­ten. Denn die Medi­en haben die Schlag­zahl ihrer Pro­pa­gan­da so stark erhöht, dass die meis­ten Men­schen emo­tio­nal über­wäl­tigt wur­den und so zur »Soli­da­ri­tät« mit der faschis­ti­schen Ukrai­ne rich­tig­ge­hend gezwun­gen wor­den sind. Auch schraubt der Staat sei­ne Dro­hun­gen gegen­über abwei­chen­den Mei­nun­gen immer mehr in die Höhe. Bis­her droh­te »nur« Arbeits­platz­ver­lust. Jetzt wird Kon­for­mi­tät durch das schar­fe Schwert des Straf­rechts erzwun­gen. Dag­mar Henn dazu:

Je wei­ter die­se Ent­wick­lung fort­schrei­tet, des­to wei­ter schwin­den Sta­bi­li­tät wie Demo­kra­tie, was wie­der mit einer wei­te­ren Erhö­hung des pro­pa­gan­dis­ti­schen Drucks auf­ge­fan­gen wer­den muss. Die Per­spek­ti­ve ist also nicht hübsch, aber in ihren Tie­fen ver­birgt sich die Mög­lich­keit plötz­li­chen Wandels.

Die­ser kann dann ein­tre­ten, wenn auch noch so mas­si­ve Pro­pa­gan­da die grau­sa­me Wirk­lich­keit nicht mehr über­tün­chen kann. Dann frei­lich ist der Scha­den für die Herr­schen­den nicht mehr kom­pen­sier­bar, die Glaub­wür­dig­keit ist ein für alle Mal kom­plett dahin. Wie lan­ge das dau­ert, kann man heu­te unmög­lich vor­her­sa­gen. Der Zwei­te Welt­krieg zeigt, dass die Lei­dens­fä­hig­keit des deut­schen Vol­kes sehr groß ist.

Ver­wei­se

1 Han­nes Hof­bau­er: Zen­sur, Wien 2022, S. 123ff.

3 Hof­bau­er a.a.O., S. 99 – 105.

Bild: Ali­na Lipp in der Fol­ter­kam­mer von Asow, der »Biblio­thek« in Mariu­pol (Quel­le: Neu­es aus Russ­land)

One thought on “Eska­la­ti­on der Zensur

  1. Selbst dem Füh­rer, dem gro­ßen Guru des Ste­pan Ban­de­ra, heu­ti­ger Säu­len­hei­li­ger in der West- oder Rest-Ukrai­ne, gelang es nicht, alles auf Linie zu brin­gen. Feind­sen­der wur­den trotz Ver­bot und schlim­men Stra­fen bei Erwischt­wer­den – wahl­wei­se Ker­ker, Depor­ta­ti­on in den Osten oder KZ – heim­lich abge­hört. Es waren halt ande­re als heu­te. Trotz alle­dem gelang der Durch­bruch dem ver­hin­der­ten Kunst­ma­ler aus Brau­nau nur zeit­wei­se. Ver­gleich­bar war er aber zuletzt auch dem heu­ti­gen Stall­bur­schen der Nord-Atlan­ti­schen Ter­ror-Orga­ni­sa­ti­on in Kiew: in ver­zwei­fel­ter mili­tä­ri­scher Lage hoff(t)en bei­de auf die Wun­der­waf­fe, die das Kriegs(un)glück wen­den wer­de. Beim Kunst­ma­ler kam die Wun­der­waf­fe zu spät – sie fiel auf Hiro­shi­ma und Naga­sa­ki und wur­de von den USA abge­wor­fen. Beim Stall­bur­schen wird sie auch nicht gelin­gen. Am Ende ist es egal, wie der Reichs­tag das ein­schätzt, die Faschis­ten wer­den unterliegen.

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