Der Anfang vom Ende: Durch­marsch der Nato-Frak­ti­on auf dem Lin­ken-Par­tei­tag in Erfurt

Lese­zeit3 min

Was sich in den letz­ten Tagen abzeich­ne­te, ist nun auf dem Erfur­ter Par­tei­tag der Links­par­tei vom 24. bis 26. Juni 2022 ein­ge­trof­fen. Wir haben einen Durch­marsch des libe­ra­len – man­che sagen, des links­neo­li­be­ra­len – Flü­gels gese­hen. Die Dele­gier­ten lehn­ten den von Sahra Wagen­knecht vor­ge­schla­ge­nen Kom­pro­miss­kan­di­da­ten Sören Pell­mann ab und wähl­ten statt­des­sen den EU-Abge­ord­ne­ten Mar­tin Schir­de­wan. Vom ihm sag­te einst der Grü­nen-Poli­ti­ker Rein­hard Büti­ko­fer, er sei noch einer der Ver­nünf­ti­ge­ren unter den Lin­ken Euro­pa­ab­ge­ord­ne­ten. Das ist kei­ne Emp­feh­lung für Linke.

Auch inhalt­lich war der Par­tei­tag ein Desas­ter. Kri­tik am west­li­chen Impe­ria­lis­mus und der NATO wur­de her­un­ter­ge­fah­ren, die Hal­tung zu Russ­land nach­ge­schärft. Russ­land wird jetzt allein für den »ver­bre­che­ri­schen Angriffs­krieg« ver­ant­wort­lich gemacht. Ihre gan­ze Empa­thie gel­te nun den Men­schen der Ukrai­ne, sag­te Jani­ne Wiss­ler. Offen­bar hat sie für die über­wie­gend eht­ni­schen Rus­sen ukrai­ni­scher Staats­an­ge­hö­rig­keit, die seit 8 Jah­ren von ukrai­ni­schen Faschis­ten im Don­bass beschos­sen wer­den, kei­ner­lei Mit­ge­fühl. Das erin­nert stark an das Gere­de von »rus­si­schen Unter­men­schen« aus ganz düs­te­ren Zeiten.

Diet­her Dehm ver­mu­te­te im Arti­kel »Das Grum­meln der Ago­nie« vom 30. Mai 2022, dass die neo­li­be­ra­le Mehr­heit der Par­tei wenigs­tens im Inter­es­se des Par­tei­er­halts der sozia­len Lin­ken gerin­ge Kon­zes­sio­nen machen werde.

Das Haupt­pro­blem der Lin­ken ist: Mit­glied­schaft und poten­ti­el­le Wäh­ler fal­len aus­ein­an­der. Sie gehö­ren unter­schied­li­chen sozia­len Milieus an.

Als im Jahr 2011 Kat­ja Kip­ping und Bernd Riex­in­ger den Par­tei­vor­sitz über­nom­men hat­ten, rich­te­ten sie die Lin­ke auf das Milieu der wohl­ha­ben­den urba­nen Aka­de­mi­ker aus, der Bobos und Hips­ter, die der Lin­ken seit­dem auch ver­stärkt bei­tra­ten und inzwi­schen eine Mehr­heit stellen.

Die frü­her in Ost­deutsch­land star­ken ehe­ma­li­gen SED-Mit­glie­der star­ben dage­gen lang­sam aus und sind heu­te nur noch eine unbe­deu­ten­de Min­der­heit. Sie ver­ei­tel­ten in den ers­ten bei­den Jahr­zehn­ten der PDS bezie­hungs­wei­se Lin­ken immer­hin zahl­rei­che Ver­su­che einer pro­gram­ma­ti­schen Aufweichung.

Als poten­ti­el­le Wäh­ler der Lin­ken kom­men vor allem Arbeits­lo­se und Arbei­ter in Fra­ge. Die­se aber wer­den durch die abso­lut domi­nie­ren­de Iden­ti­täts­po­li­tik abge­schreckt. Eine tat­säch­lich Lin­ke muss nicht nur sozia­le For­de­run­gen pro­mi­nent ver­tre­ten und alle For­de­run­gen ver­mei­den, die die Situa­ti­on der ein­fa­chen Men­schen wei­ter ver­schlech­tern. Hier­zu gehört auch die For­mel der »sozi­al-öko­lo­gi­schen Wen­de«. Denn »öko­lo­gisch« heißt für die Men­schen vor allem exor­bi­tant hohe Ener­gie­kos­ten, CO2-Steu­ern, die Ver­teu­fe­lung der indi­vi­du­el­len Mobi­li­tät und wei­te­re sozia­le Grausamkeiten.

Viel­leicht noch wich­ti­ger wäre, dass auch der Lebens­stil der Wäh­ler aus dem Arbei­ter­mi­lieu wert­ge­schätzt wird. Tat­säch­lich pas­siert in der Lin­ken das Gegen­teil. Durch die Iden­ti­täts­po­li­tik wer­den ein­zel­ne klei­ne Grup­pen wie LGBTQ etc. pri­vi­le­giert, ande­re – ins­be­son­de­re die viel­ge­schmäh­ten wei­ßen alten Män­ner aus der Arbei­ter­klas­se – abgewertet.

Wie die kra­chen­den Wahl­nie­der­la­gen der letz­ten Jah­re gezeigt haben, wen­den sich aus den genann­ten Grün­den gera­de Arbei­ter und Arbeits­lo­se von der Lin­ken ab, wäh­rend sie unter den wohl­ha­ben­den urba­nen Aka­de­mi­kern nicht genug Wäh­ler hin­zu­ge­won­nen hat, um die Par­tei zu sta­bi­li­sie­ren. Denn die­se wäh­len eher das Ori­gi­nal, die Grü­nen. In der bun­des­deut­schen Par­tei­en­land­schaft ist aber kein Platz für zwei grü­ne Parteien.

Selbst in ihrer bes­ten Zeit um das Jahr 2010 war die Lin­ke kei­ne Arbei­ter­par­tei. Orga­ni­sie­rungs­be­mü­hun­gen unter Arbei­tern wur­den ver­nach­läs­sigt. So konn­te die Par­tei pro­blem­los von unter­schied­li­chen pri­vi­le­gier­ten Grup­pen geka­pert werden.

Aller­dings: Unter den gege­be­nen Umstän­den läge es auch im Inter­es­se der Bobo und Hips­ter-Mit­glied­schaft, die Links­par­tei nicht nur für wohl­ha­ben­de Aka­de­mi­ker, son­dern auch wie­der für Arbei­ter und Ange­stell­te attrak­ti­ver zu machen. Nur so wären lang­fris­tig auch die Pos­ten und Pöst­chen der wohl­ha­ben­den Aka­de­mi­ker gesichert.

Dies wür­de wenigs­tens bedeu­ten, wenn schon nicht Sahra Wagen­knecht selbst, so doch wenigs­tens den Kom­pro­miss­kan­di­da­ten Sören Pell­mann zum Par­tei­vor­sit­zen­den zu wäh­len und die pro­gram­ma­ti­schen Grund­sät­ze nicht wei­ter auf­zu­wei­chen. Auch eine schar­fe Kri­tik der NATO, der USA und der Sank­tio­nen käme sicher­lich gut an bei den Arbei­tern, die allein schon aus Eigen­in­ter­es­se kei­nen Krieg wollen.

Unter die­sen Umstän­den über­rascht der bru­ta­le Durch­marsch der Links­neo­li­be­ra­len schon etwas. Ist das wirk­lich nur die bour­geoi­se Lust am eige­nen Unter­gang? Liegt es an einem über­bor­den­den Mora­lis­mus, für den die rich­ti­ge Hal­tung weit­aus wich­ti­ger ist als prak­ti­sche Erfol­ge? Oder haben da die »Diens­te« nach­ge­hol­fen? Immer­hin sind in den letz­ten Jah­ren zahl­rei­che neu ent­stan­de­ne Grup­pie­run­gen wie die Quer­den­ker und die Freie Lin­ke zer­setzt worden.

Wie auch immer: Sahra Wagen­knechts Reak­ti­on auf ihre Nie­der­la­ge ist völ­lig unzu­rei­chend. Sie will erst im Herbst auf einer grö­ße­ren Kon­fe­renz über das »Wie wei­ter« zu dis­ku­tie­ren. Die Regie­rung unter Habeck und Baer­bock betreibt aber jetzt eine mas­si­ve Ver­ar­mungs­po­li­tik, gegen die jetzt ein eben­so mas­si­ver Wider­stand not­wen­dig ist. Im Herbst erst mit einer Par­tei­grün­dung zu begin­nen, ist viel zu spät. Die weni­gen sozia­len Lin­ken hät­ten in Erfurt die Par­tei mit einem Eklat ver­las­sen sol­len. Nur so hät­te ein Pro­jekt für eine tat­säch­lich sozia­le Lin­ke genü­gend Auf­merk­sam­keit bekom­men. Eine Kon­fe­renz im Herbst wer­den die Medi­en ignorieren.

Auch wenn es man­gels Medi­en­auf­merk­sam­keit sehr schwer wird: Die sozia­le Lin­ke muss jetzt ver­su­chen, sich zu orga­ni­sie­ren. Ein ers­ter Schritt dazu war der Auf­ruf der Sozia­len Lis­te Zukunft.

Pho­to: Jani­ne Wiss­ler und Mar­tin Schir­de­wan auf Erfur­ter Par­tei­tag im Juni 2022 – Mar­tin Hein­lein (CC BY 2.0)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert