Volkstümlicher werden

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Die Anzahl der sogenannten alternativen Medien wächst und doch ist ihre Bekanntheit bei der Bevölkerung nicht sehr groß. Im Vergleich mit den Mainstream‐​Medien ist ihr Einfluss gering. Weil sie unabhängig sind von Werbung und Konzernen, verstehen sie sich auch als unabhängig in ihrer Meinungsäußerung. Wie erklärt sich dieser Widerspruch aus einerseits unabhängiger Berichterstattung und andererseits geringer Verbreitung in der Gesellschaft?

Berührung mit der Wirklichkeit

Eine Erklärung liegt in dem gesellschaftlich geringen Interesse großer Kreise der Bevölkerung an politischen und gesellschaftlichen Themen. Dieses Desinteresse scheint zu wachsen, da das Gefühl der Hilflosigkeit zunimmt. Andererseits aber könnte dies gerade ein Treibsatz für die alternativen Medien sein. Dass dies nicht der Fall ist, liegt weniger an der Qualität der Beiträge sondern vielmehr an ihren Themen, ihrem Denken und ihrer Sprache. Diese haben nur wenig Berührungspunkte mit dem Alltag der sogenannten einfachen (1) Leute.

Die alternativen Medien befinden sich weitgehend in ihrer eigenen Blase. Wollen sie Einfluss gewinnen bei den einfachen Leuten, müssen sie volkstümlicher werden. Die Sprache ist oftmals zu intellektuell, die Themen teilweise zu psychologisch oder gar esoterisch. Befindlichkeit hat bei vielen eine hohe Bedeutung. Das ist weit weg von der Welt der einfachen Leute. Das sind nicht die Themen, die sie umtreiben.

Nicht durch andere Inhalte sondern durch anderen Umgang mit den Inhalten sollten sich alternative Medien von den Hoheitsmedien des Mainstream abheben. Das Darstellen der Zustände, das Herausarbeiten von Zusammenhängen, sowie das Einordnen in erkennbare Entwicklungen sollten im Vordergrund stehen: Was sind die Fakten, wie sind sie zu deuten und was drückt sich darin aus, welche Entwicklung ist darin zu erkennen? Wie es Rosa Luxemburg in kraftvoller Einfachheit ausdrückte: »Zu sagen, was ist, bleibt die revolutionärste Tat.«

Um an einem Beispiel zu verdeutlichen, was damit gemeint ist, soll in diesem Zusammenhang der Text der jungen Autorin Madita Hampe erwähnt werden. Er orientiert sich streng an den Fakten. Hampe lässt die Akteure sprechen, analysiert anhand dieser Aussagen sehr gekonnt deren Denken und Handeln, ihre politische Haltung und Interessen. Sehr feinsinnig legt sie die Widersprüche offen zwischen Denken, Anspruch und Handeln und all das in einer leichten und gut verständlichen Sprache.

Im Gegensatz zu dieser soliden Vorgehensweise Hampes wird in vielen Beiträgen alternativer Medien häufig der Boden der Realität unnötig verlassen und Visionen und Prognosen der Vorzug gegeben. In dem sehr guten Text von Peter Haisenko werden am Schluss Voraussagen gemacht über den Zustand der Ukraine am Ende des Krieges.

Damit hat er seinem ansonsten sehr lesenswerten Beitrag keinen Gefallen getan. Seine Analyse über die russische Kriegstaktik ist hervorragend und sehr lehrreich. Der Text ist leicht verständlich und dann am Ende: Voraussagen, deren Grundlagen nicht erkennbar sind. Kein noch so guter Analyst weiß, was die Zukunft bringt! Keiner! Jetzt schon Voraussagen zu machen über den Zustand der Ukraine nach dem Krieg, wo der Krieg noch in vollem Gange ist, ist schlichtweg gewagt und vor allem überflüssig. Denn diese Prognosen erklären nichts.

Jeder Leser wird seine eigene, vermutlich abweichende Voraussage für das Ende des Krieges haben. Diese unterschiedlichen Aussichten haben dann das Zeug, zum Streitpunkt zu werden. Unnötig werden Gräben aufgerissen und Widersprüche geschaffen, die beim Lesen der Analyse nicht vorhanden waren. Denn hier ging es um die Darstellung der Wirklichkeit. Die gute Analyse geht in der Auseinandersetzung um die Prognosen unter. Es kann Sinn machen, in einem Text erkennbare Entwicklungen anzudeuten oder aufzuzeigen, aber nicht als unumstößliche Tatsachen sondern als Möglichkeiten – und das dann auch am besten in der Möglichkeitsform, dem Konjunktiv.

Die Prophezeiungen von Haisenko kollidieren mit denen all jener Kaffeesatzleser, die im Zuge des Krieges immer wieder so gerne vorgetragen werden: Der dritte Weltkrieg steht vor der Tür. Unüberschaubar ist die Zahl der Dritte Weltkriege, die seit 1945 vorausgesagt wurden und zum Glück nie eingetreten sind, genauso wenig wie die Hunderte von Weltuntergängen. Wenn diese Reiter der Apokalypse Recht haben, dann wird Haisenko mit seiner Weissagung Unrecht haben. Hat er aber Recht, dann haben die apokalyptischen Reiter Unrecht. Dann aber stellt sich die Frage: »Wozu waren diese Voraussagen gut? Haben sie zu mehr Erkenntnis geführt?«

Weissagungen machen nur Sinn im Falle der Lottozahlen. Das ist ein überschaubarer Zeitraum und am Ende ist immer an der Wirklichkeit überprüfbar, ob der Blick in die Kristallkugel wirklich die Zukunft getroffen hat. Alles andere ist irreführend, zumal wenn nicht erkennbar ist, auf welchen Grundlagen diese Weissagungen beruhen und wie nah erstere an der Wirklichkeit sind.

Visionen und Werte

Dasselbe gilt auch für die Visionen, in denen verschiedentlich versucht wird, eine bessere Welt herbei zu denken. Artikel wie beispielsweise »Zukunftsvisionen« von der »Gemeinschaft für Frieden und Gerechtigkeit« wollen Mut machen und Hoffnung verbreiten. Aber sie sind eher rückwärts gewandt und beziehen sich auf eigentlich vergangene oder vermeintlich idyllische Welten. Für den überwiegenden Teil der Bevölkerung, die mit den Realitäten des alltäglichen Kapitalismus konfrontiert ist, sind solche Darstellungen zu entrückt. Die Welt wird nicht besser durch Visionen sondern durch Handeln, und Handeln muss solide Grundlagen haben.

Visionen fühlen sich zwar schön an, führen aber zur Entfremdung von jenen Kreisen, die erreicht werden müssen, wollen die alternativen Medien aus ihrer gesellschaftlichen Randlage herauskommen. Denn Visionen werden vom überwiegenden Teil der Bevölkerung als »Spinnerei« angesehen. Das ist nicht die realitätsverbundene Welt der sogenannten einfachen Leute.

Diese stehen in der Regel auf dem steinernen Boden der kapitalistischen Realität, die der Gewinnerwirtschaftung unterworfen ist. Da sind Visionen vielleicht in den Führungsebenen gefragt, aber auch dort müssen sie Aussicht bieten, sich einmal in Heller und Pfennig auszuzahlen. Diese Welt orientiert sich an Interessen. Die Welt vieler alternativer Medien aber sind die Werte.

Das sind im Kern dieselben, die auch die herrschende Politik, Medien sowie der Kultur‐ und Bildungsbereich als ihre Richtlinien ausgeben. Im Gegensatz zu jenen verstehen sich die alternativen jedoch als die Wahrer und ehrlicheren Vertreter dieser Werte. Dementsprechend wird versucht, unter Beweis zu stellen, dass die Eliten diese Werte verraten. Das wurde besonders in der Diskussion um Corona deutlich und setzt sich nun teilweise fort in der Diskussion um die Abschaffung des Bargeldes. Antikapitalismus ist der Konsens der meisten alternativen Foren, nicht nur im linken und linksliberalen Milieu. Antikapitalistische Haltung glaubt man in der Entlarvung des Kapitalismus beweisen zu müssen.

Auf breitere gesellschaftliche Kreise, für die Interessen bestimmender sind als Werte, wirkt aber diese antikapitalistische Missionsarbeit eher aufdringlich statt gewinnend. Diesen Schichten ist der Kapitalismus eigentlich egal. Sie identifizieren sich nicht mit ihm, sie verteidigen ihn nicht und setzen sich schon gar nicht für ihn ein. Man macht sich unter diesen einfachen Leuten weniger Illusionen über den Kapitalismus und sein demokratisches System als in den sogenannten gebildeten Schichten. Man erlebt ihn jeden Tag hautnah in der Arbeitswelt.

Das Erkennen der Wirklichkeit

Diese zum Teil zwanghafte Werterivalität der alternativen Foren gegenüber dem Mainstream ist eher schädlich, weil unsympathisch. Menschen, die sich ernsthaft für die gesellschaftlichen Vorgänge interessieren, ist es nicht so wichtig, wer der bessere Sachwalter der Werte ist. Deshalb sollten die Beiträge auf den alternativen Medien sich von diesem Wertedenken frei machen. Statt durch höhere Reinheit im Umgang mit den Werten sollten sie überzeugen mit höherer Genauigkeit und Sachbezogenheit ihrer Beiträge.

Das bedeutet: mehr Neutralität und Sachlichkeit in der Bearbeitung des Themas, ruhige Argumentation, nachvollziehbare Sichtweisen und belegte Aussagen. Vor allem aber weniger Vermutungen, Spekulationen und Konstruktion von Zusammenhängen auf der Ebene von Ähnlichkeiten. Den Dingen auf den Grund gehen, statt die Widersprüche zwischen den eigenen Ansichten und der Wirklichkeit mit Vermutungen glatt bügeln.

Ein anschauliches Beispiel für diese Herangehensweise ist der Beitrag von Norbert Häring »Bank für Internationalen Zahlungsausgleich stellt dystopischen Plan für neues Währungssystem mit digitalem Zentralbankgeld vor«. Häring stellt darin Zusammenhänge auf Grund von Ähnlichkeiten her, die aber keine Zusammenhänge in der Sache sind. Der Zusammenhang besteht darin, dass er in seinen Gedankengängen zusammenfügt, was eigentlich nicht zusammen gehört.

Zum einen bedient er sich einer Sprache und eines Begriffsspektrums, die eigentlich nur Finanzfachleute kennen. Das dient nicht dem Verstehen des Themas. Hinzu kommt, dass die Sachverhalte nicht neutral dargestellt werden sondern immer etwas Anrüchiges oder Bedrohliches an sich haben. Das ist nicht im Interesse des Lesers, denn das unterscheidet sich kaum von der Manipulation des Mainstream. Nur dass das Skandalöse etwas anders gelagert ist.

Sein Text ist getragen von den »Befürchtungen hinsichtlich den totalitären Kontrollmöglichkeiten, die digitales Zentralbankgeld ermöglicht oder begünstigt.« Das gilt es anscheinend zu beweisen. Dabei wird mehr vermutet als wirklich belegt, Ähnlichkeiten werden zu Zusammenhängen aufgebaut, was aber hier auszuführen den Rahmen sprengen würde. Als wesentlicher Bestandteil der oben erwähnten Kontrollmöglichkeiten sieht Häring die Programmierbarkeit der digitalen Zentralbankwährungen.

Dieser Befürchtung widerspricht aber ganz eindeutig seine eigene Feststellung: Im »Artikel 24 Abs. 2 des Gesetzesentwurfs steht ganz klar: Der digitale Euro ist kein programmierbares Geld.« Obwohl diese seine eigene Feststellung im Widerspruch zu all seinen zuvor geäußerten Befürchtungen steht, macht ihn das nicht nachdenklich und lässt ihn auch nicht an seiner Sichtweise zweifeln. Stattdessen bezeichnet er kurzerhand diese ausdrückliche Versicherung im oben erwähnten Gesetzesentwurf als »Augenwischerei«. Damit ist für ihn der Widerspruch aufgelöst.

Das aber ist kein seriöser Umgang mit dem Thema und schon gar nicht mit dem Leser. Egal wie Autoren zu den einzelnen Themen stehen, die sie bearbeiten, so müssen die Aussagen, die dazu gemacht werden, auf jeden Fall durch die Realität gedeckt sein. Denn es geht ja um nichts Geringeres als das Erkennen der Wirklichkeit, jedenfalls wenn man seine Arbeit und den Leser ernst nimmt. Und das sollte gerade das Anliegen der alternativen Medien und Foren sein, wenn sie sich als Alternative zum Mainstream verstehen.

Verweise

1. Die Begriffe wie »normale Bevölkerung«, »einfache Leute« oder ähnliche sind nicht abwertend gemeint oder gar überheblich. Sie drücken vielmehr die Schwierigkeit aus, eine Unterscheidung zu schaffen zum intellektuellen Milieu, das weitgehend die öffentliche, aber auch die Meinungen der alternativen Medien bestimmt. Der Begriff des »Proletariats«, der objektiv eigentlich viel eher angebracht wäre, passt aber nicht mehr zur heutigen gesellschaftlichen Wahrnehmung und vor allem der Selbstwahrnehmung jener gesellschaftlichen Gruppen, um die es hier geht.

Rüdiger Rauls ist Buchautor und betreibt den Blog Politische Analyse

Nachbemerkung der MagMa‐​Redaktion: MagMa hat den Anspruch ein Magazin der Masse zu sein. Also nicht von oben, außen oder daneben für die Masse zu schreiben; der Masse als einem alles in allem doch fremdem Phänomen. Deshalb versucht die Redaktion die »einfachen Leute« darin zu unterstützen, selber zu sagen, was ihrer Meinung »die Fakten sind« und »wie sie zu deuten« seien. Wir bitten daher stets um Vorschläge und Einreichungen, die wir – soweit es unsere begrenzten Möglichkeiten erlauben – versuchen werden auf den Weg der Veröffentlichung zu bringen. Schreibt uns an redaktion@​magma-​magazin.​su

Bild: »Lasst die Sonne der Aufklärung scheinen. Lasst die ewige Dunkelheit verschwinden.« Plakat der Aufklärungsabteilung des Vsevydat‐​Verlags, Kiew, Ukrainische SSR, 1920

One thought on “Volkstümlicher werden

  1. Der Hauptteil des Textes widerspricht der Einleitung, indem er eine, womöglich unangenehme, Wahrheit ausspricht: Es geht eben DOCH vorrangig und zunächst einmal um Inhalte. Und die sind strittig zwischen Leuten, »die sich ernsthaft für die gesellschaftlichen Vorgänge interessieren«, womöglich gar mit »Visionen« (wenn auch nicht solchen, die sich »in Heller und Pfennig auszahlen müssen«) unterwegs sind. Aber derzeit nicht in den »grossen Kreisen der Bevölkerung mit »dem gesellschaftlich geringen Interesse…an politischen und gesellschaftlichen Themen«, die aber zugleich so dermassen »realitätsverbunden« sind, weil »auf dem steinernen Boden der kapitalistischen Realität, die der Gewinnerwirtschaftung unterworfen ist« stehend.
    In seiner nachfolgend inhaltlichen Kritik der irgendwie progressiven Alternativ‐​Medien, die das offizielle Getriebe im Namen von dessen Werten angreifen, statt Interessen, übersieht der Autor noch etwas derart Entscheidendes, dass ich mich frage, wo er eigentlich ins Internet geht: Die weit überwiegende Mehrzahl der sog alternativen Medien ist rechtslibertär oder rechtskonservativ eingestellt. Und da hat zB Kapitalismus einen überaus guten Ruf, abgesehen von Staatseinwirkung, Zentralbankpolitik, generell Zentralisierung von »Macht« und vielleicht noch dem falsch verstandenen Geld.
    Was Rüdiger Rauls gegen seine eigene Intention ausspricht, ist darum nicht nur eine Wahrheit, sondern sogar eine NOTWENDIGKEIT: Die intellektuellen Grundlagen für einen solchen Inhalt mit »volks‐« und »-tümlicher« Gestaltung müssen erstmal geschaffen werden. Und das würde, müsste, könnte allenfalls geschehen, zum Verdruss vieler an sich egalitär‐​nichtautoritär eingestellter Menschen, die MagMa‐​Redaktion eingeschlossen, wenn man die dazu nötigen Bildungsvoraussetzungen entweder sich erarbeitet, oder sie mitbringt. Angesichts der Herausforderungen, vor denen eine neu zu gründende sozialistische Linke steht, ist da vermutlich niemand, der letzteres von sich behaupten kann. Wir müssen ALLE sehr viel lernen…
    Und dann geht erst die mühsame Arbeit der internen Verständigung untereinander los.
    Meine durch nichts gedeckte Prognose lautet: 20, 30 Jahre, bevor Rauls‹ Anliegen aktuell ist.

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