»Altonaer Blutsonntag« 17. Juli 1932

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Im Hinterhof des Amtsgerichts Hamburg-​Altona wurden am 1. August 1933 vor ausgewähltem Publikum vier Männern die Köpfe abgehackt. Vier mutige Kommunisten, so eine Legende in Kreisen der Antifa, gaben ihr Leben im antifaschistischen Widerstandskampf.

August Lütgens (35)
erwerbsloser Seemann,
lebte in Altona,
KPD-​Mitglied seit Gründung und politischer Leiter des Rotfrontkämpferbunds (RFB) Altona

Karl Wolff (21)
orthopädischer Schuhmacher,
lebte bei den Eltern in Hamm,
seit 1931 KPD-Mitglied

Walter Möller (29)
erwerbsloser Gelegen­heits­­arbeiter, lebte bei den Eltern in Eppendorf, evtl. Mitglied im Kom­mu­nis­tischen Jugend­verband (KJVD) 1, ab 1932 in der Antifaschistischen Aktion

Bruno Tesch (19)
erwerbsloser Klempnergeselle,
lebte bei den Eltern in Altona, seit 1931 Mitglied im Kommunistischen Jugendverband (KJVD)

Die am 1. August 1933 getöteten Antifaschisten2

Richter, Staatsanwälte und weite Teile der Öffentlichkeit interpretierten die Hinrichtungen als rechtmäßiges, wenn auch vielleicht etwas harsches Urteil. Ihrer Meinung nach hatten die vier Verurteilten am 17. Juli 1932 in Altona bei einem »NS-​Werbemarsch« mit rund 7.000 Teilnehmenden einen »gemeinschaftlichen Mord« an zwei SA-​Männern verübt.

Heinrich Koch (28)
Kellner,
verheiratet, zwei Kinder, lebte in Altona – Steinstraße,
im April 1931 Eintritt in die SA, SA-​Scharführer im 2. Altonaer SA-Sturm

Peter Büddig (24)
Schiffssteward,
verheiratet, lebte in St. Pauli – Hafenstraße,
SA-​Mann im 2. Altonaer SA-Sturm

Die am 17. Juli 1932 getöteten SA-​Männer3

Geschichtsversionen

Darüber, was am »Altonaer Blutsonntag« geschah, gibt es im Wesentlichen drei Varianten: eine mehr oder weniger »offizielle« (I), eine linke (II) und eine rechte (III). Exemplarische Kurzdarstellungen der jeweiligen Varianten:

  1. Deutsches Historisches Museum (DHM), eine von Mitgliedern des Bundestags, der Bundesregierung und der Landesregierungen beaufsichtigte Anstalt öffentlichen Rechts:Am 17. Juli 1932 »kam es« in Hamburg-​Altona »zu einer Schießerei zwischen Kommunisten, Nationalsozialisten und der Polizei, an deren Ende 18 Tote und 285 Verletzte zu beklagen waren. … Kommunisten versuchten, die von ihnen als Provokation empfundene Demonstration durch Altona mit Waffengewalt zu verhindern. Die Polizei erwiderte daraufhin das Feuer. Von den 18 Toten waren die meisten unbeteiligte Zivilisten, die durch Querschläger getötet wurden.«Irgendwann nach 2012 gab die DHM-​Darstellung zu, dass die »Querschläger« »Polizeikugeln« waren.4
  2. Flugblatt der Vereinigung der Verfolgten des Naziremimes/​Bund der AntifaschistInnen, Kreisvereinigung Altona, von 2011:»Als am 16. Juli 1932 bekannt wird, dass am folgenden Tag ein Naziaufmarsch von 10.000 SA und SS Anhängern mitten durch Altona geplant ist, schlagen die organisierten AntifaschistInnen Alarm. Sie mobilisieren Unterstützung aus dem nahen Hamburg und bereiten sich darauf vor, die BewohnerInnen des ›Roten Altona‹ vor den Faschisten zu schützen. Am Tag des Aufmarsches zeigen die mutigen Aktivisten und Aktivistinnen ihre demonstrative Ablehnung des braunen Mobs. Als schließlich die Nazis beginnen, die protestierenden AnwohnerInnen brutal anzugreifen, schlagen die AntifaschistInnen zurück. Zwei SA Männer werden erschossen. Jetzt greift die Polizei ein und ermordet in einer blindwütigen Schießorgie 16 unbeteiligte Arbeiterinnen und Arbeiter, viele davon in ihren Wohnungen.«
  3. Metapedia, eine politisch rechts stehende Online-Enzyklopädie:»Am 17. Juli 1932 bewegte sich ein nationalsozialistischer Demonstrationszug durch die Altonaer Alt- und Innenstadt. Polizei mit Panzer- und Streifenwagen begleitet ihn, da man auf Angriffe durch Kommunisten gefasst ist. Plötzlich ertönen Schüsse. Von Dächern, Balkonen und aus Wohnungen wird der Zug mit einen Hagel von Geschossen überschüttet. Die Polizei erwidert das Feuer und durchsucht die Häuser, ohne Täter fassen zu können. … Bis gegen Abend liegen zwölf Tote und mehr als sechzig Verletzte auf dem Pflaster der Straße. … Neben den beiden SA-​Männern Koch und Büddig ein weiteres Opfer der kommunistischen Morde wird an jenem Blutsonntag die Parteigenossin Frau Helene Winkler. Insgesamt waren es an diesem Tage 18 Tote und 60 Verletzte.«5

Die heute nur noch von Rechts verbreitete Variante III entsprach vom Tag des Geschehens 1932 an bis um 1990 auch der »offiziellen« Darstellung. Ab da sah man sich genötigt, auf den Trick zurückzugreifen, den auch Variante II anwendet: Tun »die Guten« Böses, vermeide die Täterbenennung. »Zwei SA Männer werden erschossen.«, heißt es in Variante II; zu den Toten »kam es«, durch »Polizeikugeln« heißt es in Variante I. Aber die SA-​Männer wurden von Antifaschisten, wahrscheinlich Kommunisten, erschossen, mindestens 15 der 16 anderen von Polizisten, einer möglicherweise von einem Nazi.6

Ein moralisierender Zugang zu historischen Ereignissen verhindert, dass Fragen gestellt werden, mit denen sich zu beschäftigen heute nützlich sein könnte. Zum Beispiel bezüglich Variante II: Wenn es darum ging, die »BewohnerInnen des ›Roten Altona‹ vor den Faschisten zu schützen« und am Ende »16 unbeteiligte Arbeiterinnen und Arbeiter tot sind« (wenn man in den sauren Apfel beißt und Frau Winkler mitzählt), dann scheint wohl beim Schützen etwas schief gelaufen zu sein? Im praktischen Widerstand gegen den Faschismus ist es wichtig, wie sich gerade auch in der Corona-​Zeit gezeigt hat, mit den Unübersichtlichkeiten klar zu kommen, die sich daraus ergeben, dass moralische, politische, psychische, ökonomische Gräben in der Gesellschaft und zwischen den Menschen keinen Großgraben zwischen »Gut« und »Böse« bilden. Zur Entwicklung einer brauchbaren antifaschistischen Taktik gilt es, Gründe und Verläufe der Gräben möglichst klar zu erfassen und herauszufinden, welche sozioökonomischen Energien sich an welchen Punkten bündeln und in welche Richtungen gehen.

Im Verlauf des »NS-​Werbemarsches« durch Altona registrierte die Polizei über 100 Zwischenfälle.7 Bei allen Zwischenfällen mit Gegendemonstrierenden gingen die ersten 800 bis 1000 Teilnehmenden des Umzugs vorüber und begannen handgreifliche Konflikte erst, wenn die Altonaer SA-​Stürme 1 und 2 vorbeimarschierten. Insgesamt waren in allen Auseinandersetzungen einige hundert Umzugsteilnehmer:innen verwickelt.8

Altonaer SA-​Männer hegten einen besonderen Groll gegen Altonaer Kommunist:innen. Einige waren zum Opfer gewalttätiger Übergriffe geworden und gezwungen gewesen, aus Altona-​Altstadt wegzuziehen, da es in diesem Viertel praktisch unmöglich war, sich als Nazi zu outen, ohne von Nachbar:innen verprügelt oder zumindestens belästigt zu werden. Nach der Machtübergabe an die Nazis tauchten denn auch plötzlich in Altona-​Altstadt Anwohner:innen öffentlich in Nazi-​Outfits auf, was sie zuvor nicht gewagt hatten. Laut Aussagen von Nazis war besonders der Altonaer SA-​Sturm 2 verhasst, »da dieser zum großen Teil aus ehemaligen Kommunisten« bestanden habe.9

Altona

Altona, zwölftgrößte Stadt in Preußen, zählte um 1932 knapp 250.000 Einwohner:innen. Davon waren um 1932 etwa 2.000 bis 2.400 Jüdinnen und Juden. Viele von ihnen waren während des Ersten Weltkriegs aus Polen eingewandert und wohnten unter elenden Bedingungen in unmittelbarer Nachbarschaft mit nicht-​jüdischen Altonaer:innen an der Grenze zu Hamburg. Der Altonaer Soldatenrat hatte ein dauerndes Bleiberecht für sie erwirkt.10 Im Viertel Altona-​Altstadt, in dem sich der »Altonaer Blutsonntag« abspielte, lebten knapp 70.000 Menschen. Rund 70 Prozent der Altstadt-Bewohner:innen waren Arbeiter:innen, 15 Prozent Angestellte und 15 Prozent Selbstständige und Gewerbetreibende.

Über die sozialen Zustände in Altona-​Altstadt schreibt der Historiker Anthony McElligott, der sich um die Erforschung der Etablierung des Faschismus in Altona verdient gemacht hat:

»Pastor Hansen, Direktor einer Grundschule für Jungen in Altona-​Altstadt, berichtete um 1932, mindestens 400 Schüler seiner Schule seien chronisch unterernährt. 1937 hieß es in Behördenberichten, dass Kinder aus Altona-​Altstadt mangels Kleidung und Schuhen im Winter die Schule versäumten und 337 Grundschüler:innen, zumeist aus Familien ohne Vater, unter dem Existenzminimum in überfüllten inadäquaten Wohnungen lebten. Ein Bericht vom Mai 1934 nannte als Hauptgründe der hohen Kindersterblichkeit: Frühgeburten, Durchfall mit Erbrechen sowie «Lebensschwäche». Rund ein Drittel der Todesfälle bei Patient:innen im Alter zwischen 15 und 45 im Altonaer Krankenhaus an der Allee ging auf Atemwegserkrankungen und Tuberkulose zurück.«11

Mit Kleidergeld, Kinderverschickungen in die Heide und Bildungsprogrammen für Jugendliche versuchten Altonas Behörden und auch private Stiftungen, die schlimmste Not zu lindern. Eine Suppenküche in der Blumenstraße in Altona-​Altstadt gab Anfang der 1930er Jahre hunderte Mahlzeiten täglich aus. Hin und wieder kümmerten sich Altonaer:innen um den verfassungsrechtlich garantierten, für ein »menschenwürdiges Dasein« »notwendigen Unterhalt« auch selbst: sie gingen in größeren Gruppen in Ladengeschäfte und nahmen sich, was sie brauchten. 1932 meldeten Ladeninhaber:innen mehrere »Aufruhrschäden«, wie das damals auf Amtsdeutsch hieß und bei Versicherungsunternehmen geltend gemacht werden konnte.

1932 war rund ein Drittel der Bevölkerung im Deutschen Reich auf irgendeine Form öffentlicher Unterstützung angewiesen; rund 20 Prozent der Erwerbslosen erhielten keine Erwerbslosenunterstützung mehr.12 Aus der Erwerbslosenunterstützung Ausgegliederte mussten von den Kommunen unterstützt werden. Über diese hatte die Reichsregierung unter Brüning 1931, die eine Spar- und Deflationspolitik verfolgte, eine Kreditsperre verhängt.13 Zur Finanzierung der wichtigsten Dinge quetschten die kommunalen Organe den Mittelstand aus.

Sondergerichte

Von 1932 bis Ende 1937 behandelten sechs Gerichtsverfahren die Vorgänge am »Altonaer Blutsonntag«. Über 70 Personen halfen danach beim »gemeinschaftlichen Mord« an den beiden SA-​Männern Heinrich Koch und Peter Büddig.

Das erste »Blutsonntags«-Verfahren mit 15 Angeklagten, vier Todesurteilen und 40 Jahren Zuchthausstrafe dauerte vom Juli 1932 bis Juni 1933. Der zwischenzeitliche Regime-​Wechsel störte nicht weiter, da er ordentlich rechtmäßig und häppchenweise vollzogen wurde – unter anderem durch eine im März 1933 erlassene Verordnung zur reichsweiten Einrichtung von Sondergerichten, die auf einer von der Brüning-​Regierung 1931 erwirkten Option des Reichskanzlers zur Bildung von Sondergerichten basierte und ab August 1932 unter der Papen-​Regierung in Berlin, im Ruhrgebiet, Schlesien und andernorts praktisch bereits umgesetzt worden war.14

Den Angeklagten der späteren Prozesse kam zugute, dass die angeblichen unmittelbaren Mörder, diejenigen mit den Waffen, bereits im ersten Prozess gefunden waren und daran nicht gerüttelt werden durfte. Unter anderem deshalb wurden ihnen »bloß« 275 Jahre Zuchthaus auferlegt, nicht selten gefolgt von KZ oder soldatischem Einsatz als Kanonenfutter.

Erster »Blutsonntags«-Prozess im Gericht Altona, Juni 1933
(Zeitungsausschnitt archiviert beim Stadtteilarchiv Ottensen)

In Sondergerichtsverfahren verfügten Angeklagte über eingeschränkte Verteidigungsmöglichkeiten. Als Richter dienten herkömmliche Richter, ernannt von den jeweiligen Landgerichtspräsidenten – was über die Rechtsauffassungen dieser Leute einigen Aufschluss gibt, denn sie hätten sich ja weigern können.

Doch liegen Sondergerichte in der Konsequenz kapitalistischer Demokratie. Was kann ein bürgerlicher Rechtsstaat anderes machen, als die Verfahren zu effektivieren, wenn ihm wirtschaftlich angestoßene Unruhen über den Kopf wachsen, deren Ursachen er nicht beheben kann?

Insgesamt fällten Sondergerichte während der NS-​Zeit über 15.000 Todesurteile (der »Volksgerichtshof« zum Vergleich: rund 5.200 Todesurteile).

»Nicht ein einziger Richter oder Staatsanwalt der Sondergerichte des Dritten Reiches«, heißt es in einem Tagungsband des Justizministeriums Nordrhein-​Westfalen, »ist wegen noch so grausamer und außer jedem Verhältnis zwischen Strafe und zur Last gelegter Tat verhängten Strafen mit Erfolg zur Verantwortung gezogen worden. Straflos geblieben sind auch die in den annektierten polnischen Gebieten und im Generalgouvernement tätig gewesenen Juristen, obgleich ihre Urteile die Sondergerichtspraxis im sogenannten Altreich an Willkür noch in den Schatten stellen.«15

Um im »Blutsonntags«-Verfahren einen »gemeinschaftlichen Mord« zu konstruieren, musste die Staatsanwaltschaft einige Phantasie aufbringen. Vor dem Gerichtsverfahren hatten Lütgens, Wolff, Möller und Tesch einander kaum bis gar nicht gekannt. Nur Wolff und Möller befanden sich am »Altonaer Blutsonntag« am selben Ort. Der Untersuchungsrichter hatte sie nach einer ersten Verhaftung im Herbst 1932 mangels Beweisen wieder frei gelassen. Tesch und Lütgens gerieten auf je andere Weise in die Akten der Staatsanwaltschaft. Auch bei ihnen hatte es unter herkömmlicher Gerichtsbarkeit nicht für eine Anklage gereicht.

Angesichts einer weitgehend lahm gelegten Verteidigung beim Sondergericht gingen Lütgens, Tesch, Wolff und Möller unterschiedlich mit der Anklage um. Tesch zum Beispiel, der am 17. Juli 1932 eigentlich zu seinen Eltern in den Schrebergarten fahren wollte, bat seine Mutter, Augenzeug:innen ausfindig zu machen – eine vergebliche Mühe, denn das Sondergericht durfte rechtmäßig die Aussagen von Entlastungszeug:innen ignorieren. Lütgens folgte vor dem Sondergericht einer Leninschen Konzeption und versuchte dabei, die anderen drei zu entlasten.16 Für Wolff sagte unter anderen dessen Arbeit»geber«, Schuhmachermeister Drewes, aus:

»Er war ehrlich, fleißig und strebsam. … Während ich im Krankenhaus operiert wurde, hat er mein Geschäft vorbildlich und zu meiner vollen Zufriedenheit geführt. Ich habe den offenen und geraden Charakter dieses jungen Menschen schätzen gelernt … Ich konnte es mir gar nicht vorstellen, als ich von seiner Verhaftung hörte, dass dieser junge Mensch, dessen gerader offener Charakter ich schätzen lernte, sich so vergangen haben soll … Dieses Zeugnis muss ich als ehrlicher Mensch geben. Ich persönlich bin Nationalsozialist, und habe lange Jahre öffentlich für die Bewegung gekämpft.«17

Für Möller sagte ein SA-​Mann aus, der mit der Beobachtung des Bezirks beauftragt worden war:

»Ich kann Möller schildern als Mensch, welcher nie zu Gewalttätigkeit neigte … Möller selbst konnte zu deutsch keiner Fliege an der Wand etwas tun«.18

Hinweise aus der Bevölkerung, ihre Häuser seien nicht für kommunistische Feuerüberfälle benutzt worden, missachtete die bürgerliche Presse ebenso wie das Sondergericht.

Am 24. Mai 1933 erklärte der Prozessvorsitzende:

»Der Vorsitzende macht bekannt: Es laufen beim Altonaer Sondergericht manche Schreiben von Geschäften und Bewohnern, auch von Schulen (Pestalozzischule) ein, in denen behauptet werde, die Zeugenaussagen [über die Präsenz von Fenster- und Dachschützen] stimmen nicht, es wäre aus ihrem Hause nicht geschossen worden, und das Gericht möchte in der Presse einen Widerruf veranlassen. Der Vorsitzende macht auf diesem Wege darauf aufmerksam, dass solche Schreiben zwecklos sind. Zum mindesten muss erst das Urteil abgewartet werden.« 19

Sondergerichts-​Urteile waren nicht revidierbar – in den »Blutsonntags«-Fällen bis 1992 nicht. In diesem Jahr tauchte zufällig ein französischer Résistance-​Kämpfer und Lehrer in Rente, Léon Schirmann, auf. Anhand der Verfahrensakten wies er bis ins kleinste Detail Unstimmigkeiten und Falschdarstellungen nach. Die zuständige Hamburger Justiz musste nachgeben, nachdem sie jahrzehntelang tapfer dem Druck von Betroffenen, Hinterbliebenen und der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) standgehalten hatte.

Anlässlich von Anträgen auf Wiederaufnahme, Tilgung usw. hatte sich die postfaschistische Hamburger Justiz zuvor in mindestens 14 Fällen mit den »Blutsonntags«-Verfahren befassen müssen und nichts Verkehrtes an den ersten Todesurteilen des »Dritten Reiches« gefunden. Dass damit ein zur Abgrenzung des heutigen Justizsystems nützlicher Wesensunterschied zwischen rechtsstaatlicher und NS-​Justiz bestritten wurde, fiel eine biologisch definierte Zeitspanne nicht so sehr ins Gewicht wie die Integrität der Richter und Staatsanwälte, die den Wechsel Demokratie-​Diktatur-​Demokratie unbeschadet zu überstehen hatte.

Polizeiberichte

Wohl die einfachste von Schirmann aufgedeckte Unstimmigkeit betrifft Schusswaffenkugeln: Im Obduktionsbericht von Koch ist ein anderes Kaliber der tödlichen Kugel angegeben als es die angeblich tödliche Kugel hatte, die zum Sachverständigen geschickt wurde und später im Prozess auftauchte. Mit der falschen Kugel wurden zwei der vier Hinrichtungen begründet.

Möglicherweise hatten manche der an den Manipulationen zu Zeiten der Weimarer Republik Beteiligten nicht damit gerechnet, dass ihr Tun ein Jahr später im NS-​Regime zur Abschlachtung der Betroffenen führen könnte. Doch wieso überhaupt die Manipulationen? Machten Kommunist:innen Anfang der 1930er nicht auch ohne sie genügend strafrechtlich verfolgbaren Ärger?

Léon Schirmann stellte für den Zeitraum 1929 bis März 1933 namentliche Listen von politischen Todesopfern in Preußen auf, zu dem Altona damals gehörte. Vor der »NS-​Machtergreifung«, schreibt er, seien die Zahlen der Todesopfer »von Links« und »von Rechts« von »vergleichbarer Größenordnung« gewesen.20 Eine Statistik der Altonaer Polizei sagt dazu Passendes. Überfälle in Altona von Mitte Juli 1932 bis Februar 1933: 66 durch Nazis, 50 durch Kommunisten, 12 durch Sozialisten/​Sozialdemokraten.21

Quelle: Léon Schirmann, Altonaer Blutsonntag 17. Juli 1932 – Dichtungen und Wahrheit, Seite 21

Bei den Schlägereien zwischen Links und Rechts spielte die damalige Kneipenlandschaft eine wichtige Rolle. Kneipen deckten im prädigitalen Zeitalter Funktionen von Homepages, sozialen Medien und Handys ab. Karl Kautsky soll in den 1890er gesagt haben, ohne Kneipen hätte das Proletariat in Deutschland nicht nur kein soziales, sondern auch kein politisches Leben.

Gegen die Überfälle der SA auf linke Kneipen war anders als durch schlagfertige Präsenz nicht anzukommen. Vor allem sozialdemokratische Kneipen fielen einer mangelnden Bereitschaft zu deren physischer Verteidigung zum Opfer und mussten schließen.

Politische Kneipen-​Verteilung in Altona-​Altstadt um 193222

Anlässlich des »Altonaer Blutsonntags« galt es, das Bild einer Ordnung stiftenden Staatsmacht, die den besonders brutalen »Linksextremismus« im Zaum hält, zu wahren und die Erschießung von 15 oder 16 unbeteiligten Altonaer Bürger:innen durch SPD-​geführte Polizeikräfte zu kaschieren.

In den sofort nach den Vorfällen von der Polizeiführung und dem Staatssekretär im preußischen Innenministerium, Wilhelm Abegg, veröffentlichten Berichten wimmelt es von Falschbehauptungen: Die Polizei sei am Altonaer Rathaus mit Gewehren überfallen worden; die Polizei sei noch vor Ankunft des Umzugs durch Kommunisten beschossen worden; es seien nur 150 Polizei-​Schüsse gefallen; Nazis hätten nicht geschossen; ein Straßenbahnwagen sei umgestürzt worden (tatsächlich wurde das von Jugendlichen erfolglos versucht, siehe unten).

Den Kommunist:innen wurde ein bewaffneter Aufstandsversuch untergeschoben, dessen polizeiliche Bekämpfung die unbeteiligten Opfer als unvermeidliche »Kollateralschäden« erscheinen ließ.

Bereits beim »Berliner Blutmai« 1929 hatte die Polizei Hausfrauen beim Einkauf beschossen. Die preußische Polizei hatte es in sich. Sie war die größte und waffenmäßig am besten ausgerüstete Polizei Europas. Mit Beteiligung der SPD wurde sie im bürgerkriegsgeschüttelten Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg hochgerüstet, zumal der Versailler Vertrag der Aufrüstung der Reichswehr enge Grenzen setzte, u.a. eine Heeres-​Maximalstärke von 100.000 Soldaten festlegte.

Ganz aus der Luft gegriffen war der kommunistische Angriff trotzdem nicht. Mindestens einen der beiden SA-​Männer erschoss aller Wahrscheinlichkeit nach eine Schützengruppe der Roten Marine, eine Abteilung des um 1931 rund 100.000 Mann23 starken Rotfrontkämpferbunds (RFB, ab 1929 illegal tätig und dann ergänzt durch den legalen Kampfbund gegen den Faschismus), des paramilitärischen Arms der KPD. Bei dieser Gelegenheit wurden drei weitere Nazis von kommunistischen Schützen verletzt, darunter zwei Männer.

Altona am 17. Juli 1932, rechts ein vom Versailler Vertrag verbotener maschinengewehrbestückter Panzerwagen (Zeitungsausschnitte, archiviert beim Stadtteilarchiv Ottensen)

Häuserkampf

Der am Ort der Erschießung von Koch und Büddig, Ecke Schauenburger/​Große Johannisstraße, eintreffenden Polizei berichteten nicht nur NS-Umzügler:innen, auch Passant:innen, von Häuserschützen.

Die Polizei begann einen in ihrer Ausbildung trainierten und seit dem Hamburger Aufstand 1923 mit 17 getöteten Polizisten traumatisch besetzten Häuserkampf gegen nicht (mehr) vorhandene Gegner. Ihre in den Häuserschluchten widerhallenden Schüsse erschienen den Polizisten als gegnerische Schüsse, der Staub aufwirbelnde Einschlag ihrer Geschosse in den Häuserwänden als gegnerische Mündungsfeuer.

Die meisten Todesopfer, 12 oder 13, schreibt Schirmann einer aus 18 Mann bestehenden Hamburger Polizeieinheit zu. Deren Anführer, Polizeioberleutnant Franz Kosa, hatte sich nach dem Hamburger Aufstand 1923 durch Gefangenenmisshandlung verdient gemacht und war dafür trotz offizieller Untersuchung der Vorfälle mit der Führung einer Polizeieinheit belohnt worden. Später, in der NS-​Zeit, spielte Kosa eine führende Rolle bei Massenverhaftungen und Razzien.

Wie hoch der Anteil nationalsozialistisch gesinnter Polizeibeamter in Hamburg um 1932 war, ist unbekannt. Bei der Altonaer Polizei befanden sich Nazis in deutlicher Minderheit. Der Anteil von sozialdemokratischen Polizeibeamten wird auf 60 bis 70 Prozent geschätzt.24

Orte, an denen die 16 Altonaer:innen von Kugeln getroffen wurden

Beispielhaft eine polizeiliche Aussage vor Gericht betreffend die Erschießung von Erna Sommer hinter einem geschlossenen Fenster durch drei Schüsse, Große Marienstr. 7:

»In der Marienstraße sahen Polizeibeamte eine Frau Zeichen aus dem Fenster herausgeben, offenbar um Schützen zu dirigieren. Auch ein Warnschuss hinderte sie nicht an dem verdächtigen Gebaren. Sie wurde daraufhin mit Karabinerschuss zum Schweigen gebracht. Es war die erschossene Erna Sommer«.25

Erna Sommer (19, Beruf: »Dienstmädchen«), wohnte mit 2‑jährigem Kind bei den Eltern. Sie hatte jemandem im gegenüberliegenden Haus zugewinkt. Der hatte ihr wegen des polizeilichen Beschusses sofort zugerufen, das Fenster zu schließen – was sie auch tat. Erna Sommer wurde mit ihrem 2‑jährigen Kind im Arm beschossen und so auch sterbend aufgefunden.

Unter den Opfern befand sich ein pensionierter Polizeibeamter, Emil Fühler (72). Er überquerte gerade eine Straße, die ihm ruhig genug dazu schien.

In der Nähe erwischte es eine der NS-​Bewegung nahestehende Hausfrau, Helene Winkler (44), die mit einer Freundin spazieren ging und vor einem heranstürmenden Polizeitrupp geflüchtet war.

Ein weiteres Opfer war Franz Kalinowski (48, Arbeiter), erschossen als Teil einer Gruppe neugieriger Anwohner:innen. Eigentlich wollte er seinen kleinen Sohn hereinholen.

Zeugin: »Ich sah … drei Polizeibeamte … Zwei von ihnen knieten, der dritte stand. Plötzlich rief Frau Fylipp: ›Die halten ihre Karabiner hier herunter‹ und in diesem Augenblick liefen wir auch schon …«.26

Ein ordentliches Denkmal für die Opfer des »Altonaer Blutsonntags« scheint niemand zu vermissen. Sie waren ja auch nicht Teil einer »großen Sache« wie die beiden SA-​Männer oder die vier am 1. August 1933 Hingerichteten aus der Antifa-​Szene oder die 21 Pastoren mit ihrem »Altonaer Bekenntnis« vom 11. Januar 1933, das dazu aufrief, die Unabhängigkeit »der Kirche« zu wahren und demütig die Unbilden des Kapitalismus zu ertragen.27

Altonaer Anwohner:innen vor dem Beerdigungsinstitut mit Schleifen für die Opfer des »Blutsonntags«
(Quelle: Stadtteilarchiv Ottensen)

Ablauf

Umzugsroute durch Altona-Altstadt.
Die dicke gestrichelte Linie rechts zeigt die Grenze zu Hamburg an. Blau eingezeichnet: Polizeidienststellen.

Der Ablauf des Umzugs im einzelnen:28

A, B

Ab 12:30 Uhr beginnt die Sammlung der Umzugsteilnehmenden. Sie treffen mit Sonderzügen und Lastwagen aus ganz Preußen ein. Der eigentliche Umzug wird um 15:00 Uhr beginnen. An der Spitze des Zugs werden SS-​Leute marschieren, gefolgt von der SA-​Marine und einer Musikkapelle und am Ende von den beiden Altonaer Stürmen 1 und 2.

C

Um ca. 13:30 Uhr sammeln sich Gegendemonstrant:innen in der Breiten Straße, die nach Polizeiangaben »mühelos durch Revierbeamte zerstreut« werden.

D

Um ca. 16:15 Uhr rufen in der Grünen Straße rund 25 Leute dem vorbeiziehenden Zug »Nazi verrecke« und »Rotfront« zu. Die Altonaer SA-​Stürme 1 und 2 prügeln daraufhin auf Menschen ein, die sie für Gegendemonstrierende halten. Letztere flüchten in die Mühlenstraße. Vor dieser SA-​Prügelaktion waren wahrscheinlich schon Flaschen vom und zum Umzug geworfen worden, u.a. aus einem Haus. Die Polizei regelt die Lage durch »Schreckschüsse«. Die beiden SA-​Stürme gliedern sich wieder in den Umzug ein.

E

Rund 150 m weiter, Ecke Kirchen-​/​Papagoyenstraße, wird der Umzug vielleicht aus Häusern beworfen oder ein Nazi gibt einen Provokations-​Schuss ab (die Angaben hierüber sind widersprüchlich). In den und aus dem Umzug wird daraufhin geschossen. Die Altonaer SA-​Stürme »säubern« die Straße. Minuten später regelt die Polizei die Lage. Die Altonaer SA-​Stürme gliedern sich wieder in den Umzug ein.

F

In der Breiten Straße nahe der Grenze zu Hamburg haben sich Gegendemonstrierende versammelt und rufen dem vorbeiziehenden Umzug »Rotfront«-Parolen zu. Sie werden von der Polizei abgedrängt, so dass der Umzug vorbeimarschieren kann.

G

Um ca. 16:30 werden in der Bachstraße ein 16-​Jähriger vom 1. Altonaer SA-​Sturm und eventuell weitere SA-​Leute durch die Hamburger Polizei verhaftet, nachdem sie zwei Zuschauer verletzten. Möglicherweise wurde geschossen, wahrscheinlich mindestens die SA-​Pistolen gezogen.

H

Ecke Große Bergstraße/​Große Johannisstr.: vor dem KPD-​Parteibüro kommt es zu einer Schlägerei mit rund 10 Kommunisten. Berittene Polizei regelt die Lage.

I

Kurz vor 17:00 werden Koch und Büddig Ecke Große Johannis-​/​Schauenburgerstr. erschossen. Zwei weitere SA-​Männer und ein NS-​Mädchen werden angeschossen. Um ca. 17:00 treffen berittene Polizisten ein, danach auch Bereitschaftspolizei. Passant:innen und SA-​Leute berichten der Polizei von Schüssen aus Häusern. Nun kommt es zum Häuserkampf der Polizei gegen nicht vorhandene Gegner.

Der erste Teil des NS-​Umzugs merkt von all dem wenig bis nichts und führt den Umzug wie geplant bis zu Ende durch. Der Umzugsteil, der auf Koch und Büddig folgt, wird von der Polizei in die Große Bergstraße umgeleitet.

J

Gegen 17:08 Uhr bauen Jugendliche mit Kohlenwagen eine Barrikade über die Kleine Freiheit und halten damit die Straßenbahn an. Alle Fahrgäste müssen aussteigen. Die Scheiben der Straßenbahn werden eingeschlagen. Als die Polizei eintrifft, laufen die jungen Leute weg. Die Barrikade wird geräumt. Bald darauf ist wieder eine Barrikade da. Diesmal fahren Polizisten in der Straßenbahn mit. Die jungen Leue laufen weg. Die Barrikade wird geräumt. Um 19:06 Uhr steht wieder eine Barrikade da. Die Straßenbahn muss anhalten und die Fahrgäste werden zum Aussteigen gezwungen. Einige Demonstrant:innen versuchen erfolglos, die Bahn umzuwerfen. Ein Panzerwagen der Polizei trifft ein.

Irgendwann zwischenzeitlich verbinden Arbeitersamariter:innen einen SA-​Mann in der kommunistischen Kneipe Schauenburgerstr. 12.

Am Ende des Tages sind zwei SA-​Leute und 16 Unbeteiligte tot oder liegen im Sterben; Unzählige weitere sind verletzt, darunter drei Polizisten; 91 Personen sind festgenommen, davon vier aus Altona.

Taktik

In den 1980ern berichtete ein Rotfrontkämpfer gegenüber NDR-​Journalisten über den »Altonaer Blutsonntag«:

»Wir haben der SA an diesem Sonntag mit unseren Feuergruppen in den Hinterhöfen aufgelauert … und deshalb waren alle die F‑Gruppen hier in diesen Nebenstraßen und dann sollte er konzentriert beschossen werden. Hier sollte es anfangen, dann wären hunderte gefallen von SA und SS. Die rote Marine lag nun hier in diesem kurzen Stück, und der Altonaer Verband, der lag hier an der Großen Marienstraße. Und als hier die SA, da war hier die breite Masse, da wurde ja alles hingelenkt; da kam der Jugendverband, rote Gewerkschaftsorganisationen, KPD und wie es alles damals hieß. Die waren hier und die haben dann die Internationale gesungen, und dann kam es da zu Schlägereien, weil die SA und SS mit einem Mal mit den Koppeln losschlugen, und darauf haben die dann geknallt.«29

Die KPD rief »das klassenbewusste Proletariat« Altonas mit Verweis auf einen SA-​Überfall in Eckernförde zum »Massenselbstschutz« gegen die »braune Mordpest« auf. Am Sonntag, den 10. Juli 1932 hatte die SA bei einem Überfall auf das Gewerkschaftshaus in Eckernförde zwei Arbeiter getötet. Insgesamt starben im Reich an diesem Sonntag 11 Menschen, so dass der »Altonaer Blutsonntag« auch »Zweiter Blutsonntag« genannt wurde.30

Ein offensiver Angriff auf die bewaffnete SA/​SS durch den RFB in einem dicht bevölkerten Arbeiter:innenstadtteil bedeutete praktisch Lebensgefährdung der Arbeiter:innen. Dass bei Beschießung des Umzugs zurückgeschossen würde, war klar. Die RFB-​Feuergruppen hätten dabei auf wegen ihrer Uniformen leicht identifizierbare Nazis geschossen, die Nazis aber beim Zurückschießen wahrscheinlich alle möglichen Leute getroffen, die nach »Gegnern« aussahen. Einmal mehr wäre der Beleg erbracht, dass Nazis böse sind.

Ob in dieser Richtung etwas geplant war oder die Taktik einfach undurchdacht, ist unklar. Falls der RFB die SA/​SS konzentriert beschießen wollte, könnte er das Vorhaben aufgrund der unübersichtlichen Situation, den Tumulten mit Gegendemonstrant:innen, nur ansatzweise durchgeführt und dann aufgegeben haben.

Dem Aufruf zum »Massenselbstschutz« wurde Folge geleistet: Während des »NS-​Werbemarsches« hielten sich in einem Hinterhof in der Nähe der Erschießung von Koch und Büddig und wohl noch in anderen Hinterhöfen Mitglieder der Antifaschistischen Aktion auf, darunter Wolff und Möller. Sie hatten Latten als Schlagwaffen bereit gestellt, mit denen sie bei Schusswechseln allerdings nichts anfangen konnten. Sobald geschossen wurde, flüchteten sie in eine Wohnung.

In den Tagen zuvor hatten lokale Repräsentant:innen der Antifaschistischen Aktion erfolglos versucht, beim Polizeipräsidium ein Verbot des »NS-​Werbemarsches« zu erwirken.

Der Antifaschistischen Aktion, im Mai 1932 von der KPD initiiert, gehörten in Altona um die 2.400 Mitglieder an: rund 70 Prozent parteilos, 20 Prozent KPD, 10 Prozent SPD/​SAP31 (darunter die Schwester des Altonaer Bügermeisters Max Brauer32). SPD-​Publikationen verbreiteten Warnungen vor dieser Organisation. Sie sei ein ideologischer Trick der KPD. Diese Deutung entspricht internen Dokumenten der KPD.

In einem Rundtelefonat des Zentralkomitees der KPD wurde am 26. Mai 1932 zum Beispiel mitgeteilt:

»… Die ›Antifaschistische Aktion‹ bedeutet keine auch noch so geringfügige Abschwächung des Kampfes gegen den Sozialfaschismus …«33

Ein Rundschreiben des Sekretariats des Zentralkomitees der KPD vom 4. Juni 1932 präzisierte:

»Gegenüber den böswilligen Verleumdungen des Klassenfeindes über eine angebliche Wendung prinzipieller Art in unserer Strategie und Taktik müssen wir bei jedem Kommunisten Klarheit darüber schaffen, dass uns die Linie unserer Klassenpolitik dazu verpflichtet, vor allem die Sozialdemokratie zu isolieren, ihr die Arbeiter abzunehmen, weil das die wichtigste Voraussetzung für den Sieg über die Bourgeoisie, über den Hauptfeind ist.

Diese strategische Orientierung des Hauptstoßes in der Arbeiterklasse gegen die Sozialdemokratie bedeutet jedoch keineswegs, dass wir in unserer Agitation und Propaganda plump und schematisch die Entlarvung der SPD allen anderen Fragen voranstellen.«34

Außer sozialdemokratische Arbeiter:innen sollten auch Nazis von ihrer Führung getrennt werden. Das ging in einem Flugblatt der KPD vom Juni/​Juli 1932 so:
»Proleten der SA- und SS-​Stürme. Die Kommune spricht zu Euch!

Dr. Goebbels.
Ein Musterexemplar eines arischen Herrenmenschen. Vom Institut für Rassenforschung als Bastard einer judenähnlichen Rasse bezeichnet, einer der größten Judenfresser und selber Ehemann einer reichen, umgetauften Jüdin, ist einer der größten Betrüger. … Rot Front!«35

Laut SPD am 13. Juli 1932 war die »wahre Einheitsfront der Werktätigen« die Eiserne Front. »Kommunistische Gruppen« seien ebenso willkommen wie »christliche Arbeiter«.36

Die Eiserne Front war ein Zusammenschluss des Arbeiter-​Turn- und Sportbunds (ATSB), des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbunds (ADGB), der SPD und des Reichsbanners. Ihr Aufruf zum 17. Juli 1932 lautete:

»Lasst Euch nicht provozieren! Zeigt Eure Verachtung! … Haltet Euch von der Straße fern! Lasst die Gesellschaft unter sich! Schließt die Fenster! Haltet Disziplin! Lasst Euch nicht provozieren!«37

Gab es etwas Zweckmäßigeres zu tun?

Gegendemonstrationen bei Nazi-​Umzügen können im Prinzip zwei Reaktionen auslösen. Entweder hauen die Nazis die Gegendemonstrierenden zusammen oder Schlimmeres, wobei die Gegendemonstrierenden die notorischen Verlierer:innen sind, einfach weil die zum brutalen Dreinschlagen erforderlichen psychischen Qualitäten statistisch bei Nazis häufiger anzutreffen sind als bei Antifaschist:innen. Oder die Nazis hauen die Gegendemonstrierenden nicht zusammen. Dafür gäbe es im Prinzip zwei Gründe: entweder hauen die Nazis nicht, weil sie es so wollen, oder sie hauen nicht, weil der Staatsapparat sie genügend einschüchtert. Diese Art Gegendemonstrationen demonstrieren damit entweder die Hilflosigkeit der Antifa oder die Diszipliniertheit von Nazis oder den Nutzen der Staatsmacht.

Im Allgemeinen setzen Gegendemonstrationen dieser Art damals wie heute eine die Nazis ausreichend einschüchternde Staatsmacht voraus. Der ideologische Effekt: Nazis und Gegendemonstrierende erscheinen als einander entsprechende Pole, die Staatsmacht als vernünftige Mitte und Ruhestifterin. Gegendemonstrationen bei Nazi-​Umzügen, wie sie am »Altonaer Blutsonntag« stattfanden, explizieren die Extremismusdoktrin und lenken ab von der faschistischen Gefahr, die aus der Mitte kommt.

Doch gibt es auch andere Arten von Gegendemonstrationen. Eine gewissermaßen potenzielle Art der Gegendemonstration führten am »Altonaer Blutsonntag« Jugendliche, mehrheitlich Mädchen38, am Rande des Geschehens in der Kleinen Freiheit mit ihren Straßenbahnaktionen vor (siehe Tabelle oben, J). Anstatt gegen ein gesellschaftliches Extrem wendeten sie sich – weshalb auch immer – gegen eine gesellschaftliche Normalität als »Feind«. Ein Kommunist, so berichtete ein Augenzeuge der Polizei, überzeugte die Jugendlichen, den Angriff auf die Straßenbahn einzustellen. Für sechs Beteiligte kam der Rat zu spät: sie wurden für die Aktion mit Zuchthaus bestraft.

Eine andere Art Gegendemonstration fand bei einem SA-​Umzug in Harburg-​Wilhelmsburg statt, ein 1937 zusammen mit Altona an Hamburg angeschlossenes Arbeiter:innen-Wohngebiet, das an den Hamburger Hafen grenzt. Über eine Konstruktion aus Bändern ließen Antifaschist:innen von den Dächern umliegender Häuser Flugblätter auf den SA-​Zug regnen.

Gemeinsam ist den beiden Aktionen, dass sie keine Parallelisierung mit Nazis ermöglichen. Der Apparat, der den Faschismus praktisch durchsetzt, die Polizei, kann daher nicht als Mitte zwischen Extremen erscheinen.

Reichsbanner

Bis heute wird das Reichsbanner als mögliches Unterstützungselement im Widerstand gegen den Nationalsozialismus genannt. Diese paramilitärische, unter Mitwirkung von Polizeioffizieren organisierte Bündnisorganisation von SPD und bürgerlichen Parteien, in der auch Abegg Mitglied war, verfügte über paramilitärische »Schutzformationen« (»Schufos«) mit rund 250.000 Mann.

Anfang Juni 1932 hatte der preußische Innenminister Carl Severing (SPD) erklärt: »Seid gewiss, in der Stunde der Gefahr werde ich das Reichsbanner zur Hilfspolizei erklären und bewaffnen.« Aber was hätte das bedeutet?

Karl Retzlaw, Kommissar für Polizeiwesen in der Münchener Räterepublik, bis 1924 Organisator des illegalen Apparates der KPD unter Mitwirkung von Offizieren der Roten Armee, dann abgesägt, weil er die Bildung des Rotfrontkämpferbunds wegen der damit verbundenen Förderung militaristischen Denkens ablehnte, berichtet:

»Bei einem Reichsbanneraufmarsch in Breslau sagte das Vorstandsmitglied Polizeioberst Lange unter anderem: ›Wenn das Vaterland uns ruft so werden wir da sein und wenn wir einig sind, dann werden wir die nächste Marneschlacht nicht verlieren. Mit den Kommunisten werden wir fertig. Ein paar Hundertschaften unserer Schupo genügen, um diesem Spuk ein Ende zu machen.‹ Als später der General Schleicher Reichswehrminister unter der Bezeichnung ›Wehrsport‹ die militärische Vorbereitung der Jugend einführte, beteiligte sich das Reichsbanner gemeinsam mit den rechtsstehenden Wehrverbänden daran.«39

Mit Kurt Schleicher, dem späteren Reichskanzler, der seit Juni 1932 in der Regierung Papen als Reichswehrminister fungierte und das Verbot der Aufnahme von Nazis in die Reichswehr aufhob, stand SA-​Chef Ernst Röhm auf gutem Fuß. Im April 1932 trat Röhm in Verhandlungen mit dem Reichsbanner ein, um eine antibolschewistische Einheitsfront zu organisieren.

»Wehrsport« förderte auch das SPD-​geführte Preußen. Über das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Volkswohlfahrt beteiligte sich die preußische Regierung unter dem Deckmantel des Sports und anderen Deckmänteln an der heimlichen Finanzierung der Wiederaufrüstung, da diese ja Arbeitsplätze schuf.40 Schon die SPD-​geführte Regierung Hermann Müller (28. Juni 1928 bis 27. März 1930) hatte unter Umgehung des Reichstags die Geheimfinanzierung der Reichswehr reorganisiert. Im preußischen Grenzschutz spielte die SA seit 1930 eine bedeutende Rolle.

Reichsbanner-​Aufmarsch 1928
Dem Reichsbanner gehörten rund 1 Million Mitglieder an, davon waren 250.000 Männer in Form von »Schutzstaffeln« organisiert (Schufos). In Hamburg zählten ranghohe Polizeibeamte zu den Führungskräften des Reichsbanners. (Bildquelle: Wikimedia)

KPD

Was konnte die KPD unter derartigen Bedingungen tun?

Zunächst ging es ihr darum, die sozialdemokratisch orientierten Arbeiter:innen von ihrer Führung in den Gewerkschaften und der SPD loszueisen. Diesen Zweck verfolgte das Konzept der antifaschistischen Einheitsfront »von unten«, die Hass-​Propaganda in den KPD-​Organen gegen SPD-​Autoritäten und – man war konsequent – ein am 14. Juli 1932 vom Sekretariat des Zentralkommitees ausgesandtes Rundschreiben, das »Verhandlungen von Unterbezirksleitungen der KPD mit Unterbezirksleitungen der SPD, des Reichsbanners usw.« für »absolut unzulässig« erklärte.41 Drei Wochen zuvor hatte die SPD Harburg-​Wilhelmsburg der KPD Harburg-​Wilhelmsburg eine gemeinsame Mitgliederversammlung angeboten. Beide Unterbezirksleitungen wurden zurückgepfiffen.42 Die Beziehungen schienen dennoch gut geblieben zu sein. Ein Zeitzeuge erzählte mir, der Harburger Polizeichef (SPD) habe Kommunist:innen in Wilhelmsburg vor einer Razzia gewarnt, woraufhin die Betreffenden untertauchen konnten – bis auf einen, der die Warnung nicht ernst genug nahm und verhaftet wurde.

Zum Ende der Weimarer Republik befand sich die KPD trotz der Wahlerfolge nicht gerade in einer Offensivposition. Zwischen 1929 und 1932 rief sie 6 Mal den Generalstreik aus. Kaum jemand bis niemand folgte.43 In den Großbetrieben verfügte die KPD nur noch über geringen Rückhalt, seit sie sich mit ihrer Revolutionären Gewerkschafts-​Opposition (RGO) ausgeknockt hatte. Die Betriebsrats- und anderen Funktionsposten in den »sozialfaschistischen« Gewerkschaften gingen weitgehend verloren.

Ende 1931 bestand die Mitgliederschaft der KPD nur zu 21 Prozent aus Betriebsarbeiter:innen, die wenigsten davon arbeiteten in Großbetrieben. 78 Prozent der KPD-​Mitglieder waren erwerbslos (April 1932: 85 Prozent Erwerbslose). Entsprechend verlagerte sich das Tätigkeitsfeld der KPD aus den Betrieben heraus in die Wohnviertel, was die plietsche KPD-​Führung durch eine Anweisung ausglich, dass sich die Genoss:innen in Betriebs- anstatt in Wohnortszellen zu organisieren hatten. Die Fluktuation der Mitgliedschaft war außerordentlich hoch. 1930 kamen auf 143.000 Eintritte 95.000 Austritte. Auf Delegierten-​Versammlungen befanden sich diejenigen, die länger als 3 Jahre in der KPD waren, in der Minderheit.44

Mieterstreik September 1932 in Berlin
Die Fahnenkomposition deutet den Zustand des Proletariats an.
(Bildquelle: Wikimedia)

Auch dem Rotfrontkämpferbund (RFB) ging es nicht gut: Im Verlauf des Jahres 1932 halbierte sich die Mitgliederzahl im Altonaer RFB bzw. Kampfbund gegen den Faschismus von rund 870 auf 450. 45

Wechsel zwischen KPD/​RFB und NSDAP/​SA in beide Richtungen waren so wenig ungewöhnlich, dass der Simplicissimus, eine damals bekannte Satirezeitschrift, Witze darüber riss.

Simplicissimus vom 21. August 1932

Angesichts der phasenweisen Zusammenarbeit der KPD mit Nazi-​Organisationen, der Darstellung der Nazis als Büttel »jüdischen Kapitals« und nationalistischer Phrasen in der KPD-​Presse; der Deklarierung des Brüning-​Regimes als »faschistisch« u.a.m. wurden für manche Arbeiter:innen manche Unterscheidungen schwer nachvollziehbar.

Trotzdem: In der KPD und ihrer Jugendorganisation, dem Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD) sammelten sich Menschen, die eine Welt anstrebten, in der die Herrschaft des Menschen über den Menschen aufgehoben sein würde, und die für Diskussionen darüber, wie das zu erreichen wäre, offen waren. Das Reichsinnenministerium machte sich 1932 berechtigte Sorgen:

»Im ganzen Reich gehen die praktischen Einheitsfrontaktionen weiter. SPD-​Betriebsräte erscheinen als Delegierte … in kommunistischen Versammlungen … Gemeinsame Sargwachen und Beteiligungen bei Beerdigungen sind … die Regel, ebenso wie bei oder nach nationalsozialistischen Aufmärschen regelmäßig wirklich überparteiliche Demonstrationen veranstaltet werden. Sozialdemokraten erscheinen bei den vielerorts veranstalteten antifaschistischen Kongressen der KPD, wenn auch nicht in der von der KPD erhofften Zahl; Gewerkschaftsfunktionäre erklären, dass man die … Bruderhand der KPD nicht zurückweisen dürfe, und äußern Kritik an der Politik von SPD und ADGB.«46

Die wenigen Zeugnisse, die von den vier in Altona Hingerichteten übermittelt sind, deuten die Spannbreite der KPD-​Basis an.

August Lütgens, KPD-​Mitglied der ersten Stunde und politischer Leiter des RFB Altona, hatte an den Matrosen-​Aufständen 1917/​18 teilgenommen, war in die Sowjetunion geflüchtet und nach einer Amnestie nach Deutschland zurückgekehrt. An seine Kinder in der Sowjetunion schrieb er:

»Liebe Kinder!
… wenn Ihr größer seid, und die Weltgeschichte studiert habt, dann werdet Ihr begreifen, was Euer Papa war, warum er kämpfte und starb, auch werdet Ihr begreifen, warum Euer Papa so und nicht anders handeln konnte, nun lebt wohl und werdet Kämpfer. …«

Die aus Deutschland stammende Familie von Lütgens wurde nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion nach Kazakhstan deportiert, wobei die Tochter (16) sterbend in Moskau zurückblieb. Lütgens Frau, wie August Lütgens eine überzeugte Kommunistin, starb in Kazakhstan. Der Sohn (19) versuchte zu flüchten und ist nach seiner Verhaftung verschollen.47

Bruno Tesch, wegen einer von der Reichsregierung verfügten Streichung von Erwerbslosenunterstützung für 15 Mark wöchentlich im »Freiwilligen Arbeitsdienst« malochend48, war aus dem Sozialistischen Jugendverband aufgrund der SPD-​Rüstungspolitik ausgetreten und 1931 in den KJVD eingetreten. In sein Gefängnis-​Tagebuch schrieb er:

»… In dem Sturm 2 [der Altonaer SA] sind vielleicht 10 bis 15 S.A. Leute meine Arbeitskollegen, mit denen ich mich sehr gut stand, gewesen und gerade auf diese Leute sollte ich geschossen haben!«49

»… wenn ich auch Kommunist bin, wenn es einen Gott gibt, der allwissend ist, wie kann er eine solche Ungerechtigkeit zulassen? Ich kann eigentlich, da ich erst ein Jahr in der Bewegung bin, noch kein wirklicher Kommunist sein. In einer so kurzen Zeit kann man nicht so eine Lehre annehmen, das heißt, vollkommen verstehen. Ich galt bei meinen Genossen als gut theoretisch geschult. Ich denke mir, das kam dadurch, weil sie noch weniger wussten.«50

Fußnoten

1 Walter Möller hatte den Behörden gegenüber angegeben, kein Mitglied des Kommunistischen Jugendverbands (KJVD) zu sein. Für eine Falschangabe könnte es Gründe gegeben haben, obgleich die anderen Angeklagten aus ihren Mitgliedschaften in nicht-​verbotenen kommunistischen Organisationen wie dem KJVD kein Geheimnis machten. Praktisch war eine Geheimhaltung dieser Mitgliedschaften sowieso kaum möglich, da die Beziehungen zwischen Stadtmenschen zur damaligen Zeit weit weniger anonym waren als heute und da Entlastungszeug:innen teilweise aus denselben Organisationen stammten. Möllers Vater gab eventuell gegenüber dem Hamburger Komitee ehemaliger politischer Gefangener an, sein Sohn sei Mitglied des KJVD gewesen. Dieses Komitee, 1945 gegründet, bestimmte, wer als politisch Verfolgte:r anerkannt wurde und daher gewisse Kompensationsrechte genoss.

2 Fotos archiviert beim Stadtteilarchiv Ottensen. Das Foto von Tesch original, die anderen Kopien aus einem Druckerzeugnis (ohne Angabe, aus welchem).

3 Fotos und teilweise auch Infos aus Metapedia.

4 Lebendiges Museum Online. Stand des Zitats: Dezember 2012. Im Juli 2023 lautet der Text: »Am 17. Juli 1932 kam es im preußischen Altona bei Hamburg zu einer Schießerei zwischen Kommunisten, Nationalsozialisten und der Polizei, an deren Ende 18 Tote zu beklagen waren.[…] Kommunisten versuchten die von ihnen als Provokation empfundene Demonstration durch Altona zu verhindern. Nachdem Schüsse gefallen waren, eröffnete die Polizei das Feuer. Von den 18 Toten waren die meisten unbeteiligte Zivilisten, die durch Polizeikugeln getötet wurden.«

5 Metapedia (Stand: Dezember 2012). Im Juli 2023 im Wesentlichen gleich.

6 Laut Schirmann: Altonaer Blutsonntag 17. Juli 1932 – Dichtungen und Wahrheit(Ergebnisse Verlag Hamburg 1994, ISBN 3 – 87916-​018‑X, S. 48) wurden wahrscheinlich sämtliche der 16 unbewaffneten Opfer von Polizisten getötet. Doch laut einer 1932 veröffentlichten Broschüre der Roten Hilfe, die am 18. Juli 1932 eine überparteiliche Untersuchungskommission eingesetzt hatte, wurde eines der 16 Opfer, Ernst Kerbel (57, Anstreicher), von einem Nazi erschossen. Die Broschüre »Die Wahrheit über Altona – Tatsachenschilderungen von Augenzeugen und Verwundeten« liegt bei der Gedenkstätte Ernst Thälmann und in Kopie beim Stadtteilarchiv Ottensen. Soweit überprüfbar, stimmen die Aussagen darin mit den Aussagen in den Polizeiakten überein.

7 Schirmann: Altonaer Blutsonntag 17. Juli 1932 – Dichtungen und Wahrheit. Ergebnisse Verlag Hamburg 1994, ISBN 3 – 87916-​018‑X, S. 48

8 Schirmann: Altonaer Blutsonntag, a.a.O., S. 102, 111

9 Schirmann: Altonaer Blutsonntag, a.a.O., S. 104

10 Ulla Hinnenberg: Die Kehille – Geschichte und Geschichten der Altonaer jüdischen Gemeinde. Hrg. Stadtteilarchiv Ottensen 1996, S. 238

11 McElligott: Contested City, a.a.O., S. 62ff

12 Andrea Wagner: Die Entwicklung des Lebensstandards in Deutschland zwischen 1920 und 1960. Oldenbourg Akademieverlag 2008, S. 26

13 Gerold Ambrosius: Öffentliche Aufgabenerfüllung in Zeiten von Haushaltsnotlagen: die historische Perspektive. ZögU 34. Jg. 3/​2011
Die Reparationen aus dem Versailler Vertrag mussten in Devisen gezahlt werden. Abwertungen der Reichsmark hätten die Devisen verteuert und die für ausländische Kredite zu zahlenden Zinsen erhöht. Ab Frühjahr 1931 hatten ausländische Privatgläubiger:innen immer mehr kurzfristige Kredite aus Deutschland abgezogen, so dass die deutsche Regierung im Sommer 1931 zahlungsunfähig wurde. Um das Geld der Privatgläubiger:innen zu retten, wurden im Sommer 1932 die deutschen Reparationsverpflichtungen gegen (faktisch nicht zu begleichende) Schuldverschreibungen in Höhe von 3 Mio. Goldmark aufgehoben. (Vrgl. Wikipedia)

14 Ralph Angermund: Deutsche Richterschaft 1919 – 1945. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/​M. 1996, S. 137f

15 Helmut Kramer: Richter vor Gericht: Die juristische Aufarbeitung der Sondergerichtsbarkeit. In: Helia-​Verena Daubach, Justizministerium NRW (Hg.): »… eifrigster Diener und Schützer des Rechts, des nationalsozialistischen Rechts …«. Nationalsozialistische Sondergerichtsbarkeit. Ein Tagungsband. Düsseldorf 2007, S. 121 – 172. Schriftenreihe Juristische Zeitgeschichte Band 15, S. 123

16 Die Leninsche Konzeption sowie eine Kurzdarstellung der juristischen Arbeit der Roten Hilfe in der Weimarer Republik wird in einem Artikel der Zeitschrift Die Rote Hilfe 1/​2010 von Nick Brauns beschrieben: Gerichte als Tribünen des Klassenkampfes – Die Rote Hilfe Deutschlands und ihre Anwälte zwischen Rechtshilfe, Selbstverteidigung und Massenverteidigung. Im Zusammenhang mit dem »Altonaer Blutsonntag« bot die Rote Hilfe parteilosen, kommunistischen und sozialdemokratischen Betroffenen unabhängig von deren Mitgliedschaft bei der Roten Hilfe Unterstützung an.

17 Aus dem Gnadengesuch. Zit.n. Léon Schirmann: Justizmanipulationen – Der Altonaer Blutsonntag und die Altonaer bzw. Hamburger Justiz 1932 – 1994. Verlag Typographica Mitte Berlin 1995, ISBN 3 – 929390-​11 – 6, S. 89. (Mindestens ein Exemplar des Buches liegt beim Stadtteilarchiv Ottensen.)

18 Schirmann: Justizmanipulationen, a.a.O., S. 82

19 Léon Schirmann: Altonaer Blutsonntag 17. Juli 1932 – Dichtungen und Wahrheit. Ergebnisse Verlag Hamburg 1994, ISBN 3 – 87916-​018‑X, S. 91. (Mindestens ein Exemplar des Buches liegt beim Stadtteilarchiv Ottensen.)

20 Schirmann: Justizmanipulationen, a.a.O., S. 275, Anm. 746

21 Antony McElligott: Contested City – Municipal Politics and the Rise of Nazism in Altona, 1917 – 1937. University of Michigan 1998 (verfasst 1955)

22 Nach McElligott: Contested City, a.a.O., S. 187. Zur Bedeutung der Kneipen siehe auch Ralf Hoffrogge: Vom Schnaps zum Bier – Eine Richtungsentscheidung in der deutschen Arbeiterbewegung, ak 555, 19.11.2010, S. 3

23 Frauen wurden 1925 aus dem RFB als kampfungeeignet rausgeschmissen und in eine separate Organisation überführt.

24 McElligott: Contested City, a.a.O., S. 190

25 Zit. n. Schirmann: Altonaer Blutsonntag, a.a.O, S. 55

26 Verfahrensakten beim Staatsarchiv Schleswig-​Holstein. Scans der Akten liegen beim Stadtteilarchiv Ottensen.

27 »Am 26. April [1933] erklärten alle 21 Pastoren, die das Altonaer Bekenntnis unterschrieben hatten: ›Wir hoffen, dass die lutherischen Kirchen in Deutschland bald in einer umfassenden lutherischen Kirche deutscher Nation zusammengefasst werden. Frei von aller Demokratie muss jetzt vom Worte Gottes und den lutherischen Bekenntnissen her die deutsche Nation ihre Kirche bauen, die den Weg zu den Herzen der Deutschen findet und vor den Vätern der Reformation bestehen kann.’« (Klaus Jürgensen: Die Pastoren von Altona – vor 50 Jahren. In: Reinhold Günther et​.al.: Das Altonaer Bekenntnis – Text und Theologie, Zeitgeschichte und Zeugen. Evangelischer Presseverband Nord e.V. Kiel 1983, S. 25f)

28 Schirmann: Altonaer Blutsonntag, a.a.O., S. 102ff

29 Heinrich Breloer, Horst Königstein: Blutgeld – Materialien zu einer deutschen Geschichte. Rometh Verlag, Köln 1982

30 Ein Polizeibericht meldete, dass »die Kommunisten bei sich bietender Gelegenheit versuchen wollten, Rache für Eckernförde zu nehmen«. Später, am 16. Juli, ging bei der politischen Polizei Hamburg die Nachricht ein, dass »besonders die Hamburger Kommunisten etwas gegen den Umzug [am 17. Juli] unternehmen würden« (Abegg-​Bericht, zit.n. Breloer: Blutgeld, a.a.O., S. 21ff)

31 McElligott: Contested City, a.a.O., S. 170

32 Schirmann: Altonaer Blutsonntag, a.a.O., S. 29

33 Vollständiges Dokument in: Angelika Voß, Ursula Büttner, Hermann Weber: Vom Hamburger Aufstand zur politischen Isolierung – Kommunistische Politik 1923 – 1933 in Hamburg und im Deutschen Reich.Landeszentrale für politische Bildung Hamburg 1983, S. 235ff

34 Vollständiges Dokument in Voß: Vom Hamburger Aufstand zur politischen Isolierung, a.a.O., S. 239ff

35 Vollständiges Dokument in Voß: Vom Hamburger Aufstand zur politischen Isolierung, a.a.O., S. 152f

36 Zeitungsausschnitt beim Stadtteilarchiv Ottensen

37 Hamburger Echo 16. Juli 1932

38 Erfahren ließ sich die Beteiligung von Mädchen erst beim Lesen der Zeug:innenaussagen in den Originalakten. Aus Darstellungen in Büchern ergeben sich weibliche Beteiligungen an gemischten militanten Aktionen meistens nicht. Dies aufgrund der Verwendung von angeblich beide Geschlechter umfassenden, generischen Bezeichnungsformen, die den Rezipient:innen kontextspezifisch unbewusst als männlich erscheinen. So sind auch schon die Frauen aus den »Bauernkriegen« verschwunden und werden womöglich in 50 Jahren Frauen aus gegenwärtigen militanten Widerstandsaktionen verschwinden.

39 Karl Retzlaw: Spartakus – Aufstieg und Niedergang. Erinnerungen eines Parteiarbeiters. Verlag Neue Kritik, Frankfurt a. M. 1971

40 Rüdiger Bergien von Oldenbourg: Die bellizistische Republik: Wehrkonsens und »Wehrhaftmachung« in Deutschland 1918 – 1933. Wissenschaftsverlag 2012.
Bei der Gelegenheit ein weniger beachteter Höhepunkt der Hamburger Lokalgeschichte aus Weimarer Zeit: Arbeitsplätze entstanden unter anderem im Hamburger Unternehmen Stoltzenberg, das 1928 aus Versehen 10 Hamburger:innen umbrachte und 300 weitere krank machte. Man hatte Eisenbahnwaggons mit dem Kampfstoff Phosgen herumstehen lassen. Zuvor hatte Stoltzenberg mit dem Segen der Weimarer und Preußischen Regierungen die Regierung Spaniens im Kampf gegen den Journalisten und Richter Mohammed Abd el-​Krim unterstützt, der in Nordmarokko eine eigenständige Republik der dort ansässigen Berber:innen nach europäischem Muster gründen wollte. Als Zugabe zu einer Giftgasfabrik, gebaut ab 1922 mit Beteiligung von Siemens und Rheinmetall, lieferte Stoltzenberg an Spanien eine »Verseuchungsstrategie« zur Dezimierung der marokkanischen Bevölkerung. Die Weimarer Regierung schickte 1924 deutsche Offiziere zum Sammeln von Giftgas-​Erfahrungen ins Kriegsgebiet. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem das Unternehmen nicht passiv gewesen war, belieferte Stoltzenberg die Bundeswehr und danach, nur mit Tränengas, die deutsche Polizei. 1979 brachte Stoltzenberg aus Versehen ein Hamburger Kind um und verletzte zwei weitere. Chemikalien hatten auf ungenügend gesichertem Betriebsgelände herumgelegen, und die Kinder damit Experimente gemacht. Was Behörden und Militärexperten nach diesem Vorfall ungesichert auf dem Hamburger Betiebsgelände fanden, hätte wohl die Bevölkerung der Stadt ausrotten können. Kosten zur Entsorgung der Gifte wurden vergesellschaftet, ein Hamburger Senator (SPD) verlor seinen Sessel.

41 Hermann Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus – Die Stalinisierung der KPD in der Weimarer Republik. Europäische Verlagsanstalt 1969, S. 241

42 Klaus-​Dieter Brügmann, Margarete Dreibrodt, Hans-​Joachim Meyer, Otto Nehring: die anderen – Widerstand und Verfolgung in Harburg und Wilhelmsburg, Zeugnisse und Berichte 1933 – 1945. VVN Selbstverlag 1980, S. 27. (Dass auch die KPD zurückgepfiffen wurde, steht dort nicht.)

43 Ossip K. Flechtheim: Die KPD in der Weimarer Republik. Europäische Verlagsanstalt 1976, S. 273

44 Weber: Die Wandlung des deutschen Kommunismus, a.a.O., S. 243

45 McElligott: Contested City, a.a.O., S. 169

46 Lagebericht 16. Juli 1932

47 Schirmann: Justizmanipulationen, a.a.O., S. 74

48 Helmut Heins u.a.: Bruno Tesch und Gefährten – Erinnerungen an den »Altonaer Blutsonntag«. VVN Selbstverlag 1983, S. 17

49 Breloer: Blutgeld, a.a.O., S. 58

50 Breloer: Blutgeld, a.a.O., S. 64

Bild: Altonaer Anwohner:innen vor dem Beerdigungsinstitut mit Schleifen für die Opfer des »Blutsonntags« (Quelle: Stadtteilarchiv Ottensen)

3 thoughts on “»Altonaer Blutsonntag« 17. Juli 1932

  1. Manches spricht dafür, dass Koch und Büdding von Antifas erschossen wurden, aber bewiesen ist das nicht. Auch: Polizeikugeln als Todesursache sprechen zwar für Polizisten als Täter, doch weiß man nicht mit Sicherheit, in welchen Händen sich eine Polizeiwaffe befand. Nicht zuletzt beim »Hamburger Aufstand« 1923 könnten Polizeiwaffen »abhanden« gekommen sein. Spekulieren diesbezüglich lohnt aber wohl weniger als etwas über die konkreten Möglichkeiten zu lernen, die damals bestanden.

  2. Hm, interessante Autorin, die Frau Neunert. Wird jedenfalls verständlich, warum einzelne MagMa-​Schreiber gegen die Krisentheorie Rosa Luxemburgs polemisieren. – Solange, wie die Polemik auf demselben »transklassistischen« oder – um einen antiquierten Ausdruck zu verwenden – sozialpartnerschaftlichen Boden steht wie Frau Neunert – bleibt sie aber müßige Abendunterhaltung. 

    Immerhin machte Rosa Luxemburg weder den gewerkschaftlichen Ökonomismus noch den Revisionismus der SPD mit und konnte es so vermeiden, politisch allzuviel falsch zu machen, als es darauf ankam. Und es wäre ihr wohl auch kaum eingefallen, den Klassenbegriff aus ihrem Vokabular zu verbannen. Frau Neunert hingegen redet sehr gern »neutral« von »Wirtschaftsteilnehmern« und zitiert Marx/​Engels in dem Sinn, dass deren Aufassung, dass die Arbeiterklasse die Klasse sei, die »sich selbst aufhebe«, vollständig im Rahmen der kapitalistischen Entwicklung, ohne revolutionären Bruch, als möglich und wirklich zu verstehen sei. – Diesen Dreh hat sie übrigens nicht selbst erfunden…

    https://​gewerkschaftslinke​.hamburg/​c​a​t​e​g​o​r​y​/​g​r​u​n​d​s​a​t​z​a​r​t​i​k​el/

    Es wäre tatsächlich hilfreich gewesen, hätte Frau Neunert den wirklich gravierenden und lang nachwirkenden Fehler Rosa Luxemburgs und ihrer Genossen einmal erwähnt, der auch die kleine Hamburger Episode der Klassenkämpfe zu Beginn der Dreißiger Jahre nicht unbeeinflusst gelassen haben dürfte, die sie sich herausgesucht hat. Es war der zu lange hinausgezögerte Bruch der Spartakusgruppe mit der Sozialdemokratie.

    Überhaupt fehlt bei Frau Neunert die systematische historische Einordnung des Ereignisses; es bleibt bei ihr bloße Annekdote – dekoriert mit allerhand Zitaten aus der Sekundärliteratur, die nur dem Markieren von »Bescheidwissen« dienen.

    Was aber die »Einheitsfront«-Linie der Komintern war, wie sie begründet wurde, wie sie auch kritisiert wurde erfährt der Leser nicht; seltsamerweise auch nichts von der heftig umstrittenen »Sozialfaschismus«-These. Was erwähnt sie dann noch überhaupt, dass eine »Einheitsfront von Unten« angestrebt worden sei, ein Konzept das ohne die vorhergehenden Debatten in der kommunistischen Bewegung unverständlich bleibt?

    Aber schon klar: Der Frau Neunert geht es nicht ums wirkliche Begreifen einer historischen Situation. Sie hat eine fertige Meinung, wie antifaschistische Praxis ausszusehen habe und verwendet den Altonaer Blutsonntag als abschreckendes Beispiel für all das, was sie nicht mag.

    Dankenswerterweise schreibt sie das, worum es ihr geht, schon bereits relativ am Anfang ihres Textes hin:

    „Im praktischen Widerstand gegen den Faschismus ist es wichtig, wie sich gerade auch in der Corona-​Zeit gezeigt hat, mit den Unübersichtlichkeiten klar zu kommen, die sich daraus ergeben, dass moralische, politische, psychische, ökonomische Gräben in der Gesellschaft und zwischen den Menschen keinen Großgraben zwischen »Gut« und »Böse« bilden. Zur Entwicklung einer brauchbaren antifaschistischen Taktik gilt es, Gründe und Verläufe der Gräben möglichst klar zu erfassen und herauszufinden, welche sozioökonomischen Energien sich an welchen Punkten bündeln und in welche Richtungen gehen.“

    Nun gut, es sollte ersichtlich sein, dass, wo es darum gehen soll „ möglichst klar zu erfassen und herauszufinden, welche sozioökonomischen Energien sich an welchen Punkten bündeln und in welche Richtungen gehen“ es nicht mehr um Klassenkampf geht, sondern um eine sehr trübe Form sozialdemokratischer Esoterik, die den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen will („mit der Unübersichtlichkeit klarkommen…)
    Es wurde mithin schon während der Hartz-​IV-​Proteste sehr schnell deutlich, dass Aktivistinnen, die wie Frau Neunert reden, selbst die Bäume „übersehen“, vor die sie die Leute rennen lassen. Irgendwie scheinen sie ja gut damit „klarzukommen“. Jenseits von „Gut und Böse“…

  3. Zusatz

    Es ist möglicherweise ganz nützlich, die heutigen Debatten innerhalb der gewerkschaftsorientierten Restlinken und der „marxistische-​leninistisch“ ausgerichteten Zirkel, die sich in der Corona-​Dissidenz zusammengepfercht befinden, einmal im Vergleich mit denen aus der Zeit nach der Einführung der Hartz-​IV-​Regelungen anzusehen.

    Mit einem Mal hatte ein sozialer Riss die gesamte Milieulinke durchzogen. Schnell versuchten diejenigen, die kurz vorher ihre Quotenproleten aus WGs und sozialen Zusammenhängen hinausgeschmissen hatten, mit spektakulären Kampagnen (Mag Wompel et al) ihre ehemaligen „Freundinnen und Freunde“ als sozialpädagogisches Clientel neu zu organisieren und das Geschehene zu vertuschen. Das gelang nicht vollständig. Sowohl in der Jugendantifa als auch in der 35+Linken spaltete sich ein gewisser Teil ab, der nicht mehr integrierbar war – ungefäht so wie die Anti-​Lockdown-​Linke heute. 

    In Berlin erhielten anti-​imperialistische Antifa-​Gangs Zulauf, die sich nicht selten Prügeleien mit den Postautonomen und Anti-​nationalen lieferten; alte K‑Gruppen (z.B. MLPD) erstarkten und setzten die elitären Zirkel der Boutique-​Kommunist_​innen in helles Entsetzen; neue K‑Gruppen entstanden und entschwanden, nicht, ohne wie Sternschnuppen geleuchtet zu haben.

    Die Reste der West-​APO sahen sich wachsendem sozialen Druck ausgesetzt und flüchteten sich in die WASG, die wirtschaftliches Asyl in der PDS suchte und schließlich fand. Das Rattenrennen der übrigen resultierte zum einen in einem neuen Organisationsprojekt, das sich Neue Antikapitalistische Organisation (NAO) nannte und zum anderen in eine stark fluktuierende Claque am Rande der Gewerkschaften, aus der verschiedene gewerkschaftslinke Gruppen und vor allem die Interventionistische Linke (IL) sich heraussuchten, was ihnen noch brauchbar erschien.

    Anzunehmen, dass sich hier einige erinnern (wenn auch ungern) an den sogenannten NAO-Prozeß:

    http://​www​.trend​.infopartisan​.net/​g​e​s​c​h​i​c​h​t​e​/​N​A​O​/​N​A​O​.​h​tml

    Die anderen werden ja ihre noch heute gepflegten Info-​Seiten kennen: Labournet, Chefduzen usw.

    Dennoch zwei zeitlich weit auseinanderliegende Texte der Mag Wompel:

    https://​archiv​.labournet​.de/​d​i​s​k​u​s​s​i​o​n​/​a​r​b​e​i​t​/​a​k​t​i​o​n​e​n​/​p​r​o​t​e​s​t​w​o​m​p​e​l​.​h​tml

    https://​www​.prager​-fruehling​-magazin​.de/​d​e​/​a​r​t​i​c​l​e​/​1​4​2​2​.​n​i​c​h​t​s​-​n​e​u​e​s​-​i​n​-​d​e​r​-​n​e​u​e​n​-​k​l​a​s​s​e​n​p​o​l​i​t​i​k​.​h​tml

    Im Vergleich zu damals erscheint der Kreis des Personals natürlich um einiges geschrumpft. Etwas näher sind inzwischen verfemten Teile des Attac-​Personals herangekommen, es macht sich in dieser Hinsicht eine habituelle Kluft bemerkbar…

    Warum an dieser Stelle an »Hartz IV« erinnern? – Vielleicht ist es ratsam, angesichts der verzerrenden Rückprojektion gegenwärtiger Spannungen in der linken Corona-​Dissidenz auf eine Situation in ferner Vergangenheit, wie sie Frau Neunert vorzunehmen scheint, einmal auf eine zeitlich näher liegende hinzuweisen, die möglicherweise etwas mehr mit einer „Ur-​Szene“ zu tun hat, um das, was uns Rest-​Linke wirklich trennt oder verbindet, kenntlich und unmaskiert hervortreten zu lassen. 

    Zumindest einiges und nur für einige, es gibt noch mehr und andere – aber das würde den gegebenen Rahmen sprengen…;)

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