Ins gemachte Nest der Zivilisation scheißen. Für Elfriede Jelinek

Vorbemerkung: Dieser Text ist eine Replik auf Jelineks »Kein Einer und kein Andrer mehr«.

Seit langer Zeit hat die sogenannte Linksintellektuelle das Wort ergriffen; sie sieht sich das Recht zuerkannt, als Herrin über Wahrheit und Gerechtigkeit zu sprechen. Man vernimmt sie als Repräsentantin des Universellen, oder sie gibt vor, sich als solche Gehör zu verschaffen. Manche von uns glauben, daß man hierbei wieder auf eine von der Aufklärung, von einer fad gewordenen Aufklärung transponierte Idee stößt: Genauso wie der Weiße aus der Zwangsläufigkeit seiner Stellung in der Geschichte heraus Träger des Universellen ist (allerdings unmittelbarer, unreflektierter, sich seiner selbst nur wenig bewußter Träger), will die Intellektuelle durch ihre moralische, theoretische und politische Standortwahl Träger dieser Universalität sein, aber in bewußter und durchdachter Weise. Die Intellektuelle wäre somit die helle, individuelle Gestalt einer Universalität, die öffentliche Meinung dessen trübe, kollektive Form. Eine Intellektuelle sein, heißt ein wenig das Gewissen aller sein. Die im Schlaf oder im Traum der Vernunft emergierte Wirklichkeit produziert für die Intellektuelle unaufhörlich den Boden unter ihren Füßen, ein gemachtes Nest feinerer Herkunft – so definieren sich die »christlichen Nationen Europas als die Schöpfer und Träger einer Ordnung, die für die ganze Erde galt« (Carl Schmitt) – den unhintergehbaren Ausgangspunkt ihres Schreibens. Ein unbeschmutzbares Nest. Als Zentralpunkt im Koordinatensystem »Reich der Vernunft« erschallt von hier aus die tönende Stimme universaler Allgemeinheit über den Erdball, die Staatlichkeit, Zivilisation und Universalism proklamiert. Dann gehts Schlag auf Schlag: Universalism in Zivil, das seine Marke von der Polizei herzeigt und Urheberrecht auf die Humanität beansprucht. Dann Heirat der Intellektuellen mit dem Staat als einziger würdiger Träger der Universalität. Dann Plenum der glücklichen Vermählten. Beschluss: Untergang des Morgendlandes, moralischer Bankrott des Islam. Sofortige Verhaftung und Ausweisung jeglicher Nomaden, verkrachten Existenzen und aller Störer aus der Weltgemeinschaft mit lebenslangem Zivilisationsverbot. Ab jetzt einstimmiges Identisch‐​mit‐​sich‐​selbst‐​sein bis ans Ende der Zeit. Vorsitz Elfriede Jelinek.

Man erkennt leicht, was Jelinek dabei gewinnt: ein Gewicht, das sie an sich nie haben würde, ein Zentrum, durch das es so aussieht, als würden alle Dinge, auch der Staat, nur aufgrund der ihrigen Wirksamkeit und durch ihre Anerkennung existieren. Aber der Staat gewinnt dabei ebensosehr. Indem sie sich auf diese Weise in Jelineks Denken entwickelt, gewinnt die Staats‐​Form etwas Wesentliches: einen vollen Konsens. Nur Jelineks Schreiben kann die Fiktion eines legitimen Universal‐​Staates erfinden und den Staat zur rechtmäßigen Universalität erheben. Es ist, als ob der Souverän allein auf der Welt wäre, die ganze Ökumene umfassen würde und nichts mehr mit seinen tatsächlichen oder potentiellen Untertanen zu tun hätte. Es ist nicht mehr die Rede von mächtigen Organisationen außerhalb seiner selbst oder fremden Banden: der Staat wird zum einzigen Prinzip, das die rebellischen Untertanen, die auf den Naturzustand zurückgeworfen werden, von den zustimmenden Untertanen trennt, die sich freiwillig an seine Form anpassen. Wenn es für Jelinek vorteilhaft ist, sich auf den Staat zu stützen, ist es für den Staat nicht weniger vorteilhaft, sich in Jelineks Text zu entfalten und von ihm die Anerkennung als einzige, universale Form zu erhalten. Die besondere Gestalt der einzelnen Staaten ist, ebenso wie ihre eventuelle Pervertierung oder Unvollkommenheit, nur noch eine bloße Tatsache. Denn der moderne Staat wird zu recht als »vernünftige und begründete Organisation einer Gemeinschaft« definiert: die Gemeinschaft hat nur noch eine innere oder moralische Besonderheit (Volksgeist), während ihre Organisation sie zugleich nach der Harmonie mit dem Universellen (absoluter Geist) streben läßt. Der Staat verleiht dem Denken eine Form von Interiorität, und das Denken verleiht dieser Interiorität eine Form von Universalität: »Das Ziel der weltweiten Organisation ist die Befriedigung vernünftiger Individuen innerhalb einzelner, freier Staaten.« Aber wie wir dann sehen werden, haben manche dieses Glück nicht oder sie haben sich dieses Glück halt verspielt, damals 1982 bei Levinas und jetzt direkt nochmal bei Jelinek: Jetzt ist es amtlich, wenn der gute, nämliche verbindliche Geist der herrschenden Verhältnisse Bescheid gibt. Wer so gesichtlos die Sitten des weltweiten Deutschlands nicht respektieren möchte, wird umgehend abgeschoben. Fragt sich nur wohin.

Übersetzt aus dem Französischen. Original in: Revue Culturelle Camerounaise

Bild: Graffito »Stop Nato War Maschine«, Ort unbekannt

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