Deutscher Oktober 1923: Rückblick auf die Debatte zur gescheiterten Revolution

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Vor 100 Jahren, im Oktober 1923, geschah in Deutschland etwas nicht, das, wäre es geschehen, die Geschichte fundamental verändert hätte: kein Nationalsozialismus, kein Zweiter Weltkrieg, keine Ermordung europäischer Jüdinnen und Juden.

Weshalb es nicht geschah, wurde in der Folgezeit intensiv diskutiert. Das Präsidium des Exekutivkomitees (E.K.) der Kommunistischen Internationale gab im Januar 1924 eine Broschüre mit Diskussionsbeiträgen heraus, die bei einem Treffen in Moskau eingebracht wurden und von denen dreieinhalb unten vorgestellt werden – obschon und weil aus ihnen wenig wirklich Brauchbares herausgekommen zu sein scheint … so wie die Weltlage heute ist.

Die Diskussionsbeiträge von vor gut 99 Jahren sind insofern eine Aufgabe für hier und heute, dich und mich und uns. Um sie besser zu verstehen, könnte ein Text von Erich Wollenberg, ein KPD-​Funktionär, der 1923 dabei war, hilfreich sein: Der Hamburger Aufstand und die Thälmann-​Legende, geschrieben 1964. Nützlich könnte auch eine kleine Broschüre von August Thalheimer sein, der 1923 Mitglied der KPD-​Zentrale war (ein Zentralkomitee hatte die KPD noch nicht): 1923: Eine verpasste Revolution?, veröffentlicht 1931.

Aber nun zu den Diskussionsbeiträgen:

Referat des Vertreters des E.K. in Deutschland [Karl Radek]

Ich will zuerst ein paar Worte über formelle Dinge sagen. Die Delegation des [Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale] E.K.K.I. [, die aus der Sowjetunion nach Deutschland geschickt wurde, um der KPD unter die Arme zu greifen,] bestand aus vier Genossen. Sie hat während der ganzen Zeit die Arbeit in absoluter Übereinstimmung geführt. Der Teil meines Referates also, der sich nicht auf die Beurteilung der Vergangenheit bezieht, sondern auf die Darstellung der Arbeit, der Differenzen in bezug auf die Berliner Organisation [der KPD], basiert auf dem gemeinsamen Bericht, den wir alle eine Woche vor unserer Wegfahrt an das Z.K. [(Zentralkomitee der russischen Kommunistischen Partei)] sandten, der uns alle drei also bindet; meine persönliche Auffassung, über die ich mit einem Genossen nicht sprechen konnte, die ich mit den zwei anderen Genossen aber durchgesprochen habe, betrifft also nur die Beurteilung der Gründe des Zusammenbruches und so weiter.

Mein Bericht wird in zwei Teile zerfallen. Der erste Teil soll eine Darstellung der Arbeit der Delegation, der Tatsachen und wichstigsten Dokumente dieser Arbeit bilden. Der zweite Teil des Berichtes bezieht sich schon auf das Zurück und Vorwärts, soll der Versuch sein, die große Niederlage der [deutschen Kommunistischen] Partei, ihren Sinn zu verstehen und diesen hier darzustellen, wie Arwid [, einer der Deligierten,] und ich ihn sehen.

Ich beginne mit dem ersten Teil. Die Delegation nahm nicht an der Fassung des entscheidenden Beschlusses der Partei teil, des Beschlusses, der auf der Chemnitzer Konferenz [sächsischer Betriebsräte am 21. Oktober 1923] fiel, da sie abwesend war.

Was hat die Delegation vorgefunden? Die Zerschlagung des Kriegsplans, wie er von der Exekutive angenommen worden [war]. Der Aufmarschplan der Partei, wie er hier in den September- und Oktoberberatungen festgestellt [(beschlossen)] wurde, ging von folgendem Grundgedanken aus: das Proletariat marschiert auf in Sachsen, aus der Verteidigung der Arbeiterregierung heraus, in die wir eintreten; und es wird in Sachsen versuchen, die Staatsgewalt auszunutzen, um sich zu bewaffnen, um in diesem engmaschigen proletarischen Bezirk Mitteldeutschlands einen Wall zu bilden zwischen der Südkonterrevolution in Bayern und dem Nordfaschismus. Gleichzeitig wird die Partei im ganzen Reiche eingreifen, die Massen mobilisieren.

Dieser Plan misslang aus folgendem Grunde. Erstens, als unsere Genossen in die Regierung eintraten, waren sie nicht in der Lage, die Bewaffnung des Proletariats durchzuführen. Die Partei hatte in Sachsen, wie wir informiert wurden, 800 Gewehre. In Chemnitz auf der Konferenz zeigte sich der zweite Teil des Plans zerschlagen, nämlich der gemeinsame Aufmarsch der sozialdemokratischen und kommunistischen Arbeitermassen. Der Antrag auf Proklamierung des Generalstreiks und des bewaffneten Aufstandes in Chemnitz wurde angesichts des Widerstandes der linken S.D. [(Sozialdemokraten)] gar nicht gestellt. Unsere Partei hat sich zurückgezogen, indem sie diesen Rückzug mit der Formel deckte: Einsetzung eines Aktionskomitees, das beschließen soll, was weiter zu tun ist. Die Zentrale entschied sich, jedem Kampfe auszuweichen, aus der Anschauung heraus, dass die Einheitsfront des Proletariats in diesem Kampfe nicht mehr aufzustellen sei, dass es unmöglich sei, sie aufzustellen, und dass in dieser Situation bei den geteilten Kräften des Proletariats und dem Zustand der technischen Vorbereitung der Aufstand unmöglich sei.

Zu dieser Situation hatte ich Stellung zu nehmen. In dem Gespräch mit den Genossen habe ich die Tatsache gutgeheißen, dass sie, nachdem sie nicht imstande waren, die Einheitsfront mit den sozialdemokratischen Arbeitern aufzustellen, von dem Plan des Aufstandes in Sachsen abgesehen haben. Ich forderte jedoch zur gleichen Zeit von den Genossen, den Streik zu proklamieren. Ich begründete das damit, dass wir, wenn wir auch noch nicht stark genug sind, um allein als Kommunistische Partei den Aufstand gegen die Faschisten durchzuführen, doch stark genug sind, um uns zu wehren und nicht kampflos die Position zu räumen. Alle dort anwesenden Genossen haben diesen Standpunkt abgelehnt. Sie haben erklärt: Es besteht keine Möglichkeit, in diesen Kampf einzutreten, denn wenn wir den Streik proklamieren, so haben wir den bewaffneten Aufstand. Will man nicht den Aufstand, so muss man auf den Streik verzichten.

Am nächsten Tag, als die Zentrale sich in Berlin versammelte, kam die Nachricht über Hamburg. Es fand eine neue Sitzung der Zentrale statt, in der zwei Anträge vorlagen. Der eine — von Genossin Ruth Fischer — ging darauf hinaus, für Donnerstag den Massenstreik in Berlin zu proklamieren, mit dem Ziel, dass er in 2, 3 Tagen in den bewaffneten Aufstand übergehen sollte. Gleichzeitig sollten Kiel und andere Städte in Bewegung gesetzt werden. Der zweite Antrag lautete, darauf zu verzichten. Mein Antrag ging weiter auf dieselbe Sache: Streik ohne bewaffneten Kampf.

(Gen. Fischer: Nein, nein!)

Streik ohne bewaffneten Aufstand. Dieser Antrag wurde wieder von allen Teilen, von Gen. Fischer, von Hans Pfeiffer, von all den Genossen abgelehnt mit derselben Begründung: Streik ist Aufstand. Wollt ihr keinen Aufstand, dann ist der Streik unmöglich.

Nach dieser ersten praktischen Entscheidung begannen an jedem Tage neue Diskussionen. Bei jeder praktischen Frage wieder: Was machen wir weiter? Um einen momentanen Stillstand der Diskussion in der Zentrale herbeizuführen, schlug die Delegation am 26. der 7er-​Kommission folgende Resolution vor:

Die 7er-​Kommission beschließt:

  1. Die sozialen und politischen Gegensätze spitzen sich mit jedem Tage zusehends zu. Jeder Tag kann große entscheidende Kämpfe der Revolution und Konterrevolution bringen.

  2. Die Vorhut der Arbeiterklasse (die Kommunisten und ein Teil der sozialdemokratischen Arbeiter) drängt zur Aufnahme des Kampfes; aber das Gros der Arbeiter ist trotz seiner großen Erbitterung und Not noch nicht bereit zu kämpfen.

  3. Darum müssen die Reserven des Proletariats durch eine entschlossene Agitation an die Vorhut herangezogen werden. Die Schichten des Proletariats, die besonders für den Kampf in Betracht kommen (Metallarbeiter, Bergarbeiter, Eisenbahner, landwirtschaftliche Arbeiter und Beamte) müssen durch besondere Arbeit der Partei ergriffen werden. Die technische Vorbereitungsarbeit muss mit aller Kraft betrieben werden. Zur Einigung des Proletariats für den Kampf ist sofort in Verhandlung mit der Sozialdemokratie zentral und lokal zu treten, um entweder die Sozialdemokraten zum Kampfe zu zwingen oder die sozialdemokratischen Arbeiter von den verräterischen Führern loszulösen.

  4. Angesichts dieses Zustandes ist es notwendig, dass die Partei solange als möglich die Genossen von dem bewaffneten Kampfe zurückhält, um Zeit für die Vorbereitungen zu gewinnen. Sollten jedoch große spontane Kämpfe der Arbeiterklasse ausbrechen, so wird sie die Partei mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln unterstützen. Die Partei hat auch die Schläge der Konterrevolution zu parieren durch die Mittel des Massenkampfes (Demonstrationen, politische Streiks). Es ist bei diesen Kämpfen möglichst der Waffenkampf zu vermeiden.

  5. Gegen das Ultimatum [des Reichskanzlers] Stresemanns [an die sächsische SPD/​KPD-​Regierung, zurückzutreten und ohne KPD eine neue Regierung zu bilden sowie die Proletarischen Hundertschaften aufzulösen,] hat die Partei im ganzen Reiche zum Proteststreik aufzurufen, bei dem dem bewaffneten Kampfe aus dem Wege zu gehen ist. Falls die Sozialdemokratische Partei in Sachsen den Kampf gegen das Ultimatum Stresemanns nicht aufnimmt, haben unsere Genossen mit der sächsischen Regierung zu brechen und zum Kampf gegen sie überzugehen.

  6. Alle Mitglieder der Zentrale haben die Beschlüsse der Partei durchzuführen. Die Zentrale wird eine neue Arbeitseinteilung unter ihren Mitgliedern vornehmen.

Dieser Beschluss wurde einstimmig angenommen. Genossin Ruth Fischer stimmte für diesen Beschluss. Das war also 5 Tage nach der sachsischen ersten Niederlage, nach der Chemnitzer Konferenz.

Dann kam die zweite sächsische Phase, nämlich das Ultimatum Stresemann usw. Die Delegation schlug der Zentrale den Beschluss auf Streik vor. Bevor noch dieser Beschluss gefasst wurde, schrieb ich einen Brief an die Genossen Böttcher [(Finanzminister in Sachsen)] und Hecken [(Wirtschaftsminister in Sachsen)], die von Sachsen gekommen waren und nicht auf die Beschlüsse warten konnten. In diesem Brief teilte ich ihnen als meinen Standpunkt mit (ich werde den Brief evtl. später vorlegen): Sie müssen alles tun, um nicht kampflos die Position zu räumen, Streik; weiter die Mitteilung, dass ich diesen Vorschlag in der Zentrale mache und dass sie, Böttcher und Hecken, falls die Zentrale anders beschließe, eine Nachricht bekommen würden. Die Zentrale hat so beschlossen. Der Streik wurde nur teilweise durchgeführt.

Später kam die thüringische Geschichte. Obwohl dazwischen eine große Zeitspanne liegt, will ich hier schon zusammenfassen. Wir haben wieder den Streik beschlossen, die thüringischen Genossen haben ihn nicht durchführen können.

Genossen, wir sahen die Aufgabe der Delegation der Komintern [(Kommunistischen Internationale)] und der Zentrale in folgendem. Dass wir eine große Niederlage – eine vielleicht für längere Zeit entscheidende Niederlage – davongetragen haben, war klar. Es drohte die große Gefahr der Panik, der größten Enttäuschung, in der Masse. Eine Niederlage an und für sich war nicht so gefährlich wie diese Tatsache. Aus diesem Grunde stellten wir uns die Aufgabe: die zurückflutende Masse zum Stehen zu bringen, die K.P.D. wieder zum Konzentrationspunkt der kämpfenden Masse zu machen und den Kampf wieder aufzunehmen

Als der Zentralausschuss zusammenkam, war es uns noch nicht klar, um welche Punkte wir die Masse sammeln, auf welchem Boden wir sie in der Aktion sammeln würden; den Hebel der Aktion hatten wir noch nicht in den Fingern. Darum ist der betreffende Passus in den von uns vorgeschlagenen Thesen des Zentralausschusses noch nicht konkret genug. Aber mehr als man weiß kann man nicht geben. Auf welchem Boden den Kampf führen, das wussten wir noch nicht, und kein anderer Vorschlag wurde gemacht. Nach ein paar Tagen war es uns klar, um was es sich handelt, dass die erste Aufgabe der Partei darin besteht, sich nicht von der Oberfläche wegblasen zu lassen: also, da wir weder Presse noch Versammlungsfreiheit hatten — Straßendemonstrationen. Sie müssen wissen, dass die größte Schwierigkeit der Arbeit der Vertreter der Exekutive darin bestand, dass sie keinen direkten Kontakt mit der Arbeitermasse selbst hatten, dass sie aus dem Zeitungsmaterial und aus den Gesprächen mit irgendwelchen 10 Genossen sich die Brocken der Wirklichkeit zu sammeln hatten, die praktische Linie herausbilden mussten — ich werden Ihnen eine solche komische Tatsache mitteilen — , dass für mich mit ausschlagegebend in der Beurteilung dessen, was zu machen war, das Bild der Stadt war, das ich auf Streifzügen durch die Stadt bekam, nämlich die Sammlung der Arbeitslosen vor den Läden, ein paar Gespräche über das, was sie dachten, die man auffschnappte. Das wird das Bild jeder Tätigkeit delegierter Genossen sein, die nicht imstande sind, in den Massen zu wirken. Es fehlen uns immer die von unten kommenden Impulse wir kriegen sie erst durch das Sieb der Stimmungen und Auffassungen der einzelnen Genossen.

Nun, diese Linie, die wir vorschlugen: Demonstrationen, Arbeitslosendemonstrationen in die Hand nehmen, Unterstützung jedes Streiks. — Der Streik der Buchdrucker zeigte sich sogleich als eine sehr große Angelegenheit, der erste Widerstand gegen die Seecktsche Diktatur [(von Reichskanzler Ebert am 26. September1923 ausgerufener militärischer Ausnahmezustand mit Machtübergabe an Reichswehrgeneral Seeckt)]. — Die Organisation der Hundertschaften nicht als eine von der Partei abgesonderte Sache, sondern die Verteidigung der Demonstrationen durch sie. Diese Linie des aktiven Kampfes war es, auf der wir die Partei zu sammeln suchten. Wie wurde diese Linie akzeptiert? Im allgemeinen war die ganze Zentrale, was die Arbeitslosendemonstrationen usw. anbetrifft, einig. In der Auffassung der Frage der Verteidigung der Demonstrationen war die Mehrheit der Zentrale einig. Wo es sich um die Durchführung handelte, trafen wir auf den größten Widerstand der Vertreterin der Berliner in der Zentrale, die auf dem Standpunkt stand, die Erbitterung in der Parteimasse und die Enttäuschung sei so groß, dass die Genossen nicht imstande wären, die Massen für die Demonstrationen zu gewinnen. Der zweite Standpunkt war: wir werden es tun, aber das erfordert eine lange Vorberreitungsarbeit. Genossen, ich hielt diese Auffassung der Genossin Fischer für eine rein persönliche Auffassung. Ich habe mich davon überzeugt — ich werde sagen, in welcher Weise — ; dass diese Auffassung der Stimmung breiter Kreise kommunistischer Arbeiter in Berlin entsprach. Ich sage das, was ich feststellen konnte. Wie es in der Provinz war, konnte ich nicht sagen. Einige meiner Freunde stellten durch Gespräche mit kommunistischen Arbeitern fest, dass Genossen, gute kommunistische Arbeiter, die lange in der Partei waren und für den bewaffneten Widerstand sind, erklärten: wir wurden schon genug auf Demonstrationen geprügelt, es hat keinen Sinn, sie zu machen; entweder bewaffneter Aufstand oder man muss einstweilen abwarten. Auf die Frage, warum nicht jetzt bewaffneten Aufstand?, sagten sie: Wir haben zu wenig Waffen, und auf die Frage: Wie wollt ihr sie kriegen?, kam die Antwort: Wir werden sie schon bekommen. Ich habe das von einer ganzen Anzahl unserer Genossen gehört, die solche Gespräche mit Berliner Arbeitern wiedergaben.

Nun, Genossen, der zweite Gegensatz kam in der Frage der bewaftneten Demonstrationen. Der Berliner Vertreter hat in den Kopfsitzungen — im Gegensatz zu dem Hamburger — den Standpunkt eingenommen, man könne sie nicht machen, man werde es nur zu unnützem Blutvergießen bringen, unsere Leute können nicht durch die Straßen mit der Knarre auf dem Buckel marschieren. Dieser Widerstand führte zu sehr großen Auseinandersetzungen in der Zentrale. Wir gaben nach und beschlossen, die erste Demonstration nicht zu verteidigen. Die ganze Zentrale stimmte dafür. Da es sich um die Berliner Organisation handelte, kamen wir zu der Überzeugung, dass man die bewaffnete Verteidigung nicht gegen den Widerstand der Berliner bei der ersten Demonstration in Berlin machen konnte. Und wie wir die Sache auffassten, zeigt das Zirkular, das ich der Zentrale vorgeschlagen habe. Wir sagten uns, man wird die Partei nicht auf einmal in die Geschichte hineinbringen können: es handelt sich jetzt um die Aufstellung der Linie, es wird dagegen Widerstand geben. Ich sage mehr, es wird sich auch in der Praxis herausstellen müssen, wie weit wir in der Verteidigung der Demonstration gehen können.

Es ist klar, aus welchem Grunde diese Linie angenommen wurde. Für mich ist die Quelle der Schwäche der Partei und der Masse die Passivität dieser Masse und die Passivität unserer Partei. Solange die Masse nicht das Gefühl hat, dass wir Kommunisten uns wenigstens mit allen Kräften, mit allem Risiko einsetzen, ist die Masse nicht zum Kampfe zu bringen. Das, was jetzt im deutschen Proletariat existiert, ist eine Abspiegelung der allgemeinen Lage in Deutschland, des Zerfalls der politischen Aktivität, einer außerordentlichen politischen Passivität aller sozialen Klassen mit Ausnahme des Militärs. Ohne Militär zu sein und ohne konkret sagen zu können, wie wir diese Verteidigung führen werden — das war Sache der militärischen Leitung — sagte ich mir: Wir können nicht die Arbeiter ein‑, zweimal in die Demonstration führen, dass sie sich prügeln lasseh wie die Hunde, und dann sagen: kommt zum drittenmal und lasst euch wieder prügeln. Entweder sind die Demonstratiorien eine Geste, oder wir müssen zu ihrer Verteidigung schreiten.

Nun, Genossen, das war die Linie der Aktion, die wir vertraten bis zu unserer Abberufung, die Linie der Aktion, bestehend in folgenden Dingen: Halt machen im Rückzug; beginnt der Kampf, ihn nicht zu forcieren mit dem Gedanken an den Aufstand, der in dieser Situation unmöglich war, sondern den Kampf aufnehmen, wo der Feind ihn der Masse bietet: in der Brotfrage, der Arbeitslosenfrage, in der Frage des Zehnstundentages, des Verbots der Organisation, der Presse zu allen Mitteln des Massenkampfes greifen; und als neues Moment die höhere Stufe der Bewegung; wenn nötig, Verteidigung der Demonstrationen.

Ich gehe jetzt nach dieser Darstellung der Tätigkeit der Delegation der Exekutive zu der politischen Analyse über, wobei ich hier zwei Dinge feststellen muss. Über die Ursachen unserer Niederlage hatten wir natürlich vom ersten Tage an unsere Gedanken, wir schrieben sie in den Berichten an die Exekutive. Die Berichte liegen vor. Als der Parteiausschuss zusammentrat, stand die Frage so: Soll man in diesem Stadium in diese innere parteitaktische Auseinandersetzung über die Schwächen und Fehler der Partei eintreten oder nicht? Ich stand auf dem Standpunkt — die ganze Delegation stand darauf, und ich stehe noch heute auf ihm: in dem Moment des ersten Versuches, die Partei zusammenzufassen, sie zum Stehen zu bringen, dem Gegner den Kampf zu geben, ist es nicht nur unzweckmäßig, sondern unzulässig, eine parteitaktische Debatte zu entwickeln. Ich formuliere den Standpunkt: wenn die Partei als Ganzes Kikeriki den Massen sagt, so dass diese die einfache Tätigkeit der Partei sehen, ist es schon gut. Ich hatte einen Kampf mit den Genossen, die die Notwendigkeit nicht verstanden; ich sagte damals, wenn wir imstande sind, in dieser Situation die Bendlerstraße mit Zetteln gegen Seeck zu bekleben oder in den Kinos Zettel gegen die faschistische Diktatur hinunter zu schmeißen, so ist das wichtiger, als die beste Resolution, die wir in diesem Moment fassen können.

Das war meine Auffassung, und obwohl ich natürlich sehr gut wusste, dass eine solche Niederlage zur schwersten Parteikrise führen wird, in der die Auseinandersetzung kommen wird, hielt ich es für notwendig, diese hinauszuziehen, bis Klarheit über zwei Momente bestand: entweder wird es sich zeigen, dass wir in eine längere Vorbereitungsperiode eintreten, in der es keine größere Möglichkeit der Aktion geben wird, dann muss die Partei die Dinge in der Diskussion erledigen; oder wir kommen durch die Teilkämpfe in große Kämpfe, dann wird die Partei in diesen großen Kämpfen ihre Schwäche überwinden.

Das war der Grund, warum ich mich in der energischsten Weise dem Versuch entgegensetzte, Mitte November die Diskussion zu beginnen, in der wir uns jetzt befinden. Ich will natürlich nicht behaupten, dass ich und die Delegierten damals schon bis zu Ende imstande waren, die Tiefe der Niederlage zu durchdenken. Vielleicht, ich habe unsere Korrespondenzen nicht nachgelesen, wird das, was ich heute als Abschluss der Auffassung aus der ganzen Disskussion sage, in manchem dem widersprechen, was wir unter dem ersten Eindruck der Ereignisse als Gründe der Ereignisse der Exekutive schrieben. Ich halte es nicht für die erste Pflicht des Politikers, wenn er A gesagt hat, immer A zu sagen. Manchmal muss man B, manchmal muss man auch Y sagen, aber manchmal kann man sagen, dass es überhaupt nicht A war.

Ich beginne jetzt, Genossen, mit dem zweiten Teil. Welches waren die Gründe unserer großen Niederlage? Erstens: ist die Niederlage groß: Ich glaube, schon ist festzustellen, dass die Niederlage uns zurückgeworfen hat, wo wir nahe am Ziel waren. Ich stehe auf dem Standpunkt, dass wir eine große historische Situation verpasst haben, wie sie selten so günstig vorliegt. Das ist die erste Sache.

Die zweite Sache ist: wir wissen noch nicht, ob die Zersetzung des Kapitals in Deutschland schnell vor sich gehen wird.

(Hesse: Nun, ein Vierteljahr.)

Wir wissen nicht, wie lange die Stabilisation dauern wird. Wir müssen aber auf Kampf visieren, solange es nicht vollkommen klar ist, dass sie nicht kommen [wird]. Eine politische Partei kann nicht sagen, entweder geht es so oder so. Der Theoretiker hat alle Möglichkeiten in Betracht zu ziehen. Der Parteipolitiker muss sich sagen: Was will ich in diesem Kräfteverhältnis? Gibt es Möglichkeiten der Verschärfung, dann müssen wir sagen, arbeiten wir für diese Verschärfung, Aber ich sage, hier, wo wir zuerst uns selbst über alle Möglichkeiten Rechnung ablegen, müssen wir sagen, es sind alle Möglichkeiten vorhanden, auch eine Möglichkeit der Verfaulung der Situation für eine lange Zeit, dann wird die Niederlage noch größer sein, als wir es jetzt sehen.

Drittens: wir wissen nicht, wie die Niederlage sich international in den Kommunistischen Parteien auswirken wird. Also ich sage kein Wort zur Beschönigung dieser Niederlage.

Nun müssen wir uns in erster Linie fragen: welche Quellen hat diese Niederlage? Ich finde im Grunde zwei Erklärungen in dieser Sache. Die einen Genossen sagen so: Zwar ist die Masse in der Partei eine gute proletarische Masse, aber die Führung besteht aus früheren sozialdemokratischen Funktionären, die wir noch nicht in Kommunisten umgewandelt haben. Diese Funktionäre haben verraten. Das ist eine Erklärung. Die zweite ist — und auf diesem Boden stehe ich — unsere Partei ist eine gute proletarische Partei, aber ohne genügende revolutionäre Erfahrung. Ihre Führung hat natürlich, wie alle kommunistischen Führungen, große Schwächen, die mit ihrer Abkunft aus der Sozialdemokratie zusammenhängen, und bevor sie nicht durch eine Reihe der größten Massenkämpfe hindurch ist, hat sie keine genügende revolutionäre Erfahrung.

(Brandler [KPD-​Vorsitzender, war Mitglied der sächsischen Regierung]: Manche waren sogar nicht in der Sozialdemokratie!)

(Maslow: Es gibt auch solche, die wieder in der Sozialdemokratie sein werden.)

Obwohl eine gute Arbeiterpartei, sind wir nirgends noch eine gute kommunistische Partei. Und das ist das wichtigste, was ich in der ganzen Situation sehe. Es ist nicht wahr, Genossen, dass die Führung nicht kämpfen wollte, und dass die Massen überall stürmen. Es ist nicht so gewesen. Wenn wir die linken sozialdemokratischen Massen sehen, so sind vielleicht die Führer Verräter und diese Massen nicht Verräter, sondern ehrliche Arbeiter. Aber dass diese Massen ihre Führer nicht als Verräter angesehen haben und zum großen Teil jetzt nicht als Verräter ansehen, ist eine Tatsache. Das zeigt, dass die Reserven, die sich auf dem Wege zu uns befinden, erst in der Bildung begriffen sind. Und unsere Partei ist nach meiner Überzeugung, — das zeigt eben das, worauf die Genossen von der Linken immer hinweisen: in den Gewerkschaften, in den Kommunalversammlungen, überall, wo nicht nur alte Funktionäre sitzen, sondern junge aus der Arbeiterschaft, stellen sie dem kapitalistischen Einfluss nicht den genügenden Widerstand entgegen, was sich daraus erklärt, dass wir als Kommunisten noch eine Minderheit in der Masse sind; die Masse sympathisiert mit uns, aber sie war nirgendwo bereit, mit uns bis zu Ende zu kämpfen; — unsere deutsche Bruderpartei ist nicht eine von Sozialdemokraten geführte Partei, sie ist eine noch unfertige Kommunistische Partei. Diese Tatsache hatte einen großen Einfluss auf die Entwicklung der Partei in der letzten Phase.

Genossen, es wurde die Frage aufgeworfen: Haben wir die Oktobersituation überschätzt? Ist das die Quelle des Irrtums, der Niederlage? Ich bin Gegner dieser Auffassung. Ich sage folgendes: Die Quelle unserer Niederlage liegt darin, dass die Ruhrgeschichte eine neue Phase in der Entwicklung des Klassenkampfes in Deutschland eröffnet hat. Wir haben auf dem Leipziger Parteitag in dem Aufruf an die Partei gesagt: diese Phase endet mit dem Bürgerkrieg. Wir haben theoretisch richtig visiert, und wir haben die praktischen Schlüsse daraus nicht gezogen. Würden wir seit Mai, als der Durchfall der Ruhraktion schon klar war, als die Zersetzungselemente außerordentlich wuchsen, nicht die Besetzung der Fabriken in diesem Moment, sondern die wachsenden Massenkämpfe aufgerollt haben. —

(Scholem: Wer hat denn das getan?)

(König: Götterdämmerung!)

Wenn Götter dämmern, sollen sie zehnmal dämmern; wir brauchen keine Götter, auch Berliner Götter sind nicht besser als andere Götter, ich werde es beweisen.

(R. Fischer: Im Mai in Deutschland.)

Im Mai halte ich es für ein großes Verdienst, dass wir es dem General Seeckt nicht erlaubt haben, die deutschen Arbeiter zwischen die Mitrailleusen [(Schnellfeuergewehr auf Rädern)] der Deutschen und Franzosen zu jagen. Aber wir hatten die Pflicht, die Arbeiter im nichtbesetzten Gebiet heranzuziehen, die Kämpfe so zu erweitern, dass wenigstens die deutschen Kräfte der Bourgeoisie gebunden waren.

Wir haben es nicht getan. — Ich behaupte, es bestand zwischen uns nicht die geringste Meinungsverschiedenheit. Genossin Fischer fuhr mit Brandler nach der Ruhr.

(R. Fischer: Wir mussten sogar eine eigene Resolution machen.)

Sehr richtig, und ihr habt in der Resolution nichts formuliert, ihr könnt sie hier vorlegen.

Ihr könnt später nach meinem Referat eure Rechnung vorlegen und auf Grund eures Referats später die Führung der Partei fordern. Ich suche, ohne Rücksicht darauf, wem das schadet oder dient, einstweilen das festzustellen, woran auch wir und alle andern Schuld sind. Und ich glaube, damit den Beweis zu liefern, dass es mir nicht um fraktionelle Dinge geht.

Genossen, diese Tatsache hier: wir in Moskau orientierten uns, dass es wirklich um ausschlaggebende Dinge in Deutschland geht, erst nach den Augusttagen. Der beste Beweis dessen ist folgendes. Wir hatten die Konferenz in Essen und die in Frankfurt. Diese beiden Konferenzen hatten agitatorische Bedeutung; es waren keine Konferenzen, die den Kampf organisierten. Wenn ein Beweis notwendig ist, so der, dass die Exekutive nicht darauf gedrängt hat, dass die französische Partei auch nur 20 Genossen zur illegalen Arbeit unter die Truppen gesandt hat. Auf der Sitzung der Erweiterten Exekutive [am 12. – 23. Juni 1923] befassten wir uns mit der propagandistischen Auswirkung dieser Dinge. Würden wir die Dinge im Ernst als auf die Revolution zutreibende wirklich angesehen haben, so hätte auf der Tagesordnung der Erweiterten Exekutive, nur eine Frage stehen dürfen, nämlich die Frage der Vorbereitung der Massenkämpfe in Deutschland und der Vorbereitung, des bewaffneten Aufstandes.

(Klara Zetkin: Sehr richtig!)

Wir haben das nicht getan. Nach den Augustereignissen sahen wir, wohin es geht, und wir haben uns gesagt, entweder nehmen die Faschisten die Gewalt, oder wir müssen sie nehmen. Wenn wir den Kampf wollten, könnten wir uns nicht die Verteidigung der Novemberrepublik zum Zweck setzen. Der Unterschied zwischen der Kerenski- und der Novemberrepublik war der: unter Kerenski hatten die Arbeiter die Sowjets, hatten etwas zu verteidigen, in Deutschland aber war die Novemberrepublik in den Herzen der Arbeiter tot, kein Hund würde sich zu ihrer Verteidigung rühren. Also wir mussten uns, wenn wir durchdringen wollten, das, Ziel stellen: Eroberung der Macht.

Und was hat sich herausgestellt? Bevor wir noch hier im September und Anfang Oktober diese Linie, — Kampf um die Eroberung der Macht — sozusagen die Terminfrage entschieden haben, schrieb Sinowjew [(Vorsitzender des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale)] einen Entwurf, den ich dann umgeändert habe, die 14 Punkte, die wir an die deutsche Partei nicht als Beschluss, sondern zur Rückäußerung sandten. Die deutsche Partei erklärte, sie akzeptiere sie. Es war ein Aktionsprogramm, es gab konkret an, was ihr auf allen Gebieten tun solltet. Die Partei hat aber — von August bis Oktober — nichts getan. Die ausschlaggebende Tatsache ist, dass wir nicht einmal Rückzugsgefechte führen konnten; als die kommunistische Presse unterdrückt wurde, haben wir mit keinem einzigen Gegenschlag geantwortet.

(Maslow: Wir haben für die Verfassung gekämpft.)

Wir haben sogar nicht für die Verfassung gekämpft. Das Ermächtigungsgesetz [vom 13. Oktober 1923] war die In-​die-​Luft-​Sprengung der Weimarer Verfassung. Also, wir haben nicht einmal für die Verfassung gekämpft. Wären wir imstande gewesen, die Massen für die Verfassung zu mobilisieren, so wäre es noch besser gewesen, als dass wir nicht einmal dazu imstande waren.

Wir beschlossen hier: Die Situation ist so ernst, entweder nehmen die Faschisten die Macht oder wir. Wir beschlossen, wir nehmen sie. Wir haben uns einen Termin gesetzt [, den 7. November]. Jetzt — das ist meine und Arvids Auffassung — wird versucht, diese Termingeschichte sozusagen zum Hauptfehler zu stempeln. Nun, ich sage, man muss zwei Dinge auseinanderhalten:

Erstens: Haben die Kommunisten, wenn sie reell an die Machteroberung denken, sich einen Termin für ihre Arbeit zu setzen? Jawohl. Können sie ihn so setzen, dass sie der Masse sagen: Werte Genossen, wann wir die Macht nehmen, wissen wir nicht, aber setzen wir aus pädagogischen Gründen einen Termin für uns fest.

Das können sie nicht tun.

Also, sie müssen sich einen Termin zum Kampfe setzen. Der Fehler bestand nicht in der Terminsetzung, sondern erstens darin, dass die Terminsetzung in Moskau erfolgte. Ich habe damals schon erklärt: nur im Fluss der Ereignisse kann die Instanz, die den Kampf führt, sich den Termin setzen. Denn wenn diese Instanz in Moskau den Termin festsetzt — die Partei erfährt es, denn wenn sie es nicht erfährt, ist es ein Unsinn ihn festzusetzen, — so beginnt die Panik, das Geschrei von Verrat, wenn man genötigt ist, den Kampf zu verschieben.

Aber ich glaube, die Terminsetzung, ob richtig oder nicht, spielte überhaupt keine Rolle. Die Hauptrolle in der ganzen Geschichte spielte die Tatsache, dass die Partei, die bisher die Kampffront nicht aufmarschieren ließ, — als sie sich sagte: Kampf, erklärte, der bestehe darin, dass wir uns zum Losschlagen vorbereiten, und dass sie inzwischen nichts tat.

Diese Tatsache war die ausschlaggebende Tatsache für die Niederlage.

Ihr könnt sagen: ob im Oktober oder schon im Mai die Fehler gemacht wurden, nicht die Frage ist entscheidend. Die entscheidende Frage ist: Warum haben wir die Fehler gemacht?

Genossen, wir haben eine Periode unserer Geschichte, die bis zu den Märzkämpfen hinaufgeht. Worin besteht sie? Wir suchten uns damals die Ergreifung der Macht als aktive Aufgabe zu stellen. Seit wenigstens September 1920, seit unserer Niederlage in Polen, war es klar, dass die Welle der Revolution abflaute, dass wir uns als Hauptaufgabe die Eroberung der Mehrheit des Proletariats stellen mussten. Wie kamen wir zu der Stellung dieser Aufgabe? Die Partei konnte nicht von der Taktik des Strebens nach der Machtergreifung ohne weiteres hinuntergehen zu der Taktik: erst organisieren wir die Mehrheit des Proletariats; sie musste sich zuerst die Schädel einrennen. Es hat sich praktisch gezeigt, weder wir hier in Moskau haben schnell genug gesehen und visiert, noch die Genossen in der Arbeit haben die Änderung der Situation schnell genug verstanden. Und erst, als wir unvorbereitet geschlagen wurden, da ist es uns wie Schuppen von den Augen gefallen, und wir haben gesagt: die Situation hat sich geändert, man muss zuerst die Massen erobern. Diese Periode der Eroberung der Massen mit Agitation und Propaganda dauerte bis zum Ruhrkriege. Dann aber konnten wir sie nicht mehr auf propagandistischem Wege erobern, mussten, um sie zu erobern, zu Aktionen übergehen. Und wieder ist der Umstand, dass wir vor einer zweiten Welle der Revolution stehen, weder von uns hier, noch von euch dort als Ganzes schnell genug erfasst worden.

Nun, bedeutet das: die Führung war sozialdemokratisch? Nein, die deutsche kommunistische Führung ist besser als in irgendeinem anderen Lande, wo wir Massenparteien haben, aus einem einfachen Grunde. In keinem einzigen Lande hatten wir die Kämpfe, die wir in Deutschland hatten. Es ist die Marxsche Schulung da, es fanden die Kämpfe mit Kautsky statt, die Erfahrung der Revolution ist groß. Die Führung hat natürlich sozialdemokratische Züge, wie es Genossen gibt, die Züge des vollkommenen Mangels am Verstandänis einer Massenbewegung haben, die gar nicht in der Sozialdemokratie waren. Wir setzen uns die Führung der Partei zusammen aus den Elementen, die wir haben, nicht aus der Luft.

Aus diesem Grunde ist jetzt für mich die wichtigste Frage, nachdem ich zu dieser Auffassung über die Gründe unserer Niederlage usw. gekommen bin: Was weiter?

Für dieses »Was weiter?« müsste man zuerst folgende Dinge feststellen. Erstens müsste man suchen, wer in Deutschland herrscht. In jeder Situation hat der Politiker, der eine Massenaktion zu leiten hat, im voraus festzustellen, gegen welchen Gegner er den Kampf führt, wie die Struktur dieses Gegners, welches sein Wesen ist. Der Streit darüber, ob der Faschismus gesiegt hat oder nicht, dieser Streit ist entschieden, nicht durch Worte, er ist entschieden durch Tatsachen. Er ist entschieden durch die Tatsache, dass die Bourgeoisie mit militärischen Mitteln die Arbeitermasse zurückgeworfen und ihr das Stinnesprogramm aufgedrängt hat [(Stinnes: Ruhrindustrieller)], und dass die Arbeiterklasse im Zurückfluten ist. Der Sinn eures Widerstandes: — ich verstand ihn sehr gut, solange ihr noch glauben konntet, dass wir in den nächsten Wochen vielleicht stürmen können, und dass wir uns den Weg durch eine Formel versperren, bei der Genosse Sinowjew das Gefühl hatte, sie bedeutet die Kapitulation. Damals hatte euer Widerstand doch einen Sinn. Aber wenn ihr, liebe Genossen, genötigt sein werdet, noch ein Jahr lang zu streiten, ob der Faschismus gesiegt hat, dann ist bewiesen, dass er gesiegt hat … Ich versteife mich so wenig auf Formeln, die für mich nur ein Mittel der Politik sind, dass ich, als mich Genosse Remmele und Genosse Koenen baten: Sagen wir, um den Streit nicht zu verschärfen, die Weißen haben gesiegt, antwortete, meinetwegen kann man auch sagen, die Blonden, die Brünetten haben gesiegt.

(Remmele: Zwischenruf …)

Genosse Remmele, in ihren Thesen ist gesagt, dass der Faschismus gesiegt hat, nur haben sie das Wort nicht gebraucht, und sie haben das damit erklärt: wir brauchen nicht den Streit nach dem Koltschakartikel auf diesem Gebiet.

Worüber hat der Faschismus gesiegt? Die vorhergegangene Periode in Deutschland war eine Periode der bürgerlichen Demokratie wie sie im Buche steht. Es gibt kein Land in der Welt, wo das Proletariat, trotz periodischer Rückkehr der Unterdrückungen, eine solche Bewegungsfreiheit hatte. Und welchen großen Einfluss hatte: die Arbeiteraristokratie in der Novemberrepublik. Wer das verkennt, der versteht nicht das A und O; warum die sozialdemokratischen Massen so an ihrer Republik hängen. Der Streit zwischen uns ging nicht darüber, ob die Sozialdemokratie vergewaltigt, oder eine Prostituierte ist; nicht darum ging der Streit. Die Ursache, warum ich für absolut nötig hielt, zu sagen, der Faschismus hat gesiegt, ist eine andere. Wenn der Faschismus gesiegt hat und die Sozialdemokratie sein Verbündeter ist, — kein Bündnis mehr mit der Sozialdemokratie.

Zweiter Grund. Neben der Frage der Änderung der Einheitsfronttaktik, d. h. des Absagens an die Führer der Sozialdemokratie, wie es in der Reichsausschuss-​Resolution enthalten ist, halte ich für die zweite ausschlaggebende Frage der deutschen Revolution das Heranziehen der kleinbürgerlichen Massen. Und hier komme ich zu einer Sache, die für mich, ich muss sagen, einerseits eine der wichtigsten, andererseits eine der komischsten Fragen als Differenzfrage ist.

Genossen, wir haben während der Diskussionen mit den deutschen Genossen im Frühling [, am 12. bis 23. Juni,] hier in Moskau die Resolution über die nationale Frage gefasst, in der wir sagten: die Partei steht vor einer neuen Aufgabe, der Eroberung des Kleinbürgertums, das proletarisiert wird, als des Bundesgenossen, den wir vor der Eroberung der Macht in Deutschland zum Teil für uns gewinnen [müssen]. Darum die Teilnahme der Partei an Mittelstandsfragen und die Hervorkehrung der nationalen Frage. Wir haben in der Erweiterten Exekutive dazu Stellung genommen. Die Schlageterrede wurde einstimmig gutgeheißen. Nach der Rede haben Genossin Fischer und Remmele Arm in Arm mit mir diese Agitation weiter geführt. Mehr noch. In den Thesen der Exekutive und des russischen Z.K. über die deutsche Frage und in den Artikeln, die Genosse Sinowjew zu deutschen Revolution veröffentlichte, wurde das als das Neue erklärt und mit Recht. In Russland spielte der Bauer, weil er der Armee angehörte, die Rolle des Verbündeten. Wäre die Armee nicht dagewesen, so würde er eine große Rolle später, nach der Mächteroberung, gespielt haben, aber nicht die zentrale Rolle bei der Machteroberung. In Deutschland haben wir ein proletarisiertes Kleinbürgertum; es geht unter faschistischen Fahnen, und der Sieg des Faschismus bedeutet seinen Ruin. Aus diesem Grunde spielen die Differenzen im Lager des Faschismus eine entscheidende politische Rolle für uns. Nur wenn wir durch Herausarbeitung dieser Gegensätze und durch ihre Schürung die kleinbürgerlichen Massen, wenigstens einen Teil von ihnen, von Stinnes und Westarp [(Funktionär der Deutschnationalen Volkspartei DNVP)] trennen und für uns gewinnen können, nicht als Mitglieder, aber als einen, wenn auch schwankenden Bundesgenossen, haben wir einen wichtigen Schritt vorwärts gemacht. Genosse Sinowjew schrieb in seiner Broschüre über die Probleme der deutschen Revolution:

»Die deutsche Revolution ist eine klassische proletarische Revolution. Das aber bedeutet nicht, dass die gesamte übrige Bevölkerung Deutschlands eine reaktionäre Masse darstellt. Umgekehrt, das Neue, das Spezifische in der proletarischen deutschen Revolution bildet die besondere Rolle, die in ihr die städtische kleinbürgerliche Masse spielen wird. Man kann sogar sagen, dass bis zu einem gewissen Grade dieselbe Rolle, die in der russischen Revolution das durch den Krieg ermüdete Bauerntum gespielt hat, in der deutschen die breiten Massen des städtischen Kleinbürgertums spielen werden, die durch die kapitalistische Entwicklung an den Rand des Elends gebracht worden sind.«

Genossen, welche speziellen Aufgaben demgegenüber haben wir? Erlauben Sie mir, eine Stelle aus der Broschüre des Genossen Lenin »Der Radikalismus, die Kinderkrankheit des Kommunismus«, zu zitieren:

»Einen mächtigen Feind besiegen kann man nur bei größter Anspannung der Kräfte und bei unbedingter, sorgfältiger, sorgsamer, vorsichtiger, geschickter Ausnutzung eines jeden — wenn auch des kleinsten — ›Risses‹ zwischen den Feinden, eines jeden Interessengegensatzes zwischen der Bourgeoisie innerhalb der einzelnen Länder — so auch einer jeden — wenn auch der kleinsten — Möglichkeit, sich einen Verbündeten zu erwerben, wenn auch nur einen zeitweiligen, schwankenden, unbeständigen, unzuverlässigen, bedingten. Wer das nicht begriffen hat, der hat auch nicht ein Gramm von Marxismus und vom wissenschaftlichen heutigen ›zivilisierten‹ Sozialismus überhaupt begriffen. Wer nicht praktisch während einer ziemlich bedeutenden Zeitspanne und in ziemlich verschiedenartigen politischen Lagen erwiesen hat, dass er es versteht, diese Wahrheit in der Praxis anzuwenden, der hat es noch nicht gelernt, der revolutionären Klasse in ihrem Kamnfe um die Befreiung der ganzen werktätigen Menschheit von den Ausbeutern zu helfen. Das Gesagte bezieht sich in gleicher Weise auf die Periode vor und nach der Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat.«

An einer andern Stelle der gleichen Broschüre behandelt er die Bedeutung dieser Unterschiede nicht nur zwischen dem Kleinbürgertum und der grossen Masse, sondern er nimmt sogar die friedliche Übergangssituation, wie sie in England besteht, und schreibt:

»Die Uneinigkeit zwischen den Churchill und Lloyd George (diese politischen Typen gibt es in allen Ländern mit geringen nationalen Unterschieden) einerseits, zwischen den Henderson und den Lloyd George andererseits, sind ganz unwichtig und geringfügig vom Standpunkt des reinen, d. h. des abstrakten, d. h. des für die praktische politische Massenaktion noch nicht reifen Kommunismus. Aber, vom Standpunkt dieser praktischen Aktion der Massen sind diese Uneinigkeiten äußerst wichtig. In ihrer Abwägung, in der Bestimmung des Augenblicks der vollen Reife der unter diesen ›Freunden‹ unvermeidlichen Konflikte, die alle diese ›Freunde‹ insgesamt schwächen und entkräften — besteht die ganze Aufgabe des Kommunisten, der nicht nur ein bewusster, überzeugter, illegaler Kommunist, sondern auch ein praktischer Führer der Massen in der Revolution sein will. Man muss die strengste Hingebung für die Ideen des Kommunismus mit dem Vermögen vereinigen, auf alle notwendigen, praktischen Kompromisse, auf Lavieren und Paktieren, auf Zickzacklinien, Rückzüge und dergl. einzugehen, um die Verwirklichung und die Überwindung der politischen Macht der Henderson (der Helden der Zweiten Internationale, um nicht die Namen einzelner Personen, die Vertreter der kleinbürgerlichen Demokratie, die sich Sozialisten nennen, anzuführen), zu beschleunigen, die die Massen gerade in unserem Geiste, gerade in der Richtung zum Kommunismus aufklärt: um unvermeidlich Reibungen, Konflikte, Streitigkeiten, den vollen Zerfall zwischen den Henderson — Lloyd George — Churchill (den Menschewiki und den Sozialrevolutionären, Kadetten, Monarchisten, der Scheidemann-​Bourgeoisie, Kapp usw.) zu beschleunigen und um richtig den Augenblick des größten Zerfalls zwischen allen diesen ›Streitereien über den heiligen Privatbesitz‹ zu wählen, um durch einen entschlossenen Angriff des Proletariats alle zu schlagen und die politische Macht zu erobern.«

Genossen, was bedeutet das für mich? Das bedeutet für mich folgendes: die Bauern werden in Deutschland nach dem Sieg der Revolution eine große Rolle spielen, weil es um die Frage gehen wird: wo kriegen wir Brot her? Bei der Eroberung der Macht aber werden sie keine so große Rolle spielen, die wird in den Staaten erobert. Es gibt keine konzentrierte Bauernarmee in Deutschland, keine konzentrierte große Masse von Bauern. Darum wird die Zersetzung des städtischen Kleinbürgertums eine sehr große Rolle spielen.

Welche Rolle spielen dabei die Zersetzung, die Gruppierungen im Lager des Faschismus. Ich glaube, dass in dem Gegensatz, der sich in dem Artikel des Genossen Sinowjew — »Der deutsche Koltschak« — zu meiner Auffassung äußert, es eine gewisse Rolle spielt, dass Genosse Sinowjew nicht genug zwischen der Lage der kleinbürgerlichen Massen Deutschlands und Russlands unterscheidet. Er sagt, die Menschewiki haben nach der Niederlage der Revolution von 1905 die Meinungsverschiedenheiten zwischen den Kadetten und den Oktobristen herausgearbeitet. Wir, die Bolschewiki, wussten, dass diese Parteien verschiedene Teile der Schichten der Bourgeoisie darstellten, aber wir sagten uns, dieser Gegensatz wird nicht ausschlaggebend sein, und man soll gegen die Bourgeoisie visieren.

Genossen, wenn zwischen den kleinbürgerlichen Ärzten, Beamten, Handwerkern und Stinnes und Westarp derselbe Unterschied bestehen würde, wie zwischen Gutschkow und Miljukow, so hätte Sinowjew recht. Aber er vergisst das Ausschlaggebende. In Westeuropa gibt es den breiten neuen Mittelstand und Überreste des alten Mittelstandes, in die Millionen gehende Massen des Kleinbürgertums, das jetzt sozial von dem Kapitalismus vollkommen ruiniert wird, anders als in Russland 1907. Russland befand sich in einer aufsteigenden Epoche der wirtschaftlichen Entwicklung, wo der Kapitalismus, selbst wo er die Selbständigkeit der Mittelklassen ruinierte, ihre soziale Stellung nicht so verschlechterte. In Westeuropa haben wir den Prozess einer solchen Expropriation der Mittelschichten, wie sie niemals bestand. — Das sind also die Zersetzungselemente, die wir ausnutzen müssen.

Genossen, ich bin verhindert, auf die Frage einzugehen, in der ein wichtiger Gegensatz noch zwischen uns besteht, nämlich Weiterführung der Einheitsfronttaktik in internationalem Maßstabe. Ich will jetzt nur zwei Worte dazu sagen. Der 4. Kongress hatte nicht die Auffassung, dass die Einheitsfronttaktik der Evolution dienen soll, dass eine lange Zeitspanne zwischen der kommenden Revolution und der Zeit liegen wird, wo wir uns auf dem Boden der Demokratie befinden werden. Trotzdem hat er in Westeuropa die Möglichkeit spezieller Situationen ins Auge gefasst, wo die Ausnutzung sogar einer demokratisch uns in die Hände gefallenen Arbeiterregierung als Sprungsbrett für die Kämpfe um die Diktatur sich bieten kann. Und mögen wir tausend Fehler in unserer Anwendung der Einheitsfronttaktik, gemacht haben, so sollen wir sie korrigieren. Wenn wir diese Möglichkeit aber aus dem Auge lassen, wenn wir sagen, Einheitsfronttaktik ist nur Agitation, dann sind wir erstens theoretisch im Unrecht, weil wir die Augen vor Möglichkeiten verschließen, die in Deutschland noch zurückkehren, können.

(Scholem: Hört! Hört!)

Ich erkläre, dass ich kein Politikaster bin, sondern will, dass wir über die Gegensätze diskutieren, wenn die Zersetzung des Faschismus, der faschistischen Truppen vor sich geht, können wir in Situationen kommen, wo wir die sächsische Karte besser spielen können, als wir sie gespielt haben.

(Sehr richtig!) (Hört! Hört!)

Und wer diese Möglichkeit verriegeln will, — auf diesem Boden gibt es keine Kompromisse.

(Sehr richtig!)

Aus dem einfachen Grunde; entweder werden wir in Westeuropa zu kommunistischen Diskussionsparteien oder zu kämpfenden Parsteien, und die letzteren müssen alle praktischen Möglichkeiten sich offen lassen. 99 Prozent sprechen dafür, dass auf dem Kontinent Europa die Frage der Arbeiterregierung keine entscheidende Rolle spielen wird; dass sie in England eine entscheidende Rolle spielen kann, unterliegt für mich keinem Zweifel.

Aus diesem Grunde sage ich: Ich bin bereit, da für mich eine praktische Linie der Partei tausendmal wichtiger ist als alle theoretischen Spintisierereien darüber, wie es in 1, in 5, in 6 Jahren aussehen wird, 10 Formulierungen zu opfern, aber es ist keine Möglichkeit, sich praktisch den Weg zu verbauen. Denn dann werden wir die größte Krise des Kommunismus heraufbeschwören, die darin bestehen wird, dass unsere Theorie den wirklichen Notwendigkeiten der Bewegung nicht entsprechen wird. Ich schließe.

Ich will noch einen Gedanken hineinwerfen. Die größte Quelle der Krise, die wir hatten, die wir noch haben werden, jahrelang, wenn die Revolution nicht kommen wird, besteht darin: wir sind die Partei der Diktatur, aber wenn keine revolutionären Wellen schlagen, so kann man für die Diktatur nur Propaganda, Agitation treiben. Und die Masse lebt nicht nur von der Propaganda, und Agitation. Vor den kommunistischen Parteien stehen praktische Aufgaben. In denen ist es so schwierig, den Standpunkt des Kommunismus durchzuführen, dass eine große Diskrepanz herrscht zwischen unserem Wollen und unserem Können. Und wenn wir das nicht sehen und auf Grund dieser Diskrepanz unsere Leitungen zu reformistischen stempeln, Genossen, dann werden wir zerfallen. Als ich gestern die herrliche Rede von Thälmann hörte, da sagte ich mir: ein solches agitatorisches Feuer, ein solcher Glaube an die Revolution, — und trotzdem, in Hamburg haben wir 14 000 Mitglieder, und die Sozialdemokratie ist dort 78 000 Mann stark.

(Hat aber 30 000 jetzt verloren.)

Nach fünf Jahren des größten Verrats der Revolution.

Mit einer rein agitatorischen Linie des Kommunismus werden wir herrliche kleine kommunistische Parteien haben. Es wird wieder die Frage stehen: Sekte oder Masse. Sie stand schon so. Würden wir im März die Partei nicht zurückgehalten haben, hätte Levi Recht. Wir haben sie zurückgehalten, sagten: Heran an die Massen auf dem praktischen Boden. Und heute steht die Frage noch einmal.

Wir werden die Meinungsverschiedenheiten ausfechten. Da wir keine Levis sind, werden wir uns, wie er fallen wird — wie er fallen wird — , jedem Beschluss der Exekutive alle, alle fügen. Aber verwischen werden wir die Gegensätze nicht, wie sie bestehen. Den Kampf werden wir kämpfen innerhalb der Kommunistischen Internationale.

Ich werde meine Auffassung, wenn die Kommission arbeiten wird, dieser in der Form von Thesen unterbreiten, die vom Genossen Trotzki, von P. und mir entworfen sind.

Referat des Genossen Remmele [(Mitglied der KPD-Zentrale)]

Die Notwendigkeit der Überprüfung der Taktik, wie sie in Deutschland getrieben worden ist, die auf der Grundlage der K.I. basiert, zeigen, wie außerordentlich wichtig diese Fragen auch für die nächste Zukunft sind. Wir können keinen Schritt weitergehen, — darin stimme ich mit dem Vertreter der Exekutive überein — , wenn wir nicht völlige Klarheit haben über das, was in der allernächsten Zeit zu tun ist. Wir sind aus der letzten revolutionären Epoche in Deutschland — ich meine Ereignisse, die Jahre zurückliegen — aus der Märzaktion 1921 mit einer Niederlage herausgegangen. Und diese gab uns Veranlassung zur Überprüfung der Kampfmethoden und Mittel, die für Deutschland maßgebend sein sollen. Dort wurde die Partei durch die Internationale auf einen ganz bestimmten Weg, auf ganz bestimmte Kampfmethoden und ‑Mittel festgelegt, die für Deutschland in der nächsten Zukunft in Frage kommen. Diese wurden zusammengefasst unter dem Begriff der Einheitsfronttaktik, wie wir sie dann ganz speziell in Deutschland angewandt haben.

Diese Taktik geht davon aus: welches sind die Voraussetzungen der sozialen Revolution, was müssen die Vorbedingungen sein, um der sozialen Revolution zum Siege zu verhelfen? Und da stand und steht heute noch als erstes Problem die Eroberung einer festen Mehrheit des Proletariats, die ideologische Eroberung des Proletariats für die soziale Revolution. Das war die Aufgabe, die der Partei gestellt worden ist. Und nun begann eine Periode der Auseinandersetzungen nicht zwischen den verschiedenen Klassen, die am Ausgangspunkt der Revolution stehen, sondern die zuvorgehen: die Zersetzung der Massen bzw. die Eroberung der Massen, eine propagandistische Periode. Und in der wurden selbstverständlich auch für diesen Weg oder wenigstens für den Zeitabschnitt dieses Weges Theorien aufgebaut, — und das ist eines der wesentlichsten Momente der Streitpunkte mit der Linken — , Theorien, die auch nach meiner festen Überzeugung manche Illusion in den Köpfen unserer Parteigenossen erweckt haben und in vielen Fragen über das Ziel hinausgeschossen sind, die alsdann die Praxis, ganz speziell die Oktoberbewegung, als falsch erwiesen haben.

Ich will nicht untersuchen, aus welchen Ursachen heraus die Theorien geschaffen wurden. Aber gerade die scharfe Trennung zwischen Linken und Mehrheit hat zu Übertreibungen auf beiden Seiten geführt, — die wir in der gesamten Mehrheit der Zentrale durchaus nicht als, richtig angesehen haben, — genau wie auf der andern Seite Übertreibungen sind. Das sind Übertreibungen, die den Parteistreit und das Zusammenhalten innerhalb der Partei oft über das erträgliche Maß hinaus vergiftet haben. Von diesem theoretischen Streit können wir nachweisen, dass er absolut nicht das Fundament unserer praktischen Anwendung innerhalb der Parteitaktik war. Wir können nachweisen, dass wir durchaus uns immer auf einem wirklichen festen Boden in der Praxis bewegt haben. Diese war durchaus besser als oft die Theorien, die aufgestellt wurden.

(Radek: Ich glaube das Umgekehrte.)

(R. Fischer: Nein.)

Was haben uns die Oktoberereignisse gezeigt? Dass man eine Arbeiterregierung zu bilden nur in der Lage ist, wenn bereits die revolutionären Kräfte so zugespitzt sind, dass im nächsten Moment bereits aus dieser Arbeiterregierung heraus der Kampf um die Diktatur entspringt.

(Von der »Linken«: Leipziger Parteitag [28. Januar bis 1. Februar 1923]!)

Genossen, ich sage ausdrücklich, das trifft inbsesondere für Deutschland zu. Wie es in andern Ländern liegt, kann ich hier nicht beurteilen, es kann dort unter Umständen ganz anders sein als in Deutschland. Aber für die deutschen Verhältnisse kann eine Arbeiterregierung nur in Frage kommen in dem Moment des unmittelbaren Übergangs zum Machtkampf.

Genossen, der Beschluss des 4. Kongresses sieht auch andere Möglichkeiten vor. Er ist ein internationaler Beschluss. Aber ich glaube, dass bei dem Problem, das hier aufgerollt ist, ganz klar zum Ausdruck gebracht werden muss: kommt eine solche Konstellation wieder in Sachsen, dann darf das Experiment nur gewagt werden, wenn zuerst die Voraussetzungen der Möglichkeiten des Kampfes geschaffen werden, dann erst kann es unternommen werden.

Das sind die Erfahrungen, die wir aus den Oktoberereignissen gelernt haben.

Ich will nun auf die Probleme der Ereignisse, wie sie in Deutschland standen, eingehen. Da war eines der wichtigsten mit das Problem des Kräfteverhältnisses. Ich will ganz kurz schildern, wie die Lage in der umstrittenen Zeit war. Bereits im Januar, als der Ruhrkampf begann, hat die Internationale durchaus richtig vorausgesehen, dass dieser Ruhrkampf ähnliche Wirkungen, wenn auch nicht in diesem großen Ausmaß, aber ganz ähnliche politische Wirkungen in Deutschland auslösen wird, wie der Krieg sie ausgelöst hat. Ich erinnere hier an die Beschlüsse, die in Essen im Januar und in Frankfurt im März gefasst wurden. Dort wurde schon ganz klar erkannt, dass dieser Ruhrkampf zu einer außerordentlich schweren Wirtschaftlichen und politischen Krise in Deutschland führen muss und wird, und dass wir aus dieser Ruhrgeschichte heraus in große Kämpfe verwickelt werden. Diese Einsicht hat sich sehr bald auch in Deutschland bestätigt.

Der Ruhrkampf hat durchaus ähnliche Situationen in Deutschland geschaffen, wie wir sie nach oder bei dem Ausgang des Krieges hatten, Verzweiflungsakte, große Aufstände; nicht nur die großen Streiks, auf die wiederholt hingewiesen worden ist; sondern wir haben in weiten Gebieten Deutschlands direkt chaotische Zustände gehabt, wo lokal und provinziell gewissermaßen die Organisationen der Arbeiter die Macht in den Händen gehabt haben. Ich will darauf verweisen, dass oft, in den großen Streikgebieten die politische Macht in den Händen der Arbeiter lag; in derselben Zeit waren die einzelnen Landesregierungen nicht imstande, eine Politik gegen die Erhebungen der Arbeiter durchzuführen. Wir hatten in Württemberg, als uns die Zeitung verboten wurde, am zweiten Tag die Zeitung wieder frei, weil die Arbeiter aus den Betrieben heraus ins Ministerium zogen und dort die Freigabe der Zeitung forderten und androhten, die Freigabe zu erzwingen. In derselben Zeit hat in Württemberg die Regierung den Belagerungszustand verhängt, Mittwoch haben wir trotz des Belagerungszustandes eine Betriebsrätekonferenz einberufen, die stattfand, trotzdem die Reichswehr uns in der ganzen Stadt suchte und überall das Bürgertum verprügelte. Am Sonntag haben wir unseren Parteitag abgehalten, am Schluss des Parteitages fand im Hauptbahnhof von Stuttgart eine Riesendemonstration des Publikums statt, das zusammengelaufen ist, und am Montag musste der Belagerungszustand aufgehoben werden. Also eine Höhe der Bewegung, wie wir sie nur zu gern gewünscht hätten in dem Augenblick, als [am 26. September 1923] der Reichsbelagerungszustand verhängt worden ist.

Ich will darauf verweisen, dass zur Zeit der faschistischen Bewegung nicht etwa nur in Stuttgart, sondern auch in Mitteldeutschland, im Norden, Westen und Osten des Reiches überall die Demonstrationen durchgeführt wurden trotz der Verbote. Wir haben dann in Thüringen, in Mitteldeutschland im Juli, in den Augusttagen die Verhälthisse gehabt, dass die Arbeiter die Ernährung vollständig in die Hand genommen haben, Lastautomobile beschlagnahmten, auf das Land fuhren, um sich Lebensmittel direkt von den Bauern zu holen, so dass niemand mehr im Zweifel sein konnte, dass man unmittelbar vor großen Ereignissen stand. Zweifellos war der Cunostreik [(Streik, der am 12. August die Regierung Cuno sürzte)] der Höhepunkt der Bewegung, aber nach meiner inneren Überzeugung war er auch der Wendepunkt in der Bewegung. Indem die Sozialdemokraten in die große Koalition eingetreten sind, sind die sozialdemokratischen Arbeiter wieder mit Illusionen erfüllt worden.

Mitte August ist gewissermaßen durch den Eintritt der Sozialdemokraten in die Regierung ein Abebben der revolutionären Hochflut eingetreten. Wenn wir uns mit den Sozialdemokraten auseinandersetzten, zeigte sich, dass sie neue Hoffnungen auf den Eintritt [Rudolf] Hilferdings [als Finanzminister] in die Regierung hatten. Sozialdemokraten, die spontan in all den Kämpfen bei uns standen, die den Cunostreik mitgemacht hatten, alle diese Massen waren von neuen Illusionen erfüllt worden. Das Kernproblem ist und bleibt die Eroberung dieser sozialdemokratischen Mehrheit.

Zu den Ereignissen innerhalb der Partei. Wie hat sich die Partei zu dieser Situation verhalten? Ich kann mich noch erinnern, dass wir im September eine Zentrale-​Sitzung hatten, in der zur Behandlung stand, was wir in dieser Situation zu unternehmen hätten. Ein Genosse der Zentrale vertrat den Standpunkt, dass, wenn in Sachsen die Verhältnisse reif sind, man losschlagen müsse. Die Zentrale hat das damals abgelehnt, mit der Begründung, dass sie gegen diese putschistische Auffassung sei. Am nächsten Tag kam der Beschluss, der hier von der Exekutive gefasst worden ist.

Und so wurde die gesamte Politik der Partei auf das eingestellt, was am Tage zuvor abgelehnt worden war; es wurde der Aufmarschplan angenommen, dass das mitteldeutsche Gebiet zum Konzentrationspunkt gemacht werden sollte. Dann wurden die Partei und der ganze Parteiapparat auf den bewaffneten Aufstand eingestellt und mobilisiert. Alle anderen Parteiarbeiten, die Mobilisierung der Massen, Zusammenfassung der Betriebsräte, wurden vernachlässigt, weil unser ganzer Parteiapparat und der Funktionärkörper lediglich auf das Problem der Bewaffnung und Organisierung der Kampfaktion eingestellt war. Bei den mangelnden Kräften, die vorhanden waren, war es ganz natürlich, dass alle anderen Parteiarbeiten in den Hintergrund treten mussten.

Die Funktionäre mussten aus ihrer bisherigen Tätigkeit herausgezogen werden, so dass sie diese vollständig vernachlässigt haben. Zum Beispiel: Sekretäre für die Betriebsräte arbeiteten nur für die technische Vorbereitung, der politische Sekretär wurde der politische Leiter des Komitees, das im Bezirk vorhanden war. So kam es, dass alle andern Brücken, die zum Proletariat führten, vernachlässigt wurden. Das war nach unserer Auffassung einer der bedeutsamsten Fehler, der auf die Schwäche der Partei zurückzuführen ist, dass die ganzen Probleme sehr rasch an uns herangetreten sind, so dass man auf die Bewaffnungsfrage die ganze Partei einstellen musste.

Genossen! Die bestimmte Terminsetzung des Losschlagens konnte nicht eingehalten werden, nachdem man [durch den Sturz Cunos] zur Regierungsbildung gezwungen wurde. Als der Auftrag der Exekutive kam, dass man in Sachsen in die Regierung eintreten solle, haben sich die Genossen zuerst geweigert, diesen Beschluss durchzuführen. Es war bereits von der Reichsregierung selbst gegen die sozialdemokratische sächsische Regierung die Reichsexekutive angedroht worden, als die Kommunisten noch nicht in der Regierung waren, um gegen die sozialdemokratische Regierung vorzugehen. Darum haben sich zuerst unsere Genossen dort gesträubt, diesen Beschluss durchzuführen. Es wurden dann noch eine Reihe von Verhandlungen mit ihnen geführt und sie mussten in die Regierung eintreten und sind dann auch eingetreten.

Zwangsläufig spielt die sächsische Frage, so wie sich die Dinge entwickelt haben, ganz selbstverständlich in der ganzen Internationale die Hauptrolle. Nach meiner Auffassung hat man das sächsische Problem durchaus nicht richtig gestellt. Es wird in unserer Kritik auch sehr scharf zum Ausdruck kommen, was die Minister in Sachsen alles versäumt haben. Der Glaube, dass die Minister überhaupt viel, sehr viel hätten machen können, ist sehr stark von Illusionen genährt.

Der Beschluss, dass unsere Genossen in die sächsische Regierung eintreten sollen, ist allerdings durch Berichte oder Darstellungen zustande gekommen, die der Grundlage entbehrt haben. Man hat diesen Beschluss auf Grund der Anschauung gefasst, dass bereits eine Bewaffnung und Mobilisierung der Partei und der Massen in einem solchen Grad vorhanden ist, dass man eine solche Sache wagen könnte. Man hatte die Zersetzung des Gegners als viel weiter fortgeschritten angenommen, als sie es tatsächlich war.

Wir kamen dann in die Lage, dass der Gegner zur Offensive überging und uns dadurch den Termin diktierte. Der Gegner schlug los, so dass wir sagen mussten: Entweder weiße Diktatur, oder wir sind imstande, die proletarische Diktatur durchzusetzen. Im ersten Augenblick der Fragestellung entschied man, es solle losgeschlagen, der angenommene Plan zur Durchführung gebracht werden. Inzwischen kam die Chemnitzer Konferenz.

Die Chemnitzer Konferenz, die von den Betriebsräten usw. einberufen war, hatte den Zweck, wirtschaftliche Probleme zu erörtern und über wirtschaftliche Maßnahmen für Sachsen zu entscheiden, über alles das, was wirtschaftlich in Sachsen durchgeführt werden sollte. Diese Konferenz war schon lange vorher vorbereitet und einberufen worden, ohne dass wir wussten, dass in dem Augenblick des Zusammentritts der Konferenz die Probleme der Auseinandersetzung entstehen würden. Es wurde in der Nacht vor ihrem Beginn beschlossen, dass diese Betriebsrätekonferenz nicht wirtschaftliche Fragen beraten und entscheiden, sondern die Frage des Losschlagens zur Entscheidung bringen sollte.

Unmittelbar vor der Zuspitzung auf den 20. Oktober wurden Bewegungen, die bereits im Flusse waren, abgebremst, abgebrochen, um die Kräfte aufzuspeichern, um sie erst im gegebenen Moment zur Anwendung zu bringen.

Also es wurde alles auf dieses eine bewaffnete Losschlagen gerichtet und zugespitzt, und es kam in der Perspektive und in der ganzen Anlage nur das entscheidende Losschlagen zum entscheidenden Kampfe im gegebenen Augenblick in Frage.

Nach dem Hamburger Kampf, nach dem Scheitern des sächsischen Experiments hat die Partei sich zum erstenmal wieder sammeln können. Unmittelbar danach fand die Sitzung des Zentralausschusses statt, die versucht hat, eine Aufgabe zu lösen, ein Fundament oder eine Kristallisierung des Standpunktes zu geben, auf dem wir augenblicklich stehen. Der Zentralausschuss hat unterlassen, zurückblickend zu prüfen, was verkehrt, was richtig war. Das hat innerhalb der Zentrale und auch innerhalb der Bezirke selbstverständlich große Meinungsverschiedenheiten hervorgerufen; dadurch, dass die Frage durch den Zentralausschuss nicht geklärt worden war, entstanden Verwirrung und Differenzen. Diese kamen immer sehr lebhaft in den Zentralausschusssitzungen zum Ausbruch; eben weil das alte noch nicht geklärt war, konnte keine klare Linie geschaffen werden.

Diese Differenzen haben dann zunächst, nachdem die Exekutive einen Brief geschrieben hatte, den Versuch ergeben, auf Grund dieses Briefes eine Klärung herbeizuführen. Die Klärung erbrachte, dass in der Zentrale in der Hauptsache drei Auffassungen vertreten sind: die der Linken, — Genossin Fischer und Thälmann, die Auffassung, die Brandler und Thalheimer vertreten haben, und die Auffassung, die durch Koenen und mich vertreten wird.

Genossen, die Auffassung, die dann von uns vertreten wurde, gipfelte bei der Überprüfung des Geschehenen in der Hauptsache darin: War es richtig, dass wir für einen Entscheidungskampf in dem Stadium, in dem wir uns befanden, rüsten konnten, Termin und Entscheidungsschlacht schon vorbereiten konnten? Die Frage haben wir verneint.

Aus der besonderen Struktur Deutschlands und den besonderen Klassenverhältnissen und Klassenkräften in Deutschland heraus sagten wir, wir standen noch nicht in dem Stadium, in dem wir den Termin für einen Entscheidungskampf setzen konnten. Wir sagten: ehe diese Entscheidungskämpfe kommen werden, werden wir durch eine Periode einer ganzen Reihe gewaltiger bewaffneter Einzelkämpfe hindurchgehen müssen. Wir werden ein Stadium durchlaufen, in dem die verschiedensten Machtverhältnisse in Deutschland vorhanden sein werden. Und deshalb sagten wir, dass man das, was wir bis zu den Oktobertagen nicht hatten, und zu dessen Erkenntnis man erst durch die Oktobertage gelangt ist, bereits voraussehen musste, nämlich dass wir, wie Brandler schön dargelegt hat, mit bewaffneten Demonstrationen, bewaffneten Einzelaktionen eine Periode durchlaufen müssen, bis wir zu diesem Entscheidungskampfe gelangen.

Also Genossen, wir vertreten die Auffassung, dass die Methode bzw. die Theorie, die man im Oktober versucht hat, aus einer Periode der agitatorischen und propagandistischen Tätigkeit heraus sofort in den bewaffneten Aufstand hineinzuspringen, falsch ist für die praktischen Dinge, wie sie sich in Deutschland ereignen werden. Und das war einer der wesentlichsten Punkte, in dem wir gegen die Anlage zur Oktobersache standen.

Ich komme zu dem Problem der weiteren Entwicklung in Deutschland, und welches die Hauptaufgabe ist. Da steht immer wieder im Vordergrund die Zersetzung des konterrevolutionären Blocks innerhalb der Arbeiterklasse. Ist der zersetzt, erst dann wird die Bahn frei zu der Möglichkeit des bewaffneten Entscheidungskampfes.

Ich will betonen, dass der Block selbst am besten überwunden wird im Kampfe; aber das darf uns nicht veranlassen, ganz klar zu sehen, was auf dem Gebiet zu geschehen hat, solange Kämpfe nicht ausgelöst werden können und nicht vorhanden sind. Wir sind der Auffassung, dass die Zerschlagung des konterrevolutionären Blocks, des Anhangs der Sozialdemokratie innerhalb der Arbeiterklasse, das Wichtigste und Bedeutsamste ist, was wir jetzt in Deutschland immer noch zu lösen haben. Und diese Lösung muss geschehen auf dem Boden der realen Möglichkeiten, wie sie in Deutschland gegeben sind.

Es ist hier immer wiederholt worden, dass eine der wichtigsten Aufgaben die Zusammenfassung, die Mobilisierung und die Ausnutzung der Betriebsräte für unsere revolutionäre Ideologie ist. Der Gedanke ist durchaus richtig, aber wir müssen uns die Frage so stellen: Was sind die Betriebsräte, und welche Möglichkeiten gibt es auf ihrem Boden?

Wir haben in Deutschland 370 000 Betriebe mit über 20 Arbeitern, für die das Gesetz die Wahl eines Betriebsrats vorschreibt. Trotz aller Maßnahmen auf diesem Gebiet, die wir ergriffen haben — wir haben in die einzelnen Bezirke besondere Sekretäre geschickt, die diese Betriebsräte zusammenfassen sollen; haben eine ungeheure Propaganda für die Betriebsräte getrieben, eine besondere Zeitung für sie herausgegeben — trotz aller dieser Arbeit ist es bis jetzt uns nur gelungen, 5 000 Betriebsräte (»Betriebe) zu mobilisieren bei einem Vorhandensein von 370 000 Betrieben. Ja, Genossen, wenn man solche Zahlen hört, möchte man sagen: Ist es überhaupt möglich, so viele wie 37 000 zu erfassen? Wesentlich erscheint mir, dass man in der Hauptsache die Großbetriebe erfassen muss. Wir haben nur 2 000 Großbetriebe mit über 1 000 Arbeitern, trotzdem wir 370 000 Betriebe haben. Unter den 5 000 erfassten Betriebsräten sind solche, in denen die Mehrheit aus Sozialdemokraten besteht und nur einzelne Kommunisten sind. Wenn wir auch diese Kommunisten in den Betriebsräten in dem Organ der Reichsbetriebsräte haben, so haben wir aber noch nicht den gesamten Betriebsrat der betreffenden Unternehmung. Und deswegen muss das Hauptgewicht darauf gelegt werden, bei den jetzt im Januar und Februar stattfindenden Betriebsrätewahlen diese Betriebsräte zu erobern.

Es ist sicher, dass hinter den Betriebsräten die gesamte Belegschaft steht, wenn sie ein revolutionäres Element sind, das vorwärts strebt. Heute stehen die Belegschaften nicht mehr durchweg hinter den Betriebsräten. Aber wenn wir es fertigbringen, wenigstens in den Großbetrieben bei den Wahlen die Betriebsräte ziemlich restlos zu erobern, dann werden wir auch die Belegschaften zu den revolutionären Kämpfen haben.

(Warski: Und wie viele haben wir von den 2 000 Großbetrieben in der Hand?)

Das kann ich nicht genau sagen, aber ich glaube, dass wir mindestens in allen Betriebsräten einen oder zwei Genossen in der Hand haben, die mit uns arbeiten.

Nun, Genossen, die Frage steht auch nicht so, dass man durch die Betriebsräte allein alle die Aufgaben erfüllen kann, oder, wie es Genossin Fischer irrtümlicherweise neulich darstellte, der Streik in Ludwigshafen sei durch die Betriebsräte geführt worden. Nein, selbst die wilden Streiks werden von den gewerkschaftlichen Vertrauensleuten der betreffenden Betriebe geleitet. Nur große Streiks, die über große Gebiete greifen, werden von den Betriebsräten geführt, aber die einzelnen Streiks werden durch die gewerkschaftlichen Vertrauensleute der Arbeiter geleitet.

Nun ist es selbstverständlich notwendig, dass wir eine ganz klare Linie, auch gegenüber den gewerkschaftlichen Arbeitern haben.

Genossen, für mich stand fest, dass die Dinge, wie sie jetzt bestehen, noch zu einer großen Katastrophe führen müssen. Im Oktober hatte die Bourgeoisie noch außerordentlich starke Kräfte auf ihrer Seite, die bisher die stärkste Stütze ihrer Macht waren, das Beamtentum. Inzwischen aber haben die Versuche eingesetzt, die Konsolidierung der kapitalistischen Verhältnisse auf dem Rücken dieser Beamten zu unternehmen. Jetzt haben wir eine viel breitere Grundlage, als im August und Oktober.

Ich vertrete die Auffassung, dass wir im nächsten Vierteljahr noch mehrere Auseinandersetzungen zwischen dem Proletariat und der herrschenden Klasse haben werden. Es gilt, die Partei darauf einzustellen und zu rüsten. Das, was zu unserer bisherigen Arbeit noch hinzukommen muss, ist die bewaffnete Rüstung, sind die bewaffneten Teilaktionen als ein Mittel des Klassenkampfes. Erst aus diesen Kämpfen kann sich der Zeitpunkt des Termins, an dem wir den entscheidenden Schlag führen können, herauskristallisieren. Gewiss, niemand kann bestreiten, dass es Möglichkeiten gibt, dass die bürgerliche Gesellschaft sich aus den jetzt bestehenden Verhältnissen herausarbeiten kann. Es können im nächsten Vierteljahr wieder solche vorübergehende Dinge kommen wie wir sie jetzt haben, durch die sich die Bourgeoisie aus der Schlinge herausziehen kann, die sie sich selbst um den Hals legte. Diese Möglichkeit besteht, aber man kann sich nicht auf zwei Möglichkeiten einstellen.

Wir müssen die Partei so einstellen, dass es möglich ist, in dieser Periode das zu verwirklichen, was wir durchzuführen haben, damit nicht die Möglichkeit des Kampfes besteht, während wir eine Partei haben, die nicht aktionsfähig ist, und die eine Leitung hat, die selbst geleitet werden muss. Die subjektiven Kräfte der Bewegung werden dann aus sich heraus wachsen. Dazu ist eine starke Hand an der Spitze der Partei notwendig, die imstande ist, die gegebenen Verhältnisse auszunutzen, so dass es zum siegreichen Kampfe kommen kann. Dazu ist eine kurze Aussprache über die Differenzen und die Dinge, wie sie sind und sein müssen, notwendig. Dann aber auch muss die Einstellung auf die Kraft der Partei nach außenhin erfolgen. Solange wir unsere Kräfte zum gegenseitigen Kampf in der Partei benutzen, haben wir keine Kräfte zum Kampf und Wirken nach außen.

Es muss ein kooperatives Zusammenarbeiten der Genossen, die sich im Kampfe herausgebildet haben, geschaffen und die Leitung nicht der Arbeit eines Einzelnen überlassen werden. Es sind doch meistens Genossen in unserer Leitung, die schon Jahrzehnte in der Bewegung stehen, die sich eben im Kampf selbst zusammengefunden haben. Wenn die russischen Genossen heute sagen, dass es die Tradition der alten Bolschewiki ist, die sie zusammenhält, so können wir zwar nicht von einer alten Tradition der Kommunistischen Partei in Deutschland reden. Wir können aber sprechen von einer alten Tradition linker Oppositionsgenossen in der Sozialdemokratie, die schon seit Jahrzehnten zusammenarbeiten. Dass zwischen diesen Genossen die Verbindung enger ist, als zu den Genossen, die erst ganz neu zu uns gekommen sind, das ist ganz selbstverständlich.

Wir sind zu der Auffassung gekommen, dass Brandler in der Führung der Partei oft zu selbständig gehandelt hat, so dass manches anders geworden ist, als es die Genossen gewünscht haben. Wir haben zum Ausdruck gebracht, dass wir wünschen, dass, wenn Brandler die Partei führen soll, ein starkes kollektives Vorgehen der Leitung der Partei vorhanden sein muss. Zu der Lage innerhalb der Partei gegenüber der Linken sage ich, was ich gestern bereits schon gesagt habe. Diese Opposition muss in die Zentrale hinein, weil ›Thälmann eine Opposition vertritt, die aus dem proletarischen Gefühl herauskommt, eine gute proletarische Tradition, die auch bei Thälmann vorhanden ist. Aber die Opposition, die von der Genossin Ruth Fischer und Maslow kommt, ist eine Opposition, die sich nicht aus den realen Verhältnissen heraus gebildet hat, sondern durch Theorien nur aus den Köpfen geboren ist. Das ist es, was ich an dieser Opposition kritisieren muss, dass sie nicht die reale Wirklichkeit sprechen lässt, sondern dass sie glaubt, dass die Welt sich aus ihren Köpfen herausbildet.

Ich glaube, dass es notwendig ist, dass jetzt dieser Streitpunkt zum Abschluss kommt, dass wir die Pflicht haben, von Moskau mit einer starken Hand und einer starken Leitung für die kommenden Kämpfe zurückzukehren. Das ist vor allen Dingen notwendig in der Periode der Illegalität. Wenn wir in einer solchen Periode nicht ein absolutes Vertrauen von Person zu Person haben, dann kann überhaupt nicht gearbeitet werden.

Erklärung der Minderheit und EKKI-Resolution

Erklärung der Minderheit

[Dies ist der ½ Diskussionsbeitrag, weil gekürzt und die Positionen nicht positiv zum Zuge kommen.]

Im Hinblick auf die bei Arbeit und Kampf zu sichernde Einheit, Einheitlichkeit und Festigkeit der K.P.D. haben die Unterzeichneten sich verpflichtet gefühlt, gegen die politische Thesen des E.K. über die Lehren der Oktober-​Ereignisse in Deutschland zu stimmen.

Die Grundlage zur Einheit, Einheitlichkeit und Festigkeit der Partei muss vollständige Klarheit der Einstellung zu den umstrittenen Fragen sein, die durch die Oktober-​Ereignisse aufgerollt worden sind. Die klare, scharfe Erkenntnis der von der Partei begangenen Fehler und gezeigten Mängel, ihrer Gründe und ihrer Auswirkung ist unerlässliche Voraussetzung dafür, dass die Partei Fehler und Mängel überwindet und bestmöglich gerüstet, als Führerin des revolutionären Proletariats den künftigen entscheidenden Kämpfen entgegengeht. Die politischen Thesen lassen eine nicht auslegbare Klarheit und Bestimmtheit vermissen. Sie haben die gegensätzlichen Meinungen darüber nicht geklärt und damit nicht überwunden, sondern nur durch dehnbare Redewendungen verschleiert, so dass sie Ausdeutungen Tür und Tor öffnen. Wir erblicken schwere Mängel der politischen Thesen vor allem in diesem:

Sie geben eine unvollkommene und zum Teil unrichtige Darstellung der Ursachen, die zur Oktober-​Niederlage geführt haben.

Sie stellen weder genügend fest, weshalb das »sächsische Experiment« ein Fehlschlag werden musste, noch welches die dabei begangenen wirklichen Fehler waren, und welches die Wirkung des Experiments als Ganzes sind.

Sie enthalten keine unzweideutige Entscheidung darüber, ob es unter den vorliegenden Umständen richtig war, dass die Partei den bewaffneten Machtkampf nicht aufnahm. Sie äußern sich nicht zu der Frage, durch welche Massenaktionen die Partei ihren Rückzug decken konnte.

Sie enthalten nicht die nötige Kritik der Fehler und Mängel der Politik, die von der sogenannten »linken Parteiopposition« betrieben wird, und erschweren dadurch außerordentlich die Abkehr der Opposition von ihren Fehlern, wie die Zusammenarbeit der Parteimehrheit mit der Opposition.

Die politischen Thesen sind in der Folge nicht geeignet, die Auseinandersetzungen in der K.P.D. zu beenden, und sie vermitteln den Sektionen der K.I. kein zutreffendes Bild von den Oktober-​Ereignissen, ihren Auswirkungen und ihren Lehren.

Die Unterzeichneten erwarten deshalb, dass die Erweiterte Exekutivesitzung sich mit den Oktober-​Ereignissen und ihren Lehren beschäftigen und die angenommenen Thesen revidieren wird.

[…]

Die Unterzeichneten erachten es für ihre selbstverständliche Pflicht wie für die Pflicht aller Genossen, die ihre Auffassung teilen, eiserne Disziplin zu halten und der Leitung zu helfen, die Partei und die Arbeitermassen für die kommenden Kämpfe in tatkräftiger Entschlossenheit zu mobilisieren. Die noch vorhandenen Gegensätze in der Partei müssen auf dem Boden der Parteiorganisationen und ohne Fraktionsbildung ausgetragen werden, und es ist Gebot der Stunde, die geschlossene Zusammenarbeit aller Parteigenossen schnellstens herbeizuführen. Diesem Ziel soll unsere Zustimmung zu dem Gesamtergebnis der Beratungen dienen [, das nicht nur die gleich folgende Resolution umfasst].

Zetkin. Pieck. Jannack. Walcher. Brandler. Hammer. Eisenberger.

Resolution der Exekutive vom 19. Januar 1924

Das gegenwärtige Dokument, das von großer Bedeutung für die gesamte Komintern ist, wurde auf einer dieser Tage zu Ende gelangten Beratung des E.K.K.I. mit den Vertretern der Zentrale der K.P.D. ausgearbeitet. In der Zentrale der K.P.D. hat eine ernste politische Umgruppierung der Kräfte auf Grund der durchgemachten politischen Krise stattgefunden. Es hat sich eine Rechte herauskristallisiert (Gen. Brandler), die aber in der Zentrale nur eine verschwindende Minderheit erhalten hat (2 Stimmen von 27). Ferner hat sich eine kompakte Richtung gebildet, die gegenwärtig der Kern der Partei ist (17 Stimmen in der Zentrale). Und schließlich gibt es die alte Linke, Berlin-Hamburg.

Das E.K.K.I. stellte sich auf den Standpunkt, dass im gegenwärtigen Augenbick eine volle Zusammenfassung des Grundkernes mit der Linken gegen die opportunistischen Fehler der Rechten notwendig sei. Der Anfang dieses Zusammenschlusses ist im vorliegenden Dokument erreicht, auf das sich unter Mitwirkung des E.K.K.l. diese beiden Strömungen, die 99 Proz. der gesamten K.P.D. darstellen, geeinigt haben.

Für diese Resolution stimmten alle in Moskau anwesenden Vertreter der K.I. (darunter auch die polnischen Kommunisten).

Im letzten Augenblick sind auch die Gesinnungsgenossen des Genossen Brandler mit Unterbreitung einer besonderen Deklaration im wesentlichen der Resolution beigetreten.

Das E.K.K.I. ist überzeugt, dass der Zusammenschluss des Grundkernes mit der Linken gegen die opportunistischen Fehler der Rechten der K.P.D. helfen wird, die großen Aufgaben, vor denen sie steht, richtig zu lösen. Jegliche Offenbarungen eines Fraktionsgeistes, von woher sie auch kommen mögen, wird das E.K.K.I. auf das Schonungloseste verfolgen.

G.S. [Grigori Sinowjew]

Lehren der deutschen Ereignisse.

(Resolution des E.K.K.l. vom 19. Januar 1924.)

Die Ereignisse in Deutschland, Polen, Bulgarien, die sich vom Mai bis November 1923 abgespielt haben, bilden den Anfang eines neuen Kapitels in der Geschichte der internationalen Bewegung. In Deutschland trat der proletarische Klassenkampf im Zusammenhang mit der Entwicklung der Ruhrkrise aus der Phase der allmählichen Sammlung der revolutionären Kräfte in eine neue Phase, in der es sich um den Kampf um die Macht handelt.

Die geschichtliche Wendung, welche sich im August/​September vollzog, und die im Laufe des Herbstes eingetretenen Ereignisse sind angesichts der weittragenden Bedeutung der deutschen revolutionären Bewegung von höchster Wichtigkeit für die Kommunistische Internationale. Die Lehren und Folgerungen, aus den dabei gemachten Erfahrungen müssen deshalb von der gesamten Kommunistischen Internationale aufs gründlichste ausgewertet werden.

Da die taktische Bewertung dieser Ereignisse sich fest auf dem grundsätzlichen Boden der K.I. halten soll, will die Exekutive hier wieder einmal die in der gegenwärtigen Epoche sowohl grundsätzlich wie praktisch wichtigste taktische Methode der K.I., die Taktik der Einheitsfront, ganz konkret charakterisieren.

I. Taktik der Einheitsfront. 

Auf dem III. Weltkongress der K.I. wurden die Aufgaben der K.P.D. im Zusammenhange mit der Niederlage im März 1921 besonders eingehend diskutiert und die Losung zusammengefasst: »Heran an die Massen!« Im Dezember desselben Jahres wurde die Methode der Eroberung der Massen konkretisiert durch die Beschlüsse der Exekutive über die Einheitsfronttaktak.

In Deutschland ging die K.P.D. sofort an eine ernsthafte Durchführurig der Einheitsfronttaktik. Die ganze objektive Lage in Deutschland begünstigte diese Taktik. Durch ihre Arbeit hat die Partei große Erfolge davongetragen, immer mehr Sympathien bei den Massen erworben und in die Reihen der Sozialdemokratie Zersetzung hineingebracht.

Eine Reihe unserer Sektionen hat nur langsam unter Überwindung vieler Widerstände und unter großen Fehlern die Einheitsfronttaktik anzuwenden begonnen. In Frankreich verstand im Jahre 1922 ein erheblicher Teil der Partei nicht den Sinn der Taktik der Einheitsfront und befürchtete aufrichtig, diese Taktik könne ein ideologisches Zugeständnis an die Sozialdemokratie bedeuten. In England verstand ein Teil der Genossen die Taktik der Einheitsfront so, dass er den falschen Schluss zog, als dürften die Kommunisten die opportunistische Arbeiterpartei im Parlament nicht kritisieren. In Finnland zog man Fehlschlüsse von ähnlichem Charakter. In Rumänien glaubte ein Teil der Genossen aufrichtig, die Taktik der Einheitsfront laufe auf die parlamentarische Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten hinaus. Die Kommunistische Partei Italiens beging lange Zeit einen Fehler entgegengesetzter Art und hielt sich von einer breiten Anwendung der Einheitsfronttaktik ab, aus Furcht, dass die programmatische und theoretische Einheit der kommunistischen Bewegung dadurch kompromittiert werden könnte.

Eine Reihe anderer Parteien fassten gleichzeitig diese Taktik zu mechanisch auf und dachten, es genüge, einmal im Monat den Sozialdemokraten einen schablonenhaften offenen Brief zu schreiben und ihn dann zu vergessen. Sie verstanden nicht, einen aktuellen politischen Kampf im Zusammenhang mit der Auswirkung der Taktik der Einheitsfront zu führen.

Die fehlerhafte Durchführung der Taktik der Einheitsfront, insbesondere im Anfang, in einer Reihe von Ländern, bedeutet aber nicht, dass die Taktik selbst falsch ist. Dieser Schluss wäre ebenso verkehrt wie die Ablehnung der revolutionären Ausnützung des Parlamentarismus, deshalb, weil einzelne Parlamentsfraktionen sie nur unter grossen Fehlern zu lernen vermögen. Die Taktik der Einheitsfront an sich war und bleibt richtig, ungeachtet der gelegentlichen Fehler.

Die Taktik der Einheitsfront hat ihre starken Seiten und ihre Gefahren. Mögen wir auch im Oktober 1923 noch keine sichere Mehrheit im deutschen Proletariat gehabt haben, allein die Tatsache, dass die junge Kommunistische Partei sich im Herbst 1923 ernstlich die Frage stellen konnte, ob sie nicht schon eine sichere Mehrheit zur Machtergreifung hatte, beweist, dass die Taktik der Einheitsfront imstande ist, die wichtigste Voraussetzung der Machteroberung, die Gewinnung der Mehrheit des Proletariats für die proletarische Revolution zu schaffen. Wenn dabei auch die kommunistischen Parteien auch die Psychologie und die Stimmungen zurückgebliebener unter dem Einfluss der Sozialdemokratie stehender Massen zu berücksichtigen haben, so ist das nicht ein Beweis für die Unrichtigkeit der Taktik selbst, sondern lediglich eine Gefahrenquelle bei ihrer Anwendung.

Schon in den ersten Leitsätzen der Exekutive vom Dezember 1921 wurde nachdrücklichst auf die Gefahren hingewiesen, mit denen die Taktik der Einheitsfront verbunden ist:

»Nicht alle kornmunistischen Parteien sind genügend gefestigt und gekräftigt, nicht alle haben endgültig mit der zentristischen und halbzentristischen Ideologie gebrochen: Fälle von Überspannung nach der anderen Seite sind möglich, Tendenzen, die in Wirklichkeit die Auflösung der kommunistischen Parteien und Gruppen in einem formlosen Einheitsblock bedeuten würden. Soll die geplante Taktik mit Erfolg für die Sache des Kommunismus durchgeführt werden, so müssen die kommunistischen Parteien selbst, die diese Taktik anwenden, stark und gut zusammengefasst sein, und ihre Führung muss sich durch Klarheit des Denkens auszeichnen.«

Der IV. Weltkongress wies gleichfalls auf die Gefahren hin, die sowohl die ganze Taktik der Einheitsfront, wie die besondere Losung der Arbeiterregierung in sich birgt. Der Kongress erklärte:

»Um diese Gefahren zu vermeiden und jetzt schon den Kampf aufnehmen zu können mit den Illusionen von einer angeblich unvermeidlichen Etappe der ›demokratischen Koalition‹, dürfen die kommunistischen Parteien folgendes nicht vergessen: Jede bürgerliche Regierung ist zugleich auch eine kapitalistische Regierung, aber nicht jede Arbeiterregicrung ist wirklich eine proletarisch-​sozialistische Regierung!«

Diese Warnungen der Komintern müssen gerade jetzt nach den deutschen Ereignissen in Erinnerung gebracht werden, da sogar die K.P.D., die nach der russischen Sektion reifste Partei der Internationale große Fehler bei der Durchführung der Einheitsfronttaktik zugelassen hat.

Es ist notwendig, dass sich die Kommunisten in allen Ländern jetzt klar darüber Rechenschaft ablegen, was die Taktik der Einheitsfront ist, und was sie nicht ist. Sie ist eine Taktik der Revolution, nicht der Evolution. Wie die Arbeiter- und Bauern-​Regierung für uns kein festes, demokratisches Übergangsstadium sein kann, so ist auch die Taktik der Einheitsfront keine demokratische Koalition, kein Bündnis mit der Sozialdemokratie. Sie ist nur eine Methode der revolutionären Agitation und Mobilisierung. Alle anderen Auslegungen lehnen wir als opportunistisch ab.

Dies müssen wir klar im Auge behalten, nur dann hat für die K.I. die Taktik der Einheitsfront einen Sinn und kann dem Ziele dienen, das Gros des Proletariats für den revolutionären Machtkampf zu gewinnen.

Die Einheitsfronttaktik als Agitationsmethode unter breiten Arbeiterschichten passt sich selbstverständlich einer bestimmten Epoche an, eben der Epoche, in der die Kommunisten fast aller für die Arbeiterbewegung entscheidenden Länder sich noch in der Minderheit befinden. Nach Maßgabe der Veränderung des konkreten Milieus wird man auch die Anwendung der Einheitsfronttaktik modifizieren müssen. Auch jetzt muss die Durchführung dieser Taktik in den verschiedenen Ländern verschieden sein. In dem Maße, in dem der Kampf stürmischer wird und mehr und mehr den Charakter des Entscheidungskampfes annimmt, werden wir noch mehr als einmal die Art der Anwendung der Einheitsfronttaktik in den einzelnen Ländern, ändern müssen. Es wird die Zeit kommen, wo ganze, jetzt noch starke sozialdemokrattische Parteien zusammenbrechen, oder, beim Beharren auf ihrem Verrat, wie Seifenblasen zerplatzen werden; wo ganze Schichten der sozialdemokratischen Arbeiter den Frontwechsel zu uns vollziehen. Die Taktik der Einheitsfront fördert und beschleunigt diesen Prozess.

II. Die revolutionäre Krise in Deutschland. 

Bald nach der Besetzung des Ruhrgebietes durch die französischen Heere hat die Exekutive der K.I. die Aufmerksamkeit aller Sektionen auf die kommende revolutionäre Krise gelenkt. Die internationalen Konferenzen in Essen und Frankfurt waren auch diesen Fragen gewidmet.

Dass in Deutschland eine neue revolutionäre Welle anzusteigen begann, signalisierten die großen Ruhrstreiks und Kämpfe im Mai/​Juni, der oberschlesische Streik, der Metallarbeiterstreik in Berlin, die Kämpfe im Erzgebirge, im Vogtland und der politische Massenstreik im August 1923, der den Sturz der Cuno-​Regierung brachte. Die rapide Zuspitzung der Lage äußerte sich in Teuerung, Geldentwertung, Inflation, unmäßigem Steuerdruck, Abbau des Parlamentarismus, verstärkter Offensive des Kapitals nach einer noch schwachen Offensive des Proletariats, in Lebensmittelknappheit, Lohnabbau, Abbau sozialer Errungenschaften der Arbeiterklasse, ferner im Wachsen der separatistischen und partikularistischen Bewegungen, im Wachsen der Verelendung des alten und des neuen Mittelstandes, im Schwinden des Einflusses der demokratischen Mittelparteien. Alle Lasten des Ruhrkrieges wurden auf das Proletariat und die immer mehr proletarisierten Mittelschichten abgewälzt. Die Zuspitzung der Klassengegensätze schritt mit dem Zerfall der von ihren Kraftzentren abgetrennten deutschen kapitalistischen Wirtschaft schnell vorwärts.

In vielen Provinzen zogen hungernde Massen bewaffnet aufs Land, um sich die notwendigen Lebensmittel zu holen. Breite Mittelschichten gerieten in Verzweiflungsstimmung und schwankten zwischen den beiden Polen, die einen Ausweg zeigten, den Kommunisten und den faschistischen Gruppen. In den Großstädten kam es immer wieder zu Plünderungen, zu Hungerdemonstrationen, zu Krawallen.

Die Klassenkräfte haben sich in Deutschland in den Monaten bis zum Winter 1923 fortwährend zugunsten der proletarischen Revolution verschoben. Die 18 bis 20 Millionen Proletarier standen vom Beginn der Ruhrbewegung an jeglicher nationalistischen Stimmung fern. Unter den 6 bis 7 Millionen städtischen Kleinbürgern und 4 bis 1 5 Millionen Kleinbauern, Siedlern und Pächtern ging eine tiefe Gärung vor sich.

Die demokratische Koalitionspolitik war offensichtlich bankerott. Die Sozialdemokratie, welche mit den demokratischen bürgerlichen Parteien die Regierungsgewalt geteilt hatte, musste sich entscheiden, ob sie in einen festen Block mit den Vertretern der Schwerindustrie und des reaktionären Militärs gehen werde, was sie auch dann tatsächlich durchführte.

Die K.P.D. hatte und hat noch die Aufgabe, die Zeit der internationalen Verwicklung, die durch die Ruhrkrise entstanden ist, der inneren unerhört schweren Krise des deutschen Kapitalismus und der sich vollziehenden Liquidation der Ruhrkrise auszunützen zum Sturze der Bourgeoisie und zur Errichtung der proletarischen Diktatur.

Zu diesem Zweck sollte die Partei das Industrieproletariat zum Kampf gegen die deutsche Schwerindustrie und gegen den französischen Imperialismus mobilisieren, gleichzeitig aber die städtischen und ländlichen Mittelschichten mindestens neutralisieren, nach Möglichkeit aber unter ihre Führung ziehen.

Die erste Aufgabe konnte nur gelöst werden, wenn es gelang, die Massen des Proletariats in ihrer Mehrheit aus der Einflusssphäre der Sozialdemokratie jeglicher Schattierung zu befreien und so zu organisieren, dass sie zum Kampf auf die Stellungen des Kapitalismus bereit waren.

Diese Aufgabe wurde nur ungenügend gelöst. Die Ursachen werden unten besonders erörtert.

Die zweite Aufgabe bedeutete im wesentlichen die Zerstörung des faschistischen Einflusses, Umbiegung der nationalistischen Stimmungen in den Willen, den Kampf gegen die deutschen Großkapitalisten und gegen den französischen Imperialismus im Bunde mit dem Proletariat zu führen. Diese Aufgabe wurde von der K.P.D. mit Erfolg in Angriff genommen, wie am besten der Antifaschistentag am 29. Juli 1923 zeigte. Breite Schichten der kleinbürgerlichen Bevölkerung sympathisierten damals bereits mit der K.P.D. der es gelungen war, die Heuchelei der »sozialen« Propaganda der Faschisten, ihre objektive Rolle als Helfer der die Nation verratenden Großbourgeosie und die Gemeinsamkeit der Interessen von Proletariat und Kleinbürgertum in ziemlich hohem Grade diesen Schichten klarzumachen.

Die Zersetzung im Lager der Bourgeoisie wuchs während jeder Woche. Das Vertrauen zur K.P.D. wuchs ebenfalls. Es galt, dieses Vertrauen zu organisieren und alle Kräfte zum entscheidenden Schlag vorzubereiten.

Die K.P.D. wie die Exekutive der Komintern kamen in Beratungen mit den Vertretern der fünf größten Parteien im September zu dem Ergebnis, dass die revolutionäre Situation in Deutschland derart herangereift sei, dass der Entscheidungskampf nur eine Frage von wenigen Wochen sei.

Von diesem Zeitpunkte ab mobilisierte die Partei alle ihr zu Gebote stehenden Kräfte und rüstete mit allen Mitteln zum Entscheidungskampf. Die Partei hat fieberhaft gearbeitet, um ihr letztes Mitglied zu aktivieren und für die Anforderungen des Kampfes zu wappnen. Um das gesamte Proletariat in die revolutionäre Kampffront einzureihen, hat die Partei überall die Bildung lokaler Aktionsausschüsse angeregt und unterstützt. Eine intensive Arbeit wurde unter den Eisenbahnern, Elektrizitäts‑, Staats- und Gemeindearbeitern geleistet.

Die Exekutive der K.I. hat die gesamte Internationale, besonders, aber die Sektionen der deutschen Nachbarländer und Sowjetrussland auf die nahende deutsche Revolution eingestellt und mit den einzelnen Sektionen ihre Aufgaben festgelegt.

III. Der Oktoberrückzug und seine Ursachen. 

Die K.P.D. war im Oktober trotz aller Schwächen bewusst auf den revolutionären Machtkampf eingestellt. Wenn es trotz der revolutionären Situation und trotz der Anstrengungen der K.I. und der K.P.D. weder zum revolutionären Entscheidungskampfe, noch zu politischen Massenkämpfen kam, so infolge einer Summe von Fehlern und Mängeln, die teilweise opportunistische Abweichungen enthielten.

Mängel in der Einschätzung der revolutionären Entwicklung.

Die Reife der revolutionären Situation in Deutschland wurde von der Partei zu spät erkannt. Auch die Exekutive der K.I. hat nicht energisch genug auf die herannahende Entscheidung aufmerksam gemacht, so dass die wichtigsten Kampfmaßnahmen verspätet in Angriff genommen wurden. Schon mit Ablauf der vorigen Periode (Curno-​Regierung, Ruhreinmarsch) hätte die Machtfrage aufgerollt und die technische Vorbereitungsarbeit begonnen werden müssen. Die Partei hat nicht rechtzeitig die Bedeutung der Massenkämpfe im Ruhrgebiet und in Oberschlesien als Zeichen des gestärkten Kraftbewusstseins und der wachsenden politischen Aktivität der Arbeitermassen erkannt und erst nach dem Cuno-​Streik die notwendige Umstellung begonnen.

Taktische Fehler.

Die Aufgabe, die zahlreichen Einzelaktionen von Juni bis September zu steigern, zu verbreitern und auf politische Losungen zuzuspitzen, wurde nicht erfüllt.

Nach dem Cuno-​Streik wurde der Fehler gemacht, elementare Bewegungen bis zum Entscheidungskampfe verschieben zu wollen.

Einer der schwersten Fehler war es, dass die instinktive Rebellion der Massen nicht durch Einstellung auf politische Ziele systematisch in bewusst revolutionären Kampfeswillen verwandelt wurde.

Die Partei versäumte es, energische, lebendige Agitation für die Aufgaben der politischen Arbeiterräte durchzuführen, Übergangsfordefungen und Teilkämpfe aufs engste mit dem Endziel, der Diktatur des Proletariats, zu verbinden. Die Vernachlässigung der Betriebsrätebewegung machte es auch unmöglich, die Betriebsräte zeitweilig die Rolle der Arbeiterräte übernehmen zu lassen, so dass es in den entscheidenden Tagen an einem autoritativen Zentrum fehlte, um das sich die schwankenden Arbeitermassen hätten sammeln können, die dem Einfluss der S.P.D. entzogen worden waren.

Da auch andere Einheitsfrontorgane (Aktionsausschüsse, Kontrollausschüsse, Kampfkomitees) nicht planmäßig ausgenutzt wurden, um den Kampf politisch vorzubereiten, so wurde der Kampf fast nur als Parteisache und nicht als einheitlicher Kampf des Proletariats aufgefasst.

Politisch-​organisatorische Schwächen und Mängel. 

Die Partei hat nur sehr wenig die Fähigkeit entwickelt, ihren wachsenden Einfluss in den Massenorganisationen des Proletariats organisatorisch zu festigen. Sie verstand es noch weniger, ihre Kräfte konzentriert für eine längere Periode auf eine Kampfaufgabe zu richten. Die technischen Vorbereitungen, die Einstellung des Organisationsapparates auf den Machtkampf, die Bewaffnung und innere Festigkeit der Hundertschaften waren minimal. Die viel zu kurzfristige und überhitzte technische Vorbereitung brachte praktisch fast nichts, sie stellte zwar in technischem Sinne die Parteimitgliedschaft auf die Aktion ein, erfasste aber die großen proletarischen Massen noch nicht.

Fehler in der Einschätzung der Kräfteverhältnisse. 

Die Überhitzung in den technischen Vorbereitungen während der entscheidenden Wochen, die Einstellung der Aktion als Parteikampf und nur auf den »entscheidenden« Schlag ohne vorherige anwachsende Teilkämpfe und Massenbewegungen verhinderten die Prüfung des wirklichen Kräfteverhältnisses und machten eine zweckmäßige Terminsetzung unmöglich. Damit wurde auch die Feststellung, ob die Mehrheit der Arbeiterklasse an den entscheidenden Punkten der Führung der K.P.D. folgte, zu einer ganz unrealen und unsicheren Berechnung. Tatsächlich ließ sich nur feststellen, dass die Partei auf dem Wege war, die Mehrheit für sich zu erobern, ohne schon die Führung über sie zu besitzen.

Die Unterschätzung der Kräfte der Konterrevolution bestand besonders darin, dass die Partei die Stärke der Sozialdemokratie als hemmende Kraft im Proletariat unterschätzte.

Die Partei hat auch den Charakter und die Rolle der linken S.P.D.-Führer verkannt und selbst in ihren Reihen die Illusion aufkommen lassen, als ob wir durch entsprechenden Massendruck diese Führer zwingen könnten, gemeinsam mit uns zum Kampfe aufzurufen.

Die falsche politisch-​strategische Orientierung auf Sachsen. 

Die starre Einstellung: Nur aus der Verteidigung der mitteldeutschen Positionen zum entscheidenden Kampfe überzugehen, war falsch. Sie führte zur Vernachlässigung anderer wichtiger Industrie- und Kampfgebiete und brachte nach dem kampflosen Aufgeben der sächsischen Position eine starke Desorientierung. Es war ein vershängnisvoller Fehler, dass die Partei alles so restlos auf die sächsische Karte setzte, dass sie für den Fall des Misslingens weder eine Rückzugslinie vorgesehen und sich zu sichern versucht hätte, noch über irgendeinen anderen Aufmarschplan verfügte.

Infolge all dieser Fehler und Mängel der Partei und der Schwäche der Arbeiterklasse ergab sich im letzten Augenblick das Ausweichen vor dem entscheidenden Machtkampf. Während in Bulgarien, wo die Partei noch keine bewaffneten Kämpfe durchgemacht hatte, die Niederlage noch zur Grundlage künftiger Siege wenden kann, befinden wir uns in Deutschland nach den Niederlagen 1919 und der Märzniederläge 1921 bereits in der Situation, wo die Kommunisten es im Kampfe verstehen müssen, die Masse zum Siege zu führen.

Ein großer Fehler war es auf jeden Fall, dass die Partei es nicht verstand, sich sofort auf Teilkämpfe umzustellen, dass sie trotz teilweiser Vorbereitungen völlig kampflos vor dem Einmarsch der Reichswehr, der Verhängung des Reichsbelagerungszustandes und der Unterdrückung der Partei zurückgewichen ist.

IV. Das sächsische Experiment und die Hamburger Kämpfe. 

Die Zuspitzung der Klassengegensätze in Deutschland, die Verschärfung der Wirtschaftskrise, die Einstellung der Partei auf entscheidende Kämpfe, veranlassten im Oktober die Exekutive der K.I. und die K.P.D., das Experiment des Eintritts von Kommunisten in die sächsische Regierung zu unternehmen.

Der Sinn des Regierungseintritts in Sachsen war nach der Auffassung der Exekutive eine spezielle militärische und politische Aufgabe, welche in einer Instruktion wie folgt präzisiert wurde:

»Da wir die Lage so einschätzen, dass der entscheidende Moment nicht später als in vier, fünf, sechs Wochen kommt, so halten wir es für notwendig, jede Position, die unmittelbar nützen kann, sofort zu besetzen. Auf Grund der Lage glauben wir, bei gegebener Lage muss man die Frage unseres Eintretens in die sächsische Regierung praktisch stellen. Unter der Bedingung, dass die Zeigner-​Leute [(SPD-​ler der sächsischen Regierung mit Zeigner als Ministerpräsident)] bereit sind, Sachsen wirklich gegen Bayern und die Faschisten zu verteidigen, müssen wir eintreten. Sofort Bewaffnung von 50 000 bis 60 000 wirklich durchführen, den [von der Reichsregierung zum Ordnungschaffen in Sachsen eingesetzten] General Müller ignorieren. Dasselbe in Thüringen.«

Unter den ursprünglich angenommenen Voraussetzungen hätte dieser Regierungseintritt den Beschlüssen des IV. Kongresses entsprochen. Die Entfesselung revolutionärer Kämpfe, das Zusammenschweißen der Arbeitermassen, hätte die Voraussetzung des Eintritts in die sächsische Regierung sein müssen. Der Regierungseintritt hätte sich auf Massenbewegungen stützen müssen. Wenn auch die direkte militärische Aufgabe verschoben werden musste, weil das Tempo des revolutionären Prozesses sich verlangsamte, so konnten und mussten auch in diesem Falle die Kommunisten eine wirkliche revolutionäre Aktivität entfalten, wobei sich jedoch ein bedenkliches Versagen zeigte.

Sie waren vor allem verpflichtet, die Frage der Bewaffnung der Arbeiter brutal zu stellen; schon in den ersten Stunden ihrer Beteiligung an der Arbeiterregierung durften die Kommunisten kein anderes Grundthema kennen, als die Frage der Bewaffnung des Proletariats. Sie waren außerdem verpflichtet, ihr proletarisches Rettungsprogramm vor den Massen, wie auch die Propaganda für die politischen Arbeiterräte mit aller Kraft zu entwickeln, um dieses Mittel der Sabotage der linkssozialistischen Minister entgegenzustellen. Sie waren auch verpflichtet, im Parlament und vor den Betriebsräten auf die sofortige Ergreifung revolutionärer Mußnahmen hinzuwirken, wie auf die Konfiskation der Betriebe von Fabrikanten, welche zur Sabotage der Produktion griffen, auf die Requisition der Wohnungen reicher Familien für wohnungslose Arbeiter und ihre Kinder.

Gleichfalls waren die Kommunisten verpflichtet, schon von der ersten Stunde ihrer Regierungsbeteiligung an das doppelzüngige Verhalten Zeigners seine hinterhältigen Verhandlungen mit den Militärdiktatoren, wie die ganze konterrevolutionäre Rolle der linken S.P.D.-Führer vor den breitesten Massen zu brandmarken.

Infolge dieser Unterlassungen, und da die Partei es nicht verstand, die Massen zu mobilisieren, wurde das sächsische Experiment zu keiner Kampfetappe: anstelle revolutionärer Strategie ergab sich eine unrevolutionäre, parlamentarische Kooperation mit den »linken« Sozialdemokraten. Die besondere Berufung der kommunistischen Minister auf ihre Verantwortlichkeit nur dem Landtag und der Verfassung gegenüber konnte nicht geeignet sein, demokratische Illusionen zu zerstören.

Nur durch angespannte revolutionäre Arbeit der gesamten Parteiorgane hätte die Chemnitzer Konferenz zu einem Erfolg für die Partei werden können. Die Partei ließ sich durch den Stoß des Gegners die vorausgesehene Reichsexekutive, faktisch überraschen. Ein umso größerer Fehler war es, dass, obgleich der Generalstreik vorgeschlagen werden sollte, gar nicht versucht wurde, die Konferenz von ihrer Eröffnung an ausschließlich auf die Abwehr gegen die Reichsexekutive umzustellen. Das waren Fehler, die das verräterische Spiel der linken S.P.D.-Führer zweifellos erleichtert haben.

Einen Gegenpol zu Sachsen bildet der Hamburger Aufstand. Hier zeigte es sich, dass bei überraschendem, kühnem Einsetzen entschlossener Kampfgruppen der Gegner militärisch überrumpelt wurde. Aber es zeigte sich gleichzeitig, dass ein solcher bewaffneter Kampf, selbst wenn er, wie in Hamburg von der Bevölkerung nicht ohne Sympathie aufgenommen wird und von einer Massenbewegung gestützt wird, zum Scheitern verurteilt ist, wenn er isoliert bleibt und am Orte selbst nicht von einer Rätebewegung, deren Fehlen in Hamburg besonders empfunden wurde, getragen ist.

Der Kampf selbst wurde durch einander widersprechende Befehle aus dem Zentrum im Reich gestört, und selbst die vorhandenen Streikbewegungen erlitten unter dem Ausbleiben von Kampfnachrichten aus dem Reich und durch das Eintreffen der Nachrichten vom Ausgang der Chemnitzer Konferenz Abbruch.

Trotzdem konnte der Hamburger Kampf mit musterhafter Disziplin abgebrochen werden. Seine Lehren sind wertvoll für Partei und Komintern. Besonders anzumerken ist das schuftige Verhalten der Hamburger S.P.D.-Führer, die die Militäraktion gegen die Aufständischen unterstützten. Ihr Verhalten ist die Kehrseite der Medaille, deren Vorderseite das Verhalten Zeigners und seiner »Linken« in Sachsen ziert.

Das sächsische Experiment hat erheblich die linken Sozialdemokraten diskreditiert; es hat gezeigt, dass sie in Wirklichkeit Knechte der Konterrevolution sind. Der Hamburger Aufstand hat das Kraftbewusstsein des deutschen Proletariats sehr gestärkt und der Sozialdemokratie selbst einen schweren Schlag versetzt.

Die K.P.D. muss diejenigen Fehler, welche während des sächsischen Experiments und in Verbindung mit dem Hamburger Kampf gemacht wurden, klar erkennen. Ohne das ist eine richtige Taktik der Partei in Zukunft unmöglich.

Die Rolle der Sozialdemokratie und die Wendung der Taktik der Einheitsfront in Deutschland.

Die leitenden Schichten der deutschen Sozialdemokratie sind im gegenwärtigen Moment nichts anderes als eine Fraktion des deutschen Faschismus unter sozialistischer Maske. Sie haben die Staatsgewalt an die Vertreter der kapitalistischen Diktatur übergeben, um den Kapitalismus vor der proletarischen Revolution zu retten. Der Innenminister Sottmann führte den Belagerungszustand ein, der Justizminister Radbruch stellte die »demokratische« Justiz auf Sonderjustiz gegen das revolutionäre Proletariat um. Der Reichspräsident Ebert übergab auch formell die Regierungsgewalt an Seeckt, die sozialdemokratische Reichstagsfraktion deckte all diese Handlungen, sie stimmte den Ermächtigungsgesetzen zu, welche die Verfassung aufhoben und die Gewalt den weißen Generälen übergaben. Die ganze internationale Sozialdemokratie wächst sich allmählich zu einem offiziellen Waffengange der kapitalistischen Diktatur aus. Die Turati und Modigliani in Italien, die Saküsow in Bulgarien, die Pilsudski in Polen und die S.P.D.-Führer vom Schlage Severings in Deutschland sind direkte Teilnehmer an der Regierungsgewalt der kapitalistischen Diktatur.

Fünf Jahre lang haben die deutschen Sozialdemokraten aller Schattierungen den allmählichen Abstieg ins Lager der Konterrevolution betrieben. Jetzt ist dieser Prozess seiner Vollendung nahe. Der gesetzmäßige Nachfolger der »revolutionären« Regierung, Scheidemann-​Haase ist der Faschistengeneral Seeckt.

Es gibt zwar auch Unterschiede im Lager der kapitalistischen Diktatur, es können sogar Differenzen von solcher Bedeutung vorkommen, dass wir sie in unserem Klassenkampf ausnützen köunen. Zwischen Ebert, Seeckt und Ludendorff gibt es Schattierungen. Aber über den Schattierungen im Lager der Feinde dürfen die deutschen Kommunisten nie vergessen, dass die Hauptsache ist, der Arbeiterklasse zum klaren Bewusstsein zu bringen, was das Wesen der Sache ist: dass im Kampf zwischen Kapital und Arbeit die Führer der S.P.D. mit dem weißen General auf Leben und Tod vereinigt sind.

Diese Führer der deutschen Sozialdemokratie sind nicht erst heute auf die Seite des Kapitals übergegangen. Im Grunde genommen standen sie immer bei den Klassenfeinden des Proletariats. Erst jetzt ist das vor den Massen krass zutage getreten, nachdem sie den Übergang von der kapitalistischen Demokratie zur kapitalistischen Diktatur vollzogen haben.

Dieser Umstand veranlasst uns jetzt, die Taktik der Einheitsfront in Deutschland einer Modifikation zu unterziehen. Mit den Soldknechten der weißen Diktatur gibt es kein Verhandeln! Das ist es, was jetzt alle Kommunisten in Deutschland klar erkennen und mit wuchtiger Sprache laut vor dem gesamten deutschen Proletariat verkünden müssen.

Aber noch gefährlicher als die rechten sind die linken S.P.D.-Führer, diese letzte Illusion der betrogenen Arbeiter, diese letzten Feigenblätter für die schmutzige konterrevolutionäre Politik der Severing, Noske und Ebert.

Die K.P.D. lehnt nicht nur jede Verhandlung mit der Zentrale der S.P.D. ab, sondern auch mit den »linken« Führern, bis diese Helden nicht wenigstens so viel Mannhaftigkeit finden werden, um offen mit der konterrevolutionären Bande, welche in dem Parteivorstand der S.P.D. sitzt, zu brechen.

Die Wendung in der Einheitsfronttaktik in Deutschland heißt jetzt:

Einheit von unten! Schon in den ersten Thesen der Exekutive der K.I. vom Dezember 1921 hieß es:

»Als Gegengewicht zum diplomatischen Spiel der menschewistischen Führer stellten die russischen Bolschewisten die Losung der Einheit von unten in den Vordergrund, d. h. der Einheit der Arbeitermassen selbst im praktischen Kampf für die revolutionären Forderungen der Arbeiter gegen die Kapitalisten. Die Praxis hat gezeigt, dass das die einzig richtige Antwort war, und als Ergebnis dieser Taktik, welche von den Umständen abhängigen, von Ort und Zeit abhängigen Änderungen unterworfen war, wurde auch ein ungeheurer Teil der besten menschewistischen Arbeiter allmählich für die Kommunisten erobert.«

Die K.P.D. muss es verstehen, die Losung der Einheitsfront von unten durchzusetzen. Unter den Arbeitern, die noch der S.P.D. angehören, gärt es wie noch nie. Sie sehen den Bankrott ihrer Führer und suchen neue Wege. Wir haben deshalb keinen Anlass, lokale Unterhandlungen und Vereinbarungen mit den S.P.D.-Arbeitern abzulehnen, wo vor uns ehrliche Proletarier stehen, welche bereit sind, ihre Hingebung an die Revolution zu beweisen.

Die Einheitsfrontorgane, die Betriebsräte, Kontroll- und Aktionsausschüsse müssen so ineinander greifen und zu einem dichten Netze verwoben werden, dass sie schließlich zum zentral geleiteten Träger des Apparates des Machtkampfes des Proletariats werden.

VI. Unmittelbare Aufgaben der Partei. 

Die Grundeinschätzung der Lage in Deutschland, welche im September von der Exekutive der Komintern gegeben ist, bleibt im wesentlichen bestehen: Der Charakter der eingeleiteten Kampfphase, sowie die Hauptaufgabe der Partei bleiben dieselben. Die K.P.D. darf die Frage des Aufstandes und der Machteroberung nicht von der Tagesordnung streichen. Diese Frage muss vor uns in ihrer ganzen Leibhaftigkeit und Dringlichkeit stehen. Wie groß auch die Teilsiege der deutschen Gegenrevolution sein mögen, sie lösen keines der Krisenprobleme des kapitalistischen Deutschlands.

Darum ergibt sich in Verbindung mit den in den letzten Monaten gesammelten Erfahrungen für die K.P.D. eine Anzahl unmittelbarer Aufgaben:

Die Partei muss die Kämpfe des Proletariats gegen den Abbau des Achtstundentags und der Arbeiterrechte organisieren. Die Partei muss die Erwerbslosenbewegung organisatorisch und politisch mit der Bewegung der Arbeitenden verbinden und die große Gefahr abwenden, dass die Arbeiterklasse gespalten wird in hungernde Erwerbslose und Arbeitende, die noch ein Stückchen Brot haben. Die Partei wird diese Arbeit am besten leisten können, wenn sie die kommenden Wirtschaftskämpfe von vornherein so vorbereitet, dass sie nicht nur gegen den Lohnabbau geführt werden, sondern politische Ziele erhalten. Unter der Losung: »Arbeit für die Arbeitslosen!«

Die Agitation der Partei muss den breitesten Massen zum Bewusstsein bringen, dass nur die Diktatur des Proletariats den breiten Massen Rettung schaffen kann. Diese Aufgabe muss verbunden werden mit dem Ziel der politischen Vernichtung der Sozialdemokratischen Partei, und das erfordert die Organisation der Einheitsfront-​Organe und eine klare Zielsetzung in allen Teilkämpfen.

Die Partei muss über das Industrieproletariat hinaus das Land-​Proletariat, die Angestellten und Beamten, die Kleinbauern, den proletarischen städtischen Mittelstand zu erfassen und zu Verbündeten der Arbeiterklasse unter der Hegemonie der revolutionären Arbeiter zu machen suchen. Das wird geschehen durch klare eindeutige Agitation, durch die Propagierung des wirtschaftlichen Programms der K.P.D., durch die Bekämpfung etwa noch vorhandener Reste einer pazifistischen westlichen Orientierung, durch Hinweis auf die nationale Rolle der deutschen Revolution und die Bedeutung eines Bündnisses der deutschen Räterepublik mit Sowjetrussland, sowie durch zähe Organisationsarbeit und Kontrollausschüsse und ähnliche Organe der revolutionären Bewegung.

Mit der Agitation und Propaganda muss die innerparteiliche, wie die nach außen greifende Organisationsarbeit Hand in Hand gehen. Die K.P.D. muss nicht nur eine gute Agitationspartei, sondern auch eine ebensolche Kampfpartei sein. Mit aller Hartnäckigkeit muss die Bewaffnung der Arbeiter und die technische Vorbereitung der entscheidenden Kämpfe vor sich gehen. Die proletarischen Hundertschaften müssen in der Wirklichkeit, nicht bloß auf dem Papier, geschaffen und von den Sympathien breiter Arbeitermassen getragen werden, die wiederum nur erworben werden durch die aktive Führung der K.P.D. in allen Tageskämpfen und Aktionen des Proletariats. Nur dann, wenn die Arbeitermassen in den Hundertschaften ihren Schutz bei den Demonstrationen und Streiks, bei allen Zusammenstößen finden, werden die Hundertschaften von den Massen bei der Bewaffnung, Ausbildung und bei der Erkundung des Gegners mit vollem Herzen unterstützt werden.

Voraussetzung für alle diese Aufgaben ist eine gründliche Verwertung aller bisherigen Erfahrungen durch die Partei. Hierher gehört das Ausrotten jeglicher Reste der demokratischen Illusionen in der Partei, wie auch der Vorstellung, als ob die S.P.D. oder ideologisch und organisatorisch fest umrissene Gruppen dieser Partei als solche revolutionäre Kämpfe führen könnten. Es muss in die Köpfe der Mitglieder gehämmert werden, dass die K.P.D. vor dem Sieg der proletarischen Revolution die Partei des Aufstandes, die Partei der Zerstörung des kapitalistischen Systems ist, und dass in allen Teilkämpfen ihre Arbeit nur dann revolutionär ist, wenn sie sich auf die Zerschlagung des Staatsapparates der Bourgeoisie richtet und das Ziel der Errichtung der proletarischen Diktatur jederzeit im Auge hat.

Die Kommunistische Partei ist die einzige revolutionäre Partei; sie ist stark genug, den Sieg der Massen des Proletariats gegen alle übrigen Parteien vorzubereiten und zu erringen, das muss die feste Überzeugung jedes Parteigenossen werden.

Um diese Einstellung der Partei zu erreichen, muss die K.P.D. die gemachten Erfahrungen in der ganzen Mitgliedschaft offen diskutieren. Die Partei muss es lernen, Diskussionen zu führen, ohne ihre Aktionskraft zu schwächen. Um ihre volle Aktionskraft zusammenzuschließen, soll sie es nicht versäumen, trotz aller Schwierigkeiten, trotz der Illegalität alle Differenzfragen zu klären und die Diskussion auf einem Parteitag abzuschließen.

Die Aufrechterhaltung der Parteieinheit ist eine absolute Forderung der Kommunistischen Internationale. Die Exekutive der K.I. fordert auch die gesamte Mitgliedschaft der K.P.D. auf, alles aufzubieten, damit auf dem Parteitag die ganze Partei einheitlich und geschlossen die Fraktionskämpfe liquidiert und volle Aktionsfähigkeit erlangt.

Die Exekutive der Komintern macht alle Mitglieder der K.P.D. und aller übrigen Sektionen der Komintern auf die Riesenaufgaben der jetzigen revolutionären Krise aufmerksam. Die Exekutive ist der festen Überzeugung, dass die Erfahrungen der letzten Monate nicht vergeblich sind, und wenn sie ernsthaft beachtet und verwertet werden, den Sieg des Proletariats näherrücken.

Das Exekutivkomitee der Kommunistischen Internationale.

Vollständige Broschüre des Präsidiums des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale vom Januar 1924: Die Lehren der deutschen Ereignisse. Verlag der Kommunistischen Internationale 1924

Bild: Antikommunistischer Reichswehreinsatz in Sachsen 1923 – Bundesarchiv, Bild 102 – 00190 /​CC-​BY-​SA 3.0 (Ausschnitt) via Wikimedia

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