Rüstung und Profitrate: eine militärisch‐​industriell komplexe Beziehung

  • Der Imperialismus resultiert nach Marxisten aus dem Absinken der Profitrate und den Gegenstrategien der herrschenden Klasse gegen diese Tendenz. 
  • Umstritten ist, ob die Rüstung selbst bereits eine Strategie zur Hebung der Profitrate ist, indem nicht mehr akkumulationsfähiges Kapital per Dekret investiert wird oder ob Rüstung immer nur als Abzug der produktiven Profite anzusehen ist.
  • Adem Yavuz Elveren untersuchte hierfür die Abhängigkeit der Profitrate von den Rüstungsausgaben in den USA zwischen 1870 und 2015.
  • Er stellte eine Zäsur ab dem Jahr 1975 fest, seit dem sich die Rüstung langfristig negativ auf die Profirate auswirkt.
  • Das reiht sich ein in eine Reihe empirischer Studien, die den Einfluss auf die Finanzprofitrate oder die Abhängigkeit von Export‐ und Importregimen gewichtiger ansehen.

Der Begriff des Militärisch‐​Industriellen Komplexes, der die Interessen von Rüstungs‐ und Industrieunternehmen mit den denen von Politikern zusammenbringt, ist seit dem Kalten Krieg gängig. In seiner Abschiedsrede am 17. Januar 1961 warnte Dwight D. Eisenhower vor der Machtkonzentration des MIK und dessen Gefahren für eine liberale Demokratie. Marxisten betrachteten den MIK häufig als Instrument des ideellen Gesamtkapitalisten, der sinkenden Profitrate entgegenzuwirken, indem zum Beispiel militärische Innovationen aus dem Militär in den zivilen Sektor übertragen werden. Man denke nur an die Legenden um Internet und Teflonpfanne. Die Theorie war aber nie ganz ohne Widersprüche. Schließlich lebt die Rüstungsindustrie von staatlichen Aufträgen und begrenzt so die Profite der anderen Industriekapitalisten und den Konsum der Arbeiter.

Adem Yavuz Elveren, der im letzten Jahr zusammen mit Pelin Akçagün‐​Narin herausgearbeitet hat, wie der Anstieg des Finanzanteils am BIP die materielle Rüstung verschleiert (Näheres hier), hat sich angeschaut, ob die Rüstung überhaupt geeignet ist, die Profitrate zu steigern. Legte Elveren vor einem Jahr noch eher einen Problemaufriss vor, handelt sich nun um eine konkrete empirische Untersuchung. Was ist dran am Konjunkurmotor Waffenproduktion?

Bisherige marxistische Theorie

Als Karl Marx seine Theorie vom tendenziellen Fall der Profitrate aufstellte, abstrahierte er noch ganz bewusst vom Weltmarkt und der Möglichkeit, durch geschickten Außenhandel zumindest die nationalen Durchschnittsprofitraten auf Kosten anderer zu heben. Engels betrachtete die stehenden Heere der entwickelten kapitalistischen Staaten sogar als eine enorme Last für die ideellen Gesamtkapitalisten anstatt eines Instruments. Es sollte erst die zweite Generation von Marxisten sein, welche die Notwendigkeit imperialistischer Kriege aus den Gesetzen der Kapitalakkumulation ableiten wollte. Lenin argumentierte, dass die nicht mehr investierbaren Extraprofite der am weitesten entwickelten Monopolkonzerne zum Kapitalexport zwingen würden und das monopolistische Interesse als allgemeines Nationalinteresse erscheinen ließen. Rosa Luxemburg schloss aus den Reproduktionsschemata auf eine Akkumulationsschranke durch strukturelle Überakkumulation, die mittelfristig nur durch die Kommodifizierung noch‐​nicht‐​kapitalistischer Sphären zu überwinden sei. Beide Theorien liefen darauf hinaus, dass imperialistische Staaten Macht über periphere Regionen erlangen müssten, um die Grenzen der eigenen Produktionsweise nicht zur revolutionären Situation zuspitzen zu lassen.

Paul Baran und Paul Sweezy legten in ihrem Buch zum Monopolkapital die Grundlagen eines Militarismusverständnisses, das heute in der Linken dominant ist. Demnach produziere der Kapitalismus durch Ausbeutung ein permanentes Nachfragedefizit. Der Rüstungssektor ist der einzige Akteur, dem der ideelle Gesamtkapitalist Befehlen kann, den überschüssigen Mehrwert zu absorbieren, wodurch die Rüstung zunächst Selbstzweck ist. Erst die physische Akkumulation von Kriegsgerät führe dazu, die Waffen auch irgendwann einzusetzen. Damit geht einher, dass die Aufrüstung auch die Klassenverhältnisse wesentlich prägt. Konkret bringen Aufrüstungsprogramme meist Einschränkungen für die Rechte von Arbeitern mit sich. Im Namen der nationalen Sicherheit werden legale Streik‐ und Partizipationsmöglichkeiten eingeschränkt, meist mit dem Versuch, diese Restriktionen erst auf jede als kritisch Infrastruktur definierte Industrie und abschließend auf die gesamte Wirtschaft auszudehnen. Flankiert wird dies ideologisch durch Kriegshysterie, um im Ergebnis die Mehrwehrtrate steigern, womit sich auch die Profitrate wieder erholen könnte. Nach Baran und Sweezy würde die Konzentration der Rüstungsproduktion zum Anstieg der organischen Zusammensetzung, höherer Arbeitslosigkeit, kompetitiven Nachteilen der zivilen Industrie und einem weiteren Absinken der Profitrate führen.

Michael Kidron verwarf solche Ansichten in den 70ern als kryptokeynesianisch. Nach ihm sei nicht wegzudiskutieren, dass die Rüstung immer vom produktiven Profit abgezweigt werden müsse und daher eine belebende Wirkung auf die Profitrate nicht zur Diskussion stünde. Es seien die innerimperialistischen Rivalitäten, die zur Aufrüstung zwängen. Ernest Mandel sah im Rüstungssektor noch ein Mittel der Bourgeoisie, Forschung auf Kosten der Arbeiterklasse auszulagern, um sie später zivil produktiv zu nutzen. Seit der Jahrtausendwende ist diese Ansicht aber in Kritik geraten. Dunne and Sköns stellten etwa fest, dass zivile Technologie längst die Möglichkeiten der Rüstungsindustrie überholt habe.

Bisherige marxistische Empirie

Seit den 1990ern wurde auch empirisch zu diesen Theorien einiges geforscht. Georgiou stellte etwa 1992 fest, dass die Rüstungsausgaben in den USA zwischen 1858 und 1987 positiv mit der Durchschnittsprofiterate korrelierten, während es in Westdeutschland und Großbritannien keine signifikanten Effekte gegeben habe. Kollias and Maniatis untersuchten 2003, dass die Rüstung in Griechenland zwischen 1962 und 1994 kurzfristig einen positiven, langfristig aber einen negativen Effekt gehabt habe. Dunne, Pieroni, and D’Agostino wiesen 2013 hingegen für die USA zwischen 1959 und 2010 auch einen langfristig positiven Effekt nach. Elveren and Özgür zeigten 2018 für die Türkei, dass in Zeiten von Rezension Militärausgaben die Profitraten weiter negativ beeinflussten, während sie diese in Normalzeiten stabilisierten. Beide Autoren wiesen 2019 für die USA hingegen nur schwache Effekte nach, wenn man die Profitrate strenger an der marxistischen Definition orientiert als die bisherigen Studien. Mit gleicher Methodik stellte Elveren 2019 fest, dass die Rüstungsausgaben in Australien, Brasilien, Israel, Italien und Neuseeland die Produktivität steigerten und somit die Profitraten erhöhten, während in Argentinien, Österreich, Kanada, Finnland, Frankreich, Deutschland, Irland und Norwegen der Anstieg der organischen Zusammensetzung die Produktivitätsfortschritte überwog. Im Fazit zeigten Länder, die mehr Waffen importierten, größere negative Effekte auf die Profitrate. 2018 konnten Elveren und Hsu zudem unterscheiden, dass in waffenimportierenden Ländern die Kausalität so ist, dass Rüstungsausgaben zu geringeren Profitraten führen, während in waffenexportierenden Ländern, sinkende Profitraten durch Rüstungsausgaben wieder angehoben werden. Akçagün‐​Narin und Elveren zeigten 2024 auch, dass die Rüstungsausgaben viel enger mit den Finanzprofitrate zusammenhingen, als mit der allgemeinen Profitrate. Ebenso spielt die Ungleichheit der Profitratenverteilung eine Rolle bei der Wirkung von Rüstungsausgaben, auch wenn diese nicht ganz klar ist. 2019 fand Elveren aber auch einen zeitlichen Effekt. Während vor 1980 Rüstungsausgaben die Profitraten zu heben schienen, drücken sie seither auf die Profite.

Die Ergebnisse zeigen also ein durchaus komplexes Bild, das verrät, dass es auf die konkreten Umstände eines kapitalistischen Regimes ankommt, ob Rüstungsausgaben nun auf die Profitrate drücken oder sie heben. Es ist im Marxismus auch keine Seltenheit, dass die Gewichte von Tendenzen und Gegentendenzen nicht »gefühlsmäßig« oder offensichtlich zu bestimmen sind, sondern der sehr konkreten Analyse der Produktionsbedingungen unterliegen. Der Marxismus lässt damit entgegen bürgerlicher Vorurteile immer noch genügend Raum für empirische Wissenschaft und anhand der Studie Elverens wollen wir am praktischen Beispiel nachvollziehen, was uns die Daten im Hinblick auf gesellschaftliche Analyse und politische Praxis verraten.

Methode: ARDL

Elveren untersuchte nun den Zusammenhang zwischen Profitrate und Rüstungsausgaben in den Vereinigten Staaten zwischen 1870 und 2015. Ungeachtet der immensen strukturellen Veränderungen, denen das Land in dieser Periode unterworfen war, gibt es nicht nur die besten Daten für die USA, sondern seit dem Zweiten Weltkrieg ist die Bedeutung des Zusammenhangs von ökonomischer und militärischer Macht nirgends so offensichtlich wie hier. Bei Elveren fungiert die Profitrate als abhängige Variable, wobei er seine Werte von Dumenil und Levy bezieht, die als einzige für die USA eine Serie bis ins 19. Jahrhundert erstellt haben. Bei einem so großen Zeitraum ist klar, dass die Definition der Profitrate entsprechend offen sein muss, um verschiedene Akkumulationsregime unter einen Hut zu bekommen. Sie haben das Nettoinlandsprodukt durch alle Löhne, Gehälter, Revenuen etc. der arbeitenden Bevölkerung geteilt. Dieses Modell geht davon aus, dass alle unproduktiven Arbeiten als notwendige Kosten dennoch irgendwie vom Mehrwert bezahlt werden müssen und damit in die realisierte Profitrate eingehen. Damit kann ein System, indem viele Realisierungsprozesse von produktiven Firmen in kleinere ausgelagert werden genauso behandelt werden, wie eines, in dem Konzerne viele Teile der Zirkulation auch formal vereinen.

Mit dem ARDL Bounds Testing haben sie die Abhängigkeit der Profitrate von vier unabhägigen Größen getestet: den Militärausgaben, dem BIP, der Arbeitslosigkeit und der Zeit. ARDL steht hierbei für Auto Regressive Distributed Lag und beschreibt eine Methode, die eine langfristige (aber auch kurzfristige) Wirkung einer Variable auf eine andere beschreibt. Das Modell schätzt, wie stark vergangene Werte die Gegenwart beeinflussen, und zeigt, ob sich zwischen den Größen ein stabiler Gleichgewichtszusammenhang ergibt oder ob es nur vorübergehende Verschiebungen gibt. Liegt die zeitliche Veränderung innerhalb einer definierten Grenze, wird die Nullhypothese akzeptiert. Die eigentliche Arbeit liegt in der Bestimmung dieser Grenze. Der zweite wichtige Schritt ist die Auswahl eines passenden Signifikanztest bei Verwerfen der Nullhypothese. Ansonsten bieten Programme wie Python oder R gut vorbereitete Umgebungen, sodass eigentlich wenig selbst programmiert werden muss. Die Methode wird in der bürgerlichen Ökonomie seit 20 Jahren sehr häufig eingesetzt, zum Beispiel um die langfristige Wirkung von Investitionen zu bestimmen.

Ergebnisse

Da es der ARDL‐​Testung um langfristige Effekte geht, gibt es leider keine schöne grafische Darstellung in Form von Diagrammen, sondern das Ergebnis sieht so aus:

Quelle: siehe Literatur. S. 11.

Was sagt das nun aus? Nehmen wir einmal den Parameter Arbeitslosigkeit. Kurzfristig zeigt sich statistisch sehr signifikant, dass der Anstieg der Arbeitslosigkeit auch einen Anstieg der Profitraten bewirkt. Das ist mit Marxens Allgemeinem Gesetz der kapitalistischen Akkumulation kohärent, nachdem der Anstieg der industriellen Reservearmee die Verhandlungsposition der Arbeiter schwächt und zu geringeren Löhnen führt. Wohlgemerkt sind hier alle Kompensationen von Arbeitern berücksichtigt, sodass der positive Effekt bereits die gestiegenen Ausgaben für die Arbeitslosenversicherung berücksichtigt. Kurzfristig gewinnt das Kapital durch die hohe Arbeitslosigkeit auch netto. Langfristig zeigt sich allerdings ein negativer Effekt, der jedoch nicht mehr signifikant ist.

Die Militärausgaben hingegen zeigen sowohl kurzfristig als auch langfristig eine belebende Wirkung auf die Profitrate, langfristig sogar weit stärker und signifikanter als kurzfristig. Das spannende Detail liegt nun aber in der zeitlichen Periodisierung. Teilt man den Untersuchungszeitraum auf, so zeigt sich eine Tendenz der Wirkung:

Quelle: siehe Literatur. S. 13.

Während in den Perioden 1870 – 1923, 1923 – 1937 und 1938 – 1975 die Militärausgaben immer positiv auf die Profitraten wirkten, hat sich die Wirkung seit 1975 umgedreht.

Elveren erklärt dies folgendermaßen. Mit dem Einsetzen der neoliberalen Periode und der Lockerung der Finanzgesetzgebungen, hat sich das Kapital als Antwort auf die fallende Profitrate in den Finanz‑, Zirkulations‐ und Rentierssektor verschoben. Zinsen, Mieten, Dividenden, unproduktive Arbeit zur Verringerung der Zirkulationszeiten und ‑kosten; all das ist genauso wie die Rüstung nur mit einer Umverteilung von produktivem Mehrwert verbunden, aber eben lukrativer als der Rüstungssektor, indem am Ende fehlende Konkurrenz und persönliche Beziehungen der Produktivität nicht gerade förderlich waren. Erst, wenn auch die Finanzprofitraten einbrechen sollten, kann die Rüstung auch wieder förderlich auf die allgemeine Profitrate wirken.

Zusammenfassung

Scheint Trumps Politik für viele Analysten immer noch rätselhaft zu sein, so erscheint der amerikanische Präsident vor diesem Hintergrund als eine Charaktermaske, wie sie besser kaum passen könnte. Selbst aus dem Finanz‐ und Immobiliensektor stammend hat er erlebt, dass die Verteilung des Mehrwerts in diesen Sektor, der bereits zukünftige Mehrwerte auf die heutige Profitrate aufschlagen kann, weit renditeträchtiger ist, als der militärisch‐​industrielle Komplex. Auf der anderen Seite braucht er das Militär der USA zur Aufrechterhaltung der Dollarhegemonie und zur Durchsetzung von Sanktionen. Da Rüstungsausgaben immer dann positiv auf die Profitrate wirken, wenn die Waffen auch exportiert werden, kann er durch die Verpflichtungen der NATO‐​Bündnispartner die Kosten der eigenen Rüstung teilweise auf die Partner des transatlantischen Bündnisses abwälzen, welche die belastenden Rüstungssektoren in den letzten Jahrzehnten abgebaut haben. Der Rest wird bei Bildung und öffentlicher Versorgung eingespart. Dass diese Politik von der früheren unbedingten Aufrüstung seiner Amtsvorgänger abweicht, die noch auf die allgemein profitratenhebenden Wirkungen der Waffenproduktion bauen konnten, ist da nur zwangsläufig und hat wenig mit persönlichen Schrullen des MAGA‐​Präsidenten zu tun. Er hat die Denkweise »America First« – oder genau »American Capitalists First« – nicht erfunden, sondern nur für die heutige Zeit übersetzt.

Literatur

Elveren, A. (2025): The impact of military spending on profit rate in the US, 1870 – 2015. In: The Japanese Political Economy. Online First. DOI: 10.1080/2329194X.2025.2549107.

Zuerst erschienen bei Spectrum of Communism unter einer CC4.0‑BY-NC-Lizenz, im Gegensatz zum Original wurde auf gendern nach Rücksprache mit den Autoren verzichtet, Abkürzungen ausgeschrieben

Bild: Herstellung von Panzerfahrzeugen bei Rheinmetall für die NS‐​Kriegsrüstung (Bundesarchiv, Bild 183‐​L04352 /​CC‐​BY‐​SA 3.0)

http://​www​.spectrumofcommunism​.de/

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