
Die erneuerte Entwicklungsstrategie des Westens gegenüber Afrika erinnert an die »weißen Elefanten«: teure und unproduktive Infrastrukturprojekte der 1970er Jahre. Nach einer Phase, in der »weiche« Entwicklungsziele wie gute Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung oder Transparenz im Vordergrund standen, scheint man nun darauf bedacht, der »Neuen Seidenstraße« und dem wachsenden Einfluss Chinas entgegenzuwirken. Farwa Sial vergleicht im folgenden Text die Entwicklungsmodelle des Westens und Chinas und betont die Bedeutung ihrer unterschiedlichen historischen Wurzeln. Trotz eines nüchternen Blicks auf China gereicht der Vergleich nicht zum Vorteil des Westens. Der Artikel wurde zuerst auf der Webseite der Review of African Political Economy veröffentlicht. Übersetzung mit freundlicher Genehmigung der Autorin von Heiner Biewer.
»Europas neue Strategie für Auslandsinvestitionen muss an historische Geschäftsmodelle anknüpfen – wir kehren zu den weißen Elefanten der 1970er Jahre zurück – denn das ist es, was die Partner wollen.«
Ein G7‐Funktionär in einer Rede über Handel und Finanzen
»Die Ära der westlichen Vorherrschaft ist tatsächlich endgültig vorbei«
Josep Borrell (2024), Hoher Vertreter der Europäischen Union für Außen‐ und Sicherheitspolitik.1
Am 28. Januar 2024 haben drei Mitglieder der Wirtschaftsgemeinschaft Westafrikanischer Staaten (ECOWAS) – Niger, Mali und Burkina Faso – ihren Austritt aus der Organisation angekündigt. Die 1974 gegründete ECOWAS ist eine regionale Wirtschaftsgemeinschaft, die als großer Handelsblock die regionale Integration und die wirtschaftliche Zusammenarbeit ihrer 15 Mitgliedsländer fördern soll. Die Entscheidung der drei Länder, den Handelsblock so unverblümt zu verlassen, hing mit einer Reihe von Sanktionen zusammen, die die ECOWAS gegen ihre Militärregierungen verhängt hatte, sowie mit dem Widerstand der Länder gegen den französischen Einfluss auf die Wirtschaftsgemeinschaft.2 Die seit langem bestehende Unzufriedenheit mit der ECOWAS war ebenfalls ein bestimmender Faktor. Zu den Mitgliedsländern gehören einige der ressourcenreichsten Nationen, aber insgesamt haben die Mitglieder kaum Fortschritte bei den sozioökonomischen Indikatoren gemacht, die mit dem ECOWAS‐Versprechen von Wohlstand durch regionale Integration verbunden sind.
Die politische Unsicherheit in der ECOWAS verschärfte sich Mitte Februar 2024 weiter, als der senegalesische Präsident Macky Sall die Präsidentschaftswahlen verschob und später abgesetzt wurde. Angesichts dieser grundlegenden Herausforderungen hob die ECOWAS die Sanktionen gegen Niger und andere Länder innerhalb eines Monats nach ihrer Verhängung auf. Der mögliche Zusammenbruch der ECOWAS und die allgemeine Entwicklung einiger afrikanischer Länder hin zum Autoritarismus mögen zwar nicht als radikale Veränderung in der Geschichte des Kontinents erscheinen, doch das brisante globale Umfeld, das die ECOWAS zur Aufhebung der Sanktionen zwang, ist ohne Beispiel. Die neokolonialen Triebkräfte der gegenwärtig zerfallenden politischen Ordnung im Sudan und im Kongo sowie der andauernde Völkermord in Palästina machen unübersehbar deutlich, dass wir in eine Ära offener kolonialer Gewalt eintreten. Die Gegenreaktion auf den US‐zentrierten Imperialismus nimmt Fahrt auf. Im März 2024 setzte Niger alle militärischen Beziehungen zu den USA aus und begründete dies mit der Verletzung seiner Souveränität durch den Hegemon.3 In dieser sich dynamisch entwickelnden Lage stehen die episodische und spontane Abkopplung der Länder des Globalen Südens von den Ländern des Globalen Nordens sowie ihre Dominanz in Blöcken wie der ECOWAS für eine umfassendere Veränderung im Widerstand Afrikas gegen die politische und wirtschaftliche Unterordnung unter die G7‐Länder.
Vor diesem Hintergrund bietet die neue und sich wandelnde Entwicklungsstrategie der westlichen Mächte für Afrika wichtige Einblicke in die Art und Weise, wie die G7‐Länder4 es versäumen, die transformativen Veränderungen in Afrika zu erfassen. In einer Rede hinter verschlossenen Türen auf dem Investitions‑, Handels‐ und Finanzforum beschrieb ein G7‐Funktionär die neue europäische Strategie für Auslandsinvestitionen als eine, die an die Weißen Elefanten der 1970er Jahre erinnert. Der Redner benutzte den Begriff »weißer Elefant« zwar, um das Interesse der EU an der Finanzierung harter Infrastrukturen zu bezeichnen, die mit dem Versprechen von Investitionen und Wachstum für die Empfängerländer verbunden ist, aber er hat die Bedeutung offensichtlich nicht verstanden. Ein »weißer Elefant« ist eine übermäßig teure Infrastrukturanlage, die keinen Mehrwert für die Wirtschaft schafft.
Im Lichte der korrekten Definition des Begriffs betrachtet, scheint die neue Entwicklungsstrategie des Westens tatsächlich auf teure Infrastrukturprojekte ausgerichtet zu sein, die durch einen rückschrittlichen, performativen, aber letztlich eingebildeten Wettbewerb mit China angetrieben werden. Ich erläutere dies in der Folge durch eine vergleichende Analyse der gegenwärtigen Entwicklungsstrategie der G7 mit dem chinesischen Entwicklungsmodell, das sich im Rahmen des allgemeinen Niedergangs des US‐geführten Imperialismus entfaltet.
Abgrenzung der Ursprünge des historischen Imperialismus und der bipolaren Weltordnung
Der Großteil der vergleichenden Literatur über westliche und chinesische Entwicklungsstrategien in Afrika lässt die koloniale und neokoloniale Realität der Entwicklungen in Afrika unberücksichtigt. Dieses entscheidende Versäumnis führt zu einem inhaltsleeren Vergleich, der letztlich die Frage der Zeitlichkeit und des historischen Charakters der unipolaren imperialen Weltordnung außer Acht lässt. Um die Handlungsfähigkeit der afrikanischen Länder in den Mittelpunkt zu stellen, ist eine historische Kartierung erforderlich, die nicht nur eine Brücke von der Vergangenheit zur Gegenwart schlägt, sondern auch berücksichtigt, wann und wie Pfadabhängigkeiten unterbrochen werden. Für eine vergleichende Analyse des westlich‐chinesischen Wettbewerbs in Afrika sind drei Fakten maßgeblich.
Erstens ist Chinas derzeitiges globales Entwicklungsmodell, das bis in die frühen 2000er Jahre zurückreicht, nicht mit der 100‐jährigen Geschichte des europäischen Imperialismus in Afrika vergleichbar. Diese Vergangenheit ist für Analysen von zentraler Bedeutung und kein bloßes Beiwerk. Denn Europa hat Afrika nie verlassen. Das chinesische Engagement in afrikanischen Ländern fand parallel zur wirtschaftlichen und politischen Einmischung Europas und des Westens in der Region statt. Chinas reiche Geschichte der Unterstützung antiimperialistischer Kämpfe in Afrika sowie der führenden Initiativen zur Süd‐Süd‐Kooperation unter Mao Zedong sind ausführlich dokumentiert und zeigen eine ganz andere Vorstellung von Entwicklung, die auf der Solidarität innerhalb der Dritten Welt beruht.5 Diese Geschichte wird jedoch in den meisten Mainstream‐Analysen völlig ignoriert, und Chinas Engagement in Afrika und im Globalen Süden wird mit dem westlichen imperialistischen Modell gleichgesetzt.
Unsere Vorstellung vom Imperialismus ist in die historisch gewachsene Struktur des globalen Kapitalismus eingebettet, die nicht abstrahiert und dann selektiv auf die neue bipolare Welt übertragen werden kann, wie an anderer Stelle ausführlich dargestellt (Capasso & Kadri, 2023; Ajl 2024, Yeros 2024).6 Während chinesische Investitionsprojekte einer genauen Prüfung und Kritik bedürfen, müssen Vorstellungen vom Wesen des Imperialismus, ob alt oder neu, auf der Tatsache der weltweiten kapitalistischen Extraktion basieren. Ein Ausgangspunkt hierfür ist die Feststellung, dass Chinas »Going‐Out«, also die Strategie seiner Auslandsinvestitionen, im Gefolge seiner bemerkenswerten Erfolge bei der Verringerung der Armut im eigenen Land entstanden ist. Die chinesische Entwicklungserfahrung basierte also nicht auf einem Modell der imperialen Extraktion, wie es der Modus Operandi der meisten westlichen Industrienationen war.
Zweitens und darauf aufbauend waren Art und Umfang der chinesischen Investitionen in Afrika innerhalb dieser kurzen Zeitspanne transformativ, da der Schwerpunkt auf der Infrastruktur und der Optimierung der Produktionskapazitäten in den afrikanischen Ländern lag. Die vom chinesischen Staat geleitete »Going-out«-Strategie verfolgte einen ganzheitlichen Entwicklungsansatz, bei dem produktive Investitionen und Infrastrukturen im Mittelpunkt standen, um Verflechtungen innerhalb und zwischen Wirtschaftssektoren zu fördern. Dies war möglich, weil China die gesamte Wertschöpfungskette der Entwicklung kontrollieren konnte: von der Bereitstellung von Finanzmitteln durch seine staatlichen Banken bis hin zur Planung, Fertigstellung und Ausführung von Projekten.
Dieses Entwicklungsmodell entsprach nicht dem Wesen westlicher Investitionen, die sich seit Ende der 1990er Jahre weitgehend auf »sanfte Entwicklung« konzentrierten (siehe unten). Im Westen galten vor allem Länder, die als einkommensschwach und am wenigsten entwickelt eingestuft wurden, als äußerst riskant für westliches Kapital und daher nicht als lohnenswertes Investitionsziel. Der enorme Zustrom chinesischer Investitionen in diese Länder hat dieses Hindernis für das westliche Kapital beseitigt. Die Risikobereitschaft Chinas hat andere Investitionsstrategien erleichtert. Daher ist die Zunahme westlicher Infrastrukturprojekte – wie Straßen und Brücken – als Folge von Chinas »Going-out«-Strategie zu betrachten.
Drittens ist es der eigentliche Zweck einer vergleichenden Analyse, Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen den Ansätzen gegenüberzustellen. Die Mainstream‐Analysen gehen dagegen a priori von einer Überschneidung zwischen chinesischen und westlichen Entwicklungsstrategien aus, die auf einem oberflächlichen Anschein beruht. Dies lässt sich, in der journalistischen Berichterstattung wie auch im wissenschaftlichen Mainstream, an der Gleichsetzung zweier sehr unterschiedlicher Finanzierungsmodelle beobachten. Diese zwanghafte Gleichsetzung zwischen einem neoliberalen (USA/EU) und einem staatlich gelenkten Finanzierungsmodell (China) stiftet somit endlose Verwirrung, anstatt eine echte Analyse zu leisten. Wie Samir Amin (2018) uns erinnert:
»Deng Xiaoping sagte, dass man mit der Betrachtung der Fakten beginnen sollte. Das ist genau das, was die konventionellen professionellen ›Ökonomen‹, alle, auch die in den USA ausgebildeten und gehirngewaschenen chinesischen ›Experten‹, nicht tun.«7
Um diese Einschränkung zu überwinden, muss die Analyse mit einem Vergleich der chinesischen und westlichen Entwicklungsstrategien beginnen.
Vergleich der Entwicklungsstrategien und ihrer Konditionen
Eine grundlegende Definition von »internationaler Entwicklung« ist der finanzielle und technische Ressourcentransfer von einigen Ländern in andere, um letztere zu unterstützen. Während der Marshallplan für Europa von 1948 auf den Wiederaufbau und die Neuausrichtung der europäischen Märkte abzielte, um sie besser mit der Hegemonie des US‐Kapitals in Einklang zu bringen, nahmen die westlichen Entwicklungsstrategien im Globalen Süden eine deutlich andere Form an. Diese Periode der Transformation begann in den achtziger Jahren, als man den Schwerpunkt ausschließlich auf soziale Indikatoren in den Ländern des Globalen Südens legte. Öffentliche Güter wie Gesundheit und Bildung waren die Hauptempfänger »weicher« Zuschüsse. Diese waren jedoch häufig an die Umsetzung von Privatisierungsplänen und an die Harmonisierung von Werkzeugen der liberalen Demokratie wie »Good Governance«, die Finanzierung von Transparenzinitiativen oder die Überwachung und Reform von Wahlprozessen gebunden.
Darüber hinaus wurde dieses Finanzierungsmodell nicht durch Investitionen in die öffentlichen Ausgaben, die Haushaltskonsolidierung zur Förderung der Entwicklungspolitik, die Industrialisierung in den produktiven Sektoren und die Reform des Finanzsektors zur Erreichung der finanziellen Autonomie ergänzt. Dies führte zu einer Aufspaltung der eigentliche Bedeutung von Entwicklung: Die Abhängigkeit von der Entwicklungshilfe diente dazu, die »weiche Infrastruktur« von der »harten Infrastruktur« zu trennen und ihr Vorrang einzuräumen. Die Agenda der »weichen« Entwicklung mündete in die Abhängigkeit von den Geldgebern und führte zur Vermarktlichung der öffentlichen Güter. Das beschleunigte die Aushöhlung vieler Länder des Globalen Südens. Durch die Privatisierung wurde das politische Modell der Regierungsführung in diesen Ländern erfolgreich umgestaltet: Die Bürger wurden zu Konsumenten.
Im Gegensatz dazu beruhte Chinas »Going-out«-Strategie in den 2000er Jahren von Anfang an auf der Stärkung und Ausweitung von produktiven Investitionen und öffentlichen Dienstleistungen, wobei keine künstliche Unterscheidung zwischen »harter« und »weicher« Infrastruktur getroffen wurde. Das Hauptaugenmerk lag auf dem Bau von Infrastrukturprojekten wie Brücken, Krankenhäusern und Straßen, die jedoch durch den Transfer und die Weitergabe von Wissen ergänzt wurden, z.B. in der medizinischen Ausbildung, der Ausbildung von Beamten und der Stärkung öffentlicher Einrichtungen. Chinas Schwerpunkt auf der Entwicklung von Qualifikationen, Technologietransfer und Wissensaustausch wird in den meisten Darstellungen, in denen chinesische und westliche Entwicklungsstrategien verglichen werden, ignoriert. Die Verteilung von Covid‐19‐Impfstoffen an Länder des Globalen Südens während der Covid‐19‐Pandemie machte besonders deutlich, dass solche Transfers jenseits des Konzeptes des »Geistigen Eigentums« stattfinden. Die Verteilung von Impfstoffen als öffentliches Gut wurde auch von humanitärer Hilfe für einige Länder begleitet, was die Notwendigkeit eines alternativen Entwicklungsansatzes unterstrich, zumal westliche Pharmaunternehmen ihre Gewinne durch den Verkauf ihrer Impfstoffe vervielfachten.
Ein wichtiger und oft erwähnter Unterschied zwischen dem westlichen und dem chinesischen Modell ist die spezifische Natur und Rolle der Konditionalitäten. Während das Konstrukt der »Konditionalität«8 als notwendige Voraussetzung für Entwicklungshilfe, einschließlich Zuschüssen, vergünstigten Darlehen und technischer Hilfe, ausdrücklich mit den Bretton‐Woods‐Institutionen und den westlichen bilateralen Entwicklungsstrategien der späten 1990er Jahre in Verbindung gebracht wird, hat es seine tieferen Wurzeln im Kolonialismus.
Die westliche Entwicklungsstrategie ist darauf ausgerichtet, dass der Westen Distanz zu seiner Vergangenheit hält: Im Falle Afrikas bedeutet dies im Wesentlichen, dass sich die westlichen Länder ihrer Verantwortung zur Wiedergutmachung gegenüber den afrikanischen Ländern entziehen. Die Zusage Deutschlands, 2021 Reparationszahlungen an Namibia zu leisten, war ein historischer Schritt, aber die Modalitäten und die tatsächliche Umsetzung dieser Reparationszahlungen sind nach wie vor umstritten, da einige sie als »symbolisch« betrachten. Darüber hinaus wurde die Entwicklungspolitik des Westens, insbesondere der EU, ausdrücklich davon abhängig gemacht, dass Afrika den freien Handel mit Ressourcen, Waren und Gütern in die EU zulässt und gleichzeitig die Migration aus Afrika durch die Externalisierung der Militarisierung der europäischen Grenzen eindämmt.
Im Vergleich dazu geht es bei Chinas heutigem Entwicklungsmodell, wenn auch ohne koloniales Gepäck, ebenfalls um den Zugang zu Waren, Rohstoffen und die Schaffung von Märkten für die Aufnahme chinesischer Überschüsse. Im Gegensatz zu westlichen Entwicklungsstrategien ist dieses Modell jedoch nicht mit der Forderung nach einer besseren Regierungsführung, dem Interesse an einem Regimewechsel zum besseren Schutz chinesischer Investitionen, der Verhängung von Sanktionen und Strafen bei Nichterfüllung der Bedingungen verbunden. China knüpft zwar bestimmte Bedingungen an die Projektvergabe, an Verträge über Waren und Dienstleistungen sowie an eine eventuell erforderliche Restrukturierung von Schulden, doch die Auswirkungen dieser Bedingungen unterscheiden sich deutlich von jenen, die in der vom Westen dominierten globalen Finanzarchitektur verankert sind. Chinas Ansatz zielt weitgehend darauf ab, die Langlebigkeit und Garantie von Wirtschaftsinvestitionen zu gewährleisten, und hat für die Länder des Globalen Südens sowohl positive als auch negative Ergebnisse gebracht.
Diese Bedingungen sind jedoch nicht so gravierend, dass sie Länder lähmen, wie es bei Auswirkungen der Konditionalitäten von IWF und Weltbank zu beobachten war und ist. Diese Unterschiede zwischen der westlichen und chinesischen Entwicklungsstrategie machen eine Kritik an China nicht obsolet; es ist jedoch ebenso wichtig, die Art und den Kontext der chinesischen Bedingungen in den Ländern des Globalen Südens zu prüfen. Die globalen Effekte der westlichen Sanktionen, der zunehmende westliche Protektionismus und der Wettbewerb zwischen dem Westen und China in allen möglichen Bereichen haben bestimmte Auswirkungen auf China, auch was den Multilateralismus und Schuldenreformen betrifft. Diese müssen sorgfältig untersucht werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine vergleichende Analyse der westlichen Entwicklungsstrategien und des chinesischen Entwicklungsmodells auf einer strengen Unterscheidung zwischen den historischen und strukturellen Ursprüngen der jeweiligen Ansätze basieren muss. Die Konditionalitäten des Westens haben letztlich zur allmählichen Aushöhlung der Souveränität von Ländern des Globalen Südens geführt und alle Möglichkeiten der Solidarität der Dritten Welt und der Süd‐Süd‐Zusammenarbeit unterdrückt. Chinas Entwicklungsstrategien reproduzieren dieses Modell nicht.
Das neue Gedränge in Afrika
Die Grundlage für Vergleiche zwischen den Entwicklungsstrategien für Afrika hat sich durch das Aufkommen einer Reihe von konkurrierenden Modellen für die Anbindung der Infrastruktur allmählich verändert. Diese Modelle unterscheiden sich in einzelnen Vorschlägen, zielen jedoch darauf ab, private Finanzmittel und Investitionen zu mobilisieren, die an die Stelle der traditionellen Hilfe und der Finanzierung zu Vorzugsbedingungen treten. Noch wichtiger ist, dass es sich bei den Strategien um die üblichen Bündnisse zwischen »gleichgesinnten Partnern« handelt, zu denen die USA, Südkorea und Japan gehören. Gewerbliche US‐Investoren und multilaterale Entwicklungsinstitutionen unter der Schirmherrschaft der von den USA geleiteten »Partnership for Global Infrastructure and Investment« (PGII)9 sorgen dafür, dass die gescheiterte neoliberale Ordnung unter Führung der USA fortbesteht.
Während sich verschiedene Modelle nun auf eine bessere Koordinierung zwischen Exportkreditversicherungen (ECAs, Export Credit Agencies) konzentrieren, um ein effektives Umfeld für die durch Exportkredite und Entwicklungsfinanzierung subventionierten inländische Investitionen zu schaffen, ist es wichtig festzustellen, dass Chinas Entwicklungsmodell immer Finanzierung und Handel kombiniert hat, wobei Chinas Eximbank10 im Zentrum seiner globalen Investitionen steht. Die westliche Hinwendung zu harter »Infrastruktur« und die Verwendung von Exportkrediten für die Entwicklung ist eine oberflächliche Nachahmung der Merkmale der chinesische Entwicklung. Denn abgesehen von kosmetischen Veränderungen bleibt der westliche Unternehmenssektor der bestimmende Faktor für die neuen Entwicklungsstrategien, während das chinesische Entwicklungsmodell nach wie vor vom Staat unter der Führung der Kommunistischen Partei Chinas geleitet wird – der chinesische Staat steht weiter an der Spitze der chinesischen Variante des Privatsektors. Im Gegensatz dazu fördern Gebilde wie die EU nicht einfach nur die Interessen des EU‐Privatsektors, sondern stärken den Privatsektor der G7‐Länder, um den Fortbestand der von den USA geführten neoliberalen Ordnung zu gewährleisten.
Dies wird in dem jüngsten Versuch der EU, ihre vielen Ziele auszubalancieren, besonders deutlich: Kontrolle der Migration mit der Behauptung der »Grenzsicherung«, Unterstützung des Genozids in Gaza und allgemeiner der Kolonialisierung Palästinas, Zusammenarbeit mit dem auf US‐Linie liegenden Kapital der Golfmonarchien zur Ausweitung der neoliberalen Politik auf die gesamte Region. Im März 2024 stellte die EU Ägypten ein Finanzierungspaket in Höhe von 7,4 Milliarden Euro (8,06 Milliarden US‐Dollar) für den Zeitraum 2024 – 2027 zur Verfügung. Die EU‐Unterstützung ergänzte das im selben Monat erweiterte Kreditabkommen des IWF mit Ägypten in Höhe von 8 Milliarden US‐Dollar und wurde außerdem durch ein Investitionsabkommen zwischen Ägypten und den VAE über 35 Milliarden US‐Dollar für die Entwicklung der Halbinsel Ras al‐Hekma ergänzt. Ägypten ist somit ein Schauplatz der neuen Entwicklungsagenda des Westens, die darauf abzielt, die Grenzen der EU gegen afrikanische und palästinensische Migranten abzusichern, während die EU und der Westen Israel weiterhin militärisch unterstützen.
Mit dem Niedergang der westlichen Ordnung stehen die EU und die Industrieländer unter dem Druck, zu investieren und größere Verteilungsgewinne zu erzielen, insbesondere wenn es darum geht, die Interessen der Eliten des Globalen Südens zu bedienen. Aus dieser Perspektive ist auch Chinas Entwicklungsmodell nicht völlig immun gegen die Widersprüche der kapitalistischen Entwicklung. Diese Widersprüche müssen aus der Dualität von Chinas nationaler oder inländischer Erfahrung und seinem externen Entwicklungsmodell heraus analysiert werden.
China experimentiert weiterhin mit ausgewählten Liberalisierungs‐ und Privatisierungsmaßnahmen bei weitgehender Beibehaltung des Staatseigentums. Chinas Experimente mit öffentlich‐privaten Partnerschaften (ÖPP) auf nationaler Ebene11 und die Initiierung von ÖPPs in den Empfängerländern sind Beispiele dafür.12 Weitere Beispiele sind die Art der Investitionen der Asiatischen Investitions‐ und Infrastrukturbank (AIIB) in Ländern des Globalen Südens, Chinas Übernahme privater Finanzinstrumente, die von den Bretton‐Woods‐Institutionen geschaffen wurden, und seine Rolle bei der Reform der Staatsschuldenarchitektur. Der Druck, in einer neoliberalen Weltordnung zu agieren, die »Offenheit« von Ländern auszunutzen, die Freihandelsabkommen mit westlichen Märkten geschlossen haben, und die Integration in die Architektur der Entwicklungsfinanzierung wirft für China und die Empfängerländer eine Reihe von Problemen auf. Diese Probleme müssen geprüft, kritisiert und behoben werden, insbesondere was ihre Auswirkungen auf die Länder des Globalen Südens betrifft.
Eine kritische Herangehensweise an Chinas Investitionen verlangt auch ein echtes Verständnis des globalen Aufstiegs Chinas. Er begann im Wechselspiel mit der bestehenden hegemonialen Ordnung, aber China achtete sehr auf die Disziplinierung seiner Unternehmen und die Eindämmung einer Rentenökonomie, sowohl auf nationaler Ebene als auch bei seinen internationalen Projekten. Im Jahr 2021 rief China die Globale Entwicklungsinitiative (GDI) ins Leben, die die Belt and Road Initiative (BRI, »Neue Seidenstraße«) ergänzen soll. Sie beinhaltet eine auf Chinas eigenen Entwicklungserfahrungen basierende Vorstellung von Entwicklung mit einem verstärkten Fokus auf Wissensaustausch, Technologietransfer und Süd‐Süd‐Entwicklung.13 Die Initiative ist frei von Patenten, der Dominanz von geistigen Eigentumsrechten und dem Streben nach leistungslosen Gewinnen. Obwohl es noch zu früh ist, um die Auswirkungen der GDI auf die Entwicklung vorherzusagen, muss Chinas Fokus auf einen stärker gemeinschaftlichen Ansatz (wie im Fall der Verteilung von Covid‐19‐Impfstoffen) im jeweiligen Kontext betrachtet werden und sich im GDI‐Modell widerspiegeln. China passt sich weiterhin an, entwickelt sich weiter und reguliert seinen wirtschaftlichen Aufstieg. Dennoch handelt es sich in ideologischer, struktureller und materieller Hinsicht um ein anderes Entwicklungsmodell, das seine eigenen Bedingungen erfordert, auch wenn diese Bedingungen oberflächlich betrachtet mit den Entwicklungsmodellen traditioneller imperialer Mächte wie den USA und der EU vergleichbar scheinen.
Schlussfolgerungen
Westliche Blöcke wie die EU gehen den Weg in eine veritable Kriegswirtschaft, die die NATO stärkt,14 indem sie vorschlägt, ihre öffentlichen Banken wie die Europäischen Investitionsbank (EIB) zur Kreditvergabe an die Rüstungsindustrie zu nutzen,15 sowie die Option einer EU‐Armee zu prüfen.16 Damit wird immer deutlicher, dass die westlichen Konstrukte »Entwicklung«, »Investitionen« und »Sicherheit«, ihrer Masken entledigt, ein gemeinsames Fundament teilen und nicht als voneinander isoliert gesehen werden können.
Dies ist nicht nur eine Hinwendung zur keynesianischen Kriegsführung – es ist eine Fortsetzung der westlichen Geschichte und ein Symbol für die politische Misere des Westens, dessen Länder dem inneren Faschismus erliegen. In der Zwischenzeit setzt China seine Strategie der Vertiefung der BRI in seinem eigenen Tempo fort und unterliegt dabei den Widersprüchen der kapitalistischen Entwicklung, einschließlich des Umgangs mit Fragen problematischer Projekte in den Empfängerländern. Das Nachdenken über Entwicklungsmodelle als Grundlage für einen Vergleich zwischen dem Westen und China findet nicht unabhängig von diesen Veränderungen statt, es ist in sie eingebettet. Wie oben dargelegt, müssen die Grundlagen einer vergleichenden Analyse zwischen dem Westen und China von ihrem historischen Engagement in Afrika bis zur aktuellen Lage eskalierender Gewalt und des Niedergangs der von den USA geführten westlichen Ordnung reichen.
Afrikas Handlungsfähigkeit zwischen solchen Mächten liegt in der Sicherung der Interessen seiner Bevölkerung durch eine Kombination von Strategien, zu denen strengere Kriterien für Partnerschaften, die Entkopplung von den imperialen Kanälen unter Führung der USA und eine verstärkte Konzentration auf die kontinuierliche Steigerung seiner Verhandlungsmacht durch die Stärkung seiner inländischen Produktionskapazitäten gehören.
Fußnoten
1 Borrell Josep (2024): Munich Security Conference: the four tasks on the EU’s geopolitical agenda (Münchner Sicherheitskonferenz: die vier Aufgaben der geopolitischen Agenda der EU).
2 Die Sanktionen, die zunächst gegen Niger und dann selektiv gegen Mali und Burkina Faso verhängt wurden, umfassten Handelsverbote, das Einfrieren von Finanztransaktionen, die Schließung der Grenzen zwischen der ECOWAS und den drei Ländern sowie Reiseverbote für bestimmte Personen.
3 Al Jazeera (2024): Niger suspends military cooperation with US: Spokesman (Regierungssprecher: Niger setzt militärische Zusammenarbeit mit den USA aus.)
4 Die G7 ist ein informelles Forum, in dem die hochentwickelten Industrieländer Italien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Japan, das Vereinigte Königreich und die USA vertreten sind. Auch die Europäische Union nimmt an Treffen der Gruppe teil. In der G7 leben 776 Millionen Menschen, und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der G7‐Mitgliedstaaten macht etwa 30 Prozent der Weltwirtschaft aus.
5 Yu, G. T. (1977): China and the Third World. Asian Survey, 17(11), 1036 – 1048 (China und die Dritte Welt); Mao Zedong (1959): Africa’s task is to struggle against imperialism (Afrikas Aufgabe ist der Kampf gegen den Imperialismus); Taylor, I. (2018): Mao Zedong’s China and Africa, Twentieth Century Communism, 15, 47+
6 Capasso, M., & Kadri, A. (2023): The imperialist question: A sociological approach. Middle East Critique, 32 (2), 149 – 166 (Die imperialistische Frage: Ein soziologischer Ansatz); Ajl, M. (2024): Palestine’s Great Flood: Part I. Agrarian South: Journal of Political Economy, 13(1), 62 – 88 (Al‐Aqsa‐Flut Teil I); Yeros, P. (2024): A Polycentric World Will Only Be Possible by the Intervention of the «Sixth Great Power«. Agrarian South: Journal of Political Economy, 13(1), 14 – 40 (Eine multipolare Welt wird nur durch die Intervention der »Sechsten Großmacht« möglich sein).
7 Samir Amin (2018): Financial Globalization: Should China move in? Defend Democracy press (Finanzielle Globalisierung: Sollte China mitmischen?)
8 Konditionalitäten sind Auflagen, die im Falle von Schuldenkrisen oder in der Entwicklungshilfe jenseits der Kreditkonditionen (Kreditsumme, Laufzeit, Tilgung) an die Vergabe von Krediten geknüpft werden, z.B. Strukturanpassungsprogramme, Freihandel usw. (Hinweis des Übersetzers)
9 Die PGII wurde 2022 auf dem G7‐Gipfel in Elmau aus der Taufe gehoben. G7 wirbt mit Partnerschaft für globalen Infrastrukturausbau (Hinweis des Übersetzers)
10 Export‐Import‐Bank von China (Hinweis des Übersetzers)
11 Lydia Jones & Michael J. Bloomfield (2020): PPPs in China: Does the Growth in Chinese PPPs Signal a Liberalising Economy? New Political Economy, 25:5, 829 – 847 (ÖPPs in China: Ist die Zunahme Zeichen einer wirtschaftlichen Liberalisierung?)
12 China South Global Project (2024): China Could Fund Kenyan Rail Through Public‐Private Partnership: Kenyan President (Kenias Präsident: China könnte kenianische Eisenbahn durch öffentlich‐private Partnerschaft finanzieren)
13 Ministry of Foreign Affairs of the Republic of China (2022): Jointly Advancing the Global Development Initiative and Writing a New Chapter for Common Development (Die GDI zusammen voranbringen und eine neues Kapitel der gemeinsamen Entwicklung schreiben)
14 Somdeep Sen (2024): NATO and the global colour line, International Affairs, Volume 100, Issue 2, March 2024, Pages 491 – 507 (Die NATO und die globale Farbgrenze. Der Begriff »colour line« stammt vom US‐Amerikanischen Bürgerrechtler W.E.B. Du Bois, womit er eine rassistische Aufteilung der Welt bezeichnete.)
15 Euractiv (2024): Europäische Investitionsbank: Kreditvergabe an Verteidigungsindustrie (Der Link im Originaltext wurde durch einen Link auf die deutsche Version des Textes ersetzt).
16 Defensenews (2024): EU member countries push back on Italy’s call for European army (EU‐Mitgliedstaaten wehren sich gegen Italiens Forderung nach einer europäischen Armee)
Farwa Sial ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Abteilung für Wirtschaftswissenschaften der School of Oriental and African Studies (SOAS) in London. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören die politische Ökonomie der Entwicklung, die Entwicklungsfinanzierung im Kontext der globalen Finanzarchitektur und der imperiale Charakter der Akkumulation des Privatsektors im Globalen Süden. Sie ist u.a. Mitherausgeberin der Buchreihe »Business, Finance & International Development« und des Blogs »Developing Economics«.
Bild: Elfenbeinküste 2024 von Kamboo19 | Wiki Loves Africa 2024 Fotowettbewerb