Im ersten Teil dieser Anleitung wurde erklärt, wie sich bombensicher nichtantisemitische Verbindungen nicht-»nationalsozialistischer« Geschehnisse mit dem »Nationalsozialismus« (NS) hinbekommen lassen. Zur Demonstration einer demokratischen und geschichtsbewussten Position im Kleingartenverein und beim Regieren mag das durchaus genügen.
Ungleich komplizierter ist die Entwicklung einer nichtantisemitischen Grundhaltung, denn diese beruht auf einer richtigen Haltung zur Nation und Nationalidentität, zur jüdischen Religion, zum Volk allgemein und dem jüdischen im Besonderen sowie zur Demokratie und Moral. Ohne diese Grundlagen, die im zweiten und dritten Teil erläutert wurden, lohnt es nicht, mit diesem vierten Teil weiterzumachen.
Wer sich außerstande sieht, eine nichtantisemitische Grundhaltung zu entwickeln, aber die Fähigkeit zum richtigen NS‐Vergleich als ungenügend empfindet, wird im fünften Teil Hilfe finden.
1. Antisemitismus und sein Gegenteil
Ein wesentlicher Aspekt in der Entwicklung einer nichtantisemitischen Grundhaltung, der bisher nicht erwähnt wurde, da zuvor das Arabertum behandelt werden musste, betrifft das Verständnis dessen, was das Gegenteil von Antisemitismus ist.
Der ursprüngliche Ausdruck »antisemitisch« enthält im Wortteil »semitisch«, wie ihn die im zweiten Teil vorgestellten Gelehrten Steinschneider und Steinthal sowie die Antisemiten Renan und Marr verstanden, muslimische, jüdische, leninistische, hinduistische, christliche … alle möglichen »Araber«.
Renan und Marr ging es zunächst darum, einen »Arier« als überlegenen Menschentypus herauszustellen. Die dazu passende Gegenfigur bildete der vollumfängliche »Semit«, nicht nur eine jüdische Untergruppe. Marr kennzeichnete entsprechend »den Juden« als Angehörigen der »semitischen Rasse«. Auch Steinschneider und Steinthal bezogen sich in ihrer Kritik an Renan nicht auf »den Juden« als für sich selbst stehende Figur. Außer vielleicht Ressentiments, die sie gegen »Araber« hegten1, sprach nichts dagegen, dass in ihrer Kategorisierung »Juden« und »Araber« in dieselbe Gruppe fielen, über die Renan kritikwürdige »antisemitische Vorurteile« verbreitete.
Die geschilderten Sprachverhältnisse legen ein Missverständnis nahe, dessen Nichtausräumung die Entwicklung einer nichtantisemitischen Grundhaltung nicht nur erschwert, sondern sogar verhindert: das Missverständnis, das Gegenteil des Antisemitismus sei soetwas wie »Semitismus« oder »Anti‐Antisemtismus«, also ebenfalls »Semitismus«.
Wie im dritten Teil klar geworden sein sollte, kann im Nichtantisemitismus der »Araber« nicht als Partner einer gemeinsam erfahrenen Verachtung gelten. Er ist ein Störfaktor und Feind, dem – wie beispielhaft der Verein »Esra« erklärt – jüdische »Kolonisten« berechtigterweise Land nehmen, das er zu brauchen vorgibt, indem er bereits in seiner nicht‐militanten Variante Gerichtsprozesse darum führt oder das Privateigentum missachtend wagt, es »im Schweiße seines Angesichts« zu bebauen, wenn es sonst niemand tut.
Daher ist die Argumentation vieler Araberinnen, als »Semiten« könnten sie keine »Antisemiten« sein, mit einer nichtantisemitischen Grundhaltung unvereinbar.
Man mag diesen Araberinnen zugute halten, dass sie durch den in den letzten Jahrzehnten stark angewachsenen anti‐muslimischen Rassismus der christlich‐abendländischen Zivilisation (ausgenommen vielleicht AustralienE) dahingehend verwirrt wurden, sich an die Seite derjenigen gestellt zu sehen, denen der christlich‐abendländische Judenhass gilt. Doch auf jüdischer Seite haben Araberinnen absolut nichts zu suchen!
An dieser Konstellation ändern auch die vielen rührigen Geschichten über nichtjüdisch‐arabische/jüdisch‐nichtarabische Kooperationen der unteren Gesellschaftsschichten nichts, als da sind: gemeinsame StreiksE, Rettungen vor und Entschuldigungen nach GewaltexzessenE, LandwirtschaftshilfenE etc. pp. »Gute Nachbarschaft«, also Verzicht auf Umsiedlungen, hätte einen arabischen Bevölkerungsanteil in einem Ausmaß bedeutet, das für den jüdischen Staat ein demokratisches Staatswesen unmöglich gemacht hätte, war also schon immer eine demokratiefeindliche und antisemitische Attitüde.
In der Konsequenz einer Gegenüberstellung eines »Semitismus« gegen den »Antisemitismus« steht eine gemeinsame Frontstellung »des Arabers« und »des Juden« gegen »den Arier«, wie im ursprünglichen Antisemitismusbegriff angedacht und heute wieder von dubiosen identitären Gruppierungen wie »Semitic Action«E propagiert. Mit solchen Positionen wäre vielleicht ein bi‐nationaler Staat zu machen gewesen, aber kein jüdischer, dessen Existenzberechtigung zu bestreiten antisemitisch ist.
Die weitgehende Unbrauchbarkeit der Zusammenstellung von »Jude« und »Araber« im »Semiten« hätte zunächst dazu führen können, dass der Ausdruck »antisemitisch« im Gebrauch derjenigen geblieben wäre, die antisemitisch sind. Nicht‐arabische Jüdinnen und nicht‐arabische solidarische Nichtjüdinnen hätten beim traditionellen »Judenhass« bleiben können oder sich einen neuen Ausdruck erdenken, der das, wovon sie sich nicht distanzierten: Verachtung des »Arabers«, nicht enthielt.
Weshalb kam es dazu nicht?
Solange mit dem osmanischen Sultan ein Gesprächspartner existierte, von dem Hilfe bei der Kolonisation Palästinas erhofft werden konnte, war die Zusammenstellung von »Jude« und »Araber« im »Semiten« nicht komplett unbrauchbar.
Hinzu kam, dass auf antisemischer Seite Nichtjüdisches im »semitisch« von Beginn an keine große Rolle spielte. Den antisemitisch Eingestellten diente das »semitisch« vorrangig dazu, ihrem althergebrachten Judenhass eine nichtreligiöse, modern‐rassistische Unterlage zu verpassen, um die Säkularisierungstendenzen in Europa zu kompensieren. Schon bei Marr blieben »dem Juden« als Mitglied der »semitischen Rasse« alle diejenigen Zuschreibungen erhalten, die christlichen Traditionen entstammen: seine große Macht, seine abgrundtiefe Bosheit, sein Erklärungspotenzial für den desolaten Zustand der Gesellschaft. Diese Zuschreibungen basieren auf einer christlichen Vorstellung von einem »Satan« als selbständig handlungsmächtiger Antipode G‑ttes, die dem streng monotheistischen Judentum und Islam eher fremd ist. Ein Bedarf dahingehend, mit dem »semitisch« im »antisemitisch« ausschließlich »den Juden« meinen zu wollen und nicht auch – quasi im Vorübergehen – »den Araber« und alles mögliche »Semitische«, entstand daraus auf antisemitischer Seite jedoch nicht.
Während des Zweiten Weltkriegs, als es der deutschen Regierung darum ging, Bündnismöglichkeiten mit arabischen Eliten gegen die Alliierten zu fördern, waren NS‐Funktionäre sogar bereit, eher den Ausdruck »antisemitisch« als Selbstcharakterisierung fallen zu lassen als »den Araber« aus dem Wortteil »semitisch« zu kicken. So erklärte der Führer des »Rassenpolitischen Amtes der NSDAP«, Walter Groß, in einem BriefwechselE mit dem irakischenE Premierminister Rashïd al‐Kaylânï, der in einer deutschen Propagandazeitung arabischer Sprache veröffentlicht wurde:
»Die Bewegungen, die in den letzten Jahrzehnten in Europa gegen die Juden kämpften, als ›antisemitische‹ Bewegungen zu bezeichnen, ist in der Tat ein Fehler, denn diese Bewegungen führen den Kampf gegen das mörderische Judentum und nicht gegen eine Gemeinschaft von Menschen, die semitische Sprachen sprechen. […] Im Gegenteil, die nationalsozialistische Rassentheorie betrachtet die Araber als eine wertvolle Rasse mit einer stolzen Geschichte voller Heldentum«. (Barid al‐SharqE 1942, Nr. 45, S. 19)
Da sich die »›antisemitischen‹ Bewegungen« praktisch exklusiv gegen das »Judentum« richteten, entstand eine Situation, in der es nichtarabischen Kreisen wenig auffiel, wenn nichtantisemitische Kreise »Antisemitismus« in einer engeren Bedeutung verwendeten als antisemitische Kreise. Dem kam ein Bedürfnis führender antisemitischer Kreise entgegen, die Gegenfigur des rassifizierten »Semiten«, den »Arier«, um seine persischen, indischen usw. Komponenten zu erleichtern und auf hausschweinfarbene »Nordide« zuzuspitzen.
Zwar meint im Ausdruck »Nichtantisemitismus« das »semitisch« ausschließlich »den Juden«, doch bleibt im »Nichtantisemitismus« der ethnische Gehalt von »semitisch« erhalten, der anzeigt, dass ein berechtigter Anspruch des jüdischen Volkes auf (mindestens) Palästina als angestammtes Heimatland unabhängig von jüdischer Religiosität besteht.
Herzl vertrat diesbezüglich eine Position, die sich nicht durchsetzte. Den Nationalcharakter des jüdischen Volkes definierte er un‐ethnisch als »historische Gruppe von Menschen, die erkennbar [leider vorläufig auch mit Mauschel] zusammengehört und einen gemeinsamen Feind hat«. Anstatt einen klaren völkischen Anspruch auf (mindestens) Palästina zu formulieren, meinte Herzl argumentieren zu müssen, »den jetzigen Bewohnern Palästinas, […] Muselmanen und ChristenE« sei mit jüdischer Masseneinwanderung geholfen, weil sie »Arbeit, Verkehr und Kultur in ihr armes verkarstetes Land bekämen« (Herzl in: Leroy‐Beaulieu über den Antisemitismus 1897, Seite 131f).
Bei dieser Laschheit Herzls und vieler anderer, damals wohl der zionistischen Mehrheit, konnte es nicht bleiben, als das Ausmaß offensichtlicher wurde, in dem die ansässige Bevölkerung ihre zivilisatorische Weiterentwicklung und die damit verbundenen Umsiedlungen bekämpfte.
2. Nichtantisemitische Bündniskonstellationen
Praktisch war und ist der Nationalstaat des jüdischen Volkes in (mindestens) Palästina auf eine gemeinsame Frontstellung »des Juden« und »Ariers« gegen »den Araber« angewiesen. Die Machbarkeit eines anti‐arabischen Bündnisses des Nichtantisemitismus mit einem nicht‐eliminatorischen christlich‐ und säkular‐abendländischen Antisemitismus deutete nicht erst 1793 Johann Gottlieb Fichte an:
»Um uns vor ihnen zu schützen, dazu sehe ich […] kein anderes Mittel, als ihnen ihr gelobtes Land zu erobern, und sie alle dahin zu schicken.«
Schon Martin Luther erkannte die arabische Gefahr, als sie 1529 in türkischer Verkleidung vor Wien stand:
»[W]ie unser deutsch Volk ein wüst, wild Volk ist, ja schier halb Teufel, halb Menschen sind, begehren Etliche der Turken Zukunft und Regiment. […] Denn wiewohl etlich sein Regiment darin loben, dass er idermann lässt gläuben, was man will, allein dass er weltlich Herr sein will, so ist doch solch Lob nicht wahr.« (Luther: »Vom Kriege wider die Türken« 1529)
An der Machbarkeit eines anti‐arabischen Bündnisses des Nichtantisemitismus mit einem nicht‐eliminatorischen christlich‐ und säkular‐abendländischen Antisemitismus änderte weder der europäisch‐christliche noch der europäisch‐aufgeklärte Antisemitismus etwas. Auch das singuläre Verbrechen der Ermordung der jüdischen Bevölkerung Europas änderte daran nichts, wie der Geschichtsexperte Benjamin Netanjahu aufzeigte, indem er auf dem Weltzionistenkongress 2015 an die »zentrale Rolle« des Großmuftis von Jerusalem, Mohammed Amin al‐Husseini, bei der »Ausgestaltung der ›Endlösung‹« erinnerte.
Al‐Husseini war 1922 von der britischen Mandatsmacht in persona des ersten nicht zum Christentum konvertierten jüdischen Mannes auf einem britischen Ministersessel, Herbert SamuelE, zum »Großmufti« gemacht worden. Dass dies gegen die Stimmenmehrheit der wahlberechtigten MuslimeE geschah, hat nichts zu besagen.
Bei einem Empfang des Großmuftis durch Adolf Hitler im November 1941E trug sich laut NetanjahuE Folgendes zu:
»Hitler wollte die Juden damals nicht ausrotten, er wollte die Juden vertreiben. Und Haj Amin al‐Husseini ging zu Hitler und sagte: ›Wenn du sie vertreibst, werden sie alle hierher [nach Palästina] kommen.‹ [Hitler fragte dann:] ›Was soll ich mit ihnen machen?‹ und er [der Mufti] sagte: ›Verbrennt sie.«
Von antisemitischer Seite wird diese Darstellung und Auslegung natürlich bestrittenE und zur Ablenkung auf alles Mögliche verwiesen: darauf, dass nicht »alle« jüdischen Überlebenden nach Palästina wollten, sondern nur ein Teil von ihnen, der in einer säkularen bis multi‐religiösen Demokratie vielleicht ohne gewalttätige Auseinandersetzungen unterzubringen gewesen wäre; auf Protest‐ und Hilfsaktionen muslimischer Eliten und Gemeinden in Bosnien und AlbanienE; auf eine angebliche Erfolglosigkeit der NS‐Propaganda im arabisch‐palästinensischen MainstreamE; auf Behauptungen jüdischer ReligionshistorikerE, der Islam sei nicht antisemitisch; sogar auf eine angebliche Dysfunktionalität muslimischer SS‐BrigadenE hinsichtlich der Judenverfolgung.
Doch historische Tatsachen wie das Haʿavara‐ Abkommen von 1933E und weitere Kooperationen zionistischer Kräfte mit der NS‐Regierung wie auch die spätere gute Zusammenarbeit Israels mit dem nicht ganz so entnazifizierten Westdeutschland der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg belegen die Machbarkeit eines anti‐arabischen Bündnisses zwischen Nichtantisemitismus und nicht‐eliminatorischem christlich‐ und säkular‐abendländischen Antisemitismus.
In den ersten Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg fiel die US‐Regierung als aktive Fördererin Israels aus. Sie hatte vollauf damit zu tun, mit Berufsverboten im Innern und Napalmbomben in Korea die rote Gefahr einzudämmen. In Westasien strebte sie daher zur Befriedigung ihrer Ölinteressen Lösungen an, die eine Antagonisierung der arabischen Seite zu vermeiden suchten. Die Manneskraft Frankreichs war unterdessen mit Massenvergewaltigungen in VietnamE und AlgerienE beschäftigt, und Großbritannien hing militärisch, politisch und wirtschaftlich völlig durch. So fielen wesentliche Aufgaben der geostrategisch gewünschten Israelförderung dem industriell und gesellschaftspolitisch dazu brauchbar gehaltenen Westdeutschland zu.
3. Wieder gut gemacht
Wie schon das Ha’avara-Abkommen schuf die deutsche »Wiedergutmachung« für alle Beteiligten eine Win‐Win‐Situation. Der kleinste Teil dieser »Wiedergutmachung« wurde auf Einzelpersonen verschwendetE. Der weitaus größte Teil erfolgte in Form von Sachlieferungen – Holz, Mehl, Gummi, Maschinen, Eisenbahnen, Schiffe, Motoren, Elektrizitätswerke … – an den Staat des jüdischen Volkes. Das in Westdeutschland ansässige Kapital, das diese Dinge lieferte, rund 4.500 Firmen, wurde aus der westdeutschen Staatskasse bzw. mit Staatsschulden vor allem bei der Deutschen Bank bezahlt. Welches Kapital außer dem der Deutschen Bank auf diese Weise gefördert wurde, welche Warenarten und wie viel von ihnen zu liefern waren, stellte auf Seiten der westdeutschen Regierung einen Verhandlungsgegenstand mit der israelischen Regierung dar, den sie entsprechend nationaler strategischer Interessen, die sich naturgemäß immer mit denen dominierender Kapitalfraktionen decken, zum Nutzen aller Deutschen vertrat. Viele Arbeitsplätze mit entsprechenden Lohneinkommen entstanden; die zukünftige Exportorientierung der westdeutschen Wirtschaft erhielt ein Fundament.
Geholfen wurde insbesondere der bis heute für Israel wichtigen deutschen Rüstungsindustrie und den dort Arbeitenden, die sich während des Zweiten Weltkriegs beste Qualifikationen erworben hatten und nach dem verlorenen Krieg und der Aufdeckung der NS‐Verbrechen eine große Lohnbescheidenheit an den Tag legten.
Der Nahost‐Historiker Helmut Mejcher schreibt:
»Westdeutschland war in den 1960er Jahren maßgeblich am Aufbau des israelischen Panzerkorps beteiligt. Aus seinen reichhaltigen Beständen lieferte es neben Schnellbooten, Haubitzen, Hubschraubern und Flakgeschützen vor allem die von Israel damals heißbegehrten amerikanischen Panzer vom Typ M48. Diese waren in großer Stückzahl vorhanden und den sowjetischen Panzern überlegen, die von Ägypten benutzt wurden.«
Der Politikwissenschaftler Daniel Marwecki erklärt zur Bedeutung Westdeutschlands für IsraelE:
»Ich weiß nicht, wie der Krieg von 1967 ohne die deutsche Unterstützung für Israel verlaufen wäre. Aber ich würde behaupten, dass, wenn man die Reparationen, die geheime Finanzhilfe und die Militärhilfe zusammenzählt, Westdeutschland der wichtigste Unterstützer Israels vor dem alles entscheidenden Krieg von 1967 war.«
Vergleichsweise symbolischen Charakter hat die Präsenz der deutschen Bundeswehr in Jordanien, Irak, vor den Küsten Libanons, Ägyptens, Libyens und Jemens sowie in Israel bei Übungen zum effektiven PersonenabknallenE, DrohnenbetriebE, HäuserkampfE und LuftbombardementE. Hinsichtlich der Kampferfahrung in der Bundeswehr wäre wohl noch einiges zu tun, bevor sich ihr Personal zu mehr als iranisches Kanonenfutter bei israelischen Engpässen eignet. Mit selbstloser Israelfreundschaft hätte aber sogar das nichts zu tun. Bei einem Management der Ressourcen Westasiens und Nordafrikas durch selbständige Regierungen, womöglich noch auf Basis einer goldgedeckten panafrikanischen Währung und multipolaren WeltordnungE à la GaddafiE, würden sich die Bevölkerungen Europas alsbald um gemeinnützige, also unprofitable, Wirtschaftsweisen bemühen müssen, um nicht im Elend zu versacken. Sowas will natürlich niemand.
Neben der bis heute andauernden Waffenhilfe DeutschlandsE nicht wegzudenken ist der Beitrag, den Deutschland im Rahmen der EU zu den Kosten der Eindämmung der arabischen Gefahr leistete. Ohne diesen Beitrag hätte die lange Zeit durchsetzbare Nötigung Israels, als angebliche »Besatzungsmacht« die arabische Bevölkerung der angeblich »besetzten« Gebiete nicht verhungern lassen zu dürfen, und zugleich deren wirtschaftliches Gedeihen verhindern zu müssen, zum Staatsbankrott Israels geführt. Davor schützte die EU als »wichtigster Geber für das palästinensische Volk«E.
Außer durch die damit verbundene Schaffung einer am Status Quo interessierten Schicht relativ gut verdienender Angestellter der »palästinensischen Autonomiebehörde« in der »palästinensischen« Bevölkerung trug die EU zur ideellen Unterstützung Israels bei, indem sie immer mal wieder mit dem Entzug von UnterstützungsmittelnE drohte, sollten die Bücher für »palästinensische« Schulkinder, deren Aufsässigkeit das »palästinensische« Lehrpersonal notorisch Vorschub leistete, nicht den Grundsätzen des Nichtantisemitismus angepasst werden.
Eine weitere Art der Unterstützung der EU, mit britischer Beteiligung, bildet das Projekt EUPOL COPPSE zur polizeilichen Kontrolle der sogenannten »Westbank«. Damit in Zusammenhang konnte in Samaria und Judäa anders als in Gaza weder ein nennenswerter unbewaffneter noch ein bewaffneter TerrorismusE entstehen.
Geopolitisch wertvolle Hilfe leistete die EU durch ihr Sanktionen gegen Syrien, die in Kombination mit der Kontrolle von Öl‐ und Gasvorkommen, FrischwasservorrätenE und landwirtschaftlicher Flächen Syriens durch die USA und ihre kurdischen Hilfstruppen zur Verhinderung des WiederaufbausE und Ausdünnung der syrischen BevölkerungE beitrugen. Perspektivisch könnte in Ex‐Syrien die Errichtung leicht zu kontrollierender Kleinstregime mit verarmten Bevölkerungen gelingen. Doch auch schon länger anhaltendes Chaos in dieser Region stärkt Israels Sicherheit. Die israelische UnterstützungE des syrischen Al‐Qaida‐Zweigs, Al‐Nusra, hat sich ausgezahlt, wie aktuell das Stillhalten der neuen Machthabenden Syriens gegenüber israelischen Bombardierungen und Gebietseinnahmen und die Beseitigung der »palästinensischen« Präsenz in SyrienE zeigen.
4. Begriffliche und realweltliche Definitionen
Die geistige Voraussetzung für ein Bündnis des jüdischen Staates mit den euroatlantischen Mächten ist auf antisemitischer Seite eine klare Trennung des arabischen vom jüdischen Feindbild. Diese Trennung wird durch ein Verständnis des »Semiten« als »Araber« und »Juden« unterminiert. Die Trennung mit der gebotenen Stringenz praktikabel gemacht zu haben, gelang der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA), einer NGO mit Sitz in Deutschland, durch ihre Definition des Antisemitismus als »bestimmte Wahrnehmung von Jüdinnen und Juden« und eben nicht auch von Araberinnen sowie schließlich 2015 mit der EntscheidungE, dass es im englischen Sprachraum »antisemitism« zu heißen hat und nicht »anti‐Semitism«. Die Bindestrich‐Schreibweise, so die IHRA,
»verfälscht die Bedeutung des Begriffs, da sie impliziert, dass auch andere Gruppen als Juden zu den vermeintlichen ›Semiten‹ gehören, die bekämpft werden.«
Ohne Beseitigung dieser Verfälschung wären weder ein arabischer Antisemitismus noch dessen Gleichsetzung mit dem christlich‐ und säkular‐abendländischen möglich.
Zur Trennung des »Arabers« vom »Juden« und zur Untermauerung des Bündnisses des jüdischen Staates mit den christlich geprägten euroatlantischen Mächten waren außer dem Bindestrich zwei realweltliche Störfaktoren zu beseitigen:
- der »arabische Jude« und
- die muslimisch‐christliche Zusammenarbeit in Palästina.
Das Problem der »palästinensischen« Christenheit ist inzwischen trotz noch vorhandenerE Reste physisch wohl weit genug abgewickeltE, um zur Illustration schadlos eine alte Kamelle aus einem britischen Untersuchungsbericht von 1937, also während der in der letzten Folge erwähnten Terror‐Phase 1936 bis 1939, wiedergeben zu können:
»Monsignore Hajjar, melkitischer Erzbischof von Galiläa, in Begleitung von Yaqub Eff. Farraj und Reverend N. Marmura sagten vor der Kommission im Namen der christlichen Araber aus. In einer schriftlichen Erklärung, die seine Aussage ergänzte, behauptete Monsignore Hajjar, dass ›die Christen während des osmanischen Regimes Privilegien genossen, die jetzt abgeschafft sind‹. […] Er behauptete, das Ziel der Juden bestehe letztlich darin, das Tempelgebiet in Besitz zu nehmen. […] Yaqub Eff. Farraj, in seiner Eigenschaft als einer der Vertreter der christlichen Araber im Arabischen Oberkomitee, erklärte, dass alle Gemeinschaften der christlichen arabischen Bevölkerung Palästinas mit ihren Brüdern, den muslimischen Arabern, in Bezug auf alle ihre Ansprüche und Bestrebungen, seien sie politischer, ziviler oder wirtschaftlicher Art, voll übereinstimmen und eine nationale Einheit bilden.« (Palestine Royal Commission Report 1937E, S. 327f)
Die Löschung des »arabischen Juden«, verankert im israelischen Staatsbürgerschaftsrecht als Entweder/Oder‐Entscheidung zwischen »arabisch« und »jüdisch«, erzeugt bei manchen ex‐pseudoarabischen Nachkömmlingen »arabischer Juden« bis heute gewisse Weinerlichkeiten – zur Schau getragen zum Beispiel vom Historiker Avi ShlaimE, der Anfang der 1950er Jahre aus dem IrakE nach Israel kam.
Die Historikerin Orit Bashkin fasst zusammenE:
»Die Annahme der israelischen Staatsbürgerschaft war eine schmerzhafte, gewaltsame und traumatische Veränderung, und der Bruch zwischen den irakischen Juden und ihrer irakischen und arabischen Kultur geschah nicht über Nacht. […] Die arabische Kultur der irakischen Juden, wie auch die der Juden aus anderen Ländern des Nahen Ostens, wurde [in Israel] als primitiv und degeneriert wahrgenommen.«
Nach 2500 Jahren babylonischer Gefangenschaft oder auch nach 1200 Jahren Dhimmi‐DaseinE in arabischen Ländern fiel es vielen heimkehrenden arabisierten Jüdinnen schwer, den universalen Charakter des Antisemitismus zu begreifen, dem Theodor Herzl als Kernmotivation des jüdischen Strebens nach Palästina Ausdruck verliehen hatte.
Allzu viele arabisierte Jüdinnen deuteten den im Arabertum und Islam von jeher tief verwurzelten Antisemitismus als durch europäische Einflüsse im muslimischen Kulturbereich entstandene »Anomalie«E, nicht als Ausdruck einer das gesamte jüdische Volk betreffenden Grundproblematik, die nur durch den jüdischen Staat zu lösen ist.
5. Die richtige Einstellung zum Holocaust
Die verzerrten Geschichtsbilder arabisierter Jüdinnen erzeugten im Zusamenhang mit einem anderen Phänomen eine Gefahr für den Nichtantisemitismus in seiner Funktionalität als ideeller Grundpfeiler der israelischen NationE:
Wer Eltern hat, die in der Vergangenheit Schreckliches durchlebten, kennt vielleicht deren Neigung, nach Anbruch besserer Zeiten darüber die Schnauze zu halten, um ja nicht »die Kinder zu belasten«. So machten es die meisten Eltern der ersten, aus Europa eingewanderten Israel‐Generation – einschließlich der Verantwortlichen des israelischen Bildungssystems. In einem Artikel der Fachzeitschrift »Internationale Schulbuchforschung«E aus dem Jahr 2000 schreibt die Holocaust‐Forscherin und ehemalige Mitdirektorin der Gedenkstätte Yad Vashem, Nili Keren, dazu:
»Die ersten beiden Jahrzehnte (1948 – 1967) können als eine Zeit des Schweigens und des ›Verstummens‹ des Bildungssystems über den Holocaust bezeichnet werden. […] Eine ganze Generation von Israelis war [fast] ohne jedes Wissen über den Holocaust aufgewachsen«.
In Folge der Holocaust‐Unkenntnis kam es insbesondere nach dem erfolgreichen Verteidigungskrieg 1967E und nach dem Sabra/Shatilla‐Vorfall 1982E in der israelischen Bevölkerung zu Debatten, die geeignet waren, den Bestand Israels als jüdischen Staat zu untergraben. Debattiert wurden Fragen wie:
»Ist der Holocaust ein einzigartiges jüdisches Ereignis oder ist er ein universelles Ereignis? Waren die Deutschen die einzige Gruppe von Menschen, die zu unmenschlichem Verhalten fähig war, oder ist es möglich, dass sich in jeder Situation der Unterdrückung ein Prozess der Entmenschlichung entwickeln kann?«
Das israelische Bildungsministerium erkannte Handlungsbedarf. Es
»rief Holocaust‐Überlebende, Historiker:innen, Schulpsycholog:innen und erfahrene Pädagog:innen zusammen, um über einen obligatorischen Lehrplan zum Thema Holocaust für das gesamte Bildungssystem nachzudenken.«
Doch gab es anfangs ein Problem:
»Man war besorgt über die Gefahren, die entstehen, wenn man Kinder den Gräueltaten der Nazis aussetzt […] Die endgültige Entscheidung lautete, dass ein Lehrplan erstellt werden sollte […] zumindest für Oberschulklassen. [… ]. 1979 beschloss das Bildungsministerium, die Beschäftigung mit dem Holocaust als Pflichtfach in den Lehrplan für Geschichte aufzunehmen.«
Seither hat sich vieles in Israel verbesssert. Trotz anfänglichen Widerstands überbesorgter ElternE beginnt der Holocaust‐UnterrichtE heute bereits im Kindergarten. Die Präsidentin der »Teach the Shoah Foundation« erklärt dazuE:
»Es ist wichtig, dass die Unterrichtspläne auf das abgestimmt werden, was die Schüler:innen in jedem Alter verarbeiten können. Bei den Jüngsten konzentrieren sich die Geschichten auf Ghettos, Kinder im Versteck und den Verlust von Heimat und Freiheiten. Konzentrationslager werden für die Mittelstufe aufgespart und Massenmord für die Oberstufe. […]
Im Rahmen des Lehrplans ›Teach the Shoah‹E beginnen wir mit dem Unterricht über den Holocaust im Kindergarten. Wir stellen den Schülern einen kleinen jüdischen Jungen vor, der vor langer Zeit in der Tschechoslowakei lebte. Tommys Geschichte hat eigentlich nur wenig mit dem Holocaust zu tun – es handelt sich hauptsächlich um den üblichen Kleinkinderstoff. Inmitten der Bilder von Kühen, Spielzeugeisenbahnen und Blumen auf dem Marktplatz erfahren wir, dass Tommy mit seinen Eltern ins Ghetto ziehen musste. Wir sprechen über die Tatsache, dass das Leben im Ghetto etwas härter war. Der Dreh‐ und Angelpunkt der Geschichte ist Tommys Geburtstagskuchen: Seine Eltern konnten die Zutaten für einen Kuchen zu Tommys drittem Geburtstag nicht auftreiben, also zeichnete sein Vater ihm stattdessen einen. Obwohl dies für Erwachsene unglaublich ergreifend und traurig erscheint, lieben die Kindergartenkinder es.«
Die älteren Kinder besuchen optimalerweise NS‐Massenmordlager wie Auschwitz und Treblinka II. Hier lernten die heutigen politisch, militärisch und wirtschaftlich Verantwortlichen Israels gemäß einer Handreichung für Lehrende aus dem israelischen Bildungsministerium ab Ende der 1970er Jahre etwa Folgendes:
»Wenn wir neben den Todesöfen in den Vernichtungslagern stehen, füllt sich unser Herz mit Erbitterung, und Tränen treten uns in die Augen […] Doch während wir weinen und Schmerz und Trauer über die Zerstörung empfinden, erfüllen sich unsere Herzen mit Stolz und Zufriedenheit über das große Privileg, Bürger eines unabhängigen Israel zu sein. […] [E]s ist, als ob wir die Seelen hören, die zu uns rufen: ›In unserem Tod haben wir euch befohlen, zu leben. Bewahrt und verteidigt den Staat Israel als euer kostbarstes Gut.‹« (zit.n. Tom Segev: »The seventh million – The Israelis and the Holocaust«E 1993, S. 488)
Mögen auch einige unbelehrbare Seelen etwas nach Art dessen rufen, was Klaus Polkehn über die jüdische Mehrheit Deutschlands ausgrub (Teil 2): Nicht zuletzt die Umfrage‐Ergebnisse zum Vorgehen der israelischen Verteidigungsstreitkräfte in Gaza (Teil 3) belegen den Erfolg der israelbezogenen Holocaust‐Lehre in der israelischen Gesamtgesellschaft.
Wichtige Beiträge dazu leisten zum Beispiel die israelischen Streitkräfte mit ihren spielerischen WaffenausstellungenE, die staatlichen Schulen mit ihrem ausgewogenen Schulbuchmaterial zum ArabertumE (das bei antisemitischen Eltern in Ost‐Jerusalem auf Widerstand stößtE), aber auch religiöse Schulen durch ihre Vermittlung optimistischer ZukunftsperspektivenE.
Insbesondere die Haltung israelischer Eliten entwickelte sich im Sinne des Nichtantisemitismus prächtig. So erklärte 2015 der damalige israelische Staatspräsident Reuven Rivlinaktuelle Parallelen»The Holocaust in Israeli Political Culture: Four Constructions and Their Consequences«E (»Der Holocaust in der israelischen politischen Kultur: Konstruktionen und ihre Konsequenzen«), derartige
»Darstellungen der grundlegenden Beziehung zwischen Jüd:innen und Nichtjüd:innen – eine Beziehung, die auf der Bedrohung durch Vernichtung basiert, die durch den Holocaust verkörpert wird – […] repräsentativ dafür, wie der Holocaust von der großen Mehrheit der israelischen Jüd:innen sowohl kollektiv als auch individuell verstanden und imaginiert wird […, eine] kraftvolle, standardisierte und allgegenwärtige Beschwörung der nationalsozialistischen Vernichtung des europäischen Judentums als Markierung dessen, was es bedeutet, Jüd:in zu sein«.
Zu welchen Erziehungserfolgen das führt, was Lustick eher abfällig als »Markierung« bezeichnet, beweisen aktuell die israelischen Verteidigungsstreitkräfte: ihre Tätigkeit in Gaza ist von Genugtuung und FreudeE geprägt, mögen Einzelne auch in Ausnahmefällen ein wenig über die Strenge schlagenE.
Auf kulturellem Gebiet bildet den vorläufigen Höhepunkt des Nichtantisemitismus ein VideoclipE, den eine israelische PR‐Firma und der staatseigene israelische Fernsehkanal »Kan« Ende 2023 herausbrachten. In ihm besingen niedliche Kinder aus israelischen Siedlungen, visuell unterlegt mit Bildern von strammen israelischen Soldatinnen und professionell durchgeführten Gaza‐Bombardements die Selbstverteidigung Israels als mutigen Kampf der »Schönen und Reinen« gegen »die Hakenkreuz‐Träger«, an dessen siegreichem Ende »nichts mehr dort sein wird«.
Allerdings war noch einiges zu tun, denn in Israel stieß der Videoclip zunächst, wenn immerhin nicht auf empörte Ablehnung, so doch auf »gemischte Reaktionen«E, so dass der Sender ihn von seiner Twitter/X‑Plattform und Webseite nahm. Manche israelische Bildungsverantwortliche mochten daher 2023 eine Vorverlegung des Holocaust‐Unterrichts auf präkindergärtnerische Krabbelgruppen für angezeigt gehalten haben. Ohne dagegen etwas einwenden zu wollen, ist heute, über ein Jahr später, zu konstatieren: Man unterschätzte den Gewöhnungseffekt, den anhaltende Masseneliminationen arabischer Elemente mit sich bringen.
Speziell bei Angehörigen des liberalen und linken Milieus können die ideellen und ethischen Voraussetzungen einer nichtantisemitischen Grundhaltung und deren Konsequenzen zu Dissonanzen mit dem Selbstbild führen. Betroffene erhalten im nächsten und letzten Teil dieser Anleitung Hilfe.
Fußnoten
1 Vorurteile wären für die damalige Zeit und europäisch‐bildungsbürgerliche Umgebung wenig erstaunlich. Tatsächlich konnte ich bei Steinthal, in dessen Text »Mohammed« auftaucht, nichts in dieser Richtung finden, sondern im Gegenteil die Ansicht, dass es keine »besseren« oder »schlechteren« Menschengruppen gibt.
Bild: Palmach‐Truppe im Negev 1948, Wikimedia | Yigal Allon, »Shield of David«. SBN 297 00133 7. 1970. Page 208