Am 6. Dezember traf das rumänische Verfassungsgericht eine außergewöhnliche Entscheidung, indem es die Ergebnisse der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen vom 24. November aus unerklärlichen Gründen für ungültig erklärte. Praktischerweise wurde das Urteil nur wenige Tage vor einer Stichwahl gefällt, bei der laut Umfragen der Außenseiter Calin Georgescu einen Erdrutschsieg davongetragen hätte. Dabei erhielten die Bürger aller NATO‐Mitgliedstaaten einen besonders gnadenlosen Echtzeit‐Crashkurs darüber, was nun in ihren eigenen Ländern passieren könnte, sollten die »falschen« Kandidaten fair und ehrlich gewählt werden.
Georgescus überraschender Sieg in der ersten Runde überraschte die politische Elite Rumäniens und ihre westlichen Sponsoren und machte ihn zur beliebtesten politischen Persönlichkeit des Landes. Mit seiner Kampagne auf einer traditionalistischen, nationalistischen Plattform pries er Ansichten, die manche als unappetitlich empfinden könnten, setzte sich aber auch für Verstaatlichungen und staatliche Investitionen in die lokale Industrie ein. Wie vielleicht vorhersehbar war, haben die westlichen Medien ihn allgemein als »rechtsextrem«, »pro‐Putin« und »Verschwörungstheoretiker« verleumdet, neben anderen inzwischen bekannten Beinamen, die üblicherweise gegen politische Dissidenten gerichtet werden.
Georgescus größtes Verbrechen besteht darin, sich entschieden gegen eine fortgesetzte Beteiligung Rumäniens und die Unterstützung des ukrainischen Stellvertreterkriegs zu stellen. Als Kiews Nachbar am Schwarzen Meer hat Bukarest seit Februar 2022 erhebliche finanzielle, materielle und politische Unterstützung geleistet und dabei stets das Risiko in Kauf genommen, ins Kreuzfeuer zu geraten. In Interviews mit westlichen Nachrichtenagenturen verkündete Georgescu jedoch kühn, dass jegliche »militärische oder politische Unterstützung« unter seiner Aufsicht auf »Null« reduziert werden würde:
»Ich muss mich um meine Leute kümmern. Ich möchte meine Leute nicht mit reinziehen . Alles kommt zum Stillstand. Ich muss mich nur um meine Leute kümmern. Wir haben selbst eine Menge Probleme.«
Es wurde kein offizieller Grund dafür genannt, dass das rumänische Verfassungsgericht die Wahl vom November für ungültig erklärt hat, obwohl es die Ergebnisse erst Tage zuvor abgesegnet hatte. In der Zwischenzeit veröffentlichte der Sicherheitsapparat in Bukarest jedoch freigegebene Berichte, in denen angedeutet wurde – ohne direkte Anschuldigungen zu erheben oder Beweise vorzulegen –, dass Georgescus Sieg möglicherweise auf eine breit angelegte, von Moskau gesponserte Einflusskampagne zurückzuführen ist, die über TikTok durchgeführt wurde. Die vorgelegten Details deuteten stattdessen auf eine eher banale – wenn auch erfolgreiche – Social‐Media‐Marketingmaßnahme hin.
Die Angelegenheit spitzte sich Ende Dezember weiter zu, als bekannt wurde, dass die TikTok-Kampagne, die Georgescu angeblich Auftrieb verschaffte, in Wirklichkeit von der rumänischen Nationalliberalen Partei finanziert wurde. Diese Unterstützung verhalf dem bis dahin unbekannten Kandidaten zu nationaler Bekanntheit, wobei das Ziel möglicherweise darin bestand, den Erzfeinden der Nationalliberalen Partei, den Sozialdemokraten, zu schaden. Es gibt keine Beweise dafür, dass Moskau Georgescu finanziert oder gar unterstützt hat. Dennoch ist die Darstellung, dass Russland ihn durch Destabilisierung an die Macht katapultiert hat, trotz dieser Enthüllungen seitdem unwiderlegbar fest verankert.
Auf dem weitläufigen Hoheitsgebiet Rumäniens befinden sich mehrere US‐Raketenabschussanlagen und eine riesige NATO‐Militärbasis, die in Kürze erheblich erweitert werden soll, um das »Kräfteverhältnis« in der Region entscheidend zugunsten des Westens zu verändern. In der Zwischenzeit haben die rumänischen Präsidenten erheblichen Einfluss auf die Innen‐ und Außenpolitik. Sie bestimmen die Außenpolitik, sind Oberbefehlshaber der Streitkräfte und ernennen die Premierminister. All dies deutet auf eine weitaus wahrscheinlichere Begründung für die Absetzung der Präsidentschaftswahlen hin als auf eine »Einmischung Russlands«.
»Ohne Hoffnung«
Am 10. Dezember veröffentlichte die BBC einen eindrucksvollen Bericht darüber, wie »die Rumänen von der Absage ihrer Präsidentschaftswahlen in letzter Minute schockiert waren«. Der britische staatliche Sender bemühte sich durchweg, die beispiellose, despotische Annullierung der Wahl zu rechtfertigen, die angeblich durch eine »massive« und »aggressive« böswillige Einmischungskampagne auf TikTok – ob russischer Herkunft oder nicht – motiviert war, die das Ergebnis in unzulässiger Weise verzerrte. Allerdings hatte die BBC offenbar keine andere Wahl, als zuzugeben, dass Georgescu enorm und auf natürliche Weise beliebt war.
So wurde beispielsweise der NATO‐Veteran Mircea Geoana, ehemaliger Außenminister von Bukarest, der im November für das Präsidentenamt kandidierte und den sechsten Platz belegte, mit den Worten zitiert: »Rumänien ist knapp einer Katastrophe entgangen« und »einem umfassenden Staatsstreich sehr nahe gekommen«. »Wenn Moskau das in Rumänien, das zutiefst antirussisch ist, schafft, dann kann es das überall schaffen«, warnte er unheilvoll. Dennoch räumte Geoana ein, dass es »eine ganze Reihe von Missständen in unserer Gesellschaft« gebe, und es wäre »ein großer Irrtum zu glauben«, Georgescus Erfolg sei »nur auf Russland zurückzuführen«.
Die BBC räumte ein, dass die rumänische Bevölkerung, die eine ständig wachsende Zahl völlig legitimer Beschwerden hegt, die im Mainstream völlig unberücksichtigt bleiben, eine immense »Müdigkeit« gegenüber dem hartnäckig pro‐westlichen politischen Establishment des Landes verspürt. Im Gegensatz dazu berichtete der britische Staatssender, dass Georgescu nicht nur offen und leidenschaftlich über diese vielfältigen Probleme sprach, sondern auch konkrete Lösungen für deren Bewältigung anbot. Und vielen Durchschnittsbürgern »gefiel, was er sagte«. Mehrere Anhänger von Georgescu wurden in dem Artikel mit überschwänglichem Lob zitiert. Einer predigte:
»Er ist wie ein Prediger, mit einer Bibel in der Hand, und ich dachte, er spricht nur die Wahrheit … Er spricht über Rechte und Würde. Rumänen gehen zum Arbeiten in andere Länder, aber wir haben hier so viele Ressourcen. Holz, Getreide – und unser Boden ist sehr fruchtbar. Warum sollten wir in Italien herumlungern?«
Die BBC merkte außerdem an, dass Georgescus »Versprechen, Rumänien wieder groß zu machen, ihm dabei half, besonders stark in der riesigen rumänischen Diaspora abzuschneiden«. Angesichts der massiven Entvölkerung Rumäniens in den letzten Jahren, die erheblich durch die EU‐Mitgliedschaft unterstützt wurde, ist dies kaum überraschend. »Viele, die das Land verlassen haben, weil das Leben so hart war, kommen jetzt im Ausland eher schlecht als recht zurecht«, stellte der britische staatliche Sender fest. Unterdessen steigen in Rumänien die Kosten für Grundnahrungsmittel »so schnell wie nirgendwo sonst in Europa«. Ein im Ausland lebender Unterstützer von Georgescu erklärte mit Nachdruck:
»Ist er korrupt? Steht er auf der Seite von Putin? Nein, das tut er nicht. Er steht auf der Seite des Volkes. Auf der Seite Rumäniens. Georgescu ist ein Patriot. Er will Frieden, keinen Krieg, und das wollen wir auch. Jemand will etwas Gutes für sein Land und man lässt ihn nicht … Vielleicht sitzt er in ein paar Monaten im Gefängnis und wofür? Für nichts … Wir fühlen uns gerade verloren, ohne Hoffnung.«
»Solidarität der Alliierten«
Bisher gibt es keine konkreten Beweise dafür, dass NATO‐Mächte direkt an der Annullierung der rumänischen Präsidentschaftswahlen beteiligt waren. Wir wissen nicht – und werden es vielleicht nie erfahren –, was hinter verschlossenen Türen mit Mitgliedern des vom Westen gekauften politischen, juristischen, sicherheitspolitischen und militärischen Establishments in Bukarest besprochen wurde und von wem. Aber es gibt einen eindeutigen Präzedenzfall für solche Machenschaften hinter verschlossenen Türen. In den letzten Monaten des Jahres 1989 begann der Zusammenbruch des Kommunismus im gesamten Warschauer Pakt, der Konstellation mittel‐ und osteuropäischer Satellitenstaaten der Sowjetunion aus der Zeit des Kalten Krieges.
Die einzige Ausnahme war Rumänien, das damals von Nicolae Ceausescu regiert wurde. Am 4. Dezember dieses Jahres traf er sich privat mit dem damaligen sowjetischen Staatschef Michail Gorbatschow, um den Sturz der langjährigen kommunistischen Regierungen in Bulgarien, der Tschechoslowakei, der DDR, Ungarn und Polen zu besprechen. Gorbatschow, der in jeder Hinsicht eine westliche Marionette war, versicherte Ceausescu, dass seine Position sicher sei, er »überleben« würde und sie sich in wenigen Wochen wiedersehen würden. Zu diesem Gipfeltreffen kam es jedoch nie, da Ceausescu am 25. Dezember von einem Erschießungskommando des Militärs hingerichtet wurde.
Dies folgte auf gewalttätige Massenproteste in ganz Rumänien. Jahre später wurde bekannt, dass sich hochrangige US‐Beamte in diesem Monat heimlich mit Gorbatschow getroffen hatten, um ihn zu bitten, die Rote Armee einzusetzen, um Ceausescu zu stürzen. Diese Bitten wurden offenbar abgewiesen. Nachfolgende Recherchen deuten jedoch darauf hin, dass im Dezember 1989 eine Vielzahl von KGB‐Agenten in Abstimmung mit Ion Iliescu, dem Nachfolger Ceausescus, unsichere, verdeckte Missionen im ganzen Land durchführten. Der Verdacht, dass er persönlich die Razzien des Sicherheitsdienstes angeordnet hat, die die aufständischen Anti‐Ceausescu‐Demonstrationen auslösten, hält bis heute an.
Wie dem auch sei, die übergroße geopolitische Bedeutung Rumäniens für das Imperium damals wie heute könnte nicht deutlicher sein. In den Wochen seit Georgescus Sieg mit einem Veto verhindert wurde, wurde angekündigt, dass weitere ausländische NATO‐Truppen nach Bukarest entsandt werden, als ausdrückliche Reaktion auf die »Entwicklung der Sicherheitslage in der Schwarzmeerregion«. Unterdessen reden rumänische Beamte großspurig von »alliierter Solidarität« und freuen sich auf »umfangreiche gemeinsame Trainingsübungen« im kommenden Jahr.
Darüber hinaus hat die rumänische Regierung am 12. Dezember überraschend grünes Licht für ein seit langem diskutiertes, höchst umstrittenes Gesetz gegeben, das vorsieht, dass das Militär des Landes und alle seine »Waffen, militärischen Geräte und Munition« jederzeit und ohne formelle staatliche Notstandserklärung, Belagerung oder Kriegserklärung unter die vollständige Kontrolle und Leitung des Auslands gestellt werden. Mit anderen Worten: Die NATO hätte die einseitige Befugnis, die Streitkräfte Bukarests auf ihren Befehl hin zu kommandieren. Eine nützliche Fähigkeit, da der nahegelegene Stellvertreterkrieg in der Ukraine auf einen totalen Zusammenbruch zusteuert und eine offene ausländische Beteiligung offen in Erwägung gezogen wird.
In dem oben erwähnten Artikel der BBC wurde berichtet, dass der lokale »Verdacht«, ob unsichtbare ausländische Kräfte »die Entscheidung der Richter, die Wahl abzusagen«, beeinflusst haben könnten, so groß ist, dass »selbst diejenigen, die einen Präsidenten Georgescu befürchteten – und glauben, dass Russland ihn unterstützt – sich jetzt Sorgen über den Präzedenzfall machen, der gerade für die rumänische Demokratie geschaffen wurde«. Wir müssen uns fragen, wo als Nächstes ein illiberaler Putsch wie der in Bukarest wiederholt werden könnte, da die wachsende Verachtung des Imperiums für Demokratie und den Willen der Öffentlichkeit immer deutlicher wird.
Dennoch könnte man Trost aus der Tatsache schöpfen, dass selbst diejenigen, die den autokratischen Putsch in Rumänien befürwortet haben, sich bewusst sind, dass es sich um eine stumpfe, kurzfristige Lösung für eine Reihe äußerst komplexer, wahrscheinlich unlösbarer sozioökonomischer und politischer Probleme handelte. Der ehemalige hochrangige NATO‐Mitarbeiter Mircea Geoana sagte dem britischen Staatssender, dass die Annullierung des Sieges von Georgescu den westlichen Mächten und ihren Marionetten in Rumänien bestenfalls eine vorübergehende Atempause verschafft habe. Darüber hinaus befürchtete er, dass der Schritt sich als Bumerang erweisen könnte, sollten die Eliten die Bedenken der Bürger weiterhin ignorieren:
»Wir haben uns etwas Zeit verschafft. Aber hier herrscht echte Wut. Und wenn wir nichts unternehmen, könnte es zu einer Wiederholung kommen.«
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Zuerst in englisch erschienen auf Kit Klarenbergs Substack Global Delinquents
Bild: Soldaten, die dem 2nd Brigade Combat Team, der 101st Airborne Division (Air Assault) und den UH‐60 Blackhawks und CH‐47 Chinooks, die dem 2nd und 3rd Battalion, 227. Luftfahrtregiment, 1. Luftkavalleriebrigade, 1. Luftkavalleriedivision, führen am 30. Juli 2022 in Mihail Kogalniceanu, Rumänien, eine Luftlandeübung durch (