Plädoyer für eine neue Aufklärung (II): Freiheit, Gerechtigkeit und Wagemut – Der Kampf für Wissen und Wahrheit und die Lust am Denken

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Oder: Woran die Aufklärung uns erinnern sollte!

»Wozu sonst ist Geschichte da, wenn nicht, um uns an unsere besseren Träume zu erinnern? Dessen eingedenk, schlage ich vor, daß wir unsere Aufmerksamkeit dem achtzehnten Jahrhundert zuwenden. Dort (…) können wir Ideen finden, die der Zukunft eine humane Richtung offerieren, Ideen, die wir mit Zuversicht und Würde (…) ins einundzwanzigste Jahrhundert hinübertragen können. Es sind keine befremdlichen Ideen. Sie sind uns noch nah. Es ist gar nicht so schwer, sich ihrer zu erinnern. Ich schlage vor, uns einiger von ihnen erneut zu bemächtigen, unter folgender Voraussetzung: Ich meine nicht, daß wir das achtzehnte Jahrhundert werden sollen, sondern nur, daß wir von dem Guten daran Gebrauch machen.«

Neil Postman, Die zweite Aufklärung, S.25.

»Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist eines jeden freien Menschen Recht, welches man ihm nicht nehmen kann, ohne die widerwärtigste Tyrannei auszuüben.«

Voltaire

»Nur solange kritische Aufklärung möglich und ungehindert zugänglich ist, hat das Bekämpfen der die gesamte Menschheit bedrohenden Rückwärtsentwicklung, die sich als vorwärtsgerichtet tarnt, Aussicht auf den Sieg in Freiheit, Frieden, Fortschritt und Glück.«

Rudolph Bauer, aus dem Vorwort zum Kritischen Wörterbuch des Bunten Totalitarismus, Bergkamen 2024.

Krise ist ein Wort aus dem Alt‐​Griechischen. Das Wort kann mit Entscheidung, aber auch mit Wahl übersetzt werden. Betrachtet man die Polykrisen der Gegenwart, wird schnell klar: Neue Orientierungen müssen gewonnen und alternative Entscheidungen getroffen werden und zwar am besten solche, mit denen wir die Krise im aufrechten Gang hinter uns lassen können! Um mit einer aufrechten Haltung die derzeitige hochexplosive Verdichtung und Zusammenballung des Krisenhaften, die wir erleben, überwinden zu können, muss man es gewissenhaft genau mit der Frage nehmen, welcher Weg eingeschlagen werden soll. Denn eine gute, das heißt im Nachhinein sich als richtig herausstellende Entscheidung, lässt sich nur treffen, wenn man die Krisenursachen und die Krisenverursacher fest dabei in den Blick nimmt und in den langen, zähen und oft hart umkämpften Prozessen, die diesen Entscheidungsfindungen vorausgehen, auch behält. Und dies so lange bis endlich – und wie immer nur unter Schmerzen – das Neue geboren werden kann.

Im zweiten Teil meines Plädoyers für eine neue Aufklärung will ich erläutern, auf welche grundlegenden Einsichten und Errungenschaften dieser Epoche wir uns zur Überwindung der Post‐​Corona‐​Krise – Corona hat die allgemeine Krise der Politik beziehungsweise des Politischen offenbart – besinnen sollten. Die Frage lautet, in welche Richtung und mit welchen aus den Arsenalen der Aufklärung stammenden Mitteln im Gepäck wir den vor uns liegenden Weg gehen sollten. Eine erneute Hinwendung zur Aufklärung, ihren Erkenntnissen und Traditionen, bedeutet in dem Sinne erst, wirklich voranzuschreiten. Meiner Ansicht nach kann überhaupt nur so das Fortschrittsversprechen der Moderne auf eine human verträgliche Art und Weise revitalisiert werden.

Gehen sollten wir daher:

Erneut den Weg des »Sapere aude«, den Weg des: »Habe Mut zu wissen!« Kants berühmte Losung zielt darauf ab, dass die Menschen sich aus eigener Willenskraft selbst befreien (können). Kant und die anderen Aufklärer gingen scharf mit den menschlichen Schwächen ins Gericht. Feigheit und Bequemlichkeit stehen dem Denken entgegen. Faulheit und Bequemlichkeit machten sie als größte Hindernisse auf dem Weg zur Selbsterkenntnis und Verbesserung der menschlichen Lebensverhältnisse aus.1 Auch heute sind sie wichtige Ursachen dafür, dass schlimme, an sich untragbare Zustände fortbestehen. Daher gilt: »Das,was wir heute üben und kultivieren dürfen«, ist, wie es der Schriftsteller Thomas Eisinger formuliert hat, »persönlicher Mut. Denn der gestattet es uns immer öfter aus Konformität und Autoritätshörigkeit auszubrechen«.2

Wir sollten erneut den Weg des persönlichen Mutes und der Zivilcourage gehen, mit dem man für seine Überzeugungen einsteht. Die Aufklärer haben ihren Zeitgenossen Mut gemacht. Dazu gehört, dass sie ihre Überzeugungen selbst mutig vertraten. Sie wichen nicht gleich zurück, wenn ihnen der Gegenwind kräftig ins Gesicht blies – und sie bekamen oft den Gegenwind der morschen alten Kräfte spüren. Stattdessen zeigten sie sich erfinderisch bei den Mitteln und Wegen ihre Kritik zu adressieren. Diderot warf man ins Gefängnis, »weil er radikale, also atheistische und materialistische Gedanken seinerzeit zu Papier gebracht«3 hatte. Blom erinnert daran, dass Diderot »während seiner Gefangenschaft in Vincennes (…) gezwungen worden war, ein Dokument zu unterzeichnen, in dem er sich verpflichtete, keine weiteren philosophischen Bücher zu schreiben oder für den Rest seines Lebens ins Gefängnis zu wandern.« (60) So verlegte er sein Engagement vom Verfassen persönlicher Schriften auf seine Arbeit für die Enzyklopädie – ein Jahrhundertprojekt! Voltaire landete in seinem Leben gleich zwei Mal hinter Gittern, wobei man ihn beim ersten Mal fast ein ganzes Jahr in der berüchtigten Pariser Bastille gefangen hielt. Insgesamt bezeugen die Biografien vieler Aufklärer ihre Bereitschaft, für politische und philosophische Überzeugungen, für Kritik, eigenständiges und eigensinniges Denken und couragiertes Handeln persönliche Nachteile auf sich zu nehmen. Neben anderem war es der Unwille, jedem Risiko aus dem Weg gehen, der die Aufklärer miteinander verband. »Mut öffnet Türen, die ansonsten geschlossen bleiben«. Der österreichische Philosoph Robert Pfaller, der die verschüttet gegangenen und oft auch bewusst unterschlagenen Wesenszüge einer epikureischen, das heißt lustbetonten und lebensfreundlichen materialistischen Aufklärung in seinem Werk herausgearbeitet hat, schreibt: «Ein Leben, welches das Leben nicht riskieren will, beginnt unweigerlich dem Tod zu gleichen.«4

Die »bösen« Philosophen handelten nach diesem Motto. Dadurch erfuhren sie auch die beglückende Seite des Widersprechens und Widerstehens. Sie ist der negativ‐​strafenden, sanktionierenden Seite darin überlegen, dass der Mut, den ein Mensch unter Beweis stellt, es vermag, sein ganzes Wesen auf eine höhere Daseinsstufe zu heben. Der Mut bereichert und segnet gleichsam die ganze Existenz mit gesteigerter Lebensintensität. Er entreißt uns der anonym‐​amorphen Masse. Er kann zum Geschichts‐ oder Erinnerungszeichen werden, das heißt so wirkmächtig werden, dass er in kommenden Tagen bei anderen Menschen fortlebt. Insofern können die mutigen Aufklärer, die es wagten, Unrecht, Ungleichheit und autoritärer Bevormundung die Stirn zu bieten, uns – bei der heute vorherrschenden Vollkasko‐​Mentalität der meisten Zeitgenossen – ein Vorbild sein. Ebenso wie im Vergleich zum Gratis‐​Mut, den sogenannte »Aktivisten«, heute gerne, oft ohne es zu wissen, zur Schau tragen.

Denn bei genauerem Hinsehen stellt sich deren Protest‐​Engagement nicht selten als ein mehr oder minder geschicktes Reiten auf den Wellen des jeweils gerade für angesagt erklärten Zeitgeistes und seiner Moden dar. Dagegen neigt man als Aufklärer weder dazu, ein Leben als ängstlicher Hasenfuß noch als Maulheld (»Große Klappe – nichts dahinter!«) oder Protestsimulant lohnend zu finden. Schon gar nicht möchte man mit den heutigen Klimaklebern verwechselt werden, die lieber den sprichwörtlichen Mann auf der Straße kujonieren, statt sich mit den Herrschenden anzulegen. Oder wissen die Klimakleber einfach nicht, dass die reichsten ein Prozent der Bevölkerung für mehr Kohlenstoffemissionen verantwortlich sind als die ärmsten 66 Prozent zusammen? Von den bösen Philosophen, die ihr ganzes Leben lang Stachel im Fleisch des Ancien Régime waren, lernen wir, dass das Schwimmen gegen den Strom, der Kampf gegen den (Un-)Geist und die (Un-)Moral der herrschenden Stände, auch heute noch als notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingungen für das Aufgeklärt‐​Sein anzusehen sind. Zugleich scheint dieser oppositionelle Geist ein Bestandteil dessen zu sein, was im philosophischen Verständnis als das Konzept der Zeitgenossenschaft bezeichnet werden kann. Diesem Verständnis von Zeitgenossenschaft folgend, fallen Individuen nicht dem Idiotismus anheim – als »Idioten« bezeichnete man im alten Griechenland jene Mitglieder der Polis, deren Leben sich im Verfolg rein privater Interessen erschöpfte – , sondern setzen sich stattdessen für das als gut erkannte Überindividuelle, das Gemeinwohl und für die Pluralität der Polis ein. Die Griechen haben, um mit Hannah Arendt zu sprechen, vor 2500 Jahren in ihrem Denken als erste »der Tatsache« Rechnung getragen, »dass nicht der Mensch, sondern viele Menschen auf der Erde leben und die Welt bevölkern«.5 Diese uns heute banal erscheinende Erkenntnis, war insofern revolutionär, als dass sie die Vorstellung der mitmenschlichen Welt der Welt als eines Raums, der zwischen handelnden Menschen überhaupt erst entsteht überhaupt erst hervorgebracht hat. Das Konzept der Zeitgenossenschaft erlebte in der Aufklärung seine Renaissance, hat sich dort mit neuem Leben gefüllt. Das geschah, als die Aufklärer nicht nur damit begannen, wiederum die Auffassung zu verbreiten, dass die wahre Intelligenz des Menschen darin bestehe, sich die Welt um einen herum bewusst zu machen, so dass das Individuum es vermag, auf der Höhe seiner Zeit wirklich welthaltig zu handeln, sondern sie selbst diese Überzeugung auch beispielhaft vorlebten.

Wir sollten erneut den Weg gehen, den die Aufklärung gegen Aberglauben und Obskurantismus und für die Vernunft Partei ergreifend, eingeschlagen hat:

Der Rationalismus im 18. Jahrhundert bedeutete so rekonstruiert es Postman in Die zweite Aufklärung »zunächst einmal, daß man den christlichen Glauben an das Übernatürliche und damit auch an Gott ablehnte«.6 In der Praxis sollte sich zeigen, »daß die meisten Rationalisten gegen Theologie und Priester und nicht so sehr gegen Spirituelles und Gott waren«. Daraus, so Postmann, lasse sich der Schluss ziehen, »dass es sich beim Rationalismus im Wesentlichen um eine Revolte gegen die Orthodoxie handelt«. Da aber die »christliche Weltsicht das Prinzip der damaligen Orthodoxie war, konnte (es) nicht ausbleiben, daß sie zum Ziel, wenn auch keineswegs zum einzigen Ziel, permanenter Attacken wurde.«7

Mit dem Rationalismus kristallisierte sich für Postman in sozial‐ und ideengeschichtlicher Hinsicht eine radikale Neujustierung heraus, in dessen Folge »Aberglaube, ererbte Weisheit, Gehorsam gegenüber der Tradition und übernatürliche Metaphysik (…) vor der (…) Macht und Autorität der Vernunft zu Boden stürzten«.8 Im Laufe der Säkularisierung verschob sich der Fokus der Kritik vom religiösen Aberglauben hin zu den sozialen Vorurteilen und Stereotypen im Denken und Urteilen sowie zu den politischen Dogmen. Das heißt die Kritik ging mehr von den Glaubens‐ zu den Wissenssystemen über. Das Wissen als doxa in seiner gewohnheitsmäßig dogmatisch verfestigten, halb unbewussten, halb ritualisierten Gestalt und die doxa in der institutionalisierten Form des kollektiven Unbewussten, nahm durch den Säkularisationsprozess den Zustand geronnener, formalisierter Rationalität an, einer Rationalität, die für die gerade vom Joch des Feudalismus befreiten Individuen zu einem neuen und »ehernen Gehäuse der Hörigkeit« (Max Weber) wurde. Durch diese un‐ beziehungsweise überpersönliche, formal‐​rechenhafte Geltungskraft und Macht, die sich in der Moderne in den Formen der Bürokratie, einer zunehmenden Dominanz formaler Rationalität und durch die Herrschaft anonymer Apparate manifestierte, wurden die Menschen durch die Verrechtlichung, Verwissenschaftlichung, Industrialisierung und Profanisierung zunehmend von den lebendigen und Authentizität verbürgenden Quellen ihres Daseins abgeschnitten; eine Entwicklung, die zwischen 1850 und 1930 zur Zielscheibe sowohl linker als auch rechter Kulturkritik werden sollte. Das genuin gesellschaftskritische Denken bildete sich aus einer Synthese der aufklärungsphilosophischen Strömungen, insbesondere des in der Tradition von Kant stehenden Kritizismus der Erkenntnisformen und Kategorien einer‐ und des Marxismus andererseits heraus. Letzterer »zielt (…) mit den Waffen der Vernunft auf die sozio‐​historische Wirklichkeit« und »stellt sich die Aufgabe, die verdeckten Formen von Herrschaft und Ausbeutung, die sie formen, ans Licht zu bringen«, so der französische Soziologe Loïc Wacquant.9 Nach Wacquant ist dasjenige kritische Denken am fruchtbarsten, »das sich an der Schnittstelle der beiden Traditionen ansiedelt, also die erkenntnistheoretische und die gesellschaftliche Kritik vereint, in dem es in konstanter, aktiver und radikaler Weise sowohl die herrschenden Formen des Denkens und des kollektiven Lebens, (…) die Doxa, die orthodoxe Sichtweise (…) als auch die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse, die sich in einer gegebenen historischen Situation in einer bestimmten Gesellschaft durchsetzen, in Frage stellt.«10 Seither kann diese die Doxa in Frage stellende und auflösende Tätigkeit als das eigentliche Metier und zugleich als allgemein wichtigste Botschaft der Aufklärung verstanden werden. Dieses Verständnis gilt es kollektiv wieder ins Bewusstsein zu rufen, wenn wirklich Sorge dafür getragen werden soll, dass die Menschen sich angesichts der Gefahren einer durch Künstliche Intelligenz (KI) erfolgenden Automatisation von Herrschaft11 aus ihrer teils durch Vormünder geschaffenen, teils selbstverschuldeten Abhängigkeit befreien können.

Wir sollten uns erneut den Weg vergegenwärtigen, den die Menschenrechte und die Bemühungen um ihren Schutz in der langen Entwicklung bis zu ihrer (partiellen) Durchsetzung und Anerkennung durch Kodifizierung und Institutionalisierung in entsprechenden Formen der Gerichtsbarkeit, zurückgelegt haben und diesem Weg wieder folgen! Der in der sog. Pandemie abgerissene beziehungsweise verloren gegangene Grundrechte‐​Faden sollte wieder aufgenommen und aufs Neue zusammengeführt werden. In der Bundesrepublik bedarf es dazu einer aktiven Erinnerung an die Genese des Grundgesetzes, der für das Grundgesetz relevanten Rechtstraditionen und einer Debatte über den Umgang mit dem damit verbundenen geistigen Erbe. Die Anerkennung der Grundrechte entstand als Ergebnis eines sehr langwierigen, bis heute von vielerlei Schwierigkeiten, Rückschritten und wiederkehrenden Problemen gepflasterten Weges. Dennoch gelang es, die Menschenrechte und ihren universellen Wert, immer stärker im kollektiven Gedächtnis der Völker, die durch Aufklärung und Revolutionen anfingen, sich aus den despotischen Verhältnissen zu befreien, zu verankern. Wie hat das Individuum sich zum Träger unveräußerlicher und unteilbarer Grundrechte gemacht? Wie konnte der entscheidende Schritt aus feudaler Anhängigkeit gelingen? Die Aufklärung postuliert auf naturrechtlicher Grundlage die Ebenbürtigkeit und Gleichheit der Menschen. Diese Postulate fanden in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776 ihren gültigen Ausdruck: »We hold these thruths to be self‐​evident that all men are created equal, that they are endowed bytheir Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the Pursuit of Happiness.«

Das Recht wurde jedoch als das Produkt der Kämpfe von Unfreien, die, was nicht vergessen werden darf, einen unglaublich hohen Blutzoll forderten, errungen. Ihre geschichtlichen Siege bedeuten jedoch nicht, dass diese Kämpfe definitiv geschlagen oder gar zu Gunsten der Masse des Volkes damit für ein für alle Male entschieden worden wären. In Wahrheit hält auch dann, wenn es zuletzt in unseren Breiten längere Phasen gegeben hat, die eher einem windstillen Meer ähnelten, der Kampfmodus der Geschichte unvermindert an. Er spiegelt sich heute in den zahlreichen Aufständen und der Gegenwehr der unterdrückten, entrechteten, ausgebeuteten und nicht beachteten, den »überflüssigen« (Yuval Noah Harari) Menschen überall in der Welt wider, auch überall dort, wo es (noch) unter der Oberfläche gärt. Erstmals sind die im reinigenden Sturm der Aufklärung und seines Enlightenments erwachten Menschen zu sich gekommen, indem sie sich als Geschöpfe erkannt haben, denen Grundrechte unveräußerlich, qua Geburt zustehen. Sie sind im politischen Raum als individuelle Abwehrrechte gegen den Staat – genauer: gegen jede Form von Staatlichkeit zu begreifen. Dieses Denken stellte eine entscheidende Zäsur im Kampf gegen den Feudalismus dar. Daraus leiten sich das Recht auf ein Leben in Freiheit und Selbstbestimmung, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie der allgemeine und umfassende Anspruch auf Schutz der Menschenwürde ab. So entstand und breitete sich der Universalismus der Menschenrechte immer weiter aus und konnte die Befreiung des Menschen Fortschritte machen. Doch diese Befreiung harrt immer noch ihrer Verwirklichung als »ewiger Frieden« (Immanuel Kant).

Weitere Aspekte, die ihren gemeinsamen Hintergrund darin haben, dass sie ihre Formulierung und Verbreitung der Aufklärung verdanken, sind:

Die Entdeckung der Kindheit. Die Bedeutung von Bildung und Erziehung und des dank der Aufklärung zur ersten Blüte kommenden entwicklungslogischen Denkens. Durch das nahm der wissenschaftliche Fortschritt einen großen Aufschwung. Erziehung und Bildung standen von Beginn an im Zentrum aufklärerischer Bestrebungen. Die Aufklärung entdeckte die Kindheit, das heißt Kinder wurden nicht länger als unvollkommene kleine Erwachsene betrachtet. Man begann, die Eigengesetzlichkeit von Kindheit und kindlicher Entwicklung zu erforschen. Nach und nach kam es zur Rekonstruktion der Gesetzmäßigkeiten der Ontogenese, das heißt der Entwicklung des Individuums nach einer bestimmten Abfolge in Stadien von der Eizelle bis zur Adoleszenz. Das ging mit der Entstehung der modernen Pädagogik einher, die ein ganz zentrales Produkt der Aufklärung ist. War das an sich schon revolutionär, so wird diese Leistung, wenn man sie pars pro toto, auf die allgemeine, strukturelle Ebene der Wissenschaftsgeschichte ausgeweitet betrachtet, noch relevanter. Dort steht sie für den Beginn des »entwicklungslogischen Denkens« beziehungsweise»(epi-)genetischen Prinzips«. Jeder, der heute eine Geschichte von seinem Anfang her erzählt und bemüht ist, konsequent das genetische Prinzip und alle für ihr Verständnis wichtigen Implikationen dabei zu beachten, tut der Aufklärung allein dadurch einen großen Dienst. Zudem sagt es einerseits viel über den Zustand der Medien im Zeitalter der Clickbaits und Newsfeeds aus, muss andererseits aber ebenso als Symptom der komplexitätsreduzierenden Affekte unserer Kultur in den Blick genommen werden, dass heutzutage im Allgemeinen moralischen Betrachtungen und Wertungen der Vorzug vor genauen und mühsamen Rekonstruktionen der Sache beziehungsweise der Sachlogik gegeben wird. 

Festzustellen ist, dass das entwicklungslogische Denken allzu oft in der Gegenwart idiosynkratischen Befindlichkeiten oder dem rein ökonomischen Kalkül geopfert wird. Die Aufklärer waren ganz ihrer Sache(n) hingegeben, anders hätte wohl das dreißig Jahre währende Unternehmen namens Enzyklopädie bei allen Unsicherheiten, Rückschlägen und Krisen nie erfolgreich abgeschlossen werden können. Verhält es sich aber im Grunde nicht so, dass, wer die Geschichte, das heißt die Ursachen eines Problems kennt und seine Logik rekonstruieren kann, sich mit manichäischen Moral‐​Urteilen eher zurückhält? Die Manie(r) apodiktisch‐​moralistisch zu urteilen, ist in unserer schnelllebigen und geschichtsvergessenen Zeit allerdings zur Plage geworden. Das beweist sich aktuell im stereotypen Denken nach einfachem Gut‐​Böse‐​Schema über den Ukraine‐​Konflikt und wird in nicht minder bestürzender Weise besonders in den letzten Monaten in Deutschland im eskalierenden Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern sichtbar.

Den Weg des philosophischen Naturalismus, der im 18. Jahrhundert aus einer Synthese des Empirismus mit dem Rationalismus hervorging und zu einem tieferen, ganzheitlichen Naturverständnis geführt hat.

Dieser Naturalismus ging einher mit der Entdeckung des psychophysischen Parallelismus12 und der Postulierung eines anti‐​dualistischen, dynamischen Leib-Seele‐​Kontinuums sowie mit philosophischen Konzepten, die von einer gegliederten erkenntnistheoretischen Trias (Einheit) aus Wahrnehmen, Fühlen und Denken ausgehen.

Die Aufklärung stellte einen physiologischen Zusammenhang des Menschen mit der Natur her, der auch seine seelischen und geistigen Kräfte als Stufen der jeweiligen Empfindung von der unbelebten Materie bis zum bewussten Fühlen und Denken umfasst. Damit betonte sie die Verwurzelung des Menschen in der – nunmehr kosmologisch begriffenen – Natur heraus. Sie unterstrich mit Rekurs auf das dem aufklärerischen Verständnis nach philosophisch als unhintergehbar anzusehende biologische Substrat des menschlichen Geistes dadurch, dass der Menschen kreatürlich in die Mikro‐​und Makroprozesse und ‑Kreisläufe der Natur eingebunden ist. Epistemologisch wurde die Basis für eine »Ökologie des Geistes« (Gregory Bateson) gelegt. Von nun an wird der Mensch im Gewebe seiner mannigfaltigen Beziehungen zur Natur und Gesellschaft wahrgenommen und als Produkt all der Interaktionen und Interdependenzen begriffen, die er als Handelnder zwischen den Polen der Assimilation (Anpassung, Angleichung) und der Akkommodation (Erweiterung, Veränderung) zur Realität unterhält und durch die er bestimmt wird. Das besagt auch, dass nur mittels interdisziplinärer Ansätze das heißt Ansätze, die über enge fachliche Grenzen hinausgehen – ein genaues und approbiertes Verständnis dieser Beziehungen mit dem menschlichen Fortschritt erreicht werden kann. Dieser Prozess vollzieht diskursiv sich in der Form der »Logik des besseren Arguments«. Wichtig dabei ist, diese Logik auch im Kontext der Gleichgewichtsprozesse zu verorten, da Gleichgewicht (Äquilibration) durch jeden Organismus angestrebt wird.

Hieraus ergeben sich sowohl für die Vernunft als auch für Ethik und Ästhetik wichtige Konsequenzen. Im philosophischen Naturalismus der Aufklärung wird zwischen dem Reich der Sinne (Sensualismus) und dem Reich des Verstandes und der Vernunft (Rationalismus) nämlich nicht einfach nur ein Kontinuum postuliert.

Vielmehr werden erstmalig durch den Einsatz empirisch‐​induktiver und experimenteller Verfahren wissenschaftlich exakte Vorstellungen, Begriffe und Modelle davon gewonnen. »Alle Kenntnisse gehen ursprünglich und anfänglich aus sinnlichen Wahrnehmungen hervor.« In den Worten Diderots ausgedrückt: »Die physischen Dinge wirken auf die Sinne. Die Eindrücke dieser Dinge rufen im Verstand die Wahrnehmung derselben hervor. Der Verstand befaßt sich mit seinen Wahrnehmungen nur auf dreierlei Weise, gemäß seinen drei Hauptfähigkeiten: Gedächtnis, Vernunft, Einbildung.«13 Dagegen spielen für die heutigen Techno‐Wissenschaften weder Gedächtnis noch Vernunft oder Einbildung eine Rolle. Der sinnlich wahrnehmende und fühlende Mensch stellt für Post‐ und Transhumanisten ein Mängelwesen dar, das optimiert werden muss. In dem Design, mit dem Transhumanisten die Singularität anstreben, trachten die dafür in den Dienst genommenen Techno‐​Wissenschaften danach, die Natur selbst zu überwinden. Mit Singularität ist im technologischen Sinne der hypothetische Zeitpunkt gemeint, an dem die Künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz übertrifft und dadurch »der technische Fortschritt irreversibel und derart beschleunigt würde, dass die Zukunft der Menschheit nach diesem Ereignis nicht mehr vorhersehbar wäre«.14 Das Singularitätskonzept schließt bei einigen Vertretern des Transhumanismus das Ziel der Erlangung der Unsterblichkeit mit ein. Die Transhumanisten verstehen und fassen unter Natur nicht wie die Aufklärer den ganzen Reichtum der Menschheit, wie er aus dem Stoffwechsel des Menschen mit Natur und Kultur resultiert, worauf alle geistigen Vermögen des Menschen aufbauen und sich gründen. Natur erscheint den Techno‐​Wissenschaften vielmehr im Modus des Defizitären. Deshalb wollen sie einen künstlichen Menschen erschaffen, der über der Natur stehen und sie überwinden soll. Der transhumanistischen Hybris wäre heute mehr denn je Hannah Arendts philosophische Einsicht entgegenzuhalten, dass menschliche Freiheit nur in den Grenzen der Natur verwirklicht werden kann.

Transponiert in den politischen Raum sollte die Trias von Wahrnehmen, Fühlen und Denken (Urteilen) wieder zur Grundlage in den maßgeblichen menschlichen Organisationsformen gemacht werden. Die Politik selbst ist oder sollte zumindest auch eine spezielle Form der Wahrnehmung sein.

Uns Bürgern des 21. Jahrhunderts kann der Wirklichkeitsverlust der Politik auf Dauer nicht verborgen bleiben. Das zeigt sich deutlich am inzwischen erreichten Ausmaß des verloren gegangenen Vertrauens in diese Art von simulierter Demokratie. Man muss nur eine Reise mit der Deutschen Bahn machen, um einen Termin in einem deutschen Amt nachsuchen, als einfacher Bürger krank und der Pharma‐ und Gesundheitsindustrie ausgeliefert werden, bei kurzen Gängen auf die grassierende Armut in Form von flaschensammelnden Menschen und den vielen Obdachlosen auf unseren Straßen aufmerksam gemacht werden oder Einblicke in eine deutsche Schule, besonders eine in ärmeren Großstadtrevieren nehmen, um zu wissen, dass das »beste Deutschland, das wir je hatten«, das man uns die ganze Zeit als Realität vorgaukeln möchte, eine groteske Politiker‐ und Medien‐​Fiktion darstellt. Erst wenn die Politik der so übereinstimmend stark anderslautenden Wirklichkeitserfahrung ihrer Bürger wieder folgt und nach nichts anderem als danach die Richtlinien des politischen Handelns bestimmt wird, wird die Demokratie die ihr eigene aufklärerische Qualität und Würde zurückerlangen können. Dazu muss man aber mit dem durch die Digitalisierung extrem gepushten Schüren von ständiger Angst, sei es Angst vor Viren und Krankheiten, vor heißen Sommertagen wegen des Klimawandels, vor dem »stranger danger« (dem »gefährlichen Fremden«) oder vor dämonisierten anderen Staaten, die uns überfallen, wenn wir nicht bis zu den Zähnen bewaffnet hochrüsten, aufhören.

Die Konzepte Gewaltenteilung und kritische Öffentlichkeit als Antworten auf politische Willkürherrschaft, Tyrannei und Machtmissbrauch. In der Epoche der Aufklärung wird das erste Mal systematisch darüber nachgedacht, wie die negativen Auswüchse von Machtkonzentration und eines absolut gesetzten Machtanspruchs in den Händen weltlicher oder geistlicher Herrscher bekämpft, Machtmissbrauch und Willkürherrschaft verhindert werden können. Es werden Konzepte entwickelt, um Herrschaftsmacht in vernünftige Schranken weisen zu können. Dafür »erfindet« die Aufklärung zum einen das Konzept der Gewaltenteilung, zum anderen bildet sich auf ihr Betreiben hin die Öffentlichkeit als gesellschaftliche Kritik‐ und Kontrollinstanz heraus. Während die Gewaltenteilung, ausgehend vom Big‐​Money‐Korporatismus, durch die Global‐​Governance heute akut gefährdet ist – ich verweise auf die Pläne der von privatkapitalistischen Interessen abhängig gemachten und von Großkonzernen gekaperten WHO (80% ihrer Mittel werden direkt oder indirekt von multinationalen Unternehmen beziehungsweise von den ihnen angeschlossenen Stiftungen und NGOs finanziert), sie in möglichst allen Ländern mittels eines neu verhandelten Pandemievertrages und besonders durch die Änderung der Internationalen Gesundheitsvorschriften auszuhebeln wird die Existenz kritischer Öffentlichkeit durch den Illiberalismus der neoliberalen Postdemokratien – Stichworte: Bio‐ und Identitätspolitik sowie Cancel Culture – in Frage gestellt. Sowohl die Identitätspolitik als auch der spätestens seit Corona immer autoritärer auftretende Neoliberalismus, erweisen sich heute als die gefährlichsten Gegner von Meinungsfreiheit und republikanischem Souveränismus. Die Situation wird weiter dadurch verschärft, dass sich das Recht im Zuge seiner Transnationalisierung von einem Mittel zur Begrenzung und Zivilisierung der Herrschaft des Menschen über den Menschen zu einem Privileg der Eliten zurückentwickelt hat. Die neoliberale Umformung des Rechts stellt einen besonders schwerwiegenden Angriff auf die Gewaltenteilung und Demokratie dar, gerade weil diese Transformation des Rechtssystems weitgehend unter dem Radar der Öffentlichkeit vor sich geht und bislang viel zu wenig als ein wichtiges Problem der Transformation von überschaubaren, identitätsverbürgenden politischen Handlungsräumen in anonym‐​zentralistisch operierenden Machtkonglomerate und Kommandostrukturen erkannt worden ist. Das Recht als der eigentliche Motor der neoliberalen Revolution ist unter anderem bei Joseph Vogl und Michael Wengraf zum Gegenstand profunder Analysen geworden.15 Sie zeigen, welche neue Machtmittel die Big Player der zeitgenössischen Ökonomie für sich durch diese Veränderungen im Bereich der Judikative erobert haben und gehen der Frage auf den Grund, warum diese Machtmittel für die Allgemeinheit so bedrohlich sind. Will man eine freiheitliche Perspektive für die weitere Entwicklung offenhalten, müssen über die klassische Gewaltenteilungslehre hinaus mit Macht alle Versuche unterstützt werden, funktionierende dezentrale Entscheidungsinstanzen zu schaffen, die unterhalb der Nationalstaaten handlungsfähig sind. Dies würde eine Selbstverwaltung innerhalb überschaubarer Handlungseinheiten bedeuten und käme einer Demokratisierung aller gesellschaftlich wichtigen Lebensbereiche gleich. 

Die freie Entfaltung der natürlichen menschlichen Anlagen und die Betonung der Bedeutung individueller Autonomie,das heißt möglichst großer Freiheit vor staatlicher oder sonstiger autoritärer Gängelung, für den gesellschaftlichen Fortschritt. Die Aufklärung lebt von dem Gedanken, »dass die Fähigkeiten,die im Menschen und in der Menschheit veranlagt sind, etwas sind, dass zur Entfaltung kommen sollte.« Es sind die Aufklärer, die als erste »das gute Leben und die gute Gesellschaft mit Umständen (…) identifizieren, in denen sich diese menschlichen Naturanlagen frei entfalten können.« Sie hoffen, dass mit dem Gebrauch der Vernunft »der Mensch seine Lebensführung, seine Gesellschaft und die Welt zu diesen Umständen führen kann. Diese Rationalität ist für die Aufklärer sowohl ein Instrument, das es zum Erreichen der gewünschten Ziele zu benutzen gilt, als auch ein besonderes Eigentum des Menschen, das zu beschützen und respektieren ist. Sie glaubten, dass, obwohl das Wissen des Einzelnen dem Gesamtsystem der Wissenschaft notwendig untergeordnet ist, der einzelne Mensch mithilfe seiner Rationalität Dinge für sich selbst herausfinden muss und dass dem Menschen diese Last auch von keiner Institution abgenommen werden kann.« Es kommt darauf an, »die Fähigkeit aller Menschen zur Freiheit anzuerkennen und die Entwicklung dahin zu fördern.«16

Und nicht zu vergessen – :

Den Beitrag, den die Enzyklopädisten zur Demokratisierung des Wissens und damit zur Verwirklichung der emanzipatorischen Bildungsidee leisteten. Diese Demokratisierung bildet die Voraussetzung für »das geschichtliche Wesen Mensch« durch Wissen und Bildung sich aus den nicht‐​natürlichen Fesseln seiner Abhängigkeiten zu befreien. Sinn und Zweck der Enzyklopädie war es, »Wissen verfügbar (zu) machen und eine Veränderung der menschlichen Denkweiseherbei(zu)führen. Verläßliches Wissen sollte zum Zeughaus der Vernunft und die Vernunft zu der Kraft werden, die vernünftigen Wandel bewirkt.«17

Das vielleicht wichtigste Verdienst der Aufklärung besteht meiner Einsicht nach aber im Vertrauen in die Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung der qua gemeinsam geteilten Werkzeugen und Modi der Welterfahrung und Weltaneignung Sprache, Geist, Wahrnehmung, Ästhetik, Urteilskraft, Moralität – miteinander verbundenen, frei assoziierten Individuen. Dieser Punkt stellt eine Art Unterpfand für die Fähigkeit zur Selbstorganisation dar. Denn der Mensch ist seiner DNA nach auf Kooperation angelegt und auf Kooperation mit Seinesgleichen angewiesen. In ihr erfüllt sich letztlich die condition humaine als Möglichkeit zur Selbstgesetzgebung.

Diese Sicht auf den Menschen knüpft an das an, was Karl Marx zur politisch‐​philosophischen Anthropologie in seinen frühen Schriften entwickelt hat. In der Deutschen Ideologie (1845) heißt es dazu, dass die »Individuen in der wirklichen Gesellschaft (…) in und durch ihre Assoziation zugleich ihre Freiheit« erlangen.18 Und im Manifest der Kommunistischen Partei von 1848 steht der berühmte, oft zitierte Satz:

»An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freieEntwicklung aller ist.«19

Das existenzphilosophische Paradox besteht darin, dass ontologisch betrachtet menschliche Individuen gerade dadurch eng miteinander verbunden (assoziiert) sind, weil sie in offene, emergente Interaktions‐ und Kommunikationsstrukturen hineingeboren werden. Der US‐​amerikanische Philosoph Charles Eisenstein spricht in diesem Zusammenhang vom Interbeing.20 Die Fähigkeiten des Interbeings bestehen unter anderem darin, durch Perspektivenübernahme, role taking, durch Introspektion und richtige, das heißt gestaltsicher erfolgender Rekonstruktion des latenten, in kommunikative Akte eingelagerten sozialen Sinns, emphatisch sich und die Welt verstehen zu lernen. Ego und ego alter lernen so, ihre Intentionen und Handlungen aufeinander abzustimmen, was auf die strukturelle Offenheit verweist, die den Menschen als Gattungswesen auszeichnet. Diesen Fähigkeiten verdanken wir es, dass gesellschaftlich überhaupt etwas Neues entstehen kann.

Diese strukturelle Offenheit drückt sich als wichtiger Bestandteil dieses philosophischen Erbes in den Praktiken zur Erprobung, Kultivierung und der Erkenntnis eigener, individueller Natur aus, die freilich immer schon als eine gesellschaftlich vermittelte zu denken ist. Der bedeutende Aufklärer, Sprachforscher und Bildungsphilosoph Wilhelm v. Humboldt (1767 – 1835), hat dieses grundlegende Interdependenzverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft, die Dialektik von individueller, produktiver Freiheit einer­‐, und zweckrationalem, gesellschaftlichen Zwang andererseits, in den folgenden Zitaten auf den Punkt gebracht. (Wobei anzumerken ist, dass die von Humboldt avisierte Dialektik heute im Vergleich zu Humboldts Zeiten sogar in noch gesteigerter Weise gilt, da ihr angesichts der Globalisierungsprozesse und Zentralisierungstendenzen in Politik und Gesellschaft eine besonders brisante Aktualität zukommt:)

»Nichts auf Erden ist so wichtig, als die höchste Kraft und die vielseitigste Bildung der Individuen, und deshalb ist der wahren Moral erstes Gesetz: Bilde Dich selbst und nur ihr Zweites: Wirk’ auf andere durch das, was Du bist. (…) Je mehr der Mensch für sich wirkt,desto mehr bildet er sich für die Gemeinschaft. Je größer die Gemeinschaft und der Zwang, desto leichter wird er zum billigen Werkzeug.«21

Diese Praktiken, die »der Bildung zur höchsten Kraft« dienen, haben zum Ziel, in der Welt autonom, das heißt ohne Anleitung durch Vormünder handeln und ein gutes und erfülltes Leben, gestützt aufs eigene Urteilsvermögen, führen zu können. Sie treten uns in der Form einer existenziellen Bewährungslogik entgegen – die sich näher als »Sorge um sich selbst« charakterisieren lässt und unterliegen dem lebenspraktischen Entscheidungs‐ und Begründungszwang. Dieser Bewährung liegen aber letzthin keine logisch‐​rationalen Kategorien zugrunde, wie auch durch das Humboldt‐​Zitat verdeutlicht wird, sondern die Bewährung findet vielmehr in ästhetischen Dimensionen statt. Denn deren Kategorien sind abschließend nicht definierbar, sondern offen und bestehen aus den Neigungen beziehungsweise den selbst ergriffenen Aufgaben im Sinne der Selbstsorge und individuellen Selbstermächtigung. Sie orientieren sich an dem, was das Ich, der Mensch als Person, nach selbstbestimmten Kriterien und Gesichtspunkten, in der Welt sein will. In diesem Sinne versteht sich Aufklärung als ein Projekt, bei dem es zentral um die Ermöglichung und Verwirklichung qualitativ aufsteigender, mannigfaltig individueller Bildungs‐ Reife‐ und Sublimierungsprozesse geht, die immer schon auf Sozialität hin ausgerichtet sind und auf Sozialität bezogen gedacht werden müssen. Historisch prägte sich das Aufklärungsprojekt kulturell im Laufe des 18.Jahrhunderts zum Beispiel in bestimmten Formen der Geselligkeit aus – eine Entwicklung, für die die städtischen literarischen Salons Pate standen. Die Kultur des literarischen Salons gibt auch den Fingerzeig dafür, dass es beim Aufklärungsprojekt vorrangig um freie Kommunikation und Lebenskunst geht. Wobei mit dem Begriff der Lebenskunst auf die Fähigkeit des Subjekts abgestellt wird, biophile, das heißt liebevolle (Wachstums‐) Beziehungen zu seiner Mitwelt knüpfen zu können. Dem Subjekt gelingt dies (zumindest partiell) aufgrund des Erwerbs der Fähigkeit zu eigenständigem und eigensinnigem Handeln und dank seines individuellen Beharrungsvermögens, das einen Teil seiner Ich‐​Stärke oder persönlichen Resilienz ausmacht, obwohl der Biophilie22, objektiv betrachtet, zahlreiche Bedingungen aus der politischen und sozio‐​ökonomischen Sphäre entgegenstehen.

Postmodernismus, Neoliberalismus und der Niedergang der Vernunft und Demokratie

Nachdem die Postmoderne23, durch ihr l’art pour l’art eines rein akademisch‐ selbstbezüglichen »Elfenbeinturm«-Kritizismus alle allgemeinen Kategorien wie Logik, Wort, Schrift, Ethnie, Klasse, Geschlechteridentität, Macht, Moral und Herrschaft dekonstruiert hat und den Glauben an die Vernunft selbst in Verruf brachte, sind wir mit Corona definitiv in die Phase eingetreten, in der wir, wie in einen Protonenbeschleuniger geworfen, nun auch Zeugen der Atomisierung und Zerstörung des vernunftgeleiteten Denkens werden. Diese äußerst beunruhigende Entwicklung liegt jedoch ganz auf der Linie des zum Nutzen und Frommen einer kleinen, abgehobenen Elite etablierten Neoliberalismus und entspricht seiner destruktiven, wertzersetzenden Logik. Denn alle Kräfte, Werte und Normen, die seinem Marktfundamentalismus und seiner elitären, anti‐​demokratischen Gesinnung Paroli bieten können und den plutokratischen Neo‐​Feudalismus, auf den sein Gesellschaftsmodell hinausläuft, insofern bekämpfen und überwinden oder ihn auch nur zähmen oder aus seiner Sicht ausbremsen wollen, sucht er intellektuell und vor allem moralisch zu dekonstruieren und massenpsychologisch zu neutralisieren angefangen bei Margret Thatchers berühmt gewordenen Diktum: »There is no such thing as society«. Der französische Anthropologe und Historiker Emmanuel Todd hat diesen legendär zu nennenden Satz aus dem Mund der langjährigen britischen Premierministerin kürzlich zu Recht als ein »nihilistisches Bekenntnis«24 bezeichnet. Wobei der ganze Neoliberalismus bei genauerem Hinsehen eine zutiefst nihilistische Grundkonstante aufweist. Mit dieser hat er fatalerweise die Kontrolle über die westliche Kultur erlangen können und vermag sie paradoxerweise trotz der verheerenden Ergebnisse, die durch seinen Nihilismus gezeitigt werden, vorerst weiter zu festigen. Paradox ist dies zu nennen, weil der Neoliberalismus in dem Maße, wie es ihm gelungen ist, die Kontrolle über die ganze Kultur zu übernehmen, er zugleich für deren Auflösung verantwortlich zeichnet, so dass man, um letztlich den allgemeinen Niedergang der Vernunft aufzuhalten, den Neoliberalismus eigentlich besser vor sich selber hätte schützen müssen.

Aktuell findet dieser im Grunde nihilistische Steuerungs‑, ‑Kontroll‐ und Überwachungswahn im cognitive warfare, im Krieg gegen den Verstand seinen pointierten Ausdruck. Cognitive warfare wurde zuletzt in offiziellen Dokumenten der NATO als neue Säule der Kriegsführung etabliert, was unlängst erst vom Regensburger Propagandaforscher Jonas Tögel ausführlich herausgearbeitet wurde.25 Im cognitive warfare geht es eigentlich auch um die Manipulation von Gefühlen im Kampf um die Herrschaft über die Psyche. Zudem kommt in ihm seit Corona immer stärker die biopolitische Dimension zum Tragen: »Ein alarmierender Aspekt des Übergangs von der mechanischen zur psychologischen Kriegsführung gegen die Bevölkerung ist, dass nun auch der menschliche genetische Code ins Visier gerät.«26 Wie Tögel in seinem Buch Kognitive Kriegsführung darlegt, wird sie als ein Set von Methoden zur »psychologischen Kriegsführung« verstanden, und darin zur vordringlichen Aufgabe und eine der wichtigsten Säule der NATO im Kampf um die Sicherung der Herrschaft im Informationszeitalter erklärt. Der Propagandaforscher zeigt eindrucksvoll en détail auf, wie es unter den Bedingungen des digitalen Überwachungskapitalismus (Shoshana Zuboff) den Mächtigen immer leichter gemacht wird, direkt auf die Individuen dank der vielen Datenspuren, die sie im Cyberspace hinterlassen und den Algorithmen, die daraus verlässliche Profile berechnen, zuzugreifen. Algorithmisch können ihre Gefühle, ihr Bewusstsein und ihre Seele ausgelesen und sie in ihrem Verhalten, zum Beispiel durch Nudging (das digitale »Anstupsen«, das »richtige«, von den Mächtigen, das heißt von denen, die sich im Besitz der Programmierschlüssel befinden, Gewünschte zu tun), gesteuert werden. Der cognitive warfare ist als eine genuin neoliberale Schöpfung anzusehen. Ist er doch aus dem Kampf um die Köpfe entstanden, die der Neoliberalismus gewinnen muss, weil er – anders als das bei der klassischen Diktatur oder Tyrannei der Fall ist – darauf angewiesen, dass Menschen das bejahen und lieben, was sie unfrei macht und dem innerlich zustimmen, was sie doch von ihren Mitmenschen so schmerzhaft trennt und entfremdet.

Festgehalten werden soll an dieser Stelle: Durch das postmoderne Denken erfuhr der Wahrheitsanspruch der Wissenschaften eine nachhaltige Erschütterung.

Neben dem Postmodernismus als Wegbereiter des politischen Irrationalismus und Illiberalismus begegnen uns im dritten Teil dieses Essays weitere Elemente und Aspekte des politischen und gesellschaftlichen Krisenszenarios, die uns noch mehr Aufklärung über die prekäre Lage unseres Gemeinwesens und die Frage, wie diese desolate Lage für die Vernunft entstand, verschaffen können.

Zuvor muss aber noch das Rätsel gelüftet werden, wie es dazu kommen konnte, dass ausgerechnet eine Philosophie des Anything goes für die dogmatischen Verhärtungen in den moralinverseuchten ideologischen Grabenkämpfen, von denen die öffentlichen Diskurse unserer Tage geprägt sind und durch die sie immer größeren Schaden nehmen, zur Verantwortung gezogen werden muss. Bei näherem Hinsehen spricht tatsächlich einiges dafür, in der Dekonstruktion als postmoderne Operation des Geistes und der Deregulierung als Operation einer neoliberalen Imperativen gehorchenden politischen Ökonomie Zwillingschwestern zu erkennen, sind sie doch ein‐ und demselben Geist entsprungen. Zu diesem Schluss gelangt man jedenfalls, wenn man den Hinweisen folgt, die Bernd Stegemann in »Identitätspolitik« dazu gibt. Aus seiner Beschreibung und Kennzeichnung widersprüchlicher Argumentationsketten, der sich gerade linke Identitätspolitik bedient, gewinnt der luzide Kritiker Stegemann den untrüglichen Beweis dafür, dass die »Identitätspolitik ein Kind der Postmoderne« sei. Er führt aus:

»Ihre Geschichte (die Geschichte der Identitätspolitik, Anmerkung B.S) beginnt in den 1970er Jahren, in denen die postmodernen Theorien jede Eigentlichkeit dekonstruiert haben und in denen der neoliberale Kapitalismus jede Bindung als Markthindernis aufgelöst hat. Beide Deregulierungen sind auch an dem Wir‐​Gefühl nicht spurlos vorübergegangen. Die neue Wahrheit der postmodernen Theorien besteht darin, dass es keine Wahrheit mehr gibt, die für alle gleichermaßen gültig wäre. Schon hier liegt also eine paradoxe Konstruktion vor. Denn die Aussage, dass es keine allgemeingültige Aussage mehr geben könne, nimmt für sich eine allgemeingültige Wahrheit in Anspruch. Aus dieser Paradoxie folgen zahlreiche weitere paradoxe Aussagen, die vor allem bei den Identitätskonstruktionen der neuen Identitätspolitik zu einer Waffe in der politischen Kommunikation entwickelt wurden.«27

Die Interpretation selbstbezüglicher postmoderner Paradoxien gibt uns wichtige Hinweise auf die tieferliegenden Ursachen für das regressive und zunehmend auch repressive Klima, das in den westlichen Gesellschaften heute vorherrschend ist.

Das Pandemiemanagement auf dem Prüfstand der Rationalität

Wenn wir von einer Krise der Rationalität und des Wissens sprechen, so lassen sich dafür kleine wie große Belege in nahezu sämtlichen Bereichen der Gesellschaft finden. Ich beschränke mich hier auf Phänomene, die mit Covid‐​19 im Zusammenhang stehen, da der hochgradig irrationale Umgang mit dem Ukraine‐​Konflikt eine eigene umfassende Darstellung verlangen würde. Diese ließe sich zwar fast nahtlos an das anschließen, was beim Corona‐​Komplex diesbezüglich bereits thematisiert wurde, würde aber gewiss den hier vorgegebenen Rahmen sprengen.

Vorab erscheint ein Hinweis zum Rationalitätsbegriff, von dem in diesem Text ausgegangen wird, sinnvoll zu sein. Bekanntlich gibt es, wie generell bei allen normativ stark aufgeladenen Großbegriffen, hierzu konkurrierende Definitionen. Sie werden jeweils aus unterschiedlichen semantischen Netzen gebildet, die je nachdem, ob sie von Fall zu Fall vergleichsweise kleinere oder größere Schnittmengen aufweisen, unterschiedliche Attribute betonen und unter den zum Begriff gehörigen Merkmalen eine je spezifische Wertehierarchie bilden. Das heißt, dass sich die Bedeutungen der Begriffe ändern beziehungsweise Akzentverschiebungen in Abhängigkeit vom Kontext, der zur Erschließung der Begriffe angelegt wird, möglich sind. Auf diese unterschiedlichen Akzentuierungen kommt es oft gerade beim Sinn beziehungsweise der Sinnerfassung eines solch komplexen Ausdrucks an. Im hier vorliegenden Text folge ich den Definitionen und Konzeptualisierungen der Begriffe »Rationalität« und »Vernunft«, wie sie der Psychoanalytiker, Sozialpsychologe‐ und ‑Philosoph Erich Fromm (1900 – 1980) entwickelt hat. Sein umfangreiches Werk wurde stark bis in die 1990er Jahre hinein international als prominenter Beitrag zur humanistischen Psychologie rezipiert, seine Bücher wie Haben oder Sein oder Die Kunst des Liebens avancierten zu Long‐​Bestsellern.

Grundsätzlich ist zunächst anzumerken, dass für Fromm alle »produktive Entwicklung (…) im Bereich des Denkens (…) durch die Vernunft zum Ausdruck« gebracht wird. Diese Vernunft begreift er in einer bestimmten, aufklärerischen Weise als relational, das heißt beziehungsstiftend.

Fromm unterscheidet Vernunft und Intelligenz:

»Intelligenz ein Werkzeug des Menschen für praktische Ziele (ist); sie hat den Zweck, die Aspekte einer Sache zu erforschen, die zu deren Gebrauch bekannt sein müssen.

Die Ziele selbst, oder, was dasselbe ist, die Prämissen, auf die sich das intelligente Denken bezieht, werden nicht in Frage gestellt, sondern als erwiesen angenommen«, das heißt Ziele oder Prämissen können »rational sein oder nicht.«28

Auf die Vernunft bezogen könne man, so Fromm, sagen, dass sie

»eine dritte Dimension einschließt, die Tiefendimension, die zum Wesen der Dinge und Prozesse hinführt. Die Vernunft ist zwar nicht von praktischen Lebenszwecken abgetrennt […], ist aber doch kein bloßes Werkzeug für sofortiges Handeln. Sie hat die Aufgabe, etwas zu wissen, zu verstehen, zu erfassen und den Menschen durch dieses Begreifen zu den Dingen in Beziehung zu setzen. Die Vernunft durch dringt das Außen der Dinge, um deren Wesen zu entdecken, ihre verdeckten Zusammenhänge, ihren tieferenSinn, ihre »Vernunft«. Sie ist um mit Nietzsche zu sprechen nicht zweidimensional, sondern »perspektivisch«, das heißt, sie erfasst alle vorstellbaren Perspektiven und Dimensionen, nicht nur die praktisch relevanten (Hervorhebungen im Text von mir, B.S.).«29

Der Assistent, spätere Herausgeber und Nachlassverwalter der Schriften Fromms, Rainer Funk, leuchtet den Kontext der von Fromm gegebenen Definition der Rationalität weiter aus. Vernunft ist demnach

»nicht nur eine verstandesmäßige und intellektuell‐​geistige Fähigkeit, sondern auch die psychische Fähigkeit, vernünftig zu sein, (…), das heißt, die Wirklichkeit entsprechend der verstandesmäßigen und intellektuellen Erkenntnisse auch tatsächlich so zu sehen, wie sie ist. Vernunft in diesem Sinne meint also gerade nicht das Wissen um das Know‐​how, wie etwas geht, zusammenhängt und funktioniert« (das ließe sich als die technische Seite, von der Fromms Verständnis nach vernünftiger Seite des Wissens unterscheiden, Anmerkung B.S.). »Produktive Vernunft ist eine psychische Fähigkeit und bezeichnet eine bestimmte Art, nämlich eine vernünftige Art des Umgangs mit der Wirklichkeit. Auch sie muss praktiziert werden, wenn sie als Fähigkeit bei der Bewältigung unseres Lebens zur Verfügung stehen soll. Sie steht dem Menschen also nicht bereits mit der Entwicklung seines Verstandes zu Verfügung, sondern muss eigens durch Praxis des vernünftigen Umgangs mit der Wirklichkeit erlernt werden. Nur wer je neu versucht, die Wirklichkeit so zu sehen, wie sie ist, und nicht so, wie wir sie uns wünschen oder wie sie uns vermittelt wird, erlernt die Fähigkeit des vernünftigen Umgangs mit der Wirklichkeit. (…) Die Fähigkeit zum vernünftigen Umgang mit der Wirklichkeit kann deshalb nur praktiziert und erlernt werden, wo Menschen einen eigenen, unmittelbaren Umgang mit der Wirklichkeit zu leben versuchen, ihr eigenes Urteil bilden, ihre eigenen Wahrnehmungen machen und gegenüber jeder Art von vermittelter Wirklichkeitswahrnehmung kritisch sind (Hervorhebungen im Text von mir, B.S.).«30

Vergegenwärtigen wir uns nach dieser Begriffsklärung nun also einige der Angriffe, die von einem aufgeklärten, wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet, auf die Rationalität und Logik während der Corona‐​Jahre unternommen wurden. Alle aggressiven Akte beziehungsweise Anschläge auf die psychischen und mentalen Abwehrkräfte der Individuen, die man als wichtige Bestandteile der vorherrschenden »vermittelten Wirklichkeitswahrnehmung«31 ansehen muss und die als sog. Infodemic‐​Management institutionell bei der WHO bereits verankert worden sind32, wurden und werden als solche ja weiter nicht benannt, sondern sind in der breiten Öffentlichkeit nach wie vor eine Black Box. Sie sind bislang weder diskutiert, korrigiert, noch gar wieder zurückgenommen worden.

Ungeachtet dessen konnte und kann es nicht rational sein,

  • den Lebensschutz für Betroffene einer einzigen Krankheit zu verabsolutieren, während die meisten anderen Kranken in den Corona‐​Jahren unter einem verschlechterten Gesundheitsschutz litten, der dazu führte, dass sich die allgemeine Sterblichkeit erhöhte: Vorsorgeuntersuchungen und Behandlungen wurden nicht durchgeführt, Arztbesuche aus Angst vor Ansteckung abgesagt, Krankheiten zu spät diagnostiziert, Operationen verschoben. Das Fazit daraus: In der Corona‐​Zeit »durfte« man an allem sterben, nur nicht »an« und »mit« Corona.

Dabei muss auch beachtet werden, dass die Gefahr an Covid‐​19 zu versterben, in den Prognosen der Modellierer maßlos übertrieben wurde. Nach der Metastudie 01/​2023 des US‐​Gesundheitswissenschaftlers und Medizin‐​Statistikers John Ioannidis lag die Sterblichkeit bei einer SARS‐​CoV‐​2‐​Infektion, die sog. Infection‐ Fatality‐​Rate (IFR) aller Infizierten in dem Segment der 0 59jährigen bei durchschnittlich 0,034% und bei 0,095% bei den bis 69jährigen. Diese Angaben, die Ioannidis aus der Analyse von 31 Studien zur Mortalität des Corona‐​Virus gewonnen hat, passen zu den vom Robert‐​Koch‐​Institut (RKI) erhobenen Daten, nach denen der Altersmedian der Todesfälle für den Corona‐​Zeitraum bei 84 Jahren (06/​2021) gelegen hat.33

  • den Entzug von Grundrechten als »notwendiges« Mittel der Pandemiebekämpfung zu wählen beziehungsweise zu favorisieren und dies immer wieder als richtig darzustellen. Entgegen den Behauptungen aus der Politik, hat dieser Grundrechtsentzug nicht dem Gesundheitsschutz gedient. Wie der Berliner Arzt Claudius Loga in »Corona‐​Grenzüberschreitungen« auf den NachDenkSeiten schrieb, nimmt der Entzug von Grundrechten »vielen schwächeren und verletzlichen, kranken und traumatisierten Menschen den Schutz des persönlichen Raumes und ihre Autonomie sowie die gesellschaftlichen Grenzen (…), die doch eigentlich durch das Grundgesetz geschützt sein müssten. (…) Der Praxisalltag zeigt immer wieder, dass Menschen krank werden, deren äußere Grenzen gebrochen wurden, die von außen unter Druck gesetzt, verletzt oder missbraucht werden und wurden«.34

  • die Übersterblichkeit in den Jahren 2021 und 2022, die nicht auf die Covid‐​19‐Erkrankungen zurück geführt werden kann, weiter zu ignorieren, anstatt endlich auch behördlicherseits nach ihren Ursachen zu forschen. Dieser Merkwürdigkeit voraus ging eine andere Merkwürdigkeit, nämlich die, dass bei zeitnah nach der Impfung erkrankten und Verstorbenen keine Diagnostik der Ursachen veranlasst worden ist bis heute nicht, obwohl in vielen Familien ein in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Injektion stehender Erkrankungs‐ oder Todesfall bekannt ist. Michael Andricks in der Berliner Zeitung gestellte Frage35, ob jemand eine Idee habe, die erklären könnte, warum in Deutschland 2021 und 2022 ca. 100.000 Menschen mehr gestorben sind, als statistisch zu erwarten gewesen ist, ist inzwischen von einem wissenschaftlichen Autorenteam, bestehend aus Paul Cullen, Brigitte König, Brigitte Röhrig, Jens Schwachtje, Henrieke Stahl und Henrik Ullrich, aufgegriffen worden. In Cicero-Online schreiben sie, dass es eine zufriedenstellende Erklärung dafür bislang nicht gäbe, sie »sie aber da (…) eine Idee« hätten:

»Wir meinen: Der Grund für die Übersterblichkeit ist nicht einfach das Coronavirus, wie unlängst anhand einer Studie des Barmer Instituts für Gesundheitsforschung propagiert wurde. Schuld an ihr ist vielmehr in erster Linie ein Eiweißstoff des Virus: das sogenannte Spike-Protein. Diese Spikes(zu Deutsch Stacheln) bilden als Zacken die Corona (lat. Krone‹ oder Kranz‹), von der die Familie der Viren, der SARS‐​CoV‑2 angehört, ihren Namen hat. Das Spike‐​Protein ist gefährlich, wenn es durch eine natürliche SARS‐​CoV‐​2‐​Infektion in den Körper gelangt. Aber es ist noch gefährlicher, wenn unser Körper die Spike‐​Proteine nach Verwendung der neuartigen COVID‐ Impfstoffe selbst bildet.«

Das Spike‐​Protein ist nicht nur für die Zerstörung von Lungengewebe verantwortlich, sondern kann vielfältige andere schwere Erkrankungen auslösen oder zumindes tbegünstigen. Denn wichtige Zell‐​und Immunfunktionen werden durch das Spike‐Protein gestört.«36

Vor diesem Hintergrund mutet es höchst irrational an, dass die Politik solchen Untersuchungsergebnissen, die normalerweise als äußerst beunruhigende Verdachtsmomente bewertet werden müssten, und die den Gesundheitsschutz, auf den man sich ja bei allen Maßnahmen gegen Covid‐​19 so stark berufen hat, gerade in Frage stellen, noch immer nicht nachgeht.

  • die Erzählung der hoch effektiven und »nebenwirkungsfreien«37, »experimentellen mRNA‐​Impfstoffen« trotz erdrückender Beweislage, dass das Gegenteil zutreffend ist, weiter kontrafaktisch aufrechtzuerhalten. Die kurzerhand zu Impfstoffen umdeklarierten Genpräparate wurden losgelöst und isoliert von anderen Therapie‐​Möglichkeiten und unter völliger Nicht‐​Beachtung eines sinnvollen Einsatzes konventioneller Pharmaka und einfacher, nicht‐​pharmazeutischer Interventionen sowie der Rolle, die die natürlichen Immunität für das Infektionsgeschehen von Anfang an spielte, als die einzigen möglichen »Game Changer« der Pandemie extrem stark propagiert (Bundeskanzlerin Merkel: »Die Pandemie ist zu Ende, wenn wir den Impfstoff haben.«) Die die Impfkampagne von Beginn an begleitende unwissenschaftliche Behauptung einer nebenwirkungsfreien, 95‐​prozentigen Wirksamkeit der Präparate fiel ab Frühsommer 2021 wie ein Kartenhaus in sich zusammen.

Es wurde klar: Die Präparate schützen weder vor Ansteckung noch vor einer Weitergabe des Virus. Sie sind nicht einmal von den Herstellern darauf getestet wurden! Am Ende blieb von der Game‐​Changer‐​Fama nichts übrig. Im Gegenteil: Obwohl inzwischen nachgewiesen ist, dass »Geimpfte« signifikant sogar häufiger an Corona erkranken als Ungeimpfte, weigert sich die Politik weiterhin Konsequenzen aus dem Desaster zu ziehen und die mRNA‐​Präparate vom Markt zu nehmen. Stattdessen werden von der WHO neue, ebenfalls auf mRNA‐​Basis entwickelte »Impfungen« und »angepasste« Corona‐​Impfstoffe für die jüngst aufgetretenen Virusmutanten empfohlen, die »jetzt« – sic! – »auch vor Ansteckung schützen« sollen. Doch fast niemand glaubt der Propaganda der Pharmahersteller und ihren verlängerten Armen in Behörden und Ministerien noch. Der Pharmakonzern Pfizer meldete im dritten Jahresquartal 2023 einen Verlust von 2,4 Milliarden Dollar, nachdem er vor Jahresfrist 8,6 Milliarden Dollar Gewinn gemacht hatte.38

  • einen pandemischen Ausnahmezustand durch anlasslose Massentestungen herbeizuführen – noch dazu mit einem nicht validen Test, bei dem der sog. Ct‐​Wert, der die Viruslast angibt, viel zu hoch angesetzt wurde. Der Ausbruch und die Infektionslage und ihre Bedrohlichkeit können bei einer Pandemie korrekt nur anhand verlässlicher und harter Indikatoren was bis dahin wissenschaftlich auch niemals bestritten wurde – wie Infektionssterblichkeitsrate oder Stand der Krankenhaus‐ und Intensivbetten‐​Belegung falsifiziert, das heißt nachgewiesen werden. (…) »Ohne die ganze Testerei, ohne die fatalen Konsequenzen der politischen Maßnahmen und ohne die massive Angst, die verbreitet wurde, hätte kein Mensch etwas von dem neuen Virus bemerkt.«39

  • dass staatliche Institutionen, die erforderlichen Daten zur Pandemiebekämpfung gar nicht oder unzureichend erhoben haben. In Summe haben die in der Hauptsache zuständigen, fachlich kompetenten Stellen zur Informationsbeschaffung und ‑bewertung, zur wissenschaftlichen Begleitung, Auswertung, Daten‐​Surveillance und Monitoring für die Angelegenheiten der öffentlichen Gesundheit gelten, namentlich das Robert Koch‐ und das Paul Ehrlich‐​Institut, ihrem gesetzlichen Auftrag bei der Aufklärung und Evaluation der sog. Corona‐​Pandemie nicht oder nicht hinreichend erfüllt und diese Aufgaben werden weiter verschleppt und die Bemühungen um Aufklärung sogar behindert.40 Auch scheint es nicht rational zu sein, dass »weder Impfwillige noch Ärzte sorgfältig und umfassend (…) über mögliche spezielle seltene Nebenwirkungen (…) informiert«41 wurden. Dies wurde inzwischen bekannt,

»weil der Zugang zu den Pfizer‐​Unterlagen bei der US‐​amerikanischen Überwachungsstelle Food and Drug Administration (FDA) 2022 eingeklagt worden war«42. Die Lage stellt sich heute im Licht des mittlerweile bekannt Gewordenen, wie es bei Petra Erler in einem gut recherchierten, sehr informativen Artikel im »Hintergrund« heißt, so dar »dass die vorläufige Zulassung der mRNA‐​Impfstoffe (…) in Unkenntnis darüber erfolgte, was sie im menschlichen Körper genau bewirken. Die dafür notwendigen klinischen Tests wurden nicht gemacht. Weil sie rechtlich nicht zwingend waren. Es wurde den Beteuerungen der Pharmaunternehmen geglaubt, die injizierte mRNA bleibe im Muskel und zerfalle schnell. Zu systemischen Auswirkungen gab es nur eine Kurzzeitstudie (48 Stunden) an Ratten.«43

Dass die andere zentrale Institution im Staatsgefüge, die Justiz, der Exekutive in der Pandemie einen derart großen Handlungsspielraum eingeräumt hat, dass er sich de facto als das Prinzip der Gewaltenteilung außer Kraft setzende Freibrief für das »Spiel mit dem Notstand« - erinnert sei hier an Willy Brandt44 – herausstellen sollte, bedarf ebenfalls einer akribischen Aufarbeitung. Die Gerichte weigerten sich, dass von der Exekutive behauptete Vorliegen einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite und die Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit einzelner Maßnahmen, die tief in die Grundrechte und Privatsphäre der Bürger eingriffen, selbst material durch verschiedene Bemühungen zur genauen Sachverhaltsaufklärung (zum Beispiel durch verschiedene Gutachten möglichst unabhängiger Wissenschaftler), zu prüfen. Die Gerichte hätten also eine Beweisaufnahme über die tatsächliche Gefährdungslage durch das SARS‐​CoV‐​2‐​Virus anordnen können – und müssen.

Sebastian Lucenti, Rechtsanwalt und Initiator des pädagogischen Netzwerkes für die Aufarbeitung der Corona‐​Krise, gibt zu bedenken, dass »mit Eintritt einer Staatskrise (…) nicht nur die Bevölkerung im Allgemeinen, sondern vor allem Richterschaft und Staatsanwaltschaften im Besonderen (…) zeitnah ein vollständiges sachliches Bild der Informationslage erhalten (…) müssen. Daher wäre es erforderlich gewesen, »den Verlauf der politischen Entscheidungen unter Unsicherheiten’ von Gesetzgeber und Verwaltung der Jahre 2020 bis 2023 unter anderem durch sorgfältige chronologische Auswertung der Gesetzesbegründungen zur Änderung des IfSG, der Plenarprotokolle, der protokollierten Anhörungen von Einzelsachverständigen im Deutschen Bundestag (…), Protokolle der Ministerkonferenzrunde (…) und im Vergleich dazu, Inhalt und Zeitpunkte beachtlicher wissenschaftlicher Gegenstimmen sowie (…) Erkenntnisquellen gegenüberzustellen.«45

Angesichts der vorhandenen Datenlage ist es rational nicht nachvollziehbar, dass die Praxis der Gerichte, den exekutiv Handelnden höchstrichterlich in Bezug auf die Außerkraftsetzung von Grundrechten einen Freifahrtschein auszustellen, immer noch nicht revidiert wird. Sollte hier nicht seitens der Justiz gegengesteuert werden, wird dies als eklatantes Institutionen‐​und Staatsversagen in die bundesrepublikanische Geschichte eingehen, ein Versagen, das m.E. letztlich nur durch eine zu große Nähe von Richterschaft und Staatsanwaltschaften zur (Partei-)Politik erklärt werden kann. Dies wirft einen langen und tiefen Schatten auf die Gewaltenteilung und ihre Funktionsfähigkeit im institutionellen politischen Gefüge der Bundesrepublik.

Zusammengefasst sind die wissenschaftlichen Defizite bei der für eine effektive Pandemiebekämpfung erforderlichen Datenermittlung und Sachverhaltsaufklärung weder von der Politik noch der Justiz als Problem überhaupt thematisiert, geschweige denn bislang bearbeitet oder gar auch nur ansatzweise behoben worden.46

Zuletzt ist in diese Angelegenheit ja Bewegung gekommen, und zwar durch ein Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück, dass den RKI‐​Präsidenten zwei Stunden zu den Protokollen des Covid‐​19‐​Krisenstabs seines Hauses als Zeugen befragte und zum Schluss kam, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht und damit weite Teile des Infektionsschutzgesetzes verfassungswidrig seien. Es sieht eine erneute Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit durch das Bundesverfassungsgericht für erforderlich an und wird daher das Verfahren, bei dem es um das Betretungs‐ und Betätigungsverbot einer nicht geimpften Krankenpflegerin geht, dem Bundesverfassungsgericht mit der Frage vorlegen, »ob §20a Infektionsschutzgesetz (in der Fassung vom 18. März 2022), mit Art. 2 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 1 des GG vereinbar gewesen ist.«47

Allein die kursorische Aufzählung macht schon deutlich:

Die Infragestellung der Vernunft, ihre Missachtung durch das Außerkraftsetzen von Logik, rationaler Methodik und gesundem Menschenverstand sowie die besonders an den oben erläuterten Beispielen stark ins Auge springende Ignoranz gegenüber dem wissenschaftlich geschulten Geist und der empirischen Evidenz, – all das hätte in der Corona‐​Krise öffentlich thematisiert und von den Parlamenten und Medien erörtert werden müssen. Und da diese Thematisierung und Erörterung nicht nur nicht möglich war, sondern teilweise sogar systematisch unterbunden wurde und weiter unterbunden wird (siehe das Kartell der Verweigerer aus CDU/​CSU, SPD, Grünen, FDP und Linken, die sich gegen eine umfassende Aufarbeitung der Corona‐​Politik sträuben) hat die Infragestellung der Vernunft während der Corona‐​Zeit zwar ihren vorläufigen, äußerst besorgniserregenden Höhepunkt erreicht, verharrt aber auch nach Corona auf erschreckend hohem Niveau.

Dabei ist längst bekannt, dass die Folgeschäden der Corona‐​Politik von vielfältiger und sehr vielschichtiger Art sind.

Der Münchener Kinderarzt Martin Hirte zählt in seinem Blog48, der für alle, die sich über die Corona‐​Zeit genauer informieren möchten, ein reichhaltiges Archiv an chronologisch und thematisch geordneten Quellen zu den verschiedenen Aspekten der Pandemiepolitik bereithält, wichtige Langzeitfolgen auf:

  • Durch die oberste Priorität von Infektionsschutz‐​und Hygieneregeln und deren (…) Propagierung im öffentlichen Raum kam es zur Neurotisierung und Traumatisierung der Gesellschaft, zu einer kollektiven Angst‐ und Zwangsneurose.

  • Unseren Kindern haben wir schlimme Schäden zugefügt, indem wir ihnen Angst‐​und Schuldgefühle erzeugten, ihnen Abstandsregeln, Waschrituale, Masken, Impfdruck und Quarantäne bis zur Isolation innerhalb der Familie aufzwangen, und ihnen das recht auf uneingeschränkte Kommunikation und Bildung nahmen.

  • Unseren Jugendlichen haben wir Schaden zugefügt, indem wir ihnen die Kontaktmöglichkeiten nahmen und sie damit dem Risiko psychischer Krankheiten wie Depression, Angststörung, Essstörungen und Mediensucht aussetzten.

  • Die mit Bedacht erzeugte und aufrechterhaltene Panik begünstigte ein Klima von Aggressivität, Denunziation, Entsolidarisierung und Respektlosigkeit gegenüber Andersdenkenden.

  • Die von der Pandemiepolitik geschaffenen Bedingungen haben unzählige Existenzen vernichtet. Gerade der Kulturbereich hat nachhaltigen Schaden erlitten (…). Die Bedingungen bringen weniger gut Situierte in große wirtschaftliche Schwierigkeiten. Weltweit haben die Pandemie‐​Maßnahmen zu einer Wirtschafts‑, Gesundheits‐​und Hungerkrise von schrecklichem Ausmaß geführt wesentlich gravierender als die Pandemie selbst.

Massenpsychose als die Erklärung für das Vernunft‐​Versagen

Ein besonderes Augenmerk im Zusammenhang mit der prekär gewordenen Rolle der Vernunft, wie sie sich gesellschaftlich unter Corona darstellte, verdient nach Ansicht des belgischen Psychoanalytikers Mattias Desmet von der Universität Gent, die Entstehung einer mass formation psychosis.49 Desmets Rekonstruktion der Bedingungen und Ursachen der Corona‐​Massenpsychose gibt eine schlüssige Antwort auf die Frage, wieso eine Mehrheit die Maßnahmen trotz fehlender Beweislage wegen nicht vorhandener Evidenz befolgt und ein nicht unwesentlicher Teil der Bevölkerung sogar die ganze Zeit über noch schärfere Maßnahmen forderte.

Desmet sieht in der gehorsamkeitsproduzierenden Massenformierung den Prozess, in dem eine »sozial zerfallende Bevölkerung wieder eine Einheit findet«, wenn auch bloß eine imaginäre. Im Neoliberalismus werde der Mensch permanent auf sich zurückgeworfen. In unseren atomisierten Gesellschaften, wo Vereinzelung, Einsamkeit, Isolation zu Massenphänomen50 geworden sind, können die Individuen leichter durch irrationale Ängste getriggert werden als in Gesellschaften, wo soziale Bindungen noch stärker intakt sind. In der besonders angstbesetzten Zeit der Dominanz des Corona‐​Narrativs konnten diese Menschen sich durch die Regeln – die Regeln wurden für so wichtig erklärt, dass ihre Einhaltung angeblich über Leben und Tod entschied – ein stückweit von ihren Ängsten befreien und Halt und Orientierung in der strikten Befolgung des von Autoritäten Oktroyierten finden, zumal das Oktroyierte als ultima ratio des vernünftigen Verhaltens ausgegeben wurde. Die Rückseite dieses Gehorsams war, dass Mitmenschen, die diese Ängste nicht teilten oder die mit ihren Ängsten rational umzugehen versuchten, ausgegrenzt und zu Negativ‐​Objekten dieser ängstlichen Menschen gemacht wurden. Die weniger Ängstlichen boten so den (Über-)Ängstlichen die Möglichkeit zur Abfuhr ihrer in der »Pandemie« aufgestauten Aggressionen beziehungsweise von ihren tiefsitzenden destruktiven oder nihilistischen Gefühlen. Durch Schaffung dieses »Corona‐​Leugner«, »Covidioten«, »Schwurbler« etc. genannten Sündenbocks konnten sie sich in leicht Zustimmung erheischenden reaktionsverstärkenden gesellschaftlichen Bahnen abreagieren.

Die weniger ängstlichen oder gar angstlosen Menschen, die schnell auch von Politik und Medien als unverantwortliche »Verschwörungstheoretiker«, »Aluhut‐​Träger«, Rechte« etc. stigmatisiert und ausgegrenzt wurden, bildeten für die Massenformierung eine geradezu ideale Projektionsfläche. Denn sie konnten dem folgsamen Teil der Bevölkerung nunmehr für deren schon lange aufgestauten Aggressionen als Ventil dienen, Aggressionen, die sich sonst innerhalb der in den Grenzen der mit den typischen neoliberalen Charakter‐​Dispositionen verbundenen Verhaltenserwartungen, die von einer Mehrheit in der Bevölkerung geteilt werden beziehungsweise von einer Mehrheit verinnerlicht worden sind, »erlaubt« gar nicht ausagieren lassen.

Das würde erklären, warum so viele in die Emotionalisierung des Kampfes gegen ein Virus der oberen Atemwege eingestiegen sind, die seitens der Politik sogar als Krieg bezeichnet wurde und dass sich die Corona‐​Panik völlig losgelöst von der realen Lage – dank willkürlich gesetzten, rauf‐​und runter skalierten Inzidenz‐​Grenzwerten für anlasslose Massentestungen immer weiter hochschaukeln konnte. Desmet zufolge verschaffte das den von Bindungslosigkeit und Sinnarmut sowie Gefühlen seelischer und geistiger Leere befallenen oder aber am Überdruss an den ewig gleichlaufenden Routinen der Konsum‐​und Wohlstandsgesellschaft leidenden Individuen gleich auf mehrfacher Weise Erleichterung. Und die, die sich zwar vom Virus weniger bedroht sahen und auf die Maßnahmen mit inneren Vorbehalten reagierten, reihten sich auch in die konformistische Phalanx der »Solidarischen« und »Vernünftigen« ein. Sie behielten ihre Fragen und Einwände lieber für sich, nachdem sie gemerkt hatten, wie erbarmungslos die Gesellschaft mit Zweiflern und Kritikern der Pandemiemaßnahmen verfuhr. Sie erkannten sehr schnell sehr gut, dass man sonst mit Ihnen genauso wie mit den »Querdenkern« umgehen und sie zu Sündenböcken des Covid‐​19‐​Fundamentalismus abstempeln würde – eines Fundamentalismus – und das ist das Erstaunliche daran – der sich quasi über Nacht formiert und infektiös ausgebreitet hatte.

Die der Deutung Desmets inhärente Erkenntnis, um die es entscheidend dabei geht, ist die, dass eine Massenpsychose durch die neoliberale Ideologieformation in der Gesellschaft sehr befördert werden konnte, weil erst durch das bereits vorherrschende, erschreckend hohe Maß an Bindungslosigkeit und Isolation, überhaupt eine solch toxische Dynamik mit faschistoiden Gehalten freigesetzt werden konnte. Dies geschah, weil sich in sehr kurzer Zeit ein massenpsychologischer Effekt einstellte, durch den ein vernünftiges, maßhaltendes, reflektiertes Denken und Handeln als Antwort auf die Pandemiegefahr nicht mehr zugelassen wurde. Denn diejenigen, die bei der Beurteilung des ausgerufenen Ausnahmezustandes und den von oben vorgegebenen »alternativlosen« Bekämpfungsmethoden das eigene vernunftgeleitete Denken und Handeln nicht aufgeben wollten, waren nun »draußen«. Unverblümt, in aller Härte, gab das der damalige saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) in einer Talkshow zu Protokoll: »Zuerst einmal müssen wir eine klare Botschaft an die Ungeimpften senden: Ihr seid jetzt raus aus dem gesellschaftlichen Leben. Deshalb (sic!, Anmerkung B.S.) machen wir jetzt konsequent 2 G.«51

Wie die Zurückweisung des Diskursgedankens tiefe Skepsis am zeitgenössischen Fortschrittsglauben nährt

Um den Bogen zur Aufklärung und zur Notwendigkeit ihrer Neufassung nach Corona zurückzuschlagen, gehen wir am Schluss geschichtlich noch einmal an die Anfänge der Epoche zurück, dorthin, wo man der Aufklärung und ihren Protagonisten bei der Erfindung der Ordnung des Diskurses gewissermaßen über die Schultern blicken kann:

Es war der Frühaufklärer Pierre Bayle (1647 – 1706), der mit seinem Dictionnaire historique et critique in vier Bänden, ein wichtiges Vorbild für die Enzyklopädie schuf, dass die Stoßrichtung für die gesamte Aufklärungsbewegung vorgeben sollte. Wie der Titel des Werkes es schon sagt, war es der Anspruch von Bayle damit eine kompilierte Sammlung von Wissenswertem aus Geschichte, Philosophie und Religion als kritisches Konvolut seiner Zeit vorzulegen. Bayle, der eigentlich Journalist war, präsentierte damit ein, wie der Diderot‐​Biograph Richard Löwenthal schreibt, »Lexikon aller Irrtümer«, »mit denen die Menschheit auf den falschen Weg gebracht wurde.« Sein Werk war »ein komplettes Inventar (…) an Torheiten, Mystifikationen und hohlen Spekulationen«.52

Nach den Worten von Eva Buddeberg, Mitherausgeberin und Übersetzerin von Bayles Theorie der Toleranz, zeichnet sich Bayles Denken »zunächst durch eine große Unabhängigkeit aus, das heißt, er nimmt praktisch nichts als gesichert an und stellt sich dabei, wenn nötig, gegen alle (…) Fanatiker.« Und weiter: »Man kann sagen, dass Bayle im Grunde das gesamte Weltwissen seiner Zeit kritisch prüfen und von Vorurteilen (…) befreien wollte.«53

Wie schon bei Pierre Bayle und René Descartes (1596 – 1650), nahm das Wort discours oder Diskurs später auch bei D’Alembert und Diderot einen besonderen Klang an. Würde man heute über die Corona‐​Zeit ein Inventar der »Torheiten, Mystifikationen und hohlen Spekulationen« analog zu jenem erstellen, das Bayle von seiner Epoche zusammentrug, fiele hinsichtlich der Bedeutung der Diskurse eine weitere Parallele zum späten 17. und dem vorrevolutionären 18. Jahrhundert auf. Jedem unvoreingenommenen Beobachter dürfte diese Parallele sofort den Vergleich mit unserer Gegenwart nahelegen. Der Vergleich würde auf die seit einigen Jahren zu beobachtende stark zunehmende Verengung beziehungsweise Beschneidung des Meinungskorridors und der Diskursräume sowohl auf Ebene der EU mit den in die völlig falsche Richtung gehenden digitalen Regulierungsgesetzen wie dem Digital Service Act als auch innerhalb ihrer einzelnen Mitgliedsstaaten hier besonders in Deutschland zielen, wo man sich zum Beispiel in der Erfindung neuer Kategorien für die Verfolgung von Regierungs‐​und Kapitalismuskritikern unterhalb der bestehenden Strafbarkeitsgrenze wie »Desinformation«, »Hassrede«, und »Staatsdelegitimation« in ominösen, juristisch unbestimmten Begriffen ergeht und sie zur Grundlage von Zensur‐ und Denunziationsgesetzgebungen macht. Diese dienen vorgeblich offiziell genauso der Meinungsfreiheit wie man ihre Pseudo‐​Legitimation mittlerweile mit sog. »Demokratiefördergesetzen« zu bemänteln versucht: legislative Maßnahmen, aus denen der Ungeist orwellscher Begriffsverkehrungen (»Krieg ist Frieden, Sklaverei ist Freiheit«) in Wahrheit nur so trieft. 54

Im Rekurs auf das 18.Jahrhundert haben wir uns unter der sich zur Aufklärungszeit herausbildenden Diskurskultur, eine die Doxa als das mit Macht festgezurrte Selbstverständnis seiner Zeit (zur Doxa und ihrer Bedeutung siehe die Anmerkungen 66 und 67) in Frage stellende, die gegen Denkfaulheiten und starre Konventionen der Moral und Kultur gerichtete Neu‐​Schöpfung des Geistes vorzustellen.

Ihr Verdienst bestand darin, nicht nur erfolgreich behaupten, sondern tatsächlich auch überzeugend nachweisen zu können, dass dank der Mittel unseres Verstandes prinzipiell jederzeit Setzungen, Postulate und Geltungsansprüche von Autoritäten, welche unter feudalistischer und absolutistischer Herrschaft eigentlich gar nicht hinterfragt werden durften, geprüft und verworfen werden können. Es war der Diskurs, der die Grundlage für die moderne Gelehrsamkeit legte und dem »Wir«– das heißt unsere Spezies, die sich den Namen »modern« und »aufgeklärt« gab – letztlich den Aufstieg zu verdanken haben, so wie der Diskurs durch die technischen Möglichkeiten seiner Verbreitung, durch Buchdruck und modernes Zeitungs‑, Zeitschriften‐ und Verlagswesen zur Entstehung einer gesamteuropäischen intellektuellen Öffentlichkeit führte. Zu dieser Öffentlichkeit sollte der Erfolg der Enzyklopädie einen maßgeblichen Beitrag leisten, der in seiner Wirkung kaum überschätzt werden kann.

Der dis‐​cursus, das heißt der um den Gegenstand hin und her und in verschiedener Richtung um ihn herum laufende Weg, der der Erzeugung von möglichst vielen verschiedenen Perspektiven oder Kontexten dient, durch die mir der Gegenstand (beziehungsweise eine Gegenstandserfahrung) gegeben wird oder erscheint, beziehungsweise in denen ich ihn mir vorstellen kann das ist die bildliche Beschreibung der wissenschaftlichen Methode des genauen Beobachtens, Prüfens, Abwägens, durch die wir zur Wahrheit über die Gegenstände der Erkenntnis gelangen können. Man sprach nicht zufällig in dem Zusammenhang von dem L’Universe du Discours, dem Diskurs‐​Universum.

Im aufklärerischen Diskurs wird all das genau registriert, was sich in der Empirie zwischen die Gegenstände und ihre epistemischen Beobachter, die Forschenden, schieben oder stellen kann, also all das, was Erkenntnisprozesse behindert und Aufklärung unterbindet. Diese Beeinträchtigungen oder Okkultationen wurden von den Aufklärern besonders aufmerksam reflektiert und selbst, und das war das Neue daran, ins wissenschaftliche Kalkül gezogen.

Insofern ist die Aufklärung vor allem als eine Denkmethodologie anzusehen. Sie lehrt uns, die Dignität einer Theorie danach zu beurteilen, wie sie mit »ihrer« Empirie umgeht. Denn der Einlass einer möglichst ungefilterten, nicht schon vom Erkenntnissubjekt nach der Sache selbst fremden Interessen oder Neigungen zugerichteten Empirie in die Begriffs‐​und Theoriebildung ist das erste Gütezeichen einer jeden Theorie.

Die im Zusammenhang mit dem Siegeszug der Enzyklopädie sich ausbildende »Vorstellung von einer internationalen Republik der Geister, die unabhängig sein müsse von allen Landesgrenzen«, sollte so mächtig werden, dass sie – der Diderot‐​Biograph Friedenthal verweist darauf – »noch bis in die großen Völkerkriege zu Beginn des 19. Jahrhunderts hinein ihre Geltung (…) behielt. Der große englische Physiker Humphrey Davy, der Erfinder der Gruben‐ Sicherheitslampe für Bergleute, konnte mitten in dem erbitterten Krieg zwischen Frankreich und England zu einem Gelehrtenkongress in Paris reisen und einen Preis Napoleons für seine Verdienste entgegennehmen, weil die Wissenschaft und der Fortschritt des menschlichen Geistes über den Bedenken nationaler Auseinandersetzungen stehen müsse.«

Im Anschluss fügt Friedenthal diesem historischen Beispiel den heute – Stichwort: Cancel Culture noch wesentlich aktueller als 1969 (dem Erscheinungsdatum seines Buches über die Aufklärer) klingenden Zusatz an: »Wir haben Grund, über den Fortschritt nachzudenken, der inzwischen gemacht worden ist.«55

Bleibt die Frage zu klären, woran wir den allgemeinen Fortschritt festmachen können, über den Friedenthal, die Epochen vergleichend, am Beispiel des englischen Physikers Davy räsoniert?

Die Antwort lautet: Am dis‐​cursus.

Genauer: An seinen Suchbewegungen, das heißt an den hin und her und um die Gegenstände der Erkenntnis herum in verschiedene Richtungen laufenden Wegen, mit denen das aufklärerische Denken die Welt erkundet hat. Die Bewegungen des dis‐​cursus tragen der Multi‐​Perspektivität der Gegenstände und der Gegenstandserkenntnis Rechnung, das heißt unter ihnen versammeln sich die verschiedenen Blickwinkel und Richtungen, aus denen sie betrachtet werden können und in denen ich sie mir vermöge der Tätigkeit der Sinnesorgane und meiner Einbildungskraft vorstellen kann. Das ist die bildliche Beschreibung und damit gleichsam die Übersetzung der wissenschaftlichen Methode, die im genauen Beobachten, Zweifeln, Prüfen und Abwägen besteht. Durch sie gelangen wir zu wahrheitsfähigen Sätzen über etwas, das heißt zu Prädizierungen von einem X, einem Y oder Z.

Zugleich macht die hier vorgeschlagene Lesart des Begriffs deutlich, dass die Übersetzung »wissenschaftliche Abhandlung oder Untersuchung« für das französische Wortes discours viel zu kurz greift. Für das Prisma der Aufklärung wird der discours/​Diskurs vielmehr zum zentralen Ort kommunikativer Rationalität.

Wenn Feindbilder, die bis vor kurzem noch als archaische Relikte einer im kollektiven Gedächtnis als dunkel und beklemmend empfundenen, glücklicherweise überwunden geglaubten Zeit, heute wieder fröhliche Urstände feiern, steht damit auch die Freiheit des Denkens und der Rede auf dem Spiel. Plötzlich erscheinen diese Evokationen geistig und kulturell beengter, die Individuen in ihrer Bewegungsfreiheit einschränkenden und sie bedrängenden Zeiten wie weggeblasen. So als wären wir versessen darauf, wieder in den (kalten) Krieg mit seinen hässlichen und tumben Feindbildern, seiner martialischen Rhetorik und all der moralischen Verbissenheit und geistigen Enge und den Verhärtungen, die typisch für jene politisch finsteren und frostigen Zeiten waren, zu ziehen, um unsere »neue alte Bestimmung« ausgerechnet dort zu finden. Als könnten wir es absurderweise kaum abwarten, Krieg und Vernichtung auf diesen von Krieg und Vernichtung so sehr heimgesuchten, so stark gezeichneten Kontinent zurückzubringen.

Doch zum Glück hat sich diese schreckliche Stimmung als neuer Zeitgeist trotz des propagandistischen Dauerbeschusses aus den Leitmedien, mit denen die Kriegstreiber‐​Allianz unterstützt wird, bislang nur bei einigen Parteigängern der amtierenden Regierung und der sich noch bellizistischer gerierenden Opposition aus CDU und CSU wirklich durchsetzen können. Dass die Leitmedien seit dem Ukraine‐​Krieg aber so schnell wieder in Reflexe zurückgefallen sind, die innerhalb von gut 100 Jahren schon zwei Mal die größten Weltenbrände mit angerichtet haben und so für millionenfaches, unvorstellbar großes Leid mitverantwortlich wurden, ist und bleibt ein echter Schock.

Neben dem Frieden, ohne den alles nichts ist, geht es um die Freiheit des Geistes und die Verteidigung der Demokratie (das heißt dem, was davon übrig ist), wenn jene als Querdenker, Schwurbler, Verschwörungserzähler in der Innen‐ und als Putin‐​Freunde und -Trolle oder unoriginellerweise wieder als die »fünfte Kolonne Moskaus« bezeichnet werden, die eine andere Meinung als die offizielle Politik der extremisierten Mitte56 vertreten. Wobei anzumerken ist, dass die »andere Meinung« vor dem 24. Februar 2022 ja noch die offizielle war oder ihr zumindest doch recht nahe kam. Wurde bis dahin in der Bundesrepublik internationale Verständigung, Diplomatie, Entspannungspolitik und friedlicher Interessenausgleich großgeschrieben, sieht es heute ganz anders aus. Und Wissenschaftler und wissenschaftlich sozialisierte Mitmenschen beteiligen sich aktiv an den Treibjagden und Ausgrenzungs‐​Autodafés für Andersdenkende, die über Nacht ein Teil der neuen bundesrepublikanischen Realität wurden. Das zeigt, wie weit sich Wissenschaften auf Geheiß von oben in ihrer szientistischen Zerr‐ und Schwundform von den emanzipatorischen Quellen entfernen konnten, durch die sie im 17. und 18. Jahrhundert zur treibenden Kraft im Säkularisations‐​und Rationalitätsprozess wurden.

Eben diesem Prozess verdankt sich auch der moderne Humanismus, einem der geistes‐​und sozialgeschichtlich wichtigsten und folgenreichsten Hervorbringungen der Aufklärung. Der Humanismus entfaltete im Widerspruch zu den alten, partikularistischen Systemen, das universalistische Welt‐​und Menschenbild. Vom humanistischen Denken ging schon bald ein solches Faszinosum und eine solche Überzeugungskraft – die appellative Kraft, die sich darin offenbart, Subjekte zum kollektiven und solidarischen Handeln zu bewegen – aus, dass überall die Menschen gegen ihre Knechtschaft aufzubegehren begannen und sich für Freiheit, nationale Einigkeit und den Kampf für die Gleichheit als Menschenrecht erhoben.

Der Humanismus des 18. und frühen 19. Jahrhundert riss die Menschen aus ihrem »dogmatischen Schlummer« (Kant), in den sie jahrhundertelang durch die Herrschaft des Klerus und des Adels (Feudalismus) versetzt worden waren. Im modernen universalistischen Humanismus, dessen Aufstieg nicht nur zeitgleich mit den Wissenschaften erfolgte, sondern der nur deshalb so erfolgreich verlief, weil Humanismus und Wissenschaften sich wechselseitig äußerst produktiv beeinflussten und befruchteten, stand von Anfang an im Zentrum das Gebot, dass die Würde eines jeden Menschen von allen, zuvörderst von den staatlichen Gewalten, zu achten sei.

Das macht einerseits bis heute seine ungebrochene Attraktivität und Anziehungskraft aus, denn vom Humanismus sind alle Freiheitsbewegungen seit dem 18.Jahrhunderts stark inspiriert und getragen worden. Andererseits ist gerade dieser humanistische Nukleus – die universalistisch gefasste Menschenwürde durch den globalen Covid‐​19‐​Putsch jüngst in einer Weise auch und gerade in parlamentarischen Demokratien erschüttert und radikal in Frage gestellt worden, die uns wirklich neu zu denken geben muss. Denn der humanistische Kern der Unantastbarkeit der Menschenwürde und der daraus sich ableitenden Grundrechte und ihrer Unveräußerlichkeit »Grundrechte kann man nicht entziehen und neu vergeben«, so der ehem. Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans‐ Jürgen Papier 202157 – wird nun auch durch das Kriegs‐ und Klimanarrativ und die grassierende Unkultur der Cancel‐​Culture noch weitgehender und auf existenzielle Weise bedroht.

Was aber wirklich nottut und was wir wirklich brauchen, ist eine Renaissance der Aufklärung mit Wissenschaftsfreiheit und ein Wiedererstarken der Rechtsstaatlichkeit. Wir brauchen mehr Demokratie, echten Republikanismus, eine funktionierende Gewaltenkontrolle, Dezentralisierung statt weiterer Zentralisierung von Macht und endlich eine Rückkehr zur Vernunft in der Politik!

Anmerkungen

1 Immanuel Kant, Was ist Aufklärung? https://​www​.projekt​-gutenberg​.org/​k​a​n​t​/​a​u​f​k​l​a​e​/​a​u​f​k​l​0​0​1​.​h​tml Siehe dazu auch: Maximilian Prien, Aufklärung, https://​freiheitslexikon​.de/​a​u​f​k​l​a​e​r​u​ng/

2 https://​www​.thomas​-eisinger​.de/​z​u​m​-​e​r​s​t​e​n​-​m​a​l​-​i​n​-​d​e​r​-​g​e​s​c​h​i​c​h​te/, mit einer Ergänzung vom 10.10.2023.

3 Hans Ulrich Gumbrecht, Dialektik der Aufklärung. In einer Welt mit vielen Stimmen, Tagesspiegel, https://​www​.tagesspiegel​.de/​k​u​l​t​u​r​/​i​n​-​e​i​n​e​r​-​w​e​l​t​-​m​i​t​-​v​i​e​l​e​n​-​s​t​i​m​m​e​n​-​6​6​0​0​2​2​9​.​h​tml, 27.10.2020.

4 Robert Pfaller, Wofür es sich zu leben lohnt. Elemente materialistischer Philosophie, Frankfurt/​M. 2012. – Um nicht missverstanden zu werden: Es soll hier keinem unreflektierten Heroismus das Wort geredet werden. Zwar heißt es bei Hannah Arendt, dass »der Mut (…) die früheste aller politischen Tugenden« war »und er (…) noch heute zu den wenigen Kardinaltugenden der Politik (…) gehört, weil wir in die öffentliche, uns allen gemeinsame Welt, die der eigentlich politische Raum ist, noch immer nur gelangen können, indem wir uns aus unserem privaten Dasein und der Familienzusammengehörigkeit« (Arendt, Was ist Politik?, München 2003, S.45). Aber dieses Urteil über den politischen Mut lässt sich nicht einfach auf die heutige Lebenswirklichkeit der Menschen übertragen beziehungsweise beliebig in diese Richtung ausweiten und generalisiert interpretieren. Gleichwohl muss man die starke und vom Kapitalismus geförderte Neigung in unserer Kultur, die Existenz so weit wie möglich zu privatisieren, kritisieren, denn in ihr liegen die Ursachen für die Mutlosigkeit unserer Gesellschaft beschlossen. Mutlosigkeit und Wirklichkeitsflucht sind bei uns zu siamesischen Zwillingen geworden, und wie diese sind sie nicht überlebensfähig. Sie werden zu Sollbruchstellen der Demokratie. Wie Milosz Matuschek in der Berliner Zeitung geschrieben hat, »verschließt das Land kollektiv die Augen (…). So entstehen Parallelrealitäten, die sich gegenseitig ausschließen, (…) wir häufen ein Tabu auf das nächste. (…) Jedes Tabu und jede Denkhemmung« aber »sind machtpolitische Unterdrückungsinstrumente.« (https://​www​.berliner​-zeitung​.de/​g​e​s​u​n​d​h​e​i​t​-​o​e​k​o​l​o​g​i​e​/​c​o​r​o​n​a​-​a​u​f​a​r​b​e​i​t​u​n​g​-​d​e​u​t​s​c​h​l​a​n​d​-​i​m​-​b​a​n​n​-​d​e​r​-​k​o​l​l​e​k​t​i​v​s​c​h​a​m​-​l​i​.​2​2​5​3​113, 12.9.2024.) Dabei gäbe es viele Möglichkeiten, nicht einverstanden zu sein – ohne dadurch allzu riskante, leichtfertig alles aufs Spiel setzende Heldenhaftigkeit zu zeigen. Man müsste dafür nur den Irrglauben aufgeben, dass es durch eine abschottende, wirklichkeitsimmunisierende Privatisierung der eigenen Existenz möglich sei, die gesellschaftliche und politische Realität auf Dauer erfolgreich aus seinem Leben und dem Leben der uns Nächsten fernzuhalten. Möglichkeiten, das alte, immer dysfunktionalere und auch ideologisch marode System durch Passivität, Ignoranz und Indifferenz in einer »Wegschauer‐​Republik« nicht noch länger am Leben zu erhalten, stehen uns, wie gesagt, in vielen Varianten offen: Sie reichen vom »Dienst nach Vorschrift« über die »innere Kündigung« bis zur versteckten Sabotage, schließen aber auch das hartnäckige Dranbleiben an den gegnerischen Positionen bei gut trainierter Frustrationstoleranz und – situationsabhängig – den stoischen Gleichmut, gegenüber zu erwartendem Druck von oben, strategische Geschicklichkeit, zum Beispiel hinsichtlich der Bewahrung eigener Handlungsspielräume und Geistesgegenwärtigkeit und Spontaneität, um den meist träge reagierenden Herrschaftsapparaten immer einen Sprung voraus sein zu können, andererseits aber auch das gelassene (statt gelähmte) Nichts‐​Tun mit ein, dass die gegnerischen Angriffe in die Leere laufen und verpuffen lässt. Als Varianten stehen auch anarchischer Humor, schauspielerisches Talent oder aber entwaffnende Ehrlichkeit, Offenheit und Freundlichkeit im Dissens und selbstverständlich auch (wo immer man damit noch gehört und ernst genommen wird) konstruktive Kritik zur Auswahl. Allgemein bemerkt, wäre schon viel gewonnen, wenn man sich von ängstlicher Unterwürfigkeit befreien könnte. Dafür sollte man vielleicht überlegen, die »Abhandlung über die freiwillige Knechtschaft« von Étienne de la Boétie (1530 – 1563), mit einigen anderen Klassikern der Literatur des Zivilen Ungehorsams (ich denke da zum Beispiel an die Schriften Thoreaus, Emersons, Hannah Arendts), zur Pflichtlektüre eines jeden selbstbewusst‐​demokratischen (ist doch unsere Norm, oder???) Bürgers zu machen. Die Fragen aus diesem Büchlein können als Exerzitien zur Selbstermächtigung immer wieder die Reflexion anstacheln: »Der Unterdrücker hat weiter nichts als die Macht, die Ihr ihm zugesteht, um Euch zu unterdrücken. Woher hat er genügend Augen, Euch auszukundschaften, wenn Ihr sie ihm nicht selbst liefert? Woher soll er die vielen Arme haben, Euch zu schlagen, wenn er sie nicht von Euch ausborgt? Wo bekommt er die Füße her, Eure Städte niederzutrampeln, wenn es nicht Eure eigenen sind? Wie kann er Gewalt über Euch haben, wenn nicht durch Euch selbst? Wie könnte er es wagen, Euch zu überfallen, wenn nicht mit Eurer eigenen Mitwirkung?«

5 Hannah Arendt, Vita activa (1967), München, Zürich 2007, S.17

6 Postman, Die zweite Aufklärung, Berlin 1999, S.30.

7 Ebd., S.31.

8 Ebd., S.32.

9 Loïc Wacquant, Kritisches Denken, Die Doxa auflösen, https://​transversal​.at/​t​r​a​n​s​v​e​r​s​a​l​/​0​8​0​6​/​w​a​c​q​u​a​n​t​/de, 01/​2001

10 Ebenda.

11 Felix Feistel, Automatisierte Herrschaft, https://​www​.manova​.news/​a​r​t​i​k​e​l​/​a​u​t​o​m​a​t​i​s​i​e​r​t​e​-​h​e​r​r​s​c​h​aft, 12.7.2024.

12 https://de.wikipedia.org/wiki/Psychologischer­_Parallelismus, zuletzt aufgerufen am 3.4.2024.

13 Geier, Aufklärung, a.a.O., S.143.

14 https://​de​.wikipedia​.org/​w​i​k​i​/​T​e​c​h​n​o​l​o​g​i​s​c​h​e​_​S​i​n​g​u​l​a​r​i​t​aet, zuletzt aufgerufen am 14.8.2024.

15 Joseph Vogl, Kapital und Ressentiment. Eine kurze Theorie der Gegenwart, München 2021. Michael Wengraf, Die rechte Revolution. Veränderte ein Masterplan die Welt? Kassel 2020.

16 Anette Floren, Von der Aufklärung lernen, heißt denken lernen. https://​www​-die​-zweite​-aufklaerung​.de/​v​o​n​-​d​e​r​-​a​u​f​k​l​a​e​r​u​n​g​-​l​e​r​n​e​n​-​h​e​i​s​s​t​-​d​e​n​k​e​n​-​l​e​r​n​en/, 15.4.2022

17 Postman, a.a.O., S.34.

18 https://​de​.wikipedia​.org/​w​i​k​i​/​A​s​s​o​z​i​a​t​i​o​n​e​n​(​M​a​r​x​i​s​mus), zuletzt aufgerufen am 4.11.2023.

19 Ebenda.

20 Charles Eisenstein, Die schöne Welt, die unser Herz kennt, ist möglich, München 2017.

21 Wilhelm von Humboldt, https://​gutezitate​.com/​z​i​t​a​t​/​1​6​7​577; https://​www​.zitate7​.de/​a​u​t​o​r​/​W​i​l​h​e​l​m​+​v​o​n​+​H​u​m​b​o​l​dt/

22 »Die Biophilie ist die leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen; sie ist der Wunsch das Wachstum zu fördern, ob es sich nun um einen Menschen, eine Pflanze, eine Idee oder eine soziale Gruppe handelt.« Erich Fromm, Anatomie der menschlichen Destruktivität, Hamburg 2015, S. 411 f.

23 https://​www​.nachrichten​-fabrik​.de/​n​e​w​s​/​d​e​r​-​h​o​m​o​-​h​y​g​i​e​n​i​c​u​s​-​u​n​d​-​d​e​r​-​h​y​g​i​e​n​i​s​m​u​s​-​m​a​t​t​h​i​a​s​-​b​u​r​c​h​a​r​d​t​-​i​m​-​g​e​s​p​r​a​e​c​h​-​m​i​t​-​g​u​n​n​a​r​-​k​a​i​s​er/, ab Min. 33 Wissenschaft in der Postmoderne.

24 https://​www​.berliner​-zeitung​.de/​p​o​l​i​t​i​k​-​g​e​s​e​l​l​s​c​h​a​f​t​/​g​e​o​p​o​l​i​t​i​k​/​e​m​m​a​n​u​e​l​-​t​o​d​d​-​d​e​u​t​s​c​h​l​a​n​d​-​w​i​r​d​-​e​n​t​s​c​h​e​i​d​e​n​-​o​b​-​i​n​-​d​e​r​-​u​k​r​a​i​n​e​-​f​r​i​e​d​e​n​-​e​i​n​k​e​h​r​t​-​l​i​.​2​2​3​6​539, 31.7.2024.

25 Siehe Jonas Tögel, Kognitive Kriegsführung. Neueste Manipulationstechniken als Waffengattung der NATO, Frankfurt/​M. 2023.

26 Kees van der Pijl, Die belagerte Welt, a.a.O., S.163.

27 Bernd Stegemann, Identitätspolitik, Berlin 2023, S.16 f.

28 Erich Fromm, Psychoanalyse und Ethik. Bausteine einer humanistischen Charakterologie, München 1985, S.85 f. 

29 Ebenda.

30 Rainer Funk, Das Biophilie‐​Konzept Erich Fromms und seine Bedeutung für umweltgerechtes Handeln, Vortrag 1996. Zuerst veröffentlicht in: M. Zimmer (Hrsg.), Von der Kunst, umweltgerecht zu planen und zu handeln. Zur Bedeutung der Verhaltens‐​Wissenschaften für die Ökologie und für einen konstruktiven Umgang mit unserer Umwelt, Tagungsband einer Tagung der Internationalen Erich‐​Fromm‐​Gesellschaft vom 4. bis 6. Oktober 1996 in Georgsmarienhütte, Osnabrück 1996, S. 155 – 178.

31 Funk nach Erich Fromm, ebd.

32 https://​www​.who​.int/​t​e​a​m​s​/​r​i​s​k​-​c​o​m​m​u​n​i​c​a​t​i​o​n​/​i​n​f​o​d​e​m​i​c​-​m​a​n​a​g​e​m​ent

33 https://​www​.transparenztest​.de/​p​o​s​t​/​n​e​u​e​-​i​o​a​n​n​i​d​i​s​-​m​e​t​a​s​t​u​d​i​e​-​n​u​r​-​1​-​v​o​n​-​3​0​0​0​-​s​a​r​s​-​c​o​v​2​-​i​n​f​i​z​i​e​r​t​e​n​-​u​n​t​e​r​-​6​0​-​j​a​h​r​e​n​-​s​t​i​rbt, 15.2.2023.

34 https:/​/​www.nachdenkseiten.de/​?p=92717,23.1.2023.

35 Michael Andrick, Hat jemand eine Idee? https://​www​.berliner​-zeitung​.de/​p​o​l​i​t​i​k​-​g​e​s​e​l​l​s​c​h​a​f​t​/​u​e​b​e​r​s​t​e​r​b​l​i​c​h​k​e​i​t​-​2​0​2​2​-​s​t​a​e​r​k​e​r​-​g​e​s​t​i​e​g​e​n​-​a​l​s​-​i​m​-​v​o​r​j​a​h​r​-​h​a​t​-​j​e​m​a​n​d​-​e​i​n​e​-​i​d​e​e​-​l​i​.​3​5​3​301, 30.5.2023.

36 https://​www​.cicero​.de/​k​u​l​t​u​r​/​d​i​e​-​r​i​s​i​k​e​n​-​d​e​r​-​c​o​r​o​n​a​-​i​m​p​f​ung, 7.10.2023.

37 Siehe zum Beispiel die Twitter‐ /​X‑Botschaft von Lauterbach vom November 2021 über die angeblich nebenwirkungsfreie, 100‐​prozentige Wirksamkeit des BioNTech‐​Impfstoffes für 12‐ 15jährige.

38 Norbert Häring, Fast niemand in Deutschland glaubt an die Sicherheit und Wirksamkeit von mRNA-Impfungen, https:/​/​norberthaering.de/​news/​angepasste-impfstoffe-2/​, 10.10.2023. Pfizer erleidet Milliardenverlust, https://www.n- tv.de/​wirtschaft/​der_​boersen_​tag/​Pfizer-erleidet-Milliardenverlust- article24500430.html, 31.10.2023

39 Prof. Dr. Sucharit Bhakdi, zitiert nach Uli Gellermann, https:/​/​www.rationalgalerie.de/​home/​sucharit-bhakdi, 8.10.2023. ­– Denn die Krankenhäuser verzeichneten in den Pandemiejahren 2020 – 2022 hinsichtlich der Auslastung historische Tiefstände. https://​www​.aerzteblatt​.de/​p​d​f​.​a​s​p​?​i​d​=​2​182. Deutsches Ärzteblatt 10/​2021.

40 Herbert Ludwig, Informationskontrolle, Überwachung und Verhaltensforschung in: Ders.: Die Totalitarismus‐​Energie des Doktor Drosten, https://​fassadenkratzer​.wordpress​.com/​2​0​2​3​/​1​1​/​1​0​/​d​i​e​-​t​o​t​a​l​i​t​a​r​i​s​m​u​s​-​e​n​e​r​g​i​e​-​d​es- dr‐​drosten/​

41 Petra Erler, Wir wissen nicht, was wir tun. Zu den Folgen des massenhaften Einsatzes von mRNA gegen Covid‐​19, Hintergrund, Das Nachrichtenmagazin, Ausgabe 7/​8, 2023, S. 48.

42 Ebenda.

43 Ebenda.

44 Willy Brandt: »Wer einmal mit dem Notstand spielen sollte, um die Freiheit einzuschränken, wird meine Freunde und mich auf den Barrikaden zur Verteidigung der Demokratie finden, und dies ist ganz wörtlich gemeint.« https://​vorwaerts​.de/​g​e​s​c​h​i​c​h​t​e​/​n​o​t​s​t​a​n​d​s​g​e​s​e​t​z​e​-​1​9​6​8​-​a​l​s​-​w​i​l​l​y​-​b​r​a​n​d​t​-​s​e​i​n​-​m​e​h​r​-​d​e​m​o​k​r​a​t​i​e​-​w​a​g​e​n​-​e​r​f​and, 9.8.2024.

45 Sebastian Lucenti, Der verlorene Kompass in der Corona‐​Krise, https://​www​.cicero​.de/​i​n​n​e​n​p​o​l​i​t​i​k​/​d​e​r​-​v​e​r​l​o​r​e​n​e​-​k​o​m​p​a​s​s​-​i​n​-​d​e​r​-​c​o​r​o​n​a​-​k​r​ise, 13.8.2023.

46 Kürzlich hat der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichtes Hans-Jürgen Papier eine ungewöhnlich deutliche Kritik an den amtierenden Verfassungsrichtern und ihren Entscheidungen in der Pandemie geübt. Laut Papier hätte das Bundesverfassungsgericht frühzeitig den staatlichen Stellen aufgeben müssen »durch intensive Sachverhaltsaufklärung und Datenermittlung eine rechtzeitige und aussagekräftige Evaluation zu ermöglichen«. Siehe dazu auch Wolfgang Bittner: Die Außerkraftsetzung der Grundrechte während der Corona‐​Pandemie, NachDenkSeiten, 30.9.2023, https:/​/​www.nachdenkseiten.de/​?p=104495. Dazu sei auch auf das Interview mit dem Verfassungsrechtler Volker Böhme‐​Neßler in den NachDenkSeiten verwiesen: https://​www​.nachdenkseiten​.de/​?​p​=​1​1​9​645, 15.8.2024.

47 Presseinformation des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 3.9.2024.

48 https://​martin​-hirte​.de/​c​o​r​o​n​a​v​i​r​us/

49 Mattias Desmet, Die Psychologie des Totalitarismus, Berlin, München, Wien, Zürich 2023. ­– https://​www​.youtube​.com/​w​a​t​c​h​?​v​=​2​h​R​C​q​u​v​g​Wk4.

50 Großbritannien hat 2018 ein »Einsamkeitsministerium« geschaffen, siehe https://​www​.deutschlandfunk​.de/​g​r​o​s​s​b​r​i​t​a​n​n​i​e​n​-​e​i​n​-​m​i​n​i​s​t​e​r​i​u​m​-​l​e​i​s​t​et- pionierarbeit-100.html, 23.12.2019.

51 https://​www​.saarbruecker​-zeitung​.de/​n​a​c​h​r​i​c​h​t​e​n​/​p​o​l​i​t​i​k​/​t​o​b​i​a​s​-​h​a​n​s​-​b​e​i​-​m​a​y​b​r​i​t​-​i​l​l​n​e​r​-​i​m​-​z​d​f​-​l​a​g​e​-​f​a​l​s​c​h​-​e​i​n​g​e​s​c​h​a​e​t​z​t​_​a​i​d​-​6​4​5​5​4​121, 10.12.2021.

52 Richard Löwenthal, Diderot, a.a.O., S.67.

53 https://​www​.deutschlandfunk​.de/​p​h​i​l​o​s​o​p​h​-​p​i​e​r​r​e​-​b​a​y​l​e​s​-​a​u​f​k​l​a​e​r​u​n​g​-​1​0​0​.​h​tml

54 Der Philosoph und Publizist Michael Andrick hat den dahinter sichtbar werdenden totalitären Machtanspruch unter anderem mit den folgenden Worten kenntlich gemacht: »Die politische Bedeutung des Kunstbegriffs Desinformation ist einfach. Ein Kollektiv derer, die sich selbst als Demokratiebesitzer sehen, möchte für sich das Privileg erreichen, andere offiziell der Lüge zu bezichtigen und sie für ihre Lügen zu verfolgen. Man will ein Zensurprivileg. Die Erwägung eines Wahrheitsministeriums entspricht dem genau. (…)

55 Friedenthal, a.a.O., S.65.

56 Zum Extremismus der Mitte siehe: Die extreme Mitte. Wer die westliche Welt beherrscht. Eine Warnung, Wien 2020. Darin: Rainer Mausfeld, Die neoliberale Mitte als demokratische Maske einer radikal antidemokratischen Gegenrevolution, S.109 – 149. Sowie: Oskar Lafontaine, Deutschlands demokratische Mitte ist rechtsextrem und militaristisch, https://​www​.nachdenkseiten​.de/​?​p​=​1​1​8​088, 15.7.2024.

57 https://​www​.deutschlandfunkkultur​.de/​h​a​n​s​-​j​u​e​r​g​en- papier-freiheit-in-gefahr-erkaempftes-nicht-100.html, 16.10.2021. Siehe dazu auch https://​www​.nachdenkseiten​.de/​?​p​=​1​0​4​495, 30.9.2023.

Über den Autor

Bernd Schoepe (Jahrgang 1965), freier Autor, ist langjähriges GEW‐​Betriebsgruppen‐​Mitglied, ehem. Vertrauensmann und Mitglied der Hamburger Lehrerkammer. Hauptberuflich arbeitet er als Deutsch‑, Politik‐ und Philosophielehrer an einer Hamburger Stadtteilschule und ist seit 2003 im Hamburger Schuldienst.

Zusammen mit dem Rechtsanwalt Sebastian Lucenti, der Initiatorin von »Schule bleibt offen, der Pädagogin Stefanie Raysz, dem Leipziger Gymnasiallehrer und GEW‐​Vorstandsmitglied Alexander Wittenstein und dem Professor für Kinderpolitik an der Hochschule Magdeburg/​Stendal, Dr. Michael Klundt, gehört er zu den Gründungsmitgliedern des Pädagogischen Netzwerkes für die Aufarbeitung der Corona‐Krise.

Bild: »Säkulare Religionsstifter«, Rudolph Bauer, Bildmontage Instagram

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