Mitte Mai wurde die Gruppe Palästina Solidarität Duisburg (PSDU) vom Landesinnenministerium Nordrhein‐Westfalens verboten. Auf das Vorgehen der Polizei sowie den Kontext geht der bei uns publizierte Bericht des Kufiya Netzwerkes ein. Hier wollten wir von Beteiligten wissen, ob und was sie gegen das Verbot unternehmen und wie sie die repressive Politik deutscher Behörden sowie ihre eigenen Aktivitäten in größere politische Zusammenhänge einordnen.
Die PSDU ist vor gut einem Monat verboten worden. Kannst du uns, bevor wir auf das Verbot kommen, bitte schildern, was passiert ist?
Leon Wystrychowski: Das Verbot und die Auflösung der PSDU wurden am 16. Mai mittels Hausdurchsuchungen in vier Wohnungen und der damit einhergehenden Entwendung von Handys, Laptops, Bargeld, Flyern, Schildern, Flaggen, Soundanlagen und dergleichen mehr umgesetzt. Das ganze wurde von NRW‐Innenminister Reul (CDU) medial groß in Szene gesetzt. Das heißt, nahezu alle großen Medien in Deutschland haben über die Razzien und das Verbot berichtet und dabei natürlich das Narrativ von Reul, dass es sich bei PSDU um »Hamas‐Unterstützer« und »Antisemiten« gehandelt habe, unhinterfragt übernommen. WDR, WAZ und Springerpresse waren im Übrigen schon bei den Razzien vor Ort dabei. Einen Tag später, wie das eben so ist, war das Thema für die Leitmedien schon wieder halb vergessen.
Allerdings wurde die PSDU seither immer Mal wieder hervorgekramt, etwa als es um das Verbot einer Palästina‐Demo in Duisburg am 25. Mai ging oder anlässlich des Wahlkampf‐Besuchs von Olaf Scholz (SPD) in Duisburg am 8. Juni: Da wurde im Vorhinein von der Polizei und der Rheinischen Post verbreitet, dass an dem für diesen Tag angekündigten Protest gegen den Besuch des Bundeskanzlers unter anderem ehemalige PSDU‐Mitglieder teilnehmen könnten – es ging also um eine Kriminalisierung des Protests. Dass an die 100 Menschen, die dann tatsächlich gegen den Scholz‐Besuch lautstark protestierten, von der Polizei unter dem Vorwand, es handle sich um eine nichtangemeldete Versammlung, stundenlang gekesselt, einer Personalienfeststellung unterzogen und mit der Ankündigung eines Bußgeldes und teilweise auch mit Strafanzeigen nach Hause geschickt wurden, war dann der logische nächste Schritt.
Aber springen wir nochmal zurück zum 16. Mai: Weiter ging es nämlich am nächsten Tag mit zwei Ordnungsverfügungen gegen mich: Mir wurde – jeweils unter Androhung eines Bußgeldes von 500 Euro und unter der Auflage, mich bei abgelegenen Polizeistationen vor Ort zu melden – verboten, an Versammlungen in Duisburg teilzunehmen. Bei der einen handelte es sich um eine Kundgebung gegen das PSDU‐Verbot, bei der anderen um eine gegen den Genozid in Gaza. Die Begründung war, dass allein meine Anwesenheit eine Gefahr für die »öffentliche Sicherheit« wäre. Als »Beweis« dient eine merkwürdige Auflistung: Unter anderem wird darauf verwiesen, dass ich ein Büchlein über die Geschichte der palästinensischen Linken beim kleinen, aber angesehenen Berliner AphorismA‐Verlag veröffentlicht habe. Oder dass ich eine Kundgebung unter dem Motto »Hände weg vom Niger!« im August letzten Jahres vor dem französischen Konsulat angemeldet habe. Dabei handelt es sich um eine reine Auflistung, bei der sich die Duisburger Polizei nicht einmal die Mühe gemacht hat, diese Tatsachen mit irgendeiner Art von Argumentation zu verbinden. Würde es sich dabei nicht um einen krassen Eingriff in elementare Grundrecht handeln, könnte man darüber lachen. So oder so: Ich habe dagegen mittlerweile Klage eingereicht.
In der Woche drauf wurde dann eine für den 25. Mai in Duisburg angemeldete Nakba‐Demo von der Polizei verboten. Begründet wurde das damit, dass die Anmelderin als der »PSDU nahe stehend« eingeschätzt wurde. Zu der Demo hatten neben der PSDU aber auch viele andere Gruppen aus Nordrhein‐Westfalen aufgerufen. Statt der Demo in Duisburg fand dann eine in Essen statt, die sich gegen das Demo‐Verbot richtete, wo aber natürlich trotzdem auch über Palästina selbst und auch über das PSDU‐Verbot gesprochen wurde.
Daneben kam es in den letzten zwei Monaten zu weiteren Repressalien gegen uns Betroffene, aber auch solidarische Personen und Gruppen: Bei einer Betroffenen hat die Polizei Einsicht in ihr privates Bankkonto genommen. Bei einem anderen wurde die Beschlagnahme seiner digitalen Geräte zwar vom LKA als »rechtswidrig« zurückgenommen. Auf Nachfrage, wann er sie denn zurückbekäme, hieß es, sie müssten sie zuerst noch spiegeln. Ein weiterer Betroffener wurde mittlerweile von der Arbeit suspendiert, nachdem der Staatsschutz an seinem Arbeitsplatz aufgetaucht war. Er wurde zudem am letzten Wochenende nach einer Demo in Frankfurt am Main gezielt und anlasslos von der Polizei herausgegriffen, und seine Personalien wurden festgestellt – vermutlich Einschüchterung und die Botschaft: Wir erkennen dich, egal wo du dich herumtreibst. Auf der erwähnten Demo in Essen wurde ein Teilnehmer kurzzeitig festgenommen und hat eine Anzeige bekommen, weil er ein Schild trug, auf dem auf der einen Seite »Duisburg hat ein Recht auf Palästina‐Solidarität« und auf der anderen Seite »Verfassungsfeinde Reul und Co. vor Gericht« steht. Das PSDU‐Verbot hat natürlich auch Eingang in die polizeilichen Auflagen für Palästina‐Demos gefunden: Es ist verboten, das Logo der Gruppe zu zeigen oder für sie Werbung zu machen. In Jena wurde sogar das Kürzel »PSDU« auf einer Versammlung verboten.
Mitte Juni haben wir dann schließlich Klage gegen das PSDU‐Verbot eingereicht. Außerdem wurde ein Antrag auf Aufhebung der Aussetzung der aufschiebenden Wirkung gestellt – also das, was gemeinhin als Eilverfahren bezeichnet wird. Wir hoffen, dass die Gerichte nicht erst im Hauptsacheverfahren erkennen, dass das Verbot rechtswidrig und politisch motiviert ist, sondern auch schon vorher, also im Zuge des Eilverfahrens, einsehen, dass das Verbot derart in die Grundrechte aller Betroffenen eingreift und dabei offensichtlich derartig schlecht argumentiert wird, dass sie das Verbot schon vorläufig wieder aufheben.
Wie begründen die Behörden das Verbot?
Leon: Das ist tatsächlich sehr interessant, denn sie werfen der PSDU weder konkrete strafbare Handlungen vor, noch argumentieren sie wirklich juristisch. Stattdessen liest sich der Text wie eine mittelmäßige Recherche auf einem antideutschen Online‐Blog:
Sie werfen der PSDU unter Verweis auf die IHRA‐Definition Antisemitismus vor und »belegen« das dann hinlänglich mit Aussagen, die wir tatsächlich so getroffen haben: Wir haben Israel einen Genozid vorgeworfen, wir haben von Apartheid und Kolonialismus in Palästina gesprochen, wir haben uns für eine Ein‐Staat‐Lösung ausgesprochen, wir haben das Rückkehrrecht der Palästinenser betont, wir haben den Boykott israelischer Waren und Institutionen gefordert und wir haben das Recht der Palästinenser, Widerstand zu leisten, bejaht. All das fällt laut dem Verfassungsschutz Nordrhein‐Westfalens, der diese Verfügung geschrieben hat, unter »Antisemitismus«. Die Autoren dieses Schriftstücks waren sich nicht einmal zu schade dafür, anzuführen, dass wir »einseitig« Partei ergriffen oder »pauschal und unbelegt« von Apartheid gesprochen hätten. So unglaublich und dumm es klingt: Das sind im Wesentlichen die »Argumente«, die angeführt werden.
Aber natürlich wird das ganze – genau wie bei den Antideutschen – noch mit Lügen und Verdrehungen ausgeschmückt, denn sonst würde ja jeder Laienrichter sofort erkennen, dass all das von der Meinungsfreiheit gedeckt ist – ganz abgesehen davon, dass wir uns in all diesen Bewertungen und Meinungen natürlich sehr wohl auf eine Vielzahl verlässlicher und anerkannter Quellen stützen können. So wurden Reden und Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen, um angeblich nachzuweisen, dass wir antisemitische Narrative verbreitet hätten: Die Parole »Kindermörder Israel« zum Beispiel wurde in eurozentrischer Manier mit der antijüdischen und christlich‐abendländischen Ritualmordlegende verknüpft und ein Redebeitrag über die Rolle der pro‐zionistischen Medien in Deutschland wurde dahingehend entstellt und interpretiert, dass es dabei um das Narrativ einer »jüdischen Weltverschwörung« gegangen sei.
Weil man uns keinerlei Gewalt‐ oder sonstige Straftaten vorwerfen konnte, wurde behauptet, wir hätten offen erklärt, dass wir Wut »anheizen wollten« und deshalb eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dargestellt hätten. In Wahrheit haben wir immer betont, dass die Wut von uns und von allen anderen über die Verbrechen in Palästina und auf die Beihilfe der Bundesregierung gerecht ist. Und dass wir trotz unserer berechtigten Wut aber stets friedlich bleiben.
Ähnliches haben sie mit Blick auf den Widerstand in Palästina getan: Weil sie uns nicht vorwerfen konnten, für die Hamas oder andere bewaffnete Gruppen Geld gesammelt, rekrutiert, Propaganda verbreitet oder auch nur mit ihnen Kontakt gehabt zu haben, haben sie den Begriff der »geistigen Unterstützung« kreiert. Außerdem haben sie mittels manipulativer Fußnotensetzung suggeriert, Belege zu haben, die beweisen, dass wir uns wiederholt positiv und explizit auf die Hamas berufen und ihre Symbole verbreitet hätten, was schlicht falsch ist.
Und schließlich durfte auch die Kontaktschuld – unter anderem zu Samidoun, Palästina spricht und zu BDS – natürlich nicht fehlen. Die Einzelheiten kann man sich in unserer Klage ansehen. Aber selbst da – auf immerhin knapp 60 Seiten – konnten wir nicht auf jeden Schwachsinn und jede Verdrehung eingehen, die die Behörden in die Verbotsverfügung reingeschrieben haben. Das wäre Stoff für eine Doktorarbeit.
Wir könnten über Klassenjustiz sprechen, über die Geschichte der politischen Repression. Darüber, dass Karlsruhe nicht erst über Festlegungen zur Klimapolitik eine aktive Rolle bei langfristigen großpolitischen Richtungsentscheidungen an sich gerissen hat, sondern auch im Zuge der Coronapolitik die massivsten Suspendierungen unserer Grundrechte per Handstreich durchgewunken hat. Zahlreiche Ärzte sitzen im Gefängnis oder haben Berufsverbot wegen angeblich falscher Maskenbefreiungen und dergleichen. Oder die Rolle der Justiz und die Verschärfung des Strafrechts bei der Unterdrückung der NATO‐Gegner im Fall der Ukraine und, und, und… und jetzt natürlich die Repression der Palästinasolidarität. Lohnt es sich angesichts all dessen, Energie in den juristischen Kampf zu stecken?
Jürgen Aust: Wir halten es für sinnvoll, aber auch für notwendig, alle Mittel auszuschöpfen, die geeignet sind, das Verbot zu bekämpfen. Und dazu gehört auch der juristische Kampf, auch wenn ich persönlich die Überzeugung vertrete, dass der »zivilgesellschaftliche« Widerstand die wichtigste Waffe gegen die Repression der herrschenden Politik ist. Die bürgerliche Justiz unterstützt zwar grundsätzlich diese Repression, aber dennoch können die herrschenden politischen Akteure die Justiz nicht beliebig für ihre Zwecke missbrauchen. Wir haben ja in den letzten Monaten seit dem 7. Oktober 2023 immer wieder und zwar mehrheitlich positive Urteile der Straf‐ und Verwaltungsgerichtsbarkeit registrieren können, durch die die willkürlichen Verbotsverfügungen wieder aufgehoben oder Angeklagte vom strafrechtlichen Vorwurf freigesprochen wurden.
Die Hisbollah unterliegt seit 2020 und die Hamas seit November 2023 einem Betätigungsverbot in Deutschland. Ebenfalls im letzten November wurde das palästinensische Gefangenensolidaritätsnetzwerk Samidoun verboten. Ist das Verbot der PSDU damit vergleichbar – und wenn ja, inwiefern und könnte ein Erfolg in deinem Fall auch auf andere Verbote Wirkung entfalten?
Leon: Ich bin natürlich ein juristischer Laie. Aber ich denke, dass sich die Verbote nicht vergleichen lassen: Bei der Hamas und der Hisbollah handelt es sich, wie bei vielen anderen Organisationen, die in Deutschland einem Betätigungsverbot unterliegen, um Organisationen, die bewaffnet kämpfen und die auf der EU‐Terrorliste stehen. Das heißt – obwohl ich derlei Verbote und Listungen für politisch falsch halte –, einer Aufhebung ihres Verbots stehen juristisch und politisch sehr viele Hindernisse im Weg.
Bei Samidoun sieht es wiederum etwas anders aus und die Genossen haben ja auch Klage gegen das Verbot eingereicht. Dieser Prozess läuft also noch und ich kann daher nichts dazu sagen. Allerdings hat das Bundesinnenministerium konstruiert, dass es sich bei Samidoun um eine Vorfeldstruktur beziehungsweise einen Ableger der ebenfalls als »Terrororganisation« gelisteten PFLP handle. Das ist zwar faktisch falsch, aber wie gut sich das widerlegen lässt, kann ich nicht beurteilen.
In unserem Fall wurde kein derartiges Konstrukt bemüht, weil es allzu leicht auseinanderzunehmen wäre. Stattdessen haben sie sich der Krücke der »geistigen Unterstützung« bedient. Aber es ist eben eine Krücke. Wenn wir die wegtreten, fällt die ganze unsinnige Argumentation in sich zusammen.
Wir hatten ja schon etwas ausgeholt zum Zustand des Rechts in Deutschland. Wie seht ihr die Entwicklung und wie ordnest du sie in längerfristige gesellschaftliche Prozesse und Zusammenhänge ein?
Jürgen: Die herrschende Politik, seien es SPD‐ oder CDU‐geführte Regierungen, versuchen bereits seit Jahren, eine Gesinnungsjustiz durchzusetzen, die nicht mehr klar umrissene Tatbestände verfolgt, sondern eine sogenannte »geistige Mittäterschaft« zum Vorwurf erhebt. Auf ähnlicher Grundlage wurde auch das Urteil gegen Leon im April diesen Jahres vom Duisburger Amtsgericht gefällt. Auch in diesem Fall hatte er nichts anderes gemacht, als sich mit den Palästinensern im Allgemeinen zu solidarisieren, sich für eine Befreiung von Besatzung und Apartheid im gesamten historischen Palästina auszusprechen und vom Völkerrecht gedecktes Recht der Palästinenser auf Widerstand zu betonen.
Die Freie Linke, die Freie Linke Zukunft und damit auch das MagMa‐Magazin entstanden aus der Situation heraus, dass große Teile der damaligen Linken – in unseren Augen – gegenüber dem Covidterror von Regierungen und Medien, der Außerkraftsetzung bürgerlich‐demokratischer Grundrechte, Verfahren und föderaler Strukturen und der Aufhebung der strengen Arzeimittelzulassungsverfahren, die uns seit dem »Contergan‐Skandal« vor allzu mörderischen kapitalistischen Profitinteressen schützten, einknickten. An der Palästinasolidarität sind Anhänger beider Positionen beteiligt. Bei einigen könntest du dich schon allein dadurch, dass du mit uns sprichst, ziemlich in die Nesseln setzen. Wie wird nach deiner Erfahrung in der Palästinasolidaritätsbewegung mit diesem Bruch umgegangen und wie sollten wir damit umgehen?
Leon: Ich kann hier nur für mich sprechen, weil wir all diese Fragen nie bei der PSDU diskutiert haben. Und auch das Komitee hat dazu keine Position entwickelt.
Ich persönlich habe, wie du weißt, in der Corona‐Frage eine gänzlich andere Position eingenommen als die Freie Linke Zukunft. Aber natürlich sehe ich die problematischen Seiten insbesondere mit Blick auf die Einschränkung der Meinungs‐ und Versammlungsfreiheit, vor allem angesichts dessen, was wir seit Februar 2022 und Oktober 2023 in diesem Land erleben.
Diese sich immer weiter verschärfende autoritäre Dynamik hat aus meiner Sicht durchaus unbestreitbare Kontinuitäten, die in die Corona‐Zeit zurückreichen. Allerdings sehe ich persönlich die neuen Qualitäten vor allem mit Blick auf den Ukraine‐ und den Gazakrieg, während etwa der Rechtswissenschaftler Ralf Hohmann die Anfänge bereits im Jahr 2015 ausmacht. Wie dem auch sei: Ich jedenfalls halte es für falsch, sich angesichts dessen, was wir in Gaza erleben – oder auch was der Ukrainekrieg weltpolitisch bedeutet – anhand der Corona‐Frage spalten zu lassen.
Traditionell schien bis zur »Covidzeit« die Rote Hilfe eine recht zuverlässige Unterstützung bei staatlicher Repression zu bieten. Hinsichtlich der Palästinasolidarität steht die Rote Hilfe etwas zwielichtig da: einerseits Aufrufe gegen die Repression der Palästinasolidarität, andererseits Ablehnungen von Unterstützungsanträgen. Wie schätzt ihr die Rolle der Roten Hilfe ein?
Jürgen: Die Rote Hilfe positioniert sich in der Tat widersprüchlich, was mit ihrem Charakter als strömungsübergreifender Organisation zu tun hat: Auch eindeutig als »antideutsch« beziehungsweise zionistisch zu bezeichnende Kräfte sind dort aktiv. Das Verhalten bezüglich des Samidoun‐Verbots und gegenüber ehemaligen Mitgliedern von Samidoun ist in der Tat skandalös und einer linken Antirepressionsorganisation nicht würdig. Aber der politische Kampf um die Ausrichtung der Roten Hilfe ist wohl einer, den wir führen müssen.
Wir waren von der Solidaritätserklärung zum Verbot von PSDU positiv überrascht und haben uns gefreut, zu hören, dass die Rote Hilfe mittlerweile auch Verfahren zu »From the River tot the Sea« unterstützt. In Duisburg hat die Rote Hilfe‐Ortsgruppe in der Vergangenheit zur Beobachtung des Strafprozesses gegen Leon wegen der Parolen »From the River to the Sea« und »Yalla Intifada« aufgerufen und einen Soli‐Abend organisiert. Außerdem hat sie dem Komitee gegen das PSDU‐Verbot ein Spendenkonto zur Verfügung gestellt.
In der Palästinasolidaritätsbewegung bestehen Differenzen bezüglich der Haltung zur Hamas, des muslimisch geprägten bewaffneten und gewaltlosen Widerstands wie auch bezüglich der Haltung zum muslimisch geprägten und säkularen bewaffneten Widerstand. Wie schätzt ihr die Bedeutung dieser Differenzen, speziell als Vehikel der Entsolidarisierung und Spaltung, ein?
Leon: Ich denke, dass Islamfeindlichkeit ein sehr wichtiges Instrument ist, um die Solidarität mit den von Imperialismus und zum Teil noch offenem Kolonialismus betroffenen Völkern im Nahen und Mittleren Osten zu schwächen. Und leider wirkt dieses Instrument nicht nur bei bürgerlichen Kräften und in der »einfachen Bevölkerung«, sondern auch weit hinein in die politische Linke. Im letzten Jahrhundert war es für die Linke selbstverständlich, sich mit antikolonialen Befreiungsbewegungen zu solidarisieren. Selbst wenn sie unter Führung bürgerlicher oder kleinbürgerlicher Kräfte standen, und sogar wenn es – wie etwa im libyschen Freiheitskampf unter Omar al‐Mukhtar in den 1920er und 30er Jahren – religiöse Orden waren, die diese Kämpfe anführten.
Heute sieht es anders aus: Internationale Solidarität scheint für viele Linke ein Wünsch‐dir‐was‐Konzert zu sein. Man solidarisiert sich nur noch mit Menschen oder politischen Akteuren, die einem selbst aus irgendwelchen Gründen »sympathisch« erscheinen. Dann geht es nicht mehr um politische und vor allem materialistische Analyse, sondern um Befindlichkeiten und subjektive Interessen. Konkret: Die islamischen Gruppen in Palästina kämpfen heute letztlich für dasselbe strategische Ziel wie die linken und säkularen Gruppen damals, als noch die PLO die führende Kraft dieses Kampfes war, und sogar für dasselbe, wofür diese Gruppen heute kämpfen – nämlich für die nationale Befreiung ihrer Heimat. Deshalb gibt es ja heutzutage eine so enge Zusammenarbeit zwischen den einen und den anderen. Aber während viele westliche Linke voller Sehnsucht und häufig romantisch verklärt auf die 1970er Jahre schauen, als die säkulare kleinbürgerliche Fatah den Widerstand der Palästinenser am stärksten geprägt hat, fühlen sich dieselben Linken genötigt, sich vom heutigen realen palästinensischen Widerstand zu distanzieren, weil er von der islamischen kleinbürgerlichen Hamas geprägt ist.
Das ist bestenfalls Idealismus, schlimmstenfalls eurozentrische und kulturkämpferische Arroganz, auf jeden Fall aber weder Antiimperialismus oder Internationalismus noch Klassenkampf. Einen größeren Gefallen kann eine Linke den Kolonialherren und Imperialisten nicht tun.
Bei der Unterdrückung der Palästinasolidarität spielt der Vorwurf des »Antisemitismus« eine große Rolle. Bloß zu beteuern, man sei nicht antisemitisch, hilft erfahrungsgemäß wenig. Die jüdische Beteiligung hilft enorm. Könnte es zusätzlich vielleicht helfen – auch, um ernst zu nehmenden Ängsten besser zu begegnen –, klarer auszumalen und auszuarbeiten, wie man sich eine nach‐koloniale Gesellschafts‐ und Nationalstaatsbildung in Palästina vorstellt? Gäbe es gegenwärtig in der Solidaritätsbewegung überhaupt Chancen, hier eindeutiger zu werden, ohne neue Brüche und Schwächungen zu erzeugen?
Leon: Debatten, Meinungsäußerungen, sogar Konferenzen darüber gibt es ja. Aber zum einen ist es ein wenig Kristallkugelleserei, denn wann und wie die Befreiung Palästinas zustande kommt, kann niemand vorhersehen und die postkoloniale Entwicklung wird von vielen konkreten objektiven Faktoren abhängen, die wir heute gar nicht vorhersehen können. Zum anderen – und das ist zentraler – ist es Sache der Menschen vor Ort, nicht der Solidaritätsbewegung, derlei Perspektiven zu entwickeln. Ich persönlich denke, dass bei Solidaritätsbewegungen mit antikolonialen Befreiungsbewegungen viel Romantik und viele Projektionen im Spiel sind – und das ist ein Problem.
Was wir natürlich machen können, um Vorurteile abzubauen, ist, auf die realen Debatten der Betroffenen und Kämpfenden zu verweisen und sie zugänglich zu machen. Interessant ist das auf alle Fälle. Es hat aber natürlich auch ein Geschmäckle, wenn es dann am Ende wieder um die Befindlichkeiten von weißen Europäern geht, die Angst haben, dass andere Weiße von »wilden Eingeborenen« bedrängt werden. Aber gut, taktisch kann es trotzdem sinnvoll sein. Wir müssen hier schließlich mit dem arbeiten, was wir vorfinden. Und dazu gehören auch Menschen mit eingeschränkter Perspektive und mit Befindlichkeiten.
Was die Gefahr der Spaltung angeht: die ist natürlich real. Und umso absurder, wenn sich Menschen oder Organisationen, die eigentlich nichts zu melden haben, darüber zerstreiten, wie ein freies Palästina genau auszusehen habe. Als PSDU hatten wir uns zu einer säkularen und demokratischen Ein‐Staat‐Lösung bekannt. Und trotzdem haben wir letztlich auch mit Organisationen zusammengearbeitet, die für eine Zweistaatenlösung waren, solange sie darunter nicht das Osloer System verstanden und für das Abbas‐Regime geworben haben.
Deutschland steht wegen Beihilfe zum Völkermord vor Gericht. Versprecht ihr euch eventuell Rückwirkungen dieses internationalen Verfahrens auf deine Klage gegen das Verbot der PSDU?
Jürgen: Natürlich würde eine Verurteilung Israels durch den IGH wegen Völkermords für den weltweiten Protest gegen die israelische Politik und die Komplizenschaft durch die USA und Deutschland eine entscheidende Hilfe darstellen, wobei ich allerdings immer noch im Zweifel bin, ob der IGH dazu den Mut aufbringt. Denn Israel ist fester Bestandteil des imperialistischen Lagers und für die USA und die EU im Nahen Osten unverzichtbar, um ihre neokoloniale Politik weiter fortzusetzen. Aber vielleicht erleben wir ja auch eine Überraschung, die der weltweiten Bewegung gegen die israelische Besatzung und Kriegspolitik natürlich erheblichen Auftrieb gegen würde.
Wie können wir und die Leser euren Weg und das Anliegen der PSDU bestmöglich unterstützen?
Leon: Der Witz – oder besser gesagt: das Schlimme, aber Absurde beim PSDU‐Verbot ist ja gerade, dass wir nichts anderes getan haben, als das, was zig andere Gruppen auch tun. Deswegen ist das Wichtigste, dass alle anderen entschlossen und ohne Angst weitermachen mit ihrer Solidaritäts‐ und Aufklärungsarbeit! Jede Demo, jede Aktion, jede Veranstaltung, jede erfolgreiche Klage im Sinne der Palästinasolidaritätsbewegung ist im Sinne dessen, was die PSDU gemacht hat und was die PSDU wollte. Theoretisch ist das alles jetzt verboten, weil all das eine »Fortsetzung« der Arbeit der PSDU ist. Aber das ist der Punkt: Solidarität lässt sich nicht verbieten! Und daran wird auch das Verbot der PSDU scheitern – politisch einfach in der Praxis und hoffentlich auch juristisch, weil die Gerichte anerkennen, dass wir nichts anderes getan haben, als klassische Solidaritätsarbeit zu leisten. Genau wie viele andere Gruppen in der BRD und wie unzählige Solidaritätsbewegungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten für die verschiedensten antikolonialen Befreiungskämpfe.
Jürgen: Abgesehen davon ist das Komitee natürlich darauf angewiesen, dass unsere Inhalte medial, auf Social Media und dergleichen verbreitet werden. Dass unsere Kampagne #WirSindAllePSDU vorangetrieben wird und Solidarität bekundet wird. Dass wir Spenden für die Prozesse und die Öffentlichkeitsarbeit einnehmen. Und dass die Veranstaltungen und Aktionen, zu denen wir bald aufrufen werden, unterstützt werden.
Wir wünschen viel Erfolg und Durchhaltevermögen und bedanken uns für die Gelegenheit zum Gespräch.
Weitere und aktuelle Infos zum PSDU‐Verbot und dem Kampf dagegen findet man unter: www.psdu-verbot.info
Bild: PSDU‐Graffito in Leipzig