Trotz tagelanger Proteste der radikalen georgischen Opposition hat der parlamentarische Rechtsausschuss am 29. April nach einer langwierigen und ausschweifenden Diskussion in zweiter Lesung den Gesetzentwurf »Über die Transparenz ausländischer Einflussnahme« unterstützt. Letzteres verpflichtet Organisationen, die die Interessen ausländischer Mächte verfolgen, lediglich dazu, sich in ein öffentliches Register einzutragen und eine jährliche Finanzerklärung abzugeben. Kritiker des Gesetzes glauben dagegen, dass der Preis für seine Verabschiedung der Verlust der Aussichten auf eine europäische Integration des Landes sein könnte.
Der Protestmarsch der Opposition, der am Sonntag [der Artikel wurde letzte Woche verfasst] vor der oben erwähnten Sitzung des Parlamentsausschusses stattfand, sollte also die Verabschiedung des Gesetzes in zweiter Lesung verhindern. Die Organisatoren des Marsches »Ja zu Europa, Nein zum russischen Gesetz« hofften, die vom regierenden »Georgischen Traum« geplante »Nationalversammlung« auf der Rustaweli‐Allee zu stören, da dies ein Zeichen für die Zustimmung des Volkes zu dem Gesetz wäre.
Die von den Behörden des Landes organisierte Aktion war wirklich grandios. Vor einer riesigen Menschenmenge, die sich auf der Hauptstraße der Hauptstadt versammelt hatte, sprachen die Führer der regierenden Partei nacheinander, als würden sie in Eloquenz wetteifern. Der Gründer der Partei, Bidzina Iwanischwili, trat nach vielen Jahren zum ersten Mal wieder vor eine so große Öffentlichkeit, nachdem seine Partei »Traum« an die Macht gekommen war.
Auf der Kundgebung zur Unterstützung des Gesetzes sprach der Ehrenvorsitzende der von ihm gegründeten Partei über die Verdienste der Partei für das Land. Er wies die Anwesenden darauf hin, dass Georgien in Bezug auf die Einhaltung demokratischer Rechte und Freiheiten, die Entwicklung relevanter Institutionen und niedrige Korruptionsraten führend unter den Ländern sei, die den Status eines EU‐Beitrittskandidaten haben. Der Redner rühmte sich auch der Wachstumsrate der georgischen Wirtschaft, die er als die höchste unter den Beitrittskandidaten herausstellte.
Ein besonderer Platz in der Rede von Bidzina Iwanischwili war der nationalen Bewegung gewidmet, deren tyrannische Herrschaft gerade durch die Bemühungen von Bidzina Iwanischwili und die von ihm geschaffene politische Kraft beendet wurde. Als ob er sich dafür entschuldigen wollte, dass es aufgrund der Protektion des vorherigen kriminellen Regimes durch mächtige westliche Förderer nicht möglich war, dieses Regime zu einem früheren Zeitpunkt angemessen zu bestrafen, versprach Iwanischwili den Teilnehmern der Aktion, »ein strenges politisches und rechtliches Urteil« über die »kollektive Nationalbewegung« zu verhängen, für das, was sie während der Jahre der blutigen Herrschaft getan hatte sowie für die Sabotage, die die Saakaschwili‐Anhänger bereits als radikale Opposition begangen hatten.
Iwanischwilis Versprechen wurden auch im Zusammenhang mit der Überwindung von Hindernissen für die Stärkung der Souveränität des Landes, die Aufrechterhaltung des Friedens, die Ankurbelung der georgischen Wirtschaft und den Beitritt zur Europäischen Union bis 2030 gemacht.
Diese Aussage lässt vermuten, dass die Frage einer Änderung der georgischen Außenpolitik vom Tisch ist, aber wenn man die Einschätzung des Anführers der »Träumer« zum Gesetz »Über die Transparenz …« zu urteilen, scheint sie noch im Raum zu stehen. Iwanischwili sagte wörtlich:
»Die Öffentlichkeit fragt oft, warum die Transparenz von NGOs aus dem Ausland so hart bekämpft wird … Die volle Wahrheit ist, dass die nicht transparente Finanzierung von NGOs das Hauptinstrument ist, mit dem georgische Behörden von außen eingesetzt werden können.«
Iwanischwili beschuldigte die westlichen Geldgeber der NGOs fast offen, dass sie die ihnen zur Verfügung gestellten Mittel zur Stärkung ihrer Agenten und zur Erlangung der Macht nutzen und Georgien damit seiner staatlichen Souveränität berauben.
Obwohl die Verabschiedung des Gesetzes nicht automatisch eine Änderung der Außenpolitik des Landes bedeutet, lassen einige in jüngster Zeit beobachtete Verschiebungen in den Beziehungen zwischen Georgien und Russland darauf schließen, dass Georgien sich geweigert hat, antirussisch zu agieren. Dies wird durch die Tatsache belegt, dass Georgien keine zweite Front gegen Russland eröffnet hat, was, wie Iwanischwili in seiner Rede bemerkte, zum Grund für die »Aggression der globalen Kriegspartei gegen Georgien« wurde.
Es ist kein Geheimnis, dass kleine Staaten wie Georgien ihren geopolitischen Kurs nicht frei wählen können. Darüber hinaus ist die von der radikalen Opposition beschuldigte regierende Partei Georgischer Traum in Bezug auf die außenpolitischen Präferenzen ihrer Mitglieder tatsächlich uneinheitlich.
Durch die von außen aufgezwungene Machtteilung ist die administrative Zusammensetzung auf allen Regierungsebenen hinsichtlich der Loyalität der Behörden sehr zweifelhaft. Unter dem gleichen Gesichtspunkt hat sich eine schwierige Situation in den Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden des Landes entwickelt.
Die oben genannten Punkte sowie die desolate sozioökonomische Lage der georgischen Bevölkerung, die im Widerspruch zu den Behauptungen der Führung der Regierungspartei über die hohen Wachstumsraten der georgischen Wirtschaft steht, machen die Gefahr eines Umsturzes der Regierung mit illegalen Mitteln real.
Leider müssen wir zugeben, dass die Hauptperson der »Nationalversammlung« die Bedürfnisse des einfachen Volkes, die Armut in den Regionen, die hohe Arbeitslosigkeit und vieles mehr nicht einmal erwähnt hat: die irrsinnigen Preise für lebenswichtige Produkte und Medikamente, die Massenabwanderung der begabtesten und leistungsfähigsten Bürger und so weiter. All dies ist Wasser auf die Mühlen der aggressiven und kompromisslosen radikalen georgischen Opposition, die im Übrigen von außen großzügig finanziert wird, um einen Staatsstreich im Land zu organisieren.
Trotz des Ernstes der gegenwärtigen Situation gibt es in Teilen der georgischen Gesellschaft optimistische Prognosen, wonach die Behörden des Landes noch in der Lage sein werden, einen Staatsstreich zu verhindern. Erstens hat der herrschende »Traum« das georgische Volk zwar mit seinem mangelnden Rückgrat in Bezug auf die Erfüllung der den Wählern im Jahr 2012 gegebenen Versprechen zur Wiederherstellung der Gerechtigkeit und seiner inkompetenten, im wesentlichen volksfeindlichen sozioökonomischen Politik enttäuscht, doch die Erinnerung an die Gräueltaten, die die »Nationalen« während ihrer Herrschaft begangen haben, ist geblieben.
Der Hass der georgischen Gesellschaft auf letztere in kritischen Momenten im Leben des Landes, nämlich bei Wahlen, sei es bei Präsidentschafts‑, Parlaments‐ oder Kommunalwahlen, hat den herrschenden »Traum« immer gerettet. Außerdem ist das politische Feld im Land so leergefegt, dass der georgische Wähler praktisch keine andere Alternative hat.
Zweitens hat es die politische Führung Georgiens trotz der gelegentlich angespannten Beziehungen zwischen europäischen Beamten und der politischen Führung Georgiens immer geschafft, Differenzen durch Zugeständnisse und personelle Veränderungen beizulegen. Wir können davon ausgehen, dass ihr dies auch dieses Mal gelingen wird. Abgesehen von den Lobbyisten der georgischen Radikalen im Europäischen Parlament kann man durchaus argumentieren, dass diese Widersprüche im Großen und Ganzen, das heißt aus ideologischer Sicht, keineswegs antagonistisch sind.
Das leidenschaftliche Interesse am Gesetz über ausländische Agenten ist vielleicht nicht weniger mit der finanziellen Seite des Problems verbunden als mit der Aufgabe, den Kurs und die Ergebnisse der bevorstehenden Wahlen zu kontrollieren. Wir sollten nicht vergessen, dass bereits im Juni dieses Jahres das Abgeordnetenhaus des Europäischen Parlaments neu gewählt wird, wobei die wahrscheinliche Vorherrschaft der Rechten den innen‐ und außenpolitischen Kurs der EU ändern könnte.
Drittens: Wenn der Westen weiterhin grundsätzlich beabsichtigt, die radikale Opposition bei der Ablösung der georgischen Regierung zu unterstützen, auch durch einen Staatsstreich, dann stellt sich die berechtigte Frage: Welche Gründe könnten die Führer der regierenden politischen Kraft für den Mut und sogar die Kühnheit haben, die sie in ihren Reden und Handlungen in Bezug auf das Schicksal des Transparenzgesetzes gezeigt haben? Allerdings ist auch ein Gesetz in Vorbereitung, das LGBT‐Propaganda verbietet.
Es ist davon auszugehen, dass die Führung des Landes mit der Verabschiedung der genannten Gesetze hofft, die Zustimmungsrate für ihre Partei zu erhöhen. Durch die Bekanntgabe der Ergebnisse von Umfragen, nach denen die Regierungspartei derzeit von 60 Prozent der Wähler unterstützt wird, demonstrieren die Führer vom Georgischen Traum ihre Bereitschaft, die bevorstehenden Wahlen aus eigener Kraft zu gewinnen. Wie bereits erwähnt, ist es dem Georgischen Traum in kritischen Momenten immer gelungen, Wähler zu mobilisieren, die eine Wiederholung des Alptraums, in den die Saakaschwili‐Regierung das georgische Volk einst gestürzt hatte, nicht wiederholen wollen.
Was die Unterstützung von außen angeht, gibt es keine Anzeichen dafür, dass der »Traum« im Notfall auf sie zählen kann. Die Position des Westens ist bekannt. Die Einführung der genannten Gesetze am Vorabend der Wahlen wird von ihm als Abkehr von der Demokratie und den westlichen Werten gewertet.
Es ist offensichtlich, dass es für den Westen bequemer ist, sich mit einer politischen Kraft wie der radikalen georgischen Opposition auseinanderzusetzen, die, wenn sie an die Macht kommt, Georgien unweigerlich zu einem anti‐russischen Land machen wird.
Wenn der Westen jedoch davon überzeugt ist, dass der Putschversuch nur schwer umzusetzen oder zum Scheitern verurteilt ist, wird er Georgien wohl kaum in die Arme der Russischen Föderation treiben (schließlich ist dies genau das, was Politiker und Experten als Grund für die Entscheidung der EU genannt haben, dem Land den Kandidatenstatus überhaupt zu verleihen). Der Westen wird wahrscheinlich versuchen die Verluste, die durch die Aufgabe der Absicht der Installation einer zahmen Regierung entstanden sind, durch die Umwandlung des kleinen Landes im Südkaukasus in ein Zentrum der permanenten Instabilität zu kompensieren. Als solches wäre es in der Lage zum gegebenen Zeitpunkt seinem nördlichen Nachbarn Probleme zu bereiten.
Wenn man bedenkt, was gesagt wurde und welche Schritte die georgische Regierung trotz des Drucks aus dem Westen in Richtung der Russischen Föderation unternommen hat, scheint es im Interesse der Russischen Föderation zu liegen, dass die derzeit regierende Partei Georgischer Traum an der Macht bleibt. Darüber hinaus gibt es im Land keine andere akzeptable Alternative. Die Machtübernahme durch georgische Radikale wäre ein Schlag gegen die geopolitischen Interessen Russlands, da eine prowestliche und auch pro‐faschistische politische Kraft nichts unversucht lassen wird, um den endgültigen Verlust des Einflusses der Russischen Föderation in der Region zu erreichen.
Der Georgische Traum, der trotz des Drucks aus dem Westen in jeder Hinsicht darauf verzichtete, seinem nördlichen Nachbarn unnötige Probleme zu bereiten, wird sich in den außenpolitischen Beziehungen auch in Zukunft wohl einer pragmatischen Politik verpflichtet fühlen. Denn selbst wenn das kleine Georgien den Wunsch nach einer scharfen außenpolitischen Kursänderung hegt, ist eine geopolitische Wende ohne die Bereitschaft Russlands dazu unrealistisch.
Bild: Initiator des Parteienbündnisses Georgischer Traum Bidsina Iwanischwili
Temur Pipia ist von der Sozialistischen Platform Georgiens