Niemand kann zum jetzigen Zeitpunkt das Ergebnis der Parlamentswahlen oder die politische Farbe des künftigen Premierministers vorhersagen. Das Einzige, was heute von uns abhängt, ist daher der unermüdliche Kampf, um das Ergebnis der extremen Rechten in der Arbeiterschaft zu senken, die antisoziale Politik Macrons nicht weniger stark zu bekämpfen … und daran zu erinnern, dass eine »Volksfront«, die diesen glorreichen Namen verdient, nicht von der Verteidigung des Weltfriedens, den Kämpfen für sozialen Fortschritt und dem Einsatz für die Unabhängigkeit Frankreichs getrennt werden kann. Eine Unabhängigkeit, die die EU, das heißt Berlin, nunmehr unter dem Vorwand der Verschuldung an die tödlichen Finanzmärkte unter Vormundschaft stellen will!
Schwere Krise politischer Zustimmung
»Hegemonie ist die durch Zustimmung gepolsterte Klassendiktatur«.
Gramsci
Dennoch lässt sich bereits Folgendes sagen: Das Ergebnis der Europawahl zeugt von einer enormen Krise der politischen Zustimmung in unserem Land. Wenn jeder zweite Wähler, insbesondere eine überwältigende Mehrheit der einfachen Wählerschaft (und das seit Jahrzehnten), diese Wahl boykottiert oder eine ungültige Stimme abgibt, wenn Millionen von Menschen für die Partei Rassemblement National (RN) stimmen, weil sie sich einbilden, für eine angeblich »patriotische und republikanische« Alternative zu stimmen, wenn viele Bewohner der Vorstädte ihre Stimme La France insoumise (LFI) geben, um Palästina gegen die völkermörderische westliche Ordnung zu unterstützen, und schließlich, wenn der amtierende Präsident von gerade einmal 7 Prozent der registrierten Wähler unterstützt wird, bedeutet dies, dass die Regimekrise in eine revolutionäre Krise überzugehen droht. Leider bedeutet dies auch, sofern die kommunistische Avantgarde sich nur zögerlich wieder aufbaut (einige »Marxisten« laufen hinter LFI, andere hinter dem inkonsequenten Roussel der Kommunistischen Partei Frankreichs (PCF) her), dass die Faschisierung ihren Höhepunkt erreicht, je nachdem, ob die kapitalistische Oligarchie oder die Aktivisten der Arbeiterklasse in der kommenden Periode rechtzeitig die gesellschaftspolitische Initiative ergreifen können.
Und das umso mehr, als besagte Periode auch – selbst wenn Bardella den Posten des Premierministers in Matignon übernehmen sollte – durch die gewaltsame Beschleunigung des »europäischen föderalen Sprungs« gekennzeichnet sein wird, von dem keine große Partei spricht! Das heißt, durch jenen »Detailpunkt«, der in den Augen der rechten und linken Opportunisten der Arbeiterbewegung die baldige Einführung eines integrierten europäischen Bundesstaates und einer europäischen Armee darstellt! Nicht zu vergessen die geradezu schwindelerregende Versuchung zur Beschleunigung eines antirussischen und antichinesischen Weltkriegs durch den von Macron, Glucksmann und Co. angestachelten euro‐atlantischen Block.
Keime einer gesellschaftspolitischen Explosion in Frankreich
Auf jeden Fall kann die Situation in Frankreich schnell explosiv werden, denn wenn »die da oben nicht mehr wie früher regieren können und die da unten nicht mehr wie früher regiert werden wollen« (Lenin) – vor allem in einem Land wie Frankreich, das laut Marx (in »Der Bürgerkrieg in Frankreich«) das »klassische Land der bis zum Ende geführten Klassenkämpfe« ist –, dann beginnt eine Periode intensiver Kämpfe, die letztlich Gefahr laufen, nicht mehr sehr lange einen eigentlichen Abschluss bei Wahlen und in den Institutionen zu haben. Im Übrigen sei daran erinnert, dass das bonapartistische Regime der sogenannten Fünften »Republik« selbst aus dem kaum getarnten Militärputsch vom Mai/Juni 1958 hervorgegangen ist …
Verschärfung der Gegensätze
Wenn Bardella in den Regierungssitz Matignon gelangt, wer kann sich auch nur eine Sekunde lang vorstellen, dass die Menschen und die Jugend in den Vorstädten die Sache gutmütig hinnehmen werden? Wenn es Macron stattdessen gelingt, »das Omelett in der Mitte aufzuschneiden«, indem er seine (so unpassend benannte) »Renaissance« mit dem Gros der Abgeordneten der La République En Marche mit den Kriegstreibern der Parti Socialiste zusammenbringt (macronistischer als Macron, wenn es um den Marsch in den Krieg geht … ) und die linke PCF und LFI trotz ihrer atlantischen Euro‐Komplizenschaft zu Tode kriminalisiert, wäre das eine andere Form der Faschisierung, die mit einer monströsen antisozialen und freiheitsfeindlichen Agenda einhergehen würde, die direkt von Ursula von der Leyen diktiert und überwacht würde. Auch hier sind große Volksaufstände zu erwarten … und eine intensive staatliche Repression, der man sich mit den entsprechenden militanten und organisierten Mitteln entgegenstellen muss.
Wenn die Neue Volksfront (Nouveau Front populaire, NFP) nominell die Wahl gewinnt, sind, abgesehen davon, dass ihre soziale Agenda im Rahmen der EU des Kapitals, des IWF, der WTO und der Weltbank nicht umgesetzt werden kann, enorme Spannungen zwischen ihrem rechten und linken Flügel zu erwarten. Zumal Macron aufgrund des präsidialen Charakters der Institutionen in jedem Fall Herr des Staatsapparats bleiben wird und der »europäische föderale Sprung« zusammen mit der kontinentalen Vorkriegsatmosphäre der gesamten europäischen Oligarchie den Wunsch und die Mittel geben würde, das Schicksal dieses unberechenbaren Volkes der Sans‐Culottes, der Communards und der Gelbwesten endgültig zu regeln. All dies entspricht schlicht und einfach dem Realitätsprinzip und sollte echte Revolutionäre auf keinen Fall in Angst und Schrecken versetzen: Wie Lenin sagte: »Wer den Wolf fürchtet, geht nicht in den Wald!«
Volksautonomie oder Eurounterwerfung unter die Apparate
In jedem Fall müssen echte Kommunisten daher entschieden auf die Autonomie der Volksbewegung und zentral auf die der Arbeiterklasse setzen, indem sie daran erinnern, dass, wie schon die Erste Internationale sagte, »die Emanzipation der Arbeiter das Werk der Arbeiter selbst sein muß«. Daher kommt es die Arbeiterbewegung immer teuer zu stehen, wenn sie im Namen der Einheit um jeden Preis den reformistischen Apparaten folgt – einschließlich der fatalen nuklearen Spirale gegen die Russische Föderation, falls die Waffenlieferungen an das pronazistische Regime in Kiew aufrechterhalten werden.
Existentielles Bedürfniss einer Avantgarde
Mit dem strategischen Angebot der PRCF halten Kommunisten und Arbeiter schon jetzt und auch morgen »alle Enden der Kette« zusammen, indem sie gleichzeitig für Demokratie und Freiheiten (antifaschistischer und antirassistischer Kampf), für nationale Unabhängigkeit (Austritt aus dem Euro und der EU), für den Weltfrieden (Austritt aus der NATO), für sozialen Fortschritt (Austritt aus der ewigen Euro‐Austerität) und für den Sozialismus in unserem Land (Austritt aus dem Kapitalismus) kämpfen. All diese Dinge setzen voraus, dass wir so schnell wie möglich wieder eine kämpferische kommunistische Partei, eine große klassenbewusste Arbeitergewerkschaft und eine breite antifaschistische, friedliche, patriotische und ökologische Front (FRAPPE (Schlag)) aufbauen, wie es die PRCF seit Jahren vorschlägt, anstatt hinter der neu formatierten euro‐ und atlantischen LFI oder der völlig euro‐mutierten »Kommunistischen« Partei Frankreichs herzulaufen.
Georges Gastaud, Leiter des Sektors Studien und Perspektiven des Pôle de renaissance communiste en France (Sammelpunkt der kommunistischen Erneuerung Frankreichs)
Erschienen in der Zeitschrift Initiative Communiste des PRCF
Bild: Fahnen des PRCF und seiner Jugendorganisation und die Trikolore phrygischer Mütze (Initiative Communiste)